Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Allgemeines => Tintenzirkel => Phantastik und Fantasy => Thema gestartet von: Maria am 10. September 2019, 13:20:56

Titel: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 10. September 2019, 13:20:56
Ich bin auf Tor online auf diesen Artikel gestoßen:
https://www.tor-online.de/feature/buch/2019/08/was-ist-sensitivity-reading/

Da das sensitivity reading schon länger größere Wellen auch in anderen Autorenforen schlägt, hat mich jetzt die Gleichsetzung von "Orks wie in HdR = black people wie sie von Rassisten gesehen werden" nachdenklich gemacht.

Habt ihr schon mal etwas mit Orks geschrieben und wie habt ihr sie dargestellt? Habt ihr das Gefühl, dass hinter der Tolkien Version der Orks eine rassistische Geisteshaltung steckt?

(Ich schreibe gerade an einer Kurzgeschichte, in der Orks erwähnt werden, daher kaue ich jetzt daran herum, ob ich die Orks rausnehme und ein anderes Fantasievolk verwende.)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Robin am 10. September 2019, 13:31:40
 ??? Naja, ich würde sagen, Orks mit Schwarzen gleichzusetzen ist ein wenig... sehr gestreckt. Wenn ich mich richtig erinnere (und ich müsste HdR wirklich noch einmal neu lesen, es ist schon lange her), dann gibt es doch auch dunkelhäutige Menschen in der Geschichte, die auf Saurons Seite kämpfen. Zudem Tolkien doch immer betont hat, dass er nicht versucht, mit den Büchern irgendwo eine große Analogie herzustellen.

Ich habe bei Tolkiens Orks einfach das Gefühl, dass sie das sind, wie sie beschrieben worden sind - eine Verdrehung von etwas, was schon da war, eine Hülle von etwas, was verdorben worden ist, und jetzt dazu verdammt ist, unter Sauron zu dienen. Wenn ich das alles noch richtig im Kopf hab.

Ganz ehrlich, ich sehe hier durchaus, dass man Orks so lesen könnte, aber ich selbst lese sie nicht als eine rassistische Darstellung. Sie sind ein großer Teil der Bedrohung für Mittelerde, aber eben nicht das einzige, was den Frieden in Mittelerde stetig bedroht. Und auch in beinahe jeder anderen Fantasygeschichte sind sie als eine Bedrohung sehr praktisch, weil sich jeder etwas unter einem Ork vorstellen kann - auch dank Tolkien und später auch anderen Medien, die Orks aufgegriffen haben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Yamuri am 10. September 2019, 13:35:40
Also ich weiß ja nicht. Nimmt diese ganze Debatte mittlerweile nicht immer absurdere Ausmaße an? Man kann letztlich in jeden Text alles hinein interpretieren wenn man möchte und sucht. Wer einem andren etwas Böses will, kann schon in einem Blick Böswilligkeit erkennen. Tolkien brauchte für seine Geschichte Antagonisten und einen guten Konflikt. Die Orks repräsentieren lediglich das "Böse". Da sie grotesk wirken, kann durch ihr Aussehen beim Betrachter Angst ausgelöst werden. Es ist leicht die Angst der Menschen zu verstehen, wenn ihnen ein groteskes Mischwesen gegenüber steht als wenn dies nun ein wunderschöner Mensch wäre. Ich finde es doch eine sehr weit hergeholte Unterstellung in Orks etwas Anderes zu sehen als sie sind: Mischkreaturen, die möglichst grotesk wirken sollen um die Angst, die Menschen vor ihnen haben, greifbarer zu machen. Elfen sind sicher auch nicht immer das freundlichste Volk, aber das Aussehen eines Elfen wird beispielsweise nie Angst auslösen. Menschen würden also immer ins offene Messer laufen, wenn Elfen böse wären, weil sie ihnen schlichtweg aufgrund ihres Aussehens eher vertrauen würden. Das kann natürlich auch ein guter Twist sein, das Böse einmal bewusst als wunderschön darstellen. Was man höchstens Tolkien ankreiden könnte wäre, dass er das Böse als hässlich darstellt. Das hat aber nichts mit Rassismus zu tun. Denn es könnten sich alle weniger schönen Menschen davon angesprochen und diskriminiert fühlen. Aber in Filmen/Büchern ist es ein uraltes Klischee das Böse als hässlich oder grotesk darzustellen, leider.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 10. September 2019, 13:55:56
Wenn ich richtig informiert bin, dann sind die Orks missglückte Elfen, aber fragt mich nicht nach der Quelle aus der ich das habe. Tolkien und herr der Ringe ist Ewigkeiten her. Wenn die Orks mit etwas Ähnlichkeit haben, dann mit Frankenstein, der ja auch eine Art Neuschöpfung war. Auf keinen Fall kann ich aus der Existenz der Orkas auf eine Geisteshaltung schließe, wenn ich nicht den Entstehungsprozess der Geschichte und die rolle der Orks innerhalb der Geschichte kenne.

Zur Beantwortung obiger Frage braucht es einen Literaturwissenschaftler oder einen Tolkinisten.  ;D

Andererseits waren Tolkiens Figuren so prägend, dass es keine Elfen mehr gibt, die nicht lang und dünn sind und spitze Ohren haben. Dabei haben die Wörter Elfen, Elben, Alben diesselbe Bedeutung und schließen auch schon mal den einen oder anderen mystischen Zwerg mit ein (Dietrich von Bern Sagen).
Ich befürchte, hier wird mal wieder nach einem Rassisten gesucht, der ausreichend bekannt ist, um einen neuen Shitstorm loszupusten,

Und ja, ich habe einmal eine Kurzgeschichte über eine Orkfrau geschrieben, die sich als Mann einen Baumelfen ausgesucht hatte. Als ein Höfling ein paar hämische Kommentare machte, hat sie ihme eine gelangt, dass die Zähne flogen. Das war eine Geschichte, die ich mal geschrieben habe, um eine Erwartungshaltung zu brechen. Ach so, das seltsame Pärchen lebte äußerst glücklich zusammen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maubel am 10. September 2019, 14:00:34
Die Orks würde ich jetzt nicht unbedingt als rassistisch ansehen, aber wenn man wirklich will, kann man eine leichte, wahrscheinlich zeitgemachte Färbung durchaus darin sehen, dass wir die guten westlichen Völker haben und den bösen Osten und ja ... aus dem Süden kommen böse dunkelhäutige Krieger, die als Barbaren beschrieben werden, während unsere "Guten" alle hellhäutig sind, von ein paar dunkler gefärbten Hobbits, wenn ich mich recht erinnere, abgesehen. Da steckt schon ein bisschen was drin. Aber der Anteil in Bezug auf die Gesamtstory ist schon sehr gering. Bei den Orks hatte ich aber nie das Gefühl, dass sie eine Metapher für die "Anderen" sind, sondern eben verkorkste Elfen/das gedankenlose Böse.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Tintenteufel am 10. September 2019, 14:05:15
Interessantes Thema, etwas plump angegangen vom Artikel.

Dass die Verwendung von Rassen als Topos in der Fantasy problematisch ist, das ist jetzt weder neu noch hot. Und in meinen Augen auch kein Grund für ein Sensitivity Reading, sondern ein bisschen Menschenverstand. Dass man Orcs jetzt nicht mit großen, roten Lippen, pechschwarzer Haut und weißen Augen als unmenschliche Fress-und-Fick-Monster (ala Goblin Slayer) dargestellt werden sollten... Sollte klar sein. Ist es leider nicht und da gebe ich dem Artikel Recht: Das ist rassistischer Kackscheiß. Der liegt aber erstens an der Umsetzung des jeweiligen Topos (Tolkiens Orcs halte ich nicht für rassistisch, s.u.) und wer zweitens so etwas verzapft holt sich auch kein Sensitivity Reader, weil er das ziemlich absichtlich tut.

Die allgemeine Herleitung von "Orks=Rassistisch" halte ich für enorm fragwürdig.
Ich müsste, später, wenn ich etwas mehr Zeit habe, noch einmal genauer den Blog v. Fr. Jemisin lesen. Aber sie scheint Amerikanerin zu sein und Tor übernimmt da die üblichen Probleme einfach mit: Rassismus ist kein US-Amerikanisches Problem, sondern ein weltweites, die US-Perspektive ist nicht auf alles übertragbar, die afro-amerikanische Erfahrung von Rassismus und Sklaverei ist grausam, aber nicht universal und andere Erfahrungen von Sklaverei sind ebenso grausam, ebenso systematisch, äußern sich aber anders usw. usf.  Vieles von dem, was da als Orcing und expliziter Rassismus gegen Schwarze gedeutet wird, lässt sich auch schlicht als breiteres "Othering" lesen (worauf das ganze ein Wortspiel sein soll). Soll heißen:
Zitat von: TOR OnlineDas sind alles Attribute, mit denen schwarze Menschen zu Kolonialzeiten in Verbindung gebracht wurden. Sie wurden entmenschlicht, um die damaligen Gräueltaten zu legitimieren.
Ist natürlich korrekt, gilt aber für jede Form der Sklaverei zu jeder Zeit. Das gilt für griechische Sklaverei (Aristoteles: Ein Sklave ist ein Werkzeug und kein Mensch), für römische, byzantinische, islamische und koloniale ganz genau wie für moderne Sklaverei. Das ist ein allgemeines Problem das tiefer als die Hautfarbe geht und aus kulturanthropologischer Sicht verlieren wir wertvolle Perspektiven, wenn wir dieses Problem (Othering) reinweg auf US-amerikanischen Rassismus begrenzen, so wie es der Artikel von TOR naiverweise tut.
Darüber hinaus würde ich die Herleitung von Fabelwesen allgemein als "Menschen+/-X" mal direkt von der Hand weisen, Mix-Match-Critters ist eine Theorie, die nur die wenigsten Kulturwissenschaftler noch in Bezug auf das Phantastische wirklich vertreten.

Was Tolkien ganz konkret angeht... Jein. Ich bin kein Tolkienexperte, aber da tust du zwei Dinge in den gleichen Topf, nur weil sie ähnlich heißen aber was ganz anderes meinen. Wenn Tolkiens Orcs eine rassistische Karikatur sind, dann sagt er selbst recht deutlich, dass sie "are (or were) squat, broad, flat-nosed, sallow-skinned, with wide mouths and slant eyes; in fact degraded and repulsive versions of the (to Europeans) least lovely Mongol-types." Ups, falsche Volksgruppe. Die Darstellung und Vorstellung als Schwarze ist z.T. auf Ralph Bakshi und v.A. die Filme gewachsen. Daneben haben Tolkiens Orcs abgesehen von ihrer Sklaverei (unter der sie sehr deutlich leiden) denke ich relativ wenig mit Schwarzen gemein, jedenfalls so wie sie in den Büchern dargestellt wurden. Da gibt es deutlich schlimmere Darstellungen bei Tolkien selbst, der die Zwerge (eindeutig semitisch/jüdisch kodierte Stereotypen) als goldgierige Maden im Fleisch der Welt beschreibt.  ::)
Wie Trippelschritt schon andeutet geht das Topos bei Tolkien aber weiter. Nicht direkt Frankenstein, aber der Degenerationsgedanke von Menschen und Völkern - der in der Grundtendenz problematisch ist, aber ein viel zu weites Feld atm - ist zu der Zeit enorm weit verbreitet und bei Tolkien v.A. ist der moralisch zu sehen, nicht rassisch. Smeagol degeneriert ebenso wie Elfen unter dem Einfluss Saurons und Morgoths. Zudem müsste man theoretisch literaturgeschichtlich noch zu gute halten, dass er immerhin die meisten Völker als miteinander verwandt und gemeinsam humanoid darstellt (Orcs stammen von Elfen ab, Menschen und Orcs können Uruk-Hai zeugen, Menschen und Elben dann Aragorn usw. usf.) - während die meiste andere Fantasy die als inkompatible Untermenschen ansieht.
Ersteres ist heute natürlich immer noch problematisch (für Europäer), aber wird deswegen ja auch kaum noch in ernstzunehmenden Büchern gemacht.

TL;DR: Grundproblem erkannt, verflacht interpretiert und in eine aktuelle Debatte gequetscht, wo es leider undeutlich wird. Mehr Glück beim nächsten Mal? Oder vielleicht einen "intellectuality reader" anheuern. Ich kenne da ein paar Kulturwissenschaftler, die noch einen Job suchen.

@AngelikaD Wenn (und ich sage wenn) deine Erwähnung von Orks rassistisch sein sollte, dann wird der Austausch des einen durch ein anderes Volk diese rassistische Konnotation nicht rausnehmen. Die steckt in der Verwendung von Rassen in der Fantasy an sich - jedenfalls bis zu einem gewissen Grad weil Metahumans blablub - und nicht in einem Namen.
Falls du dir aber Sorgen machen solltest, empfiehlt sich doch für genau den Fall ein Sensitivity Reading, oder?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Ary am 10. September 2019, 14:12:12
Schon etwas älter, aber ich finde diesen Artikel ganz aufschlussreich:

https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article135349359/Der-wahre-Krieg-des-Herrn-der-Ringe.html

Geschrieben von John Garth (https://johngarth.wordpress.com/), Literaturwissenschaftler, Forscher und Herausgeber.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Golden am 10. September 2019, 14:17:21
Zitat von: Maubel am 10. September 2019, 14:00:34
dass wir die guten westlichen Völker haben und den bösen Osten und ja ... aus dem Süden kommen böse dunkelhäutige Krieger, die als Barbaren beschrieben werden, während unsere "Guten" alle hellhäutig sind, von ein paar dunkler gefärbten Hobbits, wenn ich mich recht erinnere, abgesehen. Da steckt schon ein bisschen was drin.
Das ist eine ziemlich "einfache" Sichtweise. Schießlich nimmt die Korrumpierung in Tolkiens Werken vor keiner Hautfarbe oder Rasse halt. Elben töten Elben, Zwerge töten Elben, Menschen töten Menschen, Orks töten Orks.
Das Ganze erinnert mich irgendwie an Chasing Amy mit Star Wars. :D https://www.youtube.com/watch?v=ZqKv_laDbks
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: cryphos am 10. September 2019, 15:27:26
Das Reich Mordor erhebt sich zwei mal und zwei mal wird es durch eine Allianz aller anderen Länder/Völker nieder gerungen, so wie das deutsche Reich.
Die Orcs sind ein korrumpiertes, vom Bösen geschaffenes und unterdrücktes Volk. In seinem Eifer eigenes zu schaffen wurden die Orcs aus oder als Kopie der Elben geschaffen, aber weil das Böse nichts Gutes schaffen kann kamen dabei die Orks heraus.

Ich weiß nicht mehr wo ich es las, aber Tolkien soll im HDR seine Kriegserlebnisse verarbeitet haben und explizit auf die Verbindung  Mordor = Deutsches Reich verwiesen haben.
Also wenn man dieser hier stark vereinfachten Zusammenfassung folgt wären die Orks das korrumpierte deutsche Volk?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 10. September 2019, 17:22:20
Ich glaube, hier werden zwei völlig verschiedene Begriffe durcheinandergeworfen. Stereotypen und Archetypen.
Wären die Orks Stereotypen, wären sie vielleicht rassistisch.
Aber sie sind Archetypen des Bösen, keine Stereotypen. und ob ein Archetyp böse ist oder nicht, hängt überhaupt nicht von der Hautfarbe (oder dem Geschlecht oder sonstwas) ab, sondern von dem, wofür er steht.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Guddy am 10. September 2019, 17:42:16
Ich fürchte, dass aneinander vorbei geredet wird. Es geht nicht darum, dass Fantasyspezies auch dunkel sein können, oder böse, oder beides zusammen. Es geht nicht darum, welche Intentionen Tolkien hatte und wie bewusst rassistisch motiviert er war. Es geht nicht darum, ob sie sich auch gegenseitig abschlachten und ob es auch irgendwo noch andere Schwarze in und um Mittelerde gibt.

Sondern darum, wie internalisiert unsere unbewussten Entscheidungen und unser unterbewusster Rassismus tatsächlich ist. Wir sind uns gar nicht dessen bewusst, dass wir auch rassistisch handeln, weil es so selbstverständlich in unserer Kultur verankert ist. Das ist kein Angriff und auch keine ultimative "Du bist ein Rassist!"-Aussage. Sondern ein "Das, was du jetzt gerade tust oder sagst, das ist rassistisch."

Wir sind uns nicht dessen bewusst, dass wir immer und immer wieder rassistische Tropes reproduzieren. "Der wilde Schwarze". Warum sind eben nur die Orks - von den ausführlich beschriebenen Hauptspezies - so dunkel. Und im Gegenzug: Warum sind alle Guten weiß? Dass Tolkien auch weiße Böse erschaffen hat, ist am Thema vorbei. Und wenn man es in das Thema fassen möchte: Die "weißen Bösen" sind zivilisiert. Klug. Sind wir da nicht wieder bei der Unterscheidung des Kolonialismus?

Und nicht zuletzt: Warum müssen wir Seite um Seite mit Rechtfertigungen füllen, anstatt einfach zu sagen: Okay. Das war damals ein gesellschaftliches Problem. Tolkien war da sehr einseitig. Das ist okay. Ich muss den Herr der Ringe deswegen nicht scheiße finden und darf ihn sogar weiterhin vergöttern. Aber ich kann anerkennen, dass es problematische Tendenzen und Ideen zeigt."
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Barra am 10. September 2019, 18:18:14
Hab nicht alles gelesen, der Titel allein, hat mich schon angezogen.
Als Ork im LARP: Wir sind kein Schlachtvieh. Wir sind intelligent und haben Gefühle.
Was witzig klingt und auch von mir zwinkernd dargestellt wird, hat ernste Gründe.
Unkreative Gegnerhorden: Orks ('Schwarzpelz', 'Grünhaut'), Zombies und Räuber.
Kein Hintergrund, kein Play, just Slay. Und ja, das ist rassistisch und wenn es nur Jungs sind, weil Mädchen nur Zaubererchars spielen dürfen (ergo Heiler), dann ist es auch sexistisch.

Gut erarbeitete Orks: Morgan Howell "Königin der Orks".

Edit: ich bin etwas am Thema vorbei  ;) lese später noch mal in Ruhe

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Rynn am 10. September 2019, 18:20:59
Zitat von: cryphos am 10. September 2019, 15:27:26
Ich weiß nicht mehr wo ich es las, aber Tolkien soll im HDR seine Kriegserlebnisse verarbeitet haben und explizit auf die Verbindung  Mordor = Deutsches Reich verwiesen haben.
Das stimmt so nicht, das Gegenteil ist der Fall. Tolkien leugnet quasi jede (beabsichtigte) Verbindung zum Zweiten Weltkrieg, unter anderem im Vorwort zum Herrn der Ringe und dann häufiger in den gesammelten Briefen.

Hier aus dem Vorwort:
ZitatWas irgendwelche tiefere Bedeutung oder "Botschaft" betrifft, so gibt es nach der Absicht des Verfassers keine. Das Buch ist weder historisch noch aktuell.
(...) Wenig oder nichts wurde durch den Krieg, der 1939 begann, oder durch seine Folgen verändert.

Er sagt, dass sich sein Buch vielleicht auf diese Dinge "anwenden" ließe, aber dass keine beabsichtigte Allegorie besteht.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Christopher am 10. September 2019, 18:40:46
Zitat von: Trippelschritt am 10. September 2019, 13:55:56
Wenn ich richtig informiert bin, dann sind die Orks missglückte Elfen, aber fragt mich nicht nach der Quelle aus der ich das habe.

Im Silmarilion sind sie beschrieben als "veränderte" Elben. Verändert von Melkor/Morgoth, dem 2. mächtigsten der Valar, der auch an der Schöpfung Mittelerdes deutlich mitbeteiligt war und daher auch überhaupt die Fähigkeit hat, so etwas zu tun. Also, eine Rasse in ihrem Grundwesen zu ändern.

Tolkiens Orks also als "rassistische" Darstellung ab zustempeln ist in meinen Augen völliger Unsinn von jemandem, der von der Geschichte und dem Worldbuilding Mittelerdes und Tolkiens keine Ahnung hat. Wie kann es Rassismus sein, wenn sie quasi aus Elben hervorgegangen sind, aber eben durch eine böse Macht völlig verändert wurden? Eigentlich sollte ihre Entwicklung und Existenz Mitleid hervorrufen, aber nicht den Gedanken: "Oh Gott, was für eine böse, böse Darstellung der Orks, wie rassistisch!"  ::)

Den Artikel an sich mag ich auch nicht, aber das hat andere Gründe.

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 10. September 2019, 18:41:15
Du liebe Zeit, das nimmt ja langsam groteske Formen an ...

Hier mal ein bisschen Info aus der Wikipedia zum Thema:

Zitat
Der durch Der Herr der Ringe bekannt gewordene J. R. R. Tolkien erfand sein Volk der Orks zu einem vorher deutlich anders belegten Begriff. Er stellt sie als humanoid, etwas kleiner als menschengroß, hässlich, von grauschwarzer Hautfarbe und krummbeinig dar. Es wird vermutet, dass Tolkien seine Orks basierend auf den Fomorii schuf, die aus der irischen Sage über die zweite Schlacht von Mag Tuireadh bekannt sind. Sie zerfallen in unzählige kleine Stämme mit stets ungehobelten und misstönenden Sprachen. Schwächere Orks und manchmal auch kriegsgefangene Elben, Menschen und Zwerge werden von den stärkeren Orks als Sklaven gehalten. Im Buch Der Hobbit treten sie als plündernde Banden auf, im Buch Der Herr der Ringe stellen sie ganze Armeen auf.

In Bezug auf den Ersten Weltkrieg sagte Tolkien: ,,We were all orcs in the Great War" (Wir waren alle Orks im Großen Krieg). Tolkien selbst hatte im höheren Alter zunehmend Probleme mit dem durch die Orks verkörperten Gedanken von ,,zum Bösen geborenen", ,,untermenschlichen" intelligenten Wesen. Viele seiner letzten Aufzeichnungen zum Silmarillion versuchen philosophisch verschiedene Ansätze, wie sich die Orks in das grundsätzlich katholisch geprägte Weltbild Tolkiens besser einordnen lassen, ohne den bereits veröffentlichten Büchern offen zu widersprechen; zu einer ihn selbst zufriedenstellenden Lösung gelangte Tolkien nie.

Tolkien kannte das Wort ,,Ork" aus der altenglischen Sprache (altenglisch orc = ,,Dämon"). Laut eigener Aussage waren seine Orks vor allem von George MacDonalds Interpretation der traditionellen Goblins beeinflusst, im englischen Original des Hobbit heißen sie deshalb meist noch ,,goblins" (engl. für ,,Kobold").[3] Trotzdem bestand Tolkien auf der Eigenständigkeit seiner Erfindung.[4]

https://de.wikipedia.org/wiki/Ork#Tolkiens_Orks

Und hier

Zitat
Melkor versklavt im Ersten Zeitalter zahlreiche Dunkelelben. Er foltert sie lange und züchtet aus ihnen die Rasse der Orks (Sindarin: Orch). Die Orks sind von Hass auf ihren Meister erfüllt, folgen ihm aber, weil sie ihn fürchten. Sie haben viele Feinde und werden sogar von ihren Verbündeten gemieden.

Eine lange und grimmige Feindschaft verbindet die Orks mit den Elben. Die Orks sind die einzigen Lebewesen, die von Elben unnachgiebig verfolgt und bekämpft werden.

Auch zwischen Orks und Zwergen kommt es zu langen Kriegen, die in der erbittert geführten Auseinandersetzung um die Zwergenstadt Moria unter dem Nebelgebirge gipfeln.

Sauron bedient sich in großem Umfang der Orks, die ihm aus Furcht dienen. Der größte Teil von ihnen lebt in Mordor, andere im Nebelgebirge, dort besonders in Moria, sowie in Isengart. Statt der Schwarzen Sprache Mordors sprechen die Orks eine eigene, einfacher strukturierte Sprache, die sich im Laufe der Zeitalter in zahlreiche regionale Dialekte aufspaltete, so dass sich Orks unterschiedlicher Stämme in der Zeit des Ringkriegs häufig in der Gemeinsamen Sprache verständigen.

Im Ringkrieg treten die unter Saurons Befehl, im Dienste Mordors stehenden Orks mit einem roten Auge auf ihren Schilden auf. Lediglich die Orks unter dem Kommando des Hexenmeisters aus Minas Morgul führen einen Mond als Symbol. Dagegen tragen die im Dienste Sarumans stehenden Orks als Abzeichen eine weiße Hand.

Sarumans militärische Stärke bei seinem Feldzug gegen Rohan beruht vor allem auf den Uruk-hai, welche im Gegensatz zu anderen Orks durch Tageslicht nicht geschwächt werden. Sie sind größer, stärker und ausdauernder als andere Orks und fühlen sich diesen überlegen. Im Herrn der Ringe kommt es zu offenem Streit zwischen den Uruk-hai aus Isengart und den Orks aus Mordor, die bei der Gefangennahme von Meriadoc Brandybock und Peregrin Tuk noch zusammenarbeiten. Die Orks aus Mordor haben den Auftrag, die Gefangenen nach Barad-dûr zu bringen, die Uruk-hai dagegen sollen sie nach Isengart zu Saruman bringen. Wegen dieser Meinungsverschiedenheit kommt es zum Kampf zwischen Uruk-hai und den Orks aus Mordor, wobei einige Orks getötet werden und die Uruk-hai die Oberhand behalten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Figuren_in_Tolkiens_Welt#Orks
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Coppelia am 10. September 2019, 19:10:37
Ich muss gestehen, dass mich das Thema schon früher immer mal beschäftigt hat, allerdings nicht spezifisch auf Tolkien und seine Orks bezogen. Es geht für mich eher darum, dass bestimmten Gruppen von Wesen in Fantasywelten, die menschenähnlich sind und eigene Kulturen haben, quasi zum "Schwertfutter" degradiert werden und nicht näher definiert "böse" sind. Das ist z. B. auch häufig in Computerspielen der Fall. Diese Spezies dürfen/müssen/sollen ohne alle Skrupel getötet werden. Es kommt allerdings nicht selten vor, dass sie mit Attributen ausgestattet werden, bei denen man Parallelen zur Realität sieht.
Mir ist es immer besonders an den Echsenmenschen aufgefallen, die gern im Dschungel leben und dann Attribute erhalten, die an aztekische Kultur erinnern (oder das, was die Macher dafür halten). Wie auch immer man das bezeichnen mag, es ist auf jeden Fall nicht ok. Ich finde gut, dass diese Topoi jetzt kritisch hinterfragt werden.
Und selbst wenn Tolkiens Orks jetzt nicht unter diese Kategorie fallen, was ich nicht beurteilen kann, sind "Orks" mittlerweile ebenfalls so ein Gemeinplatz einer "bösen" Spezies (jedenfalls, wenn sich die Macher keine Mühe geben).

Allerdings: Literatur bildet nicht die Realität in all ihrer Komplexität ab. Fantasy ist ein Genre, das gern komplexe Sachverhalte plakativ vereinfacht. Das ist explizit nicht negativ gemeint. Wenn "gut gegen böse" aber gedankenlos abgebildet wird, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Vorurteile dabei Gestalt annehmen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Fianna am 10. September 2019, 19:12:54
@Rynn
Tolkien soll viele Anspielungen ( bewusst oder unbewusst) auf den ersten Weltkrieg im HdR haben, nicht den zweiten WK.Ich
U.a. der bereits erwähnte Garth haben da unheimlich viele Bezüge gefunden.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 10. September 2019, 19:22:22
Zitat von: Guddy am 10. September 2019, 17:42:16
Wir sind uns nicht dessen bewusst, dass wir immer und immer wieder rassistische Tropes reproduzieren. "Der wilde Schwarze". Warum sind eben nur die Orks - von den ausführlich beschriebenen Hauptspezies - so dunkel. Und im Gegenzug: Warum sind alle Guten weiß? Dass Tolkien auch weiße Böse erschaffen hat, ist am Thema vorbei. Und wenn man es in das Thema fassen möchte: Die "weißen Bösen" sind zivilisiert. Klug. Sind wir da nicht wieder bei der Unterscheidung des Kolonialismus

Über die Rolle der (Nicht-)Farben habe ich mir schon länger Gedanken gemacht. Und ich bin zum Schluss gekommen, dass diese Zuordnung auf so simple Dinge wie Tag und Nacht, Sonnenschein und Sonnenfinsternis, Weiß für Taufe und Hochzeit, Schwarz für Tod und Trauer zurückgeht. In unseren Breiten und Traditionen. Die sind älter als der Kolonialismus.

Was Tolkiens Orks betrifft, sind die von ihm ja ,,fahl" erdacht worden, was eher zu ihrer Herkunft als missglückte Elfen passt. Im Film war das wohl zu wenig bedrohlich und wurde deshalb auf dunkler umgeschrieben.
Und ja, wir empfinden etwas Dunkles als bedrohlicher, seien es Bären oder Wölfe oder der dunkle Wald, ein schwarzes Gewässer wo man den Grund nicht sieht, die dunkle Gasse, der Stromausfall... unsere Augen sind die stärksten Sinne. Sie brauchen das Licht. Ohne es fühlen wir uns hilflos. Alles was sich im Dunkel verbergen kann, ist für uns schwer zu entdecken weil wir so schlecht hören und riechen. Deshalb haben wir das Feuer gezähmt und das elektrische Licht erfunden. Es ist die Urangst vor der Dunkelheit, die uns ,,schwarz" und ,,dunkel" negativ besetzen lässt.
Nicht die Haltung der Kolonialzeit.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Rynn am 10. September 2019, 19:27:48
Zitat von: Fianna am 10. September 2019, 19:12:54
@Rynn
Tolkien soll viele Anspielungen ( bewusst oder unbewusst) auf den ersten Weltkrieg im HdR haben, nicht den zweiten WK.Ich
U.a. der bereits erwähnte Garth haben da unheimlich viele Bezüge gefunden.
Ich verstehe deine Antwort nicht. Hast du gelesen, was erst cryphos und dann ich geschrieben haben?
Nachgesagt wird Tolkien manchmal ein Bezug zum Ersten Weltkrieg, manchmal einer zum Zweiten, cryphos bezog sich auf den Zweiten Weltkrieg, genau wie Tolkiens Text im Vorwort ("Krieg nach 1939"), weshalb ich gesagt habe, dass eine Gleichsetzung von Mordor und 3. Reich so definitiv nicht stimmt. Denn vor allem in Bezug auf den 2. Weltkrieg streitet Tolkien das deutlich ab (eben siehe meine zitierte Stelle, in der es auch um den Zweiten WK geht).
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 10. September 2019, 19:32:10
Danke, AngelikaD. Genau wie bei dem Kinderspiel "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" - das soll ja neuerdings auch "rassistisch" sein, dabei habe ich keinerlei Erinnerungen an sowas. Der schwarze Mann wurde im Spiel nie erklärt und in meiner Phantasie war er immer einfach ein Mann in schwarzer Kleidung und mit schwarzen Haaren. Finster und gefährlich halt. Dinge, wovor man (als Kind) halt so Angst haben könnte. Und "Die Bösen" in der Fantasy werden ja gerne mal finster und angsteinflößend und eklig dargestellt. Was ich schon wieder langweilig finde. Pappkameraden. Inzwischen kenne ich auch Bücher mit echt coolen Orks. "Menira" zum Beispiel oder die "Alaburg"-Reihe, da habe ich meinen allerersten Lieblings-Ork drin gefunden.  ;D
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 10. September 2019, 19:49:49
Wenn man Rassen und Völkern konkrete Eigenschaften zuschreibt, die obendrein klar positiv oder negativ besetzt sind, dürfte das unzweifelhaft die Definition von Rassismus erfüllen. Aber Literatur und besonders die Fantasy funzt eher schlecht als Safe space.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 10. September 2019, 19:54:49
Zitat von: Silvia am 10. September 2019, 19:32:10
Danke, AngelikaD. Genau wie bei dem Kinderspiel "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" - das soll ja neuerdings auch "rassistisch" sein, dabei habe ich keinerlei Erinnerungen an sowas. Der schwarze Mann wurde im Spiel nie erklärt und in meiner Phantasie war er immer einfach ein Mann in schwarzer Kleidung und mit schwarzen Haaren. Finster und gefährlich halt. Dinge, wovor man (als Kind) halt so Angst haben könnte. Und "Die Bösen" in der Fantasy werden ja gerne mal finster und angsteinflößend und eklig dargestellt. Was ich schon wieder langweilig finde. Pappkameraden. Inzwischen kenne ich auch Bücher mit echt coolen Orks. "Menira" zum Beispiel oder die "Alaburg"-Reihe, da habe ich meinen allerersten Lieblings-Ork drin gefunden.  ;D


Ich glaube, es gibt in dieser Diskussion ein paar Gedanken, von denen man sich frei machen oder Dinge, die man sich klar machen muss.

1. Wenn du ein weißer in Westeuropa aufgewachsener Mensch bist, dann gehörst du zu den privilegierten Menschen auf dieser Erde. Und das bedeutet, dass wir im ersten Moment ganz viele Dinge nicht verstehen können. Deswegen sollten wir in dieser Diskussion einfach zuhören und nicht jemandem absprechen, dass ihn etwas verletzt, was uns als unglaublich privilegierten Menschen unwichtig oder lächerlich erscheint.

2. Niemand will uns etwas wegnehmen. Es ist ziemlich absurd, so zu tun, als würde es uns etwas wegnehmen, andere Menschen nicht mehr zu verletzen. Geht doch einfach mal von der anderen Seite heran und überlegt, was es der Gesellschaft und auch anderen Menschen geben kann, solche uralten Mechanismen und Sprachverwendungen zu hinterfragen.

3. Etwas ist nicht plötzlich rassistisch. Wenn etwas rassistisch ist, dann war es das schon immer. Es wurde nur früher vielleicht nicht mit verletzender Absicht eingesetz. Aber inzwischen sind wir zum Glück gesellschaflich weiter. Und es gibt kein Gewohnheitsrecht darauf, rassistisch zu sein oder zu reden oder sich rassistisch zu verhalten. So etwas zu hinterfragen zeugt nur von Empathie.

4. Es geht nicht um Verbote. Es geht zuallererst einmal darum, in die Diskussion zu gehen und den Standpunkt von anderen Menschen zu verstehen. Es geht um Empathie und Gleichberechtigung und soziales Miteinander. Es geht darum, sich anderen Menschen zu öffnen. Wenn euch also das nächste mal ein "man darf ja nix mehr sagen" durch den Kopf geht, dann versucht doch lieber, Freude daran zu haben, andere Menschen wertzuschätzen, indem ihr ihre Gefühle respektiert und ihnen zumindest einfach zuhört.

@Silvia: in deinem Zitat oben hast Du wunderschön zusammengefasst, was an dem Spiel problematisch ist. Genau das, dass das Böse immer als schwarz und finster und dunkel beschrieben wird. Das ist nicht nur so tief rassistisch, wie es geht, sondern außerdem auch ziemlich gefährlich im Umgang mit Kindern. Es ist mittlerweile mehrfach nachgewiesen worden, dass es eben nicht die Unbekannten finsteren Männer sind, von denen für Kinder die meiste Gefahr ausgeht. Es sind die lieben netten Onkels, die sich den Kindern freundlich nähern.

Man sollte Kinder nicht vor falschen Stereotypen warnen, sondern ihnen beibringen, wie sie andere Menschen besser einschätzen und sich gegebenenfalls Hilfe suchen können.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 10. September 2019, 20:49:27
Aber wir sind hier bei Orks, einer Fantasyrasse ... oder bei einem Kinderspiel, das nichts mit "Vorsicht, Kind, diese und jene Menschen könnten für Dich gefährlich sein"- Gespräch zu tun hat.

Und - nein. Schwarz ist eine Farbe mit einer uralten Bedeutung.
"Schwarz und Weiß wurden von Anbeginn der Menscheitsgeschichte eine große Bedeutung zugeschrieben, sie verkörpern die Prinzipien Licht und Finsternis, Gut und Böse, Leben und Tod, die größten menschen-bewegenden Gegensätze überhaupt. Beides zusammen ist erst das Sein in seiner Gesamtheit, dieses Weltbild liegt fast allen Religionen zugrunde. Schwarz ist die Farbe der Kirche und der Trauernden. In Indien umranden Mütter noch heute die Augen ihrer Kinder mit schwarzem Lampenruß, um sie vor dem »bösen Blick« zu schützen."
"In der Psychologie steht die Farbe Schwarz für Boshaftigkeit, Dunkelheit, Depressionen, Trauer, Lichtlosigkeit, Wahrheit, Tod, Konservativität, Unglück, Herrschaft." (http://www.ifnm.de/produktionen/Farben/DuP_2010/Melanie_Knoedler/unterseiteschwarz.html)
Das ist zumindest in unseren Breiten so. Solch eine Symbolik überträgt sich natürlich auch auf die Geschichten dieser Regionen. Woanders mag das anders aussehen, da sind dann die Symboliken und Geschichten auch anders.

Dass sowas heutzutage zu einfach und abgegriffen als Stilmittel wirkt, ist wieder ne andere Sache. Daher liebe ich ja auch die Romane der Catron-Reihe von Anja Berger, die nämlich mit dem schwarze-weiße-Magie-Schema spielt und beidem weitaus vielschichtigere Bedeutungen beimißt. (Leseempfehlung ;-) )
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: DunkelSylphe am 10. September 2019, 21:21:12
@Silvia: Es ist nicht falsch, was du schreibst. Aber zu sagen: "Das ist nur Farbsymbolik in der Fantasy und sonst nichts", geht wirklich am Thema vorbei.

Ich meine, ein Genre, das bis heute darauf besteht, diese Farben mit dem Begriff "Rasse" in Verbindung zu setzen? Natürlich sind sie in der Fantasy mitunter rassifiziert. Gerade bei Elfen und Orks, wo Erstere oft als blond, weißhäutig und als reines, heiliges Volk dargestellt werden (arische Ideale lassen grüßen), mit dem dunklen barbarischen Ork als Gegensatz.

Und genau das spricht der Artikel an. Nicht weil das jetzt jemandem "mal eingefallen" ist, da man sich "empören" möchte. Dieses Thema ist nichts Neues und gerade auf dem amerikanischen Fantasy-Markt viel diskutiert. Die deutschsprachige Szene hinkt da nur mal wieder hinterher.

Sage ich jetzt, dass Tolkien Rassist ist? Keine Antwort von mir, denn das ist völlig wurscht fürs Thema. Dahingehend finde ich den Thread-Titel irreführend und unnötig provokant.

Persönlich bin ich der Meinung, dass die Völker-Fantasy ohnehin total ausgelutscht ist und man sehr wahrscheinlich gewinnt, wenn man von diesem Rassifizierten wegkommt. Dann gibt es nämlich vielleicht endlich mal was Neues in dem Genre.



Edit P.S.:

Ganz vergessen: Im Thread kam ja auf, dass Tolkiens Orks missgestaltete Elfen sind und man deshalb nicht von Rassismus sprechen kann. Pardon? Das ist doch ein perfektes Beispiel dafür? Rassismus in unserer Welt operiert mit dem sozialen Konstrukt, dass dunkelhäutige Menschen - im Gegensatz zu hellhäutigen - körperlich unterlegen und schlimmstenfalls zu versklavendes Leben ohne Wert seien. Betonung auf "soziales Konstrukt". Tolkien schreibt: Ork = minderwertiger Elf, was ich eine eindeutige Parallele finde zu: nicht-weiß = minderwertiger Mensch (oder sogar: gar kein Mensch)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 10. September 2019, 21:22:07
ZitatIn Indien umranden Mütter noch heute die Augen ihrer Kinder mit schwarzem Lampenruß, um sie vor dem »bösen Blick« zu schützen."
Und zugleich ist in Indien weiß die Farbe der Trauer. Der schwarze Kajal um die Augen schützt die Kinder, er schreckt Böses ab. Es hat also eine ganz andere Bedeutung als schwarz = böse.

So simpel, wie wir es manchmal gern hätten, ist die Welt eben nicht.

ZitatDas ist zumindest in unseren Breiten so.

Ja. Genau. Aber heute sind wir in unseren Breiten nicht mehr allein. Wir sind auch keine ungebildeten Steinzeitmenschen mehr, die alles, was fremd und anders ist, als böse betrachten. Früher war das mal eine Schutzfunktion, aber heute sind wir schlauer.

Früher hatten die Menschen kein Rad. Früher hatten die Menschen Angst vor Feuer. Früher galt Bücher lesen als gefährlich. Früher ist früher. Ursachenforschung kann spannend sein, aber nur weil etwas früher so war, heißt das nicht, dass wir es heute auch so machen sollten. Nur weil etwas für unsere Vorfahren vielleicht nützlich erschien, heißt das nicht, dass wir es heute noch praktizieren sollten.

Und dann: stell dir doch bitte mal die Frage, wofür du argumentierst. Dafür, dass es weiterhin okay ist, Kindern eine Angst vor schwarzen Männern als natürlich zu vermitteln? Dafür, dass es okay ist, die verletzende Wirkung von Sprache weiterhin zu ignorieren? Ganz neutral gefragt: was hast du davon? Was bringt es dir, dass diese Dinge beim Alten bleiben? Warum fühlst du dich genötigt, sie zu verteidigen, obwohl sie andere Menschen vielleicht verletzen? Würde es dich in irgendeiner Weise beeinträchtigen, wenn man das Spiel nicht mehr spielen würde? Oder es einfach umbenennen würde? "Wer hat Angst vor dem grässlichen Monster?" würde wunderbar funktionieren. N****kuss lässt sich wunderbar in Schokokuss umbenennen.

Wo brechen wir uns einen Zacken aus der Krone, wenn wir uns empathisch und rücksichtsvoll verhalten?

Edit:

Und was die Fantasy angeht: Sag mir ins Gesicht, dass du nicht daran glaubst, dass Lesen unser Weltbild prägt. Dass Bücher und andere Texte nicht unterbewusst mitbestimmen, wer wir sind und wie wir anderen Menschen begegnen. Sag mir, dass du nicht an die Wirkung von Symbolik glaubst oder an Dinge, die zwischen den Zeilen stehen und uns so beeindrucken, dass wir noch jahrelang daran denken.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 10. September 2019, 21:27:42
Wie müsste es denn bei Tolkien aussehen, damit man keinen Rassismus mehr hineinlesen könnte?

Würde es ausreichen ihnen einfach eine weiße Haut zu verpassen? Die Frage meine ich ganz ernst.

Und obwohl ich Alana grundsätzlich zustimme, bleibt die Tendenz der Angst vor dem Fremden (und in einer europäischen Kultur ist das häufig eben dunkle Haut und dunkle Bärte und Kopftücher/Burkas) vor denen schon Säuglinge Angst haben. Da ist noch nichts sozialisiert. Ich kenne (Klein-)kinder, die Angst vor ihrem Vater hatten, als er mit einem Vollbart aus dem Urlaub wiederkam. Und das war jedes Mal stärker bei dunklen Haaren als bei hellen. Andersrum hat es eher Irritation als Angst hervorgerufen. Das ist jetzt nicht valide, aber für mich schon auffällig. Ob das bei Kindern, denen dunkle Haut und dunkle Haare, Kopftücher und Co vertraut sind, analog gegenüber Weißen zu beobachten ist, kann ich nicht sagen, da ich dazu keine Informationen/Beobachtungen habe. (Falls ihr da welche habt (auch nur eigene Beobachtung) fänd ich das sehr interessant)
Aber auch, dass dunkle Haut den Effekt des Blickes auf uns, den wir evoutionsbedingt immer wahrnehmen, verstärkt, ist etwas, was unsere Ur-Alarm-Instinkte aktiviert. In einem weißen Gesicht ist dieser Effekt aber aufgrund der niedrigeren Kontraste nicht so extrem.
Ebenso ist es eine Tatsache, dass man die Mimik in einem dunklen Gesicht im dunkeln schlechter erkennen kann. Diese Effekte anzuerkennen, halte ich schon für wichtig. Sie nicht ungefiltert als Stereotyp zu reproduzieren wäre allerdings der nächste notwendige Schritt. Denn wie Alana sagt, droht die echte Gefahr in unserer Welt meist woanders. Aber soweit sind unsere biologischen Alarmsysteme noch nicht.
Diese Dinge sind also nicht per se rassistisch. Sie in ihrer Wirkung unreflektiert zu lassen, das kann es rassistisch werden lassen. Oder wenn ich meine Irritiation oder Furcht aufgrund von ungünstigen Umgebungsvariablen für eine haltbare Information über den Menschen halte.

Und die Frage inwiefern Archetypen durch Stereotype beeinflusst sind, wäre auch noch mal interessant zu betrachten, denn ich bin (Ohne mich damit jetzt näher mit der Entstehung, bzw. Verbildlichung beschäftigt zu haben) nicht sicher, ob sie tatsächlich so getrennt zu betrachten sind. Sie sind in letzter Instanz ja auch nur Konstrukte, die Psychologen (Allen voran natürlich Jung, der aber auch nur auf bestehendem aufgebaut hat.) sich "ausgedacht" haben.

Meine Assoziation bei "Schwarzer Mann" ist zum Beispiel auch die eines Unbekannten, der in der Nacht/Dunkelheit lauert, schwarz angezogen ist und mir eben was böses will. Die Hautfarbe selbst habe ich aber immer als weiß gesehen. Dennoch halte ich es an dieser Stelle definitiv für wichtig über die Worte zu sprechen. Denn auch in unserer Kultur leben immer mehr PoC, sodass es durchaus naheliegt, dass automatisch zunehmend die Hautfarbe relevant ist. (Wie sie es ursprünglich vielleicht auch mal war). Reicht es aus, es durch "bösen Mann" zu ersetzen? Oder vielleicht durch "böse Person", denn Frauen können schließlich auch Gräueltaten begehen. (Noch besser wäre es natürlich diesen völlig bescheuerten Spruch endlich ganz aus der Kindererziehung zu verbannen, aber das ist ja hier nicht Thema)

Wie müsste ein Wording sein, um unbewussten Rassismus bein Fantasywelten mit unterschiedlichen Völkern zu vermeiden?

Übrigens gibt es dazu interessante Studien, die belegen, dass PoC in Tests in denen sie ihre Hautfarbe angeben müssen signifikant schlechter abschneiden als in Tests in denen der Prüfer die Bögen am Ende mit einem Strich markiert. Seine Hautfarbe per Kreuz angeben zu müssen ist per se noch keine Abwertung. Die Forderung löst aber eine gefühlte Abwertung aus, die sich durch Leistungsabfall nachweisen lässt.
Analog gibt es diese Beobachtungen auch bei Blondinen und Brünetten, bei denen Blondinenwitze den Leistungsabfall entsprechender Haarfarbeträgerinnen auslösen. Und bei Brünetten interessanter Weise einen signifikanten Anstieg der Leistungen.
Womit aus meiner Sicht die Aussage, dass wir Privilegierten nichts verlieren würden zumindest in Frage gestellt werden muss. Auch wenn das auf der unbewussten Ebene passiert.
Aber das macht es um so wichtiger, hinzuschauen und mit Empathie zu schauen. Auf beiden Seiten. Und sensitivity reading ist bedingt sicher sinnvoll, aber da der Empfänger letztlich selbstverantwortlich das entcodiert, was er will, halte ich es nicht für die ultimative Lösung. Aber es ist ein guter Anstoß um mögliche blinde Flecke zu beleuchten. Und das passiert eben gerade.
Alte, überholte Strukturen brechen zusammen. Und das ist gut, auch wenn das Pendel dafür vielleicht erstmal zu weit ausschlagen muss und mehr Struktur zum wackeln bringt, als vielleicht nötig wäre. Das wirklich solide Fundament hält das schon aus und bleibt für den Aufbau neuer Strukturen.

(Sorry, es ist schon wieder so lang geworden :versteck:)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 10. September 2019, 21:31:48
Ähm - irgendwie unterstellst Du mir hier grade eine Menge.
Und ich glaube, wir reden thematisch komplett aneinander vorbei.

Das Spiel würde übrigens genauso funktionieren, wenn man aus dem Mann einen gelben macht. Oder einen blauen. Rot dürfte er vermutlich nicht werden, weil ... Oder einen Piraten. Es ist ein einfaches Fänger-und-Abschlagen-Spiel. "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? - Keiner! - Und wenn er kommt? - Dann laufen wir weg!" - Alles läuft durcheinander, der "schwarze Mann" schlägt einen ab, der dann wiederum den Abschläger spielt, und das ganze geht von vorne los.

Wo auch immer man da jetzt Rassismus reinlesen kann ... oder in eines der Grundschemata in der Fantasy - den Kampf Licht gegen Dunkelheit, Weiß gegen Schwarz - oder in die Elben, die fast alle, bis auf die Dunkelelben, dem "Licht" zusortiert werden - eine arische Komponente ...
Ich versteh es nicht, sorry, Leute.

Hier mal ein wenig Hintergrundwissen zum Spiel, dass es so alt ist, wusste ich auch nicht. Stimmt, und man konnte mehrere Leute fangen.
Zitat
Das Spiel ist für mehr als etwa acht Spieler gedacht. Nach oben sind nahezu keine Grenzen gesetzt. Als Spielfeld dient eine möglichst große, ebene Fläche im Freien mit einer Spielrandbegrenzung.

Der Fänger ist der ,,Schwarze Mann" und steht meist etwa fünfzehn Meter von den anderen entfernt auf der gegenüberliegenden Seite eines Platzes oder Raumes. Wenn er ruft ,,Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?", wird mit ,,Niemand!" geantwortet, dann auf ,,Und wenn er (aber) kommt?" mit ,,Dann laufen wir (davon)!" oder ,,Dann reißen wir (alle) aus!" oder ,,Dann kommt er halt". Die beiden Parteien rennen nun entgegengesetzt auf die andere Seite bis zur rettenden Wand bzw. Begrenzung. Der Fänger versucht dabei so viele wie möglich durch Antippen zu fangen.

Wer vom Schwarzen Mann erwischt wurde, hilft ihm im nächsten Durchlauf beim Fangen. Der Letzte, der übrig bleibt, hat gewonnen und ist meist im nächsten Spiel der Fänger.

Das Kinderspiel lässt sich auf die Kinderschreckfigur des Schwarzen Mannes zurückführen, die im ganzen deutschsprachigen Gebiet bekannt ist.[3] Je nach Region und Zeit verstand man darunter verschiedene Wesen: eine dunkle schattenhafte Gestalt oder einen Mann mit schwarzer Kleidung.[4][5] Andere Behauptungen, das Spiel stamme von Bunkerarbeiten ab 1939 am Schwarzen Mann, einem Berg der Eifel, entbehren jeder Grundlage, da das Spiel deutlich älter ist.

Der Liederforscher Franz Magnus Böhme beschrieb hingegen 1897, dass der Begriff auf den ,,Schwarzen Tod" (die Pest um 1348) zurückzuführen sei. Das würde auch das Spielprinzip folgerichtig erklären: Jeder, der von der Pest befallen wird (im Spiel: angetippt wird), ist selber Träger des ,,Schwarzen Todes" und gehört zum Heer des ,,Schwarzen Mannes", das die Seuche ausbreitet.[6]

Das Spiel wird manchmal auch anders genannt, z. B. ,,Wer hat Angst vorm bösen/wilden/blöden Mann?" oder ,,Wer hat Angst vorm Weißen Hai?", auch um eine rassistische Konnotation durch die Assoziation von ,,schwarz" mit ,,böse" zu vermeiden.[7][8][9]
https://de.wikipedia.org/wiki/Wer_hat_Angst_vorm_Schwarzen_Mann%3F
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 10. September 2019, 21:31:58
ZitatAber auch, dass dunkle Haut den Effekt des Blickes auf uns, den wir evoutionsbedingt immer wahrnehmen, verstärkt, ist etwas, was unsere Ur-Alarm-Instinkte aktiviert.

Diese ganze Biologie habe ich ausgespart, weil ich dachte, dann wird es zu lang.  ;D

Natürlich ist das so. Die Biologie steckt in uns, aber das heißt nicht, dass wir dem nachgeben müssen. Im Gegenteil. Wir sind ja auch zivilisierte Menschen, die nicht einfach auf die Straße pinkeln, nur weil es uns überkommt. Wie du so richtig sagst, der nächste Schritt ist, es eben nicht zu Rassismus werden zu lassen, sondern aktiv etwas dagegen zu tun.

@Silvia: Ich werfe dir gar nichts vor. Ich frage dich. Aber du antwortest nur mit etwas, das in dieser Diskussion keine Rolle spielt. Als Beispiel: Wenn ich dich als Weib bezeichne, wirst du sauer sein. Wenn ich dir sage, dass das früher in vielen Gegenden der normale Begriff für eine Frau war, bist du dann weniger verletzt? Vielleicht ja, aber im ersten Moment warst du es, im ersten Moment hat es keine Rolle gespielt, dass es einen historischen Kontext dieses Wortes gibt, der nicht verletzend ist. Und ist es das wert? Nein. Und wahrscheinlich wirst du trotzdem verletzt sein. Weil du von mir erwartest, dass ich weiß, dass das Wort "Weib" mittlerweile eine negative Konnotation hat und dass ich es deshalb nicht benutze. Du wirst mich also mindestens als rücksichtslos empfinden, nehme ich an. Vielleicht würdest du mich auch für ungebildet oder rückständig oder sogar bösartig halten. Natürlich muss jeder von uns selbst entscheiden, wie er von anderen wahrgenommen werden möchte.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 10. September 2019, 21:41:36
Ich weiß, dass Weib früher mit Frau gleichgesetzt wurde. ;-) Ich kenne auch so einige schöne Lieder, in denen das Wort vorkommt. Und wenn ich Dir jetzt noch verrate, dass mein lieber Mann mich durchaus hin und wieder "mein Weib" nennt (wir kommen beide aus der Rollenspielszene ...) und das definitiv nicht negativ meint ...  ;) Es kommt halt auch immer darauf an, was man in einen Begriff hineininterpretiert. Oder hineininterpretieren will.

Ich sag doch, wir reden aneinander vorbei, weil wir anscheinend von völlig verschiedenen Seiten an das ganze rangehen und die jeweils andere nicht verstehen (können). Und ich schätze mal, wir halten sie beide für richtig und werden davon nicht abweichen wollen. Oder?  ;)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 10. September 2019, 21:42:19
ZitatNatürlich ist das so. Die Biologie steckt in uns, aber das heißt nicht, dass wir dem nachgeben müssen. Im Gegenteil. Wir sind ja auch zivilisierte Menschen, die nicht einfach auf die Straße pinkeln, nur weil es uns überkommt. Wie du so richtig sagst, der nächste Schritt ist, es eben nicht zu Rassismus werden zu lassen, sondern aktiv etwas dagegen zu tun.
Exactly!  :jau:
(Musste ich nur noch mal unterstreichen :versteck:)

Lustig, das Kinderspiel hab ich damit gar nicht assoziiert. Finde es aber da gerade noch viel schlimmer im Wording und fänd es da noch viel angebrachter die Worte auszutauschen.
Ich kenne schwarzen Mann tatsächlich eher als ein Mittel mancher Eltern in der Erziehung.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: DunkelSylphe am 10. September 2019, 21:47:31
Zitat von: Alana am 10. September 2019, 21:31:58

@Silvia: Ich werfe dir gar nichts vor. Ich frage dich.

Ich bin mir nicht sicher, ob Silvia mich meinte, @Alana (sehr gute Beispiele übrigens). Wobei ich auch nicht wirklich weiß, was ich unterstellen soll.  ???

Übrigens ist es total okay, nicht zu verstehen. Wenn man nicht betroffen ist, ist das sogar normal, würde ich sagen. Ich habe männliche Freunde, die niemals wirklich verstehen werden, was sexistische Diskriminierung für eine Frau bedeutet. Deswegen hören sie trotzdem zu. Sie können vielleicht nicht nachvollziehen, wie es mir geht, und nur bedingt empathisch sein. Aber wenn ich sage, dass ich ihre Hilfe brauche, dann helfen sie trotzdem. Weil ihnen klar ist, dass ich keinen Unsinn sage und sie nicht alles wissen können.

Das ist für mich die Bottom Line bei allen sensiblen Themen - man kann nicht alles wissen, gerade wenn man nicht betroffen ist, und dann kann man Betroffenen einfach nur zuhören. Im Fall von Sensitivity Reading ist das dann halt eine spezielle Form von Testlesen, die nicht anders ist, als wenn ich Laie einen Profi vom Fach über mein Buch gucken lasse (z. B. für Technisches in Science-Fiction).

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 10. September 2019, 21:52:40
Zitat von: AngelikaD am 10. September 2019, 19:22:22
Über die Rolle der (Nicht-)Farben habe ich mir schon länger Gedanken gemacht. Und ich bin zum Schluss gekommen, dass diese Zuordnung auf so simple Dinge wie Tag und Nacht, Sonnenschein und Sonnenfinsternis, Weiß für Taufe und Hochzeit, Schwarz für Tod und Trauer zurückgeht. In unseren Breiten und Traditionen. Die sind älter als der Kolonialismus.
Ähm. Nein. Tatsächlich ist unsere Farb-Interpretation eine ziemlich neue Sache, die auch sehr lange im Wandel war. Weiß wurde zu Hochzeit und Taufen erst sehr spät eingeführt - weil die längste Zeit weißer Stoff auch einfach zu teuer war, als dass einfache Leute ihn sich erlauben konnten. Schon gar nicht um ihn nur einmal zu tragen. So richtig fing das erst mit der Hochzeit von Königin Viktoria an, auf die hin es sich zum Trend entwickelte, weil viele ihr und ihrem Hochzeitskleid nacheiferten.

Historisch gesehen ist die Farbe "schwarz" auch bei weitem nicht so negativ kanontiert, stand sie doch lange Zeit für Macht und für Geheimnisse - nicht aber für Bosartigkeit. Es hat einen Grund, warum bspw. Richter schwarz tragen. Allerdings ist auch schwarze Trauerkleide ebenfalls erst im Rahmen der Kolonialzeit Mode geworden - wenngleich ich das tatsächlich nicht auf Rassismus zurückführen würde. Die heftigste negative kanontierung von Schwarz passierte eigentlich erst im Rahmen der Inquisition und hatte dahingehend eher religiöse Gründe (und damit meine ich Gründe, die mit der Reformation zu tun hatten) - jedenfalls von dem, wie man heute das ganze interpretiert. Zu diversen Zeiten im alten Ägypten galt Schwarz übrigens als eine glückliche, positiv kanontierte Farbe, weil sie die Farbe vom fruchtbaren Boden war.

Die Tatsache, dass wir dazu neigen Helden aber als weiße Figuren darzustellen, das hat mit keiner der klassischen Farbbedeutungen zu tun. Immerhin ist die Haut weißer Menschen ja auch eigentlich nicht weiß, sondern eher so Schweinchen-Farbend. Allein in dieser Bezeichnung als "weiß" ist gewissermaßen eine Wertung drin, da weiß kulturell als "edelmütig" und "rein" kanontiert wurde. Aber selbst der sonnenscheuste Mensch hat keine weiße Haut.

Entsprechend: Ja, ne, das ist schon kein Zufall, warum Held*innen helle Haut haben und Bösewichte oft dunkle Haut. Halt auch bei Tolkien. Tolkien ist fraglos ein Produkt seiner Zeit. Er ist zu einer Zeit aufgewachsen, wo die meisten Menschen noch unüberlegter, als heute Rassismen reproduziert hat. Wobei ich seine Orks - weil es so im Text steht - als eine monströse Vorstellung von zentralasiatischen Kulturen sehen würde. Denn immerhin werden sie nicht nur als "mongolisch" vom Wortgebrauch her beschrieben, sondern auch das, was wir in Mordor beschrieben bekommen entspricht einer Tolkiens Zeit angepassten stereotypischen Darstellung von den mongolischen Trupps unter Dschingis Khan. Das macht durchaus auch sinn. Das war Rassismus, ja, selbst wenn er es nicht so wahrgenommen hätte. Spricht die Geschichte aus heutiger Perspektive davon halt nur nicht frei - weil die Geschichte halt nicht in einem Luftleeren Raum steht.

Es hat sich aber entsprechend im kulturellen Kontext so entwickelt, dass Orks bei anderen Autoren und speziell auch im Kontext mit Rollenspielen sehr, sehr häufig mit Tropes gepaart werden, die eher rassistischen Stereotypen schwarzer Menschen entsprechen. Ich finde es ehrlich gesagt sehr verwirrend, dass das überhaupt zur Debatte steht, weil ich das in einem Alter bemerkt habe, als ich nicht einmal wusste, dass es darum eine Diskussion gab. Weil es einfach so offensichtlich ist. Ich habe es damals aber halt nur als ein "Isso" wahrgenommen, nicht als Rassismus. Heute ist es natürlich klar, dass es zweiteres ist. Am deutlichsten ist es halt bemerkbar, wenn man sich Fantasy-Settings anschaut, die eine moderne Welt emulieren. Shadowrun ist ein Beispiel. Bright (so mies es auch ist) ein anderes. Beide haben welche Fantasy-Spezies in der sozialen Rolle, die normal ein schwarzer Charakter einnehmen würde mit exakt denselben Problemen, die normal schwarze Menschen in der realen Welt haben (Polizeigewalt und Co.)? Orks. Das ist kein Zufall.

Generell haben die Fantasy-Spezies oft rassistisch kanontierte Zuordnungen. Weil auch Zwerge sind oft auf eine Art dargestellt, die negativen Stereotypen zu Jüd*innen entspricht. Während Elfen/Elben ... nun ... sie sind weiße Menschen, aber in besser und reiner und perfekter. (Außer in Shadowrun, da nehmen sie die Rolle der Asiaten ein, speziell der Japaner ... Weil Cyberpunk und die Geschichte von Cyberpunk und ... Es ist kompliziert. Nächstes Jahr gibt es einen Litcamp Talk dazu. Oh, und bei den Hexer-Büchern, wo Elfen entweder für indigene Amerikaner oder als Afrikaner gelesen werden können - was wohl auch der Grund für die Casting-Entscheidung war - da die Hexer-Bücher zentral Rassismus und Kolonialismus kommentieren.)

Anders gesagt: Hat sich Tolkien gedacht "Booooah, ich hasse Asiaten und speziell Mongolen und deswegen schreibe ich die so"? Keine Ahnung. Vielleicht. Vielleicht nicht. Wahrscheinlich nicht so. Aber die Rolle, die Asien im WWII gespielt hat, mag durchaus auch in seine Wahrnehmung mit hineingespielt haben. Wer weiß. Wir können ihn nicht mehr fragen. Aber es ist vollkommen egal, inwieweit es bewusst reingespielt hat bei ihm: Dass er die Orks so geschrieben hat ist Text. Nicht einmal Subtext. Es steht da so. Und auch dass die "Wilden" dunklere Haut haben, als unsere Helden ... Text. Ob man diese jetzt eher Richtung Indien oder Richtung Afrika einordnet ist eine andere Frage. Aber Nicht-Weiß sollte außer Frage stehen.

Allerdings haben einfach über die Zeit und durch kulturelle Entwicklungen die Orks in der Fantasy-Szene halt speziell Klischees und Stereotype in sich aufgenommen, die mit schwarzen Menschen, speziell schwarzen Menschen in Amerika in Verbindung gebracht wurden. Weshalb sie eben ein dahingehend in ihrer üblichen Darstellung oft unbewusst helfen, rassistische Stereotype gegenüber diesen Leuten zu verstärken. Dabei ist es natürlich fraglos so, dass die meisten Leute es nicht beabsichtigt so schreiben, sondern einfach nur reproduzieren was sie kennen. Schadet aber eben dennoch.

Und klassische Farblehre, die bei weitem nicht so klar geschnitten ist, wie einige es zu wissen glauben, hat damit halt auch wenig zu tun. (Zumal ich mich gerade echt frage, woher die schwarz-weiß Sache in Bezug auf Orks kommt ... o.ô") Es geht nicht mal um Hautfarben von Spezies. Es geht um Stereotypen, die in Spezies Reproduziert werden.

Und wer Lust hat einen langen Artikel zum Thema zu lesen dem empfehle ich Race: the Original Sin of the Fantasy Genre (https://www.publicmedievalist.com/race-fantasy-genre/). Ein wirklich wundervoller Artikel zu noch einigen Themen mehr in diesem Kontext.

Zitat von: Anjana am 10. September 2019, 21:27:42
Wie müsste es denn bei Tolkien aussehen, damit man keinen Rassismus mehr hineinlesen könnte?

Würde es ausreichen ihnen einfach eine weiße Haut zu verpassen? Die Frage meine ich ganz ernst.
Wie halt gesagt: Das Problem ist nicht die Hautfarbe. Das Problem sind die Stereotype, die hervorgerufen werden in Fantasy. Dass wir eine RASSE haben, die aus WILDEN besteht, die prinzipiell AGGRESSIV sind und sich vom BÖSEN leicht überwinden lassen. Aber generell, die Zuordnung von Eigenschaften anhand von "Rassen" ist eben schon mehr als Problematisch und - wie andere schon sagten - ohnehin vollkommen ausgelutscht.

Die Sache ist eben, dass bei Tolkien aber genau dieser Gedanke super zentral drin steckt - wie in vielem Fantas. Orks sind böse und aggressiv, nicht besonders helle und leben wie die wilden. Elfen sind edelmütig und toll und super (außer sie wurden korrumpiert). Zwerge sind gierig, aber tolle Handwerker. Hobbits sind gemütlich und gute Köche. Und dergleichen. Diese Darstellung per se ist halt schon ... unschön :/ Und ist eben (ich empfehle echt den Artikel) der sich durch Fantasy und SciFi als Genre zieht. Gerade weil das Problem eben ist: Es sind keine unterschiedlichen Spezies. Es sind immer "andere Menschen". Also Hobbits sind kleine flauschige Menschen. Zwerge sind kleine borstige & bärtige Menschen. Elfen sind wunderschöne Menschen. Orks sind sehr, sehr hässliche Menschen. usw. Und von allem was wir wissen kann auch alles mit allem Kinder haben und ... ähm. Ja. "Weil die Götter sie so gemacht haben." Das ist per se sehr unschön.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: canis lupus niger am 10. September 2019, 22:00:16
Zitat von: DunkelSylphe am 10. September 2019, 21:21:12
Ork = minderwertiger Elf, was ich eine eindeutige Parallele finde zu: nicht-weiß = minderwertiger Mensch (sogar: gar kein Mensch)

NEIN!

Tolkiens Orks waren keine minderwertigen Elben, sondern verstümmelte, entstellte Elben. Die Genetik war damels noch nicht so weit. Offenbar meinte Tolkien wie viele seiner Zeitgenossen noch, dass erworbene Eigenschaften vererbbar seien, so dass entstellte, körperlich und seelisch verstümmelte Elben ebensolche Nachkommen bekommen würden. So gesehen waren Orks keine minderwertigen Elben, sondern solche, denen Morgoth ihre Schönheit und Kraft genommen hatte. Laut Silmarillion "sahen viele dies als sein größtes Verbrechen an". Die Orks waren demnach nicht minderwertig, sondern besonders bedauernswert.

Jeder Mensch hat seine eigenen Vorurteile und Klischees im Kopf. Das ist kein Privileg "weißer" Europäer. Auch Menschen anderer Ethnien und Weltgegenden sind mit den Werten ihrer Eltern und sonstigen Vorfahren "verseucht". Han-Chinesen, heißt es, sehen sich selber als die einzig wahren Menschen. Vielleicht ist auch diese Beahuptung ein rassistisches Klischee. Wie würden Chinesische Eltern wohl reagieren, wenn ihr Kind einen schwarzafrikanischen Menschen heiraten wollte? Manche moslemischen Araber benutzen die Bezeichnung "Jude" mindestens so verächtlich als Schimpfwort, wie jeder Nazi. Türken sehen die Minderheit der Kurden in ihrem Land als verachtenswerte Volksgruppe an, und moslemische Kurden verachten die Eziden als Ungläubige. Und alle Menschen dieser Welt zusammen haben das Vorurteil "je dunkler die Haut, desto minderwertiger der Mensch, je heller die Haut, desto vornehmer, edler, schöner". Hat sich schon mal jemand Bollywoodfilme daraufhin angesehen, welchem ethnischen Typus die Sympathieträger und die Unsympathen" angehören? Und schöne Menschen sind grundsätzlich ehrenwerter als hässliche. Zumindest findet man entsprechende Vorurteile in Literatur, Film und bildender Kunst vieler Kulturen

Wohl dem, der seine rassistischen Vorurteile als solche erkennt und daran arbeitet, sie zu überwinden.
Derjenige unter euch, der ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!

Um auf eine der Fragen im Eingangspost zurückzukommen:
Ich selber hab eine KG über den Erstkontakt eines jungen Ork mit Menschen für die Isrogant-Reihe geschrieben, und auch andere Isrogant-Autoren (Heero Miketta und Gerhard Ludwig) haben diese Wesen in Kurzgeschichten und in einem Roman thematisiert. In Isrogant gelten Orks den meisten Menschen als die üblichen, tierhaften Horrorgestalten. Immerhin führen sie gegen alle anderen humanoiden Rassen der Welt seit Anbeginn der Geschichte Krieg. Aber aus Sicht der Orks sind eben alle anderen Rassen Eindringlinge in ihre Welt und Zerstörer von deren der ursprünglicher, ganzheitlicher Harmonie. Alles eine Frage der Perspektive. In einer isroganter Kultur, dem Stadtstaat Boasp, leben Orks sogar gleichberechtigt mit den anderen humanoiden Rassen zusammen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: DunkelSylphe am 10. September 2019, 22:10:11
Zitat von: Anjana am 10. September 2019, 21:27:42
Wie müsste es denn bei Tolkien aussehen, damit man keinen Rassismus mehr hineinlesen könnte?

Würde es ausreichen ihnen einfach eine weiße Haut zu verpassen? Die Frage meine ich ganz ernst.

Pauschal schwer zu sagen, da kann man jetzt nicht auf die Schnelle einen How-to-Guide schreiben. Trotzdem ein paar Cents.

Swantje Niemann hat mal für ihre "Drúdir"-Reihe ein Sensitivity Reading bei mir gebucht, zu genau dem Thema: Tolkien-Tropes, Orks und etwaiger Rassismus. Sie hat sogar geschrieben, wie es war und wie sie ihre Geschichte mit den Anmerkungen überarbeitet hat: https://www.swantjeniemann.de/hinter-den-kulissen-sensitivity-reading

Ist als praktisches Beispiel bestimmt aufschlussreicher als theoretische Diskussionen.

Ansonsten: Orks weiß zu machen, ist ein möglicher, wenn auch oberflächlicher Schritt. Das Problem ist nicht per se dunkle Haut = böse. Sondern wenn es groß angelegte Binaritäten von Weiß-Schwarz = Gut-Böse gibt, und die daran hängenden moralischen Implikationen. Viel besser ist es, dieses Schema aufzubrechen. Was, wenn nicht eine Seite grundsätzlich schwarz und die andere weiß ist ... sondern es gibt Schwarzes und Weißes auf beiden Seiten?

Gerade bei den Orks wäre es verdammt interessant, sie nicht undeutlich das böse, dunkle Fremde bleiben zu lassen, das man einfach nur kaputt hauen muss, sondern sie zu humanisieren. Einige moderne Franchises wie World of Warcraft bauen ihren Erfolg auf genau das und sind immer noch Völker-Fantasy schlechthin.

Witzigerweise hat Tolkien ja das Schwarz-Weiß-Schema zwischendrin selbst hinterfragt, mit Saruman, "dem Bunten". Das war ein ziemlich geniales Spiel mit Klischees, das sicher für die ganze Trilogie funktioniert hätte.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: DunkelSylphe am 10. September 2019, 22:15:19
Zitat von: canis lupus niger am 10. September 2019, 22:00:16
Zitat von: DunkelSylphe am 10. September 2019, 21:21:12
Ork = minderwertiger Elf, was ich eine eindeutige Parallele finde zu: nicht-weiß = minderwertiger Mensch (sogar: gar kein Mensch)

NEIN!

Tolkiens Orks waren keine minderwertigen Elben, sondern verstümmelte, entstellte Elben. Die Genetik war damels noch nicht so weit. Offenbar meinte Tolkien wie viele seiner Zeitgenossen noch, dass erworbene Eigenschaften vererbbar seien, so dass entstellte, körperlich und seelisch verstümmelte Elben ebensolche Nachkommen bekommen würden. So gesehen waren Orks keine minderwertigen Elben, sondern solche, denen Morgoth ihre Schönheit und Kraft genommen hatte. Laut Silmarillion "sahen viele dies als sein größtes Verbrechen an". Die Orks waren demnach nicht minderwertig, sondern besonders bedauernswert.


Du hast gerade ausführlich beschrieben, inwiefern Tolkiens Orks keine Elfen in ihrer "richtigen" Form sind. Inwiefern soll das jetzt meinen Punkten widersprechen? Geht es dir darum, dass es bei Tolkien nicht direkt um Hass geht? Das wäre schon sehr vereinfacht. Auf eine perverse Art und Weise operiert auch echter Rassismus mit Bedauern.

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 10. September 2019, 22:22:56
@DunkelSylphe Genau. Man muss nicht verstehen. Man kann auch teilweise gar nicht einfach so verstehen. Aber durch Zuhören und eben nicht sofort sagen "aber das war immer so, das ist doch lächerlich" zeigt man Respekt und ganz oft reicht das erst mal schon. :)

Und übrigens: leicht ist das natürlich nicht. Mir fällt das auch oft schwer. Ich fühle mich auch manchmal im ersten Moment angegriffen oder in die Ecke gedrängt, wenn mir ein neuer Mechanismus unterkommt oder ich ihn an mir entdecke. Auch das ist, denke ich, normale Biologie. Das Gewohnte verteidigen, sich keine Blöße geben. Aber ich halte es trotzdem für sehr wichtig und wertvoll, sich so gut es geht zu bemühen, das zu ändern.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 10. September 2019, 22:38:26
Sicherlich gibt es bei Tolkien wie bei vielen anderen Schriftstellern aus früheren Zeiten einige Elemente, die aus heutiger Sicht problematisch sind.
Ich glaube tatsächlich nicht, dass die Orcs und Elfen in irgendeiner Form als Allegorien für tatsächliche menschliche Rassen gedacht waren, sondern dass mit diesen Gruppen andere Aspekte ausgedrückt werden sollten. Allerdings gab es auch bei den Menschen im Herrn der Ringe schon eine eindeutige Hierarchie mit den Menschen aus Numenor an der Spitze, den Rohirrim irgendwo in der Mitte und den schon öfter erwähnten dunkelhäutigen Völkern, die Sauron gedient haben, unten. Das kann und sollte man heutzutage nicht mehr in dieser Form schreiben, auch wenn die dunkelhäutigen Menschen in Saurons Armee immerhin verschont wurden, nachdem sie sich ergeben haben und nicht wie die Orks ausgemerzt werden mussten, was auch dafür spricht, dass die Orks eben nicht als Menschen einer anderen "Rasse" gedacht waren.
Ich erinnere mich an ein Interview, wo Tolkien in Bezug auf den Ersten Weltkrieg so etwas wie "Es gab Orks auf beiden Seiten" sagt und ich schließe nicht nur daraus, dass die Orks eben eine unmenschliche Kriegsführung darstellen sollten. Meine eigene Interpretation führt da auch zu den diversen Hasskarikaturen, die es während der Weltkriege gegenüber den Gegnern gab, die Briten hatten welche von den Deutschen, die Deutschen von den Russen und Franzosen usw. Bei den Orks ist diese Entmenschlichung des Gegners zu Kanonenfutter, wo das Töten sogar eine gute Tate ist, bis zur logischen Konsequenz gedacht. (Deswegen kann ich mit den meisten anderen Orks auch nichts anfangen, rein aus meinem persönlichen Empfinden heraus könnten die ruhig aus Rassismusgründen oder sonstigen aus zukünftigen Geschichten herausgehalten werden.)

Die allgemeine Diskussion haben wir ja eigentlich schon an anderer Stelle geführt. Nur ganz kurz bezogen auf dieses Thema: Es ist sicherlich gut und richtig, sich anzuhören, wie Literatur bei Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund ankommt und sich Gedanken darüber zu machen. Ich finde aber nicht, dass man Vertreter irgendwelcher Gruppen als absolute Autoritäten anerkennen muss, was in einem Buch vorkommen darf und was nicht, es sei denn es geht tatsächlich um kulturelle Details. Aber nicht bei Themen wie Orks oder schwarzer Magie.
Menschen, die sich intensiv mit der Unterdrückung ihrer Gruppe befassen, betrachten Bücher dann manchmal auch durch diese Brille und klammern andere Aspekte und Interpretationsmöglichkeiten aus.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 10. September 2019, 22:52:30
Ich habe mir jetzt die Zeit genommen und alles Postings nachgelesen. Über das Durcheinander von Analysen und Verhaltensempfehlungen und die widerstreitenden Meinungen, was denn eigentlich und überhaupt das Thema ist, könnte man sich wundern. Muss man aber nicht, denn ich bin mir sicher, ob alle unter Rassismus etwas Ähnliches verstehen. Es gibt  ja auch verschiedene Definitionen, was darunter zu verstehen ist, und je nachdem welcher man zuneigt, kommt man zu unterschiedlichen Bewertungen.

Meine Position besteht allerdings nicht in einem Teil
Teil 1:

Ich wähle jetzt mal eine Definition, die ich in Wiki gefunden habe und mit der ich prima leben kann. Ich verkürze sie mal.
Beim Rassismus werden äußerliche Merkmale zur Beurteilung inner Werte herangezogen.
Mit wahren Rassen im Sinne einer Taxonomie hat das nichts zu tun, wohl aber sehr viel mit augenscheinlicher Ähnlichkeit. Ich und die wie ich sind gut. Die anderen sind fremd und weil sie fremd sind, potentiell gefährlich und damit nicht so gut.

Damit kann ich prima leben, weil ...
Das Überleben eines Lebewesens hängt oft davon ab, die Umwelt rasch richtig einzustufen. Zur Verfügung stehen nur Äußerlichkeiten, die in Sekundenbruchteilen bewertet werden müssen. Deshalb ist der erste Eindruck auch so wichtig und wird im Gehirn nachhaltig gespeichert.

Wenn ich Rassismus so verstehe und möchte gegen Rassismus ankämpfen, dann kann ich es gleich sein lassen, denn ich kämpfe gegen einen Teil der menschlichen Natur an, die seit Menschenbeginn einen Evolutionsvorteil bedeutet haben. Das kann man vergessen.

Teil 2:
Ein solches Instinktverhalten lässt sich selbstverständlich hervorragend ausnutzen, um Menschen zu manipulieren und zum Vorteil der eigenen Gruppe ausnutzen. Im harmlosesten Fall dient die Aussage, dass die anderen eh alles Idioten sind, dem eigenen Wohlbefinden, weil es uns größer, schöner, wichtiger etc. erscheinen lässt. Im übelsten Fall aberkenne ich den anderen ihre Menschlichkeit. Wenn mir das gelingt, tue ich der Welt einen Gefallen, wenn ich diese "Tiere" abschlachte. Jede Kriegspropaganda nutzt diese einfache Technik in der einen oder anderen Weise. Und das ist in jedem Fall die unschöne Seite des Rassismus. Egal, wer hier in welche Richtung argumentiert hat, niemand von uns wird das gutheißen.

Teil 3:
Was also tun?
Im Prinzip ist es ganz einfach - und in der Umsetzung sehr sehr schwierig. Menschen müssen in einer Überzeugung von Respekt der andersartigkeit aufwachen, wie es unter anderem ein Teil des Humanismus ist. Im Gentleman-Ideal der Briten ist es formuliert: A gentleman is someone who never inflicts pain. Im wahren Leben ist das unmöglich, aber es ist lohnenswert, dieser Richtung zu folgen.

Voraussetzung dazu sind aber (Herzens)bildung und eine entsprechende Erziehung. Und da geht es schon los. Und der böse Feind ist das eigene Ich.

Teil 4:
Was ich damit sagen will, ist, dass die Frage, ob ich Tolkien rassistische Züge anhängen kann oder nicht, keine Diskussion ist, die die Welt besser macht. Wirkungsvoller wäre es, den eigenen Kindern den Respekt vor anderen Menschen und deren Würde nahezubringen. Tolkien war ein Kind seiner Zeit, und wie weit er der Zeit entsprach, ihr voraus- oder hintereilte, ist eher ein Punkt für den Literaturwissenschaftler.

Aber die Frage nach der rechten Erziehung lohnt sich zu beantworten. Gerade in Deutschland haben wir allergrößte Probleme damit. Das alte Obrigkeitsdenken hatte seine Vorteile im zivilen Umgang miteinander, versagte aber völlig, wenn die Obrigkeit selbst nichts taugt.
Die 68iger Generation, zu der auch ich zähle, hat mit der Vergangenheit aufgeräumt und den Weg freigemacht für etwas Besseres. HURRA!!! Sie hat es aber nicht geschafft, diesen Weg zu weisen, sodass das Ergebnis oftmals gar keine Erziehung war mit den entsprechenden Nachteilen. Das war beinahe eine Katastrophe. Aber wenn Respekt nicht erfahren und erst recht nicht gelebt wird, können wir die böse Seite des Rassismus auch nicht bekämpfen. Darüber zu diskutieren könnte sich lohnen.

Ich denke, mehr habe ich dazu wohl nicht zu sagen.

Gute Nacht
Trippelschritt

EDIT: Mit den letzten beiden Postings hat sich mein Elephantentext überschnitten.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 11. September 2019, 12:56:49
Zitat von: NelaNequin am 10. September 2019, 21:52:40
Ähm. Nein. Tatsächlich ist unsere Farb-Interpretation eine ziemlich neue Sache, die auch sehr lange im Wandel war. Weiß wurde zu Hochzeit und Taufen erst sehr spät eingeführt - weil die längste Zeit weißer Stoff auch einfach zu teuer war, als dass einfache Leute ihn sich erlauben konnten. Schon gar nicht um ihn nur einmal zu tragen. So richtig fing das erst mit der Hochzeit von Königin Viktoria an, auf die hin es sich zum Trend entwickelte, weil viele ihr und ihrem Hochzeitskleid nacheiferten.

Danke, da bin ich wieder etwas schlauer.
Also fallen Hochzeit und Tod weg.
Die Angst vor der Dunkelheit wird immer uns stecken.
Aus dem Grund erschuf Gott ja auch als erstes das Licht in der Schöpfungsgeschichte.
Und das Erlöschen der Sonne wäre unser aller Tod.

@Alana, was sind deine Lösunganvorschläge?
Gar keine Orks mehr einbauen?
Die Farbe schwarz in keinem Satz mehr negativ verwenden?
Nur noch helle Figuren auftreten lassen, sodass man niemandem auf die Zehen treten kann?


Hmm...
Könnt ihr euch vorstellen, bereits Buchideen/Probekapitel/Inhaltsbeschreibungen/Charakterbeschreibungen den sensititivity Autorinnen/Testleserinnen zur Prüfung vorlegen, noch bevor ihr an einen Verlag oder Agenten herantretet?
So wie es die Senisitivity Reader Seite fordert?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 11. September 2019, 13:05:09
Mein Lösungsvorschlag ist, zuzuhören, sich intensiv mit den Themen zu beschäftigen und dann zu versuchen, Bücher so divers wie möglich zu gestalten. Ich mache für meine Bücher meistens eine Figurenaufstellung, in der ich Eigenschaften, Stellung im Roman (Machthierarchie) und Job / Karriere etc. gegenüberstelle. So sehe ich recht gut, ob ich eine diverse Cast habe, ob ich Frauen und Männer gleichmäßig auf die verschiedenen Hierarchieebenen und auf Gut und Böse verteilt habe, ob ich LGBTQ+ Figuren habe und wie diese eingebunden sind, und so weiter. Aber dazu haben wir ja noch einen anderen Thread, wo das diskutiert wurde und wo man sich Ideen holen kann.

ZitatKönnt ihr euch vorstellen, bereits Buchideen/Probekapitel/Inhaltsbeschreibungen/Charakterbeschreibungen den sensititivity Autorinnen/Testleserinnen zur Prüfung vorlegen, noch bevor ihr an einen Verlag oder Agenten herantretet?
So wie es die Senisitivity Reader Seite fordert?

Ja, ich habe selbst schon mit einer WoC über eines meiner Projekte gesprochen, obwohl ich noch nicht mal mit dem Schreiben angefangen habe, um mir ihren Rat einzuholen. :) Warum auch nicht, es ist doch toll, dass es diese Möglichkeit gibt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Malinche am 11. September 2019, 13:16:02
Zitat von: AngelikaD am 11. September 2019, 12:56:49
@Alana, was sind deine Lösunganvorschläge?
Gar keine Orks mehr einbauen?
Die Farbe schwarz in keinem Satz mehr negativ verwenden?
Nur noch helle Figuren auftreten lassen, sodass man niemandem auf die Zehen treten kann?

Das ist doch alles überhaupt nicht der Punkt, und soweit ich hier mitgelesen habe, gibt es in diesem Thread genug Postings, die das erklären und aufdröseln. Es geht nicht darum, wie man eine einzelne Farbe verwendet oder ein einzelnes Fantasy-Volk. Es geht um die komplette Art und Weise, wie Figuren oder Gruppen von Figuren dargestellt werden, um Wortwahl, Assoziationen, um problematische Tropes. Es geht um die Kombination aus diesen Elementen und die Tatsache, dass man auch in einer reinen Fantasywelt mit reinen Fantasywesen durchaus problematische und diskriminierende Strukturen der realen Welt reproduzieren kann - selbst, wenn es einem beim Schreiben nicht bewusst ist. Und es geht darum, sich dieser Strukturen bewusst zu werden, sie zu erkennen und im Idealfall zu vermeiden, weil bei näherem Hinsehen keine Geschichte darauf angewiesen ist.

Orks sind in dem Zusammenhang nicht das Problem, die Frage ist, wie du deine Orks darstellst und was sie in deiner Welt für eine Rolle spielen. Das heißt nicht, dass deine Orks nicht auch böse sein können - sie können das sein, ohne dass in ihrer Darstellung auf problematische Tropes zurückgegriffen wird. (Es sind ja auch nicht alle Orks per se Tolkien-Orks.)
Du kannst das Darstellungsproblem auch mit Elfen haben, wenn du sie entsprechend charakterisierst. Das liegt dann auch nicht daran, dass es Elfen sind. Das liegt an der Darstellung, an den verwendeten Narrativen. Aber wie gesagt, das haben andere in diesem Thread schon sehr schön erklärt.

Ich glaube auch, dass hier einiges durcheinanderfliegt und dass das Tolkien-Beispiel im verlinkten Artikel nicht unbedingt das beste ist, das man wählen konnte, um das Potenzial von Sensitivity Reading für die Fantasy zu illustrieren. Aber vor allem bringt es nichts, sich an dem Ork-Beispiel festzubeißen, denn es geht nicht um dieses eine konkrete Beispiel oder eine bestimmte Farbe, sondern um ein ganzes Gefüge aus Bedeutungen, Assoziationen und Machtverhältnissen in den eigenen Denkmustern. Das ist ein Thema, das meiner Meinung nach auch nicht komplett deckungsgleich mit Sensitivity Reading ist, auch wenn es wichtige Überschneidungen gibt.

Zitat von: AngelikaD am 11. September 2019, 12:56:49
Hmm...
Könnt ihr euch vorstellen, bereits Buchideen/Probekapitel/Inhaltsbeschreibungen/Charakterbeschreibungen den sensititivity Autorinnen/Testleserinnen zur Prüfung vorlegen, noch bevor ihr an einen Verlag oder Agenten herantretet?
So wie es die Senisitivity Reader Seite fordert?
Klar. Warum denn nicht? Das ist ja der Sinn der Sache.

[EDIT] Hat sich mit Alana überschnitten.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 11. September 2019, 13:27:03
Zitat von: AngelikaD am 11. September 2019, 12:56:49
Die Angst vor der Dunkelheit wird immer uns stecken.
Aus dem Grund erschuf Gott ja auch als erstes das Licht in der Schöpfungsgeschichte.
Und das Erlöschen der Sonne wäre unser aller Tod.
Noch mal: Es geht nicht um die Farbe Schwarz. Orks sind oft genug in der Popkultur grün und sind dennoch rassistisch gegen schwarze Menschen, da in Orks Stereotype verwendet werden, die ebenso gegen schwarze Menschen verwendet werden. Es geht darum, dass Ork-Kultur oft einer stereotypen, rassistischen Darstellung schwarzer Kultur entspricht.

Tolkiens Orks derweil sind nicht rassistisch gegen schwarze Menschen, sondern gegen Chinesen im speziellen. Was daran lag, dass Tolkien (der sich übrigens selbst als sehr Anti-Rassistisch sah (und ja, ich habe jetzt heute morgen einiges zum Thema nachgelesen)) in einer Zeit aufgewachsen ist, zu der Chinesen eine große Minderheit in Großbritannien dargestellt haben. Deswegen ist er mit anti-chinesischer Propaganda aufgewachsen und hat diese so verinnerlicht, dass sie in seine Orks hineingeflossen ist. Und das eben nicht irgendwie auf einer Interpretationsebene, sondern im Text. Die Orks sind im Text als asiatisch beschrieben und mit denselben Worten, die man zur damaligen Zeit in eugenischen Büchern für Menschen chinesischer Abstammung verwendet hat.

Allerdings wurden die meisten heutigen Interpretationen der Gruppen in Amerika entwickelt, von wo halt bspw. D&D kommt. Und in Amerika wurden Asiaten als "Model Minority" nach WWII dargestellt, weshalb man dort natürlich keine rassistische Darstellung von Chinese Americans nutzen wollte. Deswegen wurden Orks halt im amerikanischen Kontext mehr und mehr zu einer Spezies, die rassistische Anti-Schwarze Stereotype in sich aufnahm.

Ich empfehle an dieser Stelle diesen Artikel über Tolkien und der Rassismus gegen Chinesen, der seine Kindheit geprägt haben wird (https://tolkienland.wordpress.com/2018/01/21/tolkiens-squinteyed-orc-men/). Und diese beiden Teile eines Artikels zum Thema Orks und Rassismus: 1 (https://jamesmendezhodes.com/blog/2019/1/13/orcs-britons-and-the-martial-race-myth-part-i-a-species-built-for-racial-terror), 2 (https://jamesmendezhodes.com/blog/2019/6/30/orcs-britons-and-the-martial-race-myth-part-ii-theyre-not-human)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Zit am 11. September 2019, 14:18:29
Zitat von: Malinche am 11. September 2019, 13:16:02
Orks sind in dem Zusammenhang nicht das Problem, die Frage ist, wie du deine Orks darstellst und was sie in deiner Welt für eine Rolle spielen. Das heißt nicht, dass deine Orks nicht auch böse sein können - sie können das sein, ohne dass in ihrer Darstellung auf problematische Tropes zurückgegriffen wird. (Es sind ja auch nicht alle Orks per se Tolkien-Orks.)
Du kannst das Darstellungsproblem auch mit Elfen haben, wenn du sie entsprechend charakterisierst. Das liegt dann auch nicht daran, dass es Elfen sind. Das liegt an der Darstellung, an den verwendeten Narrativen. Aber wie gesagt, das haben andere in diesem Thread schon sehr schön erklärt.

Ich denke schon, dass "der Ork" das Problem ist. Zumindest bei der tolkienesken Fantasy sind Narrative und Ork dasselbe. Nimmst du dem Ork die rassistischen Eigenschaften, ist es dann noch ein Ork? Nimmst du dem Elben die elbhaften Eigenschaften, ist er dann noch ein Elb? Klar sind es immer noch Fantasywesen, aber halt keine Orks und Elben mehr. Da beißt sich dann die Katze in den Schwanz.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Akirai am 11. September 2019, 14:28:30
Also um meiner Verwirrung jetzt doch Ausdruck zu verleihen: wenn ich den originalen englischen Artikel richtig verstanden habe (und korrigiert mich, ich kann sicherlich falsch liegen), dann war dieses orcing ein Slangwort, das (mit dem sich?)people of color bezeichnet haben.
Ohne jetzt ein Spezialist im Bereich Diversity zu sein, aber sind damit eben nicht nur Afrikaner, sondern auch Asiaten, Inder, die indigene Bevölkerung Mittel/ Südamerikas, etc. gemeint? Also alles "Nicht-Weiße"?
Und sieht die Dame im englischen Originalartikel Orcs nicht eher als Produkt des Othering, also des Anders-Seins,Nicht-Ich-Seins? (In der logischen Konsequenz damit des Ausgeschlossen-Seins, Unterpriviligiert-Seins, Machtlos-Seins?). Mir scheint, @Tintenteufel hat es ähnlich interpretiert, wie ich.

Nun, wenn meine oben genannte Interpretation der englischen Quelle richtig ist, dann finde ich, dass der deutsche Artikel dieses aus dem englischen Text übernommene Orc-Beispiel mehr als nur unzulänglich verkürzt.
Es wird im englischen Text Autoren á la Tolkien eben nicht der Vorwurf gemacht, sie würden Strukturen aus der Kolonialzeit in Afrika reproduzieren, sondern letztendlich ein stereotypes Schwarz-Weiß- / Gut-BöseBild gestalten (ich baue mein Argument v.a. auf den allerletzten Absatz, der mit einem * gekennzeichnet ist). Von daher sollte die Überschrift dieses Threads wohl nicht lauten, "War Tolkien ein Rassist?", sondern "Warum haben Tolkien und Co. es nicht geschafft, in ihren Schwarz-Weiß-Mittelerde ein paar "graue Zwischentöne" einzubauen?"



Da es allerdings hier auf den vorherigen Seiten mal aufkam: (Zitat geklaut von @Tintenteufel):
ZitatDa gibt es deutlich schlimmere Darstellungen bei Tolkien selbst, der die Zwerge (eindeutig semitisch/jüdisch kodierte Stereotypen) als goldgierige Maden im Fleisch der Welt beschreibt. 
Also dass Zwerge jüdisch kodierte Stereotypen symbolisieren, war mir so wirklich nicht bewusst. Könntest du das etwas näher erläutern? Wenn ich an jüdische Karrikaturen aus dem 2. Weltkrieg denke, dann sind das große, hagere, spindeldürre Gestalten mit Hakennase und Brille, die vor lauter Geldgier gezeichnet sind. Tolkiens Zwerge hatte ich als klein, untersetzt, tendenziell eher wohlgenährt und mit Bart in Erinnerung. Mehr als Gold- / Geldgier teilen sich beide "Varianten" jetzt nicht, aber vermutlich übersehe ich an dieser Stelle schlichtweg etwas oder bin einfach nicht umfassend genug informiert.
Bildet mich bitte  ;D

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 11. September 2019, 14:51:01
Zitat von: Silvia am 10. September 2019, 20:49:27
"In der Psychologie steht die Farbe Schwarz für Boshaftigkeit, Dunkelheit, Depressionen, Trauer, Lichtlosigkeit, Wahrheit, Tod, Konservativität, Unglück, Herrschaft." (http://www.ifnm.de/produktionen/Farben/DuP_2010/Melanie_Knoedler/unterseiteschwarz.html)

Ich habe noch keine gute Quelle gefunden, die wirklich belegt, dass Farben für bestimmte Dinge stehen und damit assoziiert werden. Grün steht für die einen für Neid, für die anderen für Natur. Rot ist meine Lieblingsfarbe, weil es mich an Kirschen erinnert, andere mögen Rot nicht, weil sie an Blut denken müssen. Psychologisch gesehen kann man das alles so also wirklich nicht pauschalisieren und wissenschaftlich belegt ist das schon gar nicht. Außerdem unterscheidet sich die Farbwahrnehmung ganz prinzipiell zwischen Menschen, was das ganze noch schwieriger macht. Die verlinkte Seite nennt einfach gar keine Quellen, schon gar keine wissenschaftlichen. Richtige Psychologie fokussiert sich bei Farben ohnehin eher auf andere Aspekte, zum Beispiel welche Farbkombinationen gut zu erkennen sind, welche Farben eher als Warnsignale geeignet sind als andere, wie Farbwahrnehmung funktioniert.

Zitat von: Alana am 10. September 2019, 21:22:07
Und was die Fantasy angeht: Sag mir ins Gesicht, dass du nicht daran glaubst, dass Lesen unser Weltbild prägt. Dass Bücher und andere Texte nicht unterbewusst mitbestimmen, wer wir sind und wie wir anderen Menschen begegnen. Sag mir, dass du nicht an die Wirkung von Symbolik glaubst oder an Dinge, die zwischen den Zeilen stehen und uns so beeindrucken, dass wir noch jahrelang daran denken.

Wer auch immer das sagt hat aber auch einfach nicht Recht. Dass Geschichten, auch Fantasy-Romane, die Einstellungen von Leser*innen nachhaltig prägen ist wiederum in der Wissenschaft sehr gut belegt. Wer dazu Quellen möchte, gerne PN an mich.

Ansonsten haben Guddy, NelaNequin und Alana hier schon einige sehr wichtige Dinge gesagt. Stereotypen und Vorurteile sind in uns allen verankert und können auch unbewusst in die Darstellung von bestimmten Figuren und Rassen einfließen. Vielleicht ist genau das auch bei Tolkien passiert, vielleicht hat er wirklich an diese Stereotype geglaubt, aber es geht auch eben nicht darum zu sagen, dass wir ihn nicht mehr lesen sollen.

Der beste Weg, um solche Stereotypen und Vorurteile, die wir in uns tragen, zu bekämpfen oder wenigstens nicht in unsere Werke einfließen zu lassen ist, sie uns bewusst zu machen. Deshalb ist es wichtig, über Dinge wie Tolkiens Darstellung von Orks zu sprechen und sie zu kritisieren. Weil wir diese Muster sonst nicht erkennen und dann auch nicht vermeiden können.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: DunkelSylphe am 11. September 2019, 14:51:56
@Puzzle:

Ich habe wie @NelaNequin mich jetzt auch etwas mehr eingelesen zum Thema (danke für die Links!) und bin dabei über diesen sehr interessanten Überblick einer Fanseite gestoßen, was Rassismus-Diskussionen bei Tolkien anbelangt: http://tolkiengateway.net/wiki/Racism_in_Tolkien%27s_Works

Dass die Zwerge mitunter als jüdische Karrikaturen interpretiert werden, war mir bis zu diesem Thread auch nicht bewusst. Tatsächlich kommt das nicht irgendwoher, Tolkien hat selbst in einem seiner Briefe geschrieben, dass die Zwerge an Juden erinnern sollen, und dass er sich bei ihnen um eine "semitische Sprache" bemüht hat.

Briefzitat (der verlinkten Seite entnommen):

ZitatThe dwarves of course are quite obviously - wouldn't you say that in many ways they remind you of the Jews? Their words are Semitic obviously, constructed to be Semitic.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Tintenteufel am 11. September 2019, 15:06:55
Zitat von: Puzzle am 11. September 2019, 14:28:30
Da es allerdings hier auf den vorherigen Seiten mal aufkam: (Zitat geklaut von @Tintenteufel):
ZitatDa gibt es deutlich schlimmere Darstellungen bei Tolkien selbst, der die Zwerge (eindeutig semitisch/jüdisch kodierte Stereotypen) als goldgierige Maden im Fleisch der Welt beschreibt. 
Also dass Zwerge jüdisch kodierte Stereotypen symbolisieren, war mir so wirklich nicht bewusst. Könntest du das etwas näher erläutern? Wenn ich an jüdische Karrikaturen aus dem 2. Weltkrieg denke, dann sind das große, hagere, spindeldürre Gestalten mit Hakennase und Brille, die vor lauter Geldgier gezeichnet sind. Tolkiens Zwerge hatte ich als klein, untersetzt, tendenziell eher wohlgenährt und mit Bart in Erinnerung. Mehr als Gold- / Geldgier teilen sich beide "Varianten" jetzt nicht, aber vermutlich übersehe ich an dieser Stelle schlichtweg etwas oder bin einfach nicht umfassend genug informiert.
Bildet mich bitte  ;D

Das Argument ist bei mir etwas arg verkürzt. Mir geht es dabei hauptsächlich um drei Punkte.
1. Das Volk der Zwerge bei Tolkien ist von der Sprache her, die man bei Tolkien getrost als Eckstein ansehen darf, jüdisch. Bzw. natürlich semitisch. Dazu ein Ausschnitt aus "Jewish Dwarves" (https://muse.jhu.edu/article/513824), der ein paar Interviews mit Tolkien selbst zitiert. Das macht sie nicht zur jüdischen Karikatur und ich sage auch nicht, dass sie eine solche sind.
2. Die innerdiegetische Erklärung zu Zwergen ist: Nicht wie Elben und Menschen von Illuvatar geschaffen, sondern vom Maia Aule, auf sieben Clans und Königreiche verteilt und in die Welt geworfen, als Kinder von Aule sehr geschickt im Schmieden, mit Waffen, Geschmeide usw. Die innerdiegetische Geschichte der Zwerge (mit Smaug und dem Balrog z.B.) macht von der Ausgangssituation als große Schmiede und Bergmänner sind.
3. Das führt zu dem kritisierten Problem, dass da letztlich rassistische Untertöne bei durch kommen, die so womöglich nie angedacht waren, aber eben implizit aus der Situation schreien: Jüdisch konnotierte Nicht-Menschen, die das Gold derart gierig anhäufen, sodass deswegen buchstäblich der Teufel über sie kommt und sie ausrottet.

Das heißt weder, dass Tolkien Antisemit war, noch dass er rassistisch war und das so angedacht hat. Es gibt bei den Zwergen eine Menge positive Eigenschaften, der von mir verlinkte Artikel geht darauf noch näher ein.
Das heißt nicht einmal, dass das auf den Mist von Tolkien gewachsen ist - wie so oft hat Wagner das hundert Jahre vor ihm schon genau so behandelt: Der titelgebende Nibelung des Rings - Alberich - ist eine ziemlich eindeutige antisemitische Karikatur. Und ein Zwerg.
Bei Tolkien finden sich dann wiederum viele Einflüsse gerade aus dem Ring (was nicht mit einem alles beherrschenden Ring, der Leute in den Wahnsinn treibt und so).
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Akirai am 11. September 2019, 15:17:24
@DunkelSylphe @Tintenteufel : Danke für eure Antworten, jetzt habe ich wieder etwas gelernt!

Wie es ist, ich habe tatsächlich hier antisemitische Züge bei Tolkiens Gleichsetzung Juden = Zwerge rausgelesen, aber mit der Erklärung und wenn man sich auch den verlinkten Artikel durchliest, scheint ja (bis auf den Goldgier-Stereotyp) das Gegenteil der Fall zu sein.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 12. September 2019, 12:21:08
Zitat von: Malinche am 11. September 2019, 13:16:02
Das ist doch alles überhaupt nicht der Punkt, und soweit ich hier mitgelesen habe, gibt es in diesem Thread genug Postings, die das erklären und aufdröseln. Es geht nicht darum, wie man eine einzelne Farbe verwendet oder ein einzelnes Fantasy-Volk. Es geht um die komplette Art und Weise, wie Figuren oder Gruppen von Figuren dargestellt werden, um Wortwahl, Assoziationen, um problematische Tropes.

Über das Wort "Trope" stolpere ich.
Ich kenne das nur von dieser Erklärung https://de.wikipedia.org/wiki/Tropus_(Rhetorik)

Kannst du mir das für diesen Zusammenhang aufdröseln, damit ich weiß, um was ich stilistisch einen Bogen machen muss?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 12. September 2019, 14:06:57
Ein Trope ist ein Muster, das, wenn es zu oft vorkommt, irgendwann zum Klischee wird.

Das kann ein Thema sein, eine Message, eine bestimmte Art von Figur, ein bestimmter Konflikt ...

Eine Erklärung und unendlich viele Beispiele findest du hier: https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/Trope
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 12. September 2019, 14:44:27
Vielen Dank für die Erklärung bezüglich TV.

Ich bin nur ein bisschen neben der Spur, weil ich dachte, für mich als Schreibende, wäre die literarische Bedeutung die korrekte.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 12. September 2019, 16:51:01
Diese Erklärung und auch die auf der Seite genannten Tropes lassen sich 1 : 1 auf Unterhaltungsliteratur übertragen. Der Begriff kommt aus dem Englischen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Barra am 13. September 2019, 09:23:02
Erst dachte ich: wow ich bin voll am Thema vorbei mit meinem Beitrag vor einigen Tagen. Jetzt denke ich: nee ICH bin am Thema vorbei. Ich komm hier gar nicht mehr mit. Geht es noch um Tolkien? Und um die Frage der Orks?

Versteht mich nicht falsch, ich bin Teilzeit-Ork - was Coppelia zwischendurch noch angedeutet hat, stimmt auffallend: "Schwertfutter", nichts anderes und wenn eine ausgedachte Rasse (mit oder ohne realem Vergleich) in einem ausgedachten Roman mit ausgedachter Handlung so behandelt wird, ist es Rassismus im ausgedachten Buch. Macht das den Autoren zum Rassisten?

Ich sehe ständig den Witz im Netz: "Ich bin Autor, aber wenn das BKA meinen Verlauf sieht, bin ich am A." -
Darf ich also für den ollen Hernn Tolkien dasselbe annehmen? Dass er nur weil er es geschrieben aht und sich überall bedient hat (Gimli, Gandalfr, Ringe, Alben, ...) einfach ein Autor war?

Ohne ihn in Schutz zu nehmen. Oder es mir einfach machen zu wollen. Aber vielleicht sehen wir in unserer heutigen, sensiblen Zeit auch zu viel. Zu seiner Zeit hat er sich sicher nicht gefragt, ob er political correct schreibt. Aber wir können es heuteund sollten das auch.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Guddy am 13. September 2019, 09:51:52
Genau dazu wurde in diesem Thread doch schon was geschrieben. Kann gerade nicht zitieren weil ich am Handy sitze, aber ich bspw hatte auf Seite 1 genau das angesprochen und viele andere hier sagen Ähnliches. Ich glaube auch nicht, dass jemand behauptet hat, dass Tolkien deswegen definitiv ein Rassist gewesen ist.

Es geht einfach darum, rassistische Tropes zu hinterfragen und zu schauen, ob man das in seiner Geschichte nicht unbewusst reproduziert.
Klar, wir sind privilegiert, wir kriegen vieles nicht mit und meinen es oft auch gut. Aber das schützt dich nicht automatisch davor, Fehler zu begehen.

Rassismus ist real. Wir müssen ihn nicht auch noch in der Fiktion reproduzieren.
(Rassismus innerhalb der Welt ist wieder eine andere Geschichte. Um die geht's aber ja nicht.)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Araluen am 13. September 2019, 10:25:49
Ich denke, was Tolkien angeht, ist der Drops gelutscht. Ihm können wir nicht mehr erklären, dass seine Orks rassistisch sind - versteht sich von selbst. Zudem glaube ich, dass Tolkien, auch wenn er ein Kind seiner Zeit war, sehr wohl wusste, was er da tat. Wenn nicht er die Macht der Sprache verstanden hat, wer dann? Aber er beschrieb seine Orks und den Rest von Mittelerde nicht, weil er Rassist war (das wage ich nicht, ihm vorzuwerfen), sondern weil er wusste, welcher Bilder er sich bedienen musste, um eine entsprechende Wirkung bei seinen Lesern hervorzurufen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass die Fantasy zu Tolkiens Zeiten noch in den Kinderschuhen steckte. Bis Tolkien kannte man Elfen, Zwerge und andere Gestalten nur als Teil verstaubter Märchen und Legenden. Nicht umsonst wird neben Sauron das ultimative Übel als eine riesige Spinne dargestellt. Vor Spinnen ekelt/fürchtet sich fast jeder, vor allem wenn sie plötzlich elefantengroß daherkommt. Da ist das Grauen greifbar und man versteht es ohne große Erklärung. In meinen Augen bediente er sich bei Elben, Orks und den anderen Völkern eines ähnlichen Tricks. Er verpackte das, was er ausdrücken wollte, in etwas, was die Leute kannten.
Jede Generation oder vielleicht besser Epoche hat ihr eigenes Feindbild. Dessen hat sich Tolkien bedient und seine lebende Kriegsmaschinerie an das Feindbild seiner Zeit angelehnt. Die Elben hingegen stehen für die Reinheit, Tugend und alles Gute. Zu diesem Thema waren die Helden der nordischen, keltischen und isländischen Sagen hoch im Kurs. Sie verkörperten all das, was Tolkiens Elben darstellen sollten und natürlich waren diese Helden starke Männer und Frauen mit heller Haar und heller Haut, denn so sahen die Leute, welche diese Sagen einst erfunden hatten nun einmal auch aus und idealisierten ihre Helden natürlich. Fehlten nur noch die spitzen Ohren.
Dass die Orks rassistisch sind, will ich dabei gar nicht leugnen. Das ist vermutlich tatsächlich Fakt. Gegen welche Völkergruppe sich dieser Rassismus richtet, kann nur Tolkien korrekt beantworten - und wenn ich das richtig herausgelesen habe, hatte er trotz dunkler Haut der Orks die Chinesen im Visier - alles andere sind Auslegungen von Leuten, die nach ihm kamen.
Das kann man für sich mitnehmen und im Hinterkopf behalten, wenn man selbst ein nichtmenschliches Volk kreiert oder sich direkt der Orks bedient. Was will ich darstellen und welcher Hilfsmittel bediene ich mich dabei? Stelle ich das antagonistische Volk dar, indem ich mich des aktuellen Feindbildes bediene oder finde ich andere Wege, um dem Leser die Bedrohung deutlich zu machen? Das ist die Kunst, der wir uns stellen müssen. Tolkien hatte seine Wahl getroffen und die war zu seiner Zeit legitim, aber aus heutiger Sicht nicht die richtige.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 13. September 2019, 11:17:43
Zitat von: Guddy am 13. September 2019, 09:51:52
Rassismus ist real. Wir müssen ihn nicht auch noch in der Fiktion reproduzieren.
(Rassismus innerhalb der Welt ist wieder eine andere Geschichte. Um die geht's aber ja nicht.)

Wirklich nicht?
Wenn es Rassismus zu allen Zeiten gegeben hat, dürfen wir ihn dann aus unseren Geschcihten ausblenden?

Ich stelle diese Frage nicht ohne Grund. Ich arbeite gerade an einem Projekt, in dem der Rassismus eine zentrale Rolle und für viele Dinge entscheidend ist. Fiktion reproduziert Realität und verändert sie.
Meine Position ist, dass wir uns dem Rassismus stellen müssen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 13. September 2019, 12:06:53
Gezielt das Thema Rassismus zu thematisieren ist aus meiner Sicht auf jeden Fall eine Möglichkeit für Autoren. Definitiv eine, die zur Sensibilisierung beitragen kann.

Unbewusst rassistische Stereotype zu produzieren ist dagegen etwas, das aus unserer heutigen Sicht vermieden werden sollte und für das sensitivity Reading und Diskussionen wie die hier hilfreich sein können. (Wobei meiner Erfahrung nach gilt: Frag 10 Betroffene und du hast mindestens 5 Meinungen, die sich z.T. widersprechen. Dennoch ist es besser als keine Sensitivität)

Bewusst rassistische Stereotype zu nutzen, um eine bestimmte Wirkung beim Leser zu produzieren ist mindestens ein zweifelhaftes, wenn nicht sogar hochgradig verletzendes und gefährliches Stilmittel des Autors. Das kann aus meiner Sicht auf rassistische Motive zurückgehen, Gedankenlosigkeit und fehlende Empathie sein oder die Inkaufnahme andere zu verletzen um Erwartungen zu füllen. Vielleicht auch die Angst vor einem Flopp, wenn Gewohnheiten im Genre verändert werden oder schlicht die Annahme, dass es nur rassistisch sei, wenn es bewusst so gemeint ist und das Gegenüber sich nicht so anstellen solle, es sei schließlich nicht so gemeint.
Welche Motive ein Autor hatte, lässt sich oft nur erraten und ist ja letztlich auch egal. Wichtig ist der eigene Umgang damit.

Zitat
Wirklich nicht?
Wenn es Rassismus zu allen Zeiten gegeben hat, dürfen wir ihn dann aus unseren Geschcihten ausblenden?
Ich denke dass es hier darum ging, dass eben nur das (un)bewusste reproduzieren von Rassismus Thema ist und es nicht wie in deinem Projekt um die gezielte Thematisierung von Rassismus geht.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 13. September 2019, 13:08:27
@ Anjana
Mir nicht. Wie Du bin ich der Meinung, dass die bewusste Thematisierung ein Weg ist, einmal über dieses schwierige Thema nachzudenken. Aber daneben gibt es noch viele andere schriftstellerische Möglichkeiten, von denen das Brechen eines Klischees vielleicht die bekannteste sein könnte. Aber mir geht es darum, was und wie immer man sich diesem Thema nähert im Großen wie im Kleinen es zunächst einmal in der Geschichte enthalten sein muss. Und Rassismus ist zumindest verdeckt allgegenwärtig. Ihn immer und überall zu eliminieren, entfernt den Geschcihten einen Teil der Realität.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 13. September 2019, 14:25:07
Zitat von: Trippelschritt am 13. September 2019, 13:08:27
Und Rassismus ist zumindest verdeckt allgegenwärtig. Ihn immer und überall zu eliminieren, entfernt den Geschcihten einen Teil der Realität.

Setzt sich denn jede deiner Geschichten ausführlich mit Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Ableismus, Ageism und allen anderen Formen von Diskriminierung auseinander? Nicht jede Geschichte kann alles enthalten. Niemand sagt, dass niemand über Rassismus schreiben soll, aber Geschichten sind immer nur Auszüge eines größeren ganzen und können nicht alles enthalten. Es ist sinnvoller, sich auf etwas zu konzentrieren und das dann gut zu machen und es ist sinnvoller, nicht über Rassismus zu schreiben als schlecht darüber zu schreiben und es womöglich nur schlimmer zu machen.

Zumal Guddy ja auch nicht gesagt hat, wir sollen Rassismus niemals thematisieren:

Zitat von: Guddy am 13. September 2019, 09:51:52
Rassismus ist real. Wir müssen ihn nicht auch noch in der Fiktion reproduzieren.

Reproduzieren meint hier so wie ich es verstanden habe nicht, dass ich mich kritisch und sinnvoll mit dem Thema auseinandersetze und ein Buch schreibe, das eindeutig die Botschaft hat, dass Rassismus schlecht ist und aufzeigt, wie die unterschiedlichen Formen von Rassismus aussehen können. Ich verstehe es eher als das unhinterfragte Wiederholen von rassistischen Stereotypen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Guddy am 13. September 2019, 14:35:59
Ich hatte doch auch ausdrücklich geschrieben, dass Rassismus innerhalb der Geschichte ein ganz anderes Thema ist.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 13. September 2019, 16:18:59
ZitatOhne ihn in Schutz zu nehmen. Oder es mir einfach machen zu wollen. Aber vielleicht sehen wir in unserer heutigen, sensiblen Zeit auch zu viel. Zu seiner Zeit hat er sich sicher nicht gefragt, ob er political correct schreibt. Aber wir können es heuteund sollten das auch.

Ohne den gesamten Diskurs zu kennen (er ist eben schon recht lang) eckt @Barra etwas an meine eigene Sichtweise an. Als Geschichtsstudent möchte ich immer ganz gern alles im historischen Kontext der jeweiligen Zeit verstanden wissen, die ganz andere Voraussetzungen für eine Weltsicht bot und in der man schlicht nicht so sensibel für solche Themen war und auch andere Dinge als ,,offensive" galten als heute. Generell ist meine (quellenmäßig unbelegte) Vermutung schlicht, dass Tolkien als Professor und extrem mythenkundiger Mann bei den Orks schlicht und ergreifend aus dem ,,Urmaterial aus aller Welt" geschöpft hat. Denn deformierte Riesengestalten, die recht einseitig das Böse darstellen, gibt es in den Mythologien zahlloser Völker der Welt. Und da Tolkien, wenn ich mich recht entsinne, mit Mittelerde auch ein wenig eine Kunstmythologie schaffen wollte, ist es nur verständlich, dass er dafür auf klassische Mittel und altbekannte Topoi zurückgreift, die Menschen schlichtweg ,,instinktiv" verstehen. Dieses ,,klassische Gefühl" im Sinne von etwas vertrautem und irgendwie bekanntem ist ja vermutlich auch der Grund, aus dem Mittelerde so hohe Wellen schlug - es spielt so geschickt mit den alten Topoi von Mythologien und verwebt sie in eine neue Welt.

Ich sehe auch eher die Gefahr, dass man heute zu viel in Dinge aus der Vergangenheit hereininterpretiert, die damals unter ganz anderen Vorzeichen standen und komplett anders aufgefasst wurden. ,,Bitte beachten Sie den historischen Kontext" würden meine Professoren sagen.

Ich finde derlei Anschuldigungen schwierig, und es stößt mich irgendwie ab, Leute post mortem auf die Anklagebank zu setzen. Fragen kann man sie nicht mehr, erklären können sie sich auch nicht und in ihr überkommenes Werk kann man dieses und jenes reininterpretieren, denn letztlich lässt sich fast jeder Standpunkt irgendwie begründen. Sofern sich in Tolkiens Briefen (ich glaube, er hat sehr viele geschrieben) keine unbestreitbaren Anzeichen von Rassismus zeigen, sehe ich für mich persönlich keinen Grund, ihm irgendetwas zu unterstellen, aber das ist nur meine Meinung.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 13. September 2019, 17:26:03
Ich sehe schon, ich kann mich nicht verständlich machen. Schade drum.
Macht aber nichts. Ich bin draußen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Angela am 13. September 2019, 19:50:16
Wisst ihr was, bei all den Diskussionen hier finde ich es ungeheuer angenehm, keinen rassistischen Müll lesen zu müssen. Wir sind uns alle einig, dass wir diesen Mist hinter uns lassen wollen und das ist schon sehr viel wert.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: canis lupus niger am 14. September 2019, 09:59:19
Zitat von: Trippelschritt am 13. September 2019, 11:17:43
Zitat von: Guddy am 13. September 2019, 09:51:52
Rassismus ist real. Wir müssen ihn nicht auch noch in der Fiktion reproduzieren.
(Rassismus innerhalb der Welt ist wieder eine andere Geschichte. Um die geht's aber ja nicht.)

Wirklich nicht?
Wenn es Rassismus zu allen Zeiten gegeben hat, dürfen wir ihn dann aus unseren Geschcihten ausblenden?

Ich stelle diese Frage nicht ohne Grund. Ich arbeite gerade an einem Projekt, in dem der Rassismus eine zentrale Rolle und für viele Dinge entscheidend ist. Fiktion reproduziert Realität und verändert sie.
Meine Position ist, dass wir uns dem Rassismus stellen müssen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Wir alle sind (mehr oder weniger) Rassisten, egal, aus welchem Land unsere Eltern oder Großeltern oder Urgroßeltern stammen. Wir haben Klischees im Kopf und Herzen, die wir nicht gut genug kennen und hinterfragen. Und wir besitzen Instinkte und Verhaltensweisen, die in unserer Stammesgeschichte als Primaten das Überleben unserer Spezies gesichert haben, die aber in einer überbevölkerten Welt ohne Grenzen reinen Sprengstoff darstellen. In verhaltensevolutionären Maßstäben gemessen haben wir gerade eben erst angefangen, Kleidung zu tragen und mit diesem heißen Zeug, das ganze Landschaften verbrennen kann, zu experimentieren. Wir Menschen werden so gesehen nicht artgerecht gehalten.

Zivilisation ist die Kunst, diese urtümlichen Verhaltensweisen und Maßstäbe unter Kontrolle zu halten. Dazu muss man sie kennen und verstehen, vor allem an sich selber.

Aus diesem Grund halte ich es für verfehlt, nur über politisch korrekt handelnde, denkende und aussehende Menschen/Wesen in einer politisch korrekten Welt zu schreiben. Das wäre nicht nur sterbenslangweig, sondern auch sinnlos. Erstens gibt es solche Menschen nicht, und zweitens kann man anhand dieser charakterlosen Charaktere nicht erkennen und werten lernen, ob sich jemand nachvollziehbar, richtig oder falsch verhält.

GRR Martin legte Tyrion Lennister die Aussage in den Mund, dass er so viele Bücher lese, um seinen Geist daran zu schärfen wie ein Schwert. An etwas widerstandslosem, widerspruchslosem kann man aber nichts schärfen. Man erkennt nicht mal, dass das Schwert stumpf ist.

Eine Geschichte im Kontext der Zeit und des Umfeldes ihrer Entstehung zu lesen, die Intention des Autors zu kennen oder zu erkennen und eventuell zu werten, diese Wertung eventuell wiederum zu hinterfragen, ... das ist für mich ein Weg, die sozialen, kulturellen, religiösen Abgründen zu erforschen, die das Menschsein ausmachen. Und auch ein Weg, diese Erkenntnisse in meinen eigenen Geschichten umzusetzen, vielleicht damit diese ebenfalls gelesen und gewertet werden. Jede Veröffentlichung ist auch immer ein bisschen eine Offenbarung meiner eigenen Abgründe und Fehler.

Natürlich enthalten auch die besten Geschichten (und damit meine ich nicht meine eigenen) Klischees und Vorurteile. Wie sollten sie das nicht? Vor allem, wenn sie erklärtermaßen aus alten Sagen und Mythen antiker Kulturen erschaffen wurden, die ja die Essenz der Vorstellungen dieser Völker sind, müssen sie ja auch die antiken Werte dieser Kulturen widerspiegeln. Wer hätte sich nicht schon einmal über die pseudo-emanzipierten Frauen aus pseudomittelalterlichen "Beruf*innen"-Romanen geärgert?





Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Kunstmut am 14. September 2019, 22:01:40
Vorab, ganz wichtig: Das ist nur meine eigene, äußerst subjektive Sicht auf die Dinge. Speziell in den letzten Absätzen, wenn ich Vermutungen anstelle, wohin diese doch sehr verzerrte und schräge Debatte der ideologischen Gilden noch hinführen mag. Man mag mir das Hüpfen und Schlingern der Gedanken nachsehen, da ich hier Bewusstseinsstrom schreibe. (Aus Pragmatismus, sonst würde ich mit dem Umschreiben des Beitrages niemals fertig). Man betrachte das Folgende als aufflackernden Input. Falls es überhaupt nicht passt, könnt ihr es gerne ignorieren oder löschen, bevor noch jemand denkt, ich meine das hier todernst.

***


Das ist doch mal ein schöner, zivilisierter Austausch von Meinungen und Ansichten. Nachdem ich jetzt alles durchgelesen habe, möchte ich einige Anmerkungen hinzufügen. Zuerst zur provokanten Frage des Threads. Nein, Tolkien war kein Rassist als Mensch, wenn wir unter Rassismus die Nutzbarmachung des Sozialdarwinismus verstehen ("survival of the fittest"), die in ihrer pervertierten Form die Menschheit geopolitisch in rassische Siedlungsgebiete einteilt (in moderner Form beim AfD Politiker Höcke nachzulesen, der mal vom afrikanischen Ausbreitungstyp schwadronierte, der angeblich sexuell aktiver, aber zeitgleich arbeitsfauler sei als andere Typen. Das ist Rassismus im klassischen Sinne). Übrigens eine Einteilung, die bei den USA noch heute der Fall ist, nur, falls sich schon mal jemand gefragt hat, warum zum Beispiel eine tschechische Schauspielerin (beliebiges Beispiel) mit "caucasian ethnicity" beschrieben wird, obwohl die Evolutionsbiologie mit ihrem harten Kern der naturwissenschaftlichen Molekulargenetik schon längst im Chemielabor herausgefunden hat, dass alle Menschen zu etwa 99% ähnlich sind. Die Ergebnisse kamen meines Wissens irgendwann in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auf, dank dem DNA-Modell von James Watson und Francis Crick. Seit es das Modell mit seiner Überprüfbarkeit gibt, kann man anschaulich nachweisen, dass zum Beispiel Chinesen, Indonesier, Japaner oder Afrikaner nicht anders sind als wir Europäer, obwohl es äußerliche Unterschiede gibt wie Tönungen der Hautfarben, breitere Nasen oder fehlende Augenlider (wikipedia: Epikanthus medialis; einfache - doppelte Oberlidfalte). Untersucht man Speichelproben oder Blut im Labor, entpuppt sich dieser pseudobiologische Rassismus als Humbug.

Wir müssen also erstmal feststellen, dass wir hier nicht vom klassischen Rassismus reden, sondern vom soziologischen oder kulturellen Rassismus, ausgehend von der "black community" mit ihren spezifischen Erfahrungen der Rassentrennung in den Südstaaten der USA (getrennte Waschbecken für weiße und schwarze Menschen aufgrund fanatischer Ängste vor Krankheiten sind das bekannteste Beispiel). Dazu kann man noch die spezifische Erfahrung der Südafrikaner während der Apartheid rechnen und die typischen Erfahrungen von Wirtschaftsmigranten, zum Beispiel Iren, die in Ellis Island, vor Einreise in die USA anders behandelt wurden und später in eigenen Stadtteilen lebten. Dieser Hinzuzug von "Ausländern", die eine andere Sprache sprechen, andere Traditionen mitbringen und ja, andere Feiertage und Religionen mitbringen, gipfelt in dem berühmten Wort "melting pot" (Schmelztiegel der Kulturen). Dieser soziologische oder kulturelle Rassismus hat in den USA Republikaner Trump an die Macht gebracht und im United Kingdom den Brexit herbeigeführt. Beide Länder haben panische Angst vor Menschen, die anders aussehen, nämlich Kopftücher tragen, eine andere Sprache sprechen, nämlich einen der vielen arabischen Dialekte, und an eine andere Religion glauben und in anderen religiösen Gebäuden zur religiösen Einkehr sich einfinden. In den USA gibt es den muslim ban oder gab es den muslim ban, mit dem Menschen aus dem arabischen Raum kaum noch einreisen können, mit perfiden Fragebögen getestet werden und am Flughafen extra hart mit "racial profiling" von der Polizei kontrolliert werden. Das wird einem Deutschen, einem Schweden oder Spanier nicht passieren. Und im UK schließt man Wirtschaftsmigranten auch aus, seit Jahrzehnten tobt der Kampf zwischen alten Weißen Männern und Frauen auf dem Lande und jungen Menschen aus zum Beispiel Bangladesh oder Pakistan in den Großstädten wie London, die daher kosmopolitisch sind. Ein kultureller Rassismus, der übrigens in Deutschland auch geführt wird, wenn der in der Regierung sitzende Gesundheitsminister versucht, Pflegekräfte aus Polen oder Rumänien zu bekommen, weil Deutsche ja keinen Bock haben für schlechten Lohn "alten Leuten den Arsch abzuwischen". Auch das ist in der Mentalität kultureller Rassismus. Die konstruierte Gruppe der Anderen, zum Beispiel der Polen, ist gerade gut genug, diejenige Arbeit zu machen, für die wir Deutsche uns zu edelmütig und nobel vorkommen.

Schaut man auf den "klassischen Rassismus" hat Tolkien damit nichts am Hut. Er hatte sogar anfangs gar keinen Bock, mit einer deutschen Übersetzerin zu arbeiten, weil die ja aus Nazideutschland kam. Der kulturelle und soziologische Rassismus ist dagegen im Herrn der Ringe vorhanden (oder sollte man sagen, der philologische Rassismus bei der Übertragung spezifischer Vokabeln und Grammatiken auf Wissen, Verhalten und Selbstverständnis einer Ethnie in einer fiktiven Welt?) genauso wie man diese Formen auch in der Bibel findet oder bei allen Büchern, die vor dem 21. Jahrhundert erschienen sind. Und ja, auch in aktuellen Büchern wird es so weitergehen, und man kann fast gar nichts dagegen machen. Wie auch? Mit dem Mandat der Sensibility Reader alle Bücher, die bei Prüfung durchfallen, irgendwie verbieten? Alle Druckerpressen und Indie-E-Book-Anbieter überwachen und löschen? Der Versuch ist wohl richtig und mutig und kühn. Bis dann ein Einzelexemplar wie Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" mit all seiner rassistischen Verklemmtheit ein Millionenpublikum erobert. Aber an sich scheitert die Überprüfung doch schon an den schwammigen und vagen Definitionen. Wo fängt Empfindlichkeit an und was ist noch im Bereich des Derben, des Zotigen? Was ist nur ein altes ausgelutschtes Klischee und wo beginnt Jim Crow, samt Schwarzfärberei der Gesichter. Jedes Jahr kommen im katholischen Deutschland die Sternsänger und singen was vor und malen mit Kreide ihre Symbole für Caspar, Melchior und Balthasar in den Türrahmen. Ein süßes, kleines Ritual der Tradition, das Glück stiften soll, und dennoch, muss sich eins der Kinder das Gesicht schwarz machen. Ist das nur unschuldiges Schminken oder rassistisch konnotiertes blackfacing, um den Stereotyp eines schwarzen Menschen nach okzidentaler Träumerei zu schaffen? Dazu süß verniedlicht von Kindern dargeboten, denn die sind so naiv, dass sie nicht merken, wie sie zur Ergötzung konservativer Menschen, meist Kirchenväter, kulturell missbraucht werden.

Im Übrigen vertrete ich die Minderheitenmeinung, wonach die Kontrollen in der Welt der Literatur extrem scharf und genau sind. Jedenfalls dominieren in den bekannten Buchhandlungen eigentlich fast nur Bücher, die rechtsextreme Kreise als "Gutmenschen-Fake-News" bezeichnen würden. Also Bücher von z.B. syrischen Flüchtlingen aus eigener Perspektive voller Humanismus und Empathie. Und falls jemand das komplette Gegenteil schreibt, nämlich faktisch unwahr, voller Ressentiments und menschlicher Boshaftigkeit beißen doch die Medien zu und stellen die Person an den Pranger. Es existiert eine regelrechte Empörungskultur, die aggressiv Stimmung macht, wenn angeblich irgendwo Rassismus entdeckt wurde. Was dann die Fälle, in denen der Aufschrei berechtigt war, relativiert. Das kann man mit Dopingkontrollen im Sport vergleichen. Nur, weil es da hin und wieder mal Probleme gibt, heißt das nicht, dass da alle schlafen. Ehrlich gesagt hasse ich diese amerikanische Arroganz, die meint, sie seien die ersten Leute überhaupt, die mit Samthandschuhen an Texte herangehen und problematische Bedeutungen, Muster, Assoziationen usw. entdecken. Ich hab hier zufällig so eine DDR-Version von Robinson Crusoe, die den Roman im Vorwort nach marxistischer Lesart komplett als scheinheiliges Heldentum dekonstruiert. Dort ist die sensibility nicht etwa die rosarote Brille der Feministinnen oder der black community, sondern die rosarote Brille der revolutionären Arbeiter, die überall die Unterdrückung durch Bourgeoisie und Kapital sehen und darauf hinweisen, wie ein weißer Mann auf eine Insel geht, dort sein Territorium beansprucht und später Menschen tötet oder versklavt und an Handelsgesellschaften weiterverkauft, weil die vorgeblich "wilden Menschen" Analphabeten sind, die leider ihr eigenes Gebiet und ihre Menschlichkeit nicht mit Grundbesitzverträgen und Pässen bei den Ämtern des British Empire nachweisen können.

Aus literaturwissenschaftlicher Sicht erinnert mich die gesamte Diskussion an den Streit zwischen Realismus-Autoren im aufkommenden Positivismus während der Industrialisierung (langes 19. Jahrhundert) auf der einen Seite und den Autoren der Moderne auf der anderen Seite. Bei den einen Autoren liest man dann bis ins Detail die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft, was im Fall Charles Dickens auch Auswirkungen auf Gesetzgebungen hatte, um die sozialschwachen Schichten besser zu stellen. Bei den anderen Autoren verwandelt sich dann ein Mensch in ein Insekt oder verschiedene Wahrnehmungsebenen oder surreale, nicht mit der Realität in Eintracht stehende Elemente werden auf einmal wichtig. Im postmodernen Text geht das Ganze dann soweit, dass der Erzähler selbst nicht mehr die Wahrheit sagen muss. Verzerrte Erinnerungen, unzuverlässiges Erzählen, alles kann erfunden sein, Wahrheit und Lüge verhäkeln sich zu einem Seemannsgarn, das so gut gemacht ist, dass kaum noch jemand weiß, was man an solchen Romanen ernst nehmen kann, was feinsinnige Ironie oder gar Provokation oder bewusster Versuch zur Manipulation ist.

Ich möchte damit niemandem auf den Schlips treten, sondern lediglich den Blick in eine Zukunft geben, in der sich zwei große Richtungen feindlich gegenüberstehen könnten. Auf der einen Seite der 'literarische Sensibilismus', der jeden Text hypermoralisch und politisch korrekt antastet, und bei dem leisesten Wehwehchen des tausendsten Testlesers sofort umschreibt und alles brav und devot und sittlich macht. Prädikat wertvoll - Literatur, gewinnt jedes Jahr dann den Preis für Pädagogik, kultureller Vermittlung, Menschenrechte, Humanismus und blah blah. Aber in der Masse wird es kaum gelesen und geht irgendwie irgendwo unter. Auf der andere Seite der 'literarische Anarchismus', bei dem die Leute über das Schreiben, worauf sie Lust und Laune haben. Im Prosastil werden sich dort Fäkalworte und Umgangssprache finden und Handlungen und Charaktere werden den Vorlieben und Launen, nicht dem Idealbild der sittlichen Soziallehrerin unterworfen. Anstatt überbetont Rücksicht zu nehmen, gewinnt die Trump-Methode. Wenn alle verunsichert sind und ihre Texte in Watte packen, gewinnt eben derjenige, der mit der literarischen Kettensäge derbe draufhaut, der sich nicht zurücknimmt und versucht, an Vorgaben zu halten. Wenn die Fronten richtig hart werden, kommt der Krieg der "social justice warriors" oder "they/them sensibility minority" (der erste Begriff wird ja mittlerweile leider als Beleidigung verwendet) gegen die Rüpel. Und dazwischen werden wieder einige versuchen, die moderate Mitte zu finden. (Man kann das Ganze vom Kontext Literatur als Spiegel der Gesellschaft auch auf die Gesellschaft rückprojezieren, das heißt, in der Politik wird der Grabenkampf zwischen extrem rechts und extrem links ebenfalls eine neue ruhige Mitte schaffen). Zwar wird es für jeden Autoren ein Gewinn sein, sich mehr mit Anthropologie, Empathie, Stereotypen, Minderheiten, Klischees und toxischen Formen wie Misogynie oder kultureller Rassismus zu beschäftigen - das Eigene Menschliche im Anderen Menschlichen zu sehen (wo wir dann bei Schopenhauers Mitleids-Ethik wären), was mehr Humanismus, Frieden und Völkerverständigung bringt, aber noch ist es komplett ungewiss, ob diese neuen Denkanstöße und Aufforderungen zum Handeln irgendetwas bewerkstelligen. Ich für meinen Teil wäre schon froh, wenn wir mit den alltäglichen Geschlechterrollenbildern aufhören könnten. Von wegen Mann hat keine Ahnung von Hausarbeit und Erziehung, haha, witzig, nicht. Oder Männer können alles, Frauen machen was mit Kleidung, Design und Beauty. Wenn wir es schon nicht schaffen, die Stereotype der heterosexuellen Mehrheit zu begraben, warum sollten dann die Anregungen und Einflüsse von Minderheiten einen Einfluss auf Literatur haben? Am Ende wollen die Leute ihre Liebesschnulzen mit psychologischem Missbrauch wie in Twilight oder Action, Krieg und blutrünstiges Gemetzel gegen irgendwen, um Spannung zu erzeugen. Wurden nicht erst unlängst in Game Of Thrones viele Charaktere zur Belustigung der Zuschauer getötet, um den extra Kick zu erzeugen? Von wegen sensibel, eher Colosseum, Daumen hoch oder runter.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 16. September 2019, 04:13:58
Zitat von: Alana am 12. September 2019, 16:51:01
Diese Erklärung und auch die auf der Seite genannten Tropes lassen sich 1 : 1 auf Unterhaltungsliteratur übertragen. Der Begriff kommt aus dem Englischen.

Dort steht in Wikipedia das dazu drin:
https://en.wikipedia.org/wiki/Trope_(literature)

weicht nicht so sehr von der literarischen deutschen Bedeutung ab.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 16. September 2019, 11:45:59
Zitat von: canis lupus niger am 14. September 2019, 09:59:19
Aus diesem Grund halte ich es für verfehlt, nur über politisch korrekt handelnde, denkende und aussehende Menschen/Wesen in einer politisch korrekten Welt zu schreiben. Das wäre nicht nur sterbenslangweig, sondern auch sinnlos. Erstens gibt es solche Menschen nicht, und zweitens kann man anhand dieser charakterlosen Charaktere nicht erkennen und werten lernen, ob sich jemand nachvollziehbar, richtig oder falsch verhält.

Das hat auch niemand jemals gefordert. Es geht nicht darum, dass Figuren keine Fehler mehr haben und keine Rassisten mehr sein dürfen, aber es gibt einen Unterschied zwischen der Botschaft, die die Geschichte an sich vermittelt und der Einstellung der Figuren. Paulette ist zum Beispiel ein Film, in dem die Protagonistin am Anfang eine ganz üble Rassistin ist, aber das wird vom Film selbst immer als eine ihrer Schwächen dargestellt. Wir sehen, wie nett ihr Schwiegersohn zu ihr ist und wie süß ihr Enkel. Später ändert sie ihre Einstellung. Der Film selbst positioniert sich eindeutig gegen Rassismus, obwohl die Figur selbst Rassistin ist.

Zitat von: canis lupus niger am 14. September 2019, 09:59:19
Natürlich enthalten auch die besten Geschichten (und damit meine ich nicht meine eigenen) Klischees und Vorurteile. Wie sollten sie das nicht? Vor allem, wenn sie erklärtermaßen aus alten Sagen und Mythen antiker Kulturen erschaffen wurden, die ja die Essenz der Vorstellungen dieser Völker sind, müssen sie ja auch die antiken Werte dieser Kulturen widerspiegeln. Wer hätte sich nicht schon einmal über die pseudo-emanzipierten Frauen aus pseudomittelalterlichen "Beruf*innen"-Romanen geärgert?

Ich würde da entschieden widersprechen. Geschichten müssen nicht die Klischees und Vorurteile reproduzieren, die in unserer Gesellschaft vorherrschen, wir sind durchaus in der Lage, sie zu vermeiden und zu umgehen. Und ich muss dafür auch nicht die Geschichte umschreiben, denn es gab auch in früheren Zeiten interessante Frauenfiguren. Elisabeth I. war zum Beispiel eine spannende Person in einer Zeit geprägt von Frauenfeindlichkeit. Ich könnte entweder direkt über sie schreiben oder aber ich orientiere mich beim Schreiben an sie. Den Sexismus der Zeit kann ich durchaus darstellen, ohne ihm Recht zu geben. Ich kann ihn vielmehr zu hinterfragen und darstellen, warum Sexismus ein Problem in dieser Zeit war.

Ich kann Vorurteile und Klischees vermeiden, aber dafür muss ich mir ihrer erstmal bewusst werden. Und genau deshalb reden wir hier ja auch darüber, am Beispiel von Tolkien und seinen Orks, weil es uns sonst kaum möglich sein wird, diese Vorurteile bei uns selbst zu erkennen und zu vermeiden.

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 16. September 2019, 12:00:21
Aber was ist, wenn ich Vorurteile und Klischees gar nicht vermeiden möchte?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 16. September 2019, 12:27:10
Was willst du mit den Klischees und Vorurteilen denn beim Leser erreichen?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 16. September 2019, 13:12:15
Das kann ich Dir nicht im luftleeren Raum beantworten. Aber Vorurteile sind ein wichtiger Teil von Entscheidungen und Entscheidungen sind wichtig fürs Plotten. Das Arbeiten mit Klischees ist ein wichtiger Teil des schriftstellerischen Handwerks, mit dem man wahre Wunder bewirken kann. Damit arbeiten sehr viele Schreiber, nicht nur Nobelpreisträger. Ich sehe im Augenblick keinen Grund auf solche Basiselemente auf einmal zu verzichten.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 16. September 2019, 13:49:41
Meinem Verständnis nach ist da in dieser Diskussion auch niemand anderer Meinung. Aber vielleicht verstehe ich auch nicht, worauf du hinaus willst. Oder andere Antwort: es gibt kein objektives darf ich oder darf ich nicht, sondern nur entspricht meinen Ansprüchen oder nicht.
Und es fordert niemand darauf zu verzichten, sondern nur diese Elemente gezielt zu nutzen.

Ich persönlich weiß auch im luftleeren Raum, dass die Botschaften und Prämissen meiner Geschichten niemals Aussagen sollen, dass irgendein unreflektierter -ismus etwas gutes bewirkt oder das Ungerechtigkeiten weiter verfestigt werden sollen.

Wie und womit ich das ausgestalte, spielt für diese moralische Entscheidung doch keine Rolle.
Es muss nur gar nicht immer so plakativ mig pädagogischem Zeigefinger sein. Musterunterbrechungen bewirken auch schon viel. Aber leiser und unbewusster. Vielleicht gerade deswegen aber noch viel stärker.

Wenn ein Kind viele Geschichten liest, in denen die Mutter das Geld verdient und der Vater den Haushslg schmeißt, wird es das für normaler halten als eines, das nur 50er Jahre Rollenklischees liest.

Seit ich in Köln lebe, wo queere Paare allgegenwärtig sind, spreche ich anders mit Menschen, wenn es um die Frage nach Lebenspartner*innen geht. Und erlebe, dass ich plötzlich anfange darüber nachzudenken, was welche Bilder bei dem anderen auslösen könnte.
Wenn ich von "meiner Freundin" gesprochen habe, hätte ich früher niemals darüber nachgedacht, dass jemand da eine Partnerschaft hinter vermuten könnte. Bei den Jungs hab ich aber immer schon "kumpel" oder "bester Freund" gesagt, um präzise zu sein. Für Frauen muss ich da noch ein wording finden, dass sich für mich stimmig anfühlt. Das hat reine Repräsentation andere Muster als meiner eigenen bewirkt.
Und im echten Leben kann die einfache Frage "und gabs da nette/attraktive Jungs oder Mädels?" für eine Jugendliche vieles verändern. Respektive andersrum gedreht. Dasselbe kann ich mit veränderten Klischees im unbewussten Rassismus bewirken. Sofern ich das halt will.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 16. September 2019, 14:19:59
Zitat von: Trippelschritt am 16. September 2019, 13:12:15
Das kann ich Dir nicht im luftleeren Raum beantworten. Aber Vorurteile sind ein wichtiger Teil von Entscheidungen und Entscheidungen sind wichtig fürs Plotten. Das Arbeiten mit Klischees ist ein wichtiger Teil des schriftstellerischen Handwerks, mit dem man wahre Wunder bewirken kann. Damit arbeiten sehr viele Schreiber, nicht nur Nobelpreisträger. Ich sehe im Augenblick keinen Grund auf solche Basiselemente auf einmal zu verzichten.

ZitatIn der sozialpsychologischen Literatur bezeichnet man als Vorurteil eine negative oder positive Haltung gegenüber Personen, Gruppen, Objekten oder Sachverhalten, die weniger auf direkter Erfahrung als vielmehr auf Generalisierung beruht. Die Mehrzahl bestehender Vorurteilsdefinitionen konzentriert sich auf Vorurteile negativen Inhalts, da diese eher als positive Vorurteile schädigende Wirkung nach sich ziehen.

Quelle: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/vorurteile/16528

Vorurteile sind vor allem dann wichtig für Entscheidungen, wenn diese schnell getroffen werden müssen. Die Assoziation Spinne = Gefährlich lässt mich zurückschrecken, bevor ich den Reiz bewusst verarbeitet habe, weil eine Reaktion in einer Gefahrensituation sonst zu lange dauern würde. Die Sekunden, die ich da verlieren würde, können mich sonst das Leben kosten. Es geht darum, Kapazitäten zu sparen und Entscheidungen zu vermeiden, bei denen ich viel nachdenken muss. Generalisierungen sind sozusagen Abkürzungen, die es mir ersparen, alle Details in Erwägung zu ziehen. Das ist aber eben auch von Fehlern behaftet. Ich schrecke nicht nur vor Spinnen zurück, sondern auch vor Haarbüscheln, die sich nach dem Waschen in meiner Kleidung verfangen haben und beim Falten manchmal aus dem Augenwinkel wie Spinnen aussehen. Ich treffe Annahmen über eine konkrete Person nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Geschlecht/Hautfarbe/Sexualität/Beruf/Herkunft/Kleidung), obwohl diese auch falsch sein könnte.

Aber gerade beim Plotten verstehe ich dann nicht, warum Vorurteile und Klischees nicht eher hinderlich sein sollten. Eigentlich wäre es doch eher wünschenswert für mich, alle Details in Erwägung zu ziehen und keine schnelle und spontane aber dafür weniger durchdachte und mit mehr Wahrscheinlichkeit mit Fehlern behaftete Entscheidung zu treffen. Gerade wenn ich mich bei meinem Plot an Klischees und Vorurteilen orientiere, riskiere ich doch zusätzlich, dass mein Plot und meine Figuren vorhersehbar und generisch wirken, was ich doch eigentlich vermeiden will. Niemand will noch einen klischeehaften ehrenhaften Krieger lesen, wohl aber einen ehrenhaften Krieger, der darüber hinaus noch interessante Alleinstellungsmerkmale besitzt, die ihn von der Masse an anderen ähnlichen Figuren abheben.

Vor allem geht es hier auch um Vorurteile, die konkreten Schaden anrichten. Tolkiens Orks existieren nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einer Gesellschaft, in der Rassismus eben existiert und Menschen konkret schadet. Es geht darum, Stereotypen zu erkennen und dann darüber nachzudenken, welche Wirkung sie in der realen Welt haben. Das Vorurteil, dass Studenten nicht kochen können, schadet echten Studenten wenn dann nur sehr begrenzt, aber das sexistische Vorurteil, dass Frauen besser darin sind, sich um Kinder oder andere Menschen zu kümmern und Männer nicht dazu imstande sind, hat ganz konkrete negative Folgen für beiderlei Geschlechter (Frauen werden in die Rolle der Pflegerinnen gedrängt, wenn es um ältere Familienangehörige und Kinder geht, was sich negativ auf ihre Berufschancen auswirkt und wiederum zu finanziellen Nachteilen und finanzieller Abhängigkeit führt, wenn sie sich eher um ihre Karriere kümmern wollen, werden sie als Rabenmütter beschimpft, gleichzeitig werden Männer, die sich eher in dieser Rolle wohlfühlen und zu Hause bleiben, um sich um ihre Kinder zu kümmern, belächelt und ausgelacht, nicht als echte Männer gesehen und weniger ernst genommen). Solche Vorurteile trotzdem bewusst und unreflektiert zu reproduzieren ist dann eben einfach sexistisch.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Rosentinte am 16. September 2019, 14:21:30
Edit: Mondfräulein war schneller und hat besser auf den Punkt gebracht, was ich sagen wollte. Ich schließe mich vollumfänglich an.

Zitat von: Trippelschritt am 16. September 2019, 13:12:15
Das kann ich Dir nicht im luftleeren Raum beantworten. Aber Vorurteile sind ein wichtiger Teil von Entscheidungen und Entscheidungen sind wichtig fürs Plotten. Das Arbeiten mit Klischees ist ein wichtiger Teil des schriftstellerischen Handwerks, mit dem man wahre Wunder bewirken kann. Damit arbeiten sehr viele Schreiber, nicht nur Nobelpreisträger. Ich sehe im Augenblick keinen Grund auf solche Basiselemente auf einmal zu verzichten.
Das darf natürlich jede*r so halten, wie sie*er will. Es geht auch nicht darum, plötzlich mit sämtlichen Klischees zu brechen, sondern, wie Anjana sagt, einen kreativen Umgang damit zu finden. Es gibt auch Romane, die das nicht tun. Als extrem zugespitztes Beispiel könnte man da die Arztromane nennen, die extrem stark Klischees und Stereotype nutzen. Das ist für mich persönlich weder etwas, was ich schreiben, noch lesen will. Aber es gibt ja offenbar immer noch ein Publikum dafür und Menschen, die das schreiben. Ich glaube, was man sich bewusst machen sollte, ist, dass man sich mit den Stereotypen, denen man sich bedient, auch ggf. gleichzeitig nur einem bestimmten Publikum zuwendet. Wenn das eine bewusste Entscheidung ist, will ich das niemandem absprechen. Aber dann will ich mich auch bewusst dagegen entscheiden können, so etwas zu lesen. Natürlich bin ich nicht representativ für irgendeine Menge an Leuten. Aber mein Eindruck ist, dass gerade in den jüngeren Generationen (natürlich aber auch nicht nur) das Bewusstsein für diese schön genannten "-ismen" wächst. Diese Gruppe wird sich vermutlich eher kritisch zu Romanen positionieren, die solche "-ismen" unreflektiert verbreiten. Aber wie schon gesagt, das ist dann eine bewusste Entscheidung darüber, welche Zielgruppe man bedienen will.

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 16. September 2019, 22:08:59
Mhm... und wo fängt für euch reflektierter Umgang mit Stereotypen und Tropes an? Ich muss @Mondfräulein insofern widersprechen, als dass ich sicher bin, ziemlich stereotype Charaktere existieren noch immer recht frequentiert als Statisten oder unwichtige Nebencharas mit wenig ,,Screentime" in Romanen. Wenn ein Charakter nicht viel Platz hat und der Leser ihn ohne viel Erklären einschätzen können soll, sind Klischees sehr nützlich. Und ein nahezu statistenhafter Chara, um den es in meiner Geschichte nun mal nicht geht, soll den Leser ja auch nicht überraschen - dass würde den Plot meiner hoffentlich sehr viel komplexeren und tiefgründigeren Protagonisten nur stören, wenn JEDER Chara in einem Roman auf einmal eine eigene Agenda hätte, könnte man ja gar keine kohärente Story mehr schreiben, das wäre einfach nur konfuses Wirrwar...

Ich würde sagen, man kann über den konkreten Fundus dieser ,,Statistenschablonen" streiten. Geschichten die in der Realität spielen haben verletzende Schablonen wie etwa den geizigen Juden mittlerweile ja ohnehin verworfen. Über die immanente Nützlichkeit und Notwendigkeit dieser Schablonen fürs Schreiben besteht für mich aber kein Zweifel. Ich erinnere mich nämlich an keinen Roman, der sie nicht in irgendeiner Form gebraucht hätte... Die Diskussion kann für mich persönlich realistischerweise nur um das Handhaben bestimmter Schablonen, nicht über die Schablonen selbst geführt werden. Ob man nun auch in der Fantasy alle fantastischen Charakter oder Rassenschablonen verbieten will, die menschliche Denkweisen darstellen oder vielleicht befördern könnten, die wir für schlecht halten... dass ist vielleicht eher die Frage. Und das erinnert mich Wiederrum seeeeehr an die Don Quijote Diskussion, die ich ab und an mit einem Freund führe. Er beklagt sich vor allem darüber, das junge Mädchen (angeblich durch Liebesromane a la Twilight) sehr ungesunde Erwartungen an ihre späteren Beziehungen und Freunde haben... Tja und ich sage ihm immer nur, ich gehe davon aus, dass meine Leser selbständig denkende, reflektierte Menschen sind, die sehrwohl zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Auf Menschen die das nicht können, kann ich leider in der Form, wie ich Kunst betreibe, keine Rücksicht nehmen, denn meine Geschichten sind definitiv kein Guide für moralische Lebensweise, das ist Game of Thrones ja auch nicht. Die ganze Geschichte könnte schließlich gemessen an unseren heutigen Moralvorstellungen überhaupt nicht existieren und das fände ich sehr schade. Ich genieße solche Geschichten, die die menschliche Natur wholesale abbilden, die guten wie die schlechten Seiten. Ich will wenn ich etwas lese keine aufpolierte Utopie von einer handzahmen Fiktion des Menschen lesen, die es in der Realität ohnehin niemals geben wird. Ich möchte Geschichten mit diesem ,,alten, urtümlichen" Feeling lesen, die dieselben Punkte berühren, wie die alten Mythen – so wie das auch Mittelerde gemacht hat. Mag sein, dass die Orks stereotyp sind, mag sein, dass es nicht einmal reflektiert war. Ich übertrage den Umgang der fiktiven Charaktere Mittelerdes mit den Orks aber nicht auf meinen Alltag, ich genieße einfach eine Geschichte in ihrem jeweiligen Rahmen und das ist für mich alles. Solche Geschichten lese ich gerne, solche Geschichten schreibe ich – rezipieren auf eigene Gefahr. Ich traue meinen Lesern durchaus zu, genau wie ich den Schnitt zwischen Fiktion und Realität mitzumachen. (Und an "unterschwelligen psychologischen Bias" durch solche Geschichten glaube ich aufgrund fehlender wissenschaftlicher Belege nicht.)
Da muss aber jeder seine eigene literarische Position finden, mit der er sich wohlfühlt, denke ich. Und es ist natürlich, wie man sieht auch eine Frage persönlicher Vorlieben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 16. September 2019, 22:51:49
Zitat von: Schneerabe am 16. September 2019, 22:08:59
Er beklagt sich vor allem darüber, das junge Mädchen (angeblich durch Liebesromane a la Twilight) sehr ungesunde Erwartungen an ihre späteren Beziehungen und Freunde haben... Tja und ich sage ihm immer nur, ich gehe davon aus, dass meine Leser selbständig denkende, reflektierte Menschen sind, die sehrwohl zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Auf Menschen die das nicht können, kann ich leider in der Form, wie ich Kunst betreibe, keine Rücksicht nehmen, denn meine Geschichten sind definitiv kein Guide für moralische Lebensweise, das ist Game of Thrones ja auch nicht. [...] Ich traue meinen Lesern durchaus zu, genau wie ich den Schnitt zwischen Fiktion und Realität mitzumachen. (Und an "unterschwelligen psychologischen Bias" durch solche Geschichten glaube ich aufgrund fehlender wissenschaftlicher Belege nicht.)

Wissenschaftlich gesehen (und dafür gibt es tatsächlich Belege, die kann ich morgen irgendwann gerne raussuchen) funktioniert genau das aber nicht. Geschichten ändern nachweislich die Einstellungen der Leser*innen, ein unterschwelliger Bias existiert definitiv (das ist wirklich wahnsinnig gut belegt, ich weiß nicht, wovon du da redest) und Geschichten ändern Einstellungen anders als sachliche Argumente, wodurch Leser*innen die präsentierten Argumente und Einstellungen weniger kritisch hinterfragen. Die Einstellungsänderung geschieht unbewusst, das hat alles nichts damit zu tun, schlau genug zu sein, zu erkennen, was real ist und was nicht. Gerade bei Einstellungen konträr zur eigenen Einstellung kann man Menschen durch Geschichten besser beeinflussen als durch sachliche Argumente. Dazu gibt es zahlreiche Studien.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 16. September 2019, 23:55:23
ZitatElisabeth I. war zum Beispiel eine spannende Person in einer Zeit geprägt von Frauenfeindlichkeit. Ich könnte entweder direkt über sie schreiben oder aber ich orientiere mich beim Schreiben an sie. Den Sexismus der Zeit kann ich durchaus darstellen, ohne ihm Recht zu geben. Ich kann ihn vielmehr zu hinterfragen und darstellen, warum Sexismus ein Problem in dieser Zeit war.

Mondfräulein, hast du bei diesem Satz auch mal daran gedacht, dass die Menschen damals ganz anders gedacht habe? Für die war das nicht Sexismus, sondern die natürliche Weltordnung. Aus der sich die Königin erhob,nicht, weil sie emanzipiert war, sondern weil sie als Königin von Gottes Gnaden mit entsprechender Abstammung und Macht für die damalige Bevölkerung eben nicht als normale Frau zählte?
Elisabeth wollte keine Frauen emazipieren. Sie wollte regieren und erwartete von anderen Frauen, dass sie ganz brav den Platz einnahmen, den die Gesellschaft ihnen zuwies. Würde ich also modernes Gedankengut in ein Buch über Elisabeth geben, würde ich ihre Figur verfälschen. Und wenn ich in damaligem Denken Sexismus sehe und das so ausdrücke, würde Elisabet selbst, wenn sie einmal hereinschauen könnte, vermutlich am allermeisten erstaunt sein.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 17. September 2019, 00:11:13
Zitat von: FeeamPC am 16. September 2019, 23:55:23
ZitatElisabeth I. war zum Beispiel eine spannende Person in einer Zeit geprägt von Frauenfeindlichkeit. Ich könnte entweder direkt über sie schreiben oder aber ich orientiere mich beim Schreiben an sie. Den Sexismus der Zeit kann ich durchaus darstellen, ohne ihm Recht zu geben. Ich kann ihn vielmehr zu hinterfragen und darstellen, warum Sexismus ein Problem in dieser Zeit war.

Mondfräulein, hast du bei diesem Satz auch mal daran gedacht, dass die Menschen damals ganz anders gedacht habe? Für die war das nicht Sexismus, sondern die natürliche Weltordnung. Aus der sich die Königin erhob,nicht, weil sie emanzipiert war, sondern weil sie als Königin von Gottes Gnaden mit entsprechender Abstammung und Macht für die damalige Bevölkerung eben nicht als normale Frau zählte?
Elisabeth wollte keine Frauen emazipieren. Sie wollte regieren und erwartete von anderen Frauen, dass sie ganz brav den Platz einnahmen, den die Gesellschaft ihnen zuwies. Würde ich also modernes Gedankengut in ein Buch über Elisabeth geben, würde ich ihre Figur verfälschen. Und wenn ich in damaligem Denken Sexismus sehe und das so ausdrücke, würde Elisabet selbst, wenn sie einmal hereinschauen könnte, vermutlich am allermeisten erstaunt sein.

Damit hast du natürlich vollkommen Recht, aber es widerspricht nicht dem, was ich gesagt habe. Gerade das macht Elisabeth doch zu einer sehr spannenden Figur, anhand derer ich unter anderem das Frauenbild der Zeit reflektieren könnte. Gerade ihren Standpunkt kann man in Kontrast mit ihrer Rolle setzen. Elisabeth muss ja nicht verstehen, dass Sexismus schlecht ist, sondern nur die Leser*innen. Ich kann hinterfragen, ich kann die negativen Konsequenzen aufzeigen. Dafür muss ich Elisabeth kein modernes Gedankengut auf die Zunge legen, aber ich werde nicht darum herum kommen, das moderne Gedankengut in die Geschichte selbst einfließen zu lassen, weil Leser*innen sie unweigerlich durch die Linse unserer heutigen Zeit lesen werden. Nur weil die Rollenverteilung den Menschen damals als natürliche Weltordnung vorkam, muss sich die Geschichte nicht auch auf ihre Seite stellen. 
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Coppelia am 17. September 2019, 05:56:06
Dazu lohnt sich auch Schillers "Maria Stuart", finde ich.

ZitatAber mein Eindruck ist, dass gerade in den jüngeren Generationen (natürlich aber auch nicht nur) das Bewusstsein für diese schön genannten "-ismen" wächst. Diese Gruppe wird sich vermutlich eher kritisch zu Romanen positionieren, die solche "-ismen" unreflektiert verbreiten. Aber wie schon gesagt, das ist dann eine bewusste Entscheidung darüber, welche Zielgruppe man bedienen will.
Dazu noch mal: Aus meiner Zeit als Lehrerin habe ich definitiv nicht den Eindruck. Weil mir einige Themen sehr am Herzen lagen, habe ich häufiger Stunden mit entsprechendem Schwerpunkt gehabt wie z. B. das Hinterfragen von Rollenbildern. Selbst bei jüngeren Kindern waren diese Bilder schon sehr verankert, und es fiel ihnen häufig sehr schwer, die Probleme dahinter zu sehen. Ich habe mich auch immer bemüht, die noch sehr traditionellen Denkstrukturen bezüglich Partnerschaften zu durchbrechen, die im Schulstoff oft vorhanden waren. Manche Klassen haben das recht gut angenommen, aber andere waren dadurch verwirrt.
Genau das ist ein Grund, in dieser Richtung weiterzumachen. Durch geschriebene Texte wird man aber die meisten Kinder schlecht erreichen, weil sie einfach nicht lesen (und das auch in früheren Zeiten nicht getan haben). Streamingdienste und Computerspiele sind hier auch in der Verantwortung.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 17. September 2019, 06:09:50
Zitat von: Mondfräulein am 17. September 2019, 00:11:13
Gerade das macht Elisabeth doch zu einer sehr spannenden Figur, anhand derer ich unter anderem das Frauenbild der Zeit reflektieren könnte. Gerade ihren Standpunkt kann man in Kontrast mit ihrer Rolle setzen. Elisabeth muss ja nicht verstehen, dass Sexismus schlecht ist, sondern nur die Leser*innen. Ich kann hinterfragen, ich kann die negativen Konsequenzen aufzeigen. Dafür muss ich Elisabeth kein modernes Gedankengut auf die Zunge legen, aber ich werde nicht darum herum kommen, das moderne Gedankengut in die Geschichte selbst einfließen zu lassen, weil Leser*innen sie unweigerlich durch die Linse unserer heutigen Zeit lesen werden. Nur weil die Rollenverteilung den Menschen damals als natürliche Weltordnung vorkam, muss sich die Geschichte nicht auch auf ihre Seite stellen.

Aber Du merkst doch wohl schon, dass Du die ganze Zeit vorschlägst, worüber wie geschrieben werden sollte. Dass allerdings liegt allein in der Verantwortung des jeweiligen Autors. Wenn Du eine solche Geschichte über Elisabeth haben möchtest, wobei mir klar ist, dass diese Figur nur ein Beispiel von dir ist, dann würde ich empfehlen, selbst eine entsprechende Geschichte zu schreiben. Im kommenden Nano vielleicht?

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 17. September 2019, 06:32:08
Ich habe den Eindruck, dass in der Diskussion aktuell zwei Dinge vermischt werden.

Soll eine Geschichte heutzutage eine utopische Menschheit darstellen, der Sexismus, Rassismus, Mobbing etc. pp. völlig fremd sind, weil sonst irgendjemand verletzt bzw. negativ beeinflusst werden könnte? Ich denke, dass die Antwort hierauf eindeutig "nein" lauten muss, denn ohne Konflikte zwischen Menschengruppen, auch gravierender Art, fehlt es an Konflikten. In einer Fantasywelt müssen diese aber nicht eins zu eins die reale Situation heute oder in der Vergangenheit abbilden, sondern können sich anders äußern, dies erfordert dann aber ein gewisses Maß an Reflexion zu diesen Problematiken.
Ich glaube auch nicht, dass es wirklich nötig ist, als Autor ein Neonschild "das ist böse" dazuzuschreiben, solche Darstellungen, wo der Antagnoist ein homophober, rassistischer Sexist ist, gehen mir eher auf die Nerven. Wenn die Auswirkunen dieser Denkweisen realistisch beschrieben werden, traue ich den meisten Lesern durchaus zu, beurteilen zu können, dass dies nicht die Vorstellung des Autors vom moralisch Richtigen widergibt.
Ehrlich gesagt sehe ich da eine Normalisierung eher beim Rassismus als beim Sexismus, denn letzterer kommt deutlich öfter als normale und natürlich Weltordnung rüber, wo es vielleicht die eine Heldin gibt, die anders ist als die anderen Frauen, aber kein grundsätzliches Hinterfragen. Da würde ich mir gelegentlich andere Herangehensweisen wünschen.

Der zweite Inhalt des Diskussion ist aber ein anderer. Ist es heute noch legitim, rassistische Stereotype zu verwenden, um antagonistische Nebenfiguren schnell zu charakterisieren? Diese Frage würde ich klar mit "nein" beantworten und ich kann mir aktuell auch keine Geschichte vorstellen, wo ich unbedingt eine Nebenfigur bräuchte, die an einen "geizigen Juden" erinnert. Selbst wenn man eine negative Schnellcharakterisieriung möchte, geht dies ja auch problemlos ohne irgendwelche schädlichen Klischees gegen reale Menschen zu reproduzieren. Ich persönlich ziehe aber sowieso Geschichten vor, die implizieren, dass jeder seine eigene Geschichte hat, auch wenn die bei den Nebenfiguren natürlich nicht ausgearbeitet sein kann.
Eine zweite Frage in diesem Themenkomplex ist folgende: Ist es legitim, eine reale Gruppe, die als feindlich empfunden wird, als Inspiration für Antagonisten zu nutzen? Die Antwort hierauf ist deutlich schwieriger, meine sind teilweise schon in gewisser Weise von IS und Co inspiriert, aber ich achte darauf, dass es auch ausreichend große Unterschiede gibt und am Ende ähneln sich die Verhaltensweisen von skrupellosen Kriegsparteien immer wieder.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 17. September 2019, 09:12:48
Sie müssen sich zwangsläufig ähneln, weil das sozusagen die Programmierung der Species Mensch ist. Eine Programmierung, die wir anscheinend nur zum Teil und nur zeitlich begrenzt durchbrechen können und die immer wieder aufflackert.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 17. September 2019, 10:32:45
Zitat von: Amanita am 17. September 2019, 06:32:08
Soll eine Geschichte heutzutage eine utopische Menschheit darstellen, der Sexismus, Rassismus, Mobbing etc. pp. völlig fremd sind, weil sonst irgendjemand verletzt bzw. negativ beeinflusst werden könnte?
Das hat doch niemand verlangt. Man kann *istische Charaktere schreiben, sogar als Helden, solange man in der Geschichte darüber reflektiert und es klar ist, dass dies nicht gutes Verhalten ist.  Ich hatte darüber vor zwei Wochen auch gebloggt (https://alpakawolken.de/istische-charaktere/), da ich genau das immer wieder verteidigt sehe. Denn ich kenne leider zu viele Geschichten, in denen Leser argumentieren, dass der *ismus eine Charakterschwäche sei - weil sie als Leser es halt sehen und nicht geil finden, die Geschichte aber per se mögen wollen - in denen die Geschichte es aber eben nicht so behandelt, weil sie unreflektiert ist.

Natürlich sind Charaktere *istisch, weil sie in einer *istischen Gesellschaft aufwachsen. Aber das ist ja eben die Sache. Es ist ein Unterschied ob man unreflektiert oder reflektiert dabei ist, diese Dinge darzustellen. Es kann sogar sehr interessant sein, diese Dinge in den eigenen Charakteren darzustellen, wenn es doch Sinn macht im Kontext der Geschichte. Meine Prota ist in den 80er Jahren in einer konservativen amerikanischen Familie aufgewachsen. Natürlich hat sie internalisierten Rassismus. Aber da die Geschichte in Südafrika spielt, ist die Mehrheit der Figuren auch BPoC und kann sich daran entsprechend stören. (Speziell ein Charakter fährt darüber mehrfach richtig hoch.) Meine Werwolfsgesellschaft derweil ist voller Sexismus. Aber genau das ist auch Absicht, um die Charaktere darüber reflektieren zu lassen.

Und das ist eben das wichtige. Dass reflektiert wird. Dafür sind Geschichten auch ein tolles Mittel. Aber es muss sowohl in der Geschichte, als auch durch di*en Autor*in reflektiert werden. Und das heißt eben auch ein wenig tiefer gehend ...

Zitat von: Amanita am 17. September 2019, 06:32:08
Die Antwort hierauf ist deutlich schwieriger, meine sind teilweise schon in gewisser Weise von IS und Co inspiriert, aber ich achte darauf, dass es auch ausreichend große Unterschiede gibt und am Ende ähneln sich die Verhaltensweisen von skrupellosen Kriegsparteien immer wieder.
Das hier wäre übrigens auch ein interessantes Thema zum drüber reflektieren. Ähneln sie einfach nur dem Stereotyp eines islamistischen Gotteskriegers oder ist das Thema einer Gesellschaft, die durch Interventionalismus einer großen Kriegsmacht soweit destabilisiert wurde, dass eine extremistische Gruppe, deren Kernphilosophie es ist, alles aus der Kultur dieser Kriegsmacht abzulehnen und zu verteufeln, mehr zulauf bekommt und so zu einer terroristischen Miliz werden kann, in die Geschichte inkludiert?

Denn kommen wir zu den Orks zurück ist eben das ja ein zentrales Problem. Orks haben selten berechtigte Probleme mit dem Status Quo. Orks sind zurückgebliebene Wilde, die einfach unbegründet böse sind. After Hours (möge die Show in Frieden Ruhen oder so) hatte dazu mal dieses schöne Video (https://www.youtube.com/watch?v=0kmUgRXzn_o) gemacht. Ja, das passt nicht zu Tolkiens Mythologie, doch als Gedankenexperiment fand ich es spannend. Es geht eben in dieselbe Richtung, wie mein Problem mit den "bösen Hyänen" in König der Löwen. Denn selbst als Kind und ohne Verständnis für möglicherweise rassistische Implikationen in der Darstellung, saß ich da: "Die armen Hyänen können doch nichts dafür. Wenn eine Gruppe in einem System hungern muss und jemanden kommt und ihnen verspricht das System zu ändern, ist es doch nicht verwunderlich, dass sie dem Folgen. Immerhin ist die Wahl letzten Endes Tod oder Folgen. Natürlich sehen sie Scar als Befreier!" (Ja, mich hat es mit 6 sehr fertig gemacht, dass die Hyänen böse sein sollten.)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Yamuri am 17. September 2019, 11:42:58
Ich glaube bei dem Thema ist Alanas Hinweis auf das richtige Zuhören ganz wichtig. Ich denke auch, dass hier eigentlich alle eine ähnliche Meinung haben, aber zeitweise andeinander vorbei geredet wird. Manchmal missversteht man etwas, weil man von einem best. Wort getriggert wurde und dann nicht mehr richtig weiter gelesen hat. Das ist glaub ich das Hauptproblem bei dem Thema.

Denn ich denke wir können uns alle auf den Konsens einigen: dass über schwere Themen geschrieben werden darf, dass auch bösartige Charas vorkommen dürfen, dass diese aus jeder Kultur stammen dürfen, aber dass wir eine differenzierte Darstellung wählen sollten und uns von Verallgemeinerungen jeglicher Art fernhalten.

Ich mochte homogene Darstellungen des Bösen noch nie. Das ist der Grund weshalb meine Antagonisten nie nur böse sind, zumindest hoffe ich, dass sie nicht als rein böse wahrgenommen werden. Und wenn Testleser einen Chara als nur böse wahrnehmen würden, würde ich darüber reflektieren wie ich das ändern kann. Denn ich mag dieses gut - böse Denken nicht. Jeder Mensch hat sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften. Zudem finde ich die Frage spannender: inwieweit der Zweck die Mittel heiligen darf, da das Böse auch aus gut gemeinten Ratschlägen und Zielen entstehen kann.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 17. September 2019, 12:01:52
Der Zweck heiligt die Mittel,
aber der Weg adelt das Ziel.

hat einer meiner Chars mal gesagt. Weiß aber nicht mehr welcher. ;)

Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 17. September 2019, 12:22:49
Zitat von: NelaNequin am 17. September 2019, 10:32:45
Das hat doch niemand verlangt. Man kann *istische Charaktere schreiben, sogar als Helden, solange man in der Geschichte darüber reflektiert und es klar ist, dass dies nicht gutes Verhalten ist.  Ich hatte darüber vor zwei Wochen auch gebloggt (https://alpakawolken.de/istische-charaktere/), da ich genau das immer wieder verteidigt sehe. Denn ich kenne leider zu viele Geschichten, in denen Leser argumentieren, dass der *ismus eine Charakterschwäche sei - weil sie als Leser es halt sehen und nicht geil finden, die Geschichte aber per se mögen wollen - in denen die Geschichte es aber eben nicht so behandelt, weil sie unreflektiert ist.

Das is wirklich ein sehr guter Artikel, dem ich nur zustimmen kann. Besonders wichtig finde ich den Punkt, dass es eben keine Schwäche ist, wenn die Figur sie nicht überwinden muss (oder scheitert, weil sie sie nicht überwinden kann) um ihr Ziel zu erreichen. Prinz Zuko (Avatar) ist immer ein gutes Beispiel für eine Figur, die als Antagonist beginnt und auf der guten Seite endet, aber das funktioniert bei ihm nur, weil er all die schädlichen Ideale, die er von seinem Vater übernommen hat, ablegen muss, bevor er sein Ziel erreichen kann. Sie stehen ihm im Weg. Eine sexistische Figur, die nur belächelt wird, wie in deinem Beispiel, ist schlecht umgesetzt. Gut funktionieren könnte aber eine sexistische Figur, die scheitert, weil sie keine Hilfe von Frauen annehmen will und erst zum Ziel kommt, wenn sie ihre sexistischen Ideen überwunden und abgelegt hat.

Es kommt am Ende eben darauf an, wie ich es mache, aber um es richtig zu machen, muss ich mir bewusst sein, welche Klischees in meiner Geschichte gerade vorkommen und welche Folgen sie haben, warum sie schädlich sind. Wichtig ist, welche Botschaft die Geschichte hat, mit welchem Gefühl sie die Leser*innen hinterlässt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 17. September 2019, 13:48:08
ZitatWissenschaftlich gesehen (und dafür gibt es tatsächlich Belege, die kann ich morgen irgendwann gerne raussuchen) funktioniert genau das aber nicht. Geschichten ändern nachweislich die Einstellungen der Leser*innen, ein unterschwelliger Bias existiert definitiv (das ist wirklich wahnsinnig gut belegt, ich weiß nicht, wovon du da redest) und Geschichten ändern Einstellungen anders als sachliche Argumente, wodurch Leser*innen die präsentierten Argumente und Einstellungen weniger kritisch hinterfragen. Die Einstellungsänderung geschieht unbewusst, das hat alles nichts damit zu tun, schlau genug zu sein, zu erkennen, was real ist und was nicht. Gerade bei Einstellungen konträr zur eigenen Einstellung kann man Menschen durch Geschichten besser beeinflussen als durch sachliche Argumente. Dazu gibt es zahlreiche Studien.

Das man anders mit Informationen in Geschichten als in Sachtexten umgeht bestreite ich nicht. Aber nur weil wir Game of Thrones gelesen haben, erschießen wir unseren Vater nicht mit einer Armbrust auf der Toilette, das ist alles worauf ich hinaus will und mir ist wissenschaftlich eben auch nichts bekannt, in dem gegenteilige Ergebnisse zu solch drastischen Sachlagen vorgestellt werden. Es mag daran liegen das ich Bias in diesem Zusammenhang sehr viel drastischer als sagen wir "bias leute umzubringen" verstanden habe und da ist die Differenz zwischen Realität und Fiktion für mich einfach zu gewaltig, als dass ich mir vorstellen könnte, dass wir solche fiktiven Verhaltennsweisen in unser tägliches Leben adaptieren können... Und gerade bei Fantasy Geschichten mit eigener Welt sehe ich noch mal eine zusätzliche Hürde darin propagierte Handlungsweisen in die eigene Realität zu übernehmen, denn nur weil jemand im Mittelalter mit einem Mord davonkommt muss ich es ja in meiner heutigen Welt nicht tun - nur weil jemand in einem fiktiven Universum Menschen diskriminieren darf und damit durchkommt, gilt das auch nicht für mich in der Realität. Ich glaube schon dass die Tatsache, dass solche Geschichten in einer anderen Welt spielen, nochmal einen Unterschied bei der Rezeption machen. Wenn du Studien speziell für Fantasy Texte hast würden die mich auf jeden Fall interessieren, ich sehe da aber einfach eine recht große Hürde solche Verhaltensweisen zu übernehmen, wenn sie in einer Welt stattfinden, die sehr verschieden von unserer ist. Aber ich lasse mich auch gern widerlegen wenn es Studien zu Fantasy-Romanen gibt ich bin auch nicht sonderlich beschlagen in Gebiet.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 17. September 2019, 14:36:47
Nein, niemand erschießt deshalb jemanden und ich habe auch nicht behauptet, dass die Darstellung von Gewalt dann auch wirklich zu Gewalt führt. Aber die Einstellungen gegenüber Minderheiten in einem Fantasy-Setting, die auf das reale Leben übertragen werden können, werden von den Rezipient*innen übernommen und haben dann zwar andere Folgen als in der Geschichte selbst, aber durchaus immer noch negative Folgen.

Speziell mit Fantasy-Romanen wirst du wahrscheinlich nicht so viel finden, weil die meisten Studien eher mit Kurzgeschichten oder kürzeren Auszügen arbeiten. Mahood und Hanus (2017) haben mit Fallout 3 gearbeitet, ich glaube aber, sie haben nicht explizit Einstellungsänderungen untersucht, wohl aber Transportation und der Zusammenhang zwischen Transportation und Einstellungsänderung ist gut erforscht (die Studie ist trotzdem spannend). Die Ergebnisse, die es zu nicht-Fantasy Medien gibt, müssten aber auch auf Fantasy übertragbar sein, wenn man beachtet, dass nicht alle Einstellungen kompatibel sind. Ich werde wohl nicht die Einstellung übernehmen, dass es gut ist, seinen Vater zu erschießen, aber wenn in einem Fantasy-Roman alle Frauen generell als schwächer als Männer dargestellt werden, dann sehe ich keinen Grund, warum ich nicht in dieser Einstellung genauso geprägt werden sollte wie von einem nicht-Fantasy-Roman. Auf der anderen Seite können Geschichten aber auch nachweislich Vorurteile abbauen und ich sehe keinen Grund, warum eine homosexuelle Figur in einem Fantasy-Roman nicht genauso Vorurteile gegenüber homosexuellen Menschen abbauen könnte wie in einem nicht-Fantasy-Roman.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 17. September 2019, 14:52:55
Zitat von: Mondfräulein am 17. September 2019, 12:22:49
Es kommt am Ende eben darauf an, wie ich es mache, aber um es richtig zu machen, muss ich mir bewusst sein, welche Klischees in meiner Geschichte gerade vorkommen und welche Folgen sie haben, warum sie schädlich sind. Wichtig ist, welche Botschaft die Geschichte hat, mit welchem Gefühl sie die Leser*innen hinterlässt.

Wenn ich eines hasse, dann Geschichten mit Botschaft. Glücklicherweise enthalten die meisten Geschichten keine, sodass ich da recht ungefährdet bin.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 17. September 2019, 15:03:58
Zitat von: Trippelschritt am 17. September 2019, 14:52:55
Wenn ich eines hasse, dann Geschichten mit Botschaft. Glücklicherweise enthalten die meisten Geschichten keine, sodass ich da recht ungefährdet bin.
Nenn mir eine Geschichte, ohne eine Botschaft. Mir ist bisher nämlich noch keine begegnet.

Alles in leben hat eine Botschaft. Nicht immer gleich laut. Nicht immer gleich deutlich. Nicht immer gleich beabsichtigt. Doch egal was es ist: Es gibt dahinter eine Botschaft. Auch in der Fiktion.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 17. September 2019, 15:38:17
Dass ich möglicherweise eine Botschaft in etwas sehe, bedeutet nicht, dass sie auch darin ist. Und selbst wenn sie darin sein sollte, bedeutet das nicht, dass der Autor sie auch hineingetan hat. Und das war es, worauf es Mondfräulein ankam, wenn ich sie recht verstanden habe. Und weil Leser in allen Dingen etwas entdecken können, entziehen sich solche Reaktionen auch den Möglichkeiten des Autors. Es sein denn, er wählt ein Genre, in dem das beabsichtigt ist wie z.B. Horror oder alle möglichen formen der Spannungsliteratur.

Aber vielleicht verstehen wir unterschiedliche Dinge unter dem Begriff Botschaft. Eine Botschaft hat einen Absender und einen Empfänger und wurde mit einer Absicht versandt.
Eine Geschichte kann auch eine Aussage haben, etwas mitteilen, aber das ist keine Botschaft.

Ein Autor kann beispielsweise einfach nur eine Szenerie durch Menschen und Handlungen beschreiben wollen, oder er möchte seinen Lesern einen oder viele Denkanstöße gebe. Beides sind Angebote, keine Botschaften in meinen Augen.

Wenn ein Autor eine Botschaft versenden möchte, dann muss er auf ganz andere Dinge achten, als wenn er lediglich unterhalten möchte.

Liebe Grüße
Trippelschritt





Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 17. September 2019, 18:33:54
Botschaft. das ist die gehasste Frage meiner Deutschlehrer zu jedem Buch, Essay, ja sogar Satz: Was will uns der Autor/die Autorin damit sagen?

Meiner Meinung nach: In den meisten Fällen nichts. Die Autoren wollen nur eine möglichst gute Geschichte abliefern. Der Rest wird von den verschiedenen Lesern hineininterpretiert.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Guddy am 17. September 2019, 18:52:16
Selbst wenn es keine bewusste Botschaft hat - so hat doch jede Geschichte eine Wirkung.

Und - und das ist eine ernst gemeinte Frage: Möchtet ihr ein Buch schreiben, das rassistische/sexistische/problematische Stereotype unreflektiert reproduziert und dadurch eben jene Strukturen weiter befeuert und füttert?

Denn wie bereits mehrfach geschrieben wurde. Es gibt Belege, dass solche Literatur/Produkte Spuren in den Köpfen hinterlassen. Und damit ist ausdrücklich nicht gemeint, dass man solche Figuren/Storylines/Tropes generell nicht nutzen dürfte.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 17. September 2019, 19:09:59
Zitat von: Trippelschritt am 17. September 2019, 15:38:17
Dass ich möglicherweise eine Botschaft in etwas sehe, bedeutet nicht, dass sie auch darin ist. Und selbst wenn sie darin sein sollte, bedeutet das nicht, dass der Autor sie auch hineingetan hat. Und das war es, worauf es Mondfräulein ankam, wenn ich sie recht verstanden habe. Und weil Leser in allen Dingen etwas entdecken können, entziehen sich solche Reaktionen auch den Möglichkeiten des Autors.
Ich glaube ehrlich gesagt eher, dass Mondfräulein genau das Gegenteil sagen möchte, von dem was du da liest. Botschaften sind immer da, ob man sie beabsichtigt oder nicht. Genau deswegen ist es wichtig zu reflektieren und zu hinterfragen, was man schreibt, da man sonst ggf. eine Botschaft vermittelt, von der man gar nicht so überzeugt ist, bspw. indem man einfach reproduziert, was man woanders gesehen hat.

Botschaften müssen nicht beabsichtigt sein, um da zu sein.

Wenn in einer Geschichte fast nur Männer eine Rolle spielen und die einzigen Frauen, die vorkommen, Damsels in Distress sind, die nichts auf die Reihe bekommen und ohne die Männer sterben würden, dann ist es eine Botschaft der Geschichte, dass Frauen eben unfähig seien. Dabei ist es egal, ob das beabsichtigt war - es ist eine Botschaft, die in der Geschichte drin ist.

Genau so, wie fast alle MCU-Filme beispielsweise eine Botschaft über Exeptionalismus haben. Sprich: Hey, hier gibt es diese bestimmten besonderen Menschen und ihre Entscheidungen sind, selbst wenn es erst einmal anders aussieht, letzten Endes die richtigen, weil diese Menschen so besonders sind. Du solltest besonderen Menschen besser vertrauen, anstatt sie zu hinterfragen. Dies ist im MCU auch deutlich stärker, als in den Comics. Ist es absicht? Weiß ich nicht. Aber diese Nachricht ist nun einmal schwer zu verleugnen.

Davon abgesehen ist es eben wie Guddy (die mich eiskalt geploppt hat ;-)) sagt: Ob du es beabsichtigst oder nicht, bestimmte dargestellte Gesellschaftsstrukturen wirken rassistisch, sexistisch o.ä. Das werden viele Leute in das Werk hineinlesen. Die einen werden dem applaudieren, weil es ihr Weltbild widerspiegelt. Die anderen werden es kritisieren. Und probieren wir es einmal anders. Die meisten, die für ihre Kunstfreiheit sprechen, möchten gerne vor der Kritik geschützt sein. Aber sagen wir mal, die Kritik kommt einfach nicht zu dir, aber dennoch applaudieren (um mal vom Extremfall auszugehen) Nazis deinem Buch, weil sie ihre Ideologie in deinem Buch zu finden meinen. Wärst du dann mit diesem Buch zufrieden?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 18. September 2019, 07:25:49
Siehst Du, das habe ich mir gedacht. Es ist, Wie FeeamPC es sagte: Die Botschaft ist: Was will uns der Autor damit sagen?
Und der will meistens gar nichts sagen.

Worüber Du sprichst sind Wirkungen. Die hängen aber hauptsächlich vom Leser ab. Und den meisten Autoren ist es wirklich egal, welche Wirkungen ihre Geschichten auf andere haben. (Da gibt es ein paar Ausnahme, wenn Geschichten etwas extrem sind.) Wenn ein Autor aber über drei Messer oder fünf Freunde schreiben möchte, interessiert ihn nur seine Geschichte. Und das ist auch gut so.

Das ist der Punkt, wo hier die Meinungen auseinandergehen. Die einen verlangen, dass der autor in Ruhe gelassen wird, die anderen, dass man ihm sagen müsse, worauf er achten soll.
Meine Meinug ist, dass man solche Dinge dem Arkt überlassen soll. Wem ein bestimmter Autor nicht gefällt, der sollte dessen Bücher nicht kaufen.

Ist doch ganz einfach.

Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Rosentinte am 18. September 2019, 10:02:20
Zitat von: Trippelschritt am 18. September 2019, 07:25:49
Worüber Du sprichst sind Wirkungen. Die hängen aber hauptsächlich vom Leser ab. Und den meisten Autoren ist es wirklich egal, welche Wirkungen ihre Geschichten auf andere haben. (Da gibt es ein paar Ausnahme, wenn Geschichten etwas extrem sind.) Wenn ein Autor aber über drei Messer oder fünf Freunde schreiben möchte, interessiert ihn nur seine Geschichte. Und das ist auch gut so.
(Hervorhebungen von mir)

Auf welcher Grundlage triffst du diese verallgemeinerte Aussage?
Ich mache mir definitiv Gedanken darüber, wie meine Geschichte auf andere wirkt, ich habe mit befreundeten Autor*innen gesprochen, die das tun und ich bin mir sicher, dass einige Menschen, die in diesem Thread gepostet haben, das tun. Das heißt nicht, dass ich sagen will oder kann, dass alle Autor*innen sich Gedanken über die Wirkung ihrer Geschichten machen wollen. Dazu ist meine Stichprobe viel zu klein. Aber mich würde schon interessieren, warum diese Menschen alle Ausnahmen von deiner Regel sind.

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 18. September 2019, 12:00:00
@Guddy und @NelaNequin kann ich mich nur anschließen. Es ist meiner Meinung nach sogar egal, welche Botschaft Autor*innen vermitteln wollen, wichtig ist vor allem, wie die Geschichten bei den Leser*innen ankommen. Wenn ich keine moralische Botschaft vermitteln will, dann ist das auch vollkommen in Ordnung, allerdings sollte ich dann darauf achten, ob meine Geschichten nicht doch eine Botschaft beinhalten, die ich dort nicht beabsichtigt habe, die aber aus versehen doch hineingeraten ist. Ich würde auch behaupten, dass sich die meisten Autor*innen durchaus sehr viele Gedanken darüber machen, wie die Geschichte auf die Leser*innen wirkt. Vielleicht nicht immer auf der moralischen Ebene, aber für mich ist das Suchen nach unbeabsichtigten Botschaften nicht viel anders als sich darüber Gedanken zu machen, wie eine Szene auf Leser*innen wirken soll, welche Emotionen ich hervorrufen will, ob der Spannungsbogen so funktioniert. Kommt die Verzweiflung der Hauptfigur auch so rüber, wie ich das möchte? Hinterlässt die Szene die bittersüße Stimmung, die ich beabsichtigt habe? Entdecken Leser*innen den Hinweis, den ich in diese Szene eingebaut habe? Ist der Mittelteil der Geschichte spannend genug? Habe ich es erfolgreich vermieden, Parallelen zu realen Minderheiten zu ziehen? Wird deutlich, dass meine Magier keine Metapher für queere Menschen sind? Ist in dieser Kampfszene deutlich, was wann passiert? Ich würde behaupten, viele dieser Fragen stellen sich die meisten Autor*innen beim Schreiben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 18. September 2019, 12:41:44
So viele Fragen. Schön  :vibes:

@ Rosentinte
Woher ich das weiß? Ich kenne viele Autoren. Selbstverständlich denken sie über den Markt nach, aber weniger über ihre Leserschaft. Das macht in meinen augen auch wenig Sinn, weil die große Gruppe der Leser sehr heterogen ist. Das gilt sogar auf so engen Genres wie Fantasy. Und man ist immer wieder überrascht, wenn sich am Ende herausstellt, dass die treuesten Anhänger gar nicht aus der Gruppe des Zielpublikums stammen. Der Grund, warum die mit Dir befreundeten Autoren eine Ausnahme darstellen, kann ich Dir nicht nennen, weil ich sie nicht kenne. Aber so, wie die ganze Diskussion bisher gelaufen ist, gibt es immer wieder die Möglichkeit, dass man Begriffe unterschiedlich versteht.

@ Mondfräulein
Deinen Post habe ich nun nicht verstanden. Wer sagt denn, dass Autoren nicht nachdenken. Ssie wollen ihre Bücher verkaufen und sie bemühen sich, sie möglichst gut zu schreiben. Aber wenn du den Botschaftsbegriff nun bereits auf Überlegungen zum Handwerk ausdehnst, dann wird mir klar, dass wir über unterschiedliche Planten reden. Und wenn du einmal in einen Schreibratgeber zur Technik des Schreibens oder einen Ratgeber, der sich mit Erzähltechniken beschäftigt, hineinschaust, dann wirst Du viele spannende Begriffe finden wie Prämisse, Thema, Plot oder Story, die auch nicht eindeutig sind und sich zum Teil überlappen. Nicht jeder Begriff lässt sich mit einer DIN-Norm erfassen. Aber den Begriff "Botschaft" wirsr Du dort kaum finden. Und wenn, dann höchstens mit dem Ratschlag ,so etwas möglichst zu vermeiden, denn Leser mögen keine Botschaften und erst recht keinen moralischen Zeigefinger. Und sollte man wirklich eine haben, dann wäre es am besten, sie so zu verstecken, dass sie niemand sofort entdeckt.

Aber ganz abgesehen davon, ich nehme es keinem Autor übel, wenn er  einen Weg beschreitet, der nicht der meine ist. Ich habe sowieso oft den Eindruck, dass es so viele Wege gibt wie Autoren. Was uns Autoren verbindet, ist der Wunsch, gute Geschichten zu erzählen. Und dafür ist jeder Autor allein verantwortlich. Und im Übrigen ist unsere Diskussion auch nicht so ganz neu. Ein klassischer Vorläufer war einmal: Wie politisch darf/sollte/muss ein Autor sein? Aber das war eine andere Zeit.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Grey am 18. September 2019, 13:16:50
@Trippelschritt
Viele Autor*innen kenne ich auch, ich vermute, das trifft für alle hier zu - und ich würde dich ernsthaft bitten, solche Verallgemeinerungen wie "die meisten Autoren" zu lassen oder sorgfältiger zu formulieren, denn du sprichst hier mit Autor*innen, die sich in deine Formulierung einschließen lassen müssen, und das ist wirklich keine diplomatische Form, seine Meinung kundzutun. Aber möglicherweise ist dir auch hier egal, welche Wirkung deine Worte auf die Leser haben? Entschuldige den Zynismus, aber das scheint mir ein wirklich ernstes Problem zu sein. Nun weiß ich zwar nicht, welche Art von Autoren du kennst, aber ich würde sie gern einmal selbst fragen, ob ihnen die Wirkung ihrer Geschichten auf die Leser wirklich egal ist, denn ich bin noch keinem(!) Autoren und schon gar keiner Autorin begegnet, auf die diese Aussage zutreffen würde. Über den moralischen Zeigefinger lässt sich nicht streiten, den braucht wirklich niemand, aber eine Geschichte ohne Botschaft kann niemals eine gute Geschichte sein, weil sie niemanden auf emotionaler Ebene anspricht. Im Umkehrschluss hat eine gute Geschichte immer eine Botschaft, ob beabsichtigt oder nicht - und es als "egal" zu erklären, welche Botschaft das ist, und gar nicht darüber zu reflektieren, finde ich für uns als Kulturschaffende ziemlich verantwortungslos.
Aber vielleicht gehe ich da als Jugendbuchautorin auch nur von den leicht beeinflussbaren jungen Menschen aus, wo es bei dem alten Eisen tatsächlich völlig egal ist, weil: Da ist eh nichts mehr zu retten?  :hmmm: *Zynismus Ende*
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 18. September 2019, 14:20:38
Uff, ich gebe es auf.
Es hat keinen Sinn, an dieser Stelle weiterzumachen, wenn die Auffassungen über Botschaft so weit auseinanderliegen. Da hilft dann auch Zynismus nicht mehr weiter.

Aber ich gebe gern zu, dass Formulierung "den meisten Autoren ist es egal, welche Wirkungen ihre Geschichten haben" unglücklich bis irreführend ist. Sie versuchen gute Geschichten zu schreiben. Punkt. Und im Rahmen dieses Versuchs tun sie ihr bestes. Mit ihrer eigenen Ethik, eigenen Persona, eigenen Lebenserfahrung. Die Geschichte kommt immer zuerst. Und ja, das ist meine Erfahrung mit den meisten meiner Kollegen. Ich kenne niemanden, auch keinen Jugendbuchautor, der seine Geschichte mit einer Analyse der Befindlichkeiten seiner Leserschaft beginnt, sondern sich einfach auf die integrtät seiner eigenen Persönlichkeit verlässt.

Du schreibst:
"aber eine Geschichte ohne Botschaft kann niemals eine gute Geschichte sein, weil sie niemanden auf emotionaler Ebene anspricht. Im Umkehrschluss hat eine gute Geschichte immer eine Botschaft, ob beabsichtigt oder nicht ..."

Dem kann ich mich übrigens dann sofort anschließen, wenn Du "Botschaft" durch "Prämisse" ersetzt.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 18. September 2019, 15:03:45
An dieser Stelle ist auch für mich Ende der Beteiligung an der Diskussion. Ich bekenne ganz offen: Ich überlege nie, welche Botschaft meine Geschichten vermitteln könnten. Ich schreibe, was mir Spaß macht, und so, wie es mir am Herzen liegt, und treffe damit offensichtlich den Geschmack vieler Leser. Was will ich mehr. Klar, der eine oder andere hat sich schon mal beschwert, dass ihm Dinge in meinen Büchern nicht gefallen, aber ändern werde ich deshalb nichts. Keinen Satz. Fehler ändere ich, ja, aber keinen Teil meiner Erzählung, außer ich will selbst die Geschichte irgendwo verbessern.

Ich gehe einfach davon aus, dass meine Leser so denken wie ich. Wenn ich ein Buch lese, will ich gut unterhalten werden. Mir ist noch nie, wirklich nie, der Gedanke gekommen, dass bestimmte fiktive Personen, Personengruppen oder Rassen/Arten in den Büchern, die ich gelesen habe, irgendwelche realen Minderheiten in schlechtes Licht setzen/setzen sollen. Ich sehe, dass die Geschichten widerspiegeln, was in unserer Gesellschaft ist, alle Arten von Diskrimierung, Sexismus und sonstige -ismen eingeschlossen, aber ich gehe nicht davon aus, dass der Autor mir dieses Weltbild vermitteln will oder das als Botschaft einsetzt oder damit unterschwellig eine Meinung verbreiten will. Ich gehe lediglich davon aus, dass er mit dem arbeitet, was unsere Gesellschaft ihm als Grundlage zur Verfügung stellt.

Und noch ein Disclaimer hinterher: Autor gebrauche ich generisch, Frauen eingeschlossen. Für mich als Frau ist das nicht diskriminierend gedacht, gemeint oder empfunden. Ich weiß, dass einige von euch das anders sehen, ist euer gutes Recht, ebenso, wie es mein gutes Recht ist, das auf meine Art zu sehen und zu handhaben.

P.S.: Die einzigen Bücher, die nach meinem Empfinden wirklich in die Giftküche gehören, sind die, die einschlägiges Gedankengut propagandistisch verbreiten sollen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Guddy am 18. September 2019, 19:15:25
Zitat von: FeeamPC am 18. September 2019, 15:03:45Ich überlege nie, welche Botschaft meine Geschichten vermitteln könnten. Ich schreibe, was mir Spaß macht, und so, wie es mir am Herzen liegt, und treffe damit offensichtlich den Geschmack vieler Leser. Was will ich mehr. Klar, der eine oder andere hat sich schon mal beschwert, dass ihm Dinge in meinen Büchern nicht gefallen, aber ändern werde ich deshalb nichts.

Ich finde das ehrlich, ganz, ganz ehrlich beunruhigend und enttäuschend. Es geht niemandem darum, dass niemand mehr irgendwas schreiben darf. Sondern um Rassismus und Sexismus der, wie hier bereits oft dargelegt wurde, eben auch unterschwellig weitergetragen und gefüttert (verbreitet! Abgenickt!) werden kann. Selbst dann, wenn man kein*e Rassist*in ist.

Ich habe den Eindruck, dass sich, statt darüber nachzudenken, lieber auf den Gedanken versteift wird, dass man "nichts mehr sagen dürfe". Aber dem ist nicht so und das wurde hier doch auch mehrfach geschrieben.

ZitatMir ist noch nie, wirklich nie, der Gedanke gekommen, dass bestimmte fiktive Personen, Personengruppen oder Rassen/Arten in den Büchern, die ich gelesen habe, irgendwelche realen Minderheiten in schlechtes Licht setzen/setzen sollen.
Wenn dir der Gedanke noch nie gekommen ist, heißt das nicht, dass es nicht sein kann. Es gibt unzählige Menschen, die dir Gegenteiliges beweisen können. Und es muss auch nicht bewusst geschehen. Bloß: Sich bewusst dagegen zu entscheiden, sich bezüglich problematischer Aspekte weiterzubilden, kann doch auch nicht erstrebenswert sein, oder?

Es geht auch um internalisierte Bilder. Um Strukturen, derer wir uns nicht bewusst sein. Geht mir auch so. Aber dann kann ich zuhören. Niemand ist perfekt. Aber du entscheidest dich bewusst dagegen und das lässt mich echt leicht fassungslos zurück, gerade nach den ganzen Erklärungen.

ZitatIch sehe, dass die Geschichten widerspiegeln, was in unserer Gesellschaft ist,
Das ist ja auch völlig okay. Das haben doch u.a. @Mondfräulein und @NelaNequin gut erläutert.

Ich würde gar nicht so emotional sein, wenn ich nicht das Gefühl hätte, es würde gar nicht richtig zugehört werden.
Aber ja, vermutlich habt ihr Recht und wir drehen uns nur im Kreis.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Grey am 19. September 2019, 00:02:35
Zitat von: Trippelschritt am 18. September 2019, 14:20:38
Uff, ich gebe es auf.
Es hat keinen Sinn, an dieser Stelle weiterzumachen, wenn die Auffassungen über Botschaft so weit auseinanderliegen.

Was genau gibst du auf? Uns davon überzeugen zu wollen, dass deine Ansicht die einzig richtige ist und alles andere sich unter "Befindlichkeiten" zusammenfassen lässt? So einfach ist das leider nicht, und das sage ich an dieser Stelle völlig zynismusfrei. Erklär mir gern nochmal, was genau für dich "Botschaft" bedeutet, dass du es so partout nicht in deinen Romanen haben willst - nachdem wir den moralischen Zeigefinger ja nun schon ausgeschlossen haben. Das habe ich nämlich tatsächlich noch nicht verstanden.

Zitat von: Trippelschritt am 18. September 2019, 14:20:38
Sie versuchen gute Geschichten zu schreiben. Punkt. Und im Rahmen dieses Versuchs tun sie ihr bestes. Mit ihrer eigenen Ethik, eigenen Persona, eigenen Lebenserfahrung. Die Geschichte kommt immer zuerst. Und ja, das ist meine Erfahrung mit den meisten meiner Kollegen. Ich kenne niemanden, auch keinen Jugendbuchautor, der seine Geschichte mit einer Analyse der Befindlichkeiten seiner Leserschaft beginnt, sondern sich einfach auf die integrtät seiner eigenen Persönlichkeit verlässt.

Natürlich versuchen wir alle, gute Geschichten zu schreiben, gar keine Frage. Aber da muss sich doch eben jeder selbst die Frage stellen, was für ihn oder sie persönlich zu einer guten Geschichte gehört, und wenn du schon vom Markt sprichst, dann gehört dazu selbstverständlich auch eine Zielgruppenanalyse. Aber selbst ganz ungeachtet dessen: Ich kenne tatsächlich sogar viele Autoren, die sich eben nicht auf die Integrität ihrer eigenen Persönlichkeit verlassen, sondern sich mit dem, worüber sie schreiben wollen, detailliert auseinandersetzen - ein nicht zu unterschätzender Teil der Recherche. Und das ist auch gut so, denn unser Gehirn ist nun mal ein faules Stück, und natürlich ist es sehr viel einfacher, zu reproduzieren, was die Umwelt einem so eingetrichtert hat. Man kann sich seiner eigenen Integrität niemals sicher sein, und das ist eben der springende Punkt. Wer integer sein will, kommt nicht darum herum, sein eigenes Gehirn und seine Machenschaften immer wieder zu hinterfragen. Wenn man dann entscheidet, dass es einem egal ist, ist das eine Entscheidung. Aber schon eine sehr bequeme und ein Stück weit ignorante, wenn ich das mal so sagen darf.

Zitat von: Trippelschritt am 18. September 2019, 14:20:38
Du schreibst:
"aber eine Geschichte ohne Botschaft kann niemals eine gute Geschichte sein, weil sie niemanden auf emotionaler Ebene anspricht. Im Umkehrschluss hat eine gute Geschichte immer eine Botschaft, ob beabsichtigt oder nicht ..."

Dem kann ich mich übrigens dann sofort anschließen, wenn Du "Botschaft" durch "Prämisse" ersetzt.

Das, mit Verlaub, halte ich für  reine Wortklauberei. :hmhm?:
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 19. September 2019, 06:57:57
Ein paar Worte zu der "Botschafts"-Thematik. Ich gehöre auch zu der Fraktion, die der Meinung ist, dass es kaum bis gar nicht möglich ist, eine Geschichte zu schreiben, ohne als Autor irgendwie Position zu beziehen, was man auch als Übermitteln einer Botschaft bezeichnen könnte. Selbst in eher schlicht gestrickten Actiongeschichten gibt es meistens irgendeine Form von Gut  und Böse und auch eine Definition davon, wer das Gute ist, häufig dann diejenigen, sich für das Wohl Amerikas einsetzen. ;) Und ja, ich denke tatsächlich auch, dass viele dieser Medien den Konsumenten in die Richtung beeinflussen, dass Amerika als Macht des Gutes betrachtet werden soll und ich halte es auch für recht wahrscheinlich, dass dies beabsichtigt ist. Sehr dystopisch angehauchte Geschichten, wo sich die Parteien moralisch kaum unterscheiden, vermitteln dagegen ein pessimistisches Menschenbild, bei humoristischen Geschichten spielt es eine große Rolle, worüber denn dort gelacht wird usw.

Deswegen denke ich auch: Nein, Geschichten ohne "Botschaft" gibt es nicht und deswegen ist es auch sinnvoll, diese Botschaft zu reflektieren und mit den tatsächlichen Vorstellungen abzugleichen. Welcher Schluss dann daraus gezogen wird, ist wieder eine andere Frage.
Um mal wieder mein übliches Beispiel zu nennen. Die Geschichte von der einsamen Heldin, die "nicht so ist wie die anderen Mädchen" und sich im Verlauf der Geschichte ihren Platz in einer patriarchalischen Gesellschaft erkämpft.  Die meistens Autorinnen dieser Art von Geschichten lehnen vermutlich den Sexismus dieser Gesellschaft ab und wollen eine Geschichte mit Botschafen wie "es ist in Ordnung anders zu sein", "verwirkliche deine Träume" oder so ähnlich erzählen. Höchstwahrscheinlich möchten sie nicht mitteilen, dass Sexismus eigentlich gerechtfertigt und natürlich normal ist, auch wenn es einzelne Ausnahmefrauen gibt, die auch was drauf haben... Genau das wird aber auch mittransportiert. Das bedeutet nicht, dass solche Geschichten nicht geschrieben werden sollten, aber man sollte sich zumindest darüber im Klaren sein und wenn einem eine feministische Botschaft wichtig ist, schauen, ob sich da etwas modifizieren lässt.

Genauso finde ich es sinnvoll und richtig, rassistische Klischees bei erfundenen Wesen oder Volksgruppen in Fantasywelten zu vermeiden, die Schaden anrichten, ohne der Geschichte viel zu nutzen.
Wenn es aber soweit geht, dass beispielsweise Begriffe wie "schwarze Magie" und "dunkle Künste", mit einer völlig anderen Bedeutugn, verbannt werden sollen, weil irgendjemand das mit dunkelhäutigen Menschen in Verbindunge bringen könnte, sehe ich tatsächlich eine sehr deutliche Einschränkung. Genauso halte ich nicht viel davon, sich als Autor*in Machtspielchen von Vertretern irgendwelcher Interessengruppen zu unterwerfen, bei denen eher der Eindruck entsteht, dass sie weiße/männliche/heterosexuelle Autoren grundsätzlich ablehnen und dies durch ihre Kommentare ausleben wollen, anstatt ein Interesse daran zu haben, zu einer besseren Geschichte beizutragen. Da kommen dann so Botschaften raus wie: "Du bist rassistisch, weil du nur weiße Figuren in deinem Roman hast. Weil du aber weiß bist, steht es dir nicht zu über POC zu schreiben und es ist Anmaßung, wenn du versuchst "unsere" Geschichten zu erzählen."
Da ist es auch nicht immer einfach zu unterscheiben, ob man es mit berechtigter konstruktiver Kritik zu tun hat, oder eher mit so etwas.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Yamuri am 19. September 2019, 08:07:42
Zum Thema Botschaft:

Meiner Meinung nach ist die Geschichte selbst die Botschaft. Eine Aussage, die auch an andere Menschen gerichtet ist und eine Geschichte ist an die Leserschaaft gerichtet, soll gelesen werden, ist eine Botschaft an die Leserschaft. Welche Wirkung die Botschaft hat, kann natürlich unterschiedlich sein. Aber das ändert nichts daran, dass die Botschaft in Form der Geschichte da ist und Menschen erreichen kann. Was man als Autor*in aber kann ist, sich überlegen welche Wirkung die Botschaft haben kann und darüber zu reflektieren wie man möglichst so schreibt, dass die Wirkung dem entspricht, wie man selbst seine Geschichte verstehen würde. Ich jedenfalls möchte durchaus richtig verstanden werden, und wenn mich Testleser*innen darauf aufmerksam machen, dass eine Stelle auch ganz anders aufgefasst werden kann, und mir dieses andere Verständnis nicht gefällt, dann arbeite ich daran die Stelle entsprechend anzupassen. Denn ich habe eben den Anspruch meine Welten den Leser*innen so näher zu bringen, dass sie diese nicht völlig missverstehen. Und Missverständnisse können eben entstehen, wenn man beim Handwerk schlampig arbeitet.

Zitat von: GuddyIch würde gar nicht so emotional sein, wenn ich nicht das Gefühl hätte, es würde gar nicht richtig zugehört werden.

Ich habe auch den Eindruck, dass nicht richtig zugehört wird und daher teilweise aneinander vorbei geredet.

Zitat von: AmanitaDeswegen denke ich auch: Nein, Geschichten ohne "Botschaft" gibt es nicht und deswegen ist es auch sinnvoll, diese Botschaft zu reflektieren und mit den tatsächlichen Vorstellungen abzugleichen. Welcher Schluss dann daraus gezogen wird, ist wieder eine andere Frage.

:jau: Sehe ich genauso. Zumal ich auch denke, als Autor*in haben wir durchaus die Macht Menschen zu beeinflussen, da ich in Geschichten die Möglichkeit zur Beeinflussung sehe. Das mag nicht bei jedem funktionieren, aber die Präsentation bestimmter Themen in Geschichten kann Leser*innen eben zum Nachdenken bringen, zum Reflektionen und auf das Bewusstsein einwirken. Daher denke ich auch, dass es wichtig ist über die Botschaft zu reflektieren, insbesondere dann, wenn man selbst ein idealistischer Mensch ist und zu einer Verbesserung der Zustände beitragen möchte.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 19. September 2019, 09:21:41
Mir scheint, dass sich hier gerade eine Veränderung wiederspiegelt. Zum einen die grundsätzliche Frage, was Aufgabe eines Autors (oder freier eines Künstlers oder eines Kulturschaffenden) ist.
Und ehrlicherweise finde ich es sowohl legitim zu sagen, ich will nur unterhalten als auch zu sagen, ich will meine Leser aufrütteln als auch zu sagen, ich will ein Beitrag zu Repräsentation leisten als auch, ich will meine eigenen, unbewussten -ismen aufdecken und überwinden.

Was ich aber hier beobachte, ist zunehmend tatsächlich ein Druck von Seiten derer, die für sich und Literatur in Anspruch nehmen, dass diese -ismen aufdecken und überwinden müsse. Ich finde es druchaus erstrebenswert das zu tun, aber es von allen anderen auch zu fordern, ist nach meiner Beobachtung genau das, wogegen Trippelschritt und FeeamPC sich wehren.
Die Tendenz andere zu be- oder sogar zu verurteilen fällt mir hier in diesem Thread zunehmend schon auf. Durchaus in Ansätzen auch an mir selbst, wenn ich eine Haltung einfach nicht nachvollziehen kann. Andererseits kann ich aber gut nachvollziehen, dass an bestimmten Stellen einfach beschlossen wird, dass an dieser Stelle das eigene Engagement aufhört. Wird bei Themen wie De-Plastik oder dem Ökothema doch auch akzeptiert, wenn jemand sagt, das will ich einfach noch nicht ändern. Bei sämtlichen -ismen-Diskussionen vertiefen sich scheinbar aber ständig die Gräben. Woran liegt das?
Und worin (und die Frage stelle ich mir gerade tatsächlich ernsthaft) liegt beispielsweise der Unterschied zwischen der Forderung "jeder Autor muss sich und seine Geschichten auf -ismen überprüfen und versuchen diese auszumerzen" und der Forderung - nehmen wir einfach mal etwas aus der Luft gegriffenes - kein Autor dürfe mehr die Evolutionstheorie verbreiten. In beiden Fällen fordert eine Gruppe die andere sich ihrer Überzeugung anzuschließen oder zu unterwerfen.

Meiner Ansicht nach ist meist ausschließlich der eigene moralische Maßstab der Kompass anhand dessen derselbe Effekt mal gefordert und mal verteufelt wird.
Ist es wirklich eine Lösung eine Art von Gleichmachung zu fordern? Wäre es nicht respektvoller jedem gegenüber ihm die eigenen Überzeugungen zwar als Information oder Beispiel anzubieten, ihm aber die eigene Wahl zuzugestehen?
Nein, mir gefällt es auch nicht, wenn ich Rechten ihre Meinung zugestehen muss. Aber das ist etwas, dass Merkmal von Meinungsfreiheit ist. Genauso wie natürlich der Fingerzeig auf Manipulationen oder Hetzerei oder eben unreflektiertes Verfestigen von unfairen Strukturen.
Aber eine Gleichschaltung, egal welcher Art, ist eine Verringerung von Meinungsvielfalt, die uns erst befähigt, eigene blinde Flecken zu erkennen. Und vielleicht ist das auch ein Generationsunterschied. Ich bin in den 30ern. Ich bin damit aufgewachsen, dass ich immer sagen konnte, was ich wollte, ohne dass ich dafür verurteilt werden durfte. Ich musste mit Kritik rechnen, aber ich brauchte nie echte Angst vor negativen Folgen haben.
Vielleicht haben andere Menschen einfach einen anderen Erfahrungshintergrund und sehen ehemals vorhandene Strukturen wiederkommen, die ich einfach nicht wirklich für möglich halte. Obwohl ich dennoch Angst davor bekomme. Und mir wünschen würde, jeder Mensch wäre fähig Mitgefühl für Andersartigkeit zu haben. Aber eine Verschärfung der Fronten halte ich für keine zielführende Lösung. Und das ist etwas, was mir am meisten Angst macht. Ich habe das Gefühl, dass ich zunehmend daran gemessen werde wie stark und kompromisslos ich Dinge verurteile. Und jede liberale Haltung, selbst wenn es nur als Gedankenexperiment zum Perspektivwechsel genutzt wird, wird mit einem Ausschluss oder zumindest massiven Angriffen beantwortet. Und, und vielleicht stehe ich alleine damit da, diese Tendenz entdecke ich hier gerade, wenn auch in noch sehr leiser Form auch. Nicht nur hier, sondern auch in anderen Themen. Und das ist für mich neu im TiZi. Und ich frage mich, woran das liegt.

(Okay, sorry das wurde jetzt off topic. :versteck: Ich lasse es trotzdem mal stehen.)

Und ich persönlich bin FeeamPC und Trippelschritt sehr dankbar, denn sie haben mich zum Nachdenken und zum Differenzieren für mich selbst angeregt. Sie haben meine Überzeugung wieder bestätigt, dass in einem Thema, das mich emotional macht, immer noch blinde Flecke für mich selbst drinstecken und Differenzierung durch Perspektivwechsel und einem Austausch der auf Verständnis (aber nicht notwendigerweise auch Zustimmung) hilfreicher sind, als meine Überzeugung verbreiten zu wollen.

Meine Idee: Wäre es nicht vielleicht hilfreicher, diese Dinge, wenn sie uns in Büchern auffallen in Rezensionen anzumerken, statt von vorneherein zu fordern, dieser Veränderungsprozess solle der Autor still in seiner Kammer für sich machen? Also mal so ganz grundsätzlich in die Diskussion geworfen. ?
Und was ist mit den Forderungen, ein Autor sei von seinem Werk getrennt zu betrachten? Gilt das nur für bestimmte Themen? Die, die mir gerade passen? Oder ist es vielleicht doch gar nicht möglich, dies getrennt zu betrachten?

Und übrigens @Grey , in einem Autorenforum die Diskussion um die Definition eines Wortes in negativer Form als Wortklauberei zu deklarieren finde ich schon irgendwie auch bemerkenswert. Gemeinsame Begriffsdefinitionen sind doch eine Grundlage, wenn Missverständnisse vermieden werden sollen. ? Zumal, wenn unterschiedliche Definitionen verbreitet sind oder sein könnten.
Und zumindest mir hat es oft schon viele Aha-Erlebnisse gebracht, diese Wortklaubereien zu betreiben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Judith am 19. September 2019, 09:56:58
Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 09:21:41
Was ich aber hier beobachte, ist zunehmend tatsächlich ein Druck von Seiten derer, die für sich und Literatur in Anspruch nehmen, dass diese -ismen aufdecken und überwinden müsse. Ich finde es druchaus erstrebenswert das zu tun, aber es von allen anderen auch zu fordern, ist nach meiner Beobachtung genau das, wogegen Trippelschritt und FeeamPC sich wehren.
Da stimme ich dir einerseits zu, aber andererseits muss ich sagen, dass ich so allgemeingültige Formulierungen wie "den meisten Autoren ist es egal, welche Wirkungen ihre Geschichten auf andere haben" (dann sind wir also alle hier, denen das nicht egal ist, die seltsamen Ausnahmen?) und "Leser mögen keine Botschaften" (es gibt, wie wir wissen, nicht DIE Leser als homogene Gruppe; abgesehen davon gibt es sehr viele Bestseller mit Botschaften) für diese Diskussion auch nicht hilfreich finde. Dann geht es nämlich über ein "Ich persönlich mache es so und will das auch so beibehalten" hinaus und will ebenso eine Überzeugung verbreiten - und das führt logischerweise zu Widerspruch.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 19. September 2019, 10:02:39
Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 09:21:41
Meiner Ansicht nach ist meist ausschließlich der eigene moralische Maßstab der Kompass anhand dessen derselbe Effekt mal gefordert und mal verteufelt wird.
Ist es wirklich eine Lösung eine Art von Gleichmachung zu fordern? Wäre es nicht respektvoller jedem gegenüber ihm die eigenen Überzeugungen zwar als Information oder Beispiel anzubieten, ihm aber die eigene Wahl zuzugestehen?
Es tut mir leid, aber hierzu fallen mir gleich zwei Sachen ein.

Zum ersten: Eins der zentralen Probleme dieser Diskussion kommt letzten Endes daraus, wie gleich Fantasy als Genre doch ist. Um genau zu sein geht es hier nicht ums Gleichmachen, sondern ums Diversifizieren. Denn zentral ist nun einmal: Das Wort würde nicht "Orcing" heißen, wären Orks nicht so Prävalent in Fantasy. Fantasy würde weniger in der Kritik stehen, wäre das Standard-Fantasy-Setting nicht ein unrealistisch weißes, unrealistisch patriarchales und unrealistisch cisheteronormatives Mittelalter in dem die Orks oftmals das "Böse" darstellen, bzw. die Diener des Bösen sind. Gäbe es nur vereinzelte Bücher in einem diversen Genre, die diese Darstellung nutzen, würden vielleicht diese Bücher, aber nicht das Genre per se kritisiert werden. (Dasselbe gilt übrigens auch für Science Fiction und die "Kolonialismus"-Geschichte.) Viele der Kritikpunkte stammen daraus, dass es eben eine Standard-Fantasy gibt, die auch soweit noch oft von Verlagen bevorzugt wird, und diese nun einmal voller -Ismen ist. Gilt übrigens so gesehen auch für andere Fantasy-Subgenre, nur dass die -Ismen halt andere Formen annehmen.

Zum zweiten: Ich gehe hier davon aus, dass in diesem Forum die meisten Schreibenden weiß sind oder zumindest von der Gesellschaft als weiß gelesen werden - unabhängig davon, ob sie es sind. Und wenn man weiß ist, ist man eigentlich nicht im Recht zu sagen: "Also mich stört das nicht ...", weil man damit nun einmal nicht die betroffene Gruppe ist, die am Ende unter den Konsequenzen zu leiden hat. Für uns ist es eine vornehmlich intellektuelle Diskussion - aber Konsequenzen gibt es für uns nicht. Derweil müssen aber Schwarze oder bei Orks auch asiatische Menschen mit den Konsequenzen davon leben, dass Orcing in Geschichten hilft, Stereotype beim Endkonsumenten zu verfestigen. Und ja, das passiert. Egal ob es Autor*in jetzt beabsichtigt hat oder nicht. (Oder sollte ich vielleicht Autor sagen? Ich komme ja nicht umher den Eindruck zu haben, dass wir nur über Männer reden, so wie das generische Maskulinum durch die Gegend geworfen wird.) Auch egal, ob Leser*in oder Autor*in sich überhaupt dessen bewusst sind, dass es eine Form von Rassismus ist.

Ich wurde letztens von jemanden angesprochen nach einem Vortrag, der zu mir meinte: "Also ich bin ja auch gegen Rassismus, aber ich finde es unerhört, dass die aus Pippi Langstrumpf jetzt alles rausgepackt haben, nur weil [das N-Wort] darin vorkam. Wenn ich das meinen Enkeln vorlese, habe ich ihnen halt erklärt, dass das so nicht okay ist. Das muss doch reichen!" Aber es reicht eben nicht. Weil egal ob wir den Enkel*innen sagen, dass es falsch ist: Sie lernen dadurch dennoch Rassismus. Weil das eben ein unterbewusster Prozess ist, kein bewusster. Davon abgesehen, dass ich mich eh frage, warum man mit den Kindern noch alte Kinderbücher lesen muss ... Aber das ist eh eine Sache, die ich nie verstehen werde.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 19. September 2019, 10:50:11
Zitat von: Judith am 19. September 2019, 09:56:58
Da stimme ich dir einerseits zu, aber andererseits muss ich sagen, dass ich so allgemeingültige Formulierungen wie "den meisten Autoren ist es egal, welche Wirkungen ihre Geschichten auf andere haben" (dann sind wir also alle hier, denen das nicht egal ist, die seltsamen Ausnahmen?) und "Leser mögen keine Botschaften" (es gibt, wie wir wissen, nicht DIE Leser als homogene Gruppe; abgesehen davon gibt es sehr viele Bestseller mit Botschaften) für diese Diskussion auch nicht hilfreich finde. Dann geht es nämlich über ein "Ich persönlich mache es so und will das auch so beibehalten" hinaus und will ebenso eine Überzeugung verbreiten - und das führt logischerweise zu Widerspruch.
Okay, da gebe ich dir Recht, das wäre eine weniger allgemeine Formulierung weniger konfrontativ und vermutlich konstruktiver gewesen. Darauf bin ich vermutlich nicht so angesprungen, weil ich mich zurzeit nicht als Autor in dem Sinne angesprochen gefühlt habe.


@NelaNequin Ich habe mich hier ganz bewusst als Frau in die Berufsbezeichnung Autor eingegliedert. Ja, ich stimme dir zu, Sprache ist wichtig, ja gendern ist wichtig. Tue ich auch immer wieder. Aber nicht immer. Ganz bewusst. Ich als Betroffene (nämlich Frau in Bezug auf generischen Maskulin bei Berufsbezeichnungen) probiere immer wieder verschiedenes aus. ich bezeichen mich auch weiterhin als die Coach. Ich werde mich nicht als die Coachin bezeichnen, so als könne ich nicht gleichwertig zu einem Coach sein, sondern müsste gesondert (zusätzlich zum Artikel) bezeichnet werden. Ist mir auch schurzegal was der Duden dazu sagt. Andere Frauen werden das anders empfinden. Ein Empfinden ist aber nicht richtiger oder falscher als ein anderes.
Zitat
Um genau zu sein geht es hier nicht ums Gleichmachen, sondern ums Diversifizieren.
Und das sehe ich anders. Es geht zwar darum, dass in den Geschichten selbst mehr diversifiziert wird. Da bin ich ganz deiner Meinung. Und halte das persönlich für ein erstrebenswertes Ziel. Aber der Anspruch an den Inhalt der Geschichten wird gleichgeschaltet, wenn gefordert wird, dass ALLE Geschichten diesem Anspruch genügen müssen. Und diese Forderung lese ich hier auch immer wieder, wenn es darum geht, dass Autoren sich dahin entwickeln müssten.
Es sind aus meiner Sicht zwei Ebenen, die hier betrachtet werden. Diversität auf der Ebene des übergeordneten Anspruchs würde bedeuten, dass es sowohl diverse, als auch rassistische, als auch gedankenlose, als auch sexistische und klischeebehaftete Geschichten und Inhalte geben muss. Ansonsten wird aus meiner Sicht unter dem Deckmantel der Diversität tatsächlich eine Gleichschaltung gefordert. Vielleicht siehst du diese Forderung auf Fantasy beschränkt. Dann wäre es nur eine teilweise Gleichschaltung. Aber es bleibt eine Forderung nach Gleichschaltung bestimmer Dinge. Ob diese Gleichschaltung als gut oder schlecht empfunden wird, ist wieder eher eine moralische, bzw. persönliche Frage aufgrund der eigenen Lebensbiografie.
Wenn du das tatsächlich anders siehst, dann empfinden wir Dinge ggf. so unterschiedlich, dass wir an der Stelle einfach auf unterschiedlichen Positionen stehen. Das ist möglich. Für eine fruchtbare Diskussion in der Horizonte erweitert werden können, vielleicht sogar hilfreich. ;-)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Grey am 19. September 2019, 11:41:40
Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 09:21:41
Und ehrlicherweise finde ich es sowohl legitim zu sagen, ich will nur unterhalten als auch zu sagen, ich will meine Leser aufrütteln als auch zu sagen, ich will ein Beitrag zu Repräsentation leisten als auch, ich will meine eigenen, unbewussten -ismen aufdecken und überwinden.

Was ich aber hier beobachte, ist zunehmend tatsächlich ein Druck von Seiten derer, die für sich und Literatur in Anspruch nehmen, dass diese -ismen aufdecken und überwinden müsse. Ich finde es druchaus erstrebenswert das zu tun, aber es von allen anderen auch zu fordern, ist nach meiner Beobachtung genau das, wogegen Trippelschritt und FeeamPC sich wehren.

Ich fürchte, genau das ist ein Missverständnis, das oft aufkommt - zumindest von meiner Seite erlebe ich das immer wieder. Ich bin weit entfernt davon, eine militante Vertreterin irgendwelcher -ismen-Bekämpfungen zu sein, und ich glaube, das geht auch vielen anderen so. (Ich bestreite nicht, dass es Menschen gibt, die so denken, und dass die Diskussionen darum, wer am marginalisiertesten ist, hin und wieder recht schwierig sind, aber das sind zumeist eben betroffene, die das Thema auf einer ganz anderen emotionalen Ebene betrachten müssen.) Tatsächlich sind auch die allermeisten meiner eigenen Geschichten "nur" dazu gedacht, zu unterhalten, und auch mir geht es in erster Linie darum, gute Geschichten zu erzählen - und ich will ganz sicher niemandem verbieten, genau das zu tun. Ich will auch nicht missionieren oder anderen sagen, wie sie etwas zu schreiben haben. ABER ich finde dennoch, dass es zum Handwerk eine*r Autor*in gehören sollte, sich darüber Gedanken zu machen, was die geschriebene Geschichte transportiert. Im Grunde ist das doch auch nur ein Werkzeug, um noch bessere (damit meine ich nach den eigenen Maßstäben gemessen) Geschichten schreiben zu können. Wirkung durch Worte, das ist es doch, was wir tun, oder? Unsere Superkraft? Macht es nicht absolut Sinn, diese so bewusst und gezielt wie möglich einsetzen zu wollen?

Und deshalb verstehe ich in solchen Diskussionen immer nicht, warum sich so vehement dagegen gewehrt wird, über die Wirkung der eigenen Geschichte nachzudenken. Wie gesagt, man kann dann immer noch entscheiden, dass es einem egal ist. Wäre nicht mein Weg, aber man kann das tun. Man kann den ersten Teil einer Dilogie mit dem Selbstmordversuch der Protagonistin enden lassen und es als einen mutigen Schritt darstellen und damit auf der Bestsellerliste landen und enorm gefeiert werden. Man muss dann aber auch mit der Kritik real suizidgefährdeter Leser*innen leben, die das Thema sehr unsensibel und zum Teil gefährlich dargestellt finden. Das muss wirklich jeder selbst wissen. Nur würde ich für mich persönlich es immer vorziehen, diese Entscheidung vor Veröffentlichung selbst treffen zu können, damit nicht im schlimmsten Fall das Internet ein Urteil über mich fällt, das ich nie wieder ganz loswerde. Dafür ist diese Reflektion in meinen Augen unverzichtbar, und ich finde es enorm schade, dass ein so potentes Werkzeug so harsch abgelehnt wird, weil es manchen das Gefühl gibt, sie dürften etwas nicht schreiben. Aber zu wissen, was man geschrieben hat, ist für mich eine ganz andere Sache, und eine Grundvoraussetzung, überhaupt eine Entscheidungsgewalt jenseits des Bauchgefühls für meine Texte zu haben. Wie gesagt, der eigenen Integrität ist nicht immer zu trauen, weil das Gehirn nunmal so gemacht ist, dass es gewohnte Muster energiesparend reproduziert. Ein bisschen Reflektion schadet da also nie, auch fernab von allen -ismen.

Ärgern tun mich in solchen Diskussionen lediglich Verallgemeinerungen, die mich einschließen (Autoren machen das so und so), mit denen ich mich aber nicht identifizieren kann, oder wenn ich das Gefühl habe, die vorgebrachten Argumente interessieren den Diskussionspartner eigentlich gar nicht und können nur abgewunken werden, oder wenn Totschlagargumente wie "Man darf ja gar nichts mehr schreiben" kommen, obwohl diese schon 100fach verneint und erklärt worden sind.

Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 09:21:41
Und übrigens @Grey , in einem Autorenforum die Diskussion um die Definition eines Wortes in negativer Form als Wortklauberei zu deklarieren finde ich schon irgendwie auch bemerkenswert. Gemeinsame Begriffsdefinitionen sind doch eine Grundlage, wenn Missverständnisse vermieden werden sollen. ? Zumal, wenn unterschiedliche Definitionen verbreitet sind oder sein könnten.
Und zumindest mir hat es oft schon viele Aha-Erlebnisse gebracht, diese Wortklaubereien zu betreiben.

Ja, grundsätzlich sehe ich das auch so. Ich bin eine große Wortklauberin. Andererseits wurde der Begriff Botschaft auf den letzten Seiten schon ausführlich besprochen, und wenn nun ein ausführliches Argument allein dadurch entkräftet werden soll, dass ein anderer Begriff darin positioniert wird (der für mich in dem Kontext jetzt nicht total naheliegt), und es schon das zweite Mal ist, dass das in dieser Diskussion passiert (nicht mir), dann habe ich nicht das Gefühl, dass es hier um eine gemeinsame Begriffsdefinition geht. Es wäre eine Möglichkeit gewesen zu sagen: "Aha, wenn du Botschaft so siehst, finde ich, dass du rechthast - ich mache diesen Schritt immer, wenn ich über die Prämisse nachdenke." Dann wären wir vielleicht darüber ins Gespräch gekommen, wie wir diese Begriffe in dem Kontext zueinanderbringen. So klingt es für mich nur nach "Ich bin nicht bereit, über Botschaften in dem Sinne, wie es hier in der laufenden Diskussion gebraucht wird, zu reden. Worüber du redest, das ist keine Botschaft sondern eine Prämisse und somit für mich in der Diskussion irrelevant." Und das empfinde ich als nicht eben diskussionsfördernde Wortklauberei.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 19. September 2019, 12:18:35
Ich glaube, die einzigen Botschaften, die wir hier wirklich offen ablehnen sind solche, die rassistisch, homophob und sexistisch sind und da bin ich wirklich ganz entschieden dagegen. Sie aus versehen einzubauen kann passieren, das ging mir früher auch so und geht mir manchmal bestimmt auch noch so, ich bin nicht frei von Fehlern, aber sie bewusst einzubauen oder sie bewusst nicht auszumerzen widerstrebt mir. Geschichten können immer noch viele verschiedene Botschaften haben, aber wenn eine Botschaft lautet, dass Frauen schwächer sind als Männer, dann wehre ich mich ganz entschieden dagegen. Es geht keinesfalls darum, dass jede Geschichte eine Botschaft gegen Rassismus enthalten muss.

Vielleicht sind die Fronten hier so verhärtet, weil es für einige in dieses Diskussion nur um die Aussage "Lasst uns keine rassistischen Bücher schreiben, Leute, ja?" geht und wir würden eigentlich erwarten, dass die meisten zustimmen, aber dann kommen einige und sagen "Also eigentlich..." und das schockiert schon ein wenig. Für mich ist das auch erstmal unabhängig von Diversität in Romanen, weil ich da noch einige Gründe akzeptieren würde, warum man sie nicht einbaut (viele Autor*innen trauen sich nicht, weil sie es nicht falsch machen wollen und die würde ich eher sanft ermutigen als es zu fordern, außerdem kann ich das mit einigen Gruppen nachvollziehen). Ich finde Diversität sehr wichtig, würde aber sagen, dass das eine ganz andere Diskussion ist (die wir hier auch schon sehr konstruktiv geführt haben).

Meinungsfreiheit bedeutet nur, dass die Regierung Menschen nicht für ihre Meinung juristisch verfolgen darf. Ich als Person kann und werde ganz entschieden gegen Rechte vorgehen, denn ich finde nicht, dass ich ihre Meinung akzeptieren muss und werde alles tun, damit sie in unserer Gesellschaft keine Plattform bekommt. Das sehe ich als meine Verantwortung. Die Akzeptanz solcher Meinungen als "nicht meine Meinung, aber legitim" halte ich sogar für gefährlich. In dieser Diskussion geht es für mich um "Lasst uns keine rassistischen Bücher schreiben" und ich sehe nicht ein, warum das eine übertriebene Forderung ist. Das hat nichts mit Gleichschaltung zu tun und dieser Begriff macht mir hier wirklich Bauchschmerzen. Ist es denn etwa schlecht, wenn wir uns als Gesellschaft gegen Rassismus entscheiden? Brauchen wir da wirklich unbedingt eine Gegenmeinung? Es geht ja auch nicht darum, dass Sexismus nirgendwo mehr vorkommen darf, aber die Serie The Handmaid's Tale (das Buch wahrscheinlich auch, aber das habe ich nicht gelesen) spielt in einer sehr, sehr sexistischen Gesellschaft und hat doch eine starke Botschaft gegen Sexismus.

Ich sehe Autor*innen klar in der Verantwortung für das, was sie schreiben. Viele hier möchten auch nicht, dass ihre Geschichten Botschaften enthalten, die Leute diskriminieren und für diese Gruppe, zu der ich mich selbst zähle, ist so eine Diskussion wirklich hilfreich. Ich halte auch nichts davon, Autor*innen grundsätzlich für solche Dinge in ihren Romanen zu verurteilen, denn ich weiß auch vieles noch nicht besser und habe früher vieles noch nicht besser gewusst. Viele meiner älteren Geschichten enthalten Dinge, die ich nun harsch kritisieren würde und ich glaube, dass viele Autor*innen Dinge nicht mit böser Absicht schreiben sondern einfach, weil sie sich nicht bewusst sind, welche Konsequenzen es haben kann. Ich weise lieber freundlich darauf hin. Aber Geschichten haben eine bestimmte Wirkung auf Leser*innen und (professionelle) Autor*innen haben meiner Meinung nach die Pflicht, sich damit auseinander zu setzen. Einfach nur zu schreiben, was einem Spaß macht, ist meiner Meinung nach nicht mehr in Ordnung, sobald man veröffentlicht. Als Hobby kann ich schreiben was ich will, aber wenn ich veröffentliche, dann habe ich eine Leserschaft und trage Verantwortung für die Botschaften meiner Geschichten.

Zitat von: Grey am 19. September 2019, 11:41:40
ABER ich finde dennoch, dass es zum Handwerk eine*r Autor*in gehören sollte, sich darüber Gedanken zu machen, was die geschriebene Geschichte transportiert. Im Grunde ist das doch auch nur ein Werkzeug, um noch bessere (damit meine ich nach den eigenen Maßstäben gemessen) Geschichten schreiben zu können. Wirkung durch Worte, das ist es doch, was wir tun, oder? Unsere Superkraft? Macht es nicht absolut Sinn, diese so bewusst und gezielt wie möglich einsetzen zu wollen?

Dem hier kann ich mich nur anschließen. Autor*innen beschäftigen sich doch unablässig damit, wie ihre Geschichten auf Leser*innen wirken. Wir schreiben sie auf eine bestimmte Art und Weise, damit sie so oder so auf Leser*innen wirken und diese Diskussion hier gehört für mich auch einfach dazu.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 19. September 2019, 15:07:18
ZitatDie Akzeptanz solcher Meinungen als "nicht meine Meinung, aber legitim" halte ich sogar für gefährlich. In dieser Diskussion geht es für mich um "Lasst uns keine rassistischen Bücher schreiben" und ich sehe nicht ein, warum das eine übertriebene Forderung ist. Das hat nichts mit Gleichschaltung zu tun und dieser Begriff macht mir hier wirklich Bauchschmerzen. Ist es denn etwa schlecht, wenn wir uns als Gesellschaft gegen Rassismus entscheiden? Brauchen wir da wirklich unbedingt eine Gegenmeinung?
Natürlich wäre es wünschenswert wenn wir uns alw Gesellschaft gegen Rassismus stellen. Füf mich ist der Knackpunkt, dass es vollkommen egal ist, was die Front oder die Linie, die die gesamte Gesellschaft einhellig vertreten soll inhaltlich ausmacht. Es ist doch jetzt schon zu beobachten, dass in all diesen Diskussionen immer wieder die Unterschiede betrachtet werden. Wer sich nicht 100% in die Linie einsortiert wird plötzlich als jemand gesehen der uns fassungslos macht.
Wenn man nur diese Effekte betrachtet, dann kann ich verstehen, dass Menschen Angst davor haben, was aus diesen starken Wir gegen die Anderen- Gefühlen entstehen kann.
Was unter dem Deckmantel guter Ideen und Ansätze geschehen kann.
Natürlich muss das nicht so sein, dass es geschieht, aber ich persönlich sehe Dynamiken, die ich als gefährljcher einstufe als klar im Blick zu haben, dass es unterschiedliche Stimmen gibt. Und sehr dezidiert zu schauen, wo diese Stimmen auf Gefahren, wo auf Schwächen aufmerksam machen.
Deswegen darf ich aus meiner Sucht trotzdem jederzeit sagen: ich finde deine Herangehensweise bedenklich oder sogar gefährlich. Ich darf sagen, ich stelle mich dir/deinem Werk lautstark entgegen oder ich boykottieren dich/dein Werk.
Was ich aber eben schon bedenklich finde ist zu sagen: Du darfst das nicht so machen, denn Autoren*innen (also ALLE!) haben die Verantwortung das zu reflektieren und in ihren Büchern so umzusetzen wie ich es ethisch vertretbar finde.
Legitim ist für mich zu sagen, wenn du aus meiner Sicht bessere Bücher schreiben willst, fang an deine Perspektive zu wechseln und die Empfindungen von Betroffenen zu berücksichtigen. Wenn du weiterhin festgefahrene Strukturen zementieren willst, mach weiter wie bisher.


Oder anders gesagt: es für legitim zu halten, dass andere andere Meinungen/Vorurteile haben, bedeutet nicht, diese inhaltlich okay zu finden.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Rosentinte am 19. September 2019, 15:13:15
ZitatLegitim ist für mich zu sagen, wenn du aus meiner Sicht bessere Bücher schreiben willst, fang an deine Perspektive zu wechseln und die Empfindungen von Betroffenen zu berücksichtigen. Wenn du weiterhin festgefahrene Strukturen zementieren willst, mach weiter wie bisher.
Ich glaube, das ist der Punkt, an der die Meinungen auseinander gehen. Denn ja, ich halte es für die Verantwortung von jede*r*m diese Strukturen zu überdenken, hinterfragen und ggf. widerlegen. Das gehört für mich insbesondere für Kulturschaffende, die Meinungen bilden und als Multiplikator*innen agieren, dazu.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 19. September 2019, 16:56:06
Zitat von: Rosentinte am 19. September 2019, 15:13:15
ZitatLegitim ist für mich zu sagen, wenn du aus meiner Sicht bessere Bücher schreiben willst, fang an deine Perspektive zu wechseln und die Empfindungen von Betroffenen zu berücksichtigen. Wenn du weiterhin festgefahrene Strukturen zementieren willst, mach weiter wie bisher.
Ich glaube, das ist der Punkt, an der die Meinungen auseinander gehen. Denn ja, ich halte es für die Verantwortung von jede*r*m diese Strukturen zu überdenken, hinterfragen und ggf. widerlegen. Das gehört für mich insbesondere für Kulturschaffende, die Meinungen bilden und als Multiplikator*innen agieren, dazu.
Jepp, ich glaube auch^^  ;)
Im Grunde genommen finde ich das auch insofern gut, als das solche Kontroversen die Themen immer wieder präsent machen/halten.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Zit am 19. September 2019, 17:05:09
Zitat von: NelaNequin am 19. September 2019, 10:02:39Zum zweiten: Ich gehe hier davon aus, dass in diesem Forum die meisten Schreibenden weiß sind oder zumindest von der Gesellschaft als weiß gelesen werden - unabhängig davon, ob sie es sind.

Du tust uns keinen Gefallen, wenn du alle über einen Kamm scherst und ihnen ihre Meinung versagst, weil du für dich selbst festgelegt hast, dass wir alle weiß sind/ weiß aussehen. Woran machst du das fest, kennst du jeden persönlich? Aber vor allem: Was gibt dir das Recht, anderen ihre Meinung abzustreiten und zu sagen, dass sie in entsprechenden Diskussionen um Marginalisierte den Mund zu halten haben, wenn du null Anhaltspunkte hast wie betroffen jemand ist? Aber vor allem: Muss ich ein Hund sein, der mal in der Pfanne lag, um meine Meinung über Hunde in Pfannen ausdrücken zu können – um dann die Möglichkeit zu haben, im Diskurs über Hunde in Pfannen mit anderen meine Meinung und mein Wissen zu erweitern?

@Anjana

Du findest die Worte für etwas, das unterbwusst an mir nagte und ich nicht greifen konnte. Unabhängig vom diesem Thread kann man bei bestimmten Themen bestimmte Tendenzen zu Diskussionsstilen erkennen, die es nicht immer einfach machen, wirklich fruchtbar miteinander zu diskutieren. Um es sanft auszudrücken. Das gibt mir auch zu denken wie man besser diskutieren könnte. :hmmm:
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Angela am 19. September 2019, 17:32:24
ZitatIch wurde letztens von jemanden angesprochen nach einem Vortrag, der zu mir meinte: "Also ich bin ja auch gegen Rassismus, aber ich finde es unerhört, dass die aus Pippi Langstrumpf jetzt alles rausgepackt haben, nur weil [das N-Wort] darin vorkam. Wenn ich das meinen Enkeln vorlese, habe ich ihnen halt erklärt, dass das so nicht okay ist. Das muss doch reichen!" Aber es reicht eben nicht. Weil egal ob wir den Enkel*innen sagen, dass es falsch ist: Sie lernen dadurch dennoch Rassismus. Weil das eben ein unterbewusster Prozess ist, kein bewusster.
Ich sehe das genau anders herum. Das ist ein prima Beispiel, einem Kind klarzumachen, wie sich die Welt verändert und das früher eben Dinge anders waren/gewertet wurden. Es ist gleich ein wenig Geschichtsunterricht. Kinder selbst sind nicht rassistisch, die haben ein feines Gefühl für das, was gut und böse ist, die verstehen das alles sehr gut. Ich bin noch mit den '10 kleinen N****rlein' aufgewachsen, das war früher das Standartbilderbuch überhaupt. Ich fand das immer seltsam unangenehm und befremdlich, auch als Kleinkind schon, aber ich weiß nicht, ob einer der Erwachsenen das je mir gegenüber mal problematisiert hat. Eher nicht, fürchte ich.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Tintenteufel am 19. September 2019, 17:46:47
Unabhängig von der Hautfarbe* gibt es da eine Sache, die mich etwas störty die aber mehr zur Diskussion über die Diskussion passt, die hier geführt wird.

Und zwar wird hier ein Diskurs um Macht und Hoheit geführt - die Macht, gewisse Personen zu objektifizieren, stereotypisieren, die Hoheit über den Literatur- und Kulturkanon - die bislang hauptsächlich beim weißen männlichen Establishment liegt. Rein diskursstrategisch ist es da nicht so effektiv, dieses Establishment (soll heißen: alte, weise Männer, die die Gremien besetzen, die Preise vergeben und sich bei diesen Themen störrisch geben) moralisch in die Verantwortung zu nehmen. Ich glaube auch hier in der Diskussion wird zu wenig auf die Vorteile einer breiteren und diverseren Perspektive eingegangen - und das ist hinderlich, weil von Leuten verlangt wird, Macht ohne Gegenleistung aufzugeben. Selbst ohne ästhetische Gegenleistung.
Neulich kam erst eine Studie einer Prof. Atwater heraus, laut der sich nach #MeToo ein enormer Rückschlag im Umgang mit Frauen am Arbeitsplatz breit macht. Ich habe die Sorge, dass sich das bei diesem Thema ähnlich verhalten wird: Das Establishment wird nicht gezwungen, diese Themen ernst zu nehmen, sondern an es wird moralisch appeliert.

*Ich für meinen Teil bin so weiß und 'alt' und männlich, mich hat neulich ein lieber Freund für meine "preußische Natur" komplementiert und ich sehe weder das noch meine Liebe zu klassischer Literatur, Bildung und Kultur (die primär europäisch und alt, weiß oder männlich ist) als Beleidigung. Ich denke ein kritischer, reflektierter und aggressiver Umgang damit ist wertvoller als Bilderstürmerei.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 19. September 2019, 18:00:33
@Tintenteufel mir wird nicht so ganz klar was genau du vorschlägst. Revolution statt friedlich bitten? Den alten, weißen cishetero Männern die Literatur zu entreißen statt zu versuchen, sie mit ihnen zu ändern?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Tintenteufel am 19. September 2019, 18:12:57
Zitat von: Mondfräulein am 19. September 2019, 18:00:33
@Tintenteufel mir wird nicht so ganz klar was genau du vorschlägst. Revolution statt friedlich bitten? Den alten, weißen cishetero Männern die Literatur zu entreißen statt zu versuchen, sie mit ihnen zu ändern?
Beweisen, dass mit mehr Diversität tatsächlich bessere Kunst rauskommt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 19. September 2019, 18:32:38
[ALANA]
Diskriminierendes Vokabular gesternt.
[/ALANA]

Zitat von: Zitkalasa am 19. September 2019, 17:05:09
Du tust uns keinen Gefallen, wenn du alle über einen Kamm scherst und ihnen ihre Meinung versagst, weil du für dich selbst festgelegt hast, dass wir alle weiß sind/ weiß aussehen. Woran machst du das fest, kennst du jeden persönlich? Aber vor allem: Was gibt dir das Recht, anderen ihre Meinung abzustreiten und zu sagen, dass sie in entsprechenden Diskussionen um Marginalisierte den Mund zu halten haben, wenn du null Anhaltspunkte hast wie betroffen jemand ist? Aber vor allem: Muss ich ein Hund sein, der mal in der Pfanne lag, um meine Meinung über Hunde in Pfannen ausdrücken zu können – um dann die Möglichkeit zu haben, im Diskurs über Hunde in Pfannen mit anderen meine Meinung und mein Wissen zu erweitern?
Ich frage mich, ob du mir gerade absichtlich die Worte im Mund verdrehst oder nicht.

Es geht darum, auf Betroffene zu hören und auf Betroffene Rücksicht zu nehmen. Das ist es, was mich an der Diskussion immer so stört. Denn wenn hier weiße Menschen diskutieren, dass sie Orks nicht rassistisch finden, dann ist das am Ende doch egal, solange nicht-weiße Menschen durch die Darstellung von Orks auf diese Art zu leiden haben.

Man muss kein Hund in der Pfanne sein, um zu sehen, dass es einem Hund in der Pfanne scheiße geht. Das sagt auch niemand. Was ich sage ist: Sprecht dem Hund in der Pfanne verdammt noch mal nicht ab, dass es ihm dort mies geht. Und das passiert hier nun einmal, wenn gesagt wird "Ich finde das nicht rassistisch" oder "Ich finde das nicht schlimm". In einigen Fällen geht es halt soweit, dass offenbar gesagt wird: "Oh, da war ein Hund in der Pfanne? Na ja, das habe ich nicht gewollt, aber hauptsache das hat am Ende gut geschmeckt."

Mir geht es darum, dass einige hier nicht-weißen Menschen absprechen, dass sie unter bestimmten Darstellungen in der Fantasy-Literatur leiden, nur um sich selbst aus der Verantwortung nehmen zu können, über das Selbstgeschriebene zu reflektieren. Weil sie ja angeblich keine Botschaft hätten und sie ja angeblich nichts dafür können, was andere in ihren Büchern lesen.

Und ja, wenn nicht-weiße etwas rassistisch empfinden, dann hat ein weißer Mensch das zu akzeptieren, anstatt zu sagen "Stell dich nicht so an" oder "Sehe ich aber nicht so". Das ist das mindestmaß an Respekt. Die Kritik an Orks kommt von Nicht-Weißen. Der Begriff Orcing wurde spezifisch durch eine schwarze Autorin geprägt. Intention sind dabei letzten Endes egal. Die Auswirkungen sind was zählen. (Das gilt für andere marginalisierte Gruppen natürlich genau so!) Mishell Baker hat gestern einen dazu wunderbar passenden Tweet (https://twitter.com/mishellbaker/status/1173278138211565568) geschrieben.

Zitat von: Angela am 19. September 2019, 17:32:24
Ich sehe das genau anders herum. Das ist ein prima Beispiel, einem Kind klarzumachen, wie sich die Welt verändert und das früher eben Dinge anders waren/gewertet wurden. Es ist gleich ein wenig Geschichtsunterricht. Kinder selbst sind nicht rassistisch, die haben ein feines Gefühl für das, was gut und böse ist, die verstehen das alles sehr gut. Ich bin noch mit den '10 kleinen N*****' aufgewachsen, das war früher das Standartbilderbuch überhaupt. Ich fand das immer seltsam unangenehm und befremdlich, auch als Kleinkind schon, aber ich weiß nicht, ob einer der Erwachsenen das je mir gegenüber mal problematisiert hat. Eher nicht, fürchte ich.
Das Problem ist aber, dass dadurch das Wort weiter und weiter am Leben gehalten wird und weiter und weiter Schwarzen Menschen schaden kann. Bei ein so einer Diskussion ist ein schwarzer Freund von mir halt mal aus der Haut gefahren: "Es geht nicht darum, was dein Kind davon lernt, sondern das mein Kind anfängt zu weinen, wenn es das Wort hört, weil es ihm täglich nachgerufen wird." Und genau das ist der Punkt.

Die Sache ist dazu auch (dazu hatten @Guddy oder @Mondfräulein glaube ich schon gepostet), dass wir nun einmal Sachen aus Geschichten unbewusst mit aufnehmen und daraus unser Weltbild formen. Wir lernen besser, wenn Informationen in eine Narrative eingebunden sind, wenn die Informationen emotional besetzt sind. Und wenn da bspw. Pippi Langstrumpf oder diverse Orks mit stereotypen Darstellungen schwarzer Menschen (oder auch beliebiger anderer Gruppen) kommen, dann verankert sich das eher, als wenn ein Elternteil dazu sagt: "Aber das N-Wort sagen ist übrigens böse und das machen wir heute nicht mehr."

Zitat von: Tintenteufel am 19. September 2019, 18:12:57
Beweisen, dass mit mehr Diversität tatsächlich bessere Kunst rauskommt.
Ich sehe da nur ein Problem: Wer bewertet am Ende, was "besser" ist?

Ich meine, böse gesagt: Green Book hat auch DEN Oscar gewonnen - als locker schlechtester nominierter Film letztes Jahr.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 19. September 2019, 19:59:27
@Zitkalasa Ich habe das Diskutieren mit den vielen Anwälten in meiner Familie gelernt. Solange ich versucht habe, andere zu überzeugen, habe ich nicht nur immer verloren, sondern am Ende gar nicht mehr gewusst, was ich eigentlich gesagt habe. Seit mein Ziel war, meinen eigenen Horizont zu erweitern (die Argumente der anderen aufnehmen und aus allen möglichen perspektiven betrachten, probedenken, szenarien denken und das alles im Dialog mit den anderen, die dasselbe mit meinem Input getan haben), habe ich deutlich konstruktiver diskutiert.
Was nicht heißt, dass ich bei Emotionalität nicht wieder in alte Verhaltensweisen rutschen kann und dann auch nicht mehr konstruktiv bin. Aber es wird immer seltener der Fall. Eine Diskussion hat für mich also keine Lösung mehr zum Ziel, sondern ist an sich schon das Ziel.

ZitatUnd ja, wenn nicht-weiße etwas rassistisch empfinden, dann hat ein weißer Mensch das zu akzeptieren, anstatt zu sagen "Stell dich nicht so an" oder "Sehe ich aber nicht so". Das ist das mindestmaß an Respekt.
Es ist wünschenswert nach einer solchen Aussage durch Betroffene zu reflektieren. Aber deine Aussage halte ich für absolut untragbar und gefährlich. Nicht nur aus Kommunikationswissenschaftlicher Sicht (Stichwort "4 Seiten einer Nachricht" und "Den Inhalt einer Botschaft definiert ausschließlich der Empfänger, der sie autonom verarbeitet", was bedeutet, dass die Verantwortung dafür, dass die richtige Botschaft ankommt bei beiden liegt. Das nur auf den Weißen abzuschieben ist einfach nicht zielführend oder hilfreich. Zumindest nicht pauschalisiert. Sonst muss ich in Zukunft bevor ich mit irgendwem der andere ethnische Wurzeln hat, erstmal seinen spezifischen Verhaltenskatalog erfragen, bevor ich mich ihm gegenüber überhaupt verhalte) sondern auch aus Sicht der Traumaforschung und den Grundlagen beispielsweise der Gestalttherapie, die in der Praxis immer wieder bestätigen, dass nicht Situationen sondern unser Umgang und unsere Bewertungen ausschlaggebend dafür sind, ob und wie stark wir durch etwas traumatisiert sind. Bei weniger starken Empfindungen (wobei anhaltende Rassismusserfahrungen durchaus traumatisierende Wirkungen haben können - nur psycho-physiologisch betrachtet nicht so einfach wie der Satz es vermuten lässt.)
Dazu kommt der Fokus, der dafür sorgt, dass auch Betroffene einen Tunnelblick bekommen. Hier genauso wie bei allem anderen worauf ich meinen Fokus lenke. Was ich wahrnehmen und wie ich das ganze Interpretiere (Hier ein tolles Konzept "Leiter der Schlussfolgerungen oder Leiter der Abstraktion"), die verdeutlichen, dass es eben nicht so einfach ist.

Genauso wenig wie man sagen etwas war nicht rassistisch, weil ich es nicht so gemeint habe, kann man sagen, das war rassistisch, weil ich das so empfunden habe. Das sind schlicht unsinnige Kriterien, wenn man lösungsorientiert darauf schauen will.

Mir können auch tausend menschen sagen, wenn ich mich an der Nase kratze, finden sie es rassistisch, weil ich damit siganlisiere, sie würden stinken. Mich juckt bloß meine verdammte Nase. Und ich lasse mir ganz bestimmt nicht verbieten, mich zu kratzen, wenn es mich juckt, nur weil sich irgendjemand dadurch beleidigt oder ausgegrenzt fühlen könnte. (Und ja, das ist ein reales Beispiel, das ich so erlebt habe. Und nicht nur das.)
Ich setze mich aber gerne hin und schaue, woher kommt diese starke Emotion, die meine Aussagen nicht glaubt. Was steckt dahinter und wo kann man ansetzen, ohne dass wir anfangen für individuelle Wahrnehmungen vorsorgliche Verhaltenskodexe zu entwickeln und sobald jemand sich auf die Füße getreten fühlt, muss der andere sich ändern.
Es ist sehr gut möglich, dass literarische Darstellungen häufiger tatsächlich unterschwellige Botschaften transportieren als mein Nase kratzen. Aber pauschalisiert halte ich die Forderung jeder Weiße habe sich/seinen Text gemäß den Wünschen der PoC des Asiaten und wem auch immer, der sich gerade rassistisch beleidigt fühlt zu verhalten/zu schreiben, weil er selbst nicht einschätzen kann, wie sein Verhalten wirkt, für wirklich bedenklich. Insbesondere bzgl. des Wunsches, unbewusste rassistische Tendenzen abzubauen.
Aber ich fürchte, da kommen wir nicht auf einen Nenner, NelaNequin und deswegen folge ich den anderen, die inzwischen schweigen. Meine Ansichten habe ich in die Runde geworfen. Wer was wie damit machen will oder auch nicht, muss jeder für sich entscheiden, das will ich niemandem vorschreiben.^^
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 19. September 2019, 20:37:56
Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
Aber deine Aussage halte ich für absolut untragbar und gefährlich. Nicht nur aus Kommunikationswissenschaftlicher Sicht (Stichwort "4 Seiten einer Nachricht" und "Den Inhalt einer Botschaft definiert ausschließlich der Empfänger, der sie autonom verarbeitet", was bedeutet, dass die Verantwortung dafür, dass die richtige Botschaft ankommt bei beiden liegt. Das nur auf den Weißen abzuschieben ist einfach nicht zielführend oder hilfreich. Zumindest nicht pauschalisiert. Sonst muss ich in Zukunft bevor ich mit irgendwem der andere ethnische Wurzeln hat, erstmal seinen spezifischen Verhaltenskatalog erfragen, bevor ich mich ihm gegenüber überhaupt verhalte) [...]

Kommunikationswissenschaftlich greifst du da aber auch etwas zu kurz. Ja, wir haben das Sender-Empfänger-Modell und Schulz von Thun, damit haben wir die beiden eingängigsten und bekanntesten Modelle einmal genannt, aber was du hier tust ist sie zu missbrauchen, um die Schuld nur der Person zuzuschieben, die sich beleidigt fühlt. Denn in der Kommunikationswissenschaft wird niemand jemals sagen, dass die Interpretation einer Nachricht nur beim Empfänger liegt. Du ignorierst vollkommen, dass marginalisierte Menschen und Menschen, die ohne diese Diskriminierungserfahrungen leben, Informationen dadurch auch unterschiedlich verarbeiten. Und wenn du schon wissenschafltich an die Sache herangehen willst, dann ignoriere auch nicht die Forschung, die es zu Rassismus durchaus schon gibt.

Du ignorierst außerdem, dass niemand gefordert hat, vor jeder Interaktion einen spezifischen Verhaltenskatalog zu erfragen, sondern einfach nur zuzuhören, bevor du Dinge aus deiner persönlichen Sichtweise heraus als nicht diskriminierend einstufst (Strohmann-Argument ist hier ein Konzept, das du dir wirklich mal anschauen solltest).

Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
[...] sondern auch aus Sicht der Traumaforschung und den Grundlagen beispielsweise der Gestalttherapie, die in der Praxis immer wieder bestätigen, dass nicht Situationen sondern unser Umgang und unsere Bewertungen ausschlaggebend dafür sind, ob und wie stark wir durch etwas traumatisiert sind. Bei weniger starken Empfindungen (wobei anhaltende Rassismusserfahrungen durchaus traumatisierende Wirkungen haben können - nur psycho-physiologisch betrachtet nicht so einfach wie der Satz es vermuten lässt.)
Dazu kommt der Fokus, der dafür sorgt, dass auch Betroffene einen Tunnelblick bekommen. Hier genauso wie bei allem anderen worauf ich meinen Fokus lenke. Was ich wahrnehmen und wie ich das ganze Interpretiere (Hier ein tolles Konzept "Leiter der Schlussfolgerungen oder Leiter der Abstraktion"), die verdeutlichen, dass es eben nicht so einfach ist.

Ich weiß auch nicht, was du hier jetzt Gestalttherapie willst, weil du das Argument nur benutzt, um die Schuld wieder auf die zu schieben, die diskriminiert werden. Ihr Umgang mit und ihre Bewertung von Diskriminierungserfahrungen ist also Schuld an Traumatisierung. Zudem bist du hier die erste, die überhaupt von Traumatisierung spricht, das wirfst du nur in den Raum, um Traumaforschung als Argument missbrauchen zu können. Damit reißt du die Gestalttherapie vollkommen aus dem Kontext. Das ist eine Therapieform, bei der es um das Individuum geht, darum, einer Person zu helfen, nicht darum, zu ermitteln, wie unser gesellschaftliches Zusammenleben aussehen soll, welche Erfahrungen durch strukturellen Rassismus geprägt sind, welche Wirkungen Stereotype in Geschichten auf die Einstellungen von Menschen haben. Es ist ein Ansatz, um Menschen zu helfen, nicht um solche gesellschaftlichen Zusammenhänge zu erklären. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.

Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
Genauso wenig wie man sagen etwas war nicht rassistisch, weil ich es nicht so gemeint habe, kann man sagen, das war rassistisch, weil ich das so empfunden habe. Das sind schlicht unsinnige Kriterien, wenn man lösungsorientiert darauf schauen will.

Inwiefern ist das unsinnig, wenn ich lösungsorientiert arbeiten will? Was hat das hier überhaupt mit lösungsorientierten Ansätzen zu tun? Oder wie würde ein lösungsorientierter Ansatz hier aussehen? Was hat das mit irgendetwas zu tun? Oder wirfst du das Wort nur einfach so in den Raum? Und was definiert dann für dich überhaupt eine rassistische Aussage wenn nicht, dass es jemand als rassistisch empfunden hat?

Du kannst deine Meinungen haben, aber was du nicht tun solltest, ist Konzepte und Theorien so aus dem Kontext zu reißen, um sie zu stützen. Du hast an keiner Stelle genannt, warum diese Haltung jetzt gefährlich sein soll, sondern nur anderen die Schuld in die Schuhe für ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen in die Schuhe geschoben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Anj am 19. September 2019, 20:49:41
Meine Worte waren unter anderem:
Zitatwas bedeutet, dass die Verantwortung dafür, dass die richtige Botschaft ankommt bei beiden liegt.
Hervorhebung für diese Antwort eingefügt. Das wollte ich nur noch mal klarstellen.
Ansonsten bleib ich raus aus der Diskussion.

Edit: Ich möchte doch noch weitere Aspekte zur Sicherheit noch einmal formulieren: Ich finde die angesprochenen Konzepte hilfreich für diese Kontexte. Ich habe sie genannt, damit sie bei Interesse recherchiert und selbständig auf das Thema, bzw. die Forderung angewandt werden können. Oder halt nicht. Das bleibt jedem selbst überlassen. Niemand muss meine Ansichten einfach übernehmen. Aber um sie zu prüfen finde ich es hilfreich, zu offenbaren was mich zu der Meinung bringt.

Und von Schuld habe ich zu keiner Zeit gesprochen, sondern von Verantwortung. Das sind für mich unterschiedliche Dinge. Ich könnte Ergebisse aus der Kinesiologie zu den Konzepten Schuld und Verantwortung aufführen, aber das führt in dieser Diskussion dann vermutlich endgültig zu weit.
Die Schuld sehe ich bei niemandem, weil ich Schuld und Schuldzuweisungen grundsätzlich nicht hilfreich finde.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Soly am 22. September 2019, 21:45:39
Ich unterbreche mein von Anfang an gewahrtes Schweigen jetzt doch, weil ich mich vor ein paar Tagen noch gefreut habe, dass die Diskussion etwas empathischer wird und jetzt plötzlich doch wieder die Gräben aufreißen.
Wer sich berufen fühlt, auf das hier zu antworten, möge bitte bis ganz zum Schluss lesen - danke im Voraus.

@NelaNequin
Zitat von: NelaNequin am 19. September 2019, 18:32:38
Mir geht es darum, dass einige hier nicht-weißen Menschen absprechen, dass sie unter bestimmten Darstellungen in der Fantasy-Literatur leiden, nur um sich selbst aus der Verantwortung nehmen zu können, über das Selbstgeschriebene zu reflektieren. Weil sie ja angeblich keine Botschaft hätten und sie ja angeblich nichts dafür können, was andere in ihren Büchern lesen.
(Herborhebung von mir)

Au. Auch wenn ich bisher nur Zuschauer war. Aber AUTSCH!
Waren wir nicht vor einigen Tagen schon mal bei der Erkenntnis angekommen, dass wir im Grunde alle Ähnliches wollen, aber in unterschiedlichen Ausprägungen? Dass wir unsere Differenzen eigentlich nur in Begriffsdefinitionen finden, dass die meisten Probleme hier nur auftreten, weil verschiedene Formulierungen verschiedene Leute auf verschiedene Weisen triggern?
Und dass es vor allem nicht nötig ist, sich gegenseitig zu verurteilen, weil wir tief drin letzten Endes sehr, sehr nah beieinander sind, was unsere Weltsicht betrifft?

Du behauptest jetzt folgendes:
1) Es existieren Menschen, die anhand bestimmter Beiträge in dieser Diskussion die folgende Einstellung zeigen.
2) Diese Menschen sprechen nicht-weißen Menschen deren Leidensdruck [der durch bestimmte Darstellungen in der Literatur erzeugt wird] ab.
3) Diese Menschen tun das mit dem expliziten Ziel, jede Verantwortung für diesen Leidensdruck von sich zu weisen und sich klar der Selbstreflexion zu verweigern.

Frage: Wer?
Beide Punkte müssten sich theoretisch in spezifischen Beiträgen finden lassen. Entweder weil sie explizit geschrieben worden, oder weil sie implizit drinstecken - was bedeuten würde, dass du sie als Empfänger der Botschaft hineininterpretierst.
Da gehört es aber eigentlich zum guten Ton, zumindest mal nachzufragen, ob du das jetzt richtig verstanden hast. Und erst wenn du dir ganz sicher bist, kannst du diese deftigen Anklagen fallen lassen. Oder wenn das ganze Nachfragen dir zu anstrengend ist, kannst du als Mindestmaß an Respekt wenigstens grob darstellen, aus welchen wörtlichen Äußerungen du mit welchen Randannahmen diese Anklagen herleitest.
Das würde es uns anderen ermöglichen, auf dich zuzukommen, Missverständnisse zu klären und unsere gegenseitigen Wahrnehmungen dieser DIskussion zu verstehen. Dann sehen wir uns auch wieder als Menschen an und nicht als Verfechter extremer und unteilbarer Positionen.

@Mondfräulein
Zitat von: NelaNequin am 19. September 2019, 18:32:38
Und ja, wenn nicht-weiße etwas rassistisch empfinden, dann hat ein weißer Mensch das zu akzeptieren, anstatt zu sagen "Stell dich nicht so an" oder "Sehe ich aber nicht so". Das ist das mindestmaß an Respekt.

Das klingt an sich nach einem Satz, den ich sofort unterschreiben würde, ausgehend von den Bildern und Repräsentationen, die dadurch in meinem Kopf aktiviert werden.
ABER:
Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
"Den Inhalt einer Botschaft definiert ausschließlich der Empfänger, der sie autonom verarbeitet", was bedeutet, dass die Verantwortung dafür, dass die richtige Botschaft ankommt bei beiden liegt. Das nur auf den Weißen abzuschieben ist einfach nicht zielführend oder hilfreich. Zumindest nicht pauschalisiert.
(Hervorhebung von mir)

Auch das klingt für mich erstmal nachvollziehbar. Denn ja, es stimmt durchaus, dass Kommunikation immer zwei Seiten hat - wobei ich das Veröffentlichen einer Geschichte jetzt auch einfach mal als Kommunikation bezeichne.
Wenn wir uns vorstellen, dass eine Geschichte geschrieben wird und einzig und allein der Autor dafür verantwortlich ist, dass niemand sich auf den Schnürsenkel getreten fühlt, dann läuft es letzten Endes darauf hinaus, dass jeder einzelne Absatz, der von irgendjemandem bemängelt wird, neu geschrieben werden müsste. Pauschalisiert gesehen.
Deshalb sollten wir es nicht :no: pauschalisiert betrachten.

Das zumindest ist es, was ich aus @Anjanas Post herausgelesen habe.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich den Rest des Posts nicht vollständig verstanden, deshalb sage ich auch nichts dazu.
Aber dieser Satz ist in meinen Augen durchaus berechtigt. Und auf keinen Fall würdig, solche massiven Anschuldigungen ins Gesicht zu bekommen. Da gilt dann dasselbe wie oben: Erst stringent darstellen, wie du Anjanas Aussagen verstehst, welche Randannahmen du triffst und warum dich das stört.
Dann anklagen.

Zurück zum umstrittenen Statement.
***Nicht alle Kritik ist berechtigt, auch wenn sie von einer nicht-weißen Person kommt und eine weiße Person betrifft.***
"Nicht alle" bedeutet in diesem Fall genau das - nicht alle.
"Nicht alle" bedeutet nicht "Keine".
Wenn eine einzelne Person sich von einer Formulierung in einem Buch angegriffen fühlt, die für hundert Personen der gleichen Gruppe kein Problem darstellt, dann sollte es nicht als Pflicht gesehen werden, alles zu ändern. Dann liegt das Problem vielleicht doch eher beim Empfänger als beim Sender.
Wenn dagegen aber viele Personen sich unabhängig voneinander angegriffen fühlen, dann liegt das Problem eindeutig beim Sender (=Autor) und sollte von diesem auch behoben werden.


Ich hoffe, ich habe es geschafft, möglichst deutlich zu machen, was ich sagen will, und was ich nicht sagen will.
Wenn nicht...
Wenn ihr euch angegriffen fühlt...
Wenn ihr in diesem Post unhaltbare Positionen vertreten seht...
...dann sagt mir das. Macht es für euch selbst und mich nachvollziehbar, woran ihr euch stört und warum, was genau dasteht und wie viel davon implizite Annahmen sind. Dann können wir weiter darüber reden, und vor allem könnt ihr dann mir aufzeigen, wo ich vielleicht meinen eigenen anerzogen Rassismen unterliege.
Aber zeigt es mir konkret. Wenn ihr mir einfach irgendwas vorwerft und es als bestehenden Fakt framt, motiviert ihr mich nur, nicht auf euch einzugehen. Wenn ihr mir eine Kette von Implikationen aufzeigt und die als eure Wahrnehmung framt, bringt ihr mich dazu, über mich selbst nachzudenken.

Besten Dank.
Im Sinne der von mir vor einiger Zeit angestoßenen systemischen Debatte - ich bin optimistisch.
Ihr seid toll.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 01. Oktober 2019, 14:13:35

Nach längerer Zeit mal wieder in den Thread reingeschaut und ich bin erstaunt, wie heiß da diskutiert wurde.

Ich habe die Orks aus meiner Geschichte genommen.

Was mich noch sehr interessiert hätte, wäre:

Zitat von: Tintenteufel am 19. September 2019, 18:12:57
Beweisen, dass mit mehr Diversität tatsächlich bessere Kunst rauskommt.

Das fände ich echt interessant und hilfreich.

Irgendwo weiter vorn hat jemand beklagt, dass Fantasy immer auf Mittelalter beruht und das Mittelalter weiß ist.
Es gibt auch andere Settings, wie das von "Children of Blood and Bone" . Hat das jemand von euch gelesen?
https://www.goodreads.com/book/show/34728667-children-of-blood-and-bone?from_search=true

Ich bin sicher, es wird noch weitere Bücher geben, in denen das Setting sich von europäischem Mittelalter entfernt und an die Mythen, Legenden, Kultur anderer Weltregionen anlehnt.
Vielleicht sind ja auch hier in diesem Zirkel solche Geschichten schon geschrieben worden bzw. werden gerade geschrieben.

Die großen Verlage haben sicher ein offenes Ohr für Neues und Spannendes, das mehr Diversität in ihr Programm bringt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 01. Oktober 2019, 16:12:11
ZitatDie großen Verlage haben sicher ein offenes Ohr für Neues und Spannendes, das mehr Diversität in ihr Programm bringt.

Nope. Die großen Verlage haben ein offenes Ohr für alles, was Geld in ihre Kassen zu spülen verspricht. Unabhängig vom Inhalt. Die haben meist keine politische Agenda, sondern im schlechtesten Fall zu befriedigende Aktionäre, denen Bücher egal sind.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 01. Oktober 2019, 16:49:27
Zitat von: FeeamPCNope. Die großen Verlage haben ein offenes Ohr für alles, was Geld in ihre Kassen zu spülen verspricht. Unabhängig vom Inhalt. Die haben meist keine politische Agenda, sondern im schlechtesten Fall zu befriedigende Aktionäre, denen Bücher egal sind.
Naja, aber ein bisschen Greenwashing, oder in dem Fall "sein Bekenntnis zur Diversität und gegen Rassimus ablegen" kommt ab und an auch ganz gut. ;)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amber am 01. Oktober 2019, 16:54:10
Zitat von: FeeamPC am 01. Oktober 2019, 16:12:11
ZitatDie großen Verlage haben sicher ein offenes Ohr für Neues und Spannendes, das mehr Diversität in ihr Programm bringt.

Nope. Die großen Verlage haben ein offenes Ohr für alles, was Geld in ihre Kassen zu spülen verspricht. Unabhängig vom Inhalt. Die haben meist keine politische Agenda, sondern im schlechtesten Fall zu befriedigende Aktionäre, denen Bücher egal sind.

Na ja, rechtsradikale Inhalte werden schon abgelehnt, siehe Akif Pirincci und Random House.

Und es wird schon auch mal Neues probiert, aber eben sehr zögerlich, wenn mit dem alten Kram nicht mehr so gut Geld zu verdienen ist oder die Leute, die das Neue blockiert haben, an Macht verlieren.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 01. Oktober 2019, 16:58:58
Man kann's auch monetarisieren. Hollywood pusht progressive Agenden, weil die Kritiker das super finden. Das ist leicht verdienter Metacritics-Score. Wenn dann im Fandom der Flame War tobt, kann man den auch wieder medial ausschlachten. 

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Zitat von: AngelikaD am 01. Oktober 2019, 14:13:35
Irgendwo weiter vorn hat jemand beklagt, dass Fantasy immer auf Mittelalter beruht und das Mittelalter weiß ist.

Ich würde eher sagen, dass Fantasy auf einer Idee vom Mittelalter beruht, in der alles weiß ist, aber tatsächlich kann ich mir nicht vorstellen, dass das so gewesen ist. Die Römer haben sich bis nach Afrika hin ausgebreitet und ich kann mir nicht vorstellen, dass das nicht dazu geführt hat, dass auch jemand aus diesen Gebieten nach Europa gekommen ist und sich dort niedergelassen und Kinder bekommen hat. Später gab es dann auch im Mittelalter Handel mit dem Orient, Teile Europas waren unter arabischer Herrschaft. Die Sache ist nur, dass unsere jetzige Vorstellung vom Mittelalter durch den Rassismus der Kolonialzeit geprägt ist, wodurch wir den Rassismus dieser Zeit oft einfach aufs Mittelalter übertragen. (Bitte korrigiert mich, wenn ich das ganz falsch wiedergebe, ich bin keine Historikerin und nicht wahnsinnig bewandert auf diesem Gebiet.)

Zitat von: Tintenteufel am 19. September 2019, 18:12:57
Beweisen, dass mit mehr Diversität tatsächlich bessere Kunst rauskommt.

Beweisen im wissenschaftlichen Sinne lässt sich das nicht, weil es schwer ist überhaupt zu definieren, was bessere Kunst ist. Die Wissenschaft tut sich da schwer. Natürlich gibt es bestimmte Kriterien, an denen ich es messen kann, aber es gibt kein einheitliches Kriterium. Ich kann nach dem finanziellen Erfolg eines Werks gehen, aber der ist niemals unbeeinflusst von Marketing und vielen anderen Faktoren, außerdem diskutieren wir dann wieder schnell darüber, ob 50 Shades of Grey wirklich so ein wahnsinnig tolles Buch war, wie es sein Erfolg vermuten lassen würde. Ich Kriterien aufstellen und ein Buch bewerten lassen, aber dann beeinflusse ich durch die Auswahl der Kriterien und der Rater, wie ein Werk bewertet wird. Professionelle Literaturkritiker*innen werden wahrscheinlich Buch X über ein sehr ernstes Thema besser bewerten als Twilight, 14jährige Schülerinnen sehen das aber vielleicht anders und wie kann ich dann urteilen, wer eher Recht hat? Nehme ich Leute vom Fach oder durchschnittliche Leser*innen? Aber Geschmäcker sind nunmal verschieden. Ich hasse zum Beispiel Krimis und habe überhaupt keinen Spaß daran, sie zu lesen, aber das heißt nicht, dass alle Krimis schlecht sind. Sehr viele Leute lesen sehr, sehr gerne Krimis.

Ich glaube auch nicht, dass Diversität ein Werk per se besser macht. Es wird dadurch nicht automatisch spannender oder angenehmer zu lesen. Was Diversität, wenn gut umgesetzt, aber tut, ist zum einen, dass sich ein breiteres Spektrum an Leser*innen mit den Büchern identifizieren kann und dass es die Realität besser wiederspiegelt. In der Welt, in der ich lebe und in der ich mich bewege, sind queere Menschen ein Teil meines Alltags. Wenn ich mich mit Freunden unterhalte, nehmen wir nicht mehr automatisch an, dass jeder heterosexuell ist. Es ist in meinem Alltag Thema, deshalb kommt es mir weniger realistisch vor, wenn es in einem Buch auch dann ausgeklammert wird, wenn es meinem Empfinden nach aufkommen sollte. Zum anderen kann Diversität, und damit beziehe ich mich vor allem auf queere Figuren, dabei helfen kann, feste Muster aufzubrechen. Heterosexuelle Liebesgeschichten haben sich oft in den gleichen langweiligen Muster festgefahren, die für gleichgeschlechtliche Romanzen auf einmal nicht mehr gelten, was solche Liebesgeschichten für mich attraktiver und besser macht. Das kann ich natürlich auch, wenn ich gut genug schreibe, mit einer heterosexuellen Romanze erreichen, aber ich habe beobachtet, dass es durchaus hilfreich sein kann, bei Liebesgeschichten nicht in althergebrachten Rollenmustern zu denken.

Was wahrscheinlich am meisten Sinn machen würde, wäre zu zeigen, dass sich auch auf dem deutschen Buchmarkt diverse Bücher sehr gut verkaufen können, damit Verlage mehr Mut aufbringen, sie zu verlegen. Auf dem englischen Literaturmarkt erscheinen in den letzten Jahren sehr, sehr viele Bücher mit diversen Protagonist*innen, aber nur ein Bruchteil davon wird übersetzt. Ich hoffe, dass sich das bald auch bei uns ändert.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Beweisen im wissenschaftlichen Sinne lässt sich das nicht, weil es schwer ist überhaupt zu definieren, was bessere Kunst ist.

Wie ist es mit der Shortlist zum Deutschen Buchpreis? Ich kenne die Bücher jetzt nicht, aber wäre das nicht ein Maßstab, was von Fachmenschen als literarische Kunst eingestuft wird?
Weiß jemand, wie divers diese Werke sind?

Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Ich glaube auch nicht, dass Diversität ein Werk per se besser macht. Es wird dadurch nicht automatisch spannender oder angenehmer zu lesen. Was Diversität, wenn gut umgesetzt, aber tut, ist zum einen, dass sich ein breiteres Spektrum an Leser*innen mit den Büchern identifizieren kann und dass es die Realität besser wiederspiegelt. In der Welt, in der ich lebe und in der ich mich bewege, sind queere Menschen ein Teil meines Alltags.

Ich dachte, Fantasy wird vor allem gelesen, weil die Menschen etwas anderes als ihren Alltag lesen wollen?

Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Heterosexuelle Liebesgeschichten haben sich oft in den gleichen langweiligen Muster festgefahren, die für gleichgeschlechtliche Romanzen auf einmal nicht mehr gelten, was solche Liebesgeschichten für mich attraktiver und besser macht. Das kann ich natürlich auch, wenn ich gut genug schreibe, mit einer heterosexuellen Romanze erreichen, aber ich habe beobachtet, dass es durchaus hilfreich sein kann, bei Liebesgeschichten nicht in althergebrachten Rollenmustern zu denken.
Da bringst du mich auf eine spannende Spur, denn als ich in Twitter gefragt habe, ob jemand eine queere Romanze kennt, die keine Spur von Erotik beinhaltet, ein historisches Setting wie in Georgette Heyers Werken, auf pointierten Dialogen und einem scharf gezeichneten Bild derselben Zeit, konnte mir niemand einen Titel nennen. Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen, sowas hätte ich gern gelesen.

Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Was wahrscheinlich am meisten Sinn machen würde, wäre zu zeigen, dass sich auch auf dem deutschen Buchmarkt diverse Bücher sehr gut verkaufen können, damit Verlage mehr Mut aufbringen, sie zu verlegen. Auf dem englischen Literaturmarkt erscheinen in den letzten Jahren sehr, sehr viele Bücher mit diversen Protagonist*innen, aber nur ein Bruchteil davon wird übersetzt. Ich hoffe, dass sich das bald auch bei uns ändert.

Da bin ich ganz bei dir. Die Children of Blood and Bone war ja ein solcher Versuch.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 02. Oktober 2019, 09:34:39
Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Wie ist es mit der Shortlist zum Deutschen Buchpreis? Ich kenne die Bücher jetzt nicht, aber wäre das nicht ein Maßstab, was von Fachmenschen als literarische Kunst eingestuft wird?
Weiß jemand, wie divers diese Werke sind?
Warte mal, ist deine Frage gerade ernsthaft: "Was halten denn alte weiße cishetero Männer von Diversität?" Weil es liest sich so, als wäre das deine Frage. Denn Rate mal, wer einen nicht unerheblichen Teil der "Fachmenschen" ausmacht, die ihrerseits einen Bias gegen Geschichten haben, in denen ihre Art nicht die Hauptrolle spielt?
Das ist so, wie zu sagen, Oscarnominierungen sagen was über die besten Filme im Jahr. Tun sie nicht. Sie sagen nur, welche Filme es am besten geschafft haben, eine sehr, sehr spezifische Zielgruppe (im Fall der Oscars weiße, cishetero Schauspieler jenseits der 50) anzusprechen. Und welche Filme von ihrem Studio entsprechend gut vermarktet wurden oder die besten Geschenke mit sich gebracht haben.
Genau so sagen Publikumspreise sehr wenig aus, da sie eben auch nur sagen, wie sehr sich ein allgemeines Publikum - in diesem Fall die "breite Masse" - von einem Buch angesprochen gefühlt haben. Aber erneut natürlich auch etwas über das Marketing.

Es ist nun einmal so: Ein objektives Gut gibt es nicht in der Kunst. Sicher, man kann bei Geschichten Dinge, wie den Handlungsaufbau, Charakterentwicklung, Stil und Rechtschreibung bewerten, aber selbst da wird es schwer. Denn was für den einen eine Nachvollziehbare Charakterentwicklung ist, klingt für den nächsten komplett weit hergeholt - oft abhängig von den unterschiedlichen Lebensrealitäten und Weltwahrnehmung. Ich habe auf meinen Roman nur eine wirklich negative Kritik bekommen und diese beruhte zentral darauf, dass die Kritikerin, die offenbar in ihrem Leben wenig Erfahrung mit Depression hatte, einige Entscheidungen, die die Protagonistin aus ihrer Depression heraus trifft, absolut nicht nachvollziehen konnte. Unterschiedliche Lebenserfahrung halt.

Und sowas zeigt sich auch bei Geschichten (egal in welchem Medium), die über Erfahrungen mit Sexismus, Rassismus oder Queermisia aus erster Hand schreiben. Diverse Leute finden dass dann "unrealistisch" oder "übertrieben", und bewerten die Geschichte dann schlecht, weil sie nicht wissen, wie es wirklich ist.

Ich lege einen hohen Wert auf Glaubwürdigkeit. Deswegen ist mir Diversität wichtig, weil Bücher ohne nun einmal nicht glaubwürdig sind, außer sie spielen in einem sehr, sehr begrenzten Setting mit einem sehr, sehr kleinen Cast.

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Ich dachte, Fantasy wird vor allem gelesen, weil die Menschen etwas anderes als ihren Alltag lesen wollen?
Sorry, aber das klingt für mich nur nach einem furchtbaren Bad Faith Argument, dass einfach nur eine Ausrede geben soll, sich nicht mehr anzustrengend. Die fantastischen Elemente entführen aus dem Alltag - wenn du fantastische Weißheit oder fantastische Cisheterokeit brauchst, um deinem Alltag zu entfliehen und dich wirklich wohl zu fühlen ... dann sagt das in meinen Augen einiges aus und nichts davon ist gut.

Ich bin ein queerer Mensch. Meine Alltagsflucht in Fantasy setzt unter anderem auch voraus, dass es eine Fantasie ist, in die ich fliehen kann. Deswegen finde ich in Hogwarts beispielsweise keinen Escapism, weil es nun einmal so wirkt, als wäre meine Existenz mit der Welt nicht vereinbar. Und ich weiß von einigen behinderten Freund*innen, dass es ihnen ähnlich geht.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 02. Oktober 2019, 10:12:38
Meiner Meinung nach hängt die Antwort auf die Frage, ob Diversität eine Geschichte besser macht, damit zusammen, wie sie sich in den jeweiligen Weltenbau einfügt und ob dies ein schlüssiges Ganzes ergibt, oder nicht.

Wenn man eine Geschichte über Soldaten schreibt und die in einer Gesellschaft spielt, in der Krieg eben Männersache ist, kann die Geschichte gut sein, auch wenn nur Männer im Mittelpunkt stehen. Einfach Soldatinnen dazufügen, damit man mehr Diversität hat, macht sie nicht notwendigerweise besser, wenn der Fokus auf den Soldaten bleiben soll. Man könnte dann aber entweder auch die Geschichte der Frauen in dieser Kriegssituation erzählen, oder eine Kultur entwickeln, in der es üblich ist, dass Frauen bei der Armee beteiligt sind. Beides könnte ebenfalls zu guten Geschichten führen, ob sie notwendigerweise besser sind, kommt darauf an. Wenn das Ziel darin besteht, beispielsweise die Erfahrungen eines Soldaten im Ersten Weltkrieg zu schildern, kann Version 1 die beste sein. (Im Westen nichts Neues wurde ja auch kritisiert, weil Frauen darin zu wenig vorkommen, finde ich in diesem speziellen Zusammenhang aber völlig gerechtfertigt.) Wenn man über Krieg allgemein schreiben möchte, wäre die zweite Version die beste und die dritte, wenn es beispielsweise um eine Armee geht, die an die heutige israelische angelehnt ist. (Ist jetzt das erste Beispiel, das mir bei Wehrpflicht für Frauen einfällt.)

Ähnlich ist es bei der ethnischen Diversität. Wenn man über eine moderne, mobile, globalisierte Welt schreibt, sollte die ethnische Zusammensetzung dem entsprechen. Schreibt man über ein Reich, dem mehrere Völker angehören, sollten auch Angehörige dieser Völker zu finden sein, in einer internationalen Handelsmetropole Menschen aus allen Ländern, die dort Handel treiben.
Schreibt man aber über eine wenig mobile Gesellschaft, wo die meisten gerade mal bis zum Nachbardorf reisen, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass diese ethnisch sehr homogen sein dürfte und wie die Leute dann aussehen, steht zunächst einmal im Bezug zu den regionalen Gegebenheiten, wobei dann die vorwiegend weiße, pseudoeuropäische Gesellschaft durchaus eine Option ist.
Allgemein gehört es meiner Meinung nach zum guten Weltenbau, dass die ethnische Zusammensetzung irgendwo nachvollziehbar ist, also durch Handelsbeziehungen, Eroberungen, Migration, Zugehörigkeit zum selben Reich etc.
Wenn einfach die heutige ethnische Zusammensetzung von New York einschließlich der dortigen Konflikte in ein Fantasydorf transplantiert wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass daraus eine gute Geschichte wird, eher gering.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 10:35:15
Genauso ist es, @Amanita . @AngelikaD schreibt Welten, die aus ihrer Historie heraus ziemlich homogen sind, aber mit Figuren, denen ich spontan beim Lesen keinerlei Rassesortierung gebe, weil die Beschreibung genug Spielraum für Fantasie lässt. Die Konflikte sind mehr von innen heraus als von außen herangetragen. Aber es gibt benachteiligte Gruppen, eindeutig (Frauen generell, Mischlinge mit einem Nachbarvolk), die ihren Platz finden wollen und behaupten wollen. Innerhalb des Weltenbaus ist also eine gewisse Diversität mit angelegt, und mehr gibt die Welt einfach nicht her, ohne ihren Charakter grundlegend zu veränder - was schade wäre, denn die Welt ist gut durchdacht und funktioniert hervorragend.

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 02. Oktober 2019, 10:43:52
Danke, Amanita und FeeamPC. Genau so sehe ich das auch. Es hängt einfach von der Geschichte ab, die man erzählen möchte. Und auch von persönlichen Vorlieben, welche Figuren man einbaut und interagieren lässt. Finde ich diese oder jene samt ihren Problemstellungen interessant, dann immer rein damit, wenn es zur Geschichte beiträgt. Kann ich mit dieser oder jener aber so gar nichts anfangen, dann wird die auch nicht auftauchen, nur um auf der imaginären Liste "muss heutzutage mit rein" ein Häkchen zu machen. Weil es dann ein Pappkamerad werden würde, der nur durch das Bild läuft und ansonsten nichts zu Story hinzufügt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Guddy am 02. Oktober 2019, 12:11:55
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 10:35:15

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.
Es ist seit Jahrzehnten normal, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und so zu tun, als wäre weiß und cis-männlich die Default-Einstellung.

Ist es jedoch nicht. Auch wenn das als weißer Mensch unangenehm zu verstehen und zu sehen sein kann.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 02. Oktober 2019, 12:47:56
Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 09:34:39
Warte mal, ist deine Frage gerade ernsthaft: "Was halten denn alte weiße cishetero Männer von Diversität?" Weil es liest sich so, als wäre das deine Frage. Denn Rate mal, wer einen nicht unerheblichen Teil der "Fachmenschen" ausmacht, die ihrerseits einen Bias gegen Geschichten haben, in denen ihre Art nicht die Hauptrolle spielt?

Ich habe ein bisschen auf der Buchpreisseite gestöbert.
Es sind zwei Frauen und fünf Männer, geboren zwischen 1948 und 1975.
Und ich habe mir die Bücher angesehen, ich denke für Diversitätsinteressierte ist gleich der zweite Titel interessant:
https://www.fischerverlage.de/buch/miku_sophie_kuehmel_kintsugi/9783103974591
Da kommt auch ein queeres Paar vor als zentrale Hauptfiguren. Und offenbar hat die Textqualität überzeugt.
Das finde ich mal sehr ermutigend.
Und ich sträube mich, alle Menschen über einen Kamm zu scheren, in einen Topf zu werfen, allein wegen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe und ihres Alters.

Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 09:34:39
Sorry, aber das klingt für mich nur nach einem furchtbaren Bad Faith Argument, dass einfach nur eine Ausrede geben soll, sich nicht mehr anzustrengend. Die fantastischen Elemente entführen aus dem Alltag - wenn du fantastische Weißheit oder fantastische Cisheterokeit brauchst, um deinem Alltag zu entfliehen und dich wirklich wohl zu fühlen ... dann sagt das in meinen Augen einiges aus und nichts davon ist gut.

Schlechte Gläubigkeit? Das Wort kann ich in diesem Zusammenhang nicht richtig einordnen.  ???
Ja, ich lese Fantasy, SF und Historische Romane und keine Gegenwartsliteratur, weil ich die Gegenwart erlebe, über andere Medien mitbekomme und daher gern eine halbe bis eine Stunde am Tag davon abschalte.
Wenn das bedenklich ist, werde ich mit meinem Arzt reden müssen.

Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 09:34:39
Ich bin ein queerer Mensch. Meine Alltagsflucht in Fantasy setzt unter anderem auch voraus, dass es eine Fantasie ist, in die ich fliehen kann. Deswegen finde ich in Hogwarts beispielsweise keinen Escapism, weil es nun einmal so wirkt, als wäre meine Existenz mit der Welt nicht vereinbar. Und ich weiß von einigen behinderten Freund*innen, dass es ihnen ähnlich geht.

Ich lese sehr viele Geschichten, wo Männer die Hauptrolle haben, vor allem auch ich-Perspektive. Aus dem einfachen Grund, weil ich keine Romanzen lesen mag. Und Männer können Abenteuer erleben, ohne sich verlieben zu müssen. Frauen können das leider so gut wie nie.
Die sexuelle Orientierung der Figuren ist daher absolut uninteressant für mich als Leserin. Je weniger Herzschmerz, desto besser. Über diese Seiten blättere ich meist drüber. Wenn ich romantische Szenen schreibe, dann weil es meine Zielgruppe lesen möchte, nicht weil ich es gern lese.
Je mehr Widrigkeiten, die Figur erlebt, ohne sich zu beugen oder zu brechen und sich durchkämpft, desto spannender.  Je stärker sich die Figur entwickelt, desto fesselnder.
Und solange mir eine Figur das bietet, bleibe ich an ihr dran. Egal wie ihre sexuelle Orientierung ist.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 02. Oktober 2019, 13:03:13
Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Wie ist es mit der Shortlist zum Deutschen Buchpreis? Ich kenne die Bücher jetzt nicht, aber wäre das nicht ein Maßstab, was von Fachmenschen als literarische Kunst eingestuft wird?

Das wäre eher problematisch, weil das dann nominalskalierte Daten wären. Entweder ein Buch ist auf der Shortlist oder nicht, aber dazwischen gibt es keine Abstufungen. Damit lässt es sich nicht gut rechnen. Außerdem gibt es nur begrenzt viele Bücher auf der Shortlist, aber kann ich davon ausgehen, dass nur so und so viele Bücher wirklich gut sein können? Hinzu kommt, dass die Liste von Expert*innen erstellt wird und ich erstmal begründen müsste, warum ich deren Meinung über die der durchschnittlichen Leser*innen stelle. Dann noch, dass die Jury einige Genres eindeutig anderen bevorzugt, aber wie kann ich sagen, dass andere Genres nicht gut sein können? Insgesamt also eher ein schlechter Maßstab.

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Ich dachte, Fantasy wird vor allem gelesen, weil die Menschen etwas anderes als ihren Alltag lesen wollen?

Das widerspricht sich aber nicht. Auch in Fantasyromanen will ich mich mit den Protagonist*innen identifizieren können. Wenn ich einen Roman lese, der in einer vollkommen anderen Welt spielt, dann kommen mir bestimmte Themen dennoch bekannt vor. Der Prinz mit seinem Konflikt mit dem Vater, der am Ende seinen eigenen Weg finden muss. Die Freundschaft zwischen einem Zwerg und einem Elf, die merken, dass sie doch nicht so verschieden sind. Die Frage, was richtig ist und was falsch. Das begegnet uns ähnlich auch im Alltag. Zumal auch nicht jeder Fantasyroman in einer anderen Welt spielt.

Darüber hinaus ist das aber auch gerade der Grund, warum wir uns mehr Diversität wünschen. Wenn ich in meinem Alltag mit Homophobie konfrontiert bin, will ich vielleicht auch einfach mal ein Buch über queere Figuren, die nicht damit zu kämpfen haben sondern einfach glücklich sein können.

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Da bringst du mich auf eine spannende Spur, denn als ich in Twitter gefragt habe, ob jemand eine queere Romanze kennt, die keine Spur von Erotik beinhaltet, ein historisches Setting wie in Georgette Heyers Werken, auf pointierten Dialogen und einem scharf gezeichneten Bild derselben Zeit, konnte mir niemand einen Titel nennen. Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen, sowas hätte ich gern gelesen.

Ich lese leider sehr wenige historische Romane. Die Diviners-Serie von Libba Bray hat eine schwule Nebenfigur, die Adrian Mayfield Reihe ist absolut keine Romanze und hat viele explizite Sexszenen. Ich würde aber mal empfehlen, sich im Englischsprachigen Bereich nach Listen umzusehen, da gibt es viele Blogger, die genau nach so etwas schauen. Der deutsche Buchmarkt übersetzt aber leider viele queere Bücher einfach nicht. Wenn ich queere Bücher will, lese ich meistens auf Englisch.

Zitat von: Amanita am 02. Oktober 2019, 10:12:38
Meiner Meinung nach hängt die Antwort auf die Frage, ob Diversität eine Geschichte besser macht, damit zusammen, wie sie sich in den jeweiligen Weltenbau einfügt und ob dies ein schlüssiges Ganzes ergibt, oder nicht.

Wann auch immer eine Geschichte nicht in unserer realen Welt spielt, kann ich Diversität einbauen, denn ich bin Gestalter*in dieser Welt. Alle Gründe, warum eine Welt nicht divers ist, sind am Ende Gründe, die ich selbst geschaffen habe.

Die reale Welt ist da mehr Beschränkungen unterworfen, aber wenn ich einen Roman über Soldaten im ersten Weltkrieg schreibe, kann ich zumindest recherchieren, ob es da wirklich ausschließlich weiße, ur-britische Soldaten gegeben hat. Queere Soldaten hat es auf jeden Fall gegeben. Wenn ich divers schreiben will, dann finde ich auch da einen Weg.

Und natürlich muss ich nicht immer in jedem Roman jede Art von Diversität einbauen. Aber klein anzufangen ist auch schon ein Anfang. Die Welt ist bunt und war es schon immer.

Zitat von: Guddy am 02. Oktober 2019, 12:11:55
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 10:35:15

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.
Es ist seit Jahrzehnten normal, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und so zu tun, als wäre weiß und cis-männlich die Default-Einstellung.

Ist es jedoch nicht. Auch wenn das als weißer Mensch unangenehm zu verstehen und zu sehen sein kann.

Jedes Mal, wenn eine Minderheit von der Mehrheit Toleranz fordert, kommt von der Mehrheit die Forderung, ihr doch auch Toleranz entgegen zu bringen. Ich glaube, das liegt daran, dass manche Menschen nicht wissen, wie es ist, diskriminiert zu werden und das dann dafür halten. Manche Menschen wissen eben auch nicht, wie es ist, wenn man sich selbst nie in Geschichten findet und wenn auf die Bitte, nicht mehr bewusst ausgeklammert zu werden*, nur damit reagiert wird, dass man auch mehr Verständnis für die geschönte und ausschließende "Norm" haben soll, dann frage ich mich, worum es in der Forderung eigentlich geht.

* Denn das ist es doch letztendlich. Die Welt ist divers und ich will nicht mehr sagen, dass Diversität mehr inkludiert werden soll, als gehöre sie nicht in die Bücher und weiß-cis-hetero wäre die Norm. Eher werden bestimmte Gruppen aus der Medienlandschaft ausgeschlossen. Und ja, natürlich ist mir klar, dass das daran liegt, dass es manchen Menschen einfach nicht bewusst ist. Das ging mir auch so. Aber wenn wir nicht mehr über das Schreiben einzelner Menschen diskutieren sondern das Problem an sich, dann ist es nunmal so, dass ein großer Teil der Bevölkerung bewusst ausgeschlossen wird und nicht, dass neuerdings ein paar Autor*innen auf die Idee gekommen sind, das jetzt auch in ihre Bücher einzubauen als ginge es um fliegende Nashörner und alle anderen sollen jetzt auch drüber schreiben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 02. Oktober 2019, 14:02:34
Zitat von: Mondfräulein am 02. Oktober 2019, 13:03:13
Wann auch immer eine Geschichte nicht in unserer realen Welt spielt, kann ich Diversität einbauen, denn ich bin Gestalter*in dieser Welt. Alle Gründe, warum eine Welt nicht divers ist, sind am Ende Gründe, die ich selbst geschaffen habe.

Man kann es auch anders herum betrachten und sagen, dass Diversität begründet werden will. Klaus Störtebeker hat in jedem Hafen ne andere? Jo Mei! Der Hafen ist Osaka und die Dame eine Kunoichi? Hmm....  :hmmm:

Zitat
Die Welt ist bunt und war es schon immer.

Die Welt als Ganzes ja, aber ein Setting ist ein begrenzter Ausschnitt. Das Kennzeichende an Kulturräumen ist ihre (nicht notwendigerweise ethnische) Homogenität. Die Herrschenden haben ein natürliches Interesse, Homogenität herzustellen. Diversität bededeutet Opposition und bedroht ihre Macht. Sie ist die klassische Sollbruchstelle, die von fremden Mächten ausgenutzt werden kann. Daraus lassen sich tolle Storys spinnen, aber die machen richtig Arbeit.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 15:23:53
ZitatJedes Mal, wenn eine Minderheit von der Mehrheit Toleranz fordert, kommt von der Mehrheit die Forderung, ihr doch auch Toleranz entgegen zu bringen.

Wo kommt denn das schon wieder her?
Noch einmal: Ich fordere keine spezielle Toleranz für wen oder was auch immer. Ich verlange nur, dass jeder es akzeptiert, dass auch die Mainstream-Schreiberei ihre Berechtigung hat. Nicht Toleranz. Ich sehe ganz einfach alle Spielarten als selbstverständlich berechtigt an. dafür brauche ich keine Toleranz, nur gesunden Menschenverstand.

Wer das nicht akzeptiert, egal ob von der diversen oder der cis-weißen Seite oder vom Marsmännchen, ist intolerant.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 15:52:35
ZitatDie Welt als Ganzes ja, aber ein Setting ist ein begrenzter Ausschnitt.
Ganz genau ein Ausschnit und vielleicht noch wichtiger - eine Simplifizierung. Das sind Bücher ja naturgegeben - selbst ein tausend Seiten Roman wird nicht einmal seinen Protagonisten in einer Komplexität darstellen können, die auch nur annährend an die Vielschichtigekeit eines realen Menschen herankommt. Man muss eben immer selektieren was wichtig ist und das unwichtige/ablenkende herauslassen (aus Platzgründen und aus ästetischen Gründen).

Das könnte man teilweise auch aufs Setting beziehen. Denn je mehr fiktive Ethnien oder Rassen ich in meine Metropole einbaue, desto mehr sollte ich ja auch auf sie eingehen oder? Ich muss sie ja etablieren und ihnen Leben einhauchen. Selbst wenn mein Setting hochdivers ist, aber ich auf die meisten Rassen kaum eingehe (storybedingt etwa - manche Autoren schreiben mit einem sehr kleinen Cast) könnte man mir ja wieder vorwerfen, nur fiktive ,,quotenschwarze" eingebaut zu haben... Insofern... mhm. Für Menschen die sich mit der Thematik nicht auskennen, ist es durchaus ein Risiko sowas zu machen, wohingegen sie kein Risiko hätten, wenn sie es nicht täten - davon abgesehen, dass es auch Menschen gibt, deren Inspiration von sehr homogenen Settings kommt.

Wenn man etwa das Feeling der alten europäischer Mythologien wiederaufleben lassen möchte, einfach weil einen das inspiriert ... was ist denn dann so tragisch daran, wenn es auch mal ein Buch von vielen anderen gibt, das sehr eurozentrisch ist? Ich bin mir bei der Diskussion mittlerweile auch nicht mehr ganz sicher, ob hier Pauschalforderungen existieren, dass alle Schreiberlinge immer in jedem ihrer Werke Diversität einbringen müssen oder nicht. (Manchmal klingt es so)

Insgesamt finde ich es ganz interessant, mit welcher Vehemenz hier teilweise debattiert wurde... Was ist so schrecklich daran, wenn es noch Autoren gibt die ,,klassisch-eurozentrische" Fantasy schreiben. Also so lange es nicht wirklich viele Menschen explizit beleidigt... Das man ein paar Menschen beleidigt, weil man eurozentrisch schreibt.... kann vorkommen. Ich kann Leute aber auch durch (ihrer Ansicht nach schlechte) Darstellungen von Diversität beleidigen – ich kann Leute durch wirklich alles beleidigen, ohne es zu wollen. Ich sehe das irgendwie recht pazifistisch: Wenn es Autoren gibt, die gern homogen Schreiben möchten, sollen sie das doch tun, solange es eine Zielgruppe gibt, die gern homogene Fantasy lesen möchte, warum nicht.

Zeitgleich gibt es dann selbstverständlich auch Autoren, die das Thema Diversität in ihren Romanen bearbeiten und auch dafür gibt, es eine Zielgruppe - auch das finde ich völlig legitim und in Ordnung. Warum lässt man nicht einfach das Publikum entscheiden, was es gerne ließt (und ich denke das war ein wenig Tintenteufels Punkt mit der ,,besseren Literatur")

Wenn dem Publikum in einigen Jahren diverse Romane sehr viel besseren gefallen, als homogene (und Autoren lesen ja auch, dass heißt sie werden dann automatisch mehr mit dem Thema in Berührung kommen und sich mehr damit identifizieren) dann entstehen automatisch auch mehr Bücher mit mehr diversen Gruppen. Wenn sich aber zeigt, dass die europäische Leserschaft in unserer hochkomplexen Zeit zu einem großen Teil eben doch noch gerne etwas eskapistische homogene Fantasyromane ließt, vielleicht weil sie dabei ein nostalgisches Gefühl für eine verlorene europäische Vergangenheit bekommt oder derlei, dann ist das doch auch legitim oder nicht?

Wie hier schon festgehalten wurde, werden wirklich politisch unkorrekte Romane (etwa von Rechtsradikalen) in der Regel gar nicht verlegt, insofern denke ich nicht, dass wir unsere Kultur ruinieren, wenn wir weiterhin einfach den Interessen der Zielgruppen entsprechend schreiben (und unseren eigenen Interessen entsprechend.)

Es gibt ja mittlerweile Autoren, die das Thema Diversität in der Fantasy bearbeiten und die nun auch Romane für die Minderheiten schreiben, denen es in den Medien bisher an Bezugspunkten fehlte. Die Leute existieren hier im Forum ja offenbar und sie haben offensichtlich auch eine Zielgruppe für die sie schreiben können. Eigentlich alles  perfekt oder?
Nur warum klingt in der Diskussion manchmal für mich an, dass man das gesamte Literaturfeld gleichschalten und alle dazu ,,zwingen" sollte, nur noch Romane voller Diversität zu schreiben. Was ist so tragisch daran, wenn es beides gibt und man es dem Leser überlässt, was ihm besser gefällt? Ich glaube, niemand hatte hier hat Ambitionen Leuten zu verbieten Fantasy mit diversen Casts zu schreiben. Warum hält man es umgekehrt nicht einfach genauso pazifistisch und lässt die Leute auch Romane mit eher homogenen Casts schreiben, wenn sie sich damit wohler fühlen und einige ihrer Leser eben auch? Es geht hier ja nun wirklich nicht darum, dass irgendwer hetzerische oder sonstig verwerfliche Themen massenhaft veröffentlichen wollen würde und der Markt ist doch wirklich groß genug für uns alle oder nicht?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 02. Oktober 2019, 16:57:04
Wenn man den Schriftsteller im Brechtschen Sinne als Arzt an der Gesellschaft begreift, fällt es schwer zu akzeptieren, dass Kollegen nur Wellness und Schönheitschirurgie anbieten.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Soly am 02. Oktober 2019, 17:05:30
Ich kann das unterwegs am Handy leider nicht so ausführlich schreiben, wie ich möchte, aber ich will auch nicht bis heute Nacht warten, weil es dann schon zu spät sein könnte.

Zitat von: Mondfräulein
link=topic=24447.msg1171804#msg1171804 date=1570014193

Zitat von: Guddy am 02. Oktober 2019, 12:11:55
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 10:35:15

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.
Es ist seit Jahrzehnten normal, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und so zu tun, als wäre weiß und cis-männlich die Default-Einstellung.

Ist es jedoch nicht. Auch wenn das als weißer Mensch unangenehm zu verstehen und zu sehen sein kann.

Jedes Mal, wenn eine Minderheit von der Mehrheit Toleranz fordert, kommt von der Mehrheit die Forderung, ihr doch auch Toleranz entgegen zu bringen.

Oh, Vorsicht. Vor allem Vorsicht vor Generalisierungen.
Es gibt sicherlich den Fall, in dem die Mehrheit die Forderung nach Toleranz umdreht, nur um die Diskussion abzubrechen o.ä. Aber ich glaube nicht, dass das auch für die Diskussion hier im Forum gilt.

@FeeamPC sag mir bitte, wenn ich dich falsch verstanden habe, aber...
...so wie ich es verstehe, wird nicht von den Nicht-Weißen gefordert, Geschichten mit homogen Weißem Cast toll zu finden. Es wird von weißen Autoren gefordert, es zu tolerieren, wenn andere weiße Autoren Geschichten mit homogen weißem Cast schreiben - weil es dafür verschiedene Gründe geben kann, von denen ex- oder impliziter Rassismus nur einer ist.

Was eben auch bedeuten würde, dass die Toleranzforderung von der Fee berechtigt ist und eigentlich nur etwas ausspricht, bei dem wir uns alle schon mal einig waren.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 18:20:29
Niemand muss etwas toll finden, was er nicht mag. Aber jeder sollte die Freiheit haben, etwas, das er toll findet, genießen zu dürfen. Wobei es nie schadet, auch über den Tellerrand zu blicken, mal etwas außerhalb der eigenen Bequemzone zu probieren, aber das darf nicht zur Forderung werden. Dann nämlich, wenn eine Gruppe etwas für alle verbindlich fordert, egal, wie klein oder groß sie ist, ist das intolerant.

Ist das wirklich rassistisch oder unterdrückend, wenn ich in meiner Freizeit gemütlich einen schönen Roman lesen will, der gewisse gesellschaftliche Probleme ausklammert? Bin ich verpflichtet, alle Probleme der Welt stets gegenwärtig zu halten?
Für mich habe ich entschieden, dass dem nicht so ist. Genauso, wie ich nicht in jedem Buch eine kaputte Umwelt und verheerende Seuchen und politische Attentate finden will, will ich nicht überall gesellschaftliche Probleme finden. Die haben ihren Platz in meinem Bewusstsein, auch in einigen meiner Bücher, gelesen oder geschrieben, aber die Literatur auf diese Spielfelder einzuengen, finde ich unzulässig. Es gibt auch noch den schlichten Faktor Unterhaltung, einfach eine gute Geschichte genießen, und das haben Menschen aller Farben, sexueller Vorlieben und sozialer Stände seit Entstehung der Menschheit genossen. Das gehört zum Erbe der Menschheit.
Wollen wir dieses Erbe wirklich ausschlagen?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 18:42:50
ZitatWenn man den Schriftsteller im Brechtschen Sinne als Arzt an der Gesellschaft begreift, fällt es schwer zu akzeptieren, dass Kollegen nur Wellness und Schönheitschirurgie anbieten.

Einige, aber nicht alle - mit den anderen kannst du dich dann ja auf einer Wellenlänge verständigen. Davon abgesehen dass diese Aussage ziemlich pauschalisierend ist und es neben Diversität auch noch zahlreiche andere Problemfelder gibt, die man ansprechen kann.


Im Übrigen muss ich @FeeamPC recht geben, es muss ja bei weitem auch nicht jede Literatur irgendwelche Problemfelder ansprechen - man will ja selbst auch nicht ständig irgendwelche hochtrabende Gesellschaftskritik lesen. Manchmal sucht man einfach nach einer richtig guten, entspannenden und unterhaltsamen Geschichte. Also haben solche Romane und Autoren die solche Romane schreiben selbstredend ebenfalls ihre Berechtigung.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Judith am 02. Oktober 2019, 18:54:38
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 18:20:29
Ist das wirklich rassistisch oder unterdrückend, wenn ich in meiner Freizeit gemütlich einen schönen Roman lesen will, der gewisse gesellschaftliche Probleme ausklammert? Bin ich verpflichtet, alle Probleme der Welt stets gegenwärtig zu halten?
Für mich habe ich entschieden, dass dem nicht so ist. Genauso, wie ich nicht in jedem Buch eine kaputte Umwelt und verheerende Seuchen und politische Attentate finden will, will ich nicht überall gesellschaftliche Probleme finden.

Zitat von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 18:42:50
Davon abgesehen dass diese Aussage ziemlich pauschalisierend ist und es neben Diversität auch noch zahlreiche andere Problemfelder gibt, die man ansprechen kann.

Aber das ist doch gerade der Punkt, um den es hier immer wieder geht, wenn von Diversität in Fantasy gesprochen wird: Dass es schön wäre, wenn es einfach öfter mal in Büchern Diversität gäbe, ohne dass das ein Problem oder ein Kampf ist. Wenn es einfach mal queere Figuren gibt, ohne dass diese mit ihrer Identität oder mit Homophobie kämpfen müssen. Wenn People of Color vorkommen, ohne auf Stereotype reduziert zu werden oder mit Rassismus kämpfen müssen. Wenn man gemütlich einen schönen Roman lesen könnte, in dem es Diversität gibt.
Und gerade in der Fantasy haben wir die Möglichkeiten, so etwas zu erschaffen, viel mehr als in Romanen, die in unserer Realität angesiedelt sind.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Angela am 02. Oktober 2019, 18:58:52
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 18:20:29
Niemand muss etwas toll finden, was er nicht mag. Aber jeder sollte die Freiheit haben, etwas, das er toll findet, genießen zu dürfen. Wobei es nie schadet, auch über den Tellerrand zu blicken, mal etwas außerhalb der eigenen Bequemzone zu probieren, aber das darf nicht zur Forderung werden. Dann nämlich, wenn eine Gruppe etwas für alle verbindlich fordert, egal, wie klein oder groß sie ist, ist das intolerant.
Ja, seh ich auch so.

Ich lebe gerade wieder in einer sehr fortschrittlichen Gesellschaft, Vancouver. Sehr angenehm, zum Teil auch sehr speziell, wenn man aus einer anderen Kultur stammt. Mein Mann hatte vor ein paar Tagen ein schönes Erlebnis: Er ist ja Sportler und trifft da ständig neue Leute, nun also eine Person, von der er bislang nur den Vormnamen kannte. Sehr beliebt, hatte er nur nie gesehen. Sie war dann tatsächlich auch sehr nett - und hatte einen ausgeprägten Männerkopf plus Adamsapfel. Das ist für uns vielleicht noch eher ungewöhnlich, interessiert hier keine Sau, zumindest nicht in unserem sozialen Umfeld.
Will sagen, wir ändern uns und unsere Ansichten, was normal ist, (hoffentlich) auch. Das sollte sich dann auch in unseren Büchern finden. Ich schreibe Diversität eigentlich fast immer mit hinein, nicht aufgedrängt und vielleicht auch nicht mit dem Holzhammer, aber da. Hat sich noch nie jemand drüber beschwert, übrigens.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 02. Oktober 2019, 19:03:13
Was Judith sagt. Darum geht es doch: Es geht darum, dass Figuren, die nicht dem weißen, ablebodied, cishetero Standard entsprechen, ebenfalls einfach existieren dürfen. Niemand sagt, ihr sollt den Kram problematisieren. Im Gegenteil: Bitte, bitte problematisiert es nicht. Denn darum geht es doch: Darum, dass "wir" nicht anders sein wollen, sondern einfach nur ein Teil davon. Und das ist wichtig. Vor allem ist es wichtig, dass sich so etwas auch im Mainstream findet, da sich sonst das Weltbild nicht verändern kann, dass weiß, ablebodied, cishetero eben "Normal" ist, während alles andere ein "Problem" sei.

Ich finde es ehrlich gesagt auch sehr schlimm, dass auch einige Frauen das hier nicht verstehen können. Immerhin sind Frauen bis heute noch immer davon betroffen, dass ihre Rollen eher übergangen oder rund um Romantik herum aufgebaut werden, was viele nicht lesen mögen. Genau so, wie ich weiß, dass viele Frauen sich nun einmal auch nicht über ihr "Leid" (bspw. indem sich ihr ganzer Plot um Zwangsheirat, den Kampf gegen ein System, das keine Frauen zulässt, oder Vergewaltigung dreht) definiert werden wollen.

Warum ist es so schwer zu verstehen, dass bspw. queere Personen auch nicht wollen, dass queere Charaktere immer über Romanzen und Beziehungen definiert werden? Dass wir Fantasy wollen, in dem es voll normal ist, dass homosexuelle Menschen heiraten, man andere nach ihrem Pronomen fragt und Leute das einfach akzeptieren? Was daran ist so schwer?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 02. Oktober 2019, 19:12:26
Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 19:03:13
Warum ist es so schwer zu verstehen, dass bspw. queere Personen auch nicht wollen, dass queere Charaktere immer über Romanzen und Beziehungen definiert werden? Dass wir Fantasy wollen, in dem es voll normal ist, dass homosexuelle Menschen heiraten, man andere nach ihrem Pronomen fragt und Leute das einfach akzeptieren? Was daran ist so schwer?

Das ist nicht schwer zu verstehen, und ich glaube, dass das auch allgemein so verstanden wird. Was mich wundert, ist nur, warum diese queeren Personen sich nicht hinsetzen und genau diesen Typ von Romanen schreiben, die sie haben wollen. Wenn ich eines über das Schreiben gelernt habe, dann eines: Man kann nur gut oder interessant über Dinge schreiben, die einen wirklich interessieren. In meinen Augen macht es daher nicht viel Sinn von anderen oder irgend jemandem zu verlangen, dass er bitte für eine vorhandene Lesergruppe die passenden Geshichten schreibt.

Oder aber ich habe diese Diskussion auch mal wieder komplett missverstanden.

Trippelschritt
(kein Diskussionsbeitrag, sondern eine einfach Frage)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 02. Oktober 2019, 19:32:24
Zitat von: Trippelschritt am 02. Oktober 2019, 19:12:26
Das ist nicht schwer zu verstehen, und ich glaube, dass das auch allgemein so verstanden wird. Was mich wundert, ist nur, warum diese queeren Personen sich nicht hinsetzen und genau diesen Typ von Romanen schreiben, die sie haben wollen.
Sorry, aber ich finde diese Frage einfach nur schrecklich beleidigend. Was meinst du, was wir denn tun? Wir schreiben. Wir schreiben Bücher mit queeren Figuren, mit nicht-weißen Figuren, mit behinderten Figuren ... Und tun uns dann schwer, es veröffentlicht zu bekommen - jedenfalls im Mainstream. Und um den geht es nun mal. Ja, cool, es gibt Nischenverläge, die sich auf Fantasy mit Minderheiten spezialisiert haben. Cool. Finde ich auch toll von den jeweiligen Verlägen. Aber Queer-Sein ist keine Nische. Nicht-Weiß-Sein auch nicht. Das ist Alltag. Das sollte man im Mainstream finden. In normalen Buchhandlungen.

Aber was finde ich da? Den zehntausendsten Roman in einer generischen weißen Fantasy-Welt, die so tut, als sie sie Mittelalter, mit weißen, cishetero Figuren - wahrscheinlich männlich - die sehr weiß und sehr cishetero sind. Das meiste oft auch von Autoren, mit nur einzelnen Autorinnen dazwischen, da diesbezüglich das Veröffentlichungsverhältnis ebenfalls mies ist. Gerade in der SciFi, aber auch in Fantasy. (Sofern nicht YA.)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 19:46:27
ZitatUnd tun uns dann schwer, es veröffentlicht zu bekommen - jedenfalls im Mainstream. Und um den geht es nun mal. Ja, cool, es gibt Nischenverläge, die sich auf Fantasy mit Minderheiten spezialisiert haben. Cool. Finde ich auch toll von den jeweiligen Verlägen.

(Rowling hat meines Wissens auch in einem kleinen Verlag veröffentlicht und wurde dann groß, weil das was sie geschrieben hat die Massen begeistert hat... Hier greift wieder Tintenteufels Argument finde ich. Wenn du etwas richtig gutes machst und einen Funken Glück hast, findet es die breite Öffentlichkeit, wenn es sie denn berührt. Aber du kannst Menschen nicht zwingen, sich für das zu interessieren, was dich interessiert... Das ist... eben so.

ZitatAber was finde ich da? Den zehntausendsten Roman in einer generischen weißen Fantasy-Welt, die so tut, als sie sie Mittelalter, mit weißen, cishetero Figuren - wahrscheinlich männlich - die sehr weiß und sehr cishetero sind.

Ja... zum einen liegt das gewiss daran, dass große Verlage jede Welle "totreiten" weil sie wenig risikobereit sind. Zum anderen liest der Mainstream nun einmal das was ihn interessiert und berührt. Da die meisten Leute in Deutschland/Europa meines Wissens nach eher hetherosexuell und eher weiß sind,  (so grob statistisch betrachtet, glaube ich sollte das hinhauen) identifizieren sie sich eher mit entsprechenden Settings und Figuren und kaufen solche Bücher eben auch eher. Und weil sie die Mehrheit sind werden die meisten Bücher eben so geschrieben dass sie der Erfahrungswelt des Mainstreams entgegenkommen, das ist... wie gesagt eben so.

Du kannst Menschen deine Interessen nicht aufzwingen, du kannst nur ein verdammt gutes Buch schreiben, so gut dass es auch Mainstreamleser in seinen Bann zieht, sodass sie sich vielleicht mehr für die Thematik interessieren. Das ist alles was du tun kannst. Du musst den Leuten etwas geben, sie mitnehmen und abholen. Wenn du vom Mainstream etwas verlangst, blockt er vermutlich eher ab, befürchte ich.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 02. Oktober 2019, 20:11:32
ZitatZum anderen liest der Mainstream nun einmal das was ihn interessiert und berührt. Da die meisten Leute in Deutschland/Europa meines Wissens nach eher heterosexuell und eher weiß sind,  (so grob statistisch betrachtet, glaube ich sollte das hinhauen) identifizieren sie sich eher mit entsprechenden Settings und Figuren und kaufen solche Bücher eben auch eher.

Das halte ich auch für einen Punkt, den man bei der ganzen Diskussion hier nicht vergessen darf. Wir deutschsprachigen Autor*innen sind ja nicht ,,die Medienlandschaft", sondern schreiben eben für deutschsprachige Leser*innen, die mehrheitlich weiß sind. Bei den größten (muslimischen) Minderheiten bin ich mir auch nicht sicher, inwiefern da überhaupt in der Breite Interesse an Fantasyromanen besteht.
Deswegen liegt es schon allein mit Blick auf die potenzielle Zielgruppe her nahe, eben auch solche Geschichten zu erzählen.
Das ist eine Situation, die sich deutlich vom wesentlich heterogeneren englischsprachigen Markt unterscheidet. Da gibt es ja sowohl in den USA deutlich mehr Diversität, als auch viele potenzielle Leser in zahlreichen anderen Ländern der Welt, wo Englisch eine wichtige Sprache ist und von vielen Menschen gelernt wird.

Daneben bietet sich das mitteleuropäische Setting für uns auch schlichtweg deswegen an, weil es nahe ist. Mittelalterliche Städte in Deutschland kann jeder besichtigen, Frankreich oder Großbritannien geht auch noch ganz gut (letzteres zumindest noch), die Mythologie ist vertraut, genau wie der Ablauf der Jahreszeiten und Pflanzen und Tiere, die hier heimisch sind.
Als deutsche Autoren wissen wir, wie man sich fühlt, wenn im Herbst langsam die Nächte länger und die Tage kühler werden, kennen die Gerüche und Gefühle der verschiedenen Jahreszeiten, wenn wir über das Warten auf den Monsun schreiben wollten, könnten wir das nur recherchieren, genauso wie wir mit den Mythologien anderer Völker eben nicht aufgewachsen sind und deren Traditionen und Kultur eben auch nur durch Recherche kennen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass man sich als weißer, deutscher Autor darauf beschränken muss, aber es gibt durchaus gute Gründe dafür, die über ,,ich bin Rassist und die anderen existieren für mich nicht" hinausgehen.
Die Wahrscheinlichkeit ist doch recht hoch, dass ein Inder eine in einem alternativen Indien spielende Geschichte besser erzählen kann.

Deswegen sollte die Lösung für das Diversitätsdefizit, was Kultur und ethnischen Hintergrund in den Geschichten angeht, meiner Meinung nach nicht lauten, dass weiße, deutsche Autoren alle versuchen müssen, irgendwie mühsam entsprechende Geschichten zu schreiben, sondern dass den Geschichten von Autor*innen mit anderem Hintergrund eine größere Plattform geboten wird.
Ich versuche dabei das zu tun, was ich eben als Nicht-Verlagsbesitzerin tun kann, entsprechende Bücher kaufen, wenn sie mich thematisch interessieren, was durchaus öfter der Fall ist.

Wobei es natürlich auch die Möglichkeit gibt, diversere Fantasywelten ohne direkten Bezug zu realen Kulturen zu schreiben, also kein ,,alternatives reales Land" Das mach ich bei meiner aktuellen Fantasywelt so, bin aber auch noch etwas unschlüssig, ob es dabei bleiben soll, oder ob es besser ,,komplett weiß" werden sollte, weil eben sonst die Gefahr besteht, dass es realen Menschen mit dem entsprechenden Aussehen zu weit von ihrer Kultur weg ist. 
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 02. Oktober 2019, 20:11:56
Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 19:32:24
Sorry, aber ich finde diese Frage einfach nur schrecklich beleidigend. Was meinst du, was wir denn tun? Wir schreiben. Wir schreiben Bücher mit queeren Figuren, mit nicht-weißen Figuren, mit behinderten Figuren ... Und tun uns dann schwer, es veröffentlicht zu bekommen - jedenfalls im Mainstream. Und um den geht es nun mal. Ja, cool, es gibt Nischenverläge, die sich auf Fantasy mit Minderheiten spezialisiert haben. Cool. Finde ich auch toll von den jeweiligen Verlägen. Aber Queer-Sein ist keine Nische. Nicht-Weiß-Sein auch nicht. Das ist Alltag. Das sollte man im Mainstream finden. In normalen Buchhandlungen.

Aber was finde ich da? Den zehntausendsten Roman in einer generischen weißen Fantasy-Welt, die so tut, als sie sie Mittelalter, mit weißen, cishetero Figuren - wahrscheinlich männlich - die sehr weiß und sehr cishetero sind. Das meiste oft auch von Autoren, mit nur einzelnen Autorinnen dazwischen, da diesbezüglich das Veröffentlichungsverhältnis ebenfalls mies ist. Gerade in der SciFi, aber auch in Fantasy. (Sofern nicht YA.)

Dann entschuldige bitte, dass ich gefragt habe, denn wenn auch der Empfänger einer Nachricht allein dafür verantwortlich ist, in welche Richtung die Kommunikation weiter geht, habe ich nie die Absicht, jemanden zu beleidigen. Ich wollte es nur wissen.

Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 02. Oktober 2019, 20:13:47
Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 19:32:24
Aber Queer-Sein ist keine Nische. Nicht-Weiß-Sein auch nicht. Das ist Alltag. Das sollte man im Mainstream finden. In normalen Buchhandlungen.

In 2 Wochen ist BuCon. Da habe ich in all den Jahren noch nie einen nicht-weißen Besucher gesehen. Das ist die Zielgruppe. Was das für die Notwendigkeit nicht-weißer Repräsentanz in der Literatur bedeutet, mag sich jeder selbst überlegen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Rosentinte am 02. Oktober 2019, 20:20:11
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 15:23:53
Noch einmal: Ich fordere keine spezielle Toleranz für wen oder was auch immer. Ich verlange nur, dass jeder es akzeptiert, dass auch die Mainstream-Schreiberei ihre Berechtigung hat. Nicht Toleranz. Ich sehe ganz einfach alle Spielarten als selbstverständlich berechtigt an. dafür brauche ich keine Toleranz, nur gesunden Menschenverstand.
Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 19:32:24
Aber Queer-Sein ist keine Nische. Nicht-Weiß-Sein auch nicht. Das ist Alltag. Das sollte man im Mainstream finden. In normalen Buchhandlungen.
Nela und Judith haben das sehr schön ausgedrückt. Die Vorstellung einer weißen, hetereosexuellen, körperlich gesunden Gesellschaft entspricht nicht der Realität. Es ist eine künstliche Realität, die von solch internalisierten, diskriminierenden Mechanismen aufrecht erhalten wird. Deshalb, @Trippelschritt, müssen nicht nur Angehörige dieser benachteiligten Gruppen darüber schreiben, sondern wir alle, jedenfalls wenn wir mit "Mainstream" auch wirklich den Schnitt der Gesellschaft treffen wollen.

Edit: @Amanita: Ich finde es sehr interessant, dass du dir anmaßt zu wissen, wer sich für Fantasy interessiert oder nicht. Davon abgesehen gibt es immer noch genügend Menschen in Deutschland mit afrikanischem oder asiatischem Migrationshintergrund, die nicht muslimisch sind und sich vermutlich darüber freuen würden, sich in der Literatur wiederzufinden. Mal abgesehen von den queeren Menschen, den Atheist*innen und den Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Man kann Romane schreiben, die all diese Personen ignorieren. Aber dann sollte man sie nicht als Mainstream verkaufen. Denn auch in Unterhaltungsromanen ist es doch schön, wenn man mit reellen Begebenheiten konfrontiert und vor allem der eigene Horizont erweitert wird. Ich jedenfalls habe mit meinen Romanen durchaus den Anspruch zu unterhalten *und* den einen oder die andere zum Nachdenken anzuregen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 02. Oktober 2019, 20:23:36
Zitat von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 19:46:27
(Rowling hat meines Wissens auch in einem kleinen Verlag veröffentlicht und wurde dann groß, weil das was sie geschrieben hat die Massen begeistert hat... Hier greift wieder Tintenteufels Argument finde ich. Wenn du etwas richtig gutes machst und einen Funken Glück hast, findet es die breite Öffentlichkeit, wenn es sie denn berührt. Aber du kannst Menschen nicht zwingen, sich für das zu interessieren, was dich interessiert... Das ist... eben so.
1. Das mit Rowling wäre mir neu. Bloomsbury war ein etablierter Kinderbuchverlag in den UK, als sie das Buch angenommen haben. Jetzt nicht riesig, aber groß genug, um in normalen Buchhandlungen zu stehen.
2. Selbst wenn es so wäre, wäre es eine enorme Ausnahme.
3. Der englischsprachige Raum ist nicht mit dem deutschsprachigen Raum vergleichbar. Nenn mir ein deutsches Werk, das ein internationales Phänomen geworden wäre. Ich warte.
4. Es ist mehr als ein funken Glück. Die Chancen sind wahrscheinlich besser im Lotto zu gewinnen und dann selbst einen Verlag zu gründen. Just saying.
5. Ohne Marketing läuft nichts. Ohne Marketing gehst du unter. Ist einfach so. Es hat einen Grund, warum nur immer wieder dieselben Leute die großen Bestseller im deutschen Markt landen. (Also abseits von Kram, der im englischsprachigen Raum schon Bestseller ist und dann entsprechend in deutscher Fassung erwartet wird.)
6. Was übrigens auch zum nächsten Punkt führt: Wenn es nicht YA ist, sind die Chancen auch deutlich geringer für Diverse Literatur aus dem englischsprachigen Raum nach Deutschland zu kommen. Egal wie gehypt und bekannt und mit wie vielen Preisen die Bücher da ausgestattet ist. Meine aktuelle Lieblingsreihe (die nun einmal super divers ist) stand auf Platz 1 der NYT-Bestsellerliste, hat diverse bedeutende Fantasy-Awards (unter anderem Nebula) bekommen und ist seit einer ganzen Weile draußen. Deutsche Übersetzung? Gibt es natürlich nicht. Und ich wette, dass diese, selbst wenn sie kommt, dann nicht auf dieselbe Art vermarktet wird, wie Standard-Fantasy von Whitey McWhiteman.

Zitat von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 19:46:27
Du kannst Menschen deine Interessen nicht aufzwingen
Es ist nur kein "Interesse". Es ist für marginalisierte Menschen mehr oder minder lebenswichtig, dass wir Repräsentation bekommen. Denn gute Repräsentation hilft (und das ist mehrfach nachgewiesen) Vorurteile abzubauen, was wiederum dafür sorgt, dass unsere Überlebenschancen deutlich steigen.

Es geht dabei nicht um Hobbys oder Subgenre. Es geht für uns ums Überleben und ums Leben selbst, darum teil zu haben am öffentlichen Leben, ohne fürchten zu müssen, angegriffen zu werden. Es geht darum zu normalisieren, dass wir existieren, und anderen Menschen beizubringen, dass wir auch einfach nur Menschen sind.

Es wäre ein Interesse zu sagen "Ich will mehr Fantasy-Romane, die Flugschiffe beinhalten". Nicht: "Ich will mehr Fantasy-Romane, die Menschengruppen aus der Realität vorurteilsfrei abbilden."

(Davon abgesehen, machen queere Menschen wahrscheinlich 20-40% der Bevölkerung gesamt aus. Können wir dummerweise so schwer sagen, da man niemanden ansieht, ob er queer ist und viele auch bei Umfragen lügen/sich teilweise selbstbelügen, wegen bestehender Vorurteile, die erneut abgebaut werden würden, würde es stärker in Medien normalisiert werden.)

Und noch einmal: Auch das Mittelalter ist diverser gewesen, als ihr es hier darstellt. Dafür haben die Römer gesorgt.

Ich finde übrigens auch dieses "Ich kenne niemand [von Gruppe X], der Fantasy liest/auch Buchmessen geht". Schon mal darüber nachgedacht, dass es unter anderem daran liegt, dass ihnen dort kein Raum gegeben wird? Dass sie sich in den Büchern einfach nicht wiederfinden? Schon mal darüber nachgedacht, dass ihr auch einfach nicht so viele Leute kennt, aus der Gruppe?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 02. Oktober 2019, 20:31:53
ZitatEdit: @Amanita: Ich finde es sehr interessant, dass du dir anmaßt zu wissen, wer sich für Fantasy interessiert oder nicht.
Ich habe nicht behauptet, dass ich das sicher weiß, sondern nur eine entsprechende Vermutung geäußert. Diese basiert unter anderem auf den schon mal an anderer Stelle von mir verlinkten, Magie entschieden ablehnenden Aussagen von Muslim*innen, die explizit Teil eines Projekts für Ratschläge für pro-diverse Literatur war. Wenn fiktive Magie für Muslime ein so großes Problem darstellt, kann man wohl zu diesem Schluss kommen.

@NelaNequin, ich fürchte aber, dass die entsprechenden Bücher mit diversen Figuren auch nicht häufiger veröffentlicht und besser vermarktet werden würden, wenn die Autoren weiße Cis-Männer wären, die über die Erfahrung anderer Gruppen schreiben. Das Mainstream-Fantasyangebot ist leider zu großen Teilen sehr eintönig und klischeebeladen, auch was die Handlungen angeht. Young Adult traut sich da tatsächlich mehr und dort findet sich auch öfter mal was Interessanteres.
Leider schaffen es aber viele der interessanten Bücher, von denen ich hier im Forum, oder im NaNo-Forum lese, dann nicht bis in die Buchhandlungen, weil von den großen Verlagen offenbar ausgetretene Pfade bevorzugt werden.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 02. Oktober 2019, 21:05:20
Zitatweil von den großen Verlagen offenbar ausgetretene Pfade bevorzugt werden.

Da muss ich mal die Verlage in Schutz nehmen. Die Verlage testen durchaus originelle Stoffe, aber die verkaufen sich nicht. Es sind also die Leser und sicherlich auch oft die Buchhändler, die tatsächlich immer etwas bestimmtes wollen. Insbesondere originelle Settings sind leider sehr schwer zu verkaufen. Ich glaube, die Verlage und vor allem die Lektoren würden sich sehr freuen, wenn sie mal richtig originelle Sachen einkaufen könnten und damit Erfolge landen. Aber leider passiert das nicht. In den USA geht das noch etwas besser, aber hier leider nicht so.

Wobei etwas ja nicht klischeebeladen sein muss, nur weil es nicht total außergewöhnlich ist. Man kann verkaufbare Stoffe auch originell und klischeefrei und natürlich unbedingt divers schreiben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 21:11:42
ZitatWobei etwas ja nicht klischeebeladen sein muss, nur weil es nicht total außergewöhnlich ist. Man kann verkaufbare Stoffe auch originell und klischeefrei und natürlich unbedingt divers schreiben.

Stimmt, Jenny-Mai Nuyen hat unlängst einen recht tolkinesken Fantasy Roman mit einem transsexuellen Charakter in einer Hauptrolle geschrieben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 02. Oktober 2019, 22:15:21
Mir scheint, ich lese in den letzten Jahren einfach ,,zu viele" Selfpublisher und Kleinverlagsautoren. 😉 Keine Ahnung, was so im Mainstream los ist, aber mir ist schon so einiges untergekommen. Da ich Liebesgeschichten nur mitkonsumiere, wenn ich nicht drum herum komme, kann ich über diese Beziehungskisten so gut wie nix sagen, aber zum Beispiel hat eine Katja Brandis/Sylvia Englert (kennt man vielleicht, ,,Für das dunkle Wort") eine Nebenfigur, die mal als Frau, mal als Mann auftritt. Das wäre sogar noch ein Mainstreamverlag mit Knaur. Im SP-Bereich habe ich in den letzten 2-3 Jahren glaub ich alles an Haut- und Haarfarben durch, was man auf der Farbpalette so finden kann.
Aktuell lese ich eine Reihe, da besetzen die Leute eines Dschungelvolks ihre Haut mit Pilzflechten und Ranken und das Zeug lebt auf und mit einem. Also von weiß und so keine Rede. Grad letzte Woche eine afrikanische SF-Novelle gelesen (Binti) – total spannend, vor allem der Mix aus dem Volksstamm und seinen urwüchsigen Eigenheiten mit Sci-Fi-Elementen und noch einer fremdartigen Spezies dazu. In unserem Genre gibt es Leute mit Schwänzen und Hornkämmen, Leute mit Flügeln, mal ganz abgesehen von Dämonen, Gestaltwandlern, Vampiren, Zombies und sonstigen Sonstigen ... ich weiß nicht – aber meine Phantastikwelt ist bunt. Dazu gibt es doch heutzutage gefühlt Massen an SP-Büchern, die verschiedenste Liebespaarkonstellationen behandeln. Zu denen hat doch jeder unbegrenzt Zugang, der sich dafür interessiert.

Vermutlich fällt mir ja das, was euch fehlt, aber auch gar nicht auf, weil mich die Beziehungsgeschichten und Liebesgeschlechterverhältnisse der Charas einfach so absolut null interessieren. Dabei geht es mir an anderer Stelle ähnlich – ich will Abenteuer, aber bitte ohne die ständigen Beziehungskisten, die alles andere überlagern. Gibt es selten heute, weil es von Verlagsseite seit Jahren heißt: ,,In Jugendbücher/Historienschinken/Fantasy MUSS eine Liebesgeschichte rein, weil – muss halt so. Wollen die Leute." Und ein Teil der Leute sitzt da und denen kommt es inzwischen einfach zu den Ohren raus.

Wenn ich jetzt irgendwo queere Charas – mit denen ich mich weiß Gott nicht auskenne – einbauen müsste (Weil – muss halt so. Wollen die Leute.) – dann würde man die gar nicht erkennen. Weil ich z.B. keine Beziehungskisten baue im Text. Die würden wie alle andern durchs Bild laufen, denn was die in ihrer Freizeit miteinander treiben, das ist deren Sache und würde damit gar nicht im Text vorkommen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 02. Oktober 2019, 22:33:54
ZitatWobei etwas ja nicht klischeebeladen sein muss, nur weil es nicht total außergewöhnlich ist.
Da muss ich zugeben, dass ich wohl etwas vorschnell urteile. Wenn auf dem Klappentext irgendwas im Stil von "X ist durch eine uralte Prophezeiung dazu bestimmt, Land Y vor den untoten Heeren von Z zu bewahren" steht stelle ich es dann auch ohne weitere Betrachtungen wieder zurück. Selbiges gilt für alles, wo die Fantasyelemente sich darauf beschränken, dass der Love Interest der Prota ein Vampir/Werwolf etc ist.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 02. Oktober 2019, 22:40:58
Zitat von: Amanita am 02. Oktober 2019, 22:33:54
ZitatWobei etwas ja nicht klischeebeladen sein muss, nur weil es nicht total außergewöhnlich ist.
Da muss ich zugeben, dass ich wohl etwas vorschnell urteile. Wenn auf dem Klappentext irgendwas im Stil von "X ist durch eine uralte Prophezeiung dazu bestimmt, Land Y vor den untoten Heeren von Z zu bewahren" steht stelle ich es dann auch ohne weitere Betrachtungen wieder zurück. Selbiges gilt für alles, wo die Fantasyelemente sich darauf beschränken, dass der Love Interest der Prota ein Vampir/Werwolf etc ist.

Es ist leider so, dass originelle Klappentexte Bücher nicht verkaufen, jedenfalls nicht über ein gewisses Maß hinaus. Lieber den 100. gleichen Standard-Klappentext und die Originalität im Buch verstecken. Kann man schön bei New Adult beobachten. Die KTs lesen sich alle gleich, aber die Bücher sind sehr unterschiedlich und viele bieten wirklich tiefgründige Themen etc. Aber die Verlage wissen, dass die Genreleser und auch Buchhändler 100 x die gleiche Geschichte kaufen wollen, dann aber im Buch gern Originalität und Unterschiede vorfinden, solange die Eckpunkte des Genres stimmen. Deswegen wird das tatsächlich absichtlich so gemacht und man kann vom KT oft nicht auf das Buch schließen, zumindest, wenn man eben auf der Suche nach was Besonderem ist.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 02. Oktober 2019, 22:44:08
Wenn meine Lieblingsklischees im Klappentext stecken, gucke ich vielleicht auch mal rein. ;) Aber auf manches, wie die allmächtige Prophezeiung, die bestimmt, was der Prota zu tun hat, habe ich einfach keine Lust. Das hat mir Harry Potter schon ruiniert und ist in anderen Büchern bestimmt nicht besser. Bin jetzt aber ruhig, das wird sonst langsam wirklich off-topic.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amber am 02. Oktober 2019, 23:19:00
Zitat von: Churke am 02. Oktober 2019, 20:13:47
Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 19:32:24
Aber Queer-Sein ist keine Nische. Nicht-Weiß-Sein auch nicht. Das ist Alltag. Das sollte man im Mainstream finden. In normalen Buchhandlungen.

In 2 Wochen ist BuCon. Da habe ich in all den Jahren noch nie einen nicht-weißen Besucher gesehen. Das ist die Zielgruppe. Was das für die Notwendigkeit nicht-weißer Repräsentanz in der Literatur bedeutet, mag sich jeder selbst überlegen.

Die Besucher des BuCons sind vielleicht der harte Kern der deutschsprachigen Phantastik-Autor*innen-Szene, aber sie bilden doch nicht alle Autor*innen, geschweige denn alle Leser*innen ab. Es gibt immer wieder veröffentlichte Autor*innen, die mit der Szene, wie sie sich auf dem BuCon sammelt, überhaupt nichts am Hut haben. Und was die Leser*innen betrifft, wenn die sich (auch zahlenmäßig) auf die BuCon-Crowd beschränken würden, würde kein phantastischer Roman es je auf die Bestsellerliste schaffen ... Es gibt so viele teils auch sehr unterschiedliche Menschen, die Phantastik lesen, ohne deswegen auf Cons rumzuhängen, dass sich das wirklich nicht so einfach verallgemeinern lässt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amber am 02. Oktober 2019, 23:22:15
Zitat von: Alana am 02. Oktober 2019, 21:05:20
Zitatweil von den großen Verlagen offenbar ausgetretene Pfade bevorzugt werden.

Da muss ich mal die Verlage in Schutz nehmen. Die Verlage testen durchaus originelle Stoffe, aber die verkaufen sich nicht.

Wenn sie sich mit ihrer ganzen Marketingpower hinter entsprechende Titel stellen und das konsequent durchziehen würden, denke ich schon, dass da mehr ginge. Aber das geschieht eben meist nicht. Letztlich schieben die Verlage, Buchhandel und Leser einander in dieser Frage immer gegenseitig den schwarzen Peter zu.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 02. Oktober 2019, 23:52:36
Zitat von: Amber am 02. Oktober 2019, 23:22:15
Wenn sie sich mit ihrer ganzen Marketingpower hinter entsprechende Titel stellen und das konsequent durchziehen würden, denke ich schon, dass da mehr ginge. Aber das geschieht eben meist nicht. Letztlich schieben die Verlage, Buchhandel und Leser einander in dieser Frage immer gegenseitig den schwarzen Peter zu.

Laut Erfahrungsberichten von Lektoren, mit denen ich persönlich gesprochen habe, wurde das von verschiedenen Verlagen versucht und ging schief, woraufhin nun eben Experimente zwar gemacht werden, aber dann eher mit C-Titeln, wo es nicht so wehtut, wenn es schiefgeht. Ich würde aber natürlich ganz stark befürworten, es immer mal wieder zu versuchen und zu hoffen, dass sich auch hierzulande langsam was ändert.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. Oktober 2019, 00:09:22
Zitat von: Alana am 02. Oktober 2019, 23:52:36
Laut Erfahrungsberichten von Lektoren, mit denen ich persönlich gesprochen habe, wurde das von verschiedenen Verlagen versucht und ging schief, woraufhin nun eben Experimente zwar gemacht werden, aber dann eher mit C-Titeln, wo es nicht so wehtut, wenn es schiefgeht. Ich würde aber natürlich ganz stark befürworten, es immer mal wieder zu versuchen und zu hoffen, dass sich auch hierzulande langsam was ändert.
Also eine Freundin von mir ist mehrfach bei größeren Verlagen herausgekommen (ich sage mal nicht wer und bei welchen) und hat leider immer wieder festgestellt, dass dahingehend nicht der entsprechende Marketing-Push dahinter ist. Am liebsten schweigt man auch im Marketing dann tot, dass da Diversity eine Rolle spielt und sie bekommt halt beim selben Verlag bei weitem nicht die Unterstützung, wie andere Autoren - wobei sie halt auch sagt, dass ihr Eindruck ist, dass die eine Hälfte es ist, dass es diverse Bücher sind, die andere aber auch, dass sie als Frau SciFi und Fantasy schreibt. Und die männlichen Kollegen kriegen halt deutlich mehr Marketing, egal was sie machen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 03. Oktober 2019, 00:31:01
Ja, ich fürchte, in der SF haben es Frauen leider immer noch sehr schwer. Sowohl schreibende und auch lesende wie ich, die SF lieben, aber mit der gängigen, meist von Männern geschriebenen SF einfach nichts anfangen können. Abgesehen davon kriegen leider einfach sehr wenige Autoren großes Marketing und es tut immer weh, wenn man das Gefühl hat, dass ein Buch einfach untergegangen ist, obwohl es großes Potential gehabt hätte.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 01:20:51
Den letzten Satz unterschreibe ich doppelt und dreifach.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 03. Oktober 2019, 06:44:53
Zitat von: NelaNequin am 03. Oktober 2019, 00:09:22
Also eine Freundin von mir ist mehrfach bei größeren Verlagen herausgekommen (ich sage mal nicht wer und bei welchen) und hat leider immer wieder festgestellt, dass dahingehend nicht der entsprechende Marketing-Push dahinter ist. Am liebsten schweigt man auch im Marketing dann tot, dass da Diversity eine Rolle spielt und sie bekommt halt beim selben Verlag bei weitem nicht die Unterstützung, wie andere Autoren - wobei sie halt auch sagt, dass ihr Eindruck ist, dass die eine Hälfte es ist, dass es diverse Bücher sind, die andere aber auch, dass sie als Frau SciFi und Fantasy schreibt. Und die männlichen Kollegen kriegen halt deutlich mehr Marketing, egal was sie machen.

Diese Aussage kann ich in dieser Verallgemeinerung nicht bestätigen. Ich bin ja noch in einem anderen Forum, in dem Fantasy und SF nur ein Thema unter vielen ist und sich vorwiegend Autoren tummeln, die bei etablierten Verlagen schreiben. Der allgemeine Tenor ist, dass niemand versteht, welche Titel ein Verlag mit den knappen Mitteln für Marketing puscht und welche nicht, bis auf wenige Ausnahmen, wenn der Verlag einer aktuellen Modeströmung folgt. Erfolgsautoren bekommen mehr Unterstützung als Newcomer, aber auch Erfolgsautoren werden schnell fallen gelassen, wenn sie es nicht bringen. Umsatzmäßig meine ich. Verlage schaffen es auch durchaus jemanden erst zu hypen und dann fallen zu lassen.

Eines aber kann ich bestätigen: Fantasy und SF geöhren nicht unbedingt zu den Burnern im Verlagsgeschäft, obwohl es immer mal Ausnahmen gibt.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 03. Oktober 2019, 14:19:17
Zum ursprünglichen Thema:

Ich finde es wahnsinnig wichtig, internalisierte -ismen anzusprechen. Vielleicht hierzu ein kleiner Exkurs über mich selbst, die atheistische, jüdisch-russisch sozialisierte Frau mit Migrationshintergrund, cis, queer, Ende zwanzig.
Mt 14/15 habe ich das Buch "Armand, der Vampir" von Anne Rice abgebrochen. Warum? "Das ist mir zu schwul". Woher kam diese internalisierte Homofeindlichkeit? Weder kannte ich zum damaligen Zeitpunkt Menschen, die homosexuell waren, noch hatten sie mir je was getan. Aber ich brach als Teenager ein Buch mit der Begründung "Zu schwul" ab.
Inzwischen ist das einer meiner liebsten Titel aus der Reihe.
Als Jugendliche war ich der festen Meinung, ich könne als Jüdin/Migrantin unmöglich rassistisch sein - oder gar antisemitisch. Aber jetzt stelle ich fest: Doch. Schon. Sehr viele internalisierte Vorurteile gegen jüdische Menschen, sehr viele rassistische Verhaltensmuster, über die ich mir schlicht keine Gedanken gemacht habe, weil ich in einer Welt gelebt habe, in der das nicht hinterfragt wird (Stichwort Cultural Appropriation beispielsweise mit Traumfängern, "chinesischen" Stimmungsarmbändern, einer heiß geliebten Lederhalskette mit "Adlerfedern" dran, als kleines Kind öfter mal Braids tragen ... Puh, je länger ich darüber nachdenke, desto mehr SEHR fragwürdige Dinge fallen mir ein, die ich einfach mitgemacht habe, weil ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, dass das nicht okay ist. Oder gar rassistisch.)
Ich habe als Kind/Jugendliche Leute ableistisch und saneistisch beleidigt, weil ich nicht wusste, dass das nicht okay ist und war heute Jahre alt, als ich gelernt habe, dass "Klappspaten" ein Naziwort ist und ich es nicht als harmlosen Ersatz für andere Beleidigungen verwenden darf, die ich mir mühsam abtrainiert habe.
Man lernt täglich dazu, das ist mühsam, das ist anstrengend und ich kann Leute verstehen, die irgendwo aussteigen und sagen "Okay, ich habe nicht die Energie, mich auch noch damit zu beschäftigen, wenn ich schreibe". Wir haben alle nicht unendlich viel Kraft, Hauptsache, alle tun zumindest so weit es ihnen jeweils möglich ist an sich arbeiten.

Entsprechend ist es so, dass Menschen zu jedem Zeitalter einen Haufen internalisierter Ismen mit sich herumschleppen, von denen sie meist nicht mal wissen, dass es welche sind, weil es das Normverhalten ist. Würde Tolkien noch leben und hätte somit die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, wäre er vielleicht ziemlich erschrocken über einige Dinge, die er da unbewusst in seine Bücher gepackt hat. (Ob er ohne Gesichtsverlust dazu stehen könnte, wäre die andere Sache, das ist immer auch noch ein anderes Problem)

Das ist für viele einfach der schwerste Schritt. Man empfindet sich als guten Menschen, als gute*n Autor*in und stellt dann fest - nein, doch nicht. Und das tut verdammt weh. Da kommt dann erst einmal eine Abwehrhaltung, die ich zu 100% nachvollziehen kann. "Nein, ich bin nicht rassistisch!"
Als ich in einem Unikurs gesagt habe, dass ich keine Farben sehe, habe ich nicht verstanden, warum mein Dozent explodiert ist. Jetzt verstehe ich es sehr wohl und könnte mein damaliges Ich ohrfeigen. Weil "Ich sehe keine Farben" bedeutet, dass man das Machtgefälle hinter Rassismus ignoriert.

Was hat das nun für Konsequenzen fürs eigene Schreiben?

Ich schreibe nicht bewusst divers, weil "es sich jetzt so gehört", sondern weil die Geschichten, die mir einfallen, zwangsläufig divers sind. Meine Charaktere sind nicht oft nicht weiß, nicht einheimisch, nicht heterosexuell und/oder nicht cis.
Es stimmt übrigens nicht, dass bei Geschichten, in denen Beziehungen nicht im Vordergrund stehen, die sexuelle Orientierung keine Rolle spielt. Eigenes Beispiel:
Ich bin auf dem asexuellen Spektrum. Für mich bedeutet das, dass ich als Teenager teilweise andere Erfahrungen gemacht habe als meine Mitmenschen. Wo besonders für die afab aus meiner Klasse auf einmal größtenteils Beziehungen, "der Schwarm", Knutschen und sexuelle Fantasien im Vordergrund standen und ich mit meinen besten Freundinnen kaum ein Gespräch führen konnte, in dem es nicht darum geht, dass irgendjemand "wahnsinnig süß" ist und später als junge Frau öfter mal hören musste "Den/die würde ich nicht von der Bettkante stoßen", habe ich immer sehr verwirrt geschaut.
Ich kann dieses Gefühl der instant Anziehung nicht verstehen. Bis heute nicht, obwohl ich seit Jahren glücklich in einer auch sexuellen Beziehung bin. Aber meine Orientierung prägt durchaus meinen Blick auf die Welt.
Ebenso, wie meine Mehrsprachlichkeit und Migrationserfahrung teilweise dazu führt, dass ich meine Welt schlicht anders wahrnehme oder interpretiere, als meine Mitmenschen. Wir haben in der zehnten Klasse in einer Prüfung (wir haben sie am Gymnasium einfach Mittelschulprüfung genannt) eine Kurzgeschichte über eine Frau interpretieren müssen, die teils deutsche, teils afrikanische Wurzeln hat und dann auf einer Bahnhoftoilette drei Afrikanerinnen begegnet, als sie sich mit ihrem Haar abmüht. Sie geben ihr einen Kamm und zeigen ihr, wie sie ihre Locken pflegen kann.
Für mich als Mensch mit Fremdheitserfahrung steckte ganz anderes in der Geschichte, als für den auf nicht eingewanderte Menschen ausgerichteten Korrekturschlüssel, ich habe also "aus Kulanz" eine vier bekommen, weil ich gut begründet habe, obwohl ich nichts von dem hingeschrieben habe, was reingehören würde. Laut meiner Lehrerin.
Und solche Erlebnisse prägen Romancharaktere. Selbst wenn sie nie innerhalb des Plots sexuell aktiv werden oder es keine Liebesgeschichte gibt, wird es Unterschiede geben, worauf sie achten und worauf sie nicht achten. Welche Dinge sie zusammenzucken lassen und welche nicht. Oder ob sie eher Menschen nachgucken, die sie als männlich oder als weiblich lesen. Oder beiden. Oder gar keinen.

Und zum Thema: "Warum schreibt ihr dann nicht ..."
Tun wir ja. Kommt aber bei den meisten Großverlagen im deutschsprachigen Raum nicht an.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 03. Oktober 2019, 14:34:27
Klappspaten ist ein Naziwort?  ???
Ein Beleg dafür wäre jetzt interessant. Ich verbinde den mit Camping, Spaten, vielleicht noch Bundeswehr - und einem alternativen Begriff für "Idiot" oder jemanden, der schnell "zusammenklappt", wenn es ernst wird. Wie so ein klappbarer Spaten halt.

Zitat
sehr viele rassistische Verhaltensmuster, über die ich mir schlicht keine Gedanken gemacht habe, weil ich in einer Welt gelebt habe, in der das nicht hinterfragt wird (Stichwort Cultural Appropriation beispielsweise mit Traumfängern, "chinesischen" Stimmungsarmbändern, einer heiß geliebten Lederhalskette mit "Adlerfedern" dran, als kleines Kind öfter mal Braids tragen ... Puh, je länger ich darüber nachdenke, desto mehr SEHR fragwürdige Dinge fallen mir ein, die ich einfach mitgemacht habe, weil ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, dass das nicht okay ist. Oder gar rassistisch.)
Ich habe als Kind/Jugendliche Leute ableistisch und saneistisch beleidigt, weil ich nicht wusste, dass das nicht okay ist u

Ich versteh leider die Hälfte davon gar nicht. Kannst Du bitte erklären, was ableistisch und saneistisch ist? Und was an Traumfängern, Stimmungsarmbändern, Lederhalsketten etc. (was sind Braids?) verwerflich oder gar rassistisch sein soll?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 03. Oktober 2019, 15:33:01
Scheinbar - ich kriege den Beleg gerade nicht gegoogelt - war das auch die abfällige Bezeichnung für Menschen, die ihr eigenes Grab schaufeln mussten, bevor sie erschossen wurden. Also ein sehr problematisches Konzept.

Ableismus: Strukturelle Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, was sich auch durch die Sprache/Ausdrucksweise auswirkt (wenn beispielsweise Jugendliche einander mit einem Wort bewerfen, das eigentlich für eine bestimmte Behinderung steht).
Saneismus: Strukturelle Diskriminierung von Menschen, die neurologisch abweichen. Beispielsweise, weil sie als psychisch krank diagnostiziert werden. Dadurch, dass es als umgangssprachlich in Ordnung gilt, beispielsweise Dinge wie "Der ist ja völlig irre!" zu sagen, werden Vorurteile gegenüber Menschen mit tatsächlichen psychischen Problemen weitertransportiert und gefestigt.

Beide Konzepte gehen vom "gesunden" Menschen als Norm aus. Und genauso, wie es in Geschichten oft "Quoten-Schwarze" gibt, gibt es gelegentlich auch "Quoten-Rollifahrer*innen", beispielsweise.

Braids sind diese kleinen Zöpfchen, die man meist mit "Afrika" (auch wieder ein problematisches Konzept an sich, da dort viele verschiedene Völker mit sehr unterschiedlichen Kulturen leben) verbindet. Während BI_POC (black, indigenous, persons of color) für das Tragen dieser Frisuren vor allem in den USA oft diskriminiert werden, werden als weiß gelesene Personen dafür oft gefeiert, da gilt es als modisches Statement.
Zu den anderen Sachen ist das Stichwort "Kulturelle Aneignung" - traditionelle Gegenstände unterdrückter Kulturen, die einfach als Modekram oder weil es besonders "spirituell" ist, getragen/erworben werden. So wie die ganzen Kitsch-Buddas, die man in Österreich bei diversen Möbelhäusern kaufen und dann in den eigenen Garten stellen kann. Im Prinzip kann man das zusammenfassen mit "Anderswo werden Leute dafür getötet oder diskriminiert, dass sie ihren Glauben ausüben/ihren traditionellen Schmuck tragen, aber andere Leute nutzen genau das unreflektiert als Accessoire".
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. Oktober 2019, 15:57:14
Zitat von: Evanesca Feuerblut am 03. Oktober 2019, 15:33:01
Zu den anderen Sachen ist das Stichwort "Kulturelle Aneignung" - traditionelle Gegenstände unterdrückter Kulturen, die einfach als Modekram oder weil es besonders "spirituell" ist, getragen/erworben werden. So wie die ganzen Kitsch-Buddas, die man in Österreich bei diversen Möbelhäusern kaufen und dann in den eigenen Garten stellen kann. Im Prinzip kann man das zusammenfassen mit "Anderswo werden Leute dafür getötet oder diskriminiert, dass sie ihren Glauben ausüben/ihren traditionellen Schmuck tragen, aber andere Leute nutzen genau das unreflektiert als Accessoire".
Ich möchte dazu vielleicht ergänzen, dass kulturelle Aneignung halt auch mit kultureller Macht zu tun hat. Weil kulturelle Aneignung per se erst einmal ein neutrales Wort ist. Es haben sich durch normalen, nicht kolonialistischen kulturellen Austausch auch Aspekte kultureller Aneignung ergeben, die nicht problematisch sind. Problem ist halt eben, dass kolonialisierende Kulturen die kolonialisierten Kulturen als minderwertig dargestellt haben und noch immer darstellen, sich dabei aber eben Aspekte davon zu eigen machen und vollkommen losgelöst aus ihrem ursprünglichen Kontext wiedergeben. (Oft, aber nicht immer, während die ursprünglichen Mitglieder der Kultur diese Aspekte eben nicht nutzen dürfen, ohne dafür diskriminiert zu werden. Also bspw. Asiat*innen werden eher selten für ihre Kleidung diskriminiert, weil positive Diskriminierung und so, aber dennoch ist es nicht okay, diese ohne den entsprechenden Kontext zu tragen.)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 03. Oktober 2019, 16:01:26
Danke für die Ergänzung, ich bin recht schlecht darin, sowas vernünftig zu erklären @NelaNequin :).

(Und ich hoffe, mein Posting kommt nicht explosiv oder unsachlich rüber, ich glaube, ich habe Fieber.)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 03. Oktober 2019, 16:36:40
@ Evanesca
Ich teile bei den von Dir genannten Beispiele nicht jede Deutung, aber das macht nichts, denn das, was Du ansprichst, ist für mich deutlich genug und ein grundlegendes Charakteristikum der menschlichen Gesellschaft. Die Frage ist nur, wie wir selbst damit umgehen. Ich will einmal versuchen, meine Gedanken in einer etwas abstrakten und generalisierten Form zu formulieren. Wenn es an Dir vorbeiläuft, korrigier mich bitte.

Der Mensch ist ein Gruppentier, dessen Herz für die eigene Gruppe schlägt. Jeder, der nicht zur eigenen Gruppe ist gehört, ist im günstigsten Fall zu beargwöhnen. Er kann auch nicht so gut sein, wie man selbst, da ja die eigene Gruppe das Maß aller Dinge ist. Der "zivilisierte" Mensch ist in der Lage in Gruppenbündnissen zu denken, aber seine grundsätzliche Einstellung gilt für alle Maßstabsebenen.

Die eigene Gruppe ist normal, alle anderen unnormal. Da ist es nur ein kleiner Schritt, unnormal durch etwas zu ersetzen, das noch negativer besetzt ist. Denn je schlechter der Fremde ist, deto besser fühle ich mich und meine Gruppe. (Wie oft konnte ich beobachten, dass Leute glaubten sich selbst dadurch zu erhöhen, dass sie einen anderen schlecht machten, was in der Gesellschaft von Menschen mit klassisch bürgerlicher Erziehung dann gar nicht gut ankam.) Diese Prägung scheint tief zu sitzen.

Einige der anderen in den Fremdgruppen reagierten darauf mit Trotz und deutlichen "Stammeszeichen". So kannte ich in der ersten Hälfte meines Lebens Tatoos nur bei Tiefbauarbeitern (nicht beim Hochbau), bei einigen wenigen Gefängnisinsassen, aber vor allem bei Seeleuten und Prostistuierten. Heute ist es ein allgemein anerkannter Modetrend.

Heute wird der Umgang miteinander ein wenig komplizierter, weil viele Regeln von früher nicht mehr gelten. Zwar würde ich mir einen geschenkten Buddha ins Regal stellen, aber niemals in den Vorgarten. Früher wäre das egal gewesen, denn Buddhisten schauten sich keine bundesdeutschen Vorgärten an. Aber heute, wo jeder jeden besucht, ist das eine andere Sache. Und völlig durcheinander geht es bei der Bedeutung von Zöpfchen. Die gab es in Deutschland schon immer. Mehr bei kleinen Mädchen als bei Frauen, länger in Holland als in Deutschland, früher mal als Einzelzopf auch bei den Seeleuten, dort aber gern geteert.

Ich lasse das mal ohne weitere Bewertung so stehen. Zwar habe ich meine eigene Meinung, wie man damit umgehen kann, aber aus einer solchen Diskussion halte ich mich heraus.

Danke für Deinen Beitrag, Evanesca

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 16:45:05
[ROSENTINTE]
Rassistisches Vokabular entfernt
[/ROSENTINTE]


Hm. Bei so Sachen wie Dekor, Kleidung und Schmuck sehe ich kein Problem, da Mernschen über alle Zeiten das, was sie schön fanden, ohne zu fragen von anderen übernommen haben. Ein Problem ist es für mich höchstens da, wo diese Dinge für die andere Seite kein Alltag sind, sondern z.B. eine starke spirituelle Bedeutung haben (wie die Federhauben der nordamerikanischen [Ersetzung: rassistische Fremdbezeichnung für indigene Völker]). Wo ich also dadurch, dass ich diese Dinge in den Alltag hole, sie entweihe, oder sie gar in das Gegenteil verkehre (was zum Beispiel die Nazis mit der Swastika perfekt geschafft haben). Ich wäre ja umgekehrt auch pikiert, wenn andere Kulturen katholische Heiligenbilder als Wurffiguren auf der Kirmes nutzen würden.
Aber ganz allgemein liegt für mich in der Übernahme aus anderen Kulturen auch eine Chance. Die nämlich, zu sehen, dass wir tatsächlich alle zu einer Menschheit gehören und gar nicht so verschieden sind. Schließlich gefallen uns die gleichen Dinge. Und je mehr die Welt zusammenwächst, desto häufiger kommt das vor.
Was allerdings wiederum einigen Menschen Angst macht, weil die sich in ihrer selbst in ihrer eigenen Welt unsicher sind und sich deswegen krampfhaft gegen außen abgrenzen müssen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 03. Oktober 2019, 17:07:38
Zitat von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 16:45:05
Bei so Sachen wie Dekor, Kleidung und Schmuck sehe ich kein Problem,

Das dachte ich früher auch. Aber so einfach ist es leider nicht. Wenn ich als Deutsche einen Sari trage, dann wird das, wenn ich es in Indien auf einer Hochzeit tue, mit Freude aufgenommen. Wenn ich es aber zum Beispiel hier auf einer Faschingsparty tue, wo es vielleicht Menschen gibt, die ihr Leben lang für ihre ethnische Kleidung gemobbt wurden und diese trotzdem tragen mussten, weil ihre Eltern das so verlangt haben, kann das für diese Menschen sehr verletzend sein, diese Kleidung so als Faschingsverkleidung präsentiert zu bekommen. Ohne Rücksicht und Verständnis für die Bedeutung.

Oder auch nicht. Das andere große Problem an dieser Sache ist, dass jeder Mensch ganz eigene Erfahrungen gemacht hat und entsprechend können die Reaktionen eben auch total auseinander gehen. Der Punkt ist: es ist verdammt schwer, es allen recht zu machen.

Aber wichtig ist, dass man solche Dinge reflektiert, denn ich denke schon, dass die Absicht, mit der man etwas tut, wichtig ist. (Disclaimer: Natürlich gibt es gerade in dem Bereich, über den wir hier sprechen, viele Fälle, wo die Absicht dahinter unerheblich ist, weil das Ergebnis unheimlich verletzend ist.) Aber oft spiegelt sich ja durch die Absicht auch wider, wie man etwas tut. Wenn man sich einen Buddha in den Garten stellt, weil man von der Lehre überzeugt ist und sich das evtl. auch im Design des Ortes widerspiegelt, dann könnte sich ein Buddhist, der einen darauf anspricht, darüber freuen. Wenn man es macht, weil man es schick findet, eher nicht. Oder vielleicht doch, weil es eine Chance für ein Gespräch ist. Aber auch diese Chance kann dann nur genutzt werden, wenn man eben offen für andere Sichtweisen ist.

Deswegen: man muss es nicht perfekt machen. Man darf Fehler machen. Aber man sollte nachdenken, sich schlau machen und offen dafür sein, dass Dinge ganz anders sind, als man denkt. Denn Gedankenlosigkeit ist oft das, was am meisten verletzt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 03. Oktober 2019, 17:11:29
Eine Frage, die ich hier auch noch in den Raum werfen möchte: Bedeutet "anders als weiß-westlich" (falls man "weiß-westlich" überhaupt als homogene Masse sehen will, aber das ist wieder ein anderes Thema) denn automatisch immer unterdrückt? Diese Gleichsetzung finde ich durchaus problematisch und auch selbst von einer gewissen Arroganz geprägt. Da sollte doch durchaus noch eine Differenzierung möglich sein zwischen tatsächlich unterdrückten Gruppen, deren Kultur systematisch zerstört wurde, wie beispielsweise bei den amerikanischen Ureinwohnern und anderen, die mächtige eigene Staaten haben und Deutschland gegenüber in der internationalen Politik auf Augenhöhe auftreten, oder eher überlegen sind wie Japan, China und Indien. Wenn Japan wegen des Ausgangs des Zweiten Weltkriegs und der Folgen "unterdrückt" ist, dann ist Deutschland das auch. (Hier unterscheiden sich die Dynamiken zwischen Japan und Deutschland und Japan und den USA sehr stark.)
Japaner, Chinesen und Inder können sich zwar zurecht darüber aufregen, wenn Elemente ihrer Kultur aus dem Zusammenhang gerissen für irgendwas genutzt werden, aber das ist ja nicht gleichbedeutend mit der Verstärkung einer potenziell lebensbedrohlichen Unterdrückungsdynamik. Und zumindest in japanischen Mangas werden ja auch gerne mal alle möglichen Elemente europäischer Kultur und Geschichte auf teilweise recht seltsame Art verwurstet. Das ist also auch kein rein "europäisch-weißes" Phänomen. Andererseits gibt es auch Beispiele wie die japanische Heidi-Zeichentrickserie, die wir als Kinder immer angeschaut haben und wo ich auch aus heutiger Perspektive sage, dass die Botschaft des Buches über die kulturellen Grenzen hinweg sehr gut getroffen wurde.
So ein Austausch, mal in gelungener und mal in weniger gelungener Form gehört auch zu einer im Austausch befindlichen Welt dazu und ist nicht automatisch ein Zeichen von Aneignung und Rassismus.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 03. Oktober 2019, 17:15:30
Das Beispiel mit dem Sari habe ich mir nicht ausgedacht, das stammt aus einem Blogbeitrag. Und zu behaupten, dass Indien bezüglich ethnischer Verfolgung aus einer starken Position herauskommt, finde ich recht gewagt, wenn man sich die ganze Kolonialgeschichte und die damit verbundenen grausamen geschichtlichen Ereignisse anschaut. Die britische Kolonialherrschaft hat die indische Kultur und die Menschen dort auf eine Art und Weise verletzt, die sich wahrscheinlich nie wieder gut machen lässt.

Und zum Thema Austausch: Austausch findet auf Augenhöhe statt, er findet im Gespräch statt. Aber sich etwas von einer anderen Kultur unreflektiert zu nehmen, ist kein Austausch.

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 03. Oktober 2019, 17:33:24
Beim Thema Indien ist es insgesamt wirklich ein bisschen schwieriger. Zumindest aus militärischer Sicht ist aber eine Überlegenheit gegenüber Deutschland sicherlich gegeben.
Was man unter "Austausch" versteht, kann man sicherlich lang diskutieren. Für mich gehört es durchaus dazu, wenn Aspekte der einen Kultur in der Kunst der anderen verbaut werden und umgekehrt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. Oktober 2019, 17:57:17
Zitat von: Amanita am 03. Oktober 2019, 17:11:29
Da sollte doch durchaus noch eine Differenzierung möglich sein zwischen tatsächlich unterdrückten Gruppen, deren Kultur systematisch zerstört wurde, wie beispielsweise bei den amerikanischen Ureinwohnern und anderen, die mächtige eigene Staaten haben und Deutschland gegenüber in der internationalen Politik auf Augenhöhe auftreten, oder eher überlegen sind wie Japan, China und Indien.
What the ... Sorry, aber Indien als Land, das auf Augenhöhe behandelt wird? Ich bitte dich! Indien ist eins der Länder, die Jahrelang unter der Kolonialisierung gelitten haben. Deren Kultur zu einem nicht unerheblichen Teil auch von der Kolonialisierung durch das britische Imperium massiv zerstört und verändert wurde. Die bis heute auch ausgebeutet werden von westlichen Ländern. Ja, Indien ist als Kultur international gesehen noch immer Unterdrückt. Und ich fange dabei gar nicht damit an, dass man willkürlich eine Grenze durch das Land gezogen hat, die bis heute Grund für Konflikte, die jederzeit zu einem Krieg führen könnten, ist.

Und auch mit China. Chinesen haben massiv unter Kolonialisierungsversuchen gelitten und auch das zeigt sich noch bis heute in der Gesellschaft. Ich sage nur Opium-Kriege. Ja, China wurde nicht so weitläufig kolonialisiert, wie andere Länder, wurde aber dennoch massiv angegriffen in der Gier nach Land, Wohlstand und - in diesem Fall - Tee.

Und Japan ... nun, Japan ist ein komplizierter Fall. Denn ja, Japan wurde nie selbst kolonialisiert und hat stattdessen Jahrhunderte lang selbst Kolonialisierung betrieben, was ja immerhin auch eins der Themen im zweiten Weltkrieg gewesen war. Japans Rolle ist nicht passiv. ABER dennoch wurde durch ... wie soll man es nennen? ... frühen Neokolonialismus ein großer Teil der japanischen Kultur zerstört. Das war kein Kolonialismus mit Menschen und Gewalt, sondern ein kultureller Kolonialismus, der in den Köpfen stattgefunden hat. Die Meiji-Restauration, die sich enorm auf die japanische Kultur ausgewirkt hat, war nicht etwas, bei dem man sich so dachte: "Och, ja, seien wir einfach mal mehr wie der Westen", sondern entstand durch sanften Zwang, nämlich indem man Japan bedrohte es vom Handel, als dieser immer wichtiger wurde, abzuschneiden.

Es ist nun einmal so: Es gibt sehr wenig Länder auf der Welt, die nicht zu irgendeinem Zeitpunkt von europäischen Mächten (also speziell Großbritannien, Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Niederlande oder Deutschland) gelitten haben und deren Kultur nicht zwanghaft in Teilen Unterdrückt oder verändert wurde durch diese Mächte oder eben später dann den USA.

Es gibt durchaus weiße Länder, die daran eher weniger beteiligt waren, aber es gibt kaum nicht-weiße Länder, die nicht direkt oder indirekt davon betroffen waren und deren Bewohner nicht bis heute rassistische Diskriminierung erfahren. Und genau das ist nun einmal der Punkt: Diese Kulturen werden in unseren Medien wieder und wieder (bis heute) missrepräsentiert. Mal mit rassistischer Absicht, mal weil sich ein wenig aufgeklärter Nerd denkt, er könnte diese Kultur als cooles exotisches Setting nutzen. Aber in allen Formen ist es eben Rassismus, der dadurch weitergetragen wird.

Die Sache ist nun einmal, dass es für uns sehr schwer ist, dies emotional nachzuvollziehen, wie es ist, wenn die Medien, die die Welt beherrschen (denn ja, auch wenn es natürlich international immer eigene Medien gibt, sind es doch vor allem die aus dem englischsprachigen Raum, die international verbreitet werden) deine Kultur als Klischee darstellen, dich prinzipiell als monströsen Bösewicht darstellen und all das. Weil wir nun einmal im weitesten Sinne der Kulturkreis sind, von dem es aussieht.

Und nein, wir behandeln China und Indien definitiv nicht auf Augenhöhe. Auch politisch nicht.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 03. Oktober 2019, 18:09:00
Was Austausch und Aneignung angeht: stell dir doch nur mal vor, du wärst in Indien und würdest von einer Frau in ihr zu Hause eingeladen, es würde ein echter Austausch auf Augenhöhe stattfinden und am Ende des Abends würde sie dir einen ihrer Saris schenken. Ich denke, du würdest niemals auf die Idee kommen, diesen Sari auf einer Faschingsparty zu tragen. Du hättest zu viel Respekt davor, um ihn wie ein normales Faschingskostüm zu behandeln. Und genau das ist für mich das Ergebnis von echtem Austausch. Gegenseitiger Respekt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 18:38:30
Mag sein, dass wir die Chinesen und Inder nicht auf Augenhöhe sehen. Zumindest die Chinesen tun das mit uns aber genauso viel oder  wenig. Für die sind wir dieses ungehobelten Barbaren aus dem Westen, deren Know-How man sich sichert, um sie danach in die Tasche zu stecken. Und dieses Denken ist nicht mal so unberechtigt, sie haben uns ein paar Jahrtausende kultureller Entwicklung voraus und hätten schon einmal die Möglichkeit gehabt, die Welt zu beherrschen.
Und was die gegenseitige Kolonisation und Herabsetzung anderer Länder und Völker angeht- das ist durch die ganze Geschichte hindurch bei allen Völkern passiert. Auch wir waren mal am anderen Ende der Kolonial-Skala (zugegeben etliche Jahrhunderte her).  Wenn man die Zeiträume lang genug wählt, relativiert sich alles. Wir sitzen heute auf unserer relativ kleinen Zeitinsel und betreiben Nabelschau.
Nein, ich befürworte die Kolonialzeit nicht. Aber ich sehe sie auch nicht als absolutes Hindernis für eine friedliche, wohlwollende Mischung von Kulturen. Und auch wenn es nicht immer nach eurem Denken richtig ist, was andere Leute machen, solltet ihr wenigstens akzeptieren, dass es ohne böse Absichten erfolgt. Wie heißt es so schön in der Bibel (die durchaus in vielem Recht hat): Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

P.S.: Diese Diskussion hat mich weit gebracht, wenn ich jetzt schon mit der Bibel argumentiere ...
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Angela am 03. Oktober 2019, 19:13:07
ZitatMag sein, dass wir die Chinesen und Inder nicht auf Augenhöhe sehen. Zumindest die Chinesen tun das mit uns aber genauso viel oder  wenig. Für die sind wir dieses ungehobelten Barbaren aus dem Westen, deren Know-How man sich sichert, um sie danach in die Tasche zu stecken.
So ist es. Wir mögen ja unsere Überheblichkeit anderen gegenüber ablegen wollen, aber andere haben absolut nicht das Problem uns gegenüber.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 03. Oktober 2019, 19:46:53
Was die böse Absicht angeht:

Tolkien war ein Mann seiner Zeit. Er wusste nichts von dieser Diskussion, weil sie damals noch nicht geführt wurde und es die Vokabeln, mit der wir sie heute führen, noch gar nicht gab. In seinen Büchern gibt es dafür einiges, das man ihm durchaus positiv anrechnen kann (Diversität im engen Rahmen seiner Zeit, Bemühung um Völkerverständigung und durchaus drunterliegende Themen wie Rassismus z.B. zwischen Zwergen und Elfen). Tolkien hat nicht mit böser Absicht rassistische Motive reproduziert, da bin ich sicher. Und ich bin auch absolut der Meinung, dass man das in der Diskussion berücksichtigen muss. Das bedeutet aber nicht, dass man die Bücher nicht als Diskussionsgrundlage z.B. für internalisierten Rassismus heranziehen sollte.

Wenn nun aber ein Autor heutzutage mit dem Thema Diversität konfrontiert wird, und immer noch sagt: "ach, das geht mich nichts an, ich reproduziere alles wie früher, ich meine es ja nicht böse" dann finde ich das zumindest merkwürdig.

Zitat von: Angela am 03. Oktober 2019, 19:13:07
ZitatMag sein, dass wir die Chinesen und Inder nicht auf Augenhöhe sehen. Zumindest die Chinesen tun das mit uns aber genauso viel oder  wenig. Für die sind wir dieses ungehobelten Barbaren aus dem Westen, deren Know-How man sich sichert, um sie danach in die Tasche zu stecken.
So ist es. Wir mögen ja unsere Überheblichkeit anderen gegenüber ablegen wollen, aber andere haben absolut nicht das Problem uns gegenüber.

Puh und da muss ich gestehen, musste ich erst mal ziemlich schlucken. Ich finde solche Aussagen ziemlich krass, vor allem vor dem Hintergrund, dass mit genau solchen Argumenten im dritten Reich Hetze gegen die Juden betrieben wurde. Es ist einfach nicht richtig, ein ganzes Volk über einen Kamm zu scheren und genau das ist Rassismus. Wie viele Chinesen kennt ihr persönlich? Glaubt ihr wirklich, dass wir hier in Mitteleuropa die einzigen sind, die uns Gedanken darüber machen, unsere Mitmenschen nicht zu verletzen? Ich finde solche pauschalisierten Aussagen ehrlich gesagt ziemlich furchtbar und überhaupt nicht hilfreich. Außerdem glaube ich auch wirklich nicht, dass das stimmt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 20:50:28
Lies bitte mal genau, was ich geschrieben habe:
genauso viel oder genauso wenig.
Wenn das pauschalierend ist, ist es deine Beurteilung auch (und jetzt bin ich echt sauer. Wenn ihr schon Worte klauben müsst, dann bitte genau!)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. Oktober 2019, 20:52:32
Zitat von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 18:38:30
Mag sein, dass wir die Chinesen und Inder nicht auf Augenhöhe sehen. Zumindest die Chinesen tun das mit uns aber genauso viel oder  wenig. Für die sind wir dieses ungehobelten Barbaren aus dem Westen, deren Know-How man sich sichert, um sie danach in die Tasche zu stecken. Und dieses Denken ist nicht mal so unberechtigt, sie haben uns ein paar Jahrtausende kultureller Entwicklung voraus und hätten schon einmal die Möglichkeit gehabt, die Welt zu beherrschen.
Und das ist natürlich total ungerechtfertigt, wenn man bedenkt, was im Rahmen des Kolonialismus alles passiert ist, ne? Aber ja, über so ein wenig Genozid sollte man natürlich schnell hinwegsehen. Genau so wie über einen Plan, einfach die Bevölkerung eines halben Landes Drogenabhängig zu machen.

Und wir sollten auch nicht vergessen, wie die reichen, westlichen Ländern noch bis vor sehr kurz China behandelt haben: Als Müllhalde. Als Quelle für billige Arbeitskräfte. Was auch unter anderem Ursprung von der Bootleg-Kultur ist - immerhin ist vieles davon ohnehin für einen Hungerlohn in China produziert. Dadurch kamen die ganzen Pläne und dergleichen schon durch China durch, weil es da produziert wurde. Diverse Bootlegs wurden von denselben Leuten produziert, die auch die Fabriken im Auftrag des Westen geführt haben.

China musste in der Weltwirtschaft überleben. Die politischen historischen Entwicklungen in China hängen sehr eng mit den Einflüssen des Westens und der Kontrolle des Westens über die Weltwirtschaft zusammen.

Davon abgesehen ist es nun einmal wie Alana sagt: Es stimmt einfach nicht, dass China auf die Art mit dem Westen umgeht, wie anders herum.

Zitat von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 18:38:30
Und was die gegenseitige Kolonisation und Herabsetzung anderer Länder und Völker angeht- das ist durch die ganze Geschichte hindurch bei allen Völkern passiert.
Nein. Das ist einfach nur falsch. Das ist, als würdest du sagen: "Ja, aber andere Länder hatten ja auch Gefangenenlager", wenn es um den Holocaust geht. Der westliche Kolonialismus war (und ist) pure Form von kultureller Gewalt. Er ging mit mehreren Genoziden einher. Diverse Kulturen, die es nicht mehr gibt oder die man explizit versucht hat auszulöschen. Sklaverei. Komplette Umgestaltung der Kulturen und Länder. Entmachtung von Regierungen und Ersetzung durch Marionetten (etwas, das bis heute stattfindet). 

Und das schlimmste: Es wurden so gut wie keine Reperationen gezahlt. Und diverse kulturell wichtige Schätze befinden sich noch immer in den Händen der Kolonialkulturen. Bekanntestes Beispiel sollten die Kronjuwelen "von England" sein, von denen ein Teil ursprünglich Indie gehörten und auch da ein wichtiger kultureller Bestandteil waren.

Und das ist ohne auf Dinge, wie Eugenie und Rassenlehre zu sprechen zu kommen - erneut, etwas, das diverse Leute bis heute verbreiten und was bis vor nicht allzu langer Zeit an diversen Schulen, auch in Deutschland,  unterrichtet wurde. Nicht zu vergessen die bis heute anhaltende systematische Benachteiligung von nicht-weißen Menschen in vielen Feldern (auch international, da der Westen nun einmal den globalen Markt beherrscht und damit weiterhin auch politisch andere Länder kontrollieren kann). 

Kulturelle Aneignung ist ein Teil von dieser noch immer anhaltenden post-kolonialen Unterdrückung.

Zitat von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 18:38:30
Aber ich sehe sie auch nicht als absolutes Hindernis für eine friedliche, wohlwollende Mischung von Kulturen.
Wenn du einfach Aspekte aus einer anderen Kultur verwendest, dann ist daran nichts wohlwollend oder friedlich. Es ist eine Form von Diebstahl. Ein kultureller Austausch ist eine Sache, aber das hier ist kein Austausch. Denn Austausch würde, wie schon gesagt, brauchen, dass beide Seiten dieselbe Position haben. Doch das ist weiterhin nicht der Fall.

Und es ist nun einmal, wie Evanesca schon sagte: Es geht nun einmal auch darum, dass sich Dinge angeeignet werden, die man angehörigen der Kultur verboten, gestohlen oder anders verhindert hat.

Am Ende sind die Kulturen selbst diejenigen, die entscheiden, inwieweit und in welchem Kontext es okay ist, dass jemand anderes Aspekte und Artefakte ihrer Kultur benutzt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Alana am 03. Oktober 2019, 20:57:32
@FeeamPC

Ich habe das hier gelesen:

ZitatFür die sind wir dieses ungehobelten Barbaren aus dem Westen, deren Know-How man sich sichert, um sie danach in die Tasche zu stecken.

Und darauf habe ich mich bezogen. Das wird durch den Satz davor in meinen Augen auch nicht relativiert. Tut mir leid, dass du sauer bist. Es geht mir nicht ums Anprangern oder Wortklauben. Die Aussage lag mir einfach wirklich schwer im Magen, vor allem, weil ich mir sicher bin, dass du das nicht so meinst, wie es bei mir wahrscheinlich ankam, aber genau das ist eben der Kern des Problems.

Ich glaube, ich ziehe mich jetzt hier zurück, das schlägt mir zu sehr aufs Gemüt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 03. Oktober 2019, 21:15:07
Mal eine Verständnisfrage - was ist denn das dann, wenn Länder/Regionen Feiern und Traditionen von woanders übernehmen? Halloween und Weihnachten sind ja inzwischen rund um den Erdball gewandert, das Oktoberfest wird neuerdings auch in Dresden und Frankfurt Oder gefeiert, dieses Farbenfest aus - Indien? - gabs schon in Berlin ... ist das jetzt auch Aneignung fremder Kultur, rassistisch und diskriminierend? Oder nicht eher a) gutes Marketing, man verdient ja nicht schlecht damit und b) den Leuten gefällts!
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 21:15:37
@NelaNequin : Wo, bitte, habe ich Kolonialismus oder gar Konzentrationslager gerechtfertigt? Ich habe lediglich festgestellt, dass sich so etwas wie ein roter Faden durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht. Vor 2000 Jahren waren wir die Kolonialisierten, denen man mit Gewalt kam, 1900 Jahre später haben wir es umgekehrt gemacht. Beides nicht richtig. Aber beides kein absolutes hindernis dazu, dass sich Menschen auch friedlich vertragen können oder?
Obwohl mich gerade unsere Diskussion daran zweifeln lässt, denn mir scheint, ihr wollt missverstehen, was ich meine.

Also, noch einmal ein letzter Versuch: Ihr seht das zu absolut. Zu schwarzweiß. Wir Menschen sind nicht so. Weder unsere Biologie, noch unsere Geschichte, noch unser Wissen, noch unsere Gefühle. Es gibt Graustufen von falsch und richtig dazwischen, und diese Graustufen sind unendlich viel häufiger als ganz schwarz und ganz weiß. Das nämlich sind nur genau zwei Möglichkeiten. Von tausenden.
Ich versuche, in diese Diskussion einzubringen, dass wir alle mit diesen Graustufen leben müssen, weil wir die menschliche Art nicht einfach ändern können. Dass da vielen schiefgeht, im Argen liegt, ist leider so, aber ihr ändert es nicht durch einen empörten Aufschrei, sondern nur durch leise, kleine Schritte der Überzeugungsarbeit.
Ja, ich kann einen Staudamm, der ein schönes Tal ertränkt, sprengen und das Tal wieder freilegen- und in Kauf nehmen, dass hunderte von Menschen dabei zu Schaden kommen. Oder aber ich gehe hin und hole das Wasser Eimer für Eimer raus. Dauert länger, sieht manchmal so aus, als ob nichts passiert, aber das Wasser wird trotzdem weniger. Und ich richte unter dem Damm weniger Schaden an. (Oberhalb ist der Schaden eh schon passiert, als das Tal geflutet wurde, dagegen hilft auch keine schnelle Sprengung).

Habe ich mich dieses Mal verständlich ausgedrückt?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 03. Oktober 2019, 21:38:21
@ Alana, aber auch an alle anderen

Nur zum allgemeinen Verständnis: Wenn man generalisiert: die Deutschen, die Amerikaner, die Chinesen etc. kann das nicht jeden einzelnen der entsprechenden Gruppe eineziehen. Heißt es nicht: Keine Regel ohne Ausnahme. Aber wenn man eine Generalisierung so scharf versteht, dass sie keine Ausnahmen zulässt, dann kann man gar keine Aussagen mehr über Gruppen treffen.

Für die Chinesen vor Mao, war das Reich der Mitte davon überzeugt, dass sie die Kultur erfunden hatten und der Rest der Welt qaus Barbaren bestand. Dass ausgerechnet diese Barbaren dann die besseren Waffen hatten und ihre Kutlur in die Knie zwang, hat dieses stolze Volk sehr geschmerzt. Und auch heute ist diese Haltung noch überall in China zu finden. Dort gilt wer, der Macht und Ansehen hat und der Stärkere ist. Das ist das Prinzip hinter "Gesicht haben". Es ist nicht mehr ganz so schlimm wie früher, und  - ja - der westliche Einfluss bringt neue Ideen, aber mit Freundlichkeit allein kommt man in China nicht weiter. Es ist jetzt zwar schon fast 20 Jahre her, dass ich das letzte Mal in China war, aber das hat sich kaum geändert. (In HongKong war ich auch später noch mal.) In China gibt es zwei Arten von Lachen, die Langnasen nur schwer auseinanderhalten können. Chinesen können sehr lustig sein und lachen gerne. Aber sie lachen auch gerne andere aus. Und wer sich das gefallen lässt, hat jeden Respekt verloren.

China ist so anders als Europa, dass es für uns nur sehr schwer zu verstehen ist. Aber trotz allem, es trieb mich immer wieder dorthin und bei jedem Besuch traf ich neue Freunde und Kollegen und auf die alten Spielchen. Könnt Ihr Euch vorstellen, dass in Deutschland ein Deutscher einem chinesischen Geschäftsmann auf einem internationalen Flughafen mangelnden Anstand vorwirft? Kann euch passieren in Beijing oder sonst wo. Andererseits saß ich einmal mit vier  Chinesen in einem deutschen Zugabteil. Die würdigten mich keines Blickes, aßen in "chinesicher" Art (schmatzend und schlürfend und den Abfall auf den Boden werfend). Als ich aussteigen musste, wünschte ich den Herren noch eine schöne Fahrt. Keine Ahnung, ob sie mich verstanden, aber der Kern meiner Botschaft war klar. Die vier Herren verbeugten sich tief (im Sitzen) und zeigten ein herzliches Lächeln, denn jemand aus dem Gastland hatte ihnen Ehre angetan, die sie nun zurückgaben.

Ich habe ein ganzes Fass an Anekdoten aus meiner beruflichen Tätigkeit. Warum ich das hier erzähle? Ganz einfach. Bevor man sich nach einem Menschen aus einem ganz anderen Kulturkreis richtet, muss man diesen Kulturkreis erst einmal erlernen. Und wenn man ihn erlernt hat, braucht man nur noch ganz allgemein Respekt vor dem anderen zu haben. Über die dann noch auftretenden Missverständnisse kann man dann gemeinsam lachen. Generalisierungen können auch anders herum falsch sein. "Die Chinesen sind gar nicht so. das glaube ich nicht" Oder Ähnliches.

Die FeeamPC hat im Großen und Ganzen schon Recht mit ihren Äußerungen. Wenn es einen Vorteil verspricht, versuchen diese Leute einen erst einmal über den Tisch zu ziehen. Nehmt es sportlich, wenn es ihne gelingt.

Liebe Grüße
lTrippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. Oktober 2019, 21:42:55
Zitat von: Silvia am 03. Oktober 2019, 21:15:07
Mal eine Verständnisfrage - was ist denn das dann, wenn Länder/Regionen Feiern und Traditionen von woanders übernehmen? Halloween und Weihnachten sind ja inzwischen rund um den Erdball gewandert, das Oktoberfest wird neuerdings auch in Dresden und Frankfurt Oder gefeiert, dieses Farbenfest aus - Indien? - gabs schon in Berlin ... ist das jetzt auch Aneignung fremder Kultur, rassistisch und diskriminierend? Oder nicht eher a) gutes Marketing, man verdient ja nicht schlecht damit und b) den Leuten gefällts!
Das ist es ja, worum es hier geht: Es geht um den Kontext. Wenn in anderen Ländern bspw. Oktoberfest gefeiert wird, dann schadet es Deutschland nicht, da Deutschland eins der mächtigsten Länder der Welt ist - und dabei oftmals auch noch einen Teilgewinn macht, da oftmals deutsches Bier auf diesen Internationalen Immitagen ausgeschenkt wird.

Und Halloween und Weihnachten sind sowieso noch einmal eine komplett andere Sache, da diese oft anderen Kulturen aufgezwungen wurden. Im sanftesten Fall wurden sie einfach durch die Besiedlung und das Feiern dort übernommen. Dann war es kultureller Austausch und nicht einfach Übernahme einseitiger Natur. (Was bei Halloween eher die Frage ist, inwieweit wir über die frühe Christianisierung und Samhain sprechen müssen. Das hängt durchaus mit dem Thema zusammen, hatte damals jedoch noch einmal einen anderen Kontext.)

Was das Farbenfest angeht, muss ich sagen, dass ich nicht weiß, was die kulturelle Bedeutung davon ist und wie die Ausübung in anderen Ländern konzeptuell und durch andere kulturell signifikanten Eigenschaften daran angelehnt ist - und natürlich ob dies ein aktiver Versuch ist, davon zu profitieren, wie Deutschland halt nun einmal oft an Oktoberfesten profitieren kann.

Aber wie gesagt: Die beste Daumenregel ist "Wenn eine kolonialisierte Kultur Aspekte einer kolonialen Kultur übernimmt, dann ist es meist harmlos, da kein Schaden existiert. Übernimmt eine kolonialkultur Aspekte einer kolonialisierten Kultur, entsteht oftmals Schaden, weshalb es mit Vorsicht zu betrachten ist."

Zitat von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 21:15:37
@NelaNequin : Wo, bitte, habe ich Kolonialismus oder gar Konzentrationslager gerechtfertigt?
Ich habe nichts davon gesagt, dass du es gerechtfertigt hast. Ich habe gesagt, dass du es lächerlich verharmlost. Und das tust du, wenn du sagst "Na ja, es gab vorher auch Kolonialisierung." Ja, auch andere kulturen haben Kolonialisiert. Aber keine andere Kultur hat dies auf eine nur annährend so zerstörerische und kriegerische Art auf einer auch nur annährend so großen Skala getan, wie Europa den Rest der Welt kolonialisiert hat. Und der Schaden dauert bis heute an. Kolonialisierung dauert bis heute an.

Kulturelle Aneignung, in der kritisierten Art, ist ein Teil davon. Es ist ein Teil der Kolonialisierung. Da gibt es keine Graustufen. Du leidest nicht darunter. Und so wie du redest, hast du auch nie mit jemanden gesprochen, der unter kultureller Aneignung leiden musste. Auch an dem Leid ist kein Grau. Es ist Leid. Und wer an kultureller Aneignung teilnimmt, der richtet Leid an.

Du musst lernen, dich auch einmal eine andere Perspektive einzulassen, als deine eigene. Lese Bücher, idealerweise Bücher, die nicht von weißen Menschen geschrieben wurden, über Kolonialismus und Rassismus. Weil wenn eine Sache, aus sämtlichen deiner Beiträge herausspricht, dann, dass du nie aus der weißen Perspektive herausgegangen bist.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 03. Oktober 2019, 21:51:15
Zitat von: NelaNequin am 03. Oktober 2019, 21:42:55

Ich habe nichts davon gesagt, dass du es gerechtfertigt hast. Ich habe gesagt, dass du es lächerlich verharmlost. Und das tust du, wenn du sagst "Na ja, es gab vorher auch Kolonialisierung." Ja, auch andere kulturen haben Kolonialisiert. Aber keine andere Kultur hat dies auf eine nur annährend so zerstörerische und kriegerische Art auf einer auch nur annährend so großen Skala getan, wie Europa den Rest der Welt kolonialisiert hat. Und der Schaden dauert bis heute an. Kolonialisierung dauert bis heute an.

Du musst lernen, dich auch einmal eine andere Perspektive einzulassen, als deine eigene. Lese Bücher, idealerweise Bücher, die nicht von weißen Menschen geschrieben wurden, über Kolonialismus und Rassismus. Weil wenn eine Sache, aus sämtlichen deiner Beiträge herausspricht, dann, dass du nie aus der weißen Perspektive herausgegangen bist.

Ich respektiere Deine Leidenschaft. Vielleicht ist auch Verzweifelung dabei, dass Du anderen immer wieder sagst, was sie zu tun und zu lassen haben. Jedenfalls springt mich das aus so vielen Deiner Beiträge an. Aber trotzdem. Es stimmt nicht, was Du behauptest. Die größten Kolonialisierungen kamen nicht aus Europa, sondern aus dem nahen Osten. Erst mit Alexander und dann später mit den Römern wurde Europa aktiv. Und die Römer kolonisierten nebenbei auch noch einen großen Teil der Germanen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 22:16:54
Nur soviel, @NelaNequin , ich hatte bereits mit dem AIM (American Indian Movement) zu tun, als du vielleicht noch nicht einmal geboren warst. Ich unterstütze die Gesellschaft für bedrohte Völker seit Jahrzehnten. als ich (vor 60 Jahren! im Kindergarten war, hatte ich bereits eine japanische Freundin dort, deren Familie bei uns im Haus ihre Wohnung hatte (und deren eigene, japanische Mutter ihr zu Fasching einen Kimono anzog), wir hatten 30 Jahre später in unseren Mütterzentrum multikulturelle Gruppen, in denen unsere Kinder bereits vor dem Kindergarten fremde Sprachen lernen konnten, ich habe in meiner Familie und meinem Bekanntenkreis alle Varianten von körperlicher und geistiger Behinderung oder Erkrankung, die du dir vorstellen kannst (schon mal in Bethel gewesen?), plus meine täglichen Erfahrungen und der Apotheke, und meine  ziemlich multikulturelle Famile ist mittlerweile von Honkong bis Brasilien über die ganze Welt verteilt, inklusive diverser Mischehen verschiedener Ethnien. Also unterstelle mir bitte nicht, ich würde mir darüber zu wenig Informationen holen.
Ich habe nur inzwischen lange genug gelebt, um zu lernen, dass es mit jugendlichem Idealismus nicht soviel zu reißen gibt, wie man gerne möchte, und dass zu Toleranz auch gehört, das Nicht-Können anderer Menschen zu akzeptieren und sie nicht missionieren zu wollen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 03. Oktober 2019, 22:17:20
Zitat
Du musst lernen, dich auch einmal eine andere Perspektive einzulassen, als deine eigene.

...
Du auch.
...

Echt, ich weiß bei dieser Diskussion nicht mehr, was ich noch schreiben soll. Wir kommen nicht zueinander.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. Oktober 2019, 22:21:55
Zitat von: Trippelschritt am 03. Oktober 2019, 21:51:15

Ich respektiere Deine Leidenschaft. Vielleicht ist auch Verzweifelung dabei, dass Du anderen immer wieder sagst, was sie zu tun und zu lassen haben. Jedenfalls springt mich das aus so vielen Deiner Beiträge an. Aber trotzdem. Es stimmt nicht, was Du behauptest. Die größten Kolonialisierungen kamen nicht aus Europa, sondern aus dem nahen Osten. Erst mit Alexander und dann später mit den Römern wurde Europa aktiv. Und die Römer kolonisierten nebenbei auch noch einen großen Teil der Germanen.

Oh, ja, das ist total vergleichbar! Ich hoffe der Sarkasmus klingt heraus.

Europäische Mächte haben während dem Kolonialismus Zeitalter Afrika, Amerika, Australien, Neuseeland, Teile Asiens und im letzten Abschnitt auch Teile Polynesiens kolonialisiert, im Verlauf davon hunderte Millionen von Menschen getötet, über 12 Millionen versklavt (und das ist ohne die einzurechnen, die in die Sklaverei geboren wurden) und hunderte von Kulturen komplett zerstört. Kulturen, von denen wir kaum mehr wissen, als dass sie einmal existiert haben.

Nichts, was die Römer, die Mongolen oder irgendeine andere prä-koloniale Macht getan hat, ist mit den Grausamkeiten die in diesem Rahmen passiert sind, auch nur annährend vergleichbar.

Davon abgesehen, dass die Römer und die Mongolen üblicherweise andere Kulturen erhalten haben, anstatt zu versuchen sie auszulöschen (sofern sie sich ihnen nicht prinzipiell wiedersetzt haben), sind auch die Todeszahlen diese Kolonialisierungen nicht einmal annährend zu vergleichen. Allein die Tode in Nordamerika (!) durch die Kolonialisierung sind knapp das dreifache von den höchsten Schätzungen, der mongolischen Angriffe.

Und ich frage mich ernsthaft, warum es überhaupt interessant ist, wer als erstes kolonialisiert hat. Darum geht es nicht. Es sagt auch nichts über die Größe aus. Wie kommst du überhaupt darauf?! Es geht darum, dass unsere moderne Welt von Kolonialismus geschaffen wurde. Durch Genozid, Sklaverei und Unterdrückung anderer Kulturen. Es geht darum, dass diese Kolonialisierung bis heute ihre Auswirkungen hat und bis heute Menschen darunter leiden.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 03. Oktober 2019, 22:33:22
Ich habe nichts davon gesagt, dass du es gerechtfertigt hast. Ich habe gesagt, dass du es lächerlich verharmlost. Und das tust du, wenn du sagst "Na ja, es gab vorher auch Kolonialisierung." Ja, auch andere kulturen haben Kolonialisiert. Aber keine andere Kultur hat dies auf eine nur annährend so zerstörerische und kriegerische Art auf einer auch nur annährend so großen Skala getan, wie Europa den Rest der Welt kolonialisiert hat. Und der Schaden dauert bis heute an. Kolonialisierung dauert bis heute an.

Dazu kann ich als Geschichtsstudent nur sagen, dass Aussagen wie am "zerstörerischsten" oder "kriegerischsten" kolonialisiert natürlich immer subjektive Bewertungen sind und keine Fakten (deren Existenz in meinem Feld ohnehin... nicht gesichert ist). Die europäische Kolonialisierung ist besser überliefert als viele andere, die Europäer hatten effizientere Werkzeuge als die Römer beispielsweise und die Geschichte der europäischen Kolonialisierung ist in der heutigen Geschichtsschreibung viel präsenter als viele andere Kolonialisierungen es sind, weshalb viele Leute mehr darüber wissen und es ihnen präsenter bewusst ist als vieles, was in anderen Regionen zu anderen Zeiten geschah...

Daraus mag jeder seine eigenen Schlüsse ziehen. Aber ich persönlich denke, wenn man dem Nahen Osten in einer Welle kriegerischer Expansion den Weg freigemacht und ihnen dieselben Werkzeuge wie den Europäern ab dem 16Jh gegeben hätte, wären sie auch nicht "netter" gewesen als die Europäer es waren.
Ich denke gewissermaßen sind Menschen eben Kinder ihrer Zeit und es ist doch schon mal eine schöne Sache, dass wir heute, obwohl wir die Macht und die Werkzeuge hätten, nicht wie zügellose Wilde über wehrlose Völker herfallen, sondern sogar versuchen Dinge besser zu machen und alle Menschen gleich gut zu behandeln. Rechtlich gesehen haben heute sogar alle Arten von Menschen (wenigstens in Deutschland) einen relativ gleichen Rechtsstatus auf dem Papier.  Frauen dürfen und sollen wählen - das wäre vor 300 Jahren undenkbar gewesen! (Ich weiß, ich weiß auf dem Papier und in der Realität sind 2 unterschiedliche Dinge, aber allein der Akt rechtlicher Gleichstellung IST ein großer Schritt gewesen - ein Schritt den im Übrigen unsere Eltern und deren Eltern getan haben und deren Großeltern und Urgroßeltern von denen manch einer vielleicht sogar Kind eines Kolonialherren war... Dennoch haben unsere Vorfahren angefangen ein Umdenken in die Wege zu leiten, (aus vielerlei Gründen mag sein) aber ohne sie wären wir heute nicht hier. Es ist beispielsweise nicht unser Verdienst das wir überhaupt BEREITS in einem Land bzw. Kulturkreis leben, in dem Frauen wählen dürfen. (Zumindest gewiss nicht meiner mit meinen 21 Jahren.) ...

Es mag daran liegen dass ich mich hauptsächlich mit der Vergangenheit befasse, aber mich befremdet der aggressive Fatalismus manchmal, der hier anklingt. Ich sehe eigentlich öfter mit Staunen WIE WEIT wir als Menschen uns in den letzten Jahrhunderten schon zu mehr Toleranz und Humanismus bewegt haben... Von Links und rechts höre ich Menschen immer nur über die Europäer und ihre Vergangenheit reden als würden wir von Menschen abstammen, die dunkelhäufige-Babys zum Frühstück verschlungen haben. Dabei waren es auch diese Baby-verschlingenden Europäer, die die westliche Welt so tolerant und humanistisch gemacht haben, wie sie heute ist. Die Fehler eingesehen, Macht aufgegeben, Kolonien aufgelöst haben, die Frauen das Wahlrecht eingeräumt haben und all das. Mag sein die Welt ist nicht perfekt, aber man kann sich jawohl einigen, dass sie BESSER geworden ist oder? Und das unsere Vorfahren (viele, viele davon weiße cis-hethero Männer) sie besser gemacht haben, mehr oder weniger freiwillig, aber es ist passiert sonst stünden wir heute nicht hier. (Und jeder der annimmt das benachteiligte Gruppen völlig ohne den Rückhalt des Establishments heroisch und gleichzeitig humanistisch ihre Gleichberechtigung erkämpft haben... Der muss mir mal genau erklären wie das funktioniert hat...)

Damit will ich nichts verharmlosen. Wir sollten immer danach streben die Welt besser zu machen. Aber ich sehe keinen Mehrwert für mich daran einen mit Undankbarkeit und Ignoranz vermengten Hass auf meine Vorfahren anzunehmen und immer nur über ihre Fehler zu reden und nie über ihre Tugenden. Ein wenig Positivismus ist denke ich ganz gut, um den Menschen Mut zu machen, dass Dinge tatsächlich besser werden können. Man sollte ihnen nicht nur den Fehlerberg unserer Vorfahren hinwerfen und sie daran verzweifeln lassen, ohne anzumerken dass a) viele Fehler schon (mehr oder weniger grob) behoben wurden und b) auch andere Kulturen ähnliche Fehler gemacht haben.  Ich denke darauf wollte Trippelschritt auch ein wenig hinaus...

Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. Oktober 2019, 23:44:33
Zitat von: Schneerabe am 03. Oktober 2019, 22:33:22
Dabei waren es auch diese Baby-verschlingenden Europäer, die die westliche Welt so tolerant und humanistisch gemacht haben, wie sie heute ist.  Die Fehler eingesehen, Macht aufgegeben, Kolonien aufgelöst haben, die Frauen das Wahlrecht eingeräumt haben und all das.
Du tust so, als würde ich sagen, dass alle Europäer Monster seien. Das sage ich nicht. Aber die kolonialisierenden Kulturen haben Massenhaft Schaden angerichtet und tun das bis heute. Daran ändert auch Frauenwahlrecht nichts. Nicht zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dass diverse matriarchalische Kulturen auch ausgelöscht wurden und diverse Kulturen vor recht kurzer Zeit dazu gebracht wurden, ihre Frauen zu unterdrücken. Gut, durch die Amerikaner, doch die ganze US-amerikanische Kultur ist noch immer von dem imperialistischen Gedankengut geprägt, der eben zur Besiedlung und "Eroberung" des amerikanischen Kontinents geführt hat. Ich sage nur Interventionalismus. Eine weitere Art, auf die Kolonialismus bis heute weiterlebt.

Ich finde auch "Fehler einsehen" sehr komisch. Deutschland tut bis heute so, als hätten wir im Rahmen des Kolonialismus ja nicht wirklich was gemacht. Die Niederlande sind wenig besser. Großbritannien redet auch viele seiner Fehler klein - und weigert sich durchweg gestohlenes Gut zurückzugeben. Sei es aus Indien. Sei es aus diversen Ländern in Afrika. Frankreich ist auch nicht sehr groß darin, sich für irgendetwas verantwortlich zu fühlen. Auch nicht dafür, den "nahen Osten" am Ende der Kolonialisierung so destabilisiert zu haben. Ich gebe offen zu, ich weiß nicht, wie der kulturelle Umgang damit in Spanien oder Portugal aussieht - aber keins der beiden Länder hat je Reperationen gezahlt. Dinge die mit "Fehler einsehen" einhergehen würden.

Davon abgesehen, war ein zentraler Aspekt, warum diverse Länder "dekolonialisiert" wurden unter anderem war, dass die imperialen Mächte nach zwei Weltkriegen kein Geld mehr hatten, um die Kolonialisierung aufrecht zu erhalten (etwas, das immerhin militärischen und zusätzlichen finanziellen Aufwand erfordert hat). Nicht zu vergessen, dass im Rahmen der Dekolonialisierung den Menschen in den betroffenen Ländern Grenzen aufgezwungen wurden, die diese eben destabilisiert haben. Siehe Naher Osten. Siehe Indien und Pakhistan. Siehe ... es gibt zu viele Beispiele in Afrika, um sie zu nennen. Ein Teil dieser Grenzen wurden absichtlich so gezogen, um weiterhin Einfluss auf die Länder und ihre Ressourcen zu haben.

Zudem wurden dennoch diverse dekolonialisierte Länder weiterhin von weißen Menschen, eben ehemals im Rahmen des Imperialismus dorthin gekommenen Menschen, regiert, die auch weiterhin ihr bestes gegeben haben, die lokale Bevölkerung zu unterdrücken. Das wohl bildlichste Beispiel davon sollte Südafrika sein.

Hätte man die Fehler eingesehen, hätte man damals im Rahmen der Dekolonialisierung in Absprache mit den lokalen Völkern und in Bedacht auf deren Kulturen und ehemaligen Grenzen von Stammesgebieten als Orientierung genommen. Man hätte die Menschen dort selbst ihre Regierungen bilden lassen sollen. Man hätte Reperationen gezahlt, hätte Gestohlenes zurückgegeben und hätte den Ländern geholfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Aber das hat man nicht.

Und nein, nichts davon ist die Schuld von einzelnen. Selbst nicht der einzelnen, die am Ende die Entscheidungen getroffen haben. Aber so zu tun, als wären Dinge, die wir tun, um diese internationalen Machtstrukturen weiterhin aufrecht zu erhalten, vollkommen okay, weil man ja nichts "erzwingen" könnte, hilft absolut nicht weiter. Es sorgt nur dafür, dass weiterhin Gewalt legitimisiert werden kann.

Ich finde es übrigens lustig, wenn über diese bösen Linksextremen geredet wird, während sich stolz damit geschmückt wird, dass Frauen ihr Wahlrecht bekommen haben. Als Geschichtsstudent wirst du sicher wissen, als was diejenigen bezeichnet wurden, die sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt haben. Sämtlicher humanistischer Fortschritt kam von Links. Weil linke Politik nun einmal dafür steht, allen Menschen dieselben Rechte und dieselben Möglichkeiten zu geben. Linke Politik steht dafür, dass Leben für alle möglich und gut zu machen - doch das heißt nun einmal oft auf Kosten auf denen, denen es aktuell zu gut geht, weil sie ihr aktuelles "Gut" auf dem Leid anderer Aufbauen - deren Leid nun einmal nur dadurch zu enden ist, die enorm profitierenden ein Stück hinabzusetzen. Nicht auf "schlecht", sondern nur auf "so gut wie allen anderen". Einfacher gesagt: Rechte Politik ist konservativ, linke Politik ist progressiv. Und daran gibt es Politikwissenschaftlich nichts zu rütteln. Das ist die Definition. Konservatisvismus baut nun einmal darauf auf, dass eine starke gesellschaftliche Hierarchie besteht, in der manche auf den Rücken anderer stehen. Und ja, es tut mir leid, ich finde die politische Mitte mit ihren Ausharren und ihren Kompromissen sehr gefährlich. Denn Kompromisse finde ich nicht zufriedenstellend, wenn es um Menschenleben geht. Und wenn es ums Klima geht übrigens genau so. Ein bisschen Klima retten hilft nicht. Nur ein paar Leben retten ist auch nicht genug, wenn man die Mittel hat, alle zu retten.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Barra am 03. Oktober 2019, 23:47:27
Zitat von: Alana am 03. Oktober 2019, 19:46:53
Tolkien war ein Mann seiner Zeit. Er wusste nichts von dieser Diskussion, weil sie damals noch nicht geführt wurde und es die Vokabeln, mit der wir sie heute führen, noch gar nicht gab.

So was ähnliches hatte ich mich auch gewagt irgendwo am Anfang zu sagen. Aber darum geht's hier schon lange nicht mehr.
Und alles was ich aus dieser Diskussion mitnehme ist: @AngelikaD , die diesen Thread begann, schließt nun die Orks ganz aus ihrem Werk aus. Wisst ihr was? DAS finde ich am Schlimmsten hier gerade.
Ich hoffe, du hast es nicht wegen dieser Diskussion getan. Wir Orks (und das meine ich voll unlustig) sind es wert ausgearbeitet zu werden.
Für mich gilt: Was juckt mich Tolkien, wenn ich viel bessere Orks machen kann? Orks für unsere Zeit, nicht Tolkiens.
"Die Ärzte" besangen es trefflich: "Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, es ist nur deine Schuld, wenn sie so bleibt."

Grüne Grüße
Barra
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 04. Oktober 2019, 00:06:26
ZitatDu tust so, als würde ich sagen, dass alle Europäer Monster seien. Das sage ich nicht. Aber die kolonialisierenden Kulturen haben Massenhaft Schaden angerichtet und tun das bis heute. Daran ändert auch Frauenwahlrecht nichts. Nicht zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dass diverse matriarchalische Kulturen auch ausgelöscht wurden und diverse Kulturen vor recht kurzer Zeit dazu gebracht wurden, ihre Frauen zu unterdrücken. Gut, durch die Amerikaner, doch die ganze US-amerikanische Kultur ist noch immer von dem imperialistischen Gedankengut geprägt, der eben zur Besiedlung und "Eroberung" des amerikanischen Kontinents geführt hat. Ich sage nur Interventionalismus. Eine weitere Art, auf die Kolonialismus bis heute weiterlebt.

... Ich glaube du verstehst meinen Punkt nicht. Ich bestreite nicht das unsere Zeit Probleme hat. Wenn du meine Perspektive nachvollziehen willst, wäre deine Denkaufgabe: Ok Europäer haben viele Fehler gemacht (du hast sie extensiv aufgelistet)... Und was haben sie Gutes getan? Nennen sie 5 Beispiele. (Du sagst ja selbst, wir sind keine Monster, also wirst du auch denken, dass unsere Kultur gute Dinge getan hat. Meine Perspektive wertschätzt auch das Gute und konzentriert sich nicht ausschließich auf das Schlechte, weil ich das für eine unvollständige Darstellung unserer kulturellen Vergangenheit halte, das ist alles.)

ZitatIch finde es übrigens lustig, wenn über diese bösen Linksextremen geredet wird, während sich stolz damit geschmückt wird, dass Frauen ihr Wahlrecht bekommen haben. Als Geschichtsstudent wirst du sicher wissen, als was diejenigen bezeichnet wurden, die sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt haben. Sämtlicher humanistischer Fortschritt kam von Links. Weil linke Politik nun einmal dafür steht, allen Menschen dieselben Rechte und dieselben Möglichkeiten zu geben. [...] ich finde die politische Mitte mit ihren Ausharren und ihren Kompromissen sehr gefährlich. Denn Kompromisse finde ich nicht zufriedenstellend, wenn es um Menschenleben geht. Und wenn es ums Klima geht übrigens genau so. Ein bisschen Klima retten hilft nicht. Nur ein paar Leben retten ist auch nicht genug, wenn man die Mittel hat, alle zu retten.


Also hat konservative und mittlere Politik in deinen Augen keine Berechtigung und wir sollten uns alle linker Politik zuwenden, weil nur diese progressiv ist? Wenn du dir die Welt aussuchen dürftest, gäbe es nur die Linke Seite? Meinst du das würde funktionieren? Diese Richtungen balancieren sich schon ewig gegenseitig aus... alles außer einem Zweig wegzubrechen kommt mir irgendwie kontraintuitiv vor und sehr radikal...

PS:
ZitatAls Geschichtsstudent wirst du sicher wissen...
xD Ist wohl als würde man dem angehenden Vogelkundler sagen: Als Biologiestudent sollten sie wissen, dass neurologische Befunde  von Alzheimer-Patienten...

Nö nicht wirklich. Ich kenne hauptsächlich die "historische Arbeitsweise" und die wissenschaftliche, daher kann ich grob sagen, wann ein Diskurs bewertend oder normativ oder deskriptiv ist und solche Sachen, Argumentationstheorie etc. Meine geschichtliche Expertise liegt momentan eher bei den antiken Kelten, der Geschichte des Buchdrucks und dem Zunftwesen in der Frühen Neuzeit. Also mit konkretem Fachwissen kann ich nicht dienen. (*lach*)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 04. Oktober 2019, 02:23:22
Zitat von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 15:52:35
Wenn man etwa das Feeling der alten europäischer Mythologien wiederaufleben lassen möchte, einfach weil einen das inspiriert ... was ist denn dann so tragisch daran, wenn es auch mal ein Buch von vielen anderen gibt, das sehr eurozentrisch ist? Ich bin mir bei der Diskussion mittlerweile auch nicht mehr ganz sicher, ob hier Pauschalforderungen existieren, dass alle Schreiberlinge immer in jedem ihrer Werke Diversität einbringen müssen oder nicht. (Manchmal klingt es so)

Vielleicht vermischt sich hier, wofür und wogegen eigentlich argumentiert wird. Es werden immer wieder viele Argumente gebracht, warum es in diesem bestimmten Fall ja eigentlich echt doof wäre, Diversität mit einzubringen und dagegen wehre ich mich. Es geht schon. Es würde auch in einem eurozentrischen Buch funktionieren. Aber einerseits kann nicht jedes Buch wirklich jede Art von Diversität abbilden. Auf der anderen Seite gibt es auch legitime Gründe, warum man sich manchmal gegen eine bestimmte Art von Diversität entscheiden sollte. Aber man kann in jedem Buch zumindest eine Art von Diversität einbauen, ohne dass es schlecht oder klischeehaft wird. Jeder muss sich dann selbst entscheiden, ob er/sie das dann auch will. Mich stören vor allem Ausflüchte, die argumentieren, warum es nicht geht und warum es eh viel besser ist, wenn sie von Diversität die Finger lassen. Und wenn man sich dann von Argumenten für Diversität wirklich so sehr angegriffen fühlt, warum ist das so?

Zitat von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 15:52:35
Wenn dem Publikum in einigen Jahren diverse Romane sehr viel besseren gefallen, als homogene (und Autoren lesen ja auch, dass heißt sie werden dann automatisch mehr mit dem Thema in Berührung kommen und sich mehr damit identifizieren) dann entstehen automatisch auch mehr Bücher mit mehr diversen Gruppen. Wenn sich aber zeigt, dass die europäische Leserschaft in unserer hochkomplexen Zeit zu einem großen Teil eben doch noch gerne etwas eskapistische homogene Fantasyromane ließt, vielleicht weil sie dabei ein nostalgisches Gefühl für eine verlorene europäische Vergangenheit bekommt oder derlei, dann ist das doch auch legitim oder nicht?

Ich finde es dennoch wichtig, Autor*innen zu mehr Diversität zu ermutigen. Ich diskutiere ehrlich gesagt nicht gerne mit Leuten, die das eh nicht wollen, aber viele wollen es eben doch, sie trauen sich nur nicht. Oder sie waren sich der Thematik nie bewusst, würden es aber dann doch gerne einbauen, wenn man es ihnen erklärt (das war mal ich).

Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 18:20:29
Ist das wirklich rassistisch oder unterdrückend, wenn ich in meiner Freizeit gemütlich einen schönen Roman lesen will, der gewisse gesellschaftliche Probleme ausklammert?

Nö. Hat auch nie jemand behauptet. https://de.wikipedia.org/wiki/Strohmann-Argument

Zitat von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 21:15:37
Also, noch einmal ein letzter Versuch: Ihr seht das zu absolut. Zu schwarzweiß. Wir Menschen sind nicht so. Weder unsere Biologie, noch unsere Geschichte, noch unser Wissen, noch unsere Gefühle. Es gibt Graustufen von falsch und richtig dazwischen, und diese Graustufen sind unendlich viel häufiger als ganz schwarz und ganz weiß.
Zitat von: FeeamPC am 03. Oktober 2019, 18:38:30
Mag sein, dass wir die Chinesen und Inder nicht auf Augenhöhe sehen. Zumindest die Chinesen tun das mit uns aber genauso viel oder  wenig. Für die sind wir dieses ungehobelten Barbaren aus dem Westen, deren Know-How man sich sichert, um sie danach in die Tasche zu stecken.

Joa, okay.

Zitat von: Alana am 03. Oktober 2019, 18:09:00
Was Austausch und Aneignung angeht: stell dir doch nur mal vor, du wärst in Indien und würdest von einer Frau in ihr zu Hause eingeladen, es würde ein echter Austausch auf Augenhöhe stattfinden und am Ende des Abends würde sie dir einen ihrer Saris schenken. Ich denke, du würdest niemals auf die Idee kommen, diesen Sari auf einer Faschingsparty zu tragen. Du hättest zu viel Respekt davor, um ihn wie ein normales Faschingskostüm zu behandeln. Und genau das ist für mich das Ergebnis von echtem Austausch. Gegenseitiger Respekt.

Das ist ein sehr schöner Vergleich. Ich kann generell nur allem zustimmen, was du in dieser Diskussion sagst.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Judith am 04. Oktober 2019, 10:18:27
Zitat von: Barra am 03. Oktober 2019, 23:47:27
So was ähnliches hatte ich mich auch gewagt irgendwo am Anfang zu sagen. Aber darum geht's hier schon lange nicht mehr.
Und alles was ich aus dieser Diskussion mitnehme ist: @AngelikaD , die diesen Thread begann, schließt nun die Orks ganz aus ihrem Werk aus. Wisst ihr was? DAS finde ich am Schlimmsten hier gerade.
Ich hoffe, du hast es nicht wegen dieser Diskussion getan. Wir Orks (und das meine ich voll unlustig) sind es wert ausgearbeitet zu werden.
Wenn das alles ist, was du aus dieser Diskussion mitnimmst, finde ich das sehr schade. Es waren sich hier nämlich praktisch alle einig darin, dass nicht Orks per se das Problem sind. Und dass man durch bessere und überlegte Ausarbeitung ja gerade die problematischen Stereotypen vermeiden kann. Wenn daraus jemand für sich die Konsequenz zieht, stattdessen lieber ganz auf Orks zu verzichten, ist das jedermanns eigene Entscheidung, aber nicht etwas, das hier gefordert wurde.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Ary am 04. Oktober 2019, 10:29:14
 :wache!:

Ich denke, dass wir uns alle einig sind, dass Respekt und respektvoller Umgang miteinander sowie mit fremden Kulturen/fremdem Kulturgut uns allen wichtig sind und dass wir diesen Respekt auch mit dem, was wir schreiben, ausdrücken sollten. Ich möchte die Diskussion nicht schließen - aber darum bitten, sie wenn, dann bitte sachlich weiterzuführen, ohne emotionsgeladene Kommentare, ohne Sarkasmus (der im geschriebenen Wort ebenso wie Ironie nicht immer eindeutig als solcher zu erkennen ist und im schlimmsten Fall zu Missverständnissen führen kann oder dazu, dass sich Mitdiskutierende verletzt fühlen).

Das Thema geht uns alle an, ist uns allen wichtig und wird von allen mit Leidenschaft diskutiert, die teilweise dazu führte, dass sich Mitdiskutierende bevormundet oder missioniert fühlten. An diesem Punkt hört für mich eine sachliche Diskussion auf.
Aber je emotionsgeladener ein Thema für mich ist, umso sachlicher sollte ich es diskutieren, um eben nicht ins Missionieren, oder bevormunden zu verfallen. Und manchmal gibt es eben auch keinen Konsens im Detail - im Großen und Ganzen haben wir ihn ja, indem wir alle übereinstimmen, dass uns respektvoller Umgang in jeder Form wichtig ist.

Und "agree to disagree" ist auch eine Art Konsens - und führt dazu, dass wir uns nicht weiter sinnlos im Kreis drehen und gegenseitig aufheizen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Schneerabe am 04. Oktober 2019, 11:18:43
ZitatMich stören vor allem Ausflüchte, die argumentieren, warum es nicht geht und warum es eh viel besser ist, wenn sie von Diversität die Finger lassen. Und wenn man sich dann von Argumenten für Diversität wirklich so sehr angegriffen fühlt, warum ist das so?


Ich würde nicht sagen, dass wir uns alle von Diversität angegriffen fühlen... Wenn sich überhaupt jemand angegriffen fühlt, dann wohl von der sehr scharfschießenden Rhetorik, die die Gruppe der ,,vehementeren-Diversitätsforderer" hier an den Tag legt. Weil die Gruppe der ,,nicht so vehement Diversität fordernden Autoren" hier teilweise das Gefühl bekommt, unter Druck gesetzt zu werden, gefälligst divers zu schreiben – niemand wird gern zu etwas gezwungen. (Egal wie förderlich es vielleicht ist)

Ich für meinen Teil wollte, weil hier teilweise Unglauben darüber ausgedrückt wurde, dass manch einer das Thema Diversität schlicht und ergreifen nicht behandeln möchte, nur einige pragmatische Gründe aufzeigen, warum dem so ist, um das Verständnis vielleicht zu erhöhen. Ob ich diese Gründe immer Ausflüchte nennen würde... Weiß ich nicht. Kommt auf die Perspektive an. Ausflüchte sucht, wer sich angegriffen fühlt, wer meint seine Kunst vor anderen rechtfertigen zu müssen, weil... ja was? Weil andere Leute irgendein Anrecht an meinen Geschichten haben, die ich teilweise über Jahre mit sehr viel Blut und Schweiß zu Papier bringe?

Ich persönlich fühle mich insgesamt nicht, als ob ich mich für das rechtfertigen muss was ich schreibe...  Ich bin keiner von denen, die vordergründig Schreiben um einem bestimmten Publikum etwas mitzuteilen, jedenfalls im Moment nicht. Ich schreibe was in meinem Kopf ist auf die bestmögliche – das heißt kunstvollste Form, die ich aufbringen kann.

Aber meine Haltung zum Schreiben ist vielleicht auch extrem idiosynkratisch... Ich ,,sehe die Geschichte" wie ein fertiges Bild schon vor mir. Die Geschichte bietet sich mir in ihren Grundzügen viel mehr an, als dass ich sie mir ausdenke. Charaktere (samt ihrer Ethnien), Settings, philosophische Grundthemen all das ist mir einfach schon klar, sobald sich die Geschichte vor meinem geistigen Auge aufbaut...  Und an den Fundamenten meiner Story, die ich vielmehr ,,entdeckt" habe, als erdacht, rüttle ich dann auch nicht. Ich bin Purist, ich nehme unverfälscht was mein Unbewusstes (um mit den Psychoanalytikern zu sprechen), mir anbietet – Punkt. Wenn da 5 fiktive Ethnien bei sind, dann ist das so. Und wenn nicht, dann nicht. Wenn nicht dann gehört das eben nicht in meine Story, weil sie sich nicht so erzählen will, weil sie ihren Fokus anderwso hat.
Ich schreibe, was in meine Storys passt – und in meine Storys passt es allein aus Platzgründen nicht immer viele Ethnien zu etablieren, das würde meine Geschichten manchmal einfach nur verwirrender und überladener machen und da ich die bestmögliche Story (nach meiner Einschätzung) schreiben will, lasse ich das. (Diversität ist für mich ein neutraler Sachverhalt in einer Story, es macht sie in meinen Augen weder besser noch schlechter sondern ist einfach etwas, das drin ist. Diversität zu Lasten von Story-Fokus, Pointiertheit und Verständlichkeit in meine Geschichten inkludieren? An dem ursprünglichen Ideengerüst herumflickschustern, nur um einem bestimmten Leserkreis zu gefallen? Das liegt mir  poetologisch fern. Ich höre mir alle Kritik über mein Werk an, aber ich entscheide selbst was davon ich inkludiere/ inkludieren kann und was nicht.
Jeder von euch, der es als grundlegendes ,,bessermachen" der Geschichte versteht, wenn sie divers ist mag das anders sehen und kann das auch tun). Ich will beim Schreiben einfach frei sein, also schreibe ich was mir gerade einfällt und was mir gerade einfällt ist mal divers, mal nicht. Wer nur diverse Geschichten lesen will, kann ja mein diverses Schreiben lesen und den Rest ignorieren, steht ja jedem frei.

Aryana nennt ein gutes Stichwort: Agree to disagree. Daran sah ich von Anfang an kein Problem.Jeder hat ein Anrecht auf seine Meinung. Jeder hat ein Anrecht zu schreiben, womit er sich wohlfühlt so lange es keine Gesetze verletzt.


Eine Sachliche Frage hätte ich noch an die Runde:

Ich frage mich gerade eins ganz ernsthaft: was genau ist/zählt unter Diversität in Fantasy – also in High-Fantasy? Ich kann meine Völker ja selbst erschaffen. Inwiefern spielen Parallelen zu realen Völkern da eine Rolle? Bin ich divers wenn ich 12 verschiedene Rassen mit reichhaltiger Geschichten unterschiedlichsten Kulturen, Weltanschauungen und Philosophien bastle – die aber alle recht europäisch-isch aussehen bzw. die am ehesten auf europäische Wurzeln zurückgeführt werden könnten. (Insgesamt weisen alle Völker aber zu 95% ohnehin einen Haufen frei-erdachte ganz eigentümliche Merkmale ohne erkennbare Parallelen in der realen Welt auf) Oder bin ich ,,erst" divers wenn meine fiktiven Rassen, dunkelhäutig sind oder ihre Kulturen Analogien zu nicht-weißen Ethnien unserer Zeit bilden? Das würde mich noch interessieren.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 04. Oktober 2019, 12:24:49
Auch das ist relativ. Wahrscheinlich würde dir ein Nordire erklären, dass es für ihn schon divers ist, wenn sehr ähnlich aussehende Leute mit gleichem Lebenshintergrund mal katholisch, mal evangelisch sind,
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 04. Oktober 2019, 12:53:14
Zitat von: Mondfräulein am 04. Oktober 2019, 02:23:22
Und wenn man sich dann von Argumenten für Diversität wirklich so sehr angegriffen fühlt, warum ist das so?

Ich störe mich am missionarischen Eifer.

Diversität ist kein Joker, sie ist ein hundsgewöhnliches Werkstück aus dem Plotbaukasten.  Wenn man künstlerische Fragen weltanschaulich betrachtet, tut man sich eher keinen Gefallen. 
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 04. Oktober 2019, 13:06:05
Ich habe mich nie an der Diversität gestört. Aber wenn man mir Verantwortungslosigkeit vorwirft, weil ich nicht bereit bin, den Forderungen von jemandem nachzukommen, der Null Ahnung von meinen Schreibzielen, meinen Texten, meinem Kreativitätsprozess und und und hat, dann ...

Wie kann man da noch fragen, wenn man selber an der ganzen Diskussion teilgenommen hat.

Wäre jetzt meine Frage.  ;D

Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 04. Oktober 2019, 13:17:35
Agree to disagree ist ein guter Ansatz, den versuche ich hier auch größtenteils zu verfolgen. Aber auch mich stört es heftig, dieses ,,Ihr müsst! das jetzt einbauen, weil wir das gerade wichtig finden." Nein. Müssen wir nicht.
Wir sind alle Autoren und sollten frei darin sein, unsere Geschichten so zu erzählen, wie wir sie erzählen wollen – und wie sie erzählt werden wollen. Wie schon Schneerabe bin ich auch jemand, der seine Geschichten mehr ,,sieht" als aus einem Baukasten zusammensetzt. Wenn ich beschließe, dass ich zu der Story jemanden brauche, der gehbehindert ist oder stumm – dann nur, weil die Story das so braucht. Nicht, weil jemand am Rand steht und ein Pappschild mit der Aufschrift ,,Mehr Diverstität (was auch immer das jetzt alles einschließt) in Fantasyromanen!!!" hochhält. Aktuell hab ich nur Leute aus dem polynesischen Kulturkreis bei mir zu Gast – weil die Story halt dort spielt.
Dieses ,,Ihr müsst!" hat mich schon an anderer Stelle massivst gestört – ,,Ihr müsst jetzt überall Liebesgeschichten einbauen, weil – muss halt so." Nö. Muss ich nicht. Ist nicht mein Thema. Überlass ich den Leuten, die sich dafür interessieren, die können das weit besser als ich. Ebenso handhabe ich das mit gemixten sexuellen Ausprägungen. Interessiert mich im Schreiben einfach nicht. Ist nicht mein Thema. Sollen diejenigen schreiben, denen das wichtig ist und die sich dafür interessieren.
So wie ich akzeptiere, dass es Leute gibt, die sich dafür interessieren und davon gerne mehr lesen möchten, möchte ich aber auch akzeptiert werden als jemand, den das nur höchst marginal bis gar nicht tendiert. Was ich mir für weitere Autoren, die in dieser Richtung mitdiskutiert haben, auch wünsche. An dem Punkt fühlte ich mich aber hier immer wieder angepiekt, deshalb auch mein zweiter Einstieg in diese Diskussion, aus der ich mich eigentlich schon zurückgezogen hatte. Obwohl mir schon vorher klar war, dass ich mit der Meinung nicht auf der gleichen Wellenlänge liege wie bei einigen anderen Diskutanten hier. ;-)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 05. Oktober 2019, 20:23:43
Zitat von: Judith am 04. Oktober 2019, 10:18:27
Wenn das alles ist, was du aus dieser Diskussion mitnimmst, finde ich das sehr schade. Es waren sich hier nämlich praktisch alle einig darin, dass nicht Orks per se das Problem sind. Und dass man durch bessere und überlegte Ausarbeitung ja gerade die problematischen Stereotypen vermeiden kann. Wenn daraus jemand für sich die Konsequenz zieht, stattdessen lieber ganz auf Orks zu verzichten, ist das jedermanns eigene Entscheidung, aber nicht etwas, das hier gefordert wurde.

Stellt euch vor, die Armeen Mordors marschieren auf die Arnee aus Zwergen, Menschen und Elfen zu.

Der dritte rosa Ork in der zweiten Reihe rückt seine Axt zurecht und sagt laut zu dem orange gestreiften Ork neben ihm: ,,Ich bin übrigens der Meinung, dass wir uns bei der Gewerkschaft beschweren sollen. Was meinst du, Sabine?"
Die orange Orkin neben ihm nickt und zieht ein Notizbuch heraus. ,,Ganz deiner Meinung, Olaf. Die Arbeitsbedingungen kann man nicht einmal einem Zwerg zumuten. Ich habe seit fünf Tagen keinen der Grüngetupften mehr gesehen. Typisch Offiziere. Bestimmt verhandeln sie bereits die Kapitulation. Mir soll es recht sein. Zuhause wartet noch ein Bericht ans Finanzamt darauf geschrieben zu werden."
Der pink karierte  Ork mit den blauen Stirnlöckchen mischt sich ein. ,,Eh, nehmt es doch locker. Wir hauen ein paar Elfen um und dann chillen wir, bis die Bosse ihre Show abziehen. Alles ganz easy."
Die goldfarbene  Orkin gleich hinter ihm mit den tomatenroten Hauern seufzt. ,,Red keinen Unsinn, Herbert. Solange wir nicht streiken, ist gar nichts easy. Dabei hat die letzte Abstimmung klar ergeben, dass 23% von uns keine Gewalt anwenden wollen und 73% sich von den Zwergen mit Bier bestechen lassen würden und 97% fordern eine bessere Krankenversicherung."
...

Ich bin sicher eine individualisierte Darstellung jedes Orks der Armee wäre zeitlich nicht machbar gewesen. Sie ist es auch in meiner Geschichte nicht. Das Bedrohungsszenario ginge absolut flöten, also muss ich die Armee anders aufstellen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 05. Oktober 2019, 21:04:32
DIE Story solltest Du fortsetzen.  :rofl:
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Amanita am 06. Oktober 2019, 08:08:36
Um das Ganze mal noch über die Orks hinaus zu erweitern...
Wie steht ihr eigentlich zu feindseligen, die Menschheit vernichten wollenden Aliens in Science Fiction? Bei Geschichten von durch tapfere SeeRaumfahrer erreichten fremden Welten, die "leider" schon bewohnt sind, sind die Paraellen zu realen Entdeckungsreisen ja schon recht deutlich. Einerseits werden feindliche Aliens ja meist so "anders" dargstellt, dass sie nicht mehr als Menschen durchgehen, sondern eher Richtung Insekten etc. andererseits entspricht eine solche Darstellung dann aber in gewisser Weise auch wieder der Einstellung von rassistisch motivierten Eroberern, die in den Ureinwohnern keine Menschen sehen, was dann im Alienfall tatsächlich real ist. Daneben gibt es ja auch noch Aliens als "edle Wilde" wie beispielsweise bei Avatar.
Ich muss  sagen, dass ich da persönlich mehr Parallelen zu realen Geschehnissen sehe als bei den Orks, aber andererseits muss es ja auch irgendwie möglich sein, über Begegnungen mit Aliens zu schreiben, die auch feindselig sein dürfen und es liegt nahe, dass die Menschen eben die Helden sind, auf deren Sieg die Leser hoffen.
Was meint ihr zu dieser Problematik?
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 06. Oktober 2019, 09:39:01
Wie ich persönlich dazu stehe? Gar nicht. Das muss jeder Autor für sich entscheiden, und vieles hängt auch von der Zeit ab, in der die Geschichte geschrieben wird (wurde). In den Fünfzigern war das eine Art Wildwest im Weltraum. Dann folgte eine Abbildung von Kalter Krieg. Die Siebziger gingen thematisch enorm in die Beite und Autoren wie Ursula LeGuin betraten einen eher ethnologischen Pfad. Auch Stanislam Lem arbeitete sich an  der Unmöglichkeit ab mit Außerirdischen zu kommunizieren (z.B. Polaris)

Orson Scott Card in seinem Mehrbänder beginnend mit Enders Game erzählte eine Geschichte, in der die Menschen ihren Urängsten begegnen und die fremde Rasse vernichten, aber dann findet eine interessante Neubewertung statt und der große Held wird zum Büßer.
CiXin Liu erzählt in seinem Koloss von Dreibänder die Geschichte einer fremden Rasse, die ihren sterbenden Planeten verlassen muss. (Band 1: The three body problem).

Für mein Empfinden sind die vielen Möglichkeiten der Begegnung ereits sehr gut ausgeschöpft worden, bieten aber einem kreativen Geist immer noch neue Möglichkeiten. Aber die Altmeister zu übertreffen wird immer schwieriger. Auf jeden Fall gibt es alle Schattierungen vom platten Klischee bis zur facettenreichen Erzählung und das sei mehr als dreißig Jahren.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 06. Oktober 2019, 09:46:15
Es gibt zig Geschichten über Begegnungen von Aliens und Menschen. Und sie laufen nicht alle nach einem Schema ab.
Der Film "Enemy Mine" ist eine ganz besondere Geschichte und sehr empfehlenswert.
Daneben gibt es noch Planet 51, wo die Sichtweise umgedreht wird.
Und ganz Star Trek, ebenso Babylon 5 zeigt eine ganze Bandbreite von Aliens, beginnend von friedlich bis zu kriegerisch, von Eroberern, Eroberten bis zu Gottgleich.
An Büchern mag ich die Flinx Reihe, Der Splitter im Auge Gottes, Doppelleben im Kosmos, ... und die Bandbreite der Aliens ist einfach viel größer als jene der Fantasyfiguren.



Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Tintenteufel am 06. Oktober 2019, 09:55:24
Das ist ein ganz spannendes Thema. Ich hab meine Masterarbeit unter Anderem zum Thema Othering und Fremdem geschrieben und hätte ich mich da gerne noch weiter mit befasst, wenn da nicht so etwas dummes wie Vorgaben bzgl. Umfang dazwischen gekommen wäre.  ::)

Rein von der Ästhetik her ist das, wie man so schön sagt, ein weites Feld. Wie du richtig bemerkst gibt es mehrere Arten von Aliens, die sich ziemlich grundlegend unterscheiden. In der Phänomenologie v.A. seit Waldenfels (https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Waldenfels) unterscheidet man da drei "Grade der Fremdheit", die sich mehr oder weniger direkt auf das Fremde in der Ästhetik anwenden lassen: alltägliche Fremdheit, strukturelle Fremdheit und radikale Fremdheit. Dabei ist ganz wichtig, dass Fremdheit was relationales ist. Es gibt nicht "das Fremde" es gibt nur "mir Fremdes".
Alltägliche Fremdheit ist das, was mir innerhalb meines gewohnten Erfahrungshorizontes fremd ist, also z.B. bei mir das Auto. Für mich ist das ein großes Gerät, mit dem andere Leute mich in den Urlaub fahren, aber ansonsten ein ziemliches Rätsel. Ich wüsste nicht, wie man eines fährt, geschweige denn repariert.
Strukturelle Fremdheit liegt außerhalb dieses Horizonts, würde sich potentiell aber integrieren lassen, wenn man die innere Struktur des Erfahrungshorizonts ändert. Für mich wären das z.B. Opferrituale, von denen sich Spuren zwar noch in der (mir fremden) Kirchenwelt finden lassen, mit denen ich aber nichts anfangen kann. Die sind in meiner Erfahrungswelt eher out, werden aber anderswo noch von Menschen praktiziert und es ist allgemein nicht undenkbar, dass ich als Mensch irgendwie wieder Zugang zu dem einen Ding finde, das sich in den allermeisten menschlichen Kulturen findet.
Radikale Fremdheit ist dagegen radikal fremd - lässt sich nicht integrieren, lässt sich nicht vorhersehen und übersteigt die Ordnung an sich. Das muss man sich so vorstellen, dass die beiden kategorial gar nichts mehr miteinander zu tun haben und eine Relation beider Dinge beide vollständig auflösen würde. Also zum Beispiel... Radfahren und die Doppelsonnen von Alpha Centauri. Berührt einander so gar nicht.
So ganz hart runter gebrochen.

In der Ästhetik wird's jetzt ein bisschen tricky, weil wir technisch gesehen radikal Fremdes gar nicht darstellen können - indem wir es denken können, ist es nicht mehr radikal fremd. Wenn wir es uns denken können, können wir es uns auch anders denken und das macht es zu einem bloßen Fakt, der eben auch anders sein könnte. (Philosophy 101: nennt sich Hume's Fork (https://en.wikipedia.org/wiki/Hume%27s_fork). Radikale Fremdheit ist mehr eine negative "Relation of Ideas", die wir noch gar nicht gefunden haben.)
Zwischen struktureller und radikaler Fremdheit befindet sich aber ein ziemlicher Sprung, rein ontologisch. Das radikal Fremde bedroht durch seine bloße Gegenwart, weil es eine alternative Welt darstellt und Welten in diesem Sinne sind immer totalitär, die dulden keine nicht integrierten Bestandteile und auch nichts, was da irgendwie Grenzen aufzeigt. Das hat (noch) gar nichts mit Imperialismus und politischem Totalitarismus zu tun, sondern mit der Art und Weise, wie sich menschliche Wahrnehmung bewegt.

Um's jedenfalls kurz zu machen: Bei alltäglicher oder struktureller Fremdheit kann der Kritikpunkt durchaus angebracht werden. "Avatar" und meinetwegen "Star Trek" sind da gute Beispiele. Einerseits geht es oft genau darum, dass Fremdheit nur ein Spektrum ist und man sich annähern kann. Andererseits nimmt man Aliens damit oft auch nur als Schablone, um über historische Probleme zu reden oder die irgendwie neu darzustellen. "Avatar" ist ja eine ziemlich simple Analogie zu amerikanischen Ureinwohnern und deren Verdrängung durch weiße Ausbeutung (und darin rassistisch oder wenigstens bedient es sich einer Menge rassistischer Motive).
Bei radikaler Fremdheit sieht die Sache meiner Meinung nach anders aus. Ich glaube fast niemand würde sagen, dass das Xenomorph aus "Alien" oder die "Invasion of the Body Snatchers" Codes für irgendwelche Minderheiten sind oder rassistische Botschaften transportieren, soweit es die Aliens betrifft. Selbst Kritik wie Speciesism oder Anthropozentrismus greift da zu kurz, weil die nicht einmal ansatzweise zur gleichen Kategorie wie Säugetiere gehören würden. Diese Viecher sind radikal fremd und die entsprechenden Filme benutzen diesen radikalen Einspruch gegen die totalitären Ansprüche der menschlichen Erfahrungswelt, um über diese Erfahrungswelt selbst etwas auszusagen: Über unseren Platz in der Welt, über  die Bedeutung von Hunger, Menschlichkeit, Einsamkeit usw. usf.*

Für mich persönlich liegen die interessantesten Fälle von Aliens und Monstern zwischen struktureller und radikaler Fremdheit - in dem dünnen Streifen von Erfahrung, wo menschliche Welt auf ihre Grenzen trifft und dann versucht wird, das Fremde zu fassen zu kriegen. Da spielen sich für mich die interessantesten Existenzkonflikte ab, weil die eigene Identität und Welt dabei zwangsläufig in Scherben springt.

*Was wir dabei noch gar nicht angesprochen haben sind dann Fragen wie das Fremde als Sujet, wie sich Andersheit von Fremdheit unterscheidet (das ist so ein Punkt wo der amerikanische Diskurs erbärmlich flach geblieben ist), wie sich die Alterität innerhalb von Geschichten von der Alterität von Werken an sich unterscheidet und all so spannende Themen. Kann man hunderte Seiten drüber schreiben.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Judith am 06. Oktober 2019, 10:40:56
Zitat von: AngelikaD am 05. Oktober 2019, 20:23:43
Ich bin sicher eine individualisierte Darstellung jedes Orks der Armee wäre zeitlich nicht machbar gewesen. Sie ist es auch in meiner Geschichte nicht. Das Bedrohungsszenario ginge absolut flöten, also muss ich die Armee anders aufstellen.
Es ging um problematische Stereotypen, die so auch existierenden Kulturen und/oder Minderheiten zugeschrieben werden, und nicht um eine individualisierte Darstellung jedes Orks. Wenn du das so aus meinem Kommentar herausgelesen hast, habe ich mich entweder unglücklich ausgedrückt oder du mich missverstanden.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 06. Oktober 2019, 11:11:16
Zitat von: Amanita am 06. Oktober 2019, 08:08:36
Ich muss  sagen, dass ich da persönlich mehr Parallelen zu realen Geschehnissen sehe als bei den Orks, aber andererseits muss es ja auch irgendwie möglich sein, über Begegnungen mit Aliens zu schreiben, die auch feindselig sein dürfen und es liegt nahe, dass die Menschen eben die Helden sind, auf deren Sieg die Leser hoffen.
Was meint ihr zu dieser Problematik?

Außerirdische sind rein fiktional und entsprechend die Eigenschaften, die für die Geschichte benötigt werden. Die Marsianer greifen nicht an, weil sie es sie gibt, sondern, weil der Autor sie zu diesem und keinem anderen Zweck erfunden hat.

Davon abgesehen ist Aggression ein nachweislich erfolgreiches Evolutionsmodell. Man kann die Sache freilich auch umdrehen, in meinem SF-Roman steht die "außerirdische Bedrohung" der Privatisierung des Weltalls im Weg. Die Agression geht zu 100 % von den Menschen aus, aber die Propaganda hat sogar das Lektorat überzeugt, dass die Außerirdischen die Bösen sind.  8)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 06. Oktober 2019, 18:36:09
Zitat von: Judith am 06. Oktober 2019, 10:40:56
Es ging um problematische Stereotypen, die so auch existierenden Kulturen und/oder Minderheiten zugeschrieben werden, und nicht um eine individualisierte Darstellung jedes Orks. Wenn du das so aus meinem Kommentar herausgelesen hast, habe ich mich entweder unglücklich ausgedrückt oder du mich missverstanden.
Und da die problematische Darstellung die von Orks als Armee Mordors sind, wo sie als bedrohliche, gefährliche, dunkle Masse perfekt koordinierter Soldaten auftreten, ist das Gegenteil ein loser Haufen Individuen, die nun einfach ein bunter Haufen verschiedener Leute sind mit Alltagsnamen und alltäglichen Problemen. 
Tja. Damit geht das Bedrohliche einer epischen Schlacht nun mal flöten und man kann eine lustige Geschichte daraus machen.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Guddy am 06. Oktober 2019, 20:03:28
Nein. Das Gegenteil bzw das, was nicht mehr problematisch ist, besteht aus einer Masse bedrohlicher Orks, die nicht rassistischen Stereotypen folgt.
Das hat mit der Individualisierung der Orkschaft doch nichts zu tun. ???
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Silvia am 06. Oktober 2019, 20:41:02
Aber aus der Sicht des Gegners ist das eine gesichtslose bedrohliche Masse. Zumal ja nun auch alles aus der Perspektive der Ork-Gegner geschildert wird.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Mondfräulein am 06. Oktober 2019, 21:05:21
Das ist eben die Herausforderung. Willkommen im Leben eines Schriftstellers.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 07. Oktober 2019, 12:22:13
Zitat von: Guddy am 06. Oktober 2019, 20:03:28
Nein. Das Gegenteil bzw das, was nicht mehr problematisch ist, besteht aus einer Masse bedrohlicher Orks, die nicht rassistischen Stereotypen folgt.
Das hat mit der Individualisierung der Orkschaft doch nichts zu tun. ???

Also, dann dürfen die Orks:
1. als Masse auftreten
2. aggressiv sein
3. bedrohlich sein
4. gewalttätig sein
5. Gegner töten
7. unsensibel und brutal auftreten
8. Waffen schwingen und dabei Kriegsparolen gröhlen
9. den Eindruck machen, dass sie alles niederwalzen, sobald ihre Generäle es befehlen
10. eine Farbgebung haben, die nicht mit Teletubbys in Verbindung gebracht wird
???
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 07. Oktober 2019, 13:33:01
Und dann ist natürlich auch die Frage, ob Orks so sind, wie sie wahrgenommen werden.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Lisa Bell am 07. Oktober 2019, 14:31:52
Die gesichtslose graue Masse, die dem Bösen (oder nicht Idealem) nachsteigt wie einer Droge, ist sehr alt. Gewissermaßen bietet dieser wenig differenzierte Haufen an Dunkelheit der (Haupt-)Figur erst Raum und Strahlkraft, die sie vom Rest abhebt.
Wie schon anderer Stelle erwähnt wurde, war Tolkien wohl kein großer Verfechter des Analogieschlusses von seiner fiktiven Welt auf die reale Welt. Orks sind ja ausdrücklich keine Menschen. Und ganz so einheitlich, wie sie auf den ersten Blick scheinen, sind sie dann auch bei Tolkien nicht. Von Goblins, zu Hobgoblins, über Uruks und Gundabad-Orks ist selbst Tolkiens eigene Begriffswelt vielfältig.

Dass nun die Gegenwart des 21. Jh. beschließt Tolkiens fiktionale Welt zu deuten, die in ihren Ursprüngen etwa 100 Jahre alt ist, zeigt nur, dass Mittelerde und Co. ein kanonisches Kulturgut wird, welches wie alle Klassiker im Rahmen der neuen Zeit reinterpretiert wird. Auf den Autor und dessen Haltungen lässt das aber keine Rückschlüsse zu. Dazu muss man den Autor betrachten, nicht sein fiktionales Werk.
Wenn man sich nun aber entschließt, die Orks im tolkienschen Verständnis als ,,Rasse", wie das Wort in der Phantastik als Begriff zur Systematisierung verschiedener intelligenter Spezies verwendet wird, zu untersuchen, sind sie das Ergebnis einer Manipulation des Bösen. Etwas aus dem Guten Entstandenes wurde verunreinigt und verdreht. Die absoluten Pole und die Eindeutigkeit der Zuordnung der meisten Figuren im tolkienschen Universum wurde schon an anderer Stelle bis zur Erschöpfung besprochen. Gleiches gilt für die Interpretation, dass der Christ Tolkien darin das Gute in einem allmächtigen Schöpfer (Eru) und einem Bösen (Satan) polarisiert, der das Gute verführen will. Die Helden bzw. die Gefährten im Herrn der Ringe tanzen entlang der Verwerfungslinie dieser Verführung, wenn man so will. Zwei scheitern. Erst Boromir und ganz am Ende gibt sich auch Frodo der Macht des Ringes hin und es ist Gollum, der den Ring, das Instrument der Versuchung, schließlich zerstört.

Die Frage, ob Orks auch gut sein könnten, wird nie gestellt. In keinem von Tolkiens Werken geschieht das, weil die Orks aus einer Handlung des Verderbens entstanden sind. Dass man das auf in der realen Welt lebende Wesen überträgt, ist für meine Begriffe der Denkfehler. Die ,,guten" Rassen in Tolkiens Universum haben Stereotype Eigenschaften, auch negative. Elben neigen zu Arroganz, Zwerge sind gierig und Menschen lassen sich leicht manipulieren. Aber keine dieser Rassen ist per se Böse.
Dem Werk latenten Rassismus zu unterstellen, halte ich also für falsch. Es rassistisch zu finden, dass eine Gruppe schon nach Definition Böse ist, also die Orks, halte ich ebenfalls für falsch. Oder ist es rassistisch die Schergen Satans als durch und durch Böse zu betrachten.  Vielleicht ist es langweilig, da so Charakterentwicklung für einen Ork im tolkienschen Sinne nicht möglich ist. Dass haben andere Werke der Phantastik erkannt und geben den Orks deshalb ein zwielichtiges Erbe, kein rein böses. Dann macht es aber wenig Sinn, sich auf Tolkien zu beziehen.
Welche Hautfarbe Orks dabei haben oder dass es bei Tolkien ausgerechnet die Ostlinge und Südländer sind, die sich dem dunklen Diktator anschließen, der nach der absoluten Weltherrschaft trachtet, ist aus heutiger Sicht, eine Möglichkeit die Handlung zu deuten. Das war vor 50 Jahren aber kaum anders, auch wenn das Ergebnis der Deutung wohl anders ausgefallen wäre. Interpretation ist schon immer erlaubt und oft geistig fruchtbar, aber dem Text damit eine eindeutige Intension zu unterstellen, wo das gängige Bild von Orks durch die Filmadaptionen des Herrn der Ringe und diversen anderen ,,Orks" aus anderen Welten überfrachtet ist, halte ich für abenteuerlich.
Wie man Orks als Gruppe interessanter macht, ist als Autor doch die spannendere Frage.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Churke am 07. Oktober 2019, 15:56:54
Zitat von: Lisa Bell am 07. Oktober 2019, 14:31:52
Die Frage, ob Orks auch gut sein könnten, wird nie gestellt. In keinem von Tolkiens Werken geschieht das, weil die Orks aus einer Handlung des Verderbens entstanden sind.

Zu kompliziert. Schwarz-Weiß-Malerei und die Archetypisierung sind die Pfeiler von Tolkiens mythischem Geraune. Mit einer differenzierten Betrachtung der Finsterlinge funktioniert die Geschichte nicht.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Aphelion am 07. Oktober 2019, 22:33:28
@AngelikaD

Ein paar Überlegungen zu Orks: Dass sie nicht an menschliche Ethnien angelehnt werden sollen, sehe ich auch so.

Ich verbinde mit Orks menschenähnliche Lebewesen, die stärker, größer, stämmiger und dickhäutiger/unempfindlicher sind als Menschen, und die als blutrünstig gelten. Lebewesen, die völlig davon abweichen, würde ich nicht mehr als Orks bezeichnen.

Wegen ihrer körperlichen Gestalt würde ich den evolutionären Ursprung der Orks in einer Region vermuten, die eine reichhaltige Nahrung bietet, aber kalt ist. (Ich habe im Kopf, dass Tiere in kälteren Regionen tendenziell größer und kompakter sind als in kälteren Regionen, zumindest im Vergleich zu Arten derselben Spezies in wärmeren Regionen. Menschen sind auch nur Tiere und Orks sind ja menschenähnlich.)

Vielleicht gibt es in dieser kalten Region häufig Hagel oder Eisregen, wodurch die dickere Haut ein evolutionärer Vorteil wäre. Vielleicht ist diese dicke Haut auch mit einem netzartigen Fettgewebe durchwachsen und dient als zusätzliche Isolationsschicht gegen die Kälte, über der eigentlichen Fettschicht der Haut.

Beim Merkmal ,,blutrünstig" wäre die Frage, ob Orks wirklich blutrünstiger sind oder nur als blutrünstiger diffamiert werden. Letzteres ist leichter, deshalb reizt mich Ersteres – wobei die Wertung, die in ,,blutrünstig" steckt, dann natürlich nicht mehr überall passt:
Selbst Klischee-Eigenschaften von Orks können also Sinn ergeben und in einer Geschichte als stimmig präsentiert werden.

Terry Pratchetts Trolle sind in den Scheibenwelt-Romanen ziemlich dumm und prügeln sich ständig. Die Dummheit wird irgendwann dadurch erklärt, dass ihre Gehirne an kühlere Temperaturen angepasst sind, und das Schlagen gehört bei ihnen zur Kommunikation. Pratchett sagt m.W. nichts über Schmerzempfinden etc. von Trollen; aber vielleicht haben sie ja gar keins, weshalb ein Fausthieb für sie etwas völlig anderes ist als für Menschen.

Das könnte man auch auf Orks übertragen: Wenn sie eine dicke Haut mit einer unempfindlichen Schutzschicht besitzen, dann müssen sie einem anderen Ork schon seeehr fest auf die Schulter klopfen, damit er das überhaupt spürt – was Außenstehende, die von dieser eingebauten Schutzschicht nichts wissen, als brutal interpretieren könnten.

Bei Pratchett hat natürlich alles ein Augenzwinkern.

Völlig unabhängig davon: Es gibt heute noch viele, viele Länder (und Lager in den übrigen Ländern), für die Der Feind™ immer absolut böse ist und höchstens marginale positive Eigenschaften besitzt. Jetzt kommt es darauf an, aus welcher Perspektive du schreibst ... Solange du das nicht als absolute Wahrheit darstellst, ist ein einseitiges Bild von Orks aus Sicht deiner Protas okay.

Oder deine Orks sind halt wirklich durch und durch böse, aber dann fände ich persönlich die Begründung spannend, weil ich solche Gedankenspiele mag und sie für mich zum Weltenbau gehören (siehe oben). Ich will nicht den Millionsten Abklatsch lesen, in dem Orks böse sind, weil Orks halt immer böse sind; nicht, weil mich böse Orks grundsätzlich stören, sondern weil es sonst langweilig wird. Von einer Begründung für das Verhalten von Orks profitiert die Geschichte, weil sie dadurch mehr Tiefe erhält.

Und an der Stelle kann man Tolkien kritisieren, aber seine Bösen hatten wenigstens eine Begründung – über die man sich streiten kann. Soll! Aber dass er sich überhaupt eine Begründung überlegt hat, warum Orks (und die übrigen Bösen) so sind, ist noch heute nicht selbstverständlich. Lange Erklärblöcke wie bei Tolkien sind natürlich nicht nötig ...

Mir fällt dazu auch die Kampfszene aus ,,Die Brücke" ein und was sich die Alliierten gedacht haben müssen: ,,Hey, das sind quasi Kinder! – Schei*e, die Kinder versuchen, uns umzubringen!" Wenn eine Situation bereits eskaliert ist, musst du dich verteidigen. Selbst wenn du deinen Gegner nicht für 100% böse hältst.

Ein bisschen Binnendifferenzierung kann spannend sein und eine schöne Gelegenheit, um Hintergrundinfos einzubauen: Vielleicht haben Orks aus der Region Trkapvu eine dickere Haut als die aus der Region Mrzalwkcnymf, was in einer Schlacht durchaus einen Unterschied macht. Wichtig: Differenzierung kann, muss aber nicht genutzt werden. Ich will damit nur sagen, dass eine Differenzierung nicht immer Weichspülen bedeutet, und dass sie zusätzliche Herausforderungen (und Möglichkeiten, besondere Fähigkeiten hervorzuheben) für deine Figuren bringen kann.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Maria am 08. Oktober 2019, 04:18:58
Danke für die langen Überlegungen.

Das wäre alles interessant, sofern die Geschichte aus der Sicht der Orks erzählt würde, oder ein Ork eine wichtige Hauptfigur ist.
Allerdings haben die Orks in meiner Geschichte einen Mini-Auftritt von zwei Zeilen gehabt, da es in der Geschichte gar nicht um sie ging, wo lediglich eine große Armee erwähnt wurde, in der sie mit dabei waren.
Mehr nicht. Ist ja auch eine Kurzgeschichte, die auch nicht weiter auf die anderen Teile der Armee im Detail eingeht.
Eine lange Abhandlung jetzt einzubauen, wie die Kultur der Orks aufgbaut ist und wie sie denken und so weiter sprengt wie gesagt den Rahmen und würde einen langen Tell-Teil brauchen, der die Leser gähnen lässt.
Also wird die Armee der Dunkelheit anders besetzt.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: FeeamPC am 08. Oktober 2019, 18:56:28
Nimm Tgutksd oder sonstwie ein unbekanntes Volk, lass sie ohne detaillierte Beschreibung finster und bedrohlich aussehen, und jeder kann sich ausmalen, was er oder sie will.
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Aphelion am 10. Oktober 2019, 00:52:35
Zitat von: AngelikaD am 08. Oktober 2019, 04:18:58
Eine lange Abhandlung jetzt einzubauen, wie die Kultur der Orks aufgbaut ist und wie sie denken und so weiter sprengt wie gesagt den Rahmen und würde einen langen Tell-Teil brauchen, der die Leser gähnen lässt.
Hmpf, jetzt will ich was mit Orks schreiben. ;D

Ich habe kein Problem damit, wenn du das nicht machst, aber ich muss rein sachlich widersprechen, seitenlanges ,,Tell" sei notwendig, um solche Infos zu verpacken. Du kannst kleine Infos hier und da in Dialogen einstreuen, du kannst Mini-Hinweise geben (beides ,,Tell", aber nicht langatmig) und den Rest kannst du ganz unmittelbar in den Handlungen der Figuren zeigen. Das ist eine Frage der Umsetzung, keine Unmöglichkeit. Mir fallen spontan 6-7 Möglichkeiten ein, die reinstes Show don't tell sind – und die mir gut genug gefallen, um sie hier nicht zu posten.

Deshalb kann ich diesen Punkt nicht so stehenlassen. Du musst die Orks nicht ausarbeiten. Habe ich kein Problem mit. :)
Titel: Re: Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?
Beitrag von: Trippelschritt am 10. Oktober 2019, 05:58:53
Ich würde wohl niemals in einem Roman Orks auftreten lassen - ich gebe zu, ich habe mal eine Kurzgeschichte mit einer Orkfrau geschrieben und darin mit dem Klischee gespielt -, weil in meinen Augen Orks Tolkienfiguren sind. In seine Welt gehören sie und dort passen sie auch hin. Es ist doch ganz leicht eine eigene Rasse zu erschaffen, die genau die Rolle spielt, die der jeweilige Autor für sie in seiner Geschichte vorgesehen hat.