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Wann ist ein Roman zu düster?

Begonnen von Nightingale, 24. März 2013, 21:46:38

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Kati

Hallo, ihr Lieben.  :winke: Ich habe zu diesem Thema einige Threads gefunden, aber nichts, das genau in die Richtung geht, die ich meine. Falls das doch schon existiert, muss ich es übersehen haben. Es geht mir darum, was eure Meinung zu dem Thema ist, wie dunkel ein Fantasyroman sein darf. Ich meine nicht, wie viele Horrorelemente vorhanden sein sollen, sondern eher, wie viele dunkle Themen ein Urban- oder High-Fantasy-Roman abkann. Hier im Forum liest man ja immer wieder mal, dass einige ihre Figuren sehr gern von einer Katastrophe in die nächste stürzen und es gar nicht abgefahren genug sein kann. Und auch in vielen Romanen, die im Handel erhältlich sind, bemerkt man das: Die Figuren sind richtige Anti-Helden, traumatisiert und kaputt und immer kommen neue düstere Geheimnisse ans Licht. "Düster" ist momentan im Trend, aber manchmal finde ich es einfach sehr übertrieben und denke, weniger wäre mehr gewesen.

Jetzt frage ich mich, was eure Meinung dazu ist: Wie düster "darf" ein Fantasyroman sein? Dazu frage ich mich, ob eine Figur bloß Tiefgang haben kann, wenn sie große Probleme mit sich herumträgt. Je kaputter, desto mehr Tiefe? Oder können auch völlig durchschnittliche Figuren tiefsinnig sein? Dasselbe gilt allerdings auch für die Handlung: Wie düster sollte man, abseits der Dark Fantasy, die ja nochmal für sich steht, einen Fantasyroman gestalten? Was ist eure Meinung dazu?

Ich bemerke bei mir selbst immer wieder, dass meine Geschichte sehr düster werden, obwohl ich das eigentlich gar nicht will. Und ich kenne es von mir selbst, dass ich das Gefühl habe, die Geschichte sei irgendwie vielschichtiger, je mehr Probleme die Figuren mit sich herumtragen und je düsterer und pessimistischer die Grundstimmung ist. Ich selbst möchte davon weg, weil ich der Meinung bin, dass das eigentlich Unsinn ist. Aber wie seht ihr das? Kann ein Fantasyroman zu düster sein?

Malinche

Hm. Ich finde das sehr schwierig, und was mir als erstes dazu einfällt, ist vielleicht nicht unbedingt hilfreich, weil es kein Fantasyroman ist. Aber: Es gibt ein Buch, dessen Lektüre ich abgebrochen habe, Cees Notebooms "Allerseelen". Und das aus dem unbedingten Gefühl heraus, dass es mir zu düster war. Ich habe überhaupt keine Erinnerung an die Handlung. Ich weiß nur, dass ich beim Lesen das Gefühl hatte, dass es mich ganz tief nach unten zieht - und dass ich das irgendwann nicht mehr ausgehalten habe. (Nun hab ich mir gerade noch mal bei Wikipedia durchgelesen, worum es geht. Wie gesagt, bei mir ist Null Erinnerung. Das Empfinden von Düsternis kam bei mir also wohl in erster Linie von der Art, wie es erzählt wurde. Aber ich habe es selten so intensiv und schmerzhaft erlebt wie bei diesem Buch.)

Von daher: Ja, ich denke, ein Roman - ob Fantasy oder nicht - kann zu düster sein. Umgekehrt hängt es natürlich auch vom Leser ab. Es gibt ja sicher genug Leute, die "Allerseelen" mehr oder weniger problemlos fertig gelesen haben, von daher dürfte es schwierig sein, ein Patentrezept zu entwickeln, was man darf und was nicht. Das hängt einfach von zu vielen Faktoren ab - nicht nur, welche dunklen Elemente man benutzt, sondern auch, wie man sie darstellt und wie sie letztlich vom Leser aufgenommen werden.

Ein wenig Düsternis finde ich meist gar nicht übel. Aber es sollte stimmig sein und auch einem Zweck dienen. Persönlich denke ich, die Tiefe einer Figur erschließt sich nicht daraus, welche Probleme sie mit sich herumträgt, sondern wie ernsthaft sie mit ihren Problemen umgeht. Da müssen nicht unbedingt dunkle, schwerwiegende Themen angesprochen werden, damit eine Figur wirkt und funktioniert - die Figur muss stimmig sein. Ansonsten kann die Sache umgekehrt auch mit dramatisch-wichtigen dunklen Themen baden gehen.

Wichtig für mich ist, denke ich, dass es immer noch einen Lichtstrahl gibt. Das muss kein Happy End sein, beileibe nicht. Aber ich will Figuren sehen, die kämpfen, zumindest kämpfen wollen, und sich nicht einfach nur jammernd in ihr düsteres Schicksal fügen. Wenn ich das Gefühl habe, es gibt in der gesamten Geschichte keinerlei Lichtstrahl, es gibt nichts, was ich als Leser daraus mitnehmen kann und die Handlung saugt mir selbst alles an Kraft und Licht ab, was ich grade bei mir habe - ich glaube, dann ist mir ein (Fantasy)roman zu dunkel. Ich finde es nur schwer, diesen Punkt an allgemeinen Parametern festzumachen.

»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Aphelion

Ich lege zwei Kriterien an:

1. Was ist für die Zielgruppe zu düster? (v.a. wenn es ein Jugendbuch ist)
2. Wann wirken Schicksalsschläge nur aufgesetzt und nicht authentisch?

Letzteres ist deutlich wichtiger, wenn man nicht schon vertraglich gebunden ist und z.B. ein Jugendbuch ab 13 zugesagt hat. Das K.O.-Kriterium ist allerdings:

3. Fehler und Unmöglichkeiten.

Passiert sehr oft, wenn dick aufgetragen wird - spätestens dann sollte einem dämmern, dass man vielleicht mal einen Gang runterschalten sollte. ;) Das ist nämlich nicht nur falsch, sondern geht auch auf den Keks.

Ich mag ja Faustregeln:

Wenn ich als Autor einen kleinen Schicksalsschlag nicht so schildern kann, dass sie als schlimm genug erlebt wird, oder wenn ich den Charakter nicht auch so plastisch wirken lassen kann - dann sollte ich nochmal schreiben üben und nicht versuchen, durch übertriebenen Inhalt meine Fertigkeiten zu kompensieren.  :lehrer:

Die Baustelle ist dann an anderer Stelle zu suchen, zum Beispiel bei Charakterisierungen. Wie man sich diesen nähert, hängt stark von persönlichen Vorlieben ab.

Um herauszufinden, ob man zu dick aufgetragen hat, kann man beispielsweise  eine Szenenübersicht erstellen. Läuft jeder Abschnitt nur darauf hinaus, dass der Prota (oder andere Charaktere) am Ende psychisch nur noch mehr im Eimer sind, als am Ende des vorherigen Abschnittes? Was haben meine Charas noch zu bieten? Definieren sie sich nur über Probleme und Schicksalsschläge?

Coppelia

#3
Für mich machen nicht die Ereignisse, sondern die Erzählweise und die "Botschaft" ein Buch düster. In einem Buch können banale Dinge passieren, die die Geschichte aber zu einem fürchterlich düsteren Horrortrip machen. Anders herum können schlimme Dinge passieren, aber es kann sich trotzdem um eine ermutigende Geschichte handeln. Hier würde ich Malinche zustimmen, dass es wichtig ist, ob Hoffnung ausgedrückt wird, und worauf diese Hoffnung besteht. Aber ich denke, auch das Verhältnis zwischen Figur und Erzähler kann wichtig sein. Wenn der Erzähler auch noch zynisch ist, kann das eine Geschichte düsterer aussehen lassen, als wenn er mitfühlend ist und der Figur eine "Stimme" gibt.

Obwohl ich selbst zur Unterhaltung ungern düstere Dinge lese und vermute, dass es vielen ähnlich geht, denke ich, dass Literatur im Allgemeinen nicht zu düster sein kann. Es kommt halt darauf an, wie das persönliche Empfinden des Lesers ist und aus welchem Grund er liest - weil er nicht einschlafen kann, weil er sich bespaßen will, oder weil er sich vielleicht ja doch mit Problemen auseinandersetzen möchte. Wenn ein Buch schwerwiegende, vielleicht unlösbare Probleme behandelt, ist es oft meiner Meinung nach völlig zu Recht düster. Ob das jemand freiwillig liest, steht auf einem anderen Blatt.

Amberle

Ich muss an dieser Stelle auch Malinche recht geben. Der Lichtstrahl der Hoffnung ist nicht nur notwendig, sondern unerlässlich. Für mich lautet das Stichwort da Kontraste. Wenn alles immer nur voller tragischer Schicksale und jammerner Figuren besteht, dann verliere ich dass Interesse. Um dass mal mit einem Bild zu vergleichen: Man hat dann nur noch Einheitsbrei aus stumpfen, dunklen Farben. Wer will soetwas lesen/sich ansehen? Ich jedenfalls nicht.

Außerdem finde ich es wichtig, an einem bestimmten Punkt halt zu machen. Nämlich dann, wenn die Figur nicht mehr aushält. Ansonsten wird aus ihr ein endgültig zerbrochenes, jammerndes Etwas. Und das möchte niemand als Figur, schon garnicht als Perspektivträger (denen solche Dinge ja am häufigsten passieren).

Kurz: Düster kann ein Roman durchaus sein, sogar sehr düster. Aber wenn es nicht anderes mehr gibt und die Figur nicht länger am Abgrund steht, sondern längst hinunter gefallen ist, dann ist es zuviel.
Übrigends: Wenn man einer Figur immer nur den größtmöglichen Mist antut und sie nicht zerricht, ist auch irgendetwas falsch.

Serena Hirano

Zitat von: Aphelion am 25. März 2013, 07:00:13
Ich lege zwei Kriterien an:

1. Was ist für die Zielgruppe zu düster? (v.a. wenn es ein Jugendbuch ist)
2. Wann wirken Schicksalsschläge nur aufgesetzt und nicht authentisch?


Das finde ich auch ganz wesentlich. Düster liegt ja im Auge eines Betrachters. Auch mal vom Jugendbuch weg gedacht. Ein Flüchtling aus einem Kriegsgebiet, wird ein Buch über einen Krieg sicherlich anders lesen, als ich, der in nem friedlichen Land groß geworden ist. Ein Opfer von Gewalt findet so etwas sicher schauriger, wo manch anderer nur mit den Schultern zucken würde und es "etwas grob" nennt. Mancher steht auf Blut an allen Ecken und Enden, mancher auf Psychospiele und mancher will im Buch die ganze Welt in Schutt und Asche sehen. In sofern würde ich behaupten, es kann  sehr viel "düster" rein, es wird für alle Stufen Leser geben.

Aber genau bei Zweitens finde ich es extrem! Wie viele Bücher gibt es, in dem zum Beispiel kleine, unschuldige Mädchen als Heldinnen durch ein Martyrium gehetzt werden, wo andere auf der Hälfte schon in den Suizid gegangen wären oder mindestens in der Klapse sitzen. Und am Ende vom Buch sind sie gestärkt und moralisch unantastbar. Das finde ich so unrealistisch, dass es nix mit düster zu tun hat, sondern mit einem nicht nachempfindbaren Plot.
Dazu kommt Amberles Punkt mit der Hoffnung. Sicherlich ist es verschieden, aber jeder Mensch hat einen Punkt, an dem er sich in sein Schicksal fügt und nicht mehr kämpft (Oder Kopflos ins Gewehrfeuer rennt etc.). Ein Punkt an dem das Hirn abschaltet, weil es nicht mehr zu ertragen ist. Und um Hoffnungsschimmer in der Handlung mitzutragen und dem ganzen Geschenen einen Sinn zu geben, sollte man versuchen, sich eben nicht zu nah an diesem "Toten Punkt" zu bewegen, sondern etwas realistisch zu bleiben.

Debbie

ZitatWie düster "darf" ein Fantasyroman sein?

Ich denke auch (wie hier schon mehrfach erwähnt), dass man mit dem, was man dem Prota zumutet, vorsichtig sein muss. Denn die logische Konsequenz, von sich immer weiter übertreffenden negativen Ereignissen, ist, dass der Prota immer verzweifelter, depressiver und hoffnungsloser wird - und jeder Mensch (jedes Wesen) hat eine Grenze dessen, was er/sie ertragen kann. Bleibt der Prota im Gegensatz dazu unberührt von dem Elend um ihn herum (oder nicht in entsprechendem Maße beeinflusst), wirkt es wiederum schnell unrealistisch.

Wer eine düstere Stimmung haben möchte, ist m. E. am besten beraten, die Umgebung hoffnungslos und düster zu gestalten und einen weitestgehend unbeitiligten/nicht unmittelbar betroffenen Charakter als Prota zu wählen (z. B. Sleepy Hollow). Da kann man dann auch (wenn man möchte) sehr schön zeigen, wie die Atmosphäre langsam auf den Prota abfärbt. Die Kombi aus düsterer, hoffnungsloser Umgebung und kaputtem, (annähernd) gebrochenem Charakter ist hochexplosiv und muss mit extremer Vorsicht und einem untrüglichen Gefühl für Balance umgesetzt werden. Das muss man erstmal können  :omn:

Hat man für seinen Charakter allerdings alle Arten von Leid auf Lager, und plant vielleicht auch noch, dass über mehrere Bände auszuführen, muss man unbedingt für Balance sorgen. Siehe Fred & George, Feste, Verliebtheit, etc. in HP. Auch steigert sich die Reihe allmählich - wäre das erste Buch so düster gewesen, wie das letzte, hätte die Reihe sicher nicht soviele Fans gefunden.

Es geht hier v. a. um ein Gleichgewicht und das richtige Maß von Drama und Melodrama - beides mächtige und nützliche Werkzeuge, die man, wie die meisten anderen, nicht überstrapazieren sollte, da sie sonst schnell den gewünschten Effekt einbüßen.


ZitatDazu frage ich mich, ob eine Figur bloß Tiefgang haben kann, wenn sie große Probleme mit sich herumträgt. Je kaputter, desto mehr Tiefe? Oder können auch völlig durchschnittliche Figuren tiefsinnig sein?

Naja, wie ist es denn in der Realität? Wieviele Leute kennst du denn, die ein einfaches Leben hatten und trotzdem wirklich tiefsinnig sind? Ich kenne keine, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren ... Im echten Leben ist es nunmal so, dass Menschen die schwere/viele Schicksalsschläge erlitten haben, anders denken und empfinden - das liegt in der Natur der Sache. Und meist will man Hauptfiguren, die mit den entsprechenden Eigenschaften ausgestattet sind, da sie mehr Projektionsfläche und Plotpotential bieten.

Aber natürlich kann man auch "unbelastete" Charaktere einsetzen, bei denen die Entwicklung von "Tiefsinnigkeit" zu einem Teil ihrer Heldenreise gehört. Das erfordert allerdings ungleich mehr Geschick, denn der Leser wird an allen Schicksalsschlägen beteiligt sein und der Autor muss den Prota trotz und durch all das Leid als realistischen Sympathieträger darstellen und am Laufen halten. Auch wieder ein schwieriger Balanceakt - es dürfen nämlich theoretisch keine Schicksalsschläge eintreffen, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Außer man macht einen Zeitsprung, der lang genug ist, dass man das Leid des Protas nicht en detail beschreiben muss, dass es nicht mehr den Alltag der Figur bestimmt ...


ZitatDasselbe gilt allerdings auch für die Handlung: Wie düster sollte man, abseits der Dark Fantasy, die ja nochmal für sich steht, einen Fantasyroman gestalten? Was ist eure Meinung dazu?

Die Grenzen wurden ja bereits mehrfach genannt. Ansonsten ist mir eine Steigerung innerhalb der Geschichte wichtig - in dem Fall bin ich eher bereit viel zu ertragen.

Churke

Zitat von: Kati am 24. März 2013, 21:46:38
Und auch in vielen Romanen, die im Handel erhältlich sind, bemerkt man das: Die Figuren sind richtige Anti-Helden, traumatisiert und kaputt und immer kommen neue düstere Geheimnisse ans Licht. "Düster" ist momentan im Trend, aber manchmal finde ich es einfach sehr übertrieben und denke, weniger wäre mehr gewesen.

Düster? So wie Twilight? Ich tue mir schwer damit, in Kolportage etwas Düsteres zu entdecken.

Verwirrter Geist

Zitat von: Kati am 24. März 2013, 21:46:38
Ich meine nicht, wie viele Horrorelemente vorhanden sein sollen, sondern eher, wie viele dunkle Themen ein Urban- oder High-Fantasy-Roman abkann.

Grundsätzlich glaube ich: Viele. Sehr viele.
Nur existiert imho zwischen der Anzahl der Themen und ihrer Intensität ein Spannungsfeld.
Wenn ein Charakter ein geliebtes Familienmitglied auf grausame Weise verliert, er Alkoholiker ist, Magersüchtig und dazu in düstere Kriegswirren gestoßen wird kann das funktionieren. Allerdings können dann die einzelnen Themen ihre Wirkung nicht mehr vollständig entfalten und einige werden zwangsweise ins Hintertreffen geraten, egal wie ausufernd man erzählt. Daher bin ich der Meinung, dass man immer ein absolutes Zentralthema haben sollte, von dem aus sich andere Dinge möglicherweise enthalten.
Beispielsweise kann ein Alkoholproblem ja prima mit dem Verlust des Liebsten einhergehen.

ZitatHier im Forum liest man ja immer wieder mal, dass einige ihre Figuren sehr gern von einer Katastrophe in die nächste stürzen und es gar nicht abgefahren genug sein kann. Und auch in vielen Romanen, die im Handel erhältlich sind, bemerkt man das: Die Figuren sind richtige Anti-Helden, traumatisiert und kaputt und immer kommen neue düstere Geheimnisse ans Licht. "Düster" ist momentan im Trend, aber manchmal finde ich es einfach sehr übertrieben und denke, weniger wäre mehr gewesen.

Für Bücher gilt das Gleiche wie für alle Medien: Höher, schneller weiter. Mittlerweile ist wohl jede Geschichte bereits aufgeschrieben und verkauft worden. Also muss man jetzt an den zahlreichen Rädchen drehen, um doch wieder etwas total "Neues" anbieten zu können. Dazu ist man als Leser auch zunehmend abgestumpft, glaube ich. Einige Dinge die mich früher schockiert hätten, lese ich heute relativ unberührt.

ZitatJetzt frage ich mich, was eure Meinung dazu ist: Wie düster "darf" ein Fantasyroman sein? Dazu frage ich mich, ob eine Figur bloß Tiefgang haben kann, wenn sie große Probleme mit sich herumträgt. Je kaputter, desto mehr Tiefe?

Eine Figur ohne Konflikt ist langweilig. Und ein Konflikt manifestiert sich in Problemen. Also ja, Tiefgang ohne Probleme halte ich für unmöglich. Aber diese Probleme müssen nicht zwangsläufig extrem sein, um einen extrem guten Charakter zu erzeugen.

ZitatOder können auch völlig durchschnittliche Figuren tiefsinnig sein?

Ich sehe da einen Fehler in der Fragestellung: Völlig durchschnittliche Figuren und Menschen gibt es nicht. Und die Besonderheiten der einzelnen Charaktere aus ihnen heraus zu kitzeln, ist ja gerade unser Job.

ZitatDasselbe gilt allerdings auch für die Handlung: Wie düster sollte man, abseits der Dark Fantasy, die ja nochmal für sich steht, einen Fantasyroman gestalten? Was ist eure Meinung dazu?

Das hängt einfach von der Zielgruppe ab. Wenn ich Splatterjunkies unterhalten möchte, wähle ich logischerweise andere Erzählstrukturen, als in einem Jugendbuch. Imho ist von "heile Welt" bis "totale Apokalypse" daher auch alles denkbar.

Zitat
Ich bemerke bei mir selbst immer wieder, dass meine Geschichte sehr düster werden, obwohl ich das eigentlich gar nicht will. Und ich kenne es von mir selbst, dass ich das Gefühl habe, die Geschichte sei irgendwie vielschichtiger, je mehr Probleme die Figuren mit sich herumtragen und je düsterer und pessimistischer die Grundstimmung ist. Ich selbst möchte davon weg, weil ich der Meinung bin, dass das eigentlich Unsinn ist. Aber wie seht ihr das? Kann ein Fantasyroman zu düster sein?

Wie bereits ausgeführt: Zu düster geht, je nach Zielgruppe, imho nicht. Andererseits sind Charaktere aber, meiner Meinung nach, umso stärker, umso logischer ihr Konflikt aufgebaut ist. Und irgendwann wird jedes Martyrium so unlogisch, dass auch der Konflikt seine Wirkung verliert.

Wenn du das Gefühl hast, dass du davon weg willst, solltest du dich nach dem "warum" fragen. Findest du, dass du übertreibst? Denkst du, dass man deinen Geschichten emotional nicht mehr folgern kannst? Oder geht es nur darum, irgendeine Norm zu erfüllen? 

Zanoni

Wie wäre es damit:

Zu "düster" wäre es, wenn der Prota unter den Problemen und Schicksalsschlägen zusammenbricht und sich nicht daraus befreien kann oder will. Wenn aber selbst ein großes Problem oder ein derber Schicksalsschlag auftaucht, was von dem Prota überwunden wird und er am Ende sogar daran wächst, dann ist es keineswegs "düster", sondern eher "hell".

Nicht unbedingt mit Menge oder Schwere an Problemen und Hindernissen scheint mir entscheidend, sondern wie damit umgegangen wird und zu welchem Ergebnis sie führen.

Lovagh

Während ein Prota immer mehr im Chaos, Wahnsinn etc. versinkt, sollte man ihm dennoch immer wieder Lichtblicke und Hoffnungsschimmer geben. Ich selbst gehe nach dem Motto vor: "Es wird dir nur so viel aufgelastet, wie du gerade noch verträgst." Alles andere fände ich übertrieben und unrealistisch.
Zu düster kann ein "Nicht-Dark-Fantasy" bzw. "Nicht-Horror" sein, wenn er nicht viel mehr, als Angst, Furcht und Schrecken vermittelt. Das wäre aber dann genau dies und trägt eines falschen Genres Namen oder der Autor hat seinen eigenen Plot verfehlt.

Ich selbst versuche gerade Dark-Fantasy zu schreiben und fange zum einen ganz langsam mit der Entwicklung des Wahnsinns an. Und während mein Prota immer mehr seiner "dämonischen" Hälfte verfällt, holen andere Figuren ihn immer gerade rechtzeitig raus. Andernfalls würde er durchdrehen. Warum er nicht durchdrehen soll, wo es doch Dark-Fantasy ist? Der Leser eines Dark-Fantasy möchte sich allen Schikanen zum Trotz, noch mit dem Perspektiventräger identifizieren können, was mit einem komplett Wahnsinnigen Perspektiventräger sehr schwer möglich ist.
Anders sähe ich es, wenn der Perspektiventräger jemand ist, der dem Wahnsinnigen helfen oder vor diesem entkommen muss. Allerdings empfände ich es dann vielleicht eher als Drama oder Action...

Kurz und knackig: Ich stimme den anderen zu, dass es eine Sache des Blickwinkels ist. Jeder empfindet anders.

Ryadne

Ich habe insbesondere bei älteren High Fantasy-Romanen oft das Gefühl, dass sie eher nicht düster genug sind, was die Figurenzeichnung angeht. Ich meine, wenn man sich mal durch den Kopf gehen lässt, was die Figuren teilweise alles mitmachen müssen - da wirkt es auf mich so unglaubwürdig, wie psychisch unbeschadet sie vieles überstehen.
Und das ist auch ein Problem, das ich bei meinem aktuellen Projekt habe, das ein paar High Fantasy-Anleihen nimmt. Ich hab da einen Kerl, den ich eigentlich als relativ überzeugt und standfest darstellen will, aber wenn ich mir so seine Vergangenheit ansehe, dann kommen mir immer wieder Zweifel an seinem Realismus. Solche Figuren sind mir auch unangenehm gegenüber potenziellen Lesern, die ähnliches erlebt haben. Andererseits - Menschen gehen unterschiedlich mit Erlebnissen um. Richtig unglaubwürdig wird es erst, wenn man eine ganze Heldentruppe hat, die jeden Schicksalsschlag mehr oder weniger problemlos übersteht.

Zitat von: Coppelia am 25. März 2013, 07:34:54
Wenn der Erzähler auch noch zynisch ist, kann das eine Geschichte düsterer aussehen lassen, als wenn er mitfühlend ist und der Figur eine "Stimme" gibt.

Das ist denke ich ein wichtiger Punkt, wobei ich neben den zynischen noch den gefühlskalten Erzähler stellen würde. Was ich an Büchern nicht haben kann und was für mich"zu düster" bedeutet, ist nicht nachvollziehbare Gefühlskälte in Verbindung mit detaillierter Grausamkeit, die aus Tätersicht beschrieben wird. Vor allem ausgearbeitete Vergewaltigungsszenen kann ich mir nicht antun.
In "Der Kinderdieb" gab es da ein paar Ansätze, die ich schon ziemlich übel fand, aber auch wenn das Buch einen eher kalten, düsteren Ton hat, war das da aus meiner Sicht noch grad so in Ordnung, weil eben doch wieder auch mitfühlende Töne mitgespielt haben. Außerdem wurde hier nicht aus der Sicht des Täters geschildert.
Anders ist es zum Beispiel bei "39,90" von Frédéric Beigbeder oder bei "American Psycho" von Bret Easton Ellis (wobei ich mich an Letzteres kaum noch erinnern kann, habe es auch nicht zu Ende gelesen). Die sinnlose Gewalt, das ewige Schwelgen in Drogen- und Sexträumen in Verbindung mit diesem Extremzynismus fand ich an sich schon nicht toll, und dann noch mit den einfach grundlos grundunsympathischen und gefühlskalten Figuren... das war für mich nichts mehr.
Aus dem Fantasybereich fallen im Moment mir keine solchen Romane ein. Bücher mit zerrissenen Figuren und dauerdüsterer Stimmung kann ich mir zwar nicht dauerhaft antun, aber für sich genommen finde ich sowas durchaus mal interessant und habe hier noch nichts erlebt, was mir über Ansätze hinaus (wie in "Der Kinderdieb" oder auch "Drei Monde") zu düster, hoffnungslos und kalt gewesen wäre.

Maran

Die eigentliche Frage ist doch: Was ist düster? Ich denke, da hat jeder Leser (oder auch Autor) seine eigenen Definitionen, Gründe und Grenzen.

Meine aktuellste Leseerfahrung in dieser Hinsicht - sry, Rüdchen - ist "Als die schwarzen Feen kamen". Ich habe es aus eben diesem Grunde nicht beendet. Handlung der Geschichte, Glaubwürdigkeit der Charaktere, Stil, alles großartig. Und doch ... da schwang unterschwellig etwas mit, das mir extrem unter die Haut ging. Wenn diese emotionale Komponente auf meiner Seite nicht gewesen wäre, dann hätte ich das Buch auch beendet. Mein Kompliment, liebe Grey, nicht viele Autoren schaffen das. Du hast es wirklich drauf.  :knuddel:

Rika

Ich stimme Maran zu, was düster empfunden wird ist von personzu person unterschiedlich.

Für mich spielt auch eine grosse Rolle, wie stimmig und wichtig etwa Schicksalsschläge für die Geschichte sind, und wie die Charaktäre damit umgehen. Ganz wichtig ist mir, dass irgendwo immer auch etwas hoffnungsvolles mitschwingt.

Charles deLint hat z.B. teilweise doch einiges düsteres in seinen Geschichten, womit ich gut umgehen kann. Dann erinnere ich mich auf der anderen Seite aber auch an die Enwor Saga von Hohlbein, bei der ich damals recht schnell genervt war von dem Eindruck "egal wie schlimm, Held beisst sich übermenschlich durch", der sich über mehrere Bücher wiederholte. Auch hatte ich da so gar nicht den Eindruck, dass die Düsternis/Schicksalsschläge/Schwierigkeiten für besondere Vielschichtigkeit gesorgt hätten. Das passiert meiner Ansicht nach halt nicht automatisch, die dafür bestehenden Samen müssen schon auch vom Autor gehegt und gepflegt werden, die Möglichkeiten für die Charakterentwicklung genutzt und ausgearbeitet.

Fazit: keine Faustregel. Wichtig ist, dass es dir für deine Geschichte stimmig und/oder notwendig erscheint, denke ich.

HauntingWitch

So, ich krame mal diesen Thread hier hervor. Ich denke, mein Problem ist ähnlich.

Und die Frage wäre: Wie viele üble Schicksale kann ich bringen, ohne dass es störend wirkt?

Ich habe 3-4 Perspektivträger und 3 davon haben einen, naja, etwas schwierigen Hintergrund aus dem Elternhaus. Im Moment mache ich Charakterbau für den möglichen vierten und es läuft wieder darauf hinaus, dass er früher irgendetwas Schlimmes erlebt hat. Ich frage mich, ob das nicht etwas zu viel ist. Es gibt doch auch "normale" Menschen (also solche, die in einem stabilen, sicheren Umfeld aufgewachsen sind), da muss ich doch auch solche haben...

Andererseits ist es im Leben ja nun auch so, dass tendenziell eher Menschen aufeinander treffen bzw. Kontakt zueinander halten, die durch so etwas verbunden sind. Natürlich muss das nicht immer so sein. Aber ist die Konstellation im Roman so abwegig? Auffallen würde es bestimmt, da mache ich mir keine Illusionen. Aber stört es auch? :hm:

Was meint ihr dazu?