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Realismus in der Fantasy

Begonnen von Moni, 01. Januar 1970, 01:00:00

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HauntingWitch

Zitat von: Melenis am 06. August 2015, 11:23:12
Ich verstehe nicht, warum man vor so etwas Berührungsängste haben sollte.[....]
Aber du solltest dich nicht zwingen, irgendetwas zu schreiben, was dir nicht gefällt. Wenn du deine Figuren nicht dreckig sehen möchtest, lass es einfach bleiben  ;)

Ich weiss auch nicht, wieso das so ist bzw. was mein Problem genau ist. Ich habe da einfach irgendwie eine Abneigung, aber das ist ja der springende Punkt. Es ist nicht so, dass ich mich zwingen würde, etwas zu schreiben, was ich nicht möchte. Aber ich möchte lernen, diese Abwehrhaltung zu überwinden, weil ich davon überzeugt bin, dass meine Texte dann besser werden. Ich denke, ich werde mich ganz langsam mit kleinen Dingen heran wagen und dann allmählich steigern. Irgendwo muss man ja anfangen.

@Churke: Ja, das auf jeden Fall. Aber wenn der Protagonist es eben eklig und schlimm findet, ist es einfach lebensechter, wenn das auch da steht.

Klecks

Ich gehöre auch zu denen, die solche Dinge lieber "realistisch" bzw. lebensnah lesen (und schreiben), bevor es irgendwann dazu kommt, dass ich die Augen verdrehe, weil Prota und Plot angesichts der jeweiligen Umstände zu "sauber" wirken. Allerdings möchte ich auch Regentänzerin insofern zustimmen, dass man darauf achten sollte, wie man das darstellt. Es sollte nicht eklig um des Ekligseins willen sein, finde ich - es sollte meiner Meinung nach einfach so beschrieben sein, wie es ist, und nicht übertrieben werden, beispielsweise aus Effekthascherei. Die Balance ist da, denke ich, sehr wichtig und gar nicht so leicht zu finden.  :hmmm:

Christian

Zitat von: Witch am 06. August 2015, 13:24:45
@Churke: Ja, das auf jeden Fall. Aber wenn der Protagonist es eben eklig und schlimm findet, ist es einfach lebensechter, wenn das auch da steht.
Soweit es mich betrifft, bin ich davon ausgegangen, dass es zu Figur und Geschichte passt, was man beschreibt und wie. Das ist einfach Grundvoraussetzung. Ob das, so wie ich es mache, eine Modeerscheinung ist oder nicht, ist mir persönlich egal. Es ist einfach ein Teil meines kümmerlichen Stils. ;D

Zitat von: Klecks am 06. August 2015, 13:25:40
Die Balance ist da, denke ich, sehr wichtig und gar nicht so leicht zu finden.  :hmmm:
Stümmt. Wie bei fast allem im Leben und Schreiben. ;)

@Witch
Ich denke, du bist da mit dem Ansatz schon ganz richtig. Es ist dir bewusst, du willst es ändern und dann wird dir das auch gelingen. Irgendwann denkst du dann gar nicht mehr darüber nach.

Klecks

Zitat von: Christian am 06. August 2015, 13:33:22
Stümmt. Wie bei fast allem im Leben und Schreiben. ;)

Wahre, weise Worte!  ;D

canis lupus niger

#94
Zitat von: Witch am 06. August 2015, 10:38:19
Das ist ganz genau das, was ich meine. Berührungsängste ist das treffende Wort, das mir vorher nicht in den Sinn gekommen ist! :) Ich übe, ich habe z.B. bei meinem Langzeitprojekt eingebaut, dass sie sich erst einmal waschen, nachdem sie nach langem, mühsamem Fussmarsch im Schloss ankommen. Es fällt mir halt einfach schwer, gerade, was die härteren Sachen betrifft, so etwas wie z.B. Sprotte beschreibt.

Wenn es gegen Deinen Sinn für Ästhetik geht, Schmutz und Ekliges zu thematisieren,  wenn Du Deinen Lesern ersparen möchtest, darüber zu lesen, dann hat das, meine ich, Einfluss auf die von Dir erzählte Geschichte. Wenn Du Deine Charaktere zu Fuß durch den Urwald oder eine Wüste wandern lässt, dann ist das eine "schmutzige" Geschichte. Sind die Wanderer hartgesottene Abenteurer, können sie damit leben und machen sich nicht viele Gedanken über unrasierte Achseln und Schweißgeruch, ganz zu schweigen über den Mangel an Toilettenpapier. Wenn sie reiche Überlebende eines Flugzeugabsturzes sind, die sich nie außerhalb der Glitzerfassaden einer Großstadt bewegt haben, dann wird jedes Detail dieser Problematik sie sich vor sich selber ekeln lassen. Egal, welche Variante zutrifft, die Situation kannst Du ebenso wie den Charakter Deiner Figuren, die darin stecken, sehr schön zweigen (show, don´t tell), Es wäre andererseits extrem weltfremd, über eine derartige Reise zu schreiben, ohne auf den Dreck und die Unannehmlichkeiten überhaupt einzugehen. Das wäre wie das blütenreine und immer seidenweich glattgekämmte Haar von Legolas in den HdR-Verfilmungen. Das geht nicht!

Man kann bestimmt das Ausmaß und die Wortwahl bestimmen, die Art der Wahrnehmung der Perspektivträger in einem passenden Rahmen setzen, wenn man über die "dreckige" Situation schreibt. Aber wenn Du jede Art von Dreck weglassen willst, dann kannst Du so eine Situation nicht glaubhaft schreiben.

Wenn Du über die Welt eines Models schreibst, das in einer Luxusumgebung lebt, nichts Unangenehmes selber tun muss und allem Abstoßenden aus dem Weg gehen kann, dann kannst Du Dich auf das rein Ästhetische beschränken, weil Unästhetisches darin keine Rolle spielt. Dann hat es schon einen hohen Ekelfaktor, dass der Prota nicht dreimal, sondern nur einmal am Tag duschen kann. Und dass er/sie in der neu zu beziehenden Hotelsuite auf dem Fußboden im Bad ein Haar von der Putzfrau liegen sieht. Und auch das wäre ein starkes "showen" des Charakters und seiner Gewohnheiten.   



"Weiterer wichtiger Punkt: Kampfszenen. Auf einem Schlachtfeld riecht es nun mal nicht nach Veilchen."
Genauso isses. Schreibst Du über ein Schlachtfeld, musst Du auch den Gestank in Kauf nehmen.

Sascha

Ich mag es, wenn auch an sich unwichtige Alltags-Kleinigkeiten beschrieben werde. Wenn es für die Stimmung der Szene wichtig ist, dann erst recht.

In meinem Erstling lasse ich den Helden morgens auch mal verkünden, daß er erst mal aufs Klo muß, da kam dan schon die Reaktion der Betas "Was? Das schreibst Du da wirklich hin??"
Ja sicher! Er ist grad aufgestanden, hat für sich und seinen Partner (im Sinne von Kollege) Frühstück gemacht und muß halt erst mal. Warum soll ich eine typische Morgenszene nicht so beschreiben?

Und in dem Buch, das grad bei den Betas ist, hab ich z.B. das drin:
ZitatDas Erwachen gestaltete sich etwas unsanft. Ein Vogel, der wohl in den Zweigen der Akazie genächtigt hatte, warf vor dem Start in den neuen Tag erst einmal Ballast ab. Und der landete mitten auf Baatars Stirn.
Schimpfend lief er zum Fluss und wusch sich die Sauerei vom Gesicht. [...]
Ein paar Schritte im Wasser tat er es dem Vogel nach und kicherte albern bei dem Gedanken daran, ob er nun vielleicht gerade irgendeinem Fisch auf den Kopf gekackt hatte. So erleichtert und frisch gewaschen kehrte er unter den Baum zurück und frühstückte.
Am nächsten Morgen wird das noch etwas drastischer, weil er nämlich zu viel aufgeweichtes Trockenobst gegessen hat.

Warum ich das so beschreibe? Weil das am Anfang die Dinge sind, die ihm im Alltag Probleme machen. Es ist ein Beitrag zu seiner Charakterisierung. Aber er entwickelt sich. Mal sehen, ob es auch so rüberkommt, aber das ist zumindest der Sinn dahinter.

AlpakaAlex

Ich finde es irgendwie immer ein wenig ironisch, wenn Tolkien für glaubhafte Fantasy herangezogen wird. Denn ich finde es halt relativ unglaubwürdig in seiner Welt, dass diese sich technologisch über Jahrtausende kaum weiterentwickelt und es auch wenig kulturelle Entwicklung gibt. Das macht bei den Elfen, dank ihrer Unsterblichkeit, noch Sinn. Da wird sich nicht viel verändern. Aber bei den Menschen?

Genau das ist so ein Aspekt, den ich häufig in High Fantasy schlecht gemacht finde und was auch ein Grund ist, warum ich High Fantasy so selten lese: Die ganzen kulturellen Aspekte sind oftmals nicht realistisch und zeugen von wenig Informationen zum Thema Kultur, kulturelle Entwicklung und kulturelle Einflüsse. Da dies ein Thema ist, an dem mir sehr gelegen ist, fällt mir das natürlich immer sehr, sehr negativ auf. Allgemein ist es für mich vor allem dieser grundlegende Realismus im Weltenbau, der mir sehr wichtig ist.

In der Urban Fantasy liegt mir natürlich auch diverses in Sachen Realismus am Herzen. Ich meine, wie ich schon im Thema zum Maskeraden-Paradoxon geschrieben habe: Man kann einfach keine 100% realistische Urban Fantasy schreiben. Das geht einfach nicht, weil man eben zwischen dem Maskeraden-Paradoxon und dem "Aber wenn Magier und Elfen die ganze Zeit real waren, warum gibt es dann Los Angeles?" gefangen ist. Aber es gibt andere Dinge, die mir halt am Herzen liegen. Zum einen versuche ich die Städte, in denen meine Urban Fantasy spielt, möglichst glaubhaft darzustellen mit all ihren Seiten. Auch andere Themenblöcke versuche ich entsprechend zu recherchieren. Das können allerhand Sachen sein. Bei Mosaik recherchiere ich recht viel zum organisierten Verbrechen und auch der Söldnerei selbst (Fun Fact: Söldner*innen verdienen wesentlich weniger, als man meint, und die meisten Auftragsmorde werden mit ein paar Hundert bezahlt, nicht mehr). Bei Sturmjägerinnen aktuell recherchiere ich halt unglaublich viel über die Seefahrt und natürlich auch über die Geschichte der Piraterie (wo ich allerdings einen Vorteil habe, da ich mich dank FdK schon viel damit beschäftigt habe). Auch so ein Dauerthema für mich ist der Gebrauch von Waffen und auch der Wunden, die diese hinterlassen und wie tödlich diese sind.
 

Zit

So ungewöhnlich finde ich das auch wieder nicht, dass Gesellschaften auf einem Entwicklungsstand festhängen. Hängt letztlich alles von den Rahmenbedingungen ab, siehe Japans technologische Geschichte. Oder noch krasser: Naturvölker in Brasilien.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Gizmo

Für mein eigenes Worldbuilding habe ich mich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob und wie weit Gesellschaften statisch sein können. Und ich denke auf jeden Fall, dass es möglich ist, wenn z.B. ein Konsens in den Bereichen der Gesellschaft besteht, die etwas ändern könnten, es eben nicht zu tun. Abhängig von den Gegebenheiten einer Welt kann es durchaus sein, dass es weite der Gesellschaft als vorteilhaft erachten,dass alles (im Wesentlichen) bleibt, wie es ist. Vor allem, wenn z.B. neue Technologien mit einem Kontroll- oder Wohlstandsverlust einhergehen würden.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"