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LGBT: Diversität in der Fiktion und wie man sie schreibt

Begonnen von Nachtblick, 23. Oktober 2013, 20:51:35

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Trippelschritt

Oh Wunder,
dass ich hier Ähnlichkeiten finde, hätte ich bei meinem Ansatz nicht vermutet. Zwar habe ich nur brave Heteros (na ja fast), aber dafür ein paar Prozesse des Geschlechterwechsels, für die es biologische Vorlagen gibt. Bei den Drachen ist das auch ganz klar geregelt, sodass es keinerlei Prpblem gab und gibt. Aber durch ein paar Entscheidungen gibt es auch Halbdrachen mit einer zweiten Vernunftseite. Und die dadurch entstehenden Probleme sind für die Halbtiere völlig unerwartet und sehr verwirrend. Das wird mir jetzt erst so richtig klar. Da können nach Ausarbeitung noch ein paar interessantes Dinge entstehen.

Gimme 5
Trippelschritt

Luna

Ich muss zugeben, dass ich mich nicht allzusehr damit beschäftigt habe, wie man soetwas einbaut oder schreibt.
Der Grund ist recht einfach: Als betroffene möchte man einfach sein wesen normal ausleben, ohne dass andere das "abnormale" andauernd zu Gesicht bekommen, oder einen darauf ansprechen, oder dass es als etwas "besonderes" wahrgenommen wird.

"Betroffen sein" klingt jetzt erstmal schlimmer als es ist - man fühlt sich eigentlich relativ normal, abgesehen von kleinen inkongruenzen - aber wenn man in ein gewisses rollenbild gedrängt wird, weil das der "Norm" entspricht ...

Vielleicht kann ich das auch irgendwann einmal in einer Geschichte verarbeiten. Wenn ihr soetwas schreibt, dann denke ich kann man in den Details besonders viel über die Gesellschaft ablesen; mehr noch als über den Charakter selbst. Es ist nur ein Merkmal für die Figur, aber eines dass die umgebende Gesellschaft besonders genau beschreiben kann.

PBard

Zitat von: NelaNequin am 01. Februar 2019, 16:11:16Was ich übrigens nicht mache, ist tiefgehend über Homophobie, Biphobie und dergleichen zu schreiben. Ich bin es einfach leid, dass es dahingehend so viel Kram gibt, dass in Geschichten immer LGBTQ* als etwas gesondertes und mit viel Leid dargestellt werden müssen. Das mag ich nicht sehen und ist als betroffene Person auch immer wirklich furchtbar. Man bekommt den Eindruck, man könne als LGBTQ* Person kein normales Leben führen.

Zitat von: AngelFilia am 03. Februar 2019, 20:36:39Der Grund ist recht einfach: Als betroffene möchte man einfach sein wesen normal ausleben, ohne dass andere das "abnormale" andauernd zu Gesicht bekommen, oder einen darauf ansprechen, oder dass es als etwas "besonderes" wahrgenommen wird.

Ich finde, ihr sprecht da einen immens wichtigen Punkt an.

Es war unabdingbar, daß wir eine zeitlang vermehrt Bücher hatten, die sich intensiv mit den Problemen auseinandergesetzt haben. Du kannst ein Problem schließlich nicht angehen, wenn 95% der Bevölkerung gar nicht erkennen, daß es dieses Problem überhaupt gibt.

Aber gefühlsmäßig sind wir einfach längst schon an einem Punkt angekommen, wo das Ziel nicht mehr Aufmerksamkeit sein sollte, sondern eben Normalität. Ich roll ja inzwischen selbst schon mit den Augen, wenn mal wieder das nächste Machwerk mit "LOOK! WE HAVE GAY PEOPLE! SHOCKING!"-Tagline auf den Markt kommt. Wenn mal wieder der mahnende Zeigefinger erhoben und mit gestrenger Miene dem Leser aufgezeigt wird, daß er ein homophober Neo-Nazi ist, wenn er das achso besondere Transsexuell-Lesbische-Mobbing-und-Vergewaltigungs-Opfer nicht auf ein hohes Podest stellt.

Wirklich schön ist es, wenn in einer Geschichte einfach ganz normale Leute vorkommen, die ganz normal über ihre Partner sprechen, ganz normale zwischenmenschliche Probleme haben. Nur daß eben der Partner mal dasselbe Geschlecht hat, oder halt mal jemand früher ein anderes Geschlecht hatte, oder eben mal so und mal so ist - ohne das gleich zum zentralen Thema der Story oder zum großen Plot-Twist zu machen. Das funktioniert selbst dann, wenn in der Geschichte die Gesellschaft rundherum erzkonservativ und homophob ist, indem man einfach Gedanken und Verhalten dieser Charaktere als etwas völlig Normales darstellt.

Lothen

Zitat von: PBard am 04. Februar 2019, 09:02:29
Wirklich schön ist es, wenn in einer Geschichte einfach ganz normale Leute vorkommen, die ganz normal über ihre Partner sprechen, ganz normale zwischenmenschliche Probleme haben. Nur daß eben der Partner mal dasselbe Geschlecht hat, oder halt mal jemand früher ein anderes Geschlecht hatte, oder eben mal so und mal so ist - ohne das gleich zum zentralen Thema der Story oder zum großen Plot-Twist zu machen.
Das sehe ich genauso - und da sehe ich auch die Chancen für Nicht-Betroffene, Diversität in ihren Geschichten Raum zu geben. Nämlich indem diverse Figuren nicht als Plothook oder zentraler Aufhänger fungieren, sondern einfach existieren. Ich schreibe gerne Geschichten mit queeren Figuren, aber ich möchte keine Geschichte "über Queerness" schreiben, das käme mir (als cis-hetero) doch seltsam vor.

Positiv ist mir das gerade bei "Zerrissene Erde" von N.K. Jemisin aufgefallen. Da gibt es eine Nebenfigur, die trans Frau ist. In einem Satz wird erwähnt, dass sie einen Penis hat, die Prota wundert sich kurz, aber dann ist das Thema abgehakt. Hat mir sehr gut gefallen.

Michelle Jansen hat das Thema in einem Blogartikel übrigens auch noch einmal sehr gut auf den Punkt gebracht, finde ich: Klick.

PBard

Zitat von: Lothen am 20. Februar 2019, 11:11:53Michelle Jansen hat das Thema in einem Blogartikel übrigens auch noch einmal sehr gut auf den Punkt gebracht, finde ich: Klick.
Danke für den Link, sehr interessanter Artikel. :jau:

Wobei ich das auch ein wenig kritisch sehe.

In weiten Teilen seh ich vieles ja ähnlich, aber für mich fängt die Problematik bei Aussagen wie "Habe ich das Recht darüber zu schreiben" an. Denn das hat in meinen Augen mal prinzipiell jeder, und das ständige Herumreiten auf Spezialrechten für betroffene Personen macht mir als eben solche das Leben in letzter Zeit ziemlich schwer.

Nach meiner Selbstfindung war ich persönlich nie "in the closet", wer mich auf die Punkte angesprochen hat, in denen ich von "der Norm" abweiche, der hat immer schon eine offene und ehrliche Antwort bekommen. Das hat früher oft erst einmal zu einem Themenwechsel geführt, manchmal zu interessierten Nachfragen, selten zu "Oh, du auch!"-Bekundungen. Direkte Abneigung und Diskriminierung waren da tatsächlich sehr, sehr selten.

(Die Diskriminierung kam in anderen Situationen, aber das wär jetzt zu offtopic.)

Heutzutage gehen die Standardantworten aber leider oft in Richtung "Shit, wieder so'n scheiß SJW", "Lustig, wie viele Leute plötzlich was Besonderes sein wollen, seit Heteros nicht mehr in sind" oder (für mich das Schlimmste) "Toll, jetzt darf ich also jedes Wort dreimal im Mund herumdrehen, nur um bloß nicht dein zartes Seelchen zu verletzen?".

Wir haben meiner Meinung nach einen Punkt erreicht, wo wir durch mahnende Finger und das Pochen auf Rechten, die "normalen Leuten" verwehrt bleiben sollten, das Gegenteil unserer einstigen Ziele erreichen. Der Artikel fängt in der Hinsicht ja auch sehr gut an, versucht auch immer wieder ansatzweise, eher in Richtung Bitte zu gehen - aber hätte vermutlich ein wesentlich höheres Überzeugungspotenzial erreicht, wenn er konstant bei diesem Tenor geblieben wäre.

Da draußen sind jede Menge Leute, die uns gegenüber prinzipiell positiv eingestellt wären, die durchaus zu einem Umdenken bereit wären, die aber langsam die Schnauze voll haben von der ständigen Umkehrdiskriminierung. Sätze wie "Habe ich das Recht darauf" lösen genau diese unerwünschte Abwehrhaltung aus, von der weiter unten die Rede ist.

Prinzipiell hat jeder das Recht zu schreiben, worüber er will - und ich habe das Recht, es nicht zu lesen. Schön wäre natürlich, wenn bei solchen Geschichten ausdrücklich dabeistehen würde, ob sie aus eigener Erfahrung geschrieben wurden (wobei: wenn es NICHT ausdrücklich dabei steht, kann man im Normalfall ohnehin davon ausgehen, daß sie von einem Nichtbetroffenen geschrieben wurden).

Aber ich falle da vermutlich einfach generell aus der Rolle, ich denke nämlich ... *bedeutungsschwangere Pause* ... daß die Welt auch keine neuen Bücher "über Queerness" von Betroffenen braucht. *entsetzte Stille breitet sich im Raum aus* ;D

Wie gesagt, meiner Meinung nach brauchen wir in der heutigen Zeit vor allem Normalität. Ich will nicht schon wieder den nächsten Schocker über Diskriminierung lesen, ich will mich auch nicht mit einer Figur identifizieren, weil sie "meine Probleme" teilt, und mich interessiert keine Aufarbeitung, weil mir diese zum Hals raushängt. Ich will keine Extra-Mascherl, keine Extra-Rechte, kein Rampenlicht und keine Schreibverträge, weil ich einer diskriminierten Minderheit angehöre. Und ganz sicher will ich nicht ständig in eine Opferrolle gedrängt und von den "Normalen" getrennt werden.

Ich will Normalität, ich will einfach als Personen gesehen werden - und ich will, daß queere Figuren in Geschichten einfach als Personen gesehen werden. Von daher würde ich mir wünschen, daß auch - nein, gerade - andere Betroffene normale Bücher schreiben, bei denen Andersartigkeit und Diskriminierung gerne auch mal thematisiert werden, aber eben NICHT im Mittelpunkt stehen. Was bringt mir ein "Own-Voice"-Buch, in dem immer wieder auf Diskriminierung herumgeritten wird - wenn ich stattdessen ein Buch lesen könnte, in dem mir vom Autor vermittelt wird: "Das ist ganz normal. DU bist ganz normal."

Yamuri

Was ich mich manchmal frage ist. Weshalb machen wir einen so großen Unterschied? Über Drachen, Orks, magische Wesen, über Außerirdische, Weltraumreisen etc. schreibt jeder ohne sich die Frage zu stellen: darf ich das obwohl ich es nie erlebt habe? Märchen/Sagen/Mythen berichten uns von fantastischen Geschichten, die der Fantasie der Schreiber entsprungen sind.

Nur weil jemand ein reales Thema aufgreift, darf er es plötzlich nicht mehr? Woher kommt das? Warum darf ein Nicht-Betroffener sich ein Thema nicht genauso zu Herzen nehmen wie ein Betroffener? Es wird quasi implizit unterstellt, wenn man nicht betroffen sei, könne man sich dafür gar nicht interessieren, dann dürfe einem das Thema auch nicht nahe gehen, man dürfe weder Interesse daran haben, noch anderweitig sich damit befassen. Genau dadurch entstehen aber Vorurteile. Wenn ich mich mit dem Thema nicht auseinandersetzen darf, weil ich bin ja nicht betroffen, wenn ich es nicht thematisieren darf, dann führt das zu mehr Unwissen gegenüber dem Thema und damit wird das Thema auch befremdlicher. Insofern finde ich es sogar wichtig, dass Leute, die es eben nicht betrifft sich auch damit auseinander setzen, die es thematisieren und damit für sich erschließen. Das erzeugt eine Nähe zwischen den Nicht Betroffenen und den Betroffenen aus der gegenseitiges Verständnis für das Gegenüber erwachsen kann und damit der Entstehung von Vorurteilen entgegen gewirkt werden kann, besonders dann wenn es eben ernsthaft betrieben wird.

@PBard: Was du in einem letzten Absatz ansprichst finde ich super. Ich mag Diversität und bringe es ganz bewusst in meine Texte ein (habe bisher aber nur einmal vier Kurzgeschichten im Rahmen einer Anthologie rausgebracht). Bei mir wird das Thema selbst nicht im Vordergrund stehen. Es wird einfach so sein, dass es Diversität gibt und dieses auch als Normal angesehen wird. In einem Projekt habe ich zwar ein wenig das Thema Vorurteile drin, die dann aber abgebaut werden und letztlich nicht das Hauptthema sind. Ich finde auch, dass es mehr solche Bücher geben sollte wie du es ansprichst, wobei ich beim Thema LGBT wohl selbst zu den Betroffenen zähle, auch wenn ich damit nicht hausieren gehe. Ich bin da einfach ganz bei dir, warum können wir alle uns nicht einfach als Menschen sehen und unsere Unterschiedlichkeit als Zeichen der Vielfalt in der Natur betrachten, die das Leben spannender und interessanter macht. :)
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Evanesca Feuerblut

Was ich außerdem problematisch finde, ist, dass man quasi gezwungen wird, sich zu outen, um sich zu legitimieren. "Ich bin Own Voice, weil ich (hier Buchstaben einfügen) bin!" macht mir Bauchschmerzen.
Ich will lieber selbst entscheiden, wem ich wann und wie sage, wo ich in der Buchstabensuppe schwimme, als dazu gezwungen zu werden, weil ich zufällig cis bin und ein perfektes Passing als Hetero habe.

Mit Fingerspitzengefühl, Recherche und gesundem Menschenverstand sollte man als Autor*in doch alles schreiben können.

Tintenteufel

Ich misch mich mal ein, weil ich die nächsten neun Stunden im Bus sitze, aber nur das Handy dabei habe.

Ehrlich gesagt verstehe ich das Problem nicht.
D.h. ich verstehe nicht, wieso ich Diversität in meinen Geschichten Raum geben sollte. Weder interessiert mich das Thema inhaltlich besonders (hat wenig mit Ablehnung zu tun, mich interessiert Kunst über "Issues" einfach nicht, egal ob es um Diversität, Klimawandel oder ähnliches geht) noch habe ich überzeugende Argumente gehört, wieso es mich als Schriftsteller strukturell anzugehen hätte. (Als Schriftsteller, nicht als Mensch, ich bitte das zu beachten.)

Dann wieder fühle ich mich zwischen Hammer und Amboss gefangen.
Einerseits wird mehr Repräsentation gefordert - oder Präsentation, ich möchte mich nicht an dem Wort aufhängen - und andererseits wird mir per Own Voice oft signalisiert, dass ich keine Ahnung habe und das Thema denen überlassen sollte, die etwas davon verstehen. Ich finde das an sich okay, ich bin weiß, männlich, hetero und Mitteleuropäer, die Welt dreht sich schon genug um mich.

Von daher ist meine persönliche Lösung schlicht, das Thema gar nicht erst anzugehen. Meine Charaktere sind allesamt entweder asexuell und verdorben oder omnisexuell und verdorben. Sexualität und Identität sind zwar Themen für mich, die kann ich aber auch behandeln, ohne LGBTQ+ Charaktere als Sprachrohr zu benutzen.

Coppelia

#128
Ich muss mich da @Yamuri und @Evanesca Feuerblut anschließen.

Wenn man zu den Betroffenen gehört, ist es auch dann nur möglich, genau die Art von Betroffensein zu literarisieren, die man selbst erlebt hat, oder wird einem dann zugetraut, sich auch in andere Arten des Betroffenseins hineinzuversetzen? Wenn ja/nein, wer entscheidet darüber?

Und wer überprüft, ob ein*e Autor*in jetzt überhaupt betroffen ist oder ausreichend oder in der "richtigen" Weise? Im Internet lässt sich ja viel behaupten. Und auch ich würde persönliche Dinge lieber für mich behalten.

Was ich in dem Blogartikel ebenfalls nicht nachvollziehen kann, ist das Argument, dass die Betroffenen quasi zum Verstummen gebracht werden, wenn nicht Betroffene (auch) etwas zu dem Thema schreiben. Wieso das denn? Ok, bei einem Buch kann man nicht "dazwischen reden", aber es gibt viele Möglichkeiten, Diskussionen zu führen, wenn ein Buchinhalt nicht zur Zufriedenheit ausfällt.
Das Argument, dass die Stimme der Betroffenen in dem einen Text nicht laut wird, weil der Text von einer nicht betroffenen Person stammt, verstehe ich natürlich. Aber das bedeutet doch nicht, dass das für die gesamte Diskussion, für sämtliche existenten Texte zutrifft.

Ich schreibe auch ehrlich gesagt einfach für jede Person, der meine Geschichten gefallen, nicht explizit für Betroffene oder nicht Betroffene. Natürlich mache ich mir meine Gedanken, wie das ankommt, was ich schreibe, recherchiere u. ä. Erlebt habe ich schon einiges - auch die Reaktion, dass bei der Darstellung von Selbstverständlichkeit von einer betroffenen Person beanstandet wurde, das sei in einem Fantasy-Setting unrealistisch und die Figuren sollten doch besser diskriminiert werden (das Projekt war Highland Quest). Aber auch die Reaktion einer anderen betroffenen Person, die die Darstellung des Antagonisten und der Diversität in "Talvars Schuld" besonders gut fand.

Ich kann nur sagen, ich tue mein Bestes, aber vermutlich werde ich nie jede*n zufriedenstellen können. Wenn irgendwas nicht hinhaut, gern immer Bescheid sagen. Ich glaube, wichtig ist es, nicht in Klischees zu verfallen, keine "Rezepte" anzuwenden, sondern immer aufmerksam und sensibel das einzelne Buch/Figur zu betrachten, an dem man gerade arbeitet. Womit ich nicht sagen will, dass man damit nicht auch mal daneben liegen kann.

Nebula

Zitat von: Tintenteufel am 21. Februar 2019, 08:37:40
Von daher ist meine persönliche Lösung schlicht, das Thema gar nicht erst anzugehen.

Ich finde, das ist die richtige Lösung.

Ich finde auch, es ist nicht gut, dass einige Leser die Autoren am liebsten zwingen würden Diversität in den verschiedensten Formen in ihre Geschichten einzubauen oder ihnen Vorwürfe machen, wenn sie es nicht tun. Meiner Meinung nach ist es schädlich für die Bewegung der Gleichberechtigung, wenn ein Haufen Autoren schlecht geschriebene, sich gezwungen anfühlende oder gar vollkommen klischeehafte LGBT-Charaktere hinzufügen, nur um die Quote zu erfüllen. Da bekommt die Allgemeinheit ein schlechteres Bild, als wenn es einen kleineren Prozentsatz gut geschriebener, realistischer Charaktere gäbe.

Von daher denke ich, wer diese Themen/Charaktere in seine Geschichten einbauen möchte, soll es tun, egal ob er persönliche Erfahrung hat oder nicht. Wer nicht, soll es lassen und schreiben, was er möchte. Am besten ist es immer, wenn sich das Geschriebene ganz natürlich anfühlt. :)

Als mixed-raced child ist es für mich zum Beispiel ganz natürlich Charaktere der unterschiedlichsten Ethnien und Hautfarben einzubauen, von Transsexualität dagegen verstehe ich nicht viel, also zwinge ich mich nicht selbst dazu das einzubauen. Dafür wird es irgendwo einen anderen Autoren geben, der sich genau dieses Thema auf die Fahnen geschrieben hat. Deswegen denke ich, es ist am besten diese Themen als Autor nur anzugehen, wenn man sich wirklich ernsthaft dafür interessiert oder eine Botschaft rüberbringen will, nicht nur um die unsichtbare Quote zu erfüllen, damit einem ein Leser am Ende auch wirklich keine Vorwürfe machen kann.

Und wie bei so vielen Themen, wird es glaube ich immer irgendwen geben, der sich am Ende aufregt, egal wie man es macht. :D Von daher würde ich mich nicht einschüchtern lassen über ein Thema auch ohne Eigenerfahrung zu schreiben. Gute Recherche ist da natürlich immer von Vorteil!

Trippelschritt

Leser, die gerne diese Art der Diversität in Romanen wiederfinden möchten, sollen ihre Geschichten selber schreiben. Ein Autor hat immer die Freiheit, über das zu schreiben, was ihm am Herzen liegt, und muss nicht über das schreiben, was anderen am Herzen liegt. Er muss ja auch mit den Konsequenzen (Verkaufszahlen etc.) leben. Und wenn ihm jemand mangelnde Quotentreue vorwirft, kann er immer noch sagen, dass Quotentreue nicht sein Thema ist.

Und wenn doch jemand darüber schreiben möchte, ohne dafür kompetent zu sein, dann kann er immer noch ein Fantasy-Setting wählen, das die Ransdbedingungen besitzt, die dem Autor gefallen und in denen er sich wohlfühlt.

Liebe Grüße
Trippelschritt

jokergirl

#131
Zitat von: Yamuri am 21. Februar 2019, 08:09:03
Was ich mich manchmal frage ist. Weshalb machen wir einen so großen Unterschied? Über Drachen, Orks, magische Wesen, über Außerirdische, Weltraumreisen etc. schreibt jeder ohne sich die Frage zu stellen: darf ich das obwohl ich es nie erlebt habe? Märchen/Sagen/Mythen berichten uns von fantastischen Geschichten, die der Fantasie der Schreiber entsprungen sind.

Nur weil jemand ein reales Thema aufgreift, darf er es plötzlich nicht mehr? Woher kommt das? Warum darf ein Nicht-Betroffener sich ein Thema nicht genauso zu Herzen nehmen wie ein Betroffener? Es wird quasi implizit unterstellt, wenn man nicht betroffen sei, könne man sich dafür gar nicht interessieren, dann dürfe einem das Thema auch nicht nahe gehen, man dürfe weder Interesse daran haben, noch anderweitig sich damit befassen. Genau dadurch entstehen aber Vorurteile. Wenn ich mich mit dem Thema nicht auseinandersetzen darf, weil ich bin ja nicht betroffen, wenn ich es nicht thematisieren darf, dann führt das zu mehr Unwissen gegenüber dem Thema und damit wird das Thema auch befremdlicher. Insofern finde ich es sogar wichtig, dass Leute, die es eben nicht betrifft sich auch damit auseinander setzen, die es thematisieren und damit für sich erschließen. Das erzeugt eine Nähe zwischen den Nicht Betroffenen und den Betroffenen aus der gegenseitiges Verständnis für das Gegenüber erwachsen kann und damit der Entstehung von Vorurteilen entgegen gewirkt werden kann, besonders dann wenn es eben ernsthaft betrieben wird.

@PBard: Was du in einem letzten Absatz ansprichst finde ich super. Ich mag Diversität und bringe es ganz bewusst in meine Texte ein (habe bisher aber nur einmal vier Kurzgeschichten im Rahmen einer Anthologie rausgebracht). Bei mir wird das Thema selbst nicht im Vordergrund stehen. Es wird einfach so sein, dass es Diversität gibt und dieses auch als Normal angesehen wird. In einem Projekt habe ich zwar ein wenig das Thema Vorurteile drin, die dann aber abgebaut werden und letztlich nicht das Hauptthema sind. Ich finde auch, dass es mehr solche Bücher geben sollte wie du es ansprichst, wobei ich beim Thema LGBT wohl selbst zu den Betroffenen zähle, auch wenn ich damit nicht hausieren gehe. Ich bin da einfach ganz bei dir, warum können wir alle uns nicht einfach als Menschen sehen und unsere Unterschiedlichkeit als Zeichen der Vielfalt in der Natur betrachten, die das Leben spannender und interessanter macht. :)

Du sprichst mir da aus dem Herzen, Yamuri. Wenn ich mich in eine Elfe oder einen Ork hineindenken kann, warum dann nicht in jemanden, der ein anderes Geschlecht/eine andere Hautfarbe/eine andere Sexualität als ich hat?

Natürlich verstehe ich das Problem, das Minderheiten oft haben, überhaupt verlegt zu werden, und wenn, dann nicht als Autor von "Geschichten", sondern immer von "Minderheits-Genre-Geschichten". Und natürlich will ich, dass im Zweifelsfall statt meiner Geschichte lieber die eines Autors einer Minderheit, die mehr gefördert werden muss, genommen wird. (Im Idealfall natürlich beide... :D)

Aber ich will mir nicht das Recht absprechen lassen, als intelligente Person meine eigene Recherche machen zu können und meine Schreibkünste an mir unvertrauten Szenen anzuwenden. Und es kann doch nicht schlimm sein, generell mehr Diversität einzubauen, egal, ob die Autorenlandschaft jetzt mittlerweile schon divers ist oder nicht?
Es ist ja schon schlimm genug, dass Frauen oft in die Genre-Ecke verbannt werden. Wir Minderheiten müssen uns doch nicht auch noch gegenseitig das Wasser abgraben, oder?

Lothen

#132
@Tintenteufel : Du solltest wirklich in den Artikel von Michelle reinlesen, den ich oben verlinkt habe, der nimmt sich nämlich vieler deiner Fragen an.

Zitat von: JokergirlWenn ich mich in eine Elfe oder einen Ork hineindenken kann, warum dann nicht in jemanden, der ein anders Geschlecht/eine andere Hautfarbe/eine andere Sexualität als ich hat?
Der Unterschied ist schlichtweg der: Einer Elfe wirst du nie begegnen. ;) Die wird dir nicht sagen können: "Ey, da hast du mich aber total klischeehaft, stereotyp oder problematisch dargestellt." Bei einer queeren Person z.B. kann das sehr wohl passieren. Ich habe zu dem Thema zuletzt viel recherchiert und es gibt eine ganze Reihe Studien, die zeigen, dass klischeehafte oder negative Darstellung von Personengruppen in Medien (Büchern, Filmen, Serien) auch negative Auswirkungen auf das reale Leben haben kann. Wer mehr negative Klischees konsumiert, der ist auch eher bereit, diese Klischees zu glauben (z.B. vom "tuckigen Schwulen"). Bei Elfen und Orks ist das nicht dramatisch, da ist man vielleicht genervt von bestimmten Klischees, aber sie haben keine Auswirkungen aufs reale Leben.

Was ich an der Diskussion immer nicht verstehe ist: Wie kommt es, dass auf die Aussage "ich wünsche mir mehr Diversität in Büchern" so viele Leute das Gefühl haben, sie würden zu irgendetwas gezwungen? Ehrlich, ich versteh's nicht.

Diversität ist doch großartig. Sind wir nicht genau deswegen Autor*innen geworden, um über vielfältige Dinge zu schreiben und nicht immer nur über dasselbe? Diversität existiert, sie ist ein realer Bestandteil unserer Welt. LGBTQ-Menschen existieren, nicht-weiße Menschen existieren. Ist es wirklich so schwer nachzuvollziehen, dass auch diese Leute in Büchern repräsentiert sein wollen? Dass sie nicht das Gefühl haben wollen, in der Literatur quasi nicht zu existieren oder maximal Randerscheinungen in "Problembüchern" zu sein?

Natürlich kann und darf jede*r schreiben worüber er*sie will und ich stimme absolut zu, dass eine erzwungen eingefügte Figur, die nur da ist, um sich ein Diversity-Fleißbildchen abzuholen, kein guter Weg ist.

Aber ehrlich, Schreiben hat doch auch immer mit Lernen und Weiterentwicklung zu tun. Als ich angefangen habe, "professionell" zu schreiben, hatte ich auch keine Ahnung von Plotmodellen oder Spannungskurven und empfand es als wahnsinnig anstrengend, mich mit solchen Themen zu befassen. Trotzdem habe ich mir alles irgendwann angeeignet, weil ich bemerkt habe, dass es die Geschichte bereichert. Mit diversen Figuren ist es dasselbe. Ich finde, dass meine Geschichten 100 % an Qualität gewonnen haben, seit ich bewusst auf dieses Thema achte, weil die Figuren vielfältiger geworden sind, die Welt bunter, die Geschichten facettenreicher.

Ich habe für mich entschieden, dass ich Themen, mit denen ich gar keine Berührpukte habe, lieber ausklammern möchte. Ich möchte nicht über Coming-Out schreiben, über alltägliche Rassismuserfahrungen oder über das Leben als trans Person, weil ich nicht das Gefühl habe, diese Geschichte glaubwürdig erzählen zu können, egal, wie gut ich recherchiere (das selbe gilt aber auch für einen realistischen Thriller aus dem Hacker-Milieu - ich habe davon schlichtweg keine Ahnung). Abgesehen davon würde ich als Leser*in bei solchen Themen IMMER auch selbst zu Büchern greifen wollen, an denen Betroffene selbst beteiligt waren, weil ich das persönlich als authentischer empfinde - von daher ergibt es für mich wenig Sinn das selber zu schreiben.

Was ich aber durchaus gerne tue, ist, solche Themen zu abstrahieren und z.B. in Fantasy-Welten zu spiegeln.

Zitat von: CoppeliaIch glaube, wichtig ist es, nicht in Klischees zu verfallen, keine "Rezepte" anzuwenden, sondern immer aufmerksam und sensibel das einzelne Buch/Figur zu betrachten, an dem man gerade arbeitet. Womit ich nicht sagen will, dass man damit nicht auch mal daneben liegen kann.
Da stimme ich Coppi voll und ganz zu. Man kann das Risiko, einen Fehler zu machen, minimieren, aber allen wird man es nie recht machen. Trotzdem fände ich es sehr schade, ungewöhnliche Wege nicht zu gehen, nur, weil sich "vielleicht jemand daran stören" könnte.

jokergirl

Absolut, da stimme ich dir komplett zu. Meine Elfen erfinde ich selbst, aber bei realen Menschen will ich keine Klischees schreiben. Aber Klischees kommen von Unwissen. Ich würde ja auch nicht über einen Rauchfangkehrer schreiben, wenn ich keine Ahnung von dem Metier habe, weil sonst so was wie bei Mary Poppins rauskommen würde...

Ich will primär lebendige Welten schreiben. Wenn aber "lebendige Welt" mittlerweile mehr als "heteronormativ" bedeutet, dann sollten meine Welten das auch reflektieren. Und auch bei Fantasy. Die Welt der Vergangenheit war oft um einiges bunter und lebendiger, als die prüden Geschichtsschreiber aufgezeichnet haben. Wenn ich heute Freunde habe, die trans, mixed race, Immigranten, queer etc. sind (und ich gehöre ein paar der Gruppen selbst an), dann will ich solche Menschen auch in meine Geschichten schreiben dürfen.

Lothen

#134
Bin da ganz bei dir, @jokergirl.

ZitatUnd auch bei Fantasy. Die Welt der Vergangenheit war oft um einiges bunter und lebendiger, als die prüden Geschichtsschreiber aufgezeichnet haben. Wenn ich heute Freunde habe, die trans, mixed race, Immigranten, queer etc. sind (und ich gehöre ein paar der Gruppen selbst an), dann will ich solche Menschen auch in meine Geschichten schreiben dürfen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir das jemand absprechen will, im Gegenteil. Die meisten queeren Menschen, die ich kenne, wünschen sich genau das, dass Queerness einfach existiert und - gerade in der Fantasy - nicht zum zentralen Problem wird, sondern halt einfach ... da ist. ;) Wie du schon sagst, warum sollte eine Fantasy-Welt zwingend heteronormativ sein, nur, weil unsere das ist?

Ehrlich, mein großer Wunsch ist ja der, dass wir irgendwann ganz selbstverständlich queere Figuren in allen literarischen Gattungen haben. Eine lesbische Kommissarin im Thriller, einen schwulen Space Marine in der Science Fiction, einen gender-fluiden Werwolf in Urban Fantasy usw. Das kann man auch als nicht-queerer Mensch hervorragend erzählen, mit etwas Fingerspitzengefühl, guten Sensitivity-Leser*innen und Recherche. Schwieriger wird es da, wo man wirklich tief in den Erfahrungsschatz queerer Menschen eintaucht. Von daher würde ich Geschichten "über Queerness" (wie erlebt man ein Coming Out, wie empfinden trans Menschen eine Geschlechtsangleichung etc.) lieber den Expert*innen überlassen. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht trotzdem inklusiv schreiben und diversen Figuren Raum geben kann (so wie Pbard das weiter oben schon schrieb).