Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Kati am 02. Juli 2013, 21:48:54

Titel: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Kati am 02. Juli 2013, 21:48:54
So, ich hoffe diesen Thread gibt es so noch nicht. Über Political Correctness und dergleichen haben wir bereits ausgiebig diskutiert und darum soll es mir nicht gehen, ich möchte nicht, dass wieder Streit über diese Themen ausbricht. Was mich im Moment interessiert ist "cultural appropriation", ich habe es mal mit kultureller Aneignung übersetzt, bei der es darum geht, dass Menschen sich eben die Kultur anderer aneignen und im schlimmsten Fall sehr nachlässig damit umgehen. Mich würde nun einfach mal interessieren, wie ihr dieses Thema im Zusammenhang mit Romanen seht. Schreibt ihr Romane, die in fremden Kulturen spielen und wie geht ihr damit um?

Ich komme darauf, weil mir gerade der Roman "Tsarina", den die bekannte Autorin Jackson Pearse unter Pseudonym nächsten Winter veröffentlichen wird, aufgefallen ist. Es ist ein Fantasyroman, der zur Zeit der russischen Revolution spielt und mich hat die Inhaltsangabe sofort interessiert. Dann ist mir auf Goodreads jedoch eine Leserin aufgefallen, die das Buch auf ihre Liste der Bücher, die sie niemals lesen wird, gesetzt hat. Mit der Begründung, dass die Autorin keine Russin ist, aber ein russisches Setting schreibt. Jackson Pearse selbst kommentierte die Begründung und sagte, sie sei selbst auch kein Teenager, aber ihre Hauptfigur. Und sie hätte auch noch nie im Jahr 1917 gelebt, aber das wäre ja der Sinn von Fiktion. Mir leuchtet der Kommentar ein, aber ich kann auch verstehen, dass man sich ärgert, wenn westliche Autoren die eigene Kultur falsch darstellen.

Was sagt ihr dazu? Und, wenn das wirklich problematisch sein sollte, wo zieht man dann die Grenzen? Russland ist nicht okay, aber was ist mit Frankreich? Oder kann man eurer Meinung nach doch alles machen? Mich interessiert das im Moment, weil auf meiner eigenen Liste auch ein Roman mit ähnlichem, russischem Setting steht. Was sagt ihr?
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Cairiel am 02. Juli 2013, 21:58:08
Einem Autor nicht zuzugestehen, über Russland zu schreiben (um dieses Beispiel aufzugreifen), nur weil er kein Russe ist/nicht in Russland lebt, halte ich für völlig absurd. Erstens stellt sich da die Frage nach der Grenze, wie du schon geschrieben hast. Zweitens finde ich ein Zitat von Eschbach (glaube ich war's) hier relativ passend: Man muss nicht in der Pfanne gebraten werden, um über ein Schnitzel schreiben zu können. Solange man einen Willen zeigt, sich intensiv mit der Kultur, über die man schreiben will, auseinanderzusetzen und eingehend darüber zu recherchieren, halte ich es für völlig in Ordnung, darüber zu schreiben. Sonst wäre man in seiner Schreiberei ja lokal viel zu sehr eingeschränkt, wenn man nicht gerade Fantasy in einer selbst erdachten Welt schreibt.

Ich könnte diese Leserin verstehen, wenn sie das Buch gelesen und festgestellt hätte, dass es totalen Humbug über die russische Kultur verzapft, aber es gleich im Voraus so zu verurteilen, nur weil die Autorin keine Russin ist, halte ich für überzogen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Antigone am 02. Juli 2013, 22:12:39
Man möge sich nur vorstellen, alle Krimiautoren hätten tatsächlich mal einen Mord begannen.... Die Gefängnisse wären überfüllt!

Wobei es ohne Zweifels viel Arbeit benötigt, glaubhaft über eine andere Kultur zu schreiben. Und wahrscheinlich würde einem "Einheimischen" auch nach bester Vorarbeit der eine oder andere kleine Fehler auffallen. Schwierig wirds halt bei Autoren, die meinen, über ein anderes Land zu schreiben, nur weil sie dort mal 2 Wochen Urlaub gemacht haben. Aber wenn es gut gemacht ist, sehe ich da kein Problem darin.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Kati am 02. Juli 2013, 22:17:45
Ich frage mich nur, wo die Grenze zwischen "okay" und "schlecht" ist. Ich denke da an die ganzen Jugendromane von deutschen Autoren, die in England oder Amerika spielen, das ist ja an sich auch eine andere Kultur und wir nehmen das einfach so hin, aber bei Kulturen die unserer so unähnlich sind, stutzt man ja schon. Ich sehe das wie du, mit guter Recherche kann man eigentlich alles machen und sich von der Kultur, in die man hineingeboren wurde, verbieten zu lassen, was man darf und was nicht finde ich auch nicht in Ordnung. Aber auf der anderen Seite gibt es auf dem Markt genug Bücher, die eben totalen Unsinn verzapfen. Das fängt damit an, dass in einem Roman ein männlicher Charakter einen typisch weiblichen russischen Nachnamen hat (mit dem angehängten a dran) und das Buch bei einem großen Verlag erschienen ist. Hat das dort keinen interessiert? Wusste es einfach keiner? Oder war es egal, weil es so schöner klang und man sich dachte, den Lesern fällt es eh nicht auf?

Ich denke ja fast, kleine Recherchefehler sind auch noch zu verzeihen, aber wenn es an Ignoranz grenzt, gibt es ein Problem. Also, wenn man merkt, dass der Autor das Setting wirklich bloß wegen des Coolness-Faktors gewählt hat und keine große Lust hatte, sich damit auseinander zu setzen. (Ich muss da gerade an dieses Buch denken, in dem so viele Fehler über die Türkei steckten, das stammte von einem amerikanischen Bestseller-Autoren. Im Forum wurde mal darüber diskutiert, dass der Mann denen, die auf die Fehler hinwiesen böse Kommentare geschrieben hat, aber es wäre doch auch interessant mal von der Seite ranzugehen, was für ein falsches Bild von der Türkei er zeichnet...)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Ryadne am 02. Juli 2013, 22:41:24
Ein Buch von vornherein zu verteufeln, weil die Autorin über Russland schreibt, obwohl sie keine Russin ist, halte ich für absurd. Wie Cairiel schon sagt, da wäre man lokal ziemlich eingeschränkt als Autor, wenn man nur über die eigene Kultur schreiben dürfte. Und was heißt das schon, "eigene Kultur"? Vielleicht fühlen sich Polizisten von meiner Darstellung ihrer Arbeitskultur auf den Schlips getreten, vielleicht fühlen sich die Niedersachen verunglimpft, wenn ich als Rheinland-Pfälzerin einen niedersächsischen Side-Kick einbaue. Um jetzt nur mal zwei willkürlich gewählte Beispiele zu nennen. Und auch wenn man das nicht so eng sehen würde - heißt das dann, dass man auch keine Angehörigen anderer Kulturen in seine Geschichten einbauen darf, auch nicht als Nebenfiguren? Na super.

Allerdings bin ich persönlich in diesem Bereich teils schon sehr, sehr vorsichtig. Ich lese beispielsweise viele Ethnographien und stoße dabei oft auf indigene Völker, mit deren Traum-Konzepten ich (z.B.) gerne arbeiten würde. Aber sie 1:1 zu übernehmen, habe ich mich bisher nicht getraut, weil ich mir denke, dass ich aus einem Buch nicht genug herauslesen kann, um mir wirklich ein realistisches Bild davon zu machen, wie das von diesen Menschen verstanden wird. Da ist mir die Gefahr zu groß, im romantischen Ethnokitsch zu landen oder etwas völlig verfremdet darzustellen. Um mich da ranzutrauen und mich an den Konzepten nicht nur fantasy-mäßig anzulehnen, bräuchte ich dann schon einen Erste-Hand-Informanten.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Malinche am 02. Juli 2013, 22:46:56
Zitat von: Kati am 02. Juli 2013, 22:17:45
(Ich muss da gerade an dieses Buch denken, in dem so viele Fehler über die Türkei steckten, das stammte von einem amerikanischen Bestseller-Autoren. Im Forum wurde mal darüber diskutiert, dass der Mann denen, die auf die Fehler hinwiesen böse Kommentare geschrieben hat, aber es wäre doch auch interessant mal von der Seite ranzugehen, was für ein falsches Bild von der Türkei er zeichnet...)

Ah! Das war das, was mir als erstes zu dem Thema einfiel, aber ich konnte nicht mehr zuordnen, um welches Land es dabei ging. Die Diskussion hatte ich allerdings noch unter genau diesem Aspekt der kulturellen Aneignung im Hinterkopf.

Im Wesentlichen kann ich alles unterschreiben, was Cairiel so prägnant gesagt hat.

Die Gedanken an sich kenne ich übrigens auch. Meine Geschichten spielen ja zu einem sehr großen Teil in Südamerika. Meine Figuren sind teilweise Indigene aus dem Andenhochland. Da bleiben die Gedanken um kulturelle Aneignung nicht aus: Ich als Autor spiele da ja schon eine gewisse Macht aus. (Und ich behaupte mal, dass das gerade vor kolonial geprägten Schauplätzen eine Frage von besonderer Brisanz sein kann.)

Ein anderes Beispiel ist, dass ich ja noch immer ein Projekt in der Schublade habe, das den peruanischen Terrorismus thematisieren soll. Ein Thema, auf das Peruaner ungefähr so sensibel reagieren wie Deutsche auf die NS-Zeit, nur, um das mal zu verdeutlichen. Und das ist ein Thema, bei dem ich wirklich mit Fingerspitzengefühl arbeiten möchte und mir auch schon die Frage gestellt habe: "Darf" ich als Deutsche, als Nicht-Peruanerin, eigentlich über so etwas schreiben? Interessanterweise sagte mir eine peruanische Freundin hierzu einmal, es sei unter Umständen sogar gut, wenn ich das aus dieser Distanz heraus bearbeiten würde. Eben, weil es in Peru noch immer ein Thema ist, an dem man sich - gerade als Peruaner - leicht die Finger verbrennen kann.

Ich denke, grundsätzlich sehe ich auch für mich die Maxime: "Erlaubt" und akzeptabel ist, was gewissen Ansprüchen an Recherche und Einfühlvermögen genügt. Dass es viele Bücher auf dem Markt gibt, die schlampig recherchiert sind und Mist verzapfen, heißt ja im Umkehrschluss nicht, dass das gut ist. Aber pauschal lässt sich da eh nichts sagen. Es ist eine Entscheidung, die jeder Autor immer wieder für sich treffen muss, wenn er bestimmte Schauplätze wählt, und als Kulturanthropologin halte ich es auch für gut und richtig, diese Entscheidung angemessen zu reflektieren.

Zum Abschluss noch folgendes: Vor vielen Jahren hielt ein Mädchen in meinem Spanischkurs ein Referat über Frauen in Lateinamerika. Sie war selbst ein Jahr in Bolivien gewesen, konnte sich also sehr stark auf eigene Erfahrungen berufen, und das tat sie auch. Machismo und Unterwürfigkeit der Frau spielten eine sehr große Rolle bei dem Vortrag. Reichlich überraschend saß an genau diesem Tag noch eine mexikanische Austauschschülerin mit im Kurs. Und die Referentin kam böse, böse ins Straucheln. Weil sie in der Mexikanerin als lateinamerikanischer Frau eigentlich genau das Thema ihres Vortrags vor sich hatte. Plötzlich war es ihr extrem unangenehm, was sie zu erzählen hatte.

Die kleine Episode beschäftigt mich noch immer. Ich habe daraus so meinen kleinen persönlichen Indikator abgeleitet, der mir meistens bei Referaten und Vorträgen hilft, aber grundsätzlich auch beim Schreiben: Ich frage mich, ob ich das, was ich da über Land/Region/Ethnie XY schreibe, einem Angehörigen von XY ins Gesicht sagen könnte, ohne zu stottern oder mich unwohl zu fühlen. Das heißt nicht, dass ich keine unangenehmen Sachen sagen darf. Das Problem der Referentin damals bestand nicht primär darin, dass sie über Machismo redete, sondern die Art, wie sie es tat - relativ schlecht recherchiert und auf einer Handvoll subjektiver Erfahrungen basierend, die sie verallgemeinerte. Inhaltlich habe ich aus diesem Vortrag nichts mitgenommen, aber insgesamt habe ich sehr viel daraus gelernt, weil ich mir jetzt selbst immer wieder diese Frage stelle: Wenn ein Peruaner vor dir steht, kannst du selbst vertreten, was du über Peru geschrieben hast? Solange man diese Frage mit Ja beantworten kann, denke ich, sollte alles im grünen Bereich sein - zumindest als grobe Faustregel funktioniert das, wenigstens für mich.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Tanrien am 03. Juli 2013, 09:30:10
Zitat von: Malinche am 02. Juli 2013, 22:46:56
Meine Geschichten spielen ja zu einem sehr großen Teil in Südamerika. Meine Figuren sind teilweise Indigene aus dem Andenhochland. Da bleiben die Gedanken um kulturelle Aneignung nicht aus: Ich als Autor spiele da ja schon eine gewisse Macht aus. (Und ich behaupte mal, dass das gerade vor kolonial geprägten Schauplätzen eine Frage von besonderer Brisanz sein kann.)

Mir fielen bei der Frage hier auch zuerst deine Geschichten ein - nämlich als absolutes Positivbeispiel. (Und das ohne, dass ich bisher viel von dir gelesen hätte, Malinche.) Es ist ja ein riesen Unterschied, ob man sich bewusst ist, dass es cultural appropriation gibt (was ich bei dir annehmen konnte, selbst bevor du hier geschrieben hast), weiß, warum Teenager und Teil einer Ethnie sein nicht das gleiche bedeutet (ditto), und man sich mit der Herkunftskultur ausführlich auseinander gesetzt hat (was du für Lateinamerika definitv hast) oder ob man mit einer "Das darf man doch eh, also mach ich das jetzt"-Haltung daran geht.

Das große Problem bei cultural appropriation in Fiktion ja nicht, dass jetzt die Nicht-Russin über Russland schreibt. Sondern, gerade im Fantasy-Bereich, dass so viel aus anderen Kulturen geklaut wird. Da wird über indische Götter phantastiert, da wird mit "Wilden" im Federschmuck gearbeitet, etc. Alles das, was eben nicht historische Geschichte ist (wie jetzt zum Beispiel griechische Götter), sondern was Leuten heutzutage tatsächlich noch etwas bedeutet und sie dadurch, dass diese Teile ihrer Kultur geklaut werden, sie auch die Definitionsmacht über die Symbole und über ihr eigenes Bild verlieren.

Deswegen, Kati, würde ich auch deine Frage, wo der Unterschied zwischen Russland und Frankreich (und Peru) ist, so beantworten, dass man dann mehr aufpassen muss, wenn die übernommenen Bilder die Überhand in der Definitonsmacht gewinnen. Für Frankreich oder England oder die USA ist es ja absolut nicht schlimm, in Romanen schlecht dargestellt zu werden, was du schon daran merkst, dass die Leser protestieren, wenn die Darstellung schlecht ist - eben, weil sie schon mehr darüber wissen, aus den Medien, von Freunden, vielleicht waren sie selber da.

Wenn der russische Charakter dagegen nur Vodka trinkt, wird es schon stiller, weil weniger über Russland Bescheid wissen; und wenn dann alle Peruaner 24/7 lustige Alpaka-Hüte tragen, nun, whatever. Und in Fantasy werden auch genau diese Teile übernommen und dienen als Symbole, um Charaktere anders zu machen und der Leser dann "weiß", Froschschenkel = Frankreich, etc. Dann kommt es, wie gesagt, meiner Meinung nach darauf an, ob das dann die Kultur definiert. Dass französische Kultur mehr als Baguette, Wein und Froschschenkel sind, weiß jeder, es ist also nicht so dramatisch. Dass Peruaner mehr als lustige Alpaka-Farmer sind oder der Federschmuck von Native Americans mehr als Schmuck ist oder dass es Gründe gibt, warum es in Russland oft Alkoholprobleme gibt... das wissen viele nicht. Und da bist du dann als Nicht-Peruanerin, Nicht-Native American und Nicht-Russin diejenige, die das Bild hier maßgeblich (mit-)definiert. Und da wird es problematisch, wenn du alle Macht hast und die, über die du schreibst, keine.

(Wobei das natürlich am System liegt, am ganzen Komplex: Wenn mehr Autoren aus Minderheiten und anderen Ethnien und Ländern verlegt würden und übersetzt und wenn mehr in den Medien berichtet werden würde und Leser mehr Interesse zeigen würden und wenn nicht oft die Leute aus den Ländern massivst ausgebeutet werden würden, wäre über Peru zu schreiben das gleiche wie über Frankreich. Etc. pp.)

Deswegen stimme ich da Malinche zu:
Zitat von: Malinche am 02. Juli 2013, 22:46:56
Wenn ein Peruaner vor dir steht, kannst du selbst vertreten, was du über Peru geschrieben hast?
Und füge hinzu: Du musst dir halt deiner Verantwortung bewusst sein und dich dementsprechend verhalten, ob du deine Geschichte dann letztendlich schreibst oder nicht.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Fianna am 03. Juli 2013, 17:54:40
Zitat von: Kati am 02. Juli 2013, 22:17:45
Ich frage mich nur, wo die Grenze zwischen "okay" und "schlecht" ist. Ich denke da an die ganzen Jugendromane von deutschen Autoren, die in England oder Amerika spielen, das ist ja an sich auch eine andere Kultur und wir nehmen das einfach so hin, aber bei Kulturen die unserer so unähnlich sind, stutzt man ja schon.
Ich würde mal sagen, sobald man ein "kleinteiliges" alltägliches Setting vor sich hat, gibt es auch bei dem Schauplatz England oder Amerika viele böse Fallen, in die man tappen kann, angefangen bei dem typischen Aufbau eines amerikanischen Reihen-Hauses (bzw. eines Hauses in dieser Gegend, Amerika ist ja groß) bis hin zur Esskultur und hundert anderen Kleinigkeiten.
Ich hab einen Amerikaner und ein Ex-Aupair in meiner Hotelfach-Berufsschulklasse, und da prallen auch oft Welten aufeinander. Gerade bei allen Dingen, die sich um Essen drehen, fällt das stark auf, und das ist nichts, was man mal so eben in einem Film gesehen hat oder bei Google findet. (Falls man überhaupt auf die Idee käme, danach zu suchen.)

Da ist eben nur das "Glück", dass offensichtlich wenige Amis/Engländer solche deutschen Bücher lesen, es dagegen viele deutschsprachige Immigranten oder Immigrantennachfahren aus Russland gibt, die sowohl den Einblick in die russische Kultur haben als auch das deutsche Sprachverständnis, um deutsche Romane zum Vergnügen zu lesen.

Ich denke, bei den von Dir angebrachten Büchern gibt es ungefähr genau so viele Fallen, nur eben weniger "Insider" die entsprechende Bücher auf Deutsch lesen, so dass die ganzen Fehlinformationen zu amerikanischem/britischem Alltagsleben eben nicht so stark auffallen wie bei russischen Settings.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Lavendel am 04. Juli 2013, 10:48:06
Schmeißen wir hier nicht zwei Dinge durcheinander? Bei Cultural Appropriation/Cultural assimilation geht es um die Übernahme von kulturelle Praktiken - wenn also Japaner sich einen Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer stellen oder Mutti Yoga macht.
Im Grunde ist die "Durchlässigkeit" von Kulturen durchaus etwas Gutes. Ich habe letztens ein Buch einer einer Weltreisenden gesehen, das die Wohnzimmer der Menschen in allen möglichen Ländern zeigte. Ich fand das ziemlich daneben, weil so Menschen aufgrund ihrer Herkunft gleich bestimmte Stereotypen zugeschoben werden (so sehen Wohnzimmer in China halt aus ...), unabhängig davon, dass die Vielefalt in Wahrheit viel größer ist. Es verschleiert, dass in einer globalisierten Welt eigentlich jeder sowieso schon "cross cultural" lebt. Wir kochen indisch, tragen Rastazöpfe, Tribaltattoos oder Irokesen, sehen amerikanische Serien, lesen Mangas, hören vielleicht französische oder finnische Musik und lassen uns mit traditioneller chinesischer Medizin, Akkupunktur, Klangschalen oder weiß der Kuckuck behandeln.
Dabei kann es passieren, dass gewisse sozio-kulturelle Zusammenhänge verlorengehen oder ignoriert werden, so wie zum Beispeil beim Yoga, das bei uns halt nur noch Fitnessprogramm ist und wenig bis gar nichts mehr mit Spiritualität zu tun hat. Es kann auch passieren, dass Minderheiten durch die Übernahme ihrer kulturellen Praktiken durch die Mehrheitsgesellschaft noch mehr an den Rand gedrängt werden. Auch das ist natürlich weniger gut.

Eine andere Sache ist die Darstellung anderer Kulturen in Romanen. Das hat aber weniger mit Cultural approriation/assimilation zu tun (Der Roman ist ja aus der literarischen Tradtion Europas hervorgegangen) Natürlich können Romane unangemessene Stereotypen oder Tropen kolportieren. Da sollte man schon aufpassen. Nicht jedes chinesische Wohnzimmer sieht gleich oder auch nur ähnlich aus. Wenn man nicht viel über eine andere Kultur lernt, über Sicht- und Denkweisen, über Brüche, Widerstände und Diversität, dann läuft man immer Gefahr, etwas zu simpel darzustellen. Das ist aber nicht cultural appropriation, sondern schlechte Recherche.

Das nur, um mal auf die Begrifflichkeiten einzugehen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Snöblumma am 04. Juli 2013, 11:27:36
Ich fürchte, ich sehe das Problem nicht ganz.

In fantastischen Romane spielen wir natürlich mit Klischees, Stereotypen und angeblich kulturellen Eigenheiten. Wenn ich ein Volk (A) konstruiere, das im kalten Norden lebt, immer nur Met trinkt und nur aus harten Kerlen besteht, lehne ich mich - bewusst oder unbewusst - an Klischees an, die über Wikinger herumgeistern. Wenn ich nun Volk (B) danebensetze, das in Steinhäusern wohnt, die Ordnung schätzt, ein schlagkräftiges Militär aufzuweisen hat und unter seinem Kaiser die Weltherrschaft anstrebt, wird es zwar etwas weniger offenkundig, aber höchstwahrscheinlich verwende ich Klischees, die ich irgendwann einmal als "römisch" kennengelernt habe. So what? In der (High) Fantasy bin ich meiner Meinung nach frei, Klischees und Stereotypen zu nehmen, mich an scheinbar echten kulturellen Vorbildern zu orientieren, diese zu mischen, sehen, was passiert, wenn ich ein Volk mit einer strengen Hierarchie in eine unwirtliche Umgebung setze, usw. Weltenbauen ist natürlich immer auch Anleihen nehmen, und ich werde immer auch Klischees mitaufnehmen, allein der Einfachheit willen.

Auch beim realistischen Roman sehe ich das Problem nicht wirklich. Wenn ich als deutscher Autor einen Roman schreibe, der im angeblich nur vodkatrinkenden Russland spielt und außer Prostituierten und Zuhältern und noch mehr Vodka nicht differenziert, sage ich damit doch höchstens etwas über mein eigenes Bild von der Welt - solange ich offenlege, dass ich als deutscher Autor schreibe, und nicht vorgebe, einen angeblich wahren Tatsachenbericht über das heutige Russland zu verfassen. Dass mich Menschen mit etwas differenziertem Weltbild dann meiden, damit muss ich dann wohl leben. In solchen Fällen sehe ich das Problem weniger auf Seiten des Autors als auf Seiten des Publikums, das nicht in der Lage oder nicht Willens ist, sich ernsthaft mit Gegebenheiten in fremden Ländern auseinanderzusetzen und liebend gerne altbekannte Klischees bedient sieht. Aber auch das sagt doch eigentlich mehr über das Publikum als über das Land, um das es geht, oder?

Schwer wird es natürlich, wenn bspw. bei in den USA angesiedelter Urban Fantasy die Details nicht stimmen, oder ich als Autor doch das Klischee der immer nur Auto fahrenden, die Umwelt verschmutzenden Amerikaner bediene. Nun ja, auch daran sehe ich nichts verwerfliches. Außen- und Eigenwahrnehmung differieren eben immer, und wenn ich als Leser dauernd übersetzten Büchern begegne, in denen die Deutschen die umweltfanatischen, superorganisierten Bösewichte sind, finde ich das als Darstellung einer gewissen Fremdwahrnehmung doch eigentlich eher spannend. Es regt mich an, darüber nachzudenken, wie wir uns nach außen verkaufen, und ob in dem Klischee vielleicht nicht doch irgendwo ein wahrer Kern steckt. Oder es ist gut gemachte Unterhaltung, die eben mit Klischees arbeitet, ich lese das Buch und lege es in die Ecke und vergesse es wieder ;).

Ob und wie weit man sich als Autor dem Problem aussetzen will, sollte man sich bei der Wahl des Schauplatzes eben überlegen. Aber, ganz ehrlich? Selbst wenn ich eine Story schreibe, die in meinem Dorf spielt, kommen hinterher die Nachbarn und fühlen sich auf die Füße getreten, weil es hier doch ganz anders zugeht. Bei Schauplätzen fließt immer mit ein, wie ich als Autor die kulturellen Begebenheiten vor Ort wahrnehme, und das muss doch  nie mit dem übereinstimmen, was andere wahrnehmen. Wenn ich München als hektische, überlaufene Großstadt mit zu viel Schicki-micki schildere, ist das mein persönliches Gefühl. Die meisten anderen Menschen lieben München als sonnige Dorf-Großstadt mit Alpenblick.

Aber ich lasse mir gerne das zugrundeliegende Problem noch mal näherbringen. Vielleicht ändere ich dann ja auch meine Meinung ;).
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Kati am 04. Juli 2013, 12:13:27
ZitatSchmeißen wir hier nicht zwei Dinge durcheinander? Bei Cultural Appropriation/Cultural assimilation geht es um die Übernahme von kulturelle Praktiken - wenn also Japaner sich einen Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer stellen oder Mutti Yoga macht.

:versteck: Mir ist kein besserer Begriff eingefallen, weil es mir ja bewusst darum ging, dass sich ein westlicher Autor eine fremde Kultur zu Nutzen macht, um seinen Roman zu schreiben und zu verkaufen. Was du schreibst, stimmt schon, vordergründig ist es schlechte Recherche. Es gibt aber auch diese "Kein Bock"-Fälle, in denen Autoren eine fremde Kultur bloß als Hintergrund nehmen um eine x-beliebige Geschichte zu erzählen, die auch bei ihnen in der eigenen Straße hätte passieren können. Die fremde Kultur ist dann eben bloß für den Coolness-Faktor dabei und wird dann meist auch noch falsch dargestellt, weil man für einen Hintergrund keine Recherche betreiben möchte. Ich wusste nicht, wie ich sowas nennen sollte. Aneignung ist es eigentlich nicht, aber irgendwie ja doch: Ich nehme mir Teile einer Kultur und verbastle sie, wie ich das möchte, egal, ob Menschen aus dieser Kultur das gut oder schlecht finden. Ich habe den Begriff mal so erklärt gelesen: Man nimmt sich etwas, was jemand anderem viel bedeutet und zerhackstückelt das, wie man möchte, weil es einem ja selbst ja eigentlich nichts bedeutet, außer, dass es schön aussieht oder "cool" ist.

Als Beispiel vielleicht: ,,Stormdancer" von Jay Kristoff. Es spielt nicht im echten Japan, ist aber sehr stark daran angelehnt. Der Autor vermischt jedoch chinesische und japanische Begriffe, die er in den Text einfließen lässt und romantisiert die ach-so-exotische japanische Kultur wie es ihm passt. Er mischt einfach indische und chinesische mythologische Wesen mit rein und die japanischen Anreden, die er benutzt, benutzt er falsch. Dem Roman merkt man richtig an, dass er aus westlicher Sicht geschrieben wurde, besonders bei diesen typischen Revolutionärfiguren, die die eigene Kultur, in der sie aufgewachsen sind, verteufeln und selbst einen sooo modernen europäischen Blick auf ihre Mitmenschen und Traditionen haben. Natürlich ist das Land, dass der Autor erschaffen hat, fiktional, eigentlich ist der Roman also High Fantasy, aber das ist meiner Meinung nach keine Ausrede dafür, was hier passiert ist: Mächtig schlechte Recherche? Ich glaube eher, der Autor wollte unbedingt die indischen mythologischen Wesen benutzen und hat deshalb statt ,,Japan" einen neuen Namen für das Land erfunden. 

Snö: In der High Fantasy Anklänge aus der Wikinger- oder Römerzeit zu benutzen, ist meiner Meinung nach etwas ganz anderes, weil diese Kulturen so nicht mehr bestehen. Aber die japanische Kultur gibt es noch und Jay Kristoff macht eben dieses Ding: Er mischt mehrere asiatische Kulturen zu einer einzigen zusammen und, wenn ich als Leser da rangehe und nicht weiß, dass die Welt nicht nur an Japan angelehnt ist, glaube ich, was der da erzählt. Vielleicht ist das alles weniger problematisch als andere Dinge, aber es ärgert einen schon, finde ich.

Dass wir Deutschen es vielleicht weniger schlimm finden, immer die überpünktlichen Bösewichter zu sein, könnte daran liegen, dass wir eine westliche Kultur sind und sich die westlichen Kulturen großteils zu einer vermischt haben. Außerdem eignen wir uns, wie Lavendel schon sage, Bruchstücke aus anderen Kulturen an, was ich eine interessante und gute Entwicklung finde. Das Problem ist nur, dass es Kulturen gibt, die viel wert auf ihre Traditionen legen. Nicht, dass diese Kulturen sich nicht andere Dinge aneignen, das ist völlig klar, aber trotzdem finde ich es nicht in Ordnung die sehr europäische Sicht, dass Traditionen eigentlich egal und höchstens lustig sind, auf alle anderen Kulturen zu übertragen. Es zeugt doch auch von einer gewissen Missachtung einer Kultur schlecht recherchierte Romane auf den Markt zu werfen: ,,Wie ihr wirklich seid und was ihr wirklich macht, ist mir egal, ich finde die indische Kultur, wie ich sie durch Stereotypen und Klischees kennengelernt habe, cool und schreibe mein Buch darüber. Ob ihr euch falsch dargestellt oder sogar diffamiert fühlt, ist mir wurst, ich habe jetzt ein cooles Setting."

Natürlich hast du schon Recht, dass es großteils ein Problem des Publikums ist, nicht des Autors. Aber viele Leser wissen nichts über Indien, sie kennen bloß die gängigen Vorurteile, und wenn dann im Buch steht, dass es wirklich so ist, macht es das nicht besser, oder? Ich selbst zum Beispiel weiß rein gar nichts über Indien und würde ich nun ein Buch lesen, was dort spielt, hätte ich große Probleme zu sagen, was nun richtig ist und was aus der Klischeekiste kommt, weil ich das nicht einschätzen kann und nicht weiß, wie gut das Buch recherchiert ist. Es gibt aber auch massig Leser, die das Interesse einfach nicht mitbringen und sich sagen, der Autor wird schon wissen, was er da schreibt. Und der Gedanke gefällt mir irgendwie nicht.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Snöblumma am 04. Juli 2013, 13:31:08
Zitat von: Kati am 04. Juli 2013, 12:13:27Es zeugt doch auch von einer gewissen Missachtung einer Kultur schlecht recherchierte Romane auf den Markt zu werfen: ,,Wie ihr wirklich seid und was ihr wirklich macht, ist mir egal, ich finde die indische Kultur, wie ich sie durch Stereotypen und Klischees kennengelernt habe, cool und schreibe mein Buch darüber. Ob ihr euch falsch dargestellt oder sogar diffamiert fühlt, ist mir wurst, ich habe jetzt ein cooles Setting."
Ja und ja. Und gleichzeitig nein. Vielleicht ist es einfach nur schlechte Recherche, dann liegt es m.E. in der Hand von Rezensenten, die mehr Ahnung haben, darauf hinzuweisen und die Schludrigkeit des Autors aufzudecken. Vielleicht ist es bewusste Missachtung oder Geringschätzung, dann muss ich m.E. ebenfalls damit leben. Vielleicht ist es nur ein Spiel damit. Ich kenne das konkrete Beispiel nicht, das du benennenst, darum kann ich da im konkreten leider nichts zu sagen. Und selbst wenn es nur Marketing/Coolness ist: Immer noch würde ich sagen, so what? Wenn es zieht, trifft der Autor wohl doch ein gängiges Klischee seiner Gesellschaft (ich sage nur: James Bond und die jeweiligen Bösewichte - treffendere Darstellungen weltpolitischer Befindlichkeiten und Vorurteile hat die Welt wohl noch nicht gesehen im Unterhaltungsbereich). Dann liegt das eigentliche Grundproblem an ganz anderer Stelle. Und wenn jemand sich wirklich getroffen sieht, steht es ihm ja frei, sich dazu zu äußern und das Bild richtig zu rücken. Was nicht immer ganz einfach sein wird, weil wir Menschen dazu neigen, einmal gefasste Meinungen nicht so schnell wieder loszuwerden - aber auch das liegt nicht an dem schlechten Buch.

Zitat von: Kati am 04. Juli 2013, 12:13:27
Das Problem ist nur, dass es Kulturen gibt, die viel wert auf ihre Traditionen legen. Nicht, dass diese Kulturen sich nicht andere Dinge aneignen, das ist völlig klar, aber trotzdem finde ich es nicht in Ordnung die sehr europäische Sicht, dass Traditionen eigentlich egal und höchstens lustig sind, auf alle anderen Kulturen zu übertragen.
Provozierende Gegenfrage: Wenn es schlecht ist, anderen Kulturen meine europäische Sicht aufzudrücken - wieso ist es dann gut, wenn ich mir dir Sicht dieser Kulturen aufdrücken lasse? Wir gehen inzwischen (in meinen Augen zum Glück, das sei an dieser Stelle zugestanden, aber schon mein Mann ist da anderer Ansicht) locker mit Traditionen und gerade Glauben um. Wir mixen, wie es uns gefällt, nehmen hier ein Stück und dort ein Stück. Das ist eine Sicht, die Welt zu sehen. Große Teile der Welt sehen es anders. Aber der gewissermaßen vorauseilende Gehorsam vor denen, die ein Problem mit freiem Mixen haben, nimmt mir meine Freiheit - und das mag ich nicht. Ganz einfach und plump ausgedrückt.

Und ehe es allgemein als Respektlosigkeit daherkommt: Ich bin als bekennender Heide gerne mal getroffen, wenn irgendwer sich in den üblichen Wikinger/Germanen-Klischees ergeht, darum fiel mir dieses Beispiel ein. Aber trotzdem würde ich es niemandem verbieten wollen, wenn er es doch tut. Ich lese solche Bücher halt nicht, bei denen ich vor Klischeehaftigkeit die Augen verdrehen muss. Wenn mir doch mal eines unterkäme, würde ich mich wohl zu einer schlechten Rezension hinreißen lassen. Aber denjenigen deswegen in irgendeiner Form anprangern oder verurteilen fände ich in Hinblick auf die gesellschaftliche Freiheit (und ja, so hoch hänge ich das jetzt mal zum Zwecke der Provokation und Diskussion auf ;) ) bedenklich.


Ach ja, und weil Malinche es oben angesprochen hatte: Im wissenschaftlichen Kontext ist das Verkürzen auf Klischees einfach nur übel und zeugt davon, dass man die Regeln wissenschaftlichen Arbeits wohl nicht ganz verstanden hat. Wenn jemand basierend allein auf persönlichen Erfahrungen über Machismo in Südamerika spricht, braucht er sich nicht zu wundern. Genausowenig finde ich das Gegenargument allerdings valide, dass eine einzige Person aus dem Kulturkreis, die es anders erlebt hat, in irgendeiner Form Aussagekraft hat. Das ist einfach zu wenig empirische Masse ;). Aber das nur am Rande, weil das nicht unsere Hauptfrage war.


Edit: Den Rest von Kathis Posting, der mir beim Zitieren vorher hängen geblieben ist, rausgenommen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Kati am 04. Juli 2013, 13:40:06
ZitatWenn es schlecht ist, anderen Kulturen meine europäische Sicht aufzudrücken - wieso ist es dann gut, wenn ich mir dir Sicht dieser Kulturen aufdrücken lasse?

Sollst du ja nicht. Es geht darum, einen asiatischen Charakter, der sagen wir in China aufgewachsen ist, mit europäischem Blick auf China blicken zu lassen. Schreibe ich einen Europäer, der zum ersten Mal in China ist, ist es klar, dass er einen europäischen Blick hat, aber eine chinesische Figur mit dem Blick eines Europäers die Mangel der chinesischen Gesellschaft aufzählen zu lassen, finde ich grenzwertig. Deshalb muss man es noch lange nicht so sehen und darf seinen eigenen europäischen Blick natürlich behalten. In dem Buch wird mir auch so auffallen, was aus meiner Sicht nicht stimmt, dafür brauche ich hoffentlich keine Figur, die es mir lang und breit erklärt. Einen Roman zu lesen, mit einer chinesischen Hauptfigur, die nicht alles durch die Augen eines Europäers sieht, drückt dir ja nicht seine Sicht auf, oder?

In dem Buch, das ich angesprochen habe, gibt es zum Beispiel eine Szene, in der ein Charakter besonders schön beschrieben wird, weil er grüne Augen und hellere Haut als die anderen hat: Das europäische Schönheitsideal wird eben da auf pseudojapanische Figuren übertragen, die natürlich total attraktiv und schön finden, dass da jemand keine dunklen Augen hat. Mag ich nicht. Es gibt sicherlich Japaner, die das schön finden und welche, die es nicht schön finden, aber dieses Ideal auf die gesamte Bevölkerung zu übertragen (indem jede Figur das so sieht) finde ich merkwürdig.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Thaliope am 04. Juli 2013, 13:41:26
Ich würde mal sagen, es ist eine Frage dessen, was der Leser erwartet. Wenn ich nur eine nette Geschichte vor einer "exotischen" Kulisse lesen will, schadet es wenig, wenn der Autor seine Kulisse aus dem reproduziert, was wir alle aus dem Fernsehen oder anderen Büchern schon kennen.
Aber wenn ich etwas Authentisches lesen will, etwas davon, wie der Autor seine eigene Welt und sein eigenes Erleben verarbeitet und umsetzt, etwas Welthaltiges vielleicht, dann ist eine solche Kulisse definitiv fehl am Platze.

Ich habe neulich ein Interview mit einer Frau gesehen, die Drehbücher einkauft. Und die bemerkte, dass sehr wenig wirklich Originelles, Eigenständiges, Authentisches im Angebot sei, weil die Leute nicht mehr auf die Straße gehen und dem Leben zugucken, sondern nur noch das reproduzieren, was sie aus dem Fernsehen kennen.

Ich denke, in gewisser Hinsicht kann man das auf das Benutzen fremder Kulturen in Romanen übertragen. Es ist so leicht und bietet sich so an - gerade wenn es um die amerikanische Kultur geht - zu adaptieren, was man aus den unzähligen Serien und Filmen kennt. Aber all das ist keine eigenständige Verarbeitung von "Welt", sondern die Verarbeitung von etwas, das bereits Ergebnis der Verarbeitung von jemand anderem ist. (die Kopie einer Kopie einer Kopie ... wird auch nicht aufschlussreicher.)

Mit Verarbeitung meine ich hier übrigens nicht eine psychologische Aufarbeitung, sondern den Weg von den Sinneseindrücken des Autors bis zum fertigen Text.

Ich persönlich erwarte mir vom Lesen, dass ich etwas Neues über die Welt erfahre, eine neue Sichtweise, einen neuen Aspekt, eine neue subjektive Verarbeitung kennenlerne. Deshalb wäre mir persönlich ein gewissens Maß an Authentizität sehr wichtig. Da kann meines Erachtens aber durchaus jemand, der nur kurz in Russland war (um das Beispiel aufzugreifen) durchaus die Erlebnisse dieses kurzen Aufenthalts literarisch umsetzen, ohne jetzt den Anspruch zu erheben, die gesamte russische Kultur und Lebensweise widerspiegeln zu wollen. Letzteres ist ja schon bei der Kultur, in der man aufwächst und lebt quasi unmöglich.

Aber anderen Lesern wird dieses Maß an Authentizität nicht so wichtig sein, schätze ich. Ich denke, es gibt in dieser Frage nicht unbedingt Richtig und Falsch, sondern nur die Frage, was Leser in der eigenen Zielgruppe suchen. Die Verantwortung des Autors, keinen schlecht recherchierten Unsinn in die Welt zu setzen, weil die Leute das glauben und man damit dazu beiträgt, Landschaften in Köpfen zu gestalten ... steht vielleicht auf einem ganz anderen Blatt.

LG
Thali
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Lavendel am 05. Juli 2013, 07:21:26
Zitat von: Snöblumma am 04. Juli 2013, 13:31:08

Provozierende Gegenfrage: Wenn es schlecht ist, anderen Kulturen meine europäische Sicht aufzudrücken - wieso ist es dann gut, wenn ich mir dir Sicht dieser Kulturen aufdrücken lasse? Wir gehen inzwischen (in meinen Augen zum Glück, das sei an dieser Stelle zugestanden, aber schon mein Mann ist da anderer Ansicht) locker mit Traditionen und gerade Glauben um. Wir mixen, wie es uns gefällt, nehmen hier ein Stück und dort ein Stück. Das ist eine Sicht, die Welt zu sehen. Große Teile der Welt sehen es anders. Aber der gewissermaßen vorauseilende Gehorsam vor denen, die ein Problem mit freiem Mixen haben, nimmt mir meine Freiheit - und das mag ich nicht. Ganz einfach und plump ausgedrückt.

Weil die europäische Kultur die Kultur der "Mehrheitsgesellschaft" ist (in Anführungsstrichen, weil wir eigentlich nicht die meisten sind). Der europäische/nordamerikanische Kulturkreis ist der Raum, an dem (noch?) die größte wirtschaftliche und politische Macht klebt (trotz Krise). Währenddes Kolonialismus sind die meisten anderen Kulturen systematisch ausgebeutet unterdrückt oder sogar ausgelöscht worden. Niemand verbietet, sich kulturelle Eigenarten aus anderen Regionen der Welt anzueignen, und niemand wird sich vermutlich beschweren, wenn man es auf respektvolle Weise tut.
Sowieso hat das in dieser Richtung wenig mit "aufdrücken" zu tun. Wir entscheiden doch, was wir gut finden und setzen es dannn in unsere eigene Kultur um. Ein Problem wird es dann, wenn man mit Traditionen einer lange marginalisierten Gruppe respektlos umgeht und sie zum Beispiel für rein kommerzielle Zwecke ausbeutet - weil sich dann eben das Muster der Ausbeutung auf einer anderen Ebene wiederholt und die betreffende Gruppe nur erneut marginalisiert wird, anstatt etwas näher in die Mitte zu rücken.

Aber zu Katis Beitrag:
ZitatMir ist kein besserer Begriff eingefallen, weil es mir ja bewusst darum ging, dass sich ein westlicher Autor eine fremde Kultur zu Nutzen macht, um seinen Roman zu schreiben und zu verkaufen. Was du schreibst, stimmt schon, vordergründig ist es schlechte Recherche. Es gibt aber auch diese "Kein Bock"-Fälle, in denen Autoren eine fremde Kultur bloß als Hintergrund nehmen um eine x-beliebige Geschichte zu erzählen, die auch bei ihnen in der eigenen Straße hätte passieren können. Die fremde Kultur ist dann eben bloß für den Coolness-Faktor dabei und wird dann meist auch noch falsch dargestellt, weil man für einen Hintergrund keine Recherche betreiben möchte. Ich wusste nicht, wie ich sowas nennen sollte. Aneignung ist es eigentlich nicht, aber irgendwie ja doch: Ich nehme mir Teile einer Kultur und verbastle sie, wie ich das möchte, egal, ob Menschen aus dieser Kultur das gut oder schlecht finden. Ich habe den Begriff mal so erklärt gelesen: Man nimmt sich etwas, was jemand anderem viel bedeutet und zerhackstückelt das, wie man möchte, weil es einem ja selbst ja eigentlich nichts bedeutet, außer, dass es schön aussieht oder "cool" ist.

Das steht ja auch oben so, nur die Diskussion ging in eine andere Richtung. Literaturhistorisch findest du da sicherlichich unglaublich viele Beispiele, die belegen, dass es gerechtfertigt ist, über andere Kulturen zu schreiben. Nur weil in dem Pass einer Autorin nicht eine bestimmte Nationalität steht, ist sie noch längst nicht unqualifiziert, über Menschen aus einem bestimmten Land/Kulturkreis zu schreiben.
Ich denke nicht, dass etwas dagegen spricht, außer vielleicht ein zu leichtfertiger Umgang mit Fakten, die man nur zur Hälfte kennt. Sich aber die Frage zu stellen, ob das, was man da schreibt, so in Ordnung ist oder ob es möglicherweise andere Leute vor den Kopf stoßen könne, ist schon eine Menge wert, denn da fängt ja schon das an, was eigentlich wichtig ist, nämlich der Respekt. Das Buch ist immer schon Kulturgut und Handelsware zugleich gewesen, deshalb wird sich dieser Konflikt nicht ganz auflösen lassen, weil man ja auch veröffentlicht, um Geld zu verdienen - bzw. es automatisch tut.

(allerdings dürfen Autoren durchaus mal Leute vor den Kopf stoßen, nicht dass ihr jetzt denke, ich würde meinen, man dürfte nichts kontroverses schreiben ... ;))
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Angela am 05. Juli 2013, 08:48:00
Wenn man Russe sein müsste oder Amerikaner, müsste der Autor dann nicht auch aus der Schicht stammen, die er beschreibt?
Ich will damit sagen, wir nähern uns nur von außen an die Realität unserer Protas an, können uns bemühen, sie abzubilden, kennen ihre Lebenswelt aber nur eingeschränkt. Und das macht jeder von uns sicher so gut er kann und steckt die Arbeit hinein, die er für nötig hält. (Oder sucht sich einen 'Platzhalter', oder schreibt das, was die Leute halt lesen wollen, und wird auch so reich ;D.)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 07. Juli 2013, 23:41:47
Ich bin davon überzeugt, dass ein Autor nicht nur über das schreiben darf, was er kennt. Jeder Autor kann einen Roman über Japan oder die russische Revolution schreiben, selbst wenn er aus einem kleinen Dorf im Süden Bayerns kommt. Dabei hat der Autor jedoch stets die Verantwortung, intensiv genug zu recherchieren, um alles authentisch darzustellen. Es reicht nicht, sich den Wikipediaartikel zur russischen Revolution durchzulesen und dann noch Anna Karenina zu sehen, weil das ja auch in Russland spielt. Wer sich ein Setting ausleiht, muss auch sorgsam damit umgehen. Wer über seinen Tellerrand hinaus schaut, muss genau hinsehen, bevor er anderen davon mit jenem Anspruch von Authentizität erzählt, den Romane oft genug erheben. Mich reizt beispielsweise auch seit Jahren eine Geschichte rund um das alte Japan, aber ich traue mich da noch nicht so heran, weil ich es mich nicht trauen würde, das ohne eine sehr intensive Recherche einfach so runterzuschreiben. Aber ich will diesen Roman noch schreiben.

Interessant gerade zum Thema Indien finde ich, was ich vor ein paar Jahren mal bei der Recherche für ein Referat über Bollywood gelesen habe. Die indische Filmindustrie bedient bewusst Klischees, um auch dem ausländischen Publikum das Indien zu geben, das sie sehen wollen. Niemand wird bestreiten, dass es im indischen Alltag ein wenig anders aussieht als in diesen schillernden Dreistündern, nicht nur während der Tanzszenen. Und das kommt gerade von dort, wo man doch Authentizität am ehesten erwarten würde. Wer soll denn Indien richtig darstellen wenn nicht die Inder selbst?
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 03. September 2021, 14:34:16
Oh, ein Thema mit dem ich mich ausführlich auseinander gesetzt habe. Kulturelle Aneignung ist etwas, über das ich mir halt viele Gedanken mache und diese auch im Rahmen meiner Dekolonialisierung der Phantastik Reihe festgehalten habe. Inklusive dieses Artikels eben spezifisch zum Thema kulturelle Aneignung (http://alpakawolken.de/dekolonialisierung-der-phantastik-kulturelle-aneignung/).

Letzten Endes lässt sich zusammenfassen: Kulturelle Aneignung ist nicht prinzipiell ein Problem. Wenn ich eine Geschichte schreibe, in der ich mir amerikanische "Gun, Burgers and Freedom" Kultur, samt weißköpfigen Seeadler, aneigne, dann mag das albern sein, aber letzten Endes entsteht dadurch kein großer Schaden. Und das ist halt eben das große Stichwort: Es entsteht kein großer Schaden. Denn Amerikaner als US-Amerikaner im allgemeinen werden weder diskriminiert, noch sind sie eine großartig ausgebeutete Gruppe (außer durch den Kapitalismus, aber das ist wieder ein anderes Problem), noch wurden sie oder die "Guns, Burgers and Freedom" Kultur historisch auf irgendeine Art unterdrückt. Außerdem dominieren sie und ihre Geschichten die internationale Medienlandschaft - es kann also kein Zweifel daran aufkommen, das Amerikaner*innen amerikanische Geschichten erzählen und davon sogar eine Menge Geld machen können.

Nehme ich mir aber nun statt der "Guns, Burgers and Freedom" Kultur, die Kultur der Navajo, so ist es etwas ganz anderes. Denn die Navajo haben bisher sehr wenige Möglichkeiten gehabt, ihre Geschichten in der Masse zu erzählen - deswegen haben die meisten Leute auch keine wirkliche Vorstellung davon, wie die Navajo-Kultur in wirklichkeit aussieht (die meisten wegen nur eine allgemeine, klischeeorientierte Vorstellung von "indigenen Amerikaner*innen" allgemein haben). Auch leben viele Navajo verarmt und können von ihren eigenen Geschichten nicht profitieren. Wenn ich also eine Geschichte über die Kultur der Navajo als weiße Person schreibe und diese veröffentliche, präge ich damit die Vorstellung der Leute mehr, als viele Navajo selbst die Chance hätten, sie zu prägen, was wahrscheinlich eine eher oberflächliche Darstellung sein wird, weil ich einfach nicht Navajo bin. Außerdem profitiere ich damit von einer Kultur, die historisch unterdrückt und ausgebeutet wurde. Und das ist halt unschön.

Deswegen gilt halt die Faustregel: Es ist nicht okay, als jemand aus einer traditionell kolonialisierenden Kultur über eine historisch gesehen kolonialisierte Kultur zu schreiben.

Allerdings gibt es dann halt eben auch diese Grenzfälle, die alles ein wenig komplizierter machen. Was ist mit China? China war nie wirklich kolonialisiert, hat aber unter der Kolonialisierung gelitten, ist nun aber selbst kolonialistisch. Was ist mit Japan? Japan war Kolonialmacht, allerdings war dies eine Reaktion darauf, dass versucht und angedroht wurde Japan zu kolonialisieren.

Und natürlich ist da noch die Sache mit der Diversität. In Sturmjägerinnen habe ich bspw. eine philippinische Hexe unter den Hauptfiguren und habe lange damit gekämpft, wie ich das mit ihrer Magie mache: Sage ich, ich gebe ihr, weil sie in den US aufgewachsen ist, einfach westliche Magie, oder gebe ich ihr philippinische Magie. Das eine löscht halt effektiv einen Teil ihrer Kultur aus, das andere ist kulturelle Aneignung. Letzten Endes bin ich halt dann doch mit der philippinischen Magie gegangen, weil es mir richtiger vorkam, als die Figur in ein westliches Bild zu stopfen.

Aber es ist eben ein sehr kompliziertes Thema.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Frostschimmer am 03. September 2021, 15:33:24
Hä? Moment mal, willst du damit allen Ernstes sagen, dass man als westlicher Autor zum Beispiel keine Geschichte schreiben soll, die in Indien spielt, weil das kulturelle Aneignung ist, selbst dann, wenn das Setting sauber recherchiert und nicht stereotypisiert dargestellt wird?

Ähm... tut mir leid, aber das sehe ich absolut nicht ein. Nach dieser Logik ist mir als Autor also verboten, über den Rand meiner eigenen Kultur hinauszublicken und mich mit solchen zu befassen, sie mich interessieren, wenn für diese jetzt gleichzeitig gilt, dass sie eine Kolonialisierungsvergangenheit haben? Ich finde das sehr extrem, ehrlich gesagt. Auch ergibt die Begründung für mich leider absolut keinen Sinn.
Auf der einen Seite sagst du, dass die Geschichten dieser Kulturen nicht genug erzählt werden, dann aber legst du fest, dass nur jemand, der innerhalb dieser Kultur sozialisiert wurde, das Recht hat, davon zu erzählen, nicht aber jemand, der sich aus kultureller Neugier darüber informiert hat.
Warum ist es denn schlimm, wenn jemand diese Geschichten erzählt? Damit wird der Kultur doch dann auch Aufmerksamkeit zuteil, die sie sonst vielleicht nie bekommen hätte? Das Argument, dass nun jemand, der nicht innerhalb der fraglichen Kultur sozialisiert wurde, sich die Gelegenheit einfach nehme, diese Geschichten zu erzählen, und somit jemand, der innerhalb der Kultur sozialisiert wurde, diese nun nicht habe, ergibt für mich keinen Sinn. Man nimmt doch dieser Person nicht ihre Gelegenheit weg, es können doch auch mehrere Autoren über einen Sachverhalt berichten, das ist doch kein Wettrennen!

Hinzukommt außerdem, dass wir hier immer noch von Fantasy-Literatur reden, da ist Realismus ohnehin nur eingeschränkt zu erwarten. Wenn sich nun also ein westlicher Autor ein indisches Vorbild für seine Fantasy-Welt heranholt, verstehe ich absolut nicht, warum das ein Problem ist. Vielleicht weckt der Autor damit beim Leser ja sogar das Interesse, sich mit der indischen Kultur auseinanderzusetzen?

Tut mir leid, aber bei dieser Diskussion über kulturelle Aneignung habe ich immer mehr den Eindruck, dass kulturelle Blindheit regelrecht gefordert wird, um zu verhindern, dass irgendjemand behaupten kann, ihm wurde etwas weggenommen. Das finde ich nicht gut, da auch niemandem etwas weggenommen wird, wenn jemand über seine Kultur schreibt.
Das hat für mich den Beiklang davon, dass jemand, der ,,nicht dazu gehört" auch nichts sagen darf. Das hält der Kunstfreiheit einen Dolch an die Kehle.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Ary am 03. September 2021, 15:51:49
Ich bin da komplett bei @Mondfräulein:

Zitat von: Mondfräulein am 07. Juli 2013, 23:41:47
Ich bin davon überzeugt, dass ein Autor nicht nur über das schreiben darf, was er kennt. Jeder Autor kann einen Roman über Japan oder die russische Revolution schreiben, selbst wenn er aus einem kleinen Dorf im Süden Bayerns kommt. Dabei hat der Autor jedoch stets die Verantwortung, intensiv genug zu recherchieren, um alles authentisch darzustellen. Es reicht nicht, sich den Wikipediaartikel zur russischen Revolution durchzulesen und dann noch Anna Karenina zu sehen, weil das ja auch in Russland spielt. Wer sich ein Setting ausleiht, muss auch sorgsam damit umgehen. Wer über seinen Tellerrand hinaus schaut, muss genau hinsehen, bevor er anderen davon mit jenem Anspruch von Authentizität erzählt, den Romane oft genug erheben.

Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: tarepanDaya am 03. September 2021, 17:05:15
@AlpakaAlex Das ist ein Thema, was mich auch schon lange umtreibt. Danke fürs Hochholen und für den Link zu deinem Blogbeitrag mit den weiterführenden Links. Da kann ich mich weiter belesen und informieren! :vibes: - Ich fand auch den Link von (ich glaube) Malinche ganz interessant: Was ist Kulturelle Aneignung (https://www.deutschlandfunk.de/popkultur-debatte-was-ist-kulturelle-aneignung.1184.de.html?dram:article_id=397105). Wie du schon sagst, ist es ein komplexes Thema, und weil ich noch Input suche, habe ich dazu auch noch keine hilfreiche Meinung.  :omn:
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 04. September 2021, 02:14:55
Es hilft in dieser Diskussion halt auch niemandem, wenn man sich sofort empört und die Kunstfreiheit bedroht sieht, nur weil sachlich und differenziert darüber diskutiert wird, wann man mit seinen Geschichten Schaden anrichtet und wann nicht. Dann eskalieren wir die Debatte wieder auf ein Level, auf dem man sie einfach nicht mehr führen kann. Und das kotzt mich inzwischen halt ehrlich gesagt einfach nur noch an.

Ich habe mich seit 2013 auch noch mehr mit diesem Thema beschäftigt und würde meinen Standpunkt jetzt vielleicht anders erklären. Ich denke, es ist halt einfach wirklich kompliziert und kommt immer irgendwie drauf an. Aber nach wie vor sehe ich es immer noch so, dass man einfach echt viel recherchieren muss. Und wenn ich mich so intensiv mit einer Kultur auseinandersetze, dann sollte ich irgendwann wissen, ob ich meine Geschichte erzählen kann oder nicht, denn zu einer Kultur gehören immer auch Menschen, die Meinungen dazu haben, wie sie selbst in Geschichten dargestellt werden sollten und wie eben nicht. Als Beispiel finde ich zeigen die Quileute ganz gut, wie kompliziert das sein kann. Soweit ich informiert bin, sehen viele die Twilight-Romane als zweischneidiges Schwert, denn auf der einen Seite hat die Aufmerksamkeit dem Stamm in mancher Hinsicht geholfen, auf der anderen Seite kennen viele den Stamm nur durch die Twilight-Romane und viele kritisieren die Darstellung in den Büchern und Filmen.

Das überschneidet sich auch mit der Thematik, wann eine Geschichte Own Voices Autor*innen eher schadet und wann sie ihnen eher nützt. Außerdem würde ich hier auch nochmal zwischen Geschichten differenzieren, die wirklich konkret ein für diese Kultur spezifisches Thema aufarbeiten und solchen, die die Kultur eher als Setting nutzen. Eine Hauptfigur mit Wurzeln in Japan ist etwas anderes als eine Geschichte darüber, wie es ist, Japaner*in zu sein. Das macht finde ich auch nochmal einen Unterschied.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Arcor am 04. September 2021, 11:31:42
@Frostschimmer
Ich kann deine grundsätzliche Reaktion nachvollziehen, mir ging es am Anfang auch so. Ich glaube, man muss das aber differenzierter sehen. Es hängt schlicht von vielen Faktoren ab.

Zum einen gibt es immer noch wahnsinnig viele Autor*innen, die nur oberflächlich recherchieren. Bei der Darstellung von anderen, realen Kulturen tun sich dann aber unzählige Stolperfallen für Rassismus, Kolonialismus, Slurs und Diskriminierung auf, weil schnell entsprechende Klischees bedient werden. Dies kann man durch sehr viel Recherche und Auseinandersetzung mit den entsprechenden Themen gut umgehen, sodass dann sicher nichts dagegenspricht, über diese Kulturen zu schreiben. Oder?

Hier tun sich aber zwei andere Dinge auf, die beachtet werden sollten. Zum einen, dass es oft für nicht-weiße Autor*innen schwierig ist, veröffentlicht zu werden. Der Buchmarkt in vielen westlichen Ländern ist primär weiß. Schreibt man dann als weiße*r Autor*in über eine andere Kultur, kann es sein, dass ein Verlag sich freut und es verlegt, aber dafür nicht das Buch einer Person dieser Kultur, weil der Verlag sagt: "Wir haben da ja schon was." Das muss nicht so sein, es kann aber passieren, und insofern ist es manchmal doch ein Wettbewerb/Rennen, jedenfalls wenn es nicht nur ums Schreiben an sich, sondern auch um das Veröffentlichen geht.

Zum anderen hängt es glaube ich immer auch von der konkreten Geschichte ab, ob es "in Ordnung" ist, als weiße*r Autor*in über eine fremde Kultur zu schreiben. Gerade wenn Themen wie Kolonialismus, Diskriminierung, Rassismus oder sonstige Formen von Feindlichkeit thematisiert werden, sollte man sich überlegen, ob man - auch mit umfassender Recherche - in der Position ist, eine solche Geschichte zu schreiben, oder ob dies nicht lieber den entsprechenden Personen überlassen werden sollte, den sogenannten own-voice-Autor*innen.
(Das kann auch bei ganz unverfänglichen Themen der Fall sein. Zum Beispiel, ich bin ein Mann und ich denke, es ist okay, Figuren in meinen Büchern auftreten zu lassen, die schwanger sind. Sollte ich aber ein Buch schreiben, das sich in der Ich-Perspektive im Detail mit Schwangerschaft, Veränderungen des eigenen Körpers etc. auseinandersetzt? Ich glaube nicht, weil ich es auch mit noch so guter Recherche zwar verstehen, aber nicht wirklich nachempfinden kann.)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 04. September 2021, 12:57:35
Die Sache ist nun einmal diese: Man kann so viel recherchieren, wie man will, aber man wird nie eine Geschichte auf dieselbe Art schreiben, wie jemand, der in dieser Kultur lebt. Selbst wenn man jetzt rein hypothetisch als deutsche*r Autor*in in das Land zieht und da für eine Weile lebt, hat man immer noch eine komplett andere Erfahrung, als jemand, der in der Kultur aufgewachsen ist. Ist halt einfach so.

Und wenn wir jetzt nun einmal bei dem Beispiel der Navajo bleiben: Das ist einfach eine aktive, unterdrückte Religion. Und es ist halt einfach nicht in Ordnung aus einer solchen unterdrückten Religion Aspekte zu benutzen, um sein Fantasy-Buch aufzupeppen. Gerade während halt Leute aus dieser Kultur keine Möglichkeit bekommen, diese Geschichten irgendwie auf ihre Art und Weise zu erzählen.

Und dieses: "Das lass ich mir aber nicht verbieten!" ist halt auch einfach nur weißes Privileg, das da spricht. Weiße Menschen sind es halt gewohnt, sich einfach aus anderen Kulturen zu nehmen, was ihnen gefällt, und damit zu machen, was sie wollen.

Und es ist halt auch noch einmal ein riesiger Unterschied ob man russische Revolution, irgendwas mit Indien, modernes Japan oder über indigene amerikanische Völker schreibt. Russische Revolution ist halt komplett unproblematisch, weil es halt keine kolonialisierte, unterdrückte Kultur ist. Da ist es relativ undramatisch. Modernes Japan ist schon ein wenig problematisch - gerade weil die Neigung oft dazu geht bestimmte Vorstellungen zu verbreiten - aber bei weitem nicht so sehr, da Japaner*innen auf der internationalen Bühne halt genug Möglichkeiten haben ihre eigenen Geschichten zu erzählen (japanische Produktionen werden international vermarktet und so). Indien ist schon einmal ein Stück problematischer. Die haben auch internationale Vermarktung ihrer eigenen Medien, sind aber kulturell gesehen viel mehr gegängelt und haben halt viel stärker unter dem Kolonialismus gelitten. Und indigene amerikanische Kulturen sind halt in meinen Augen ein No-Go, weil die halt kaum die Möglichkeit bekommen, irgendwo etwas eigenes zu erzählen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Amanita am 04. September 2021, 14:08:23
Zumindest ich habe bis jetzt nicht mitbekommen, dass irgendjemand hier vorhat, Elemente indigener, amerikanischer Kulturen in eine Fantasywelt einzubauen und darauf besteht, das tun zu dürfen. Wenn man aber betrachtet, welcher Schaden dadurch bei einem in Deutschland auf Deutsch veröffentlichten Buch angerichtet wird, halte ich den für sehr überschaubar, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Angehörige der Kultur oder Menschen, die einen direkten Einfluss auf ihre Lebensrealität haben, das Buch jemals lesen werden ist äußerst gering. Trotzdem ist es eine Frage des Anstands, so etwas zu unterlassen, wenn die Angehörigen der Kultur es mehrheitlich explizit nicht möchten.
Schlecht recherchierte Darstellungen anderer Kulturen sind immer ärgerlich und frustrierend, für Angehörige der schlecht dargestellten Gruppe und alle anderen, die sich besser mit dem Thema auskennen. Diese Leuten werden das Buch dann höchstwahrscheinlich auch nicht mögen. Deswegen ist es grundsätzlich sinnvoll, sorgfältig zu recherchieren, wenn man über andere Kulturen schreiben möchte, aber darunter fällt für mich auch schon, wenn die Geschichte eines deutschen Autoren beispielsweise in New York spielen soll.

Die zweite Frage ist dann, wann wirklich durch schlechte Darstellungen, oder überhaupt durch Darstellungen anderer Kulturen Menschen konkret Schaden zugefügt wird. Um das zu entscheiden, reicht es meiner Meinung nach nicht, sich einfach anzuschauen, was in den USA für problematisch erachtet wird und es in der dortigen Gesellschaft sicherlich auch ist, und dies dann eins zu eins auf Deutschland zu übertragen, wo die Unterdrückungsdynamiken und auch die historischen Verfehlungen ganz andere sind.
Trotz aller kolonialer Beteiligung hat Deutschland doch hauptsächlich auf dem eigenen Kontinent gewütet und sowohl der Holocaust als auch der Vernichtungskrieg im Osten sind Themen, die man als deutscher Autor nicht einfach ignorieren kann. Gerade letzteres spielt in den meisten Debatten aber kaum eine Rolle, ganz im Gegenteil, zumindest gegenüber Russland macht sich im politischen Diskurs jeder verdächtig, der zuwenig Feindseligkeit an den Tag legt.
Ich würde es definitiv nicht als unproblematisch ansehen, als Deutsche über die Russische Revolution zu schreiben, gerade auch, weil deutsche Machtpolitik daran einen massiven Anteil hatte. (Lenin aus dem deutschen Asyl einreisen lassen, damit die Bolschewiken an die Macht kommen und den Kapitulationsvertrag unterschreiben...)

Aber wieder zurück zu meiner Ausgangsfrage: Wann kann ein Buch über eine bestimmte Gruppe, dieser Gruppe wirklich schaden?
Wenn der Autor in Konkurrenz zu Angehörigen der Konkurrenz tritt, die ihre Bücher auf demselben Markt anbieten wollen, aber schlechtere Chancen haben. (Ein Punkt, der auf die Navajo in den USA zutreffen könnte, in Deutschland aber nicht.)
Wenn Angehörige der Gruppe eigentlich zur Zielgruppe gehören und dann nur diese schlechte Darstellung ihrer Gruppe vorfinden.
Und der meiner Meinung nach gravierende Punkt: Wenn das Buch gefährliche Klischees verbreitet, oder die anderen innerhalb einer Gemeinschaft gegen die Gruppe aufhetzt.
Als Beispiel fällt mir dafür ein, wenn asiatische Frauen als devot und willig dargestellt werden und das dann Männer mit entsprechenden Neigungen dazu animiert, Geschäftsmodelle auszunutzen, die asiatische Frauen ausbeuten.
Oder auch, wenn in einem Buch die Wahl eines muslimischen Politikers dazu führt, dass dieser ein islamistisches Kalifat errichtet, wodurch Wähler davon abgeschreckt werden, Politiker mit muslimisch klingendem Namen zu wählen, was dann deren Teilhabe erschwert.

Im Gegensatz dazu bezweifle ich, dass eine Fantasygeschichte, in der inspiriert vom Mahabharata die Geschichte eines Atomkriegs unter Aliens dargestellt, in Indien tatsächlich irgendjemandem schadet, auch wenn es vielleicht Leute gibt, die sichaufregen würden, wenn sie es zu lesen bekämen. Grundsätzlich finde ich das aber auch nicht verwerflicher, als wenn Deutsche in amerikanischen Filmen entweder als Naziantagonisten oder beim Oktoberfest in Berlin auftreten, oder wenn japanische Mangas Mariendarstellungen als Aufnahme von Magie über die Muttermilch interpretieren.

Die als Inspiration für Fantasy beliebtesten Länder sind ja soweit ich das mitbekomme eher China, Indien, Japan, Ägypten und der Nahe Osten als indigene oder auch afrikanische Kulturen. Bei China, einem Land, das militärisch, wirtschaftlich und wissenschaftlich sehr mächtig und uns tendenziell überlegen ist, sehe ich da keine Gefahr wirklichen Schaden anzurichten, bei Japan mit dem eigentlich immer auf Augenhöhe waren, auch nicht und Indien hat zwar mehr Probleme, ist aber immerhin Atommacht und uns also militärisch auch definitiv überlegen. Bei Ägypten und dem Nahen Osten ist es schwieriger, aber da gibt es zumindest sehr viele Möglichkeiten, den direkten Kontakt zu Menschen aus diesen Kulturen zu suchen, wenn man ihn nicht im Alltag sowieso schon hat und sich dann auch ausreichend auszutauschen, um genug zu lernen.
Bei allen sollte es aber natürlich trotzdem unterlassen werden, gegen diese Gruppen zu hetzen und wie schon mehrmals vorher geschrieben wurde, ist es auch wenig sinnvoll und angemessen, Geschichten darüber zu schreiben, was es bedeutet Mitglied einer Kultur zu sein, zu der man nicht gehört.

Bei afrikanischen und indigenen Kulturen scheint es ja wohl  eine Art Konsens zu geben, dass man es unterlassen sollte, als weißer Autor darüber zu schreiben, soweit ich das bis jetzt verstanden habe. Das ist ein Punkt, den man meiner Meinung nach bei den entsprechenden Diskussionen präzisieren sollte, damit sich nicht doch weiße Autoren angesprochen fühlen, wenn jemand anspricht, dass es zu wenig Repräsentation für diese Kulturen gibt.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 04. September 2021, 22:18:46
@Amanita Es ist vollkommen egal, ob jemand aus der etwaigen Kultur das Buch lesen wird. Der Schaden entsteht nicht, wenn jemand aus der etwaigen Kultur die Geschichte liest, sondern gerade wenn jemand, der der Kultur nicht angehört, diese Geschichte liest und sich deswegen ein falsches Bild über diese Kultur oder Elemente aus dieser Kultur bildet. Ein gutes Beispiel dafür sind beispielsweise yee naaldlooshii, weiter bekannt als Skinwalker. Die sind auch der Grund, warum ich die ganze Zeit die Navajo-Kultur als Beispiel heranziehe. Denn Skinwalker werden sehr gerne und immer und immer wieder in der Phantastik aufgegriffen, sowohl in Fantasy, als auch in Horror - und die Art, wie sie von nicht-Navajo Autor*innen dargestellt werden, ist nun einmal komplett falsch und auch sehr respektlos gegenüber der Bedeutung, die yee naaldlooshii in der Kultur der Navajo einnehmen.

Und nein, auch die Größe vom Militär und dergleichen hat absolut nichts mit kultureller Aneignung zu tun. Kulturelle Aneignung geht um zwei Dinge: 1) Welche Kulturen historisch unterdrückt wurden und 2) wer sowohl historisch, als auch aktuell die Macht über Geschichten hat. Und kein noch so großes Militär kann dir die Macht über Geschichten kaufen. Die entsteht einfach komplett aus der historischen Macht heraus. Es geht darum, das bestimmte Geschichten historisch unterdrückt wurden und teilweise es auch noch immer werden.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Frostschimmer am 05. September 2021, 12:37:48
Also, angenommen, ich würde etwas über Skinwalker schreiben, dann würde ich dabei höchstwahrscheinlich einfach an Wesen denken, die nach außen erst mal menschlich wirken, sich aber in andere Wesen verwandeln können, grundsätzlich also Gestaltwandler. Ich hätte dabei sicher nicht ,,yee naaldlooshii" im Sinn. Kann ja sein, dass der ursprüngliche Skinwalker den zum Vorbild hatte, aber die Navajo haben ja kein Patent auf Gestaltwandler. In der japanischen Kultur fallen mir da spontan die Tanuki ein, die haben das auch drauf, und selbst Figuren westlicher Märchen können das, Schneewittchens Stiefmutter zum Beispiel, oder auch Maleficent. Auch ältere Überlieferungen haben solche Wesen, zum Beispiel Loki oder sogar Lucifer (die Schlange). Gestaltwandler sind ein sehr, sehr altes Phänomen. Hierbei jetzt also Respektlosigkeit der Navajo-Kultur zu unterstellen, ist einfach unangebracht.

Abgesehen davon – das sagte ich schon einmal – reden wir hier immer noch von Fantasy. Ich schreibe also, wenn ich jetzt Anteile aus der Navajo-Kultur als Inspiration hernehme, nicht über die Navajo, sondern über ein fiktives Volk, das anteilsweise von den Navajo inspiriert ist. Ich nehme mir nicht heraus, zu behaupten, ich wüsste, wie es ist, ein Navajo zu sein. Ich gebe auch nicht vor, mich mit deren Kultur auszukennen, ich hätte in dem Fall nur einzelne Elemente als Inspiration für ein Fantasyvolk verwendet.
Da holt man sich die Inspiration überall und ich sehe absolut nicht ein, warum ich bestimmte Elemente dann nicht verwenden darf, vor allem, weil ich sie dann nicht mit der möglichen Herkunftskultur in Verbindung setze.
Ich muss dazu aber auch sagen, dass es auf Kultur meiner Ansicht nach keine Besitzansprüche gibt. (Religiöse Aspekte sind anders zu bewerten.)

Ich finde es schlicht allgemein befremdlich, dass es offenbar den Anspruch gibt, bestimmte Elemente nicht verwenden zu dürfen, weil irgendjemand meint, das Exklusivrecht darauf zu haben.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 05. September 2021, 12:54:11
Zitat von: Frostschimmer am 05. September 2021, 12:37:48
Hierbei jetzt also Respektlosigkeit der Navajo-Kultur zu unterstellen, ist einfach unangebracht.

Unangebracht ist eher, dass du reale Problematiken wie Cultural Appropriation und Rassismus konstant kleinredest (nicht nur in diesem Thread sondern eigentlich immer, wenn es um das Thema geht) und dich dann groß drüber echauffierst, wie furchtbar es ist, dass dir jemand verbieten will, reale Kulturen, die durch Kolonialismus, Rassismus und Völkermorde fast ausgerottet wurden, für deine Fantasyromane zu verwursten. Du siehst es nicht ein, weil du es nicht einsehen willst. Du hörst nur dann zu, wenn du dich drüber aufregen kannst. Du versuchst nicht einmal zu verstehen, was das Problem dahinter ist und brichst es dann auf "Buhu, andere verbieten mir zu schreiben, was ich will" runter. Und das ist halt wortwörtlich respektlos.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Frostschimmer am 05. September 2021, 13:05:41
@Mondfräulein nö, das ist so nicht, ich sehe nur nicht ein, warum ich keine Elemente verwenden darf, die in eine Fantasywelt passen, nur weil es vor 250 Jahren vielleicht mal so war, dass Angehörige meiner Kultur eine andere unterdrückt haben. Außerdem stülpst du sehr oft Argumente über unsere Kultur, die aus dem nordamerikanischen Sektor kommen, und hier nicht passen.
Außerdem ist alles problematisch, wenn du nur lange genug gräbst. Die Schrift, die wir hier verwenden, ist nicht unsere, sie kam mit den Römern her, die Zahlen sind arabisch. Ich weiß, ich weiß, jetzt kommen wieder die "auf Augenhöhe" Argumente, aber so war das nicht. Es gab blutige Kriege.
Kulturen stehen im Austausch, das war schon immer so. Was ich nicht einsehe, ist, dass plötzlich alles ein Problem ist. Diese Argumente erzeugen Probleme, wo eigentlich keine sind/sein müssten.
Was ich im Moment sehe, ist ein absoluter Generalverdacht weißen Menschen gegenüber, respektlos und feindselig zu sein. Ich finde das wirklich traurig. Rassismus ist mir völlig fremd, das kannst du mir glauben, aber plötzlich soll das ein Problem sein.
Schade, wirklich. Eigentlich hatte ich hier auf einen Austausch auf "Augenhöhe" unter schriftstellerisch Tätigen gehofft, aber anscheinend gibt es hier überwiegend Politdiskussionen - nein, Moment, Politdebatten.
Sei's drum, ich halte mich raus.
LG
Frostschimmer
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 05. September 2021, 13:14:18
Der Punkt ist doch, und das haben hier genug Leute lange genug erklärt, dass diese Dinge vor 250 Jahren jetzt immer noch Konsequenzen haben. Wir leben in einem System, das aus dieser Zeit entstanden ist und immer noch bestimmte Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften systematisch benachteiligt. Die Römer sind keine von Diskriminierung betroffene Minderheit.

Und ja, Kulturen tauschen sich aus. Das ist auch etwas Schönes. Dieser Thread dient ja auch dazu zu sortieren, wann es sich um Cultural Appreciation, kulturellen Austausch und Cultural Appropriation handelt. Alle drei Dinge gibt es, den Unterschied zu erkennen ist nicht immer leicht.

Und nein, Rassismus ist dir nicht fremd. Die Aussage selbst ist wahnsinnig ignorant. Du ignorierst ihn nur. Weil du in einem rassistischen System lebst, in dem du selbst von Rassismus profitierst. Rassismus zu ignorieren ist ein Privileg, das nur die haben, die nicht davon betroffen sind. Rassismus zu ignorieren heißt aber auch, dass man das System unterstützt, das andere Menschen unterdrückt, diskriminiert und benachteiligt.

Es ist auch nicht "plötzlich" ein Problem. Es war immer ein Problem, Weiße haben es nur ignoriert und dafür gesorgt, dass es nicht als eines wahrgenommen wird, damit das System nicht ins Wanken gerät. Geändert hat sich nur, dass BIPoC endlich zugehört wird. Wirklich nur das.

Das Problem ist halt, dass wir in unserer Gesellschaft generell nicht auf Augenhöhe sind, weil wir in einer rassistischen Gesellschaft leben, die von rassistischen Machtstrukturen durchzogen ist. Um auf Augenhöhe über das Thema zu diskutieren, müssen wir Rassismus und die Stimmen von BIPoC anerkennen und ihnen zuhören. Wir müssen unsere weißen Privilegien anerkennen und erkennen, wann es halt auch einfach mal nicht um unserer Meinung und Befindlichkeiten geht. Anders kann man in Debatten um dieses Thema keine Augenhöhe feststellen.

Und das Argument "auf einmal ist alles politisch" ist halt auch so durchzogen von weißen Privilegien.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Frostschimmer am 05. September 2021, 13:22:57
Bitteschön, ich präzisiere es für dich:
Rassismus ist mir persönlich innerhalb meiner Gefühls- und Gedankenwelt absolut fremd. Ich finde Rassismus unlogisch und schwachsinnig. Mir ist klar, dass er existiert, ich kann das aber in meinem persönlichen Empfinden nicht verstehen. Wenn das ignorant ist, dann ist es so.
Das war's von mir dazu.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 05. September 2021, 13:45:14
Die Unterdrückung der indigenen Kulturen in den Amerikas hat bis kurz vor der Jahrtausendwende aktiv angehalten. Solange war es sowohl in Kanada, als auch in den USA noch so, dass es Gesetze gab, die das Ausleben dieser Kulturen verboten haben, und dass Kinder aus ihren indigenen Familien gestohlen wurden, um sie in speziellen Schulen zur "weißen Kultur" umzuerziehen.

Technisch gesehen werden sogar noch heute Kinder ihren Familien gestohlen. Indigenen und Schwarzen Familien wird überproportional häufig das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Nur dass die Kinder jetzt "ins System" wandern, anstatt in diese speziellen Schulen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mindi am 05. September 2021, 14:12:11
So ist auch kein Austausch möglich, wenn Forenmitglieder egal was sie schreiben Angst haben müssen, mit Vorwürfen und Pauschalisierungen konfrontiert zu werden, die in die eigenen Aussagen hineininterpretiert werden. Und dann nur einen Teil einer Aussage zitieren und sich darauf zu beziehen und alles, was davor stand, hinten runter fallen zu lassen.
Ich habe z.b. in @AlpakaAlexs Posting zum ersten mal von dem Begriff "Skinwalker" gehört bzw  "yee naaldlooshii" - danke übrigens - aber wie vermutlich jeder Mensch kenne ich Gestaltwandler in den verschiedensten Formen. Selbst die griechischen Götter haben ihre Gestalten gewandelt, das wären so für meinen Wissenshorizont, wenn man mich gefragt hätte was das älteste Beispiel eines Gestaltwandler ist, das erste, was mir eingefallen wäre. Neben der Schlange in der Bibel.

Ich sehe nirgends in Frostschimmers Posting, dass sie vorhat irgendwelche kritischen kulturellen Aspekte sich anzueignen. Eine Kultur ist nicht nur etwas, dass man sieht und hört, sondern für mich (eventuell habe ich da einen anderen Ansatz, weswegen ich Frostschimmers Aussage nicht pauschal als kritisch sehen würde) viele Asepkte des Zusammenlebens, dass eine Gesellschaft formt. Dazu gehören Kunst, Geschichten, Musik und alles was dazu gehört, und diese zu schaffen, aber auch die Art, wie die Mitglieder zueinander stehen, wie sie leben, wo sie leben, Religion, Bräuche, Sitten, Sprache, Schrift usw.
Wovon genau würde Frostschimmer sich inspirieren lassen? Ich weiß es nich. Allein schon weil sie das nie im Detail ausgeführt hat. (Ich weiß, das war nur ein Beispiel) Es wird einfach nur angenommen, dass etwas getan wird oder gemeint ist, dass kritisch zu bewerten ist.

Ich denke, man muss in solchen Diskussionen vom Pauschalen wegkommen und eher im Detail besprechen. Und ohne die Details zu kennen, kann man nur schwer ein Urteil fällen. Das ist zumindest meine Meinung. Welche Elemente würde @Frostschimmer denn z.b. nehmen? Würde sie überhaupt etwas nehmen, das kritisch zu beurteilen ist oder würde sie sich eher von der allgemeinen Lebensart inspirieren lassen?

Wenn ich in einer Fantasywelt ein Volk oder eine Gemeinschaft oder was auch immer "erschaffe" dann ist die immer ein Stück weit mit mir, meinen Erfahrungen, meinem Wissen und sehr viel Logik verbunden. Manche Dinge ergeben sich einfach und sind allein aus klimatischen, ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten genau so passend für diese Gruppe Menschen (oder andere Lebensformen). Und wenn nun die Fantasy-Nomaden in einer ähnlichen Siedlungsform leben, wie ein real existierende Menschengruppe unserer Zeit oder unserer Weltgeschichte, dann ist das in meinen Augen keine kulturelle Aneignung. Werfe ich nun Klischees hinein, sagen wir ganz plump - da gibt es Federschmuck und Totems, die absoluten Klischees der westlichen Welt wenn sie an indigene Völker Notdamerikas denken. Ja, das ist etwas konkretes, das man tatsächlich beurteilen kann und das verurteilt werden kann. Ist die einzige Gleichheit des fiktiven Volkes mit einem real existierenden Gruppe, dass sie z.b. in Zelten leben und mit den Tierherden reisen, kann wohl kaum von Aneignung gesprochen werden.

Was ich damit sagen will - es wäre schön, wenn nicht alles pauschalisiert wird. Wenn nicht sofort das schlimmste erwartet wird und sofort, nur weil einem der Tonfall nicht gefällt, geschossen wird. Nicht jede Inspiration ist gefährlich und gerade solche Themen sollten meiner Meinung nach eher im Detail, als verallgemeinert besprochen werden.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Amanita am 05. September 2021, 14:45:48
Werwölfe sind ja das klassische Beispiel für Gestaltwandler in der europäischen Mythologie und ich gehe mal davon aus, dass niemand verlangt, dass wir auf sie in Zukunft alle verzichten sollen.
Das einzige Beispiel, was ich selbst kenne, wo tatsächlich indigene Gestaltwandlerkonzepte "verwurstet" werden, sind Rowlings amerikanische Magiekonzepte, aber ich lese auch nicht viel Urban oder Contemporary Fantasy. Was Rowling da veranstaltet hat, ist zweifellos absolut problematisch und weltenbastlerisch misslungen und wenn es Ähnliches öfter gibt, gilt das dafür genauso.
(In einem früheren Interview hat sie mal erklärt, dass Harry nicht ins Ausland reisen soll, weil sie ihre Geschichte auf Großbritannien fokussiert halten möchte und das wäre auch besser gewesen.)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 05. September 2021, 15:03:06
Was ich an den Beiträgen von Frostschimmer so problematisch finde ist nichts, was in ihren Romanen vorkommt oder damit zu tun hat, sondern die ewigen Relativierungen und Eskalationen. Ich versuche das mal runterzubrechen, vor allem, weil ich das generell sehr wichtig finde.

ZitatHä? Moment mal, willst du damit allen Ernstes sagen, dass man als westlicher Autor zum Beispiel keine Geschichte schreiben soll, die in Indien spielt, weil das kulturelle Aneignung ist, selbst dann, wenn das Setting sauber recherchiert und nicht stereotypisiert dargestellt wird?

Die Beiträge vorher sind ja sehr alt, AlapakaAlex hat den Thread dann wieder ausgegraben und einen sehr sachlichen und differenzierten Beitrag zum Thema geschrieben. Der Tonfall ist mit dem vorangestellten "Hä?" und "allen Ernstes" sofort sehr eskalierend. Es wird unterstellt, dass man etwas verbieten will und klar gemacht, dass das ja absolut unerhört ist.

ZitatÄhm... tut mir leid, aber das sehe ich absolut nicht ein. Nach dieser Logik ist mir als Autor also verboten, über den Rand meiner eigenen Kultur hinauszublicken und mich mit solchen zu befassen, sie mich interessieren, wenn für diese jetzt gleichzeitig gilt, dass sie eine Kolonialisierungsvergangenheit haben? Ich finde das sehr extrem, ehrlich gesagt. Auch ergibt die Begründung für mich leider absolut keinen Sinn.

Hier wird ein Strohmannargument eingebaut. Das Fazit von AlpakaAlex' Beitrag war, dass es kompliziert und nicht leicht zu beantworten ist. Hier wird von Frostschimmer sofort die Formulierung "es ist mir also verboten" benutzt, obwohl niemand etwas explizit verboten hat. Die Wortwahl ist sehr extrem und eskaliert das Thema so. Dann kommt "über den Rand meiner eigenen Kultur hinauszublicken". Das ist etwas, was allgemein positiv assoziiert wird, die Formulierung impliziert also "ihr wollt mir etwas Positives komplett verbieten". Was AlpakaAlex eigentlich gesagt hat wird so verdreht, dass man der Aussage eigentlich nur widersprechen kann. Niemand sagt zu "Ihr wollt mir also verbieten, über meinen Tellerrand hinauszublicken und mich mit anderen Kulturen zu beschäftigen" sofort Ja, aber das hat AlpakaAlex so auch nicht gesagt.

ZitatDas hat für mich den Beiklang davon, dass jemand, der ,,nicht dazu gehört" auch nichts sagen darf. Das hält der Kunstfreiheit einen Dolch an die Kehle.

Und dann kommt eben noch der Knüller am Ende. Sofort ist die Kunstfreiheit bedroht, das Todschlagargument schlechthin. Noch schön mit dem Bild des Messers an der Kehle, das impliziert, dass über das Thema zu diskutieren alleine ein gewaltvoller Akt sei.

ZitatAlso, angenommen, ich würde etwas über Skinwalker schreiben, dann würde ich dabei höchstwahrscheinlich einfach an Wesen denken, die nach außen erst mal menschlich wirken, sich aber in andere Wesen verwandeln können, grundsätzlich also Gestaltwandler. Ich hätte dabei sicher nicht ,,yee naaldlooshii" im Sinn. Kann ja sein, dass der ursprüngliche Skinwalker den zum Vorbild hatte, aber die Navajo haben ja kein Patent auf Gestaltwandler. In der japanischen Kultur fallen mir da spontan die Tanuki ein, die haben das auch drauf, und selbst Figuren westlicher Märchen können das, Schneewittchens Stiefmutter zum Beispiel, oder auch Maleficent. Auch ältere Überlieferungen haben solche Wesen, zum Beispiel Loki oder sogar Lucifer (die Schlange). Gestaltwandler sind ein sehr, sehr altes Phänomen. Hierbei jetzt also Respektlosigkeit der Navajo-Kultur zu unterstellen, ist einfach unangebracht.

Im Kontext finde ich die letzte Aussage sehr problematisch. Es geht hier ja nicht um Dinge, die wir uns ausdenken, sondern darum, dass Angehörige der Kultur das selbst kritisiert haben. Es geht hier nicht darum, einfach nicht zuzustimmen, sondern die Kritik an der Darstellung ihrer eigenen Kultur selbst zu kritisieren und gleichzeitig noch als unangebracht zu bezeichnen. Das finde ich ziemlich problematisch, weil das ganze Problem an der Debatte ja auch ist, dass diese Stimmen sowieso nicht gehört und unterdrückt werden.

ZitatDa holt man sich die Inspiration überall und ich sehe absolut nicht ein, warum ich bestimmte Elemente dann nicht verwenden darf, vor allem, weil ich sie dann nicht mit der möglichen Herkunftskultur in Verbindung setze.

"Ich sehe absolut nicht ein" eskaliert die Debatte wieder verbal, obwohl die Beiträge vorher wirklich sehr sachlich waren. "Nicht verwenden darf" impliziert wieder ein Verbot, das niemand ausgebrochen hat.

ZitatIch muss dazu aber auch sagen, dass es auf Kultur meiner Ansicht nach keine Besitzansprüche gibt. (Religiöse Aspekte sind anders zu bewerten.)

Das lenkt die Diskussion wieder auf Argumente, die so nie gefallen sind. Es ging nicht um Besitzansprüche sondern um die realen Probleme, die durch Cultural Appropriation entstehen können. Es pauschalisiert die Debatte auch auf eine Ebene, die vorher ja schon genauer ausdifferenziert wurde. Außerdem ist es an sich ignorant, weil es bei der ganzen Debatte ja darum geht, dass sich Menschen andere Kulturen aneignen. Hier findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Anstatt dass sich Kulturen von BIPoC von Weißen angeeignet werden, stellt man BIPoC als die mit den ungerechtfertigten Besitzansprüchen dar.

Zitat@Mondfräulein nö, das ist so nicht, ich sehe nur nicht ein, warum ich keine Elemente verwenden darf, die in eine Fantasywelt passen, nur weil es vor 250 Jahren vielleicht mal so war, dass Angehörige meiner Kultur eine andere unterdrückt haben.

Das ist problematisch, weil es Rassismus und Diskriminierung stark relativiert, als wäre das alles etwas, das vor 250 Jahren passiert und heute keine Auswirkungen mehr hat.

ZitatKulturen stehen im Austausch, das war schon immer so. Was ich nicht einsehe, ist, dass plötzlich alles ein Problem ist. Diese Argumente erzeugen Probleme, wo eigentlich keine sind/sein müssten.

Hier wird BIPoC wieder vorgeworfen, sie würden sich Probleme ausdenken und Probleme schaffen, wo keine sind. Das Argument ist problematisch, weil es denen, die unter Diskriminierung leiden, die Verantwortung für diese Probleme überträgt. Sie erzeugen die Probleme selbst, wo eigentlich keine sind. Es relativiert Rassismus und sorgt für eine Täter-Opfer-Umkehr.

ZitatWas ich im Moment sehe, ist ein absoluter Generalverdacht weißen Menschen gegenüber, respektlos und feindselig zu sein. Ich finde das wirklich traurig. Rassismus ist mir völlig fremd, das kannst du mir glauben, aber plötzlich soll das ein Problem sein.

Hier findet noch eine stärkere Täter-Opfer-Umkehr statt. Es geht hier um die Befindlichkeiten von Weißen, die unter dem Vorwurf des Rassismus ach so sehr leiden. Es wird wieder impliziert, dass Rassismus ein plötzliches Problem ist, das von BIPoC geschaffen wurde. Es wird impliziert, dass das Problem daran vor allem ist, wie sehr Weiße unter diesem Verdacht leiden.

ZitatSchade, wirklich. Eigentlich hatte ich hier auf einen Austausch auf "Augenhöhe" unter schriftstellerisch Tätigen gehofft, aber anscheinend gibt es hier überwiegend Politdiskussionen - nein, Moment, Politdebatten.

Politisierung ist generell etwas, zu dem es viel zu sagen gibt, aber dazu müsste ich es recherchieren, um es wirklich gut in Worte packen zu können. Warum das Argument mit der Augenhöhe problematisch ist, habe ich ja schon gesagt.

Insofern: Ich werde in diesen Debatten nicht so garstig, weil ich den Argumenten nicht zustimme, sondern weil Tonfall und Rhetorik problematisch sind. Das sind alles Dinge, die in solchen Debatten immer wieder passieren und die eine wirkliche Diskussion unmöglich machen. Das Thema ist kompliziert, was hier ja schon sehr gut dargestellt wurde. Es lässt sich nicht auf "Man darf nur über Weiße schreiben wenn man weiß ist" runterbrechen, genau das wird hier aber impliziert. Und das verhindert eine wirklich differenzierte und konstruktive Diskussion.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Frostschimmer am 05. September 2021, 15:25:26
Ich unterstelle nicht, dass Rassismus ein plötzliches Problem sei. Ich stelle fest, dass meine Einstellung bzw. die Tatsache, dass ich keinerlei rassistische Gedanken hege und entsprechend schreibe, als problematisch angesehen wird.
Zum Rest sage ich nichts weiter, man dreht mir die Worte doch wieder um...
Egal, ich will keinen Ärger.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Romy am 05. September 2021, 17:03:52
Danke @Mondfräulein, volle Zustimmung von mir.  :jau:
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Soly am 05. September 2021, 20:59:41
@Frostschimmer
Pass auf, der Grund, warum hier gerade der Ton wieder rauer wird, ist folgender:
Wir alle tragen rassistisches Gedankengut in uns, irgendwo tief drin in unseren Denkmustern und Schemata. Niemand von uns findet Rassismus gut, aber wir alle tragen ihn in uns. Du, ich, @Mondfräulein , @AlpakaAlex , wir alle.
Wir können da nichts dafür oder dagegen, wir müssen uns deshalb weder schuldig fühlen noch gegenseitig Vorwürfe machen, wir müssen es einfach nur wissen und uns annehmen.
Der Anspruch, zu einhundert Prozent rassismusfrei zu sein, ist für niemanden von uns umsetzbar. Wir können es nur immer wieder versuchen und dazulernen.
Rassismus ist ein Problem, mit dem wir alle zu tun haben, ob wir wollen oder nicht. Das abzustreiten ist tatsächlich gefährlich.
Ansonsten gebe ich @Mondfräulein damit recht, dass du einiges überspitzter wiedergegeben hast als es eigentlich formuliert wurde. Es geht wirklich nicht darum, etwas zu verbieten. Nur sich der eigenen Verantwortung bewusst zu sein. Und ich habe ehrlich gesagt das Gefühl, im Moment bist du das nicht. Deshalb bekommst du gerade Gegenwind ab.

Ich stimme aber auch @Mindi zu, dass es schwierig ist, so etwas abstrakt ohne konkretes Szenario zu diskutieren. Da ist es nochmal leichter, etwas in den falschen Hals zu bekommen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Arcor am 06. September 2021, 10:10:46
Ich kehre mal zu einer konkreten Frage zurück und spreche jetzt einmal direkt euch an, @Mondfräulein und @AlpakaAlex, weil ihr euch offensichtlich sehr genau mit der Thematik auseinandersetzt.

Dafür bleibe ich jetzt mal bei dem genannten Beispiel der Navajo. Ich verstehe, dass es problematisch ist, eine Navajo-Figur auftreten zu lassen, aus den genannten Gründen. Ich verstehe auch, dass es ebenso problematisch ist, wenn man z. B. Elemente der Navajo-Kultur/-Mythologie in einem Urban Fantasy-Setting verwendet, weil man es einfach ,,nett" fand bei der Recherche.
Wenn ich aber von einem völlig fiktiven Setting ausgehe – High/Dark/Low Fantasy, Space Opera etc. – also einem Setting, in dem keinerlei Navajo existieren, und ich bei meiner Recherche einen Navajo-Mythos oder einen Aspekt ihrer Kultur spannend finde, ich mich davon inspirieren und in mein Setting einbauen möchte (nicht unbedingt 1:1, aber halt eben in der Grundidee ähnlich), wäre dies auch eine problematische kulturelle Aneignung?

Ich tue mich halt mit der Abstrahierung in fiktive Settings schwer, an welcher Stelle es anfängt, dabei problematisch zu werden und wo nicht. Ziehe ich als weiß*e Autor*in die Grenze einfach bei bestimmten Kulturen komplett (No-Gos)? Ziehe ich sie bei bestimmten Themen?  ???
Bei dem genannten Beispiel der Skinwalker ist die konkrete Verwurschtung dieses Mythos problematisch, das verstehe ich (weil Teil der Navajo-Kultur). Aber wie von @Mindi unter anderem angeführt, gibt es ja auch in anderen Kulturen Gestaltwandler – bei den antiken Griechen, in der nordischen Mythologie, in der slawischen, soweit ich weiß. Da nicht alle davon von Kolonialismus oder Rassismus betroffen sind/waren, kann das Konzept ,,Gestaltwandler" an sich ja nicht problematisch sein.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Araluen am 06. September 2021, 11:01:24
Bei den Mythen ist zu bedenken, dass jeder Mythos nach etwas anderen "Regeln" funktioniert. So ist ein Skinwalker einem Werwolf zwar sehr ähnlich. Aber es sind zwei unterschiedliche Typen von Gestaltwandlern (von amorphen Gestaltwandlern, die sich über die angenommene Gestalt definieren und keine eigene besitzen mal ganz abgesehen).
Nehme ich in meiner Geschichte eine Hexe oder einen Schamanen oder jemanden, der dieser Bezeichnung durch sein Tun nahe kommt, lasse ihn sich ein Tierfell überstreifen und ein böses Ritual durchführen, damit er danach als Wolf durch die Gegend läuft. Dann habe ich einen Skinwalker "nachgebaut" und sollte in meiner Geschichte darauf verzichten, da die Navajo darum bitten, dass ihre Mythologie eben nicht verwurstet wird.
Habe ich eine Person, die sich bei Vollmond unwillentlich in einen Wolf verwandelt, weil sie zuvor von einem anderen gebissen wurde, dann habe ich einen Werwolf nach modernerem Konzept (ursprünglich gehörte die Übertragung-durch-Biss-Thematik wohl nicht zum Konzept) angelehnt an die nordische oder slawische Mythologie. Einen Werwolf nach dieser Machart kann man nach meinem Verständnis durchaus verwenden. Es spricht meiner Meinung nach also nichts gegen Gestaltwandler im Allgemeinen, da es Gestaltwandler mit unterschiedlichsten Konzepten in den Unterschiedlichsten Kulturen gibt, aber es spricht etwas gegen Gestaltwandler, die einem bestimmten Typ - dem Skinwalker - nachempfungen wurden und schlimmstenfalls auch noch genauso heißen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 06. September 2021, 12:22:47
Das kommt glaube ich wirklich immer drauf an. Es gibt hier keine pauschalen Antworten fürchte ich. Ich persönlich denke auch, dass man zum Beispiel Angehörige der Kultur grundsätzlich schon auftreten lassen kann, es kommt dann eben stark auf das Wie an. So wie ich es verstanden habe, war das Problem an Twilight ja zum Beispiel nicht, dass die Quileute vorkommen, sondern wie ihre Mythen verändert und benutzt wurden (aber korrigiert mich da gerne). Figuren vorkommen zu lassen, die zu einer bestimmten Gruppe gehören, und die Mythen dieser Gruppe für meinen Fantasyroman zu benutzen oder zu verändern sind erstmal zwei verschiedene Dinge.

Gestaltwandler sind denke ich auch generell unproblematisch. Das Konzept kommt in vielen verschiedenen Kulturkreisen vor. Ich habe noch nicht mitbekommen, dass sich da generell jemand drüber beschwert hat. Problematisch wird es denke ich dann, wenn das Konzept meiner Gestaltwandler so sehr an den Mythos einer realen Kultur erinnert, dass man einen Zusammenhang ziehen kann, wenn man den Mythos kennt. Bei den Navajo würde ich das dann generell nicht machen. Anders ist es zum Beispiel bei der Arkadien-Reihe von Kai Meyer. Er bedient sich da griechischer Mythen. Die werden oft für Fantasyromane verwendet, ich habe aber noch keine Kritik gesehen, dass das generell problematisch ist (korrigiert mich auch hier gerne).

Ich sehe das wie @Araluen. Gestaltwandler sind nicht an sich problematisch, sondern nur Ähnlichkeiten und Anlehnungen an unterdrückte Kulturen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Soly am 06. September 2021, 13:01:59
Zitat von: Mondfräulein am 06. September 2021, 12:22:47
Ich sehe das wie @Araluen. Gestaltwandler sind nicht an sich problematisch, sondern nur Ähnlichkeiten und Anlehnungen an unterdrückte Kulturen.
Schön zusammengefasst. :) Das unterschreibe ich so.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Layka am 06. September 2021, 13:55:10
Zu den Quileute bin ich letztens auf diese Seite gestoßen, auf der die Twilight-Problematik von einem Museum in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des Quileute Tribe aufgedröselt wird: Burke Museum: Truth vs. Twilight (https://www.burkemuseum.org/static/truth_vs_twilight/index-2.html). Die Artikel stellen viele der schlechten Darstellungen aus Twilight klar und helfen damit mMn auch dabei, das von Problem von kultureller Aneignung allgemein besser zu begreifen, besonders der Abschnitt Cultural Theft (https://www.burkemuseum.org/static/truth_vs_twilight/facts-03.html).

Außerdem allgemein danke an @Mondfräulein und @AlpakaAlex für eure Beiträge.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 06. September 2021, 14:10:47
Wow, die Seite ist wirklich spannend! Zum einen werden viele problematische Aspekte an Twilight erklärt, die mir noch gar nicht bewusst waren, zum anderen kann man das bestimmt auch gut auf seine eigenen Werke übertragen, um problematische Darstellungen zu vermeiden. Das passt glaube ich auch wirklich gut in den Thread Tipps zum Schreiben von nichtweißen Figuren (BI_PoC) mit Linksammlung (https://forum.tintenzirkel.de/index.php?topic=26052.msg1267003#msg1267003), vielleicht magst du es da nochmal posten? Denn die Artikel auf der Website sprechen auch über Cultural Appropriation hinaus wichtige Punkte an.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Zit am 06. September 2021, 23:00:03
Zitat von: Mondfräulein am 06. September 2021, 12:22:47
Er bedient sich da griechischer Mythen. Die werden oft für Fantasyromane verwendet, ich habe aber noch keine Kritik gesehen, dass das generell problematisch ist (korrigiert mich auch hier gerne).

Was, denke ich, auch zum Großteil daran liegt, dass es kaum noch praktizierende Anhänger dieser Mythen/ Religion gibt, die sich beschweren könnten. (Und die, die es gibt, haben wohl kaum eine Plattform oder werden in unserer westlichen Welt nicht ernst genommen.)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Arcor am 07. September 2021, 11:58:48
@Araluen und @Mondfräulein
Vielen Dank für eure Rückmeldungen. Jetzt ist es mir noch etwas deutlicher geworden und es deckt sich erfreulicherweise mit meinen eigenen Gedanken dazu.  :)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Yamuri am 07. September 2021, 12:09:05
@Araluen: ich wusste gar nicht, dass das Skinwalker Konzept jenes ist, das du beschreibst.

Was ist das dann für ein Wesen, das Menschen tötet und die Haut der Menschen überzieht, um wie sie auszusehen? Weiß jemand aus welcher Mythologie oder Kultur das kommt? Oder ist das ein Mythos, den sich einfach irgendwann mal jemand ausgedacht hat? Irgendwie dachte ich immer Skinwalker sei soetwas, ein Wesen, das Menschen frisst und dann die Gestalt des Menschen annimmt. Da lag' ich dann ja komplett falsch mit meiner Vorstellung.  :o

Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Araluen am 07. September 2021, 12:21:40
Ich pachte da jetzt nicht die komplette Richtigkeit für den Skinwalker-Mythos. Das war die Zusammenfassung des Wikipedia-Artikels (https://de.wikipedia.org/wiki/Skinwalker) dazu. Aber laut des Artikels ist ein Skinwalker eine Hexe/Schamane, der böse Magie wirkt und durch diese die Gestalt des Tieres oder des Menschen annehmen kann, deren Fell/Haut er sich übergestreift hat.
Um den konkreten Mythos ging es mir auch gar nicht (trotzdem entschuldige ich mich, wenn ich hier etwas falsch wiedergegeben haben sollte), sondern darum, dass Mythen sich in ihren Nuancen unterscheiden. Deshalb ist nicht der Mythos selbst problematisch, sondern die Adaption, welche einer bestimmten Nuance folgt und sich einer unterdrückten Kultur bedient, die dadurch zum einen falsch oder klischeebehaftet dargestellt wird und zudem auch nichts von dem Geld hat, was letztlich damit verdient wird, wie der über Twillight verlinkte Artikel eindrücklich zeigt.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Yamuri am 07. September 2021, 12:39:29
Spannend :) Wieder was neues gelernt. Durch meine falsche Assoziation hätte ich nämlich jetzt gedacht, dass dieses Wesen, das ich fälschlicherweise damit assoziiert habe nicht erwünscht wäre, es zu verwenden.

Ich kann mir aber vorstellen, dass der umgekehrte Fall, wenn man einen Begriff unbedarft verwendet und sich herausstellt, dass der Begriff in einer best. Kultur etwas ganz anderes bedeutet, auch nicht ganz unproblematisch ist. Man sollte also auf jeden Fall, wenn man Begriffsbezeichnungen nutzt, die man nicht selbst frei erfunden hat, vorher nachschaun, ob der Begriff schon durch eine andere Beschreibung besetzt ist.

Über Twilight kann ich mir kein Urteil bilden, da ich weder die Bücher gelesen habe, noch die Serie gesehen. Ich empfand die Darstellung der Vampire (ausgehend von Trailern, die ich gesehen habe) als daneben, da Glitterpiere in meinen Augen einfach keine Vampire sind. Das verballhornt den Vampirmythos meiner Meinung nach, weswegen ich mich weigere Twilight zu lesen oder zu schaun.  ;D
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 07. September 2021, 12:56:07
Zitat von: Yamuri am 07. September 2021, 12:39:29
Ich kann mir aber vorstellen, dass der umgekehrte Fall, wenn man einen Begriff unbedarft verwendet und sich herausstellt, dass der Begriff in einer best. Kultur etwas ganz anderes bedeutet, auch nicht ganz unproblematisch ist. Man sollte also auf jeden Fall, wenn man Begriffsbezeichnungen nutzt, die man nicht selbst frei erfunden hat, vorher nachschaun, ob der Begriff schon durch eine andere Beschreibung besetzt ist.

Ja, das stimmt! Das kann auch in manchen Fällen wirklich hart problematisch werden, wie zum Beispiel bei Jay Kristoff. In Nevernight heißt einer der Vampire, der mit Blutmagie arbeitet, heißt Adonai - ein hebräischer Name für Gott. Blutrituale sind ein altes antisemitisches Stereotyp (siehe Ritualmordlegende). Selbst wenn das nicht absichtlich antisemitisch ist, ist es immer noch fürchterlich antisemitisch. Wir bedienen uns als Fantasyautor*innen häufig wirklich überall, wenn wir Namen für Figuren und Schauplätze suchen. Da sollte man immerhin soweit recherchieren, dass nicht so etwas herauskommt. Selbst wenn der Name selbst erstmal unverfänglich wirkt, sollte ich prüfen, ob ich damit nicht irgendwelche diskriminierenden Tropes reproduziere.

(Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit Jay Kristoff findet sich hier, falls das jemanden interessiert: http://thequakercampus.org/ae/the-problem-with-publishing-and-the-industry/)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Anj am 07. September 2021, 16:13:55
Mal eine Frage: Wie weit muss ich aus eurer Sicht als Autor denn zurückgehen? Bzw. ab wann ist aus eurer Sicht (bzw. aus Sicht der Überzeugungen, die ihr hier vertretet) denn irgendein Klischee/ ein Zeichen/ ein Symbol nicht mehr problematisch, weil die Bedeutung gar nicht mehr großflächig bekannt ist oder sie einen Bedeutungswandel erlebt hat?
Ich kenne zum Beispiel einige Zeichen, die nur noch wenige mit rechtsradikalismus in Verbindung bringen, weil sie heute neue Bedeutungen haben und mindestens in einem Segment mit neuer Bedeutung verwendet wird. Ich persönlich würde es sehr begrüßen, wenn diese Bedeutung irgendwann mal in Vergessenheit gerät und vollständig durch die neue ersetzt würde. (Ich persönlich würde mir das auch für viele andere Aspekte wünschen, aber das ist vermutlich auch wieder eine andere Herangehensweise an Dinge als andere sie haben)
Gilt bei euren Überzeugungen die Ansicht, dass alles was irgendwann mal problematisch war auch immer problematisch bleibt?
Wie ist das mit Ritualmorden und Menschenopfern im Krimi- und Thrillersegment? Damit sind für viele die Inkas verknüpft, also dürfte dieses Element doch strenggenommen auch nicht mehr verwendet werden, wenn Blutrituale oer se antisemitisch sind.

Es kann ja durchaus so sein, dass Blutrituale für bestimmte Gruppen automatisch antisemitisch besetzt sind und ich persönlich würde angesichts der aktuellen Entwicklungen in Deutschland an dieser Stelle auch noch weiter recherchieren wollen, bevor ich mich entscheiden würde das zu verwenden, aber ich Blutrituale sind für mich mit anderen Kulturen verbunden und auch nicht per se böse. Ist das in euren Augen (bzw. in Augen der entsprechenden Bewegungen) irrelevant, weil jede Form von Blutmagie als antisemitisch einzustufen ist, weil es diese Verbindung offenbar gibt?

Oder gilt die Assoziationskette Vampir --> Blutritual (ich kenne die Bücher nicht, kann zur Darstellung des Rituals also nix sagen, würde aber nur Blut trinken noch nicht als Ritual betrachten) --> antisemitisch deswegen in dem Beispiel als problematisch, weil der hebräische Gottesname den Bezug zum Judentum herstellt? (Die Kombination könnte, je nach Magiekonzept und Mythos, ja auch ohne Antisemtismus schon merkwürdig sein)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 07. September 2021, 16:42:09
Ich müsste das selbst nochmal genauer recherchieren, aber es geht glaube ich nicht darum, dass Blutrituale grundsätzlich antisemitisch sind. Es geht vor allem um den Kontext. Bei Jay Kristoff ist, soweit ich das gelesen habe, das Problem vor allem die Kombination der Blutmagie mit dem Namen.

Hier sind dazu nochmal zwei Twitter-Threads:
https://twitter.com/Shvartacus/status/1380194388517683203 (Englisch)
https://twitter.com/Livenitup_DE/status/1379788161505722368 (Deutsch)

Insgesamt muss man sich denke ich wirklich mit diesen Tropes beschäftigen und verstehen, warum sie so schädlich sind. Dann kann man erkennen, wann man drauf und dran ist, sie selbst in seine Bücher einzubauen.

ZitatMal eine Frage: Wie weit muss ich aus eurer Sicht als Autor denn zurückgehen? Bzw. ab wann ist aus eurer Sicht (bzw. aus Sicht der Überzeugungen, die ihr hier vertretet) denn irgendein Klischee/ ein Zeichen/ ein Symbol nicht mehr problematisch, weil die Bedeutung gar nicht mehr großflächig bekannt ist oder sie einen Bedeutungswandel erlebt hat?

Ich denke, es kommt darauf an, ob das heute noch reale Auswirkungen auf Menschen hat. Ganz grob gesagt. Aber ich denke, man muss da wirklich jeden Aspekt einzeln recherchieren.

ZitatIch kenne zum Beispiel einige Zeichen, die nur noch wenige mit rechtsradikalismus in Verbindung bringen, weil sie heute neue Bedeutungen haben und mindestens in einem Segment mit neuer Bedeutung verwendet wird. Ich persönlich würde es sehr begrüßen, wenn diese Bedeutung irgendwann mal in Vergessenheit gerät und vollständig durch die neue ersetzt würde. (Ich persönlich würde mir das auch für viele andere Aspekte wünschen, aber das ist vermutlich auch wieder eine andere Herangehensweise an Dinge als andere sie haben)

Ich persönlich würde mich nicht wohlfühlen, diese Symbole jemals zu verwenden. Es ist aber denke ich auch nicht an mir, sie zu reclaimen, weil ich kein Opfer des Nationalsozialismus bin. Außerdem ist hier das Problem, dass gerade diese Symbole sehr gerne von Neonazis benutzt werden, weil sie nicht offensichtlich von jedem erkannt werden.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Anj am 07. September 2021, 16:45:20
Danke für die Antwort.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 07. September 2021, 18:26:58
Zitat von: Anjana am 07. September 2021, 16:13:55
Oder gilt die Assoziationskette Vampir --> Blutritual (ich kenne die Bücher nicht, kann zur Darstellung des Rituals also nix sagen, würde aber nur Blut trinken noch nicht als Ritual betrachten) --> antisemitisch deswegen in dem Beispiel als problematisch, weil der hebräische Gottesname den Bezug zum Judentum herstellt? (Die Kombination könnte, je nach Magiekonzept und Mythos, ja auch ohne Antisemtismus schon merkwürdig sein)
Zumindest für mich (ich bin jüdisch) ist diese Kombination das Problem. Über Vampire an sich schreibe ich sehr viel selbst.
Aber die Kombination "Gottesname" (der außerdem in genau DIESER Form ausschließlich im Gebet verwendet wird, ansonsten aber mit "Haschem" ersetzt wird, wenn nur über Gebete geredet werden soll, aber nicht tatsächlich gebetet wird) plus "Blutritual als antisemitisches Klischee" plus die Tatsache, dass im Judentum der Konsum von Blut ein Tabu ist, sind einfach drei große Probleme auf einen Schlag.
Es ist also so ziemlich mit das Unsensibelste, was eine schreibende Person machen kann, das Ganze ausgerechnet so zu kombinieren.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Frostschimmer am 07. September 2021, 18:37:17
@Evanesca Feuerblut wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, wäre das Blutritual an sich also nicht problematisch, oder? Problematisch wird es hier dann wegen des Namens?
Blut ist in Judentum ein Tabu, soviel weiß ich, aber ein Blutritual ohne jüdischen Bezug wäre jetzt kein Problem, oder?
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 07. September 2021, 18:39:49
Exakt. Blutrituale an sich gibt es in einigen Religionen und magischen Praktiken ja weltweit. Hieße der Vampir "Herbert", wäre der Bezug nicht da. Aber hier hast du auch noch einen der jüdischen Gottesnamen und damit wird es haarig.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Frostschimmer am 07. September 2021, 18:44:38
Okay, danke für die Antwort und schon mal sorry, dass ich nochmal doof nachfragen muss, aber wäre es auch ein Problem, wenn er nach einem Dämon, zum Beispiel Asmodeus benannt wäre?
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Anj am 07. September 2021, 21:47:38
Ah, danke für die Antwort @Evanesca Feuerblut. Dass der Name nur im Gebet verwendet wird, war mir gar nicht so bewusst. Wieder was gelernt!   :jau:
Ich hab mir inzwischen auch angewöhnt Namen (vor allem ausgedacht, die oft gar nicht do ausgedacht sind) zu googlen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 24. März 2022, 15:28:43
Okay, dann erkläre ich hier noch mal, warum die Sache mit dem Machandel-Verlag so problematisch war. (Übrigens nicht der einzige Verlag, der so etwas gemacht hat, das sei einmal klar gesagt.)

Also, der Machandel-Verlag hat eine ganze Reihe von Ausschreibungen zum Thema "Märchen aus Kulturkreis X" gemacht. Viele davon waren zentraleuropäische Kulturkreise und effektiv klassische europäische Märchen (Grim, Anderson und so weiter), womit es kein wirkliches Problem gibt. Dann gab es russische Märchen, was ... Hmm, dazu gleich mehr. Denn dazu habe ich meine Meinung seit letztem Jahr ein wenig geändert. Aber was eben auch dabei war, waren Chinesische Märchen und Märchen aus dem arabischen Kulturkreis.

Und genau da ist eben das Problem: Sowohl die arabische Kultur, als auch die chinesische sind Opfer des Kolonialismus. Und speziell auf dem internationalen Markt dürfen diese Kulturen sich selbst kaum ausdrücken oder über ihre eigene Kultur schreiben. Das gilt natürlich besonders auch für Deutschland. Wir haben in Deutschland kaum Geschichten von arabischen oder chinesischen Menschen, die ihre eigenen Mythen und Märchen aufarbeiten. In dieser Grundvoraussetzung dann einen Wettbewerb machen, in dem ein Publikum aus in erster Linie weißen Autor*innen dazu aufgefordert wird, sich diese Mythen und Märchen anzueignen, ist halt einfach nur sehr respektlos und eine extrem privilegierte Haltung.

Dabei hätte es halt auch coole Möglichkeiten gegeben, was damit zu machen. Man hätte halt auch gezielt arabische und ostasiatische Autor*innen anschreiben können und sie für die Antho einladen können. Das wäre richtig cool gewesen und hätte eben auch geholfen diese Autor*innen ins Rampenlicht zu rücken. (Auch wenn nicht in Bezug auf kulturelle Aneignung, weil es damit nichts zu tun hat, aber: Man denkt halt, wie bei Urban Fantasy Going Queer gezielt queere Autor*innen rausgesucht wurden.)

Ich habe übrigens mittlerweile ein wenig Bauchschmerzen mit russischen/osteuropäischen Themen, weil ... Es ist kompliziert. So gesehen waren diese Kulturen nicht von Kolonialismus betroffen, allgemein werden die Kulturen als "weiß" gelesen, aber sie werden eben dennoch auch diskriminiert. Stichwort Antislawinismus und so. (Und full disclosure: Das betrifft mich halt auch mit, weil meine Familie väterlicherseits tschechisch ist und ich mütterlicherseits halt auch mit russische Wurzeln habe.) Aber dabei ist das Machtverhältnis definitiv noch einmal ein anderes, als bei der Aneignung aus kolonialisierten Kulturen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Der Inspektor am 24. März 2022, 16:55:59
@AlpakaAlex Erst einmal danke für die Erläuterung deiner Position. Ich wollte im anderen Thread ungern darüber sprechen, weil es um etwas anderes ging, aber hier ist ja der passende Ort.

Ich stimme dir in vielerlei Hinsicht prinzipiell zu, aber in manchen Punkten kann ich deiner Argumentation nicht folgen und halte sie im Gegenteil sogar für sehr destruktiv. Das ist mir schon aufgefallen, als du das Thema im anderen Thread angesprochen hast.
Erstmal geht es darum, dass du schreibst, dass sich die chinesische Kultur kaum bis gar nicht auf dem internationalen Markt ausdrücken oder über sich schreiben darf. Daraus folgerst du, dass sich niemand außenstehendes diese Kultur aneignen darf, was bei einem solchen Spiel mit chinesischen Märchen der Fall wäre.
Da sehe ich eine ganze Reihe von Problemen. Zunächst einmal ist es schlicht und ergreifend falsch, dass die chinesische Kultur nicht im internationalen Raum existiert, bzw. sich nicht "ausdrücken darf". Es gibt in China eine sehr alte und vor allem auch breite literarische Tradition, die in alle Sprachen übersetzt und sehr populär im Ausland publiziert wird. Das ist keine Literatur, die international systematisch unterdrückt oder absichtlich unter dem Radar gehalten wird. Und da spreche ich nicht nur von Konfuzius o.Ä. - auch sehr aktuelle Autoren (im Sci-Fi Bereich fällt mir auf Anhieb Cixin Liu ein, aber Google hilft einem schnell weiter) sind nicht nur extrem bekannt, sondern auch einflussreich und wichtig für ganze internationale Genres. Die chinesische Literatur ist international präsent und anerkannt, und das bezweifelt wirklich niemand. Dass sie in Deutschland trotzdem weniger präsent ist als deutsche Literatur, oder dass in China deutsche Literatur weniger präsent ist als chinesische, ist glaube ich nicht verwunderlich.
Jetzt widerspreche ich dir aber nicht generell , sondern es geht mir darum, dass du ein tatsächliches Problem mit so einem Beispiel wie China ad absurdum führst. Du stellst damit Dinge auf eine Ebene, die wirklich nicht zusammengehören, und entwertest damit die eigentliche Problematik. Die internationale Repräsentation von chinesischer Kultur ist etwas völlig anderes und darf nicht verwechselt werden mit der von Völkern und Kulturen, die tatsächlich systematisch auch heute unterdrückt werden und Förderung bitter nötig hätten. In diesem Thread wurde z.B. Navajo angesprochen, ein Volk, das wie alle indigenen Völker Nordamerikas von den weißen Siedlern beinahe völlig ausgerottet wurde und in den USA heute unter menschenunwürdigen Lebensverhältnissen leiden muss. Dass es eine Frechheit ist, sich bei diesen Völkern an ihrem Kulturschatz zu bedienen, ohne auf ihr aktuelles Leid aufmerksam zu machen, ist keine Frage. Es gibt aber einen Unterschied zwischen Völkern und Kulturen wie diesen (und dazu zählen alle Völker, die im Rahmen der Kolonialisierung tatsächlich kulturell nachhaltigen Schaden erlittern haben, was in China nicht in einem ähnlichen Ausmaß der Fall ist), und solchen, die sich international unbestreitbar auf der selben Ebene befinden wie westliche.
Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist viel allgemeinerer Natur. Ich stimme dir zu, dass es eine schöne Idee gewesen wäre, ausländische Autoren zu so einer Ausschreibung einzuladen, aber das kann und darf nicht die einzige Art kultureller Verständigung sein. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der sich Kulturen in permanenter Fusion und sehr schneller Entwicklung befinden, und das ist gut so. Trotzdem gibt es etwa zwischen der christlich und der muslimisch geprägten Welt große Gräben und ebenso zwischen der westlichen und der asiatischen. Die Idee, sich über diese Gräben hinwegzusetzen, indem überhaupt auf die Kultur der anderen Seite hingewiesen wird, ist nicht rassistisch, und das kann nicht so herumgedreht werden, als wäre es das. Natürlich kann bei so einer Ausschreibung auch eine Menge Schund rumkommen, gerade wenn Stereotype oder überhaupt mangelndes Wissen ins Spiel kommen - auch das bestreitet niemand - aber das darf auf keinen Fall dazu führen, dass solche Versuche prinzipiell und kategorisch vermieden oder verboten werden. Es darf nicht nur Botschafter geben, die einer anderen Kultur die eigene erklären. Das Spiel mit Kulturen und ihre Vermischung ist nicht verwerflich, sondern vielmehr begrüßenswert und führt zu mehr Annäherung, mehr Interesse und mehr Verständnis. Dass die Teilnehmenden einer Ausschreibung über chinesische Märchen sich die Kultur einer unterdrückten Gesellschaft aneignen oder sie stehlen wollen, ist einfach Unsinn. Es ist ein Versuch, eine Brücke zu einer Kultur zu bauen, und nicht sie zu stehlen.

Du fragst dich vielleicht, wieso ich mich für diesen Punkt so sehr einsetze. Bin ich einfach spitzfindig? Nein, ich mache das, weil mir dieses Narrativ unglaublich zuwider ist. Es plädiert dafür, dass Kulturen stärkere Grenzen zwischeneinander ziehen sollen. Es plädiert dafür, dass gegenseitiger Austausch außerhalb eines sehr klar begrenzten Rahmens nicht mehr möglich sein darf. Eine solche Grenzziehung ist Gott sei Dank (!!!) in einer so globalisierten Welt wie der unseren ohnehin nicht mehr möglich. Trotzdem ist das ein Narrativ was besonders politisch Rechte sehr begrüßen und das in seiner Umsetzung zu umso mehr Diskriminierung und vor allem zu mehr Entfremdung der Kulturen untereinander führt. Es führt zu einer Vertiefung der Gräben, die ich angesprochen habe, und das kann unsere Welt nicht gebrauchen.
Ich werfe dir natürlich nicht vor, dass du das möchtest. Im Gegenteil weiß ich, dass du für das Gegenteil kämpfen willst, aber es ist trotzdem sinnvoll manchmal Dinge zu hinterfragen, für die man argumentiert. Kulturelle Vermischung und das gegenseitige Aufgreifen kultureller Elemente ist nicht an sich falsch oder schlecht.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 24. März 2022, 21:08:31
Teile der chinesischen Bevölkerung werden in China nicht unterdrückt oder diskriminiert (China ist ein vielfältiges Land und nicht homogen genug, um einfach zu sagen ,,Chines*innen werden in China nicht unterdrückt"). Das bedeutet aber nicht, dass das hier im Westen auch der Fall ist. Als chinesische*r Autor*in in China über chinesische Mythen zu schreiben ist nochmal etwas anderes als hier im Westen zu versuchen, einen Verlag dafür zu finden. Wenn wir hier also über den deutschen Buchmarkt reden, sollten wir uns nicht nur darauf konzentrieren, ob chinesische Autor*innen ins Deutsche übersetzt werden, sondern ob Autor*innen mit chinesischen Wurzeln auf dem deutschen Buchmarkt die Chance bekommen, ihre Geschichten zu erzählen. Die Ausschreibung eines deutschen Verlages sollten wir auch vor diesem Kontext betrachten.

Es gibt einen Unterschied zwischen kultureller Aneignung und kultureller Wertschätzung. Es geht nicht darum, dass weiße Autor*innen niemals aus anderen Kulturkreisen schöpfen dürfen. Aber ein Akt kolonialistischer Gewalt ist es auch, Teile einer Kultur zu stehlen und aus ihrem Kontext zu reißen (siehe zum Beispiel kolonialistische Raubkunst in Museen). Märchen und Mythen existieren nicht ohne Kontext. Ein Märchen einer vom Kolonialismus betroffenen Kultur zu adaptieren, ohne sich die Mühe zu machen, den kulturellen Kontext zu verstehen und es aus einer rein westlichen Sicht zu betrachten und zu adaptieren ist ein kolonialistischer Akt und hat nichts damit zu tun, eine Brücke zu bauen.

Kultureller Austausch sieht aus westlicher Sicht häufig so aus, dass wir uns einzelne Aspekte einer Kultur herauspicken und uns ohne den kulturellen Kontext, der mit ihnen verknüpft ist, einverleiben. Das ist kein kultureller Austausch auf Augenhöhe. Das was du beschreibst ist leider nicht das, was in den meisten Fällen passiert. Ja, im Ideal baut kultureller Austausch Brücken, aber die ,,Brücken" des Kolonialismus sind nicht für alle da und komplett einseitig.

Wenn ich mich in meinem Buch an Geschichten bediene, die einer Gruppe gehören, die Diskriminierung erfährt, dann ist es wichtig darauf zu achten, für wen ich schreibe. Das gilt, wenn ich eine queere Figur in meine Geschichten einbaue, wenn ich eine Figur mit einer Behinderung einbaue, wenn ich PoC einbaue, wenn ich Aspekte anderer Kulturen einbaue. Sobald ich mich an Geschichten bediene, die nicht meine eigenen sind, sollte ich versuchen, mein Buch auch für die Personen zu schreiben, deren Geschichten ich verwende. Im besten Fall finden sie sich darin wieder und ihnen gefällt die Geschichte. Mindestens aber sollte ich aufpassen, dass sie das Buch nicht verletzt. Wenn es mir egal ist, was Menschen zu sagen haben, deren Geschichten ich verwende, dann sollte ich sie einfach nicht verwenden. Ich sollte ihnen zuhören und versuchen, mein Buch so zu schreiben, dass sie es auch lesen können, ohne verletzt zu werden.

Außerdem finde ich das Narrativ schwierig, dass die Forderung nach mehr Rücksicht Rechten in die Hände spielt und zu mehr Mauern und Diskriminierung führt. Das ist nichts anderes als Victim Blaming.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Der Inspektor am 24. März 2022, 22:44:46
@Mondfräulein Damit wir nicht aneinander vorbeireden, werde ich jetzt jeden deiner Absätze als einzelne Punkte auffassen und zu jedem etwas schreiben. Das ist wahrscheinlich sinnvoller, als auf einen Monolog mit einem Monolog zu reagieren. :)

Absatz 1:
Das ist ein valider Punkt und ich stimme dir völlig zu. AlpakaAlex hat von Internationalität gesprochen, und deshalb habe ich mich ausschließlich darauf bezogen. Dass chinesischstämmige Autoren in Deutschland größere Probleme bei der Verlagssuche haben als andere, ist möglich. Darüber weiß ich aber ehrlich gesagt nicht genug, als dass ich etwas darüber sagen könnte.

Absatz 2:
Auch hier stimme ich dir zu. Sich über den kulturellen Kontext so viel wie möglich bewusst zu machen, sollte auf jeden Fall eine Voraussetzung für solche Projekte sein. Gerade in Hinblick auf Absatz 4.

Absatz 3:
Ich bin mir nicht sicher, wie du das meinst. Wie ich schon in meinem ersten Post angedeutet habe, ist eben die Übernahme und Interpretation von Teilen anderer Kulturen ein Teil von Globalisierung und kultureller Annäherung. In Berlin wimmelt es von Dönerläden, die von oder mit Deutschen betrieben werden (EDIT: genauso wie von Vietnamesen, die Sushi verkaufen oder Türken, die Pizza verkaufen - es ist ein recht zufälliges Beispiel, und es sind nicht nur speziell Deutsche, die das machen). Diese Leute haben unter Umständen wenig Ahnung von türkischer Esskultur, aber haben sie deswegen gestohlen? Richten sie damit einen Schaden an? Vielleicht ist das Bild, was sich ihre Gäste von türkischem Essen machen ein falsches, aber ist das so schlimm? Immerhin essen sie Döner, immerhin bilden sie sich zumindest ein, türkisch zu mögen. Immerhin bleibt die türkische Kultur nicht etwas Fremdes, Unbekanntes und Schlechtes. Das ist für mich kein Fall von Diebstahl, sondern eine Art, eine Brücke zu bauen. Und ebenso sehe ich das mit diesen chinesischen Märchen, aber vielleicht kommen wir hier auch nicht auf einen gemeinsamen Nenner.

Absatz 4:
Da stimme ich dir uneeingeschränkt zu. Nichts hinzuzufügen.

Absatz 5:
Victim Blaming ist für mein Verständnis, wenn ich jemandem vorwerfe, für das, was der Person zugestoßen ist, selber Schuld zu sein. Erleuchte mich bitte, inwiefern ich das getan habe. Habe ich jemandem, der diskriminiert wurde, vorgeworfen, selber daran Schuld zu sein?! Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wieso du mir so etwas vorwerfen solltest, denn es hat wirklich nichts mit dem zu tun, was ich geschrieben habe. Ich bin für mehr Rücksicht, sonst hätte ich diesen elend langen Kommentar überhaupt nicht geschrieben.
Oder hast du das geschrieben, weil du witzig findest, dass ich ein "Narrativ" kritisiert habe? Ist das ein zynischer Kommentar, den du mir noch hinterher werfen wolltest? Wenn nein, und davon gehe ich einfach mal aus, dann erklär es mir bitte. Und wenn ja, weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob wir hier auf dem Pausenhof sind oder eine ernste Debatte führen. So etwas ist einfach unangebracht.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Soly am 24. März 2022, 23:21:17
@Der Inspektor ich glaube, das Problem ist nur das hier:

Zitat von: Der Inspektor am 24. März 2022, 16:55:59
Es plädiert dafür, dass Kulturen stärkere Grenzen zwischeneinander ziehen sollen. Es plädiert dafür, dass gegenseitiger Austausch außerhalb eines sehr klar begrenzten Rahmens nicht mehr möglich sein darf. Eine solche Grenzziehung ist Gott sei Dank (!!!) in einer so globalisierten Welt wie der unseren ohnehin nicht mehr möglich. Trotzdem ist das ein Narrativ was besonders politisch Rechte sehr begrüßen und das in seiner Umsetzung zu umso mehr Diskriminierung und vor allem zu mehr Entfremdung der Kulturen untereinander führt. Es führt zu einer Vertiefung der Gräben, die ich angesprochen habe, und das kann unsere Welt nicht gebrauchen.
Es geht nicht um das Ziehen von Grenzen und Gräben zwischen Kulturen. Kulturelle Aneignung zu kritisieren bedeutet ja nicht, jeglichen kulturellen Austausch zu kritisieren.
Schwierig ist nur, wenn ich Elemente einer Kultur aus dem Kontext reiße, ohne wirklich zu verstehen, was sie bedeuten. Denn dann stelle ich diese einzelnen Elemente falsch dar.
Worum es hier vor allem geht, ist die Verantwortung, dass ich andere Kulturen auf eine Weise verstehen muss, damit ich sie auch richtig darstellen kann. Ich sehe nicht, wie das Rechten in die Hände spielt - wir versuchen ja wie gesagt nicht, Grenzen zu ziehen und Kulturen voneinander zu entfremden, sondern es geht um einen kulturellen Austausch, der natürlich auch beinhaltet, gegenseitig kulturelle Elemente zu übernehmen.
Aber, das ist der einzige Knackpunkt, dieser Austausch muss auf Augenhöhe stattfinden. Was leider häufig passiert, ist, dass Elemente einer Kultur eben ohne Kontext und verfälscht dargestellt werden, und dass ist besonders heikel, wenn die eigentlichen Angehörigen dieser Kultur nicht die Möglichkeit haben, diese falsche Darstellung mit derselben Reichweite zu korrigieren. Das ist kulturelle Aneignung und sollte vermieden werden. Jede andere Art von Austausch, bei der sich Mühe gegeben wird, die Dinge richtig darzustellen, und bei der die Angehörigen der entsprechenden Kultur direkt involviert sind, ist gut und zu unterstützen.

Dein zitierter Absatz klingt so - entschuldige, wenn ich das falsch verstehe - als ob du eine direkte Ursache-Wirkung-Beziehung aufstellst zwischen der Forderung nach Austausch auf Augenhöhe und der Diskriminierung von Minderheiten. Und das wäre tatsächlich eine Art von Victim Blaming, wenn du behaupten würdest, wenn Minderheiten eine Plattform für die Darstellung der eigenen Kultur fordern, verursachen sie ihre eigene Diskriminierung.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Der Inspektor am 25. März 2022, 00:01:02
Okay, @Solmorn, danke für die Vermittlung.

Im Kontext der Nachricht aus der du das zitierst, wundert es mich, dass das tatsächlich aus meinen Worten hervorgehen kann. Ich glaube es ist klar, dass ich so eine Ursache-Wirkung-Beziehung nicht aufstelle. Natürlich führt die Forderung nach mehr Repräsentation nicht zu mehr Diskriminierung, mein Gott... Ganz ehrlich, sollte jemand ernsthaft glauben, dass ich das behaupte, und sollte das tatsächlich alles sein, was von meinem langen Versuch etwas so gut wie möglich abzuwägen und darzustellen hängengeblieben ist, bitte ich die Person inständig, sich den ganzen Post erneut sorgfältig durchzulesen oder mich im allerschlimmsten Zweifel privat anzuschreiben. Aber ich glaube eigentlich wirklich nicht, dass das nötig ist.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 25. März 2022, 00:03:29
@Der Inspektor Es ist eben, wie die anderen schon richtig sagen. Kultureller Austausch setzt Augenhöhe voraus - diese ist aber in den besprochenen Fällen und vielen anderen Fällen nicht gegeben. Denn westliche Kultur und diese entsprechenden Kulturen begegnen sich nicht auf Augenhöhe. Es ist ein Machtgefälle vorhanden zwischen der westlichen Kultur und der angeeigneten Kultur. Das zeichnet sich auch daran aus, dass in solchen Fällen in der Regel die angeeignete Kultur keinerlei positive Folgen davon trägt - eher im Gegenteil: Nur negative.

Um einmal den Punkt auszuführen: Wenn weiße Autor*innen Geschichten - spezifisch vor allem schlecht recherchierte - Geschichten über andere Kulturen schreiben, bedeutet das für Angehörige dieser Kulturen meist:

Wir müssen außerdem sehen, dass das, was wir als "Globalisierung" bezeichnen, letzten Endes nichts anderes ist als Kolonialismus 2.0 - am Ende profitieren in der Globalisierung vor allem westliche Firmen von der Ausbeutung nicht westlicher Länder und vor allem des globalen Südens. Sei es die Ausbeutung der Natur (Bodenschätze usw.) oder eben auch der Arbeitskraft dort. Um es ganz deutlich zu sagen: Der globale Süden profitiert nicht wirklich davon. Eher im Gegenteil: Er verliert. Mit eben einigen wenigen Einzelpersonen als Ausnahmen.

Und ja, es gibt ein paar Szenarien, die kulturelle Aneignung abschwächen können. Eben dann, wenn Leute aus den Kulturen mit profitieren können. Das kann bei Büchern durch bezahlte Sensitivity Readings und Sensitivity Beratung sein. Das kann bei großen Filmprojekten o.ä. auch Gewinnanteile sein (wie bspw. bei Moana und Frozen 2). Aber selbst in dem Fall sollte man eben schon sicher sein, dass man dann auch seinen etwaigen Einfluss dazu verwendet, eine Plattform für Autor*innen/Künstler*innen aus der etwaigen Kultur zu bieten.

Das hieße jetzt bspw. auf den Verlag bezogen: Hätten sie Sensitivity Reader verwendet und hätten sie vielleicht auch geschaut, Geschichten/Romane von Leuten aus den etwaigen Kulturen zu veröffentlichen, dann könnte man sagen, dass es zumindest neutral zu bewerten ist ... Aber soweit ich weiß, ist nichts von beidem passiert.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Der Inspektor am 25. März 2022, 00:28:53
@AlpakaAlex Es ging um die chinesische Kultur, und diese befindet sich, wie ich schon geschrieben habe, eben sehr wohl auf Augenhöhe mit der unseren. Es ging nicht etwa um die Navajo-Kultur, bei der das ganz klar anders ist. Ansonsten stimme ich dir zum größten Teil zu und gehe jetzt schlafen.  :)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 25. März 2022, 00:50:29
Ich würde an dieser Stelle lieber auf ein paar Artikel verweisen, die das sehr viel besser erklären, als ich es je könnte. Das Thema ist einfach sehr komplex und voller Nuancen.

Der Podcast Rice & Shine beschäftigt sich in einer Folge speziell mit dem Thema kulturelle Aneignung und Essen: https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-06/asiatisches-essen-kulinarik-kulturelle-aneignung-rice-and-shine-podcast

Diese beiden Artikel beschäftigen sich nicht direkt mit kultureller Aneignung im Kontext von Literatur, aber ich glaube, dass sie einem ein gutes Verständnis davon geben, was eigentlich das Problem an kultureller Aneignung allgemein ist:
https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2021/07/
https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2022/01/31/welcher-zusammenhang-laesst-sich-zwischen-kultureller-aneignung-und-kulturellem-erbe-mit-blick-auf-die-gegenwart-und-koloniale-kontinuitaeten-herausarbeiten-am-beispiel-der-benin-bronzen

Ebenso will ich nochmal etwas weiter ausholen und ein Negativbeispiel anbringen, weil dann glaube ich verständlicher ist, was ich meine. Als Beispiel nehme ich dafür die Darstellung von Nagini aus den neuen Harry Potter Spin Off Filmen.

In der Originalreihe ist Nagini einfach nur eine Schlange, genauer genommen eine Boa Constrictor (glaube ich zumindest, auf jeden Fall eine große Würgeschlange), die normalerweise in Südamerika beheimatet ist. Sie ist das Haustier des Antagonisten Voldemort. In den Spin Off Filmen wird enthüllt, dass Nagini ein Maledictus ist, eine Frau, auf der ein Blutfluch landet, der sie irgendwann in ein Monster verwandeln wird, sie kann dem Fluch nicht entkommen. Er wird von Mutter zu Mutter weitergegeben. Sie wird in einem Zirkus als Attraktion gefangen gehalten. Nagini wird im Film von einer koreanischen Schauspielerin gespielt. Die Autorin hat enthüllt, dass Nagini auf einem indonesischen Mythos beruht. Dort gibt es die Naga, ein Schlangenwesen bzw. eine Schlangengottheit, zu der es verschiedene Darstellungsformen gibt. Dieser Mythos gibt es in Indonesien, er stammt aber ursprünglich aus Indien.

Es gibt so viele Probleme mit der ganzen Sache, dass ich wahrscheinlich nicht alle aufzählen kann. Erst einmal haben wir eine koreanische Schauspielerin, einen indonesischen Mythos und einen indischen Namen. Asien ist groß und ein rassistisches Stereotyp ist es, so zu tun, als wäre Asian ein Monolith und kein großer Kontinent mit vielen verschiedenen Kulturen. Außerdem hat der eigentliche Naga-Mythos gar nichts mit dem zu tun, was die Autorin im Film daraus macht. Die einzige asiatische Frau im Film ist jemand, der dazu verdammt ist, zur treuen Dienerin und zum Besitz eines bösen, weißen Mannes zu werden, was weitere rassistische Stereotype bedient. Nagini hat mit dem Naga-Mythos letztendlich aber auch nicht mehr viel gemeinsam. Die Autorin hat den Namen des Mythos benutzt und einfach gemacht, was sie wollte. Sie hat sich nicht mit der Kultur auseinandergesetzt, aus der der Mythos kommt (und mit dem Mythos auch nicht so wirklich), sondern einfach das genommen, was ihrem Zweck dient, ohne sich der Problematiken bewusst zu werden, und auch noch eine ganze Menge Rassismus hinzugefügt.

Folgende Artikel habe ich darüber gelesen, falls sich jemand weiter informieren möchte:
https://scroll.in/article/896331/with-her-nagini-casting-twist-jk-rowling-has-once-again-ignored-history-and-chosen-appropriation
https://www.slj.com/story/the-trouble-with-nagini-accusations-racism-new-fantastic-beasts
https://bookriot.com/naginis-portrayal-as-an-east-asian-woman-is-deeply-problematic
https://theswaddle.com/the-faux-progressivism-of-j-k-rowling

Das Problem ist, dass wir erkennen müssen, dass wir hier nicht auf Augenhöhe diskutieren. Das ist ja der ganze Punkt. Es redet niemand von kultureller Aneignung, wenn britische Autor*innen einen deutschen Mythos adaptieren oder anders herum. @AlpakaAlex hat das schon sehr gut erklärt. Diese Augenhöhe müssen wir erst einmal versuchen wiederherzustellen. In unserer westlichen Kultur ist kulturelle Aneignung stark normalisiert, deshalb ist es umso wichtiger, dass wir Angehörigen marginalisierter Gruppen zuhören.

Das Thema ist insgesamt sehr komplex und hat viele Nuancen. Man kann nicht pauschal sagen "Das geht und das nicht". Es kommt immer auf den Kontext an. Wichtig ist aber, dass wir diese Debatte zulassen und dass wir versuchen, unsere Perspektive zu ändern und zu lernen, unsere weißen Denkstrukturen abzulegen. Damit meine ich zum Beispiel die Ignoranz gegenüber der Problematik, dem Beharren auf einer weißen Deutungshoheit, den Trotzreaktionen darauf, wenn man falsch liegt. Weiße Menschen (ich schließe mich da mit ein) neigen zu oft dazu, Diskriminierung erstmal zu leugnen, nur weil sie uns persönlich noch nie verletzt hat.

Vielleicht würde es helfen, in diesem Thread mehr Beispiele mit Einordnungen von PoC zusammenzutragen? Es gibt ja mittlerweile sehr viele Artikel und Stimmen zum Thema, besonders im englischsprachigen Bereich. Ich finde es immer leichter, das Thema zu verstehen, wenn es anhand von konkreten Beispielen erklärt wird. Dann wird auch klar, dass es nicht um pauschale Verbote aka "niemand darf je wieder Reis essen" geht.

Zitat von: Der Inspektor am 24. März 2022, 22:44:46
Victim Blaming ist für mein Verständnis, wenn ich jemandem vorwerfe, für das, was der Person zugestoßen ist, selber Schuld zu sein. Erleuchte mich bitte, inwiefern ich das getan habe. Habe ich jemandem, der diskriminiert wurde, vorgeworfen, selber daran Schuld zu sein?! Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wieso du mir so etwas vorwerfen solltest, denn es hat wirklich nichts mit dem zu tun, was ich geschrieben habe. Ich bin für mehr Rücksicht, sonst hätte ich diesen elend langen Kommentar überhaupt nicht geschrieben.
Oder hast du das geschrieben, weil du witzig findest, dass ich ein "Narrativ" kritisiert habe? Ist das ein zynischer Kommentar, den du mir noch hinterher werfen wolltest? Wenn nein, und davon gehe ich einfach mal aus, dann erklär es mir bitte. Und wenn ja, weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob wir hier auf dem Pausenhof sind oder eine ernste Debatte führen. So etwas ist einfach unangebracht.

Zitat von: Der Inspektor am 25. März 2022, 00:01:02
Im Kontext der Nachricht aus der du das zitierst, wundert es mich, dass das tatsächlich aus meinen Worten hervorgehen kann. Ich glaube es ist klar, dass ich so eine Ursache-Wirkung-Beziehung nicht aufstelle. Natürlich führt die Forderung nach mehr Repräsentation nicht zu mehr Diskriminierung, mein Gott... Ganz ehrlich, sollte jemand ernsthaft glauben, dass ich das behaupte, und sollte das tatsächlich alles sein, was von meinem langen Versuch etwas so gut wie möglich abzuwägen und darzustellen hängengeblieben ist, bitte ich die Person inständig, sich den ganzen Post erneut sorgfältig durchzulesen oder mich im allerschlimmsten Zweifel privat anzuschreiben. Aber ich glaube eigentlich wirklich nicht, dass das nötig ist.

Das war kein zynischer Kommentar und definitiv nicht witzig gemeint. Ich erkläre dir das gerne und ich kann am Ende natürlich nicht sagen, ob du es so gemeint hast oder nicht. Aber ich habe es aus deinem Beitrag herausgelesen und Solmorns Gedanken gehen in eine ähnliche Richtung. Insofern würde ich dich auch bitten, meine Kritik an deiner Formulierung nicht so einfach wegzuwischen.

Zitat von: Der Inspektor am 24. März 2022, 16:55:59
Du fragst dich vielleicht, wieso ich mich für diesen Punkt so sehr einsetze. Bin ich einfach spitzfindig? Nein, ich mache das, weil mir dieses Narrativ unglaublich zuwider ist. Es plädiert dafür, dass Kulturen stärkere Grenzen zwischeneinander ziehen sollen. Es plädiert dafür, dass gegenseitiger Austausch außerhalb eines sehr klar begrenzten Rahmens nicht mehr möglich sein darf. Eine solche Grenzziehung ist Gott sei Dank (!!!) in einer so globalisierten Welt wie der unseren ohnehin nicht mehr möglich. Trotzdem ist das ein Narrativ was besonders politisch Rechte sehr begrüßen und das in seiner Umsetzung zu umso mehr Diskriminierung und vor allem zu mehr Entfremdung der Kulturen untereinander führt. Es führt zu einer Vertiefung der Gräben, die ich angesprochen habe, und das kann unsere Welt nicht gebrauchen.
Ich werfe dir natürlich nicht vor, dass du das möchtest. Im Gegenteil weiß ich, dass du für das Gegenteil kämpfen willst, aber es ist trotzdem sinnvoll manchmal Dinge zu hinterfragen, für die man argumentiert. Kulturelle Vermischung und das gegenseitige Aufgreifen kultureller Elemente ist nicht an sich falsch oder schlecht.

Du unterstellst erst einmal, dass es darum geht, stärkere Grenzen zwischen den Kulturen zu ziehen. Das ist falsch. Erst einmal herrscht, wie schon erklärt, ein Machtgefälle. Eine Kultur bedient sich häufig von einer anderen, durch den Kolonialismus ist besagtes Machtgefälle entstanden. Dadurch können Angehörige der Kultur zum Beispiel nicht mehr so von ihrer Kultur profitieren, Weiße dafür aber schon (z.B. Inder*innen werden für das Tragen eines Bindis angefeindet, bei Weißen gilt das als Boho und chick; Weiße nehmen ein traditionell asiatisches Gericht und tun so, als hätten sie es neu erfunden oder als hätten sie es verbessert und machen dabei die asiatische Küche schlecht; massenproduzierter Schmuck traditioneller Machart überflutet den Markt und macht es Angehörigen der Kultur schwer, ihren eigenen Schmuck zu verkaufen; Kulturen werden als Faschingskostüm dargestellt, rassistische Stereotype werden verstärkt; koloniale Raubkunst füllt die Museen ohne dass über Kontext der Beschaffung oder die Kultur hinter den Artefakten aufgeklärt und informiert wird). Das Bild einer Grenze geht von zwei gleichberechtigten Kulturen aus, die sich nicht vermischen sollen. Vielmehr geht es aber darum, dass eine Kultur sich Aspekte einer anderen einverleibt und sie stiehlt. Es geht also letztendlich um Schutz und Respekt.

Das hat auch nichts damit zu tun, dass kultureller Austausch nicht mehr stattfinden soll, denn der setzt ja eine Gleichberechtigung voraus. Eine Kultur nimmt und die andere bekommt nichts davon zurück. Man kann nicht von kulturellem Austausch reden, wenn einer Kultur eigentlich überhaupt nicht zugehört wird. Es geht nicht darum, dass kultureller Austausch unterbunden werden soll, denn der Austausch, von dem du redest, findet überhaupt nicht statt. Das führt somit auch nicht zu Entfremdung, denn wie, wenn einer Kultur nicht zu gehört wird? Durch den Kolonialismus ist sie schon entfremdet, weil sie dehumanisiert wurde, weil sie vieler Dinge beraubt wurde, unter anderem ihrer Stimme. Der "kulturelle Austausch", den wir hier kritisieren, betrachtet und wertet andere Kulturen grundsätzlich durch eine westliche Linse, ohne ihre Perspektiven mit einzubeziehen und das ist ja das ganze Problem daran.

Das Victim Blaming findet hier statt, weil du einerseits aus irgendeinem Grund entschieden hast, das mit rechten Strömungen zu vergleichen, was ich ziemlich unmöglich finde, denn um all das, wovon du hier redest, geht es ja wie gesagt nicht. Du verstehst völlig falsch, was das eigentliche Ziel dahinter ist und negierst die Problematik, die wir versuchen zu erklären. Letztendlich schließt du mit:

Zitat von: Der Inspektor am 24. März 2022, 16:55:59
Trotzdem ist das ein Narrativ was besonders politisch Rechte sehr begrüßen und das in seiner Umsetzung zu umso mehr Diskriminierung und vor allem zu mehr Entfremdung der Kulturen untereinander führt. Es führt zu einer Vertiefung der Gräben, die ich angesprochen habe, und das kann unsere Welt nicht gebrauchen.

Du sagst direkt, dass "das Narrativ" in seiner Umsetzung zu mehr Diskriminierung führt. Wir sprechen davon, dass PoC gerne weniger kulturelle Aneignung hätten, grob gesagt. Und du unterstellst, dass das zu mehr Diskriminierung führt, gibst also den Opfern die Schuld.

Bezüglich China: In Deutschland sind Menschen mit chinesischen Wurzeln eine von Marginalisierung und Diskriminierung betroffene Minderheit. Man kann diese Problematik nicht immer nur aus globaler Perspektive betrachten, weil das außer acht lässt, dass die Situation in jeder Kultur unterschiedlich ist. In China selbst gibt es diese Problematik vielleicht nicht, hier aber schon und weil wir hier im Forum vor allem über den deutschen und nicht den chinesischen Buchmarkt diskutieren, weiß ich nicht, warum das jetzt so relevant für die Diskussion ist.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 25. März 2022, 00:51:51
Das stimmt schlicht und ergreifend nicht. KEIN EINZIGES nicht-weißes Land ist auf Augenhöhe mit dem Westen. Selbst Japan nicht, was wortwörtlich das einzige nicht-weiße Land war, dass tatsächlich nie in irgendeiner Form Opfer des Kolonialismus wurde und im Gegenteil selbst kolonialisiert hat und anders als China sogar einen sehr großen kulturellen Export hat.

Es ist eigentlich sehr einfach: Stell dir zwei Fragen. 1) Ist das Land negativ vom Kolonialismus betroffen gewesen? 2) Leiden heute Leute mit Abstammung aus dieser Kultur an Rassismus/systemischer Diskriminierung? (Bonuspunkt, wenn vor allem auch das Ausleben ihrer Kultur mit Diskriminierung verbunden wird.) 3) Wird das Land heute weiterhin von westlichen Staaten ausgenutzt?

An sich reicht schon ein "Ja", um dir sicher sein zu können, dass kein Austausch auf Augenhöhe möglich ist. Im Bereich China kannst du allerdings alle drei mit "Ja" beantworten.

Ich würde dir an dieser Stelle echt einmal anraten, einigen in Deutschland lebenden, chinesischstämmigen Personen zuzuhören. Und vielleicht dein Wissen über Kolonialismus in Asien, speziell Ostasien ein wenig aufzupolieren. Denn auch wenn China größtenteils (abseits von ein paar Inseln) nie eine westliche Kolonie war, wurde China massiv negativ vom Kolonialismus beeinflusst.

EDIT: @Mondfräulein hat mich geploppt und sehr viele gute Links gegeben.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Der Inspektor am 25. März 2022, 10:24:03
Ich widerstehe jetzt mal dem Drang, noch einmal lang und breit auszubreiten was meine Position ist, denn so kommen wir nicht weiter. Ich möchte niemandem absichtliches Unverständnis unterstellen, also gehe ich davon aus, dass wir offensichtlich einfach extrem weit aneinander vorbeireden, und das tut mir sehr leid zu sehen. Ich habe ursprünglich nicht geschrieben, weil ich jemandem kategorisch widersprechen wollte, sondern weil ich ich im großen und ganzen zustimme und nur in bestimmten Punkten nicht mitgehen kann. Es ging mir nicht um Grundsatzfragen bzgl. klischeehaften und/oder rassistischen Bezügen in westlicher Popkultur (Harry Potter-Beispiel von @Mondfräulein), sondern ausdrücklich darum, dass eine Ausschreibung für chinesische Märchen als rassistisch bezeichnet wurde. Das war die Grundlage meiner Nachricht, und dagegen habe ich versucht zu argumentieren. Leider führt das nicht dazu, dass jemand gewillt wäre, noch einmal ein bisschen seine offenbar vorgefertigte und unveränderliche Meinung zu reflektieren, sondern vielmehr, dass sich Leute einschalten, die mir sofort das erstbeste vorwerfen, was ihnen einfällt. Dass ich Victimblaming betreiben soll, ist, und ich sage es hier ganz deutlich, wirklich eine Frechheit und ein Missbrauch dieses Begriffs sondergleichen. Ich habe den Argumentationsgang von @Solmorn nachvollzogen, aber es ist ein derart verschwurbelndes Verständnis meiner Position, dass es mich wirklich fassungslos zurückgelassen hat.
Naja, aber letzten Endes "geht es ja gar nicht um das, was Der Inspektor sagt", und insofern ist es sowieso besser, wenn ich den Mund halte und mich mal informieren gehe. Das ist ohnehin das Beste Argument gegen Kritik. Putin führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Darum geht es doch gar nicht. Es ist eine Friedensaktion, hat er selber gesagt.

Um meiner psychischen Gesundheit willen werde mich nicht mehr zu diesem Thema äußern. Es war ein Fehler zu denken, dass man hier argumentativ tatsächlich weiter kommen könnte. Scheinbar ist das im Tintenzirkel nur (noch?) sehr begrenzt möglich, und das ist sehr schade.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 25. März 2022, 11:20:35
Ich habe dir erklärt, wo ich in deinem Beitrag Victim Blaming lese. Ich glaube dir, dass du das vielleicht nicht aussagen wolltest, aber so ist es nunmal rübergekommen. Anstatt dass du einsiehst, dass du den Post vielleicht schlecht formuliert hast (aka nicht so, wie du ihn meintest) bist du jetzt sauer, dass man dir so etwas unterstellen könnte und schon wieder geht es nur um die Gefühle der Person, die verletzt und angegriffen hat, anstatt um die Gefühle der Personen, die von so einem Statement angegriffen und verletzt wurden. Du schmetterst meine Kritik an deinem Post ab und wirfst mir vor, dass ich dir einfach das erstbeste vorwerfe, was mir einfällt und versuchst so, meine ganze Argumentation und Absicht zu diskreditieren, anstatt wirkliche Argumente vorzubringen. Es geht mir nicht darum, dass ich etwas Schlechtes in deinem Post lesen will. Ich hätte auch viel mehr Lust auf einen konstruktiven Austausch. Aber vielleicht könntest du mal darüber nachdenken, dass nicht immer die anderen gemein und unfair sind, wenn sie deinen Post nicht so verstehen, wie du ihn verstanden haben willst. Vielleicht kann man ja wirklich etwas Victim Blaming aus deiner Formulierung herauslesen. Aber wenn du nicht verstehen willst, warum das so ist, wirst du denselben Fehler wahrscheinlich immer wieder machen und das finde ich schade.

Du bist mit der Intention in den Thread gekommen, um unsere "vorgefertigten" und "unveränderlichen" Meinungen zu ändern und ums zum Reflektieren zu bringen, aber du bist selbst nicht bereit, deine eigene Meinung und deine eigenen Formulierungen zu reflektieren. Du schlägst beleidigt um dich, anstatt einen Schritt zurückzutreten und darüber nachzudenken, ob du das vielleicht doch doof formuliert hast. Ich bin immer bereit meine Meinung zu ändern und anzupassen, aber keins deiner Argumente ist wirklich gut genug dafür und ehrlich gesagt habe ich all diese Argumente schon gehört. Ich beschäftige mich nicht erst seit gestern mit dem Thema und keines deiner Argumente ist neu, deine Argumentationsstruktur ist nicht neu, deine Trotzreaktion ist nicht neu.

Das Problem mit der Ausschreibung ist, dass sie zu Cultural Appropriation einlädt. Ja, vielleicht waren da letztendlich auch ein paar gute Beiträge dabei, aber erfahrungsgemäß auch sehr viel Mist. Das Problem ist, dass sich der Verlag in diesem Fall der Problematik bewusst sein sollte, bevor er die Ausschreibung beginnt. Er hätte zum Beispiel chinesischstämmige Autor*innen bevorzugen oder gezielt anschreiben können, denn ihre Geschichten zu veröffentlichen hätte wirklich eine Brücke zwischen den Kulturen gebaut. Er hätte in der Ausschreibung auf die Problematik aufmerksam machen können, um zumindest zu zeigen, dass er sich ihrer bewusst ist. Stattdessen sieht es wie eine Einladung zu Cultural Appropriation aus und ehrlich gesagt schreckt das ab. Für mich sieht das aus, als hätte sich der Verlag nicht genug mit der Thematik auseinandergesetzt und das lässt darauf schließen, dass die Beiträge dementsprechend ausgewählt werden. Selbst wenn ich als Autorin eine richtig gute und unproblematische Geschichte hätte, würde ich sie nicht einreichen, denn ich müsste Angst haben, dass sie neben ziemlich problematischen Geschichten erscheint.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 25. März 2022, 13:23:00
@Der Inspektor Ich finde es halt schon auf gewisse Art sehr ironisch, dass du von Mangelnder Reflektion sprichst, während du hier selbst so deutlich so absolut unwillens bist zu reflektieren. Nein, es ist nicht etwa so, als ob du dich blöd ausgedrückt hättest, nein, natürlich sind alle anderen Schuld, dass sie deine Beiträge falsch interpretieren. Merkst du das wirklich nicht? Merkst du nicht, wie unreflektiert du bist?

Sowohl @Mondfräulein, als auch ich, haben uns mit dem Thema Kulturelle Aneignung und Kolonialismus wirklich tiefergehend beschäftigt - auch soweit, dass wir vor allem Texte von Betroffenen zu dem Thema gelesen und uns mit Betroffenen unterhalten haben. Ich persönlich habe Bücher um Bücher über den Kolonialismus und seine Folgen gelesen und wie diese Folgen bis heute anhalten.

Natürlich bin ich durchaus bereit, meine Meinung zu überdenken. Wenn man mir gute Argumente bringt. Die hast du nicht gebracht. Dein Argument lässt sich reduzieren auf: "China ist davon nicht betroffen, weil ich das so sage!" Und es tut mir leid, dir das so mitteilen zu müssen: Aber das Argument ist sehr, sehr schwach.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mindi am 25. März 2022, 13:55:14
Ich glaube, China ist ein schwieriges Thema. Ich will nicht behaupten, dass wir durch die Weltmachtstellung, die China mittlerweile hat, berechtigt sind, uns an ihrer Kultur zu bedienen. Das eine ist die Regierung, das andere die Menschen und ihre Identität.

China ist heute ein global Player und zu einer ernstzunehmenden Großmacht geworden. Heute ist die chinesische Wirktschaft dem Westen schon in vielen Bereichen eine Naselänge voraus. Viele unserer Industriezweige sind abhängig von Vorprodukten aus China. Um ehrlich zu sein sehe ich uns als abhängiger von China als anders herum. Chinas Wirtschaft verleitet dazu, sie auf Augenhöhe zu betrachten, da immer mehr Länder der Welt wirtschaftliche Abhängigkeiten zu China haben und China seit Jahren (oder schon Jahrzehnten?) quasi afrikanische Länder kolonialisiert. (Infrastruktur und Unterstützung gegen Rohstoffe)

Ich will nicht behaupten, dass wir uns der chinesischen Kultur bedienen dürfen (dürfen wir nicht), nur weil sie heute wirtschaftlich auf der Überholspur sind. China ist mehr als seine (Produktions-)Großstädte. China ist mehr als eine Regierung, gerade wenn wir ihnen das "nehmen", was vor allen den Menschen "gehört", die (noch) nicht vom Wirtschaftswachstum profitieren: Die Menschen und ihre Wurzeln, ihren Glauben, ihre Legenden und Mythen.

Keine Ahnung, was ich damit sagen will. Ehrlich nicht. Ich finde einfach nur, dass China ein schwieriges Beispiel ist und dass wir das Land auch nicht in einem historischen Vakuum betrachten betrachten können. Nicht, wenn das Land, dass einst Opfer der Kolonialisierung war, heute selbst Länder wirtschaftlich kolonialisiert.


Eine Rückfrage @AlpakaAlex bezüglich dieser Aussage:
ZitatSelbst Japan nicht, was wortwörtlich das einzige nicht-weiße Land war, dass tatsächlich nie in irgendeiner Form Opfer des Kolonialismus wurde und im Gegenteil selbst kolonialisiert hat und anders als China sogar einen sehr großen kulturellen Export hat.
China wurde u-a. von den Europäern kolonialisiert, aber ich mag mich falsch erinnern - aber wurde Japan nicht auch einst von der USA und den Engländern kolonialisiert, vor der Meiji Ära? Bis sie selbst angefangen hatten vor allen ihre Grenzen zu kolonialisieren?
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 25. März 2022, 14:32:53
Ich will ergänzend nochmal erklären, warum mich solche Diskussionen manchmal so frustrieren. Weiße Menschen reagieren oft mit eine starken Abwehrhaltung, wenn sie mit Rassismus konfrontiert werden. Zum Thema empfehle ich dieses Interview mit Robin DiAngelo, denn da wird das besser erklärt, als ich es je könnte: https://www.zeit.de/campus/2018-08/rassismus-dekonstruktion-weisssein-privileg-robin-diangelo Ich bin weiß und ich kenne diese Abwehrhaltung auch von mir selbst. Das abzulegen ist viel Arbeit. Ich bemerke diese inneren Widerstände bei mir immer noch, wenn es um Themen geht, die mich nicht betreffen, sei es Rassismus, sei es Transfeindlichkeit, sei es Ableismus. Instinktiv will ich an meinen bisherigen Ansichten und meinem bisherigen Verständnis der Welt festhalten. Meine eigenen Widerstände zu überwinden ist für mich immer noch Arbeit, aber es hilft ungemein, dass mir das jetzt bewusst ist und ich bereit bin, mir diese Arbeit zu machen. Ich hinterfrage mich: Wird da gerade wirklich zu viel von mir verlangt oder wehren sich meine erlernten Denkmuster gegen Neuerung? Ist das jetzt wirklich überzogene Kritik oder bin ich nur nicht bereit, meine bisherigen Ansichten zu ändern? Es hilft mir auch, wenn ich mir klar mache, dass ich nichts für meine erlernten Denkmuster kann, ich kann nur etwas dafür, wie ich damit umgehe, wenn ich mit neuen Perspektiven konfrontiert werde. Es ist nicht meine Schuld, dass ich in einer von Rassismus und Kolonialismus geprägten Welt aufgewachsen bin, es ist nur meine Schuld, wie ich damit umgehe. Ich kann nicht ändern, wie ich in der Vergangenheit gedacht und mich verhalten habe, ich kann nur ändern, wie ich in Zukunft damit umgehe.

In Diskussionen zu diesem Thema stößt man immer wieder auf dieselben Argumente. Es ist manchmal mühselig, sich immer zu wiederholen, aber ich rede hier ja auch aus einem bestimmten Grund über diese Themen. Erklärarbeit ist Arbeit, sie kostet Zeit und Energie. Ich bin an dem Punkt, an dem ich bin, weil andere sich die Arbeit gemacht haben, mir diese Dinge zu erklären. Ich merke auch, dass mir diese Erklärarbeit deutlich schwerer fällt, wenn es um Themen geht, die mich persönlich betreffen. Ich möchte mein Wissen weitergeben, um anderen zu helfen, die diese Themen wirklich verstehen wollen, so wie Wissen an mich weitergegeben wurde, ich möchte Fragen beantworten, wo ich es kann, und auf entsprechende Ressourcen verweisen, wo ich es nicht kann. Außerdem ist es leider so, dass Weiße am liebsten Weißen zuhören, wenn es um Rassismus geht. Das möchte ich nutzen, um anderen Weißen zu sagen: Hört auf die Betroffenen. Hört auf PoC. Hört ihnen zu und hinterfragt euch selbst. Wenn ich dabei helfen kann, dann tue ich es gerne.

Der Punkt, an dem es für mich wirklich frustrierend wird, ist wenn man in der Diskussion an einen Punkt kommt, an dem eine konstruktive Diskussion endet und der Widerstand gewinnt. Weil dann eben nicht mehr zugehört sondern nur noch abgewehrt wird. Dann kommt man mit Argumenten nicht mehr weiter, egal wie gut und stichhaltig sie sind. Das ist frustrierend, weil ich genau weiß, dass ich an diesem Punkt nichts mehr ausrichten kann. Mein Gegenüber muss seine*ihre inneren Widerstände selbst überwinden. Ich kann das nicht für sie*ihn übernehmen.

Insofern: Ich erkläre so etwas eigentlich gerne und ich helfe weiter, wenn ich das Gefühl habe, mein Gegenüber hört mir zu, zieht meine Argumente in Betracht und möchte etwas lernen. Aber wenn man auf diesen Widerstand stößt und mein Gegenüber nicht bereit ist, sich selbst zu hinterfragen und darüber nachzudenken, wird es schnell frustrierend, auch für mich. Und natürlich lerne ich selbst noch dazu. @AlpakaAlex hat zum Beispiel alleine in dieser Diskussion viele gute Punkte genannt, die mir selbst vorher noch nicht so bewusst waren.

Ich freue mich auf einen konstruktiven Austausch zum Thema. Ich glaube, wir können alle sehr von dieser Diskussion profitieren. Ich beantworte gerne auch ganz grundlegende Fragen zum Thema, denn jeder betritt die Diskussion mit einem anderen Wissensstand und jeder muss irgendwo anfangen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass nichts davon etwas bringt, wenn wir nicht auch an unserer eigenen Einstellung arbeiten.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Tasha am 25. März 2022, 14:49:56
Ich habe mal eine grundlegende Frage. Und zwar habe ich persönlich bei dieser Art von Diskussuion oft Schwierigkeiten damit, dass es, auch wenn es nicht so gemeint ist, so wirkt als würde man*frau die Vormachtstellung der westlichen Welt sehr in den Vordergrund stellen.
Wenn man zum Beispiel betont, dass andere Länder  nicht auf Augenhöhe sind. (Und ich weiß, dass das anders gemeint ist. Trotzdem klingt es für mich schwierig. ) Sprache hat eben auch immer eine große Macht.
Gibt es schon Überlegungen dazu, wie man diese Art von Sprache vermeiden und es besser machen kann? Da würde ich mich sehr über Hinweise/links/Überlegungen freuen. Oder habe ich hier einen Denkfehler?
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Soly am 25. März 2022, 15:11:30
@Natascha naja, wenn wir über kulturelle Aneignung sprechen, dann haben die westlichen Länder nunmal eine Vormachtstellung. Nicht in dem Sinne, dass sie besser sind, aber in dem Sinne, dass sie (grundsätzlich) mehr Reichweite haben.

Es heißt ja nicht "andere Kulturen sind nicht mit uns auf Augenhöhe", sondern "der Austausch mit anderen Kulturen findet zu oft nicht auf Augenhöhe statt". Damit sagt man nichts über die Kulturen selbst aus, sondern nur über das Dazwischen.
Beantwortet das die Frage?
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Tasha am 25. März 2022, 15:16:45
Ich denke man muss da eben einfach sehr genau formulieren, damit klar wird, wie es gemeint ist und auf welche Bereiche es bezogen ist.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Soly am 25. März 2022, 15:24:04
Zitat von: Natascha am 25. März 2022, 15:16:45
Ich denke man muss da eben einfach sehr genau formulieren, damit klar wird, wie es gemeint ist und auf welche Bereiche es bezogen ist.
Das ist richtig. Sollte man sowieso generell tun oder sich zumindest darum bemühen. ;)

Ich denke aber, solche sprachlichen Feinheiten werden vor allem dann interessant, wenn wir über konkrete Einzelfälle reden. Solange wir abstrakt über das große Thema der kulturellen Aneignung sprechen, lässt sich über das allgemeingültige "aufpassen, was wir in Bezug worauf wie formulieren" hinaus kaum eine Erkenntnis treffen. :)
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Tasha am 25. März 2022, 16:04:30
Ist halt bei bestimmten Themen besonders wichtig. Sonst wirkt so ein thread wie dieser in fünf Jahren möglicherweise schlimm.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 25. März 2022, 16:46:50
Zitat von: Mindi am 25. März 2022, 13:55:14
Ich glaube, China ist ein schwieriges Thema. Ich will nicht behaupten, dass wir durch die Weltmachtstellung, die China mittlerweile hat, berechtigt sind, uns an ihrer Kultur zu bedienen. Das eine ist die Regierung, das andere die Menschen und ihre Identität.

China ist heute ein global Player und zu einer ernstzunehmenden Großmacht geworden. Heute ist die chinesische Wirktschaft dem Westen schon in vielen Bereichen eine Naselänge voraus. Viele unserer Industriezweige sind abhängig von Vorprodukten aus China. Um ehrlich zu sein sehe ich uns als abhängiger von China als anders herum. Chinas Wirtschaft verleitet dazu, sie auf Augenhöhe zu betrachten, da immer mehr Länder der Welt wirtschaftliche Abhängigkeiten zu China haben und China seit Jahren (oder schon Jahrzehnten?) quasi afrikanische Länder kolonialisiert. (Infrastruktur und Unterstützung gegen Rohstoffe)
Das es mit China gerade durch Chinas wirtschaftliche Vormachtsstellung alles ein wenig komplizierter ist, stimmt absolut. Allerdings dürfen wir auch nicht vergessen, dass diese Vormachtsstellung in erster Linie erarbeitet wurde, indem China als Land seine Arbeitskraft sehr, sehr billig (und zu sehr schlechten Arbeitsbedingungen) ans Ausland verkauft hat und dahingehend eben auch ausgenutzt wurde. Und was spreche ich hier eigentlich im Präteritum? Eigentlich hält das bis heute an.

China und Afrika ist auch ein sehr kompliziertes Thema - was vor allem dadurch erschwert wird, dass China in diesem Kontext ganz anders handelt, als es der Westen getan hat. Kurzum: Ja, es ist eine Form von Neokolonialismus, allerdings tatsächlich eine, wovon Afrika häufig mehr Profitiert - weil China, anders als der Westen, tatsächlich für Rohstoffe und Arbeit zahlt. Chinas Interesse an Afrika ist vor allem, dass China sein eigenes China braucht. Der Westen hat China lange Zeit dafür ausgenutzt, dass es in China gebildete Menschen gab, die komplexe Arbeit billig verrichten konnten. Was vor allem im Kontext mit der IT sehr wichtig wurde. Mittlerweile sind die Lohnniveaus in China aber gestiegen - und die Chines*innen haben einige eigene große Unternehmen, die solche Dinge herstellen (und auch die späteren Punkte in der Herstellungskette übernehmen. Und jetzt braucht China eben gebildete Leute, die helfen, die frühen Schritte zu übernehmen. Und da hat Afrika halt vor allem zwei Vorteile: a) Die Rohstoffe sind direkt vor Ort. b) Die Lohnniveaus sind extrem niedrig. Das heißt, gerade finanziell lohnt es sich für China, die Leute vor Ort in Afrika auszubilden und sie die Sachen abbauen und direkt vor Ort (geringe Transportwege ftw) aufbereiten zu lassen, bspw. zu Computerchips.

Die Sache ist, dass die afrikanischen Länder davon - anders als vom westlichen Kolonialismus - tatsächlich profitieren, weil China ihnen eben die frühen Arbeitsschritte lässt und bezahlt, Universitäten und dergleichen baut. Das macht das Thema "China und Afrika" halt furchtbar kompliziert.


Zitat von: Mindi am 25. März 2022, 13:55:14
China wurde u-a. von den Europäern kolonialisiert, aber ich mag mich falsch erinnern - aber wurde Japan nicht auch einst von der USA und den Engländern kolonialisiert, vor der Meiji Ära? Bis sie selbst angefangen hatten vor allen ihre Grenzen zu kolonialisieren?
Tatsächlich nicht. Man hat ihnen nur gedroht und Japan hat sich praktisch selbstständig dann dem kolonialen Druck angepasst. Ich zitiere einmal aus dem Artikel (https://alpakawolken.de/dekolonialisierung-japan/), den ich dazu geschrieben habe:
ZitatEs macht keinen Sinn über japanischen Imperialismus zu sprechen, ohne vorher die Meiji Restauration zu behandeln. Diese beschreibt eine Reihe von Reformen, die ab 1868 durch Kaiser Meiji durchgesetzt wurden.

Diese Reform war vor allem eine Reaktion auf einen Besuch von Matthew C. Perry in Japan. Dieser US-amerikanische Admiral besuchte Japan, um das Land dazu anzuhalten, seine Grenzen für Handel mit den USA zu öffnen. Bis dahin hatte Japan sich komplett gegen die Außenwelt isoliert und es war in der Regel sowohl für Ausländer*innen verboten, sich in Japan aufzuhalten, als auch für Japaner*innen, das Land zu verlassen. Bei Perrys Besuch jedoch hinterließ vor allem das moderne Kriegsschiff, auf dem er anreiste, einen bleibenden Eindruck. Es machte Japan klar, dass sie durch ihre Isolation vom technischen Fortschritt vom Rest der Welt abgeschnitten worden waren. Es blieb die Moral: ,,Wenn wir jetzt handeln, können wir herrschen. Wenn wir es nicht tun, werden wir beherrscht." Gleichzeitig sahen sie sich jedoch gezwungen, um nicht weiter hinterher zu hängen, ihre Häfen für Handel mit den US und dann verschiedenen europäischen Mächten zu öffnen – was auf internationaler Ebene als ,,Schwäche" wahrgenommen wurde.

Es folgten politische Unruhen in Japan, während der Shogun, verschiedene Daimyou und das eigentlich nur mit symbolischer Macht ausgestattete Kaiserhaus miteinander in Konflikt standen. Es gab eine Rebellion, die jedoch aufgrund der Uneinigkeit zwischen den Daimyou niedergeschlagen.

Was folgte, war die Meiji Restauration. Diese begann damit, den Kaiser, der in den letzten Jahrhunderten mehr und mehr zu einer Puppe des Shogunats geworden war, wieder als tatsächlichen Herrscher des Landes zu einzusetzen und im selben Zug das Shogunat abzuschaffen. Gleichzeitig wurde Japan zentralisiert und es wurde sich bemüht ein japanische Identität zu schaffen, nachdem Japan zur Zeiten des Shogunats stark zersplittert gewesen war. Mit diesem Ziel und um technischen Fortschritt verwirklichen zu können, wurde ein staatliches Schulsystem institutionalisiert, in dem die Kinder einheitliches Japanisch, Mathematik und ,,kulturelle Bildung" erhalten sollten.

Ebenso wurden auch neue Gesetze veranlasst, um japanische Ethik in einigen Punkten stärker der westlichen Ethik anzupassen. Im Rahmen dieser Gesetze kamen auch neue Vorschriften zum Thema Sexualität und Ehe, inklusive eines kurzlebigen Versuchs Homosexualität in Japan unter Strafe zu stellen. Dies war vornehmlich dadurch motiviert, vom Westen als ,,gleichwertig" gesehen werden zu wollen.

Zuletzt wurde auch das japanische Militär überarbeitet. Anstatt das Militär weiterhin auf der Samurai-Klasse aufzubauen, wurde eine Wehrpflicht für alle japanischen Männer eingeführt, um so ein stehendes Militär aufzubauen.

Zitat von: Mondfräulein am 25. März 2022, 14:32:53
Ich freue mich auf einen konstruktiven Austausch zum Thema. Ich glaube, wir können alle sehr von dieser Diskussion profitieren. Ich beantworte gerne auch ganz grundlegende Fragen zum Thema, denn jeder betritt die Diskussion mit einem anderen Wissensstand und jeder muss irgendwo anfangen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass nichts davon etwas bringt, wenn wir nicht auch an unserer eigenen Einstellung arbeiten.
Dem kann ich mich anschließen. Ich erkläre auch gerne etwas, wenn Dinge unklar sind.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Kaeptn am 25. März 2022, 17:25:28
Zitat von: AlpakaAlex am 25. März 2022, 16:46:50
Die Sache ist, dass die afrikanischen Länder davon - anders als vom westlichen Kolonialismus - tatsächlich profitieren, weil China ihnen eben die frühen Arbeitsschritte lässt und bezahlt, Universitäten und dergleichen baut. Das macht das Thema "China und Afrika" halt furchtbar kompliziert.

Das hat zwar nur am Rande mit dem Thema kulturelle Aneigung zu tun, aber die chinesische Regierung betreibt in meinen Augen ganz klar Wirtschaftsimperialismus, und dass die Afrikanischen Staaten am Ende viel davon haben, wage ich mal zu bewzeifeln. Die Seidenstraßen-Projekte schaffen viele Abhängigkeiten und treibt afrikanische Staaten in die Staatspleite.

Zitat aus einem Spiegel-Artikel (https://www.spiegel.de/ausland/afrika-chinas-expansion-auf-dem-kontinent-treibt-laender-in-eine-neue-schuldenfalle-a-8c2b890c-233c-4b43-9a18-1c15691355c9, leider PayWall)
ZitatSambia droht gar die Zahlungsunfähigkeit.  [...] Das kollektive Misstrauen wächst auch deshalb, weil manche auf Pump finanzierte Mammutprojekte maßlos überteuert und nutzlos sind.

Womit ich den europäischen Kolonialismus in keiner Weise schönreden und auch nicht sagen will, dass man sich deshalb chinesische Kultur aneignen darf. Nur solltest du dein Bild von der chinesischen Regierung(!) vielleicht mal überdenken. Xi Jin Ping ist ein rücksichtsloser Autokrat, dem es nur um den Nutzen für Partei und Staat geht. Von den Uiguren, Tibet oder dem Niederknüppeln der Demokratiebewegung in Hong Kong wollen wir mal gar nicht anfangen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: AlpakaAlex am 25. März 2022, 19:05:18
Zitat von: Kaeptn am 25. März 2022, 17:25:28
Das hat zwar nur am Rande mit dem Thema kulturelle Aneigung zu tun, aber die chinesische Regierung betreibt in meinen Augen ganz klar Wirtschaftsimperialismus, und dass die Afrikanischen Staaten am Ende viel davon haben, wage ich mal zu bewzeifeln. Die Seidenstraßen-Projekte schaffen viele Abhängigkeiten und treibt afrikanische Staaten in die Staatspleite.

Womit ich den europäischen Kolonialismus in keiner Weise schönreden und auch nicht sagen will, dass man sich deshalb chinesische Kultur aneignen darf. Nur solltest du dein Bild von der chinesischen Regierung(!) vielleicht mal überdenken. Xi Jin Ping ist ein rücksichtsloser Autokrat, dem es nur um den Nutzen für Partei und Staat geht. Von den Uiguren, Tibet oder dem Niederknüppeln der Demokratiebewegung in Hong Kong wollen wir mal gar nicht anfangen.
Ich habe mich ausführlicher mit dem Thema beschäftigt und halt auch (reddit sei dank) mit Leuten aus den entsprechenden Ländern gesprochen - und halt auch Dokus gesehen, die deren Perspektive zentrieren. Und soweit muss man halt wirklich sagen, dass für die Leute aus den Ländern das Verhältnis zu China als positiv wahrgenommen wird, weil sie seither mehr Bildung, mehr Infrastruktur (v.a. auch Wasser und Strom) und bessere medizinische Versorgung haben. Und das wird eben als sehr positiv gewertet.

Und wie gesagt, absolut kein Zweifel daran, dass es China in erster Linie darum geht, zum einen billige, aber gebildete Arbeitskräfte zu haben und gleichzeitig auch noch Logistik einzusparen durch kürzere Arbeitswege. Aber es muss halt eben gesagt werden, dass soweit beide Seiten etwas davon haben - Selbst wenn China am Ende mehr davon hat.

Ich finde es in diesem Kontext halt auch super kritisch, wenn dann Leute aus kolonialistischen Ländern, die bis heute von der Ausbeutung der ehemaligen Kolonien profitieren und diese Länder auch massiv ausgeraubt haben, ohne je Reparationen zu zahlen (Frankreich lässt sich sogar von seinen Kolonien Reparationen zahlen lol), dass dann so groß kritisieren. Tbh komme ich dabei halt auch nicht drum herum, das Gefühl zu haben, dass westliche Länder vor allem Krämpfe bekommen, weil tatsächlich die ganze Sache die Verhandlungsposition der entsprechenden afrikanischen Länder für ihre Ressourcen verbessert.

Hätte es historisch gesehen so etwas wie Gerechtigkeit gegeben, hätten die kolonialistischen Länder Reparationen an ihre ehemaligen Kolonien gezahlt (und hätten diesen auch erlaubt, selbst ihre verdammten Grenzen zu ziehen, so dass nicht diverse Landstriche komplett destabilisiert worden wären ...) Dann hätten diese ehemaligen Kolonien Chancen gehabt, sich selbst technologisch aufzubauen und Wohlstand zu erlangen. Das ist jedoch nie passiert. Stattdessen wurde auch nach dem vermeintlichen Ende des Kolonialismus ausgebeutet.

Ist die Situation mit China gerade toll? Nein, ist sie nicht. Aber aus der Sicht der betroffenen ist sie eben das geringere Übel und bietet eine Chance auf eine bessere Zukunft.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Andersleser am 26. März 2022, 09:34:46
Einmal ganz unabhängig von der aktuellen Diskussion wollte ich mal einen Link zu einem Interview einwerfen, in dem über Kulturelle Aneignung gesprochen wird. Hier wird tatsächlich ein betroffener Mensch gefragt: warum, wieso, weshalb, und was denn nun so problematisch ist, wenn es (wie in aktuellen Medien) um eine Frisur geht. Weil es im Grunde ja um sehr viel mehr als das geht. Da wird auch ganz gut erklärt, warum eine Sache bei Person A in Richtung der Aneignung geht, bei Person B aber nicht. Weil Person A es einfach nur cool findet, sich aber null damit auseinandergesetzt hat, und Person B aber tatsächlich sich damit beschäftigt hat und supportet. Jedenfalls wollte ich das hier mal reinsetzen, weil ich denke, dass dieses Interview einem schon näherbringen kann was das Problem sein kann. Mir jedenfalls hat es tatsächlich verständlich erklären können, was bei erwähnter Frisur das Problem ist, denn mit war das so nicht klar und ich hätte es so sicher nicht so gut erklären können.
Hier der Link:
https://www.br.de/puls/themen/welt/kulturelle-aneignung-cultural-appropriation-100.html
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 26. März 2022, 10:58:13
Zum Thema finde ich auch dieses Video sehr interessant: https://www.youtube.com/watch?v=o9lLvRLjVC8 Darin werden die kulturellen und politischen Hintergründe erklärt und das ist glaube ich sehr wichtig, um zu verstehen, warum viele damit überhaupt so ein großes Problem haben.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Cairiel am 23. April 2022, 11:51:26
Ich habe lange über das Thema nachgedacht und möchte doch etwas dazu schreiben. Zunächst einmal danke fürs Hochholen und diskutieren! Ich habe alle eure Beiträge gelesen und bin mir der Thematik sehr viel bewusster geworden, als ich es vorher war. Das allein betrachte ich für mich schon als Gewinn und denke, dass es auch anderen hier so geht.

Zitat von: AlpakaAlex am 24. März 2022, 15:28:43
Also, der Machandel-Verlag hat eine ganze Reihe von Ausschreibungen zum Thema "Märchen aus Kulturkreis X" gemacht. Viele davon waren zentraleuropäische Kulturkreise und effektiv klassische europäische Märchen (Grim, Anderson und so weiter), womit es kein wirkliches Problem gibt. Dann gab es russische Märchen, was ... Hmm, dazu gleich mehr. Denn dazu habe ich meine Meinung seit letztem Jahr ein wenig geändert. Aber was eben auch dabei war, waren Chinesische Märchen und Märchen aus dem arabischen Kulturkreis.

Und genau da ist eben das Problem: Sowohl die arabische Kultur, als auch die chinesische sind Opfer des Kolonialismus. Und speziell auf dem internationalen Markt dürfen diese Kulturen sich selbst kaum ausdrücken oder über ihre eigene Kultur schreiben. Das gilt natürlich besonders auch für Deutschland. Wir haben in Deutschland kaum Geschichten von arabischen oder chinesischen Menschen, die ihre eigenen Mythen und Märchen aufarbeiten. In dieser Grundvoraussetzung dann einen Wettbewerb machen, in dem ein Publikum aus in erster Linie weißen Autor*innen dazu aufgefordert wird, sich diese Mythen und Märchen anzueignen, ist halt einfach nur sehr respektlos und eine extrem privilegierte Haltung.

Dabei hätte es halt auch coole Möglichkeiten gegeben, was damit zu machen. Man hätte halt auch gezielt arabische und ostasiatische Autor*innen anschreiben können und sie für die Antho einladen können. Das wäre richtig cool gewesen und hätte eben auch geholfen diese Autor*innen ins Rampenlicht zu rücken. (Auch wenn nicht in Bezug auf kulturelle Aneignung, weil es damit nichts zu tun hat, aber: Man denkt halt, wie bei Urban Fantasy Going Queer gezielt queere Autor*innen rausgesucht wurden.)

Ich habe übrigens mittlerweile ein wenig Bauchschmerzen mit russischen/osteuropäischen Themen, weil ... Es ist kompliziert. So gesehen waren diese Kulturen nicht von Kolonialismus betroffen, allgemein werden die Kulturen als "weiß" gelesen, aber sie werden eben dennoch auch diskriminiert. Stichwort Antislawinismus und so. (Und full disclosure: Das betrifft mich halt auch mit, weil meine Familie väterlicherseits tschechisch ist und ich mütterlicherseits halt auch mit russische Wurzeln habe.) Aber dabei ist das Machtverhältnis definitiv noch einmal ein anderes, als bei der Aneignung aus kolonialisierten Kulturen.
Ich habe nie über diese Problematik nachgedacht, deshalb erstmal danke fürs Augenöffnen. Nach reiflicher Überlegung frage ich mich aber, ob es sich bei diesen konkreten Anthologien wirklich um einen Fall von kultureller Aneignung handelt. Von dir beschriebene Fälle wie Navajo verstehe ich voll und ganz, es gibt definitiv no-go Kulturen für so ein Unterfangen. Oder no-go kulturelle Elemente, wie manche Frisuren, wie in dem Video von Mondfräuleins Link sehr gut dargestellt, um einen kurzen Schwank zu machen. Und es wäre der beste Weg gewesen, Menschen aus den jeweiligen Kulturkreisen vorher zu fragen, was sie von der Idee und später von den einzelnen Geschichten halten. Der Knackpunkt ist in meinen Augen - wen fragt man? Wer "darf" das bestimmen? In anderen Völkern gibt es bestimmt oft ebenso viele verschiedene Meinungen wie in Deutschland. Es ist natürlich ein anderer Standpunkt, da das bayerische Volk nie unterdrückt, verfolgt, diskriminiert wurde. Dementsprechend betrachte ich als Bayer das gerade sehr aus meiner Warte. Aber ich würde mich sehr unwohl fühlen, wenn ich diese Entscheidung für alle Bayer:innen treffen sollte. Und andersherum wäre ich ziemlich grantig, würde ich erfahren, dass ein anderer Bayer die Verwendung von bayerischen Kulturelementen - beispielsweise auf dem Oktoberfest, wo zumindest an den Wochenenden mehr Nicht-Bayer:Innen zumeist in Lederhosen und Dirndl herumlaufen als Ortsansässige - verbieten würde. Den würde ich fragen, "Wer bist du, dass du glaubst, für uns alle die Verwendung unserer Kultur durch Fremde verbieten zu dürfen?" - Wie gesagt, ich räume absolut ein, dass ich das vielleicht aus dem falschen Licht betrachte, da ich nicht aus einer historisch irgendwann unterdrückten Kultur stamme.

Zum Beispiel China: Es wurde hier schon viel  diskutiert, aber als jemand, der drei gute bis sehr enge chinesische Bekanntschaften hat, noch einmal ein anderer Punkt: Ich bin mir sicher, alle drei Chinesinnen, die ich näher kenne, hätten nicht das allergeringste Problem mit dieser Anthologie. Bei zweien davon bin ich mir sicher, dass sie sogar über unsere Diskussion hier den Kopf schütteln würden, nach dem Motto "Was macht ihr euch für einen Kopf, natürlich ist es okay". Die dritte kenne ich nicht gut genug, um dazu eine Aussage machen zu können. Dazu muss man sagen, während alle drei direkt aus China stammen und den Großteil ihres Lebens dort verbracht haben, sind sie sehr weltoffene und weit gereiste Menschen, was sicherlich nicht auf alle Chines:innen zutrifft.
Aber reicht das dann, um der Anthologie "die Absolution zu erteilen", oder was müsste man sonst tun? Noch mehr fragen? Und wenn von zehn Chines:innen nur eine dagegen ist und die anderen - wie ich oben - sagen, diese eine Person hätte kein Recht, der Verwendung der Märchen als Vorlage zu widersprechen? (Vorausgesetzt, die Märchen stammen aus demselben Kulturkreis wie besagte Chines:innen, China ist ja groß und hat mehr als eine Kultur).
Das gleiche auch mit Russland und den arabischen Ländern, auch von dort kenne ich Menschen, die mit Sicherheit kein Problem damit hätten. (Andersherum denke ich würde man bestimmt irgendwann einen russischen/chinesischen/arabischen Menschen finden, der der Verwendung der Märchenvorlagen widerspricht, wenn man nur lange genug herumfragt.) Ich habe mir vorgenommen, meinen sehr guten russischen Freund danach zu fragen, wenn ich ihn das nächste Mal treffe, aber ich denke, ich kenne seine Antwort - "ihr Deutschen und eure Probleme". Ich wage zu behaupten, dass das Thema "kulturelle Aneignung" in weiten Teilen der z. B. russischen, chinesischen oder arabischen Bevölkerung nicht wirklich diskutiert wird. Leider.

Wegen alledem tue ich mich schwer, diese Anthologien aus diesen Kulturkreisen als problematisch zu sehen - weil ich mir anhand meiner Erfahrungen mit Menschen aus diesen Kulturen sicher bin, dass viele von ihnen kein Problem damit hätten. Wie gesagt, der schönste Weg wäre es gewesen, wenn der Verlag vorsichtshalber nachgefragt hätte. Fragen kostet nichts und ist immer netter und respektvoller als einfach hingehen und nehmen, selbst wenn man meint, es sei okay. Man weiß es halt nicht sicher, bis man gefragt hat.
Wie gesagt, das betrifft ausdrücklich nicht alle Kulturen, siehe die ganze vorherige Diskussion.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Soly am 25. April 2022, 14:21:13
Für den gesamten folgenden Beitrag eine
CN: weiße Außenperspektive

Zitat von: Cairiel am 23. April 2022, 11:51:26
Der Knackpunkt ist in meinen Augen - wen fragt man? Wer "darf" das bestimmen? In anderen Völkern gibt es bestimmt oft ebenso viele verschiedene Meinungen wie in Deutschland.
...
Zum Beispiel China: Es wurde hier schon viel  diskutiert, aber als jemand, der drei gute bis sehr enge chinesische Bekanntschaften hat, noch einmal ein anderer Punkt: Ich bin mir sicher, alle drei Chinesinnen, die ich näher kenne, hätten nicht das allergeringste Problem mit dieser Anthologie. Bei zweien davon bin ich mir sicher, dass sie sogar über unsere Diskussion hier den Kopf schütteln würden, nach dem Motto "Was macht ihr euch für einen Kopf, natürlich ist es okay".
Das ist exemplarisch für das generelle Problem, das mit dem Begriff der Kulturellen Aneignung einhergeht. Kulturelle Aneignung beschreibt ja grob den Prozess, dass Teile einer kulturellen Identität von einer Dominanzkultur für die eigenen Zwecke genutzt, ihrer ursprünglich Bedeutung beraubt und kommerzialisiert werden. Aber nicht alle Menschen, die grundsätzlich einem Kulturkreis angehören, verstehen diese Kultur auch als Teil ihrer Identität, ergo die Nutzung eines Stücks der Kultur als Kulturelle Aneignung.

Deshalb würde ich die Frage, wer das bestimmen darf, mal ganz einfach beantworten mit: niemand.
Es ist leider nicht möglich, eine deutliche Grenze zu ziehen, was unter Kulturelle Aneignung fällt und was nicht - schon allein deshalb, weil das voraussetzen würde, dass alle Angehörigen einer bestimmten Kultur die Bedeutung und Verwendung sämtlicher Bestandteile ihrer Kultur vollkommen homogen wahrnehmen. Wenn ich etwas als Kulturelle Aneignung bezeichne, laufe ich grundsätzlich Gefahr, selbst die betreffende Menschengruppe zu homogenisieren und auf ein Label zu reduzieren.

Zitat
Aber reicht das dann, um der Anthologie "die Absolution zu erteilen", oder was müsste man sonst tun? Noch mehr fragen? Und wenn von zehn Chines:innen nur eine dagegen ist und die anderen - wie ich oben - sagen, diese eine Person hätte kein Recht, der Verwendung der Märchen als Vorlage zu widersprechen?
Ich würde sagen, das ist eine Entscheidung, die sich nicht treffen lässt. Schon gar nicht von uns Weißen, die wir nur von außen auf die Kultur und ihre Verwendung in dieser Anthologie blicken können. Und eigentlich auch nicht von den Angehörigen, zumindest nicht absolut, sondern höchstens probabilistisch.

Um zu beurteilen, ob oder dass es sich bei der Anthologie um Kulturelle Aneignung handelt, müssten wir die Bedeutung und Relevanz der verwendeten Märchen kennen, sowie den breiteren kulturellen Kontext, in dem sie geschaffen wurden und aus dem ihre Bedeutung stammt. Und wir müssten beurteilen können, inwiefern diese Märchen und ihre Bedeutung in der Identität der Angehörigen dieser Kultur verankert sind.
Das können wir nicht.

Natürlich bedeutet das nicht, dass die Anthologie völlig unproblematisch ist. Wir können sie weder verurteilen noch ihr "die Absolution erteilen". Das meine ich mit probabilistisch.
Indem die Anthologie explizit die Verwendung traditioneller chinesischer Märchen fordert, bewegt sie sich auf einem Terrain, in dem sie das Risiko besitzt, dass Menschen sich angegriffen, verletzt, oder eines Teils ihrer Identität beraubt fühlen, und indem sie genau dieses Risiko nicht adressiert, macht sie sich in meinen Augen angreifbar.
Ich denke, sobald man dieses Gebiet betritt, ist man in der Verpflichtung, dieses Risiko zu beachten und wenigstens offen anzusprechen. In meinen Augen gibt es zwei Wege, damit umzugehen:
1) Angehörige fragen, aber nicht nur "Ist das okay - ja oder nein?", weil das eben nicht ausreicht, um die Sachlage zu beurteilen. Sondern ein möglichst breites Grundwissen anrecherchieren, welche Elemente es gibt, welche Bedeutung sie haben, in welcher Beziehung sie zueinander stehen, in welchem Kontext man sie verwenden kann und nicht verwenden sollte, welche tendenziell etwas freier gehandhabt werden können, und von welchen man besser ganz die Finger lässt. Auf die Weise kann man die Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung minimieren. Edit - Was der Verlag dem Hinweis von @Yamuri zufolge anscheinend so oder ähnlich gemacht hat!
2) nicht machen. Ich weiß, das lädt zu der Frage ein "Was darf man denn dann überhaupt noch?!!", aber es geht mir nicht um Verbote, sondern die eigenverantwortliche Entscheidung. Wenn man die Wahrscheinlichkeit sieht, Menschen aus Unwissenheit zu verletzen, aber nicht den Aufwand eingehen will, sich zu jeder Eventualität zu belesen, ist es auch eine elegante Möglichkeit, es einfach bleiben zu lassen und Leute stattdessen ranzulassen, die einen persönlichen Zugang zur betreffenden Kultur haben.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 25. April 2022, 15:43:46
Ich kann Solmorn da nur zustimmen. Ergänzend wollte ich nochmal einwerfen, dass es auch einen Unterschied zwischen Chines*innen gibt, die in China aufgewachsen sind und Personen, die in Deutschland aufgewachsen sind und chinesische Wurzeln haben. Ohne für eine der Gruppen sprechen zu wollen, sehe ich immer wieder, dass solche Themen in den Ländern, in denen die Kultur Teil der Mehrheitsgesellschaft ist, einen anderen Blick auf so ein Thema haben als hier in Europa oder in den USA, wo diese Kultur eben kein Teil der Mehrheitsgesellschaft ist. Ein Beispiel, das mir einfällt, ist die Debatte um das Tragen von Kimonos. In Japan selbst sehen das viele anscheinend sehr viel lockerer als japanischstämmige Personen im Westen. Aber das ist ja auch wieder nur logisch: Das Tragen eines Kimonos in Japan geschieht in einem ganz anderen Kontext als hier im Westen. Dennoch würde ich mir selbst nie anmaßen zu entscheiden, welcher Person ich jetzt glauben kann und wem nicht. Ich kann nur versuchen, möglichst viele Quellen zu konsultieren.

In den wenigstens Fällen heißt es bei diesem Thema "Nein, Weiße sollten das niemals machen". Häufig ist es eher ein "Weiße sollten das nicht machen, ohne sich der kulturellen Bedeutung bewusst zu sein" oder "Weiße sollten solchen Schmuck nur tragen, wenn sie ihn von Leuten gekauft haben, die der Kultur auch angehören". Es gibt selten ein klares "Ja" oder "Nein". Kontext ist der Grund, warum kulturelle Aneignung ein Problem ist und deshalb entscheidet Kontext häufig auch, ob es sich um kulturelle Aneignung oder kulturelle Wertschätzung handelt.

Im Fall der Anthologie würde ich aus meiner weißen Sichtweise heraus auch sagen, dass die Ausschreibung selbst eine Umgebung schafft, in der kulturelle Aneignung leicht möglich ist. Hier wäre es bestimmt sinnvoll gewesen, Personen, die den entsprechenden kulturellen Hintergrund sowie die Expertise haben, so etwas zu beurteilen, in irgendeiner Weile zu involvieren. Entweder beratend vor der Ausschreibung selbst oder zum Beispiel bei der Auswahl der Beiträge.

Aber irgendwie gibt es da ja auch einen Unterschied, was ich am Ende mit den Informationen mache. Ich informiere mich vor allem, um meine eigenen Entscheidungen zu reflektieren und einschätzen zu können. In manchen extremen Fällen kann ich vielleicht schon sagen "Das klingt problematisch" oder "Das klingt unproblematisch", aber in den meisten Fällen weiß ich auch nicht, wie ich etwas beurteilen soll. Insofern kann ich die Ausschreibung nicht abschließend beurteilen, sondern nur sagen "Das klingt, als könnte es ein Problem werden" und "Das sind die Maßnahmen, die ich vielleicht ergriffen hätte".
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Yamuri am 25. April 2022, 16:21:11
Tatsächlich sind unter den Autor:innen für die Anthologie auch solche mit ostasiatischeem Hintergrund, die aber unter Pseudonym schreiben. Es ist außerdem eine sehr gängige Praxis von Chines:innen, wenn sie in Europa leben, dass sie sich einen europäischen Vornamen zulegen. Umgekehrt wird das aber auch von Europäer:innen erwartet, die länger in China leben und dort arbeiten möchten, dass sie dann eben einen chinesischen Namen tragen und selbstverständlich auch chinesisch lernen und sprechen. Es hat nur leider niemand die Verlegerin gefragt und stattdessen wurde einfach davon ausgegangen, dass nur weil die Autor:innen europäische Namen haben, das alles Europäer:innen sein müssten. Das ist es was ich meine, wenn ich sage: redet mehr miteinander, redet direkt, am Telefon und urteilt nicht anhand oberflächlicher Annahmen. Ich habe bei der Verlegerin nachgefragt und daher weiß ich es. Außerdem ist sogar eine chinesische, sehr bekannte Agentur auf die Verlegerin zugetreten, weil sie den Verlag in Ostasien vertreten möchte. Das geschah noch vor der Anthologie und inzwischen ist auch ein Vertrag entstanden. Das weiß ich, weil die Verlegerin mich kontaktiert hatte, da sie sich zwecks der korrekten Anrede unsicher war und wusste, dass ich mich intensiv mit chinesischen Namen und Sprache auseinandersetze. Es ist also durchaus so, dass sich die Verlegerin gut informiert und nicht einfach mal macht. Aber danach wurde sie von keinem hier jemals persönlich gefragt.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Anj am 26. April 2022, 07:58:50
Danke dir @Yamuri für diesen Beitrag, den ich nur unterschreiben kann.
Wenn wir weniger von dem schlimmsten ausgehen würden sondern mehr nachfragen würden, gäbe es so viel weniger böses Blut, Missverständnisse und falsche Annahmen, bzw. Unterstellungen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Soly am 26. April 2022, 11:04:00
@Yamuri Okay, das ist sehr interessant und ein wirklich guter Hinweis, danke! Tatsächlich bin ich überhaupt nicht davon ausgegangen, dass ein solcher Austausch stattgefunden haben könnte, weil ich dachte, dann hätte es jemand dazugesagt, aber ich sehe jetzt auch, dass es eigentlich keinen Grund für die Annahme gab.

Dann nehme ich das hier
Zitat von: Solmorn am 25. April 2022, 14:21:13
und indem sie genau dieses Risiko nicht adressiert, macht sie sich in meinen Augen angreifbar.
zurück und behaupte das Gegenteil.

Es ist zwar nach wie vor so, dass so eine Anthologie den Raum für potentielle Aneignung aufmacht, um bei Mondfräuleins Formulierung zu bleiben, aber offensichtlich hat der Verlag das adressiert, so wie du es beschreibst.

Danke für den Hinweis!
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 26. April 2022, 12:25:11
Das Problem ist aber: Okay, in diesem Fall sind Leute zufällig mit der Verlegerin befreundet oder haben zufällig Bonuswissen, weil sie angefragt wurden.
Aber es kann nicht erwartet werden, dass das bei jedem einzelnen Verlag es Leute gibt, die es zufällig wissen oder dass immer irgendwer schon genug Kraft, Mut und Löffel hat, um nachzufragen. Erst recht Betroffene, die für das bloße Nachfragen schon an anderen Stellen verbale Gewalt abbekommen und dann lieber das Schlimmste vermuten, weil die Gefahr dann kleiner ist, enttäuscht zu werden.
Die beste Lösung hierfür wäre Transparenz nach außen hin, dass Schritte unternommen wurden, um ein Werk so sicher wie möglich zu gestalten. Nicht nur in diesem konkreten Fall, sondern generell.
Sonst bleibt die Bringschuld, rauszufinden, ob ein Medium safe ist, wieder bei den Betroffenen/interessierten Allies hängen und das kann ja auch nicht die Lösung sein.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Cairiel am 10. Mai 2022, 10:24:07
Danke für die Info, Yamuri! Ich kenne Charlotte auch persönlich und durfte bereits einige sehr anregende Unterhaltungen mit ihr führen, deswegen kann ich guten Gewissens sagen, dass sie eine der letzten Menschen wäre, denen ich keine/wenig Feinfühligkeit im Umgang mit fremden Kulturen unterstellen würde. Eine transparentere Kommunikation nach außen hätte der Diskussion hier vermutlich vorgebeugt, allerdings stimme ich dir auch zu, dass wir ohne ausreichend Hintergrundwissen nicht sofort verurteilen dürfen.

@Mondfräulein, was du ansprichst habe ich so auch schon oft mitbekommen. Das macht die Sache nicht einfacher.
Ein Beispiel aus meinem Umfeld ist eine sehr enge Freundin von mir, die schwarz ist. Deutsche mit afroamerikanischen Wurzeln und US-amerikanischem Pass. Sie hasst die Bezeichnung person/people of color. Das bringt mich in die Bredouille, weil ich gelernt habe, dass das die respektvollste Bezeichnung für POC ist, aber der schwarze Mensch (bewusst gewählt augrund ihrer Präferenz), mit dem ich am engsten befreundet bin, will weder so bezeichnet werden, noch den Begriff überhaupt in ihrer Gegenwart hören und findet ihn schrecklich. Aber das führt zu weit vom eigentlichen Thema weg. Mein Fazit bleibt das gleiche wie am Anfang: Es ist kompliziert. Das beste, was man imA tun kann, ist, mit dem Thema mit viel Feingefühl, Empathie und der nötigen Portion Demut umzugehen.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 10. Mai 2022, 15:27:12
Zitat von: Cairiel am 10. Mai 2022, 10:24:07
Ich kenne Charlotte auch persönlich und durfte bereits einige sehr anregende Unterhaltungen mit ihr führen, deswegen kann ich guten Gewissens sagen, dass sie eine der letzten Menschen wäre, denen ich keine/wenig Feinfühligkeit im Umgang mit fremden Kulturen unterstellen würde.

Das ist absolut kein Angriff auf dich oder Charlotte, also versteh mich bitte nicht falsch, aber ich glaube, hier steckt vielleicht der Schlüssel zu einem größeren Problem, das wir in diesen Debatten immer wieder haben. In unseren Köpfen verstehen wir schon, dass rassistisches Verhalten nicht gut ist, allerdings kommen wir dabei zum Fehlschluss, dass man ein schlechter Mensch sein muss, um sich rassistisch zu verhalten. Rassismus und kulturelle Aneignung verletzen Menschen und jemand, der Menschen verletzt, kann kein guter Mensch sein.

In Wirklichkeit kann jemand ein richtig toller und wahnsinnig netter Mensch sein, der Rassismus scheiße findet und an anderer Stelle sogar bekämpft, und trotzdem rassistisch handeln. Das Bewusstsein dafür, was nicht-weiße Menschen verletzt, müssen wir erlernen und dabei vieles ablegen, was uns von klein auf beigebracht wurde. Wenn wir als Kinder rassistische Lieder singen, weil sie eben in unseren Liederbüchern stehen, oder rassistische Begriffe benutzen, weil sie in unseren Kinderbüchern stehen, woher sollen wir wissen, dass das nicht in Ordnung ist? Viele Äußerungen und Handlungen sind rassistisch und verletzen, aber sie geschehen nicht aus bösem Willen oder weil jemand rassistisch sein will, sondern weil er*sie es nicht besser weiß, weil das Bewusstsein fehlt, weil es ihm*ihr jahrezehntelang anders beigebracht wurde. Gute Menschen können rassistisch sein. Dass sie sonst großartige Menschen sind, macht es nicht besser, aber sie sind deshalb auch nicht auf einmal böse, schlechte Menschen voller hässlicher Absichten.

Dadurch, dass wir im Kern schon verstanden haben, dass rassistisches Handeln nicht gut ist, haben wir in unseren Köpfen diese Verknüpfung erstellt: Rassistisches Handeln =  Rassist = Schlechter Mensch. Dadurch fällt es uns schwer zuzugeben, dass jemand rassistisch gehandelt hat, ohne unsere gesamte Bewertung über diese Person zu verändern. Wenn das jemanden trifft, den wir lange kenne und sehr schätzen, dann ist das natürlich genauso schwer und unangenehm wie wenn es uns selbst trifft, weil wir uns rassistisch verhalten haben. Besonders in linken Kreisen, die gegen Rassismus sind und sich dem Kampf gegen Rassismus verschrieben haben, fällt es Personen häufig sehr schwer anzuerkennen, wenn jemand den sie kennen oder gar sie selbst sich rassistisch verhalten haben. Wenn ich mich selbst als gute und antirassistische Person wahrnehme, fällt es mir besonders schwer zuzugeben, dass ich mich rassistisch verhalten habe.

Das endet häufig darin, dass das Verhalten heruntergespielt wird, dass Verletzungen nicht anerkannt werden, dass rassistisches Verhalten gerechtfertigt wird, weil man diese kognitive Dissonanz anders nicht lösen kann. Und das ist ein großes Problem, denn das Verhalten ist ja trotzdem rassistisch und verletzt, auch wenn die handelnde Person darüber hinaus ein wirklich toller und lieber Mensch ist. Es ist ein Problem, weil es uns davon abhält, aus Fehlern zu lernen und solche Verhaltensweisen nach und nach abzubauen. Wenn ich nicht zugeben kann, dass ich mich rassistisch verhalten habe, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich mein Verhalten in Zukunft ändere.

Was ich sagen möchte: Irgendwie müssen wir einen Weg finden, diese Dissonanz anders zu lösen. Kritik an einem Verhalten oder einer Äußerung sind keine Kritik am Kern einer Person an sich. Eine Person kann ein toller Mensch sein und sich gleichzeitig rassistisch verhalten. Aber was wenn sich eine Person, die an sich ein toller Mensch ist, der gegen Rassismus ist, sich trotzdem rassistisch verhält? Wie können wir das Verhalten kritisieren, ohne diese Gegenwehr auszulösen? Und da ist das Problem, dass die Kritik an sich schon einen Vorwurf enthält, egal wie nett sie formuliert ist, den manche so ungeheuerlich finden, dass sie ihn einfach nicht annehmen können, ohne ihr ganzes Selbstbild über den Haufen zu werfen, egal wie nett und verständnisvoll sie formuliert ist. Es sachlich und nett zu formulieren bringt einen hier nicht immer weiter, denn selbst auf die netteste Kritik folgen häufig Angriff und Gegenwehr. Da muss die Arbeit in unseren eigenen Köpfen anfangen. Wir müssen lernen, mit so einer Kritik umzugehen, sie auszuhalten und daraus zu lernen, ohne sie wütend von uns zu schmettern, denn das macht am Ende gar nichts besser. Egal ob es um uns selbst geht oder um Menschen, die uns nahestehen.

Es geht mir hier eigentlich auch gar nicht um Charlotte oder diese Ausschreibung, sondern darum, dass ich dieses Verhalten öfter beobachte. Ich glaube euch, dass Charlotte ein super Mensch ist. Aber selbst wenn jemand sich entschieden gegen Rassismus positioniert, schützt ihn*sie das nicht davor, sich selbst rassistisch zu verhalten. Selbst wenn jemand zum Beispiel gut über Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen aufgeklärt ist, schützt ihn*sie das nicht davor, an anderer Stelle Rassismus gegenüber Menschen mit türkischen Wurzeln zu reproduzieren.

Aber es geht bei solcher Kritik letztendlich auch nicht darum, Menschen in ihrem Kern zu verurteilen oder sich darüber zu ereifern, was für schlechte Menschen sie sind. Es geht darum, dass sich nichts ändern wird, wenn so ein Verhalten nicht angesprochen wird. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welches Verhalten verletzend ist und was wir tun können, um uns in Zukunft besser zu verhalten. Um daraus zu lernen, nicht um über jemanden zu urteilen. Antirassismus funktioniert nur als Work in Progress, denn das allerwichtigste ist die Bereitschaft zu lernen, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und zuzuhören. Auch wenn das heißt, dass wir manchmal erkennen müssen, dass wir uns selbst nicht gut verhalten haben, oder dass Menschen, die wir sehr schätzen, Fehler gemacht haben.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Anj am 10. Mai 2022, 20:14:01
Also das hier find ich echt ironisch:
Zitat von: MondfräuleinDas ist absolut kein Angriff auf dich oder Charlotte, also versteh mich bitte nicht falsch,
Wenn du verlangst, dass Andere sich nur ja so ausdrücken, dass sie niemandem auf die Füße steigen, dann reicht es doch wohl auch bei dir nicht zu sagen "versteh mich nicht falsch", damit deine Worte nicht als Angriff verstanden werden.
Ich meine, du setzt dich doch so sehr dafür ein, dass die Empfänger*innen von Botschaften diejenigen sind, die definieren wie etwas gemeint ist und was es bedeutet, dass ich es echt sehr ironisch finde, dass du für deine eigenen Worte von Anderen verlangst, dass sie dich aber bitte so zu verstehen haben, wie du das willst und - um in dem von dir und Anderen so oft verwendeten Bild zu bleiben - bitte einfach zu ignorieren, dass du ihnen gerade vielleicht auf die Füße trittst.
Titel: Re: Kulturelle Aneignung in Romanen
Beitrag von: Mondfräulein am 10. Mai 2022, 20:57:34
Wenn ich mit diesem Beitrag jemandem auf die Füße getreten bin, dann tut mir das Leid und ich würde mich über einen Hinweis freuen, damit ich meine Formulierungen in Zukunft besser wählen kann. Natürlich spricht es mich nicht davon frei, meine Worte sorgfältig zu wählen, wenn ich so eine Formulierung voranstelle. Dennoch wollte ich das dazusagen, um meine Absicht hoffentlich etwas klarer zu machen.

Dein Vergleich hinkt aber trotzdem. Wenn ich davon spreche, dass man die Deutungshoheit über Rassismus und ähnliche Themen den Betroffenen überlassen sollte, dann weil da auch Machtverhältnisse eine Rolle spielen, die in unserer Gesellschaft ungleich verteilt sind.