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Die 4te Wand im Roman

Begonnen von Zit, 10. Mai 2016, 21:37:51

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Zit

Als ich die Tage mal wieder auf yT versumpft bin und dabei durch Videos von WatchMojo gehüpft bin, flimmerte auch eins über die 10 besten 4te-Wand-Durchbrüche über den Bildschirm. Davon abgesehen, dass u.a. Spaceballs aus vielen anderen Gründen ein guter Film, ist mir doch bei vielen Beispielen aufgefallen, dass, zumindest im Film/ TV, diese 4te Wand in erster Linie mit Roman-Mitteln durchbrochen wird. Das Erzählen der Handlung und gerade das direkte Teilhaben an den Gedanken einer Figur sind im Roman Standart. Jetzt frage ich mich natürlich, wie sich dann die 4te Wand innerhalb eines Romans durchbrechen lässt? Wäre das nur durch die direkte Adressierung des Lesers, bspw. als Du-Erzähler, möglich? Durchbrechen wir permanent die 4te Wand als Ich-Erzähler oder als allwissender Erzähler? Oder durchbrechen Figuren, die wissen, dass sie Romanfiguren sind, wie bei Thursday Next, bereits jene Wand, wenngleich diese Figuren mit dem Leser nie direkt interagieren? Existiert diese Wand also überhaupt für uns Schriftsteller? :hmmm:
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Guddy

#1
Zeichnet sich das Durchbrechen der vierten Wand nicht dadurch aus, dass die Figuren mit der Kamera/dem Zuschauer/dem Leser sprechen und sich somit mehr oder minder bewusst sind, dass sie lediglich Figuren sind? Daher sehe ich nicht, wo ein normaler Roman diese Wand durchbrechen würde. Der Protagonist hat ja trotz alledem kein Bewusstsein für die Welt außerhalb des Buches. Und wenn sie kein Bewusstsein dafür haben, so ist zumindest ein direkter Bezug zur "Außenwelt" gegeben.

Eine Durchbrechung der vierten Wand wäre dann sowas: "Und dies, lieber Leser, hat, wie man sieht, nicht geklappt." oder "Aber klar, wenn ich nicht nur eine Romanfigur wäre, könnte ich jetzt XY, das wissen wir beide." oder "Hey, hilf mir mal, die Seite umzublättern, damit ich endlich meine VErlobte wiedersehe! [eine Seite später] Danke! So, weiter im Text!"

Akirai

Zitat von: Guddy am 10. Mai 2016, 21:46:57
Zeichnet sich das Durchbrechen der vierten Wand nicht dadurch aus, dass die Figuren mit der Kamera/dem Zuschauer/dem Leser sprechen und sich somit mehr oder minder bewusst sind, dass sie lediglich Figuren sind? Daher sehe ich nicht, wo ein normaler Roman diese Wand durchbrechen würde. Der Protagonist hat ja trotz alledem kein Bewusstsein für die Welt außerhalb des Buches. Und wenn sie kein Bewusstsein dafür haben, so ist zumindest ein direkter Bezug zur "Außenwelt" gegeben.

Eine Durchbrechung der vierten Wand wäre dann sowas: "Und dies, lieber Leser, hat, wie man sieht, nicht geklappt." oder "Aber klar, wenn ich nicht nur eine Romanfigur wäre, könnte ich jetzt XY, das wissen wir beide." oder "Hey, hilf mir mal, die Seite umzublättern, damit ich endlich meine VErlobte wiedersehe! [eine Seite später] Danke! So, weiter im Text!"

Das erinnert  mich an Bartimäus von Jonathan Stroud  :hmmm: Sehr toll gemacht und gerade dieser (für mich verblüffende) Effekt hat auch viel zum Humor beigetragen.

Wobei man als Ich-Erzähler theoretisch doch auch ständig mit dem Zuschauer / Leser spricht, oder? Eben ohne die direkten Leseranreden, es ist ja alles ein einziger Monolog.

Maubel

#3
Wenn man das ganze subtiler machen will, kann man sich darauf stützen, dass den Figuren irgendwie bewusst ist, dass jemand sie beobachtet oder dass sie das Gefühl haben, dass sie ihr Schicksal nicht in der Hand haben, ohne jetzt direkt den Leser anzusprechen. Im Grunde, wenn sich ein Roman selbst nicht so ernst nimmt, also in Satiren oder anderen humorvollen Genres kann ich mir das gut vorstellen, mal mehr oder weniger so deutlich. Und dann kannst du natürlich noch die Inception-Storylines machen, so wie in der Unendlichen Geschichte, wo wir lesen, wie ein Junge ein Buch liest, mit der Botschaft, dass wir selbst die Rolle des Jungens widerspiegeln könnten, aber das würde ich weniger als Fourth-Wall bezeichnen.

Zitat von: Akirai am 10. Mai 2016, 21:54:27
Wobei man als Ich-Erzähler theoretisch doch auch ständig mit dem Zuschauer / Leser spricht, oder? Eben ohne die direkten Leseranreden, es ist ja alles ein einziger Monolog.

Geht fast ins OT, aber das kommt drauf an, wenn man den Ich-Erzähler wirklich als ich erzähle/schreibe meine Geschichte auf, macht, ja schon irgendwie. Man kann aber auch Ich-Perspektive benutzen ohne dies als direkte Erzählung darzustellen, sonst müsste man auch beim auktorialen Erzähler und dem persönlichen Erzähler davon ausgehen, dass dieser die Geschichte dem Leser erzählt. Das muss man übrigens auch noch unterscheiden: Wem erzählt der Ich-Erzähler es denn? Dem echten Leser oder vielmehr einem Leser in seiner Welt, der eben das Notizbuch in die Hand kriegen könnte? Das letztere wäre keine vierte Wand und das erste ist in der Hinsicht weniger häufig.

Zit

#4
@Guddy

Das ist ja eine Frage. Wenn wir uns Beispiele wie Malcom mittendrin ansehen, dann ist dieses Erzählen, meiner Meinung nach, auch nichts anderes als ein Ich-Erzähler. Weil: Wem erzählt denn der Ich-Erzähler die Geschichte, wenn nicht dem Leser? Und wenn es nicht die 4te Wand ist, wie kann sie anders durchbrochen werden?
Lt. Wikipedia kommt dieser Begriff aus dem Theater, von Vorstellungen, die forderten, die Bühne als Raum mit vier Wänden zu begreifen und auch so zu schauspielern als wäre der Zuschauer gar nicht anwesend. Zuvor wurde das Publikum normalerweise einbezogen. Entweder durch eine Figur, die sich direkt zu den Zuschauern hinstellte und das Wort an sie richtete/ ihnen etwas erzählte, oder indem Schauspieler auf Reaktionen des Publikums reagierten. Ich bin mir nicht sicher, ob der Begriff 4te Wand entsprechend immer das Bewusstsein voraus setzt, dass die Figuren wissen, dass sie innerhalb einer fiktiven Umwelt agieren. Das Bewusstsein könnte nur eine Variante sein. (Bei Spaceballs sind sie sich ja auch nicht dessen bewusst. Sehen aber dennoch die Auswirkungen dieser... ich sag mal, Meta-Ebene.)

Nachtrag: Ach man, zu langsam. ;D
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Guddy

Das mit dem Ich-Erzähler ist vielleicht Auslegungssache. Ich finde nicht, dass dort ein Bruch der vierten Wand erfolgt. Es ist nur eine Erzählform, der Bezug zum Leser wird nicht oder nur unzureichend hergestellt. Die Bindung ist natürlich stärker, eine Nähe zur Figur wird suggeriert, aber nicht in der nötigen Form erlangt.

Erzählt er mir die Geschichte? Erzählt er sie sich selber oder jemand Drittem? Ist der Ich-Erzähler überhaupt eine Figur - oder nur das Phantom eines solchen, eine Repräsentation?

Aber wie gesagt, das ist Auslegungssache, meinetwegen kann man das auch komplett anders sehen. ;D

Jen

#6
Vielleicht kann man die vierte Wand auch durchbrechen, indem man sie errichtet ... quasi das unverblümte Ansprechen von etwas, das andere Autoren als Metapher verpacken würden.
Ich stelle mir das gerade in Form eines Dialogs vor: Zwei Figuren diskutieren über einen Missstand, an dem sie nichts ändern können und vermutlich auch nicht werden. Einer der Figuren sagt etwas wie "Wer sollte an XY etwas ändern? Selbst wir sind nicht in der Lage dazu". Tatsächlich geht es dann darum, dass keiner der Charaktere ... sagen wir mal platt, dass sie den Müll nicht rausbringen können, weil sie ... in Ketten liegen. (Total plausibles Beispiel, kennen wir alle). Wenn die Aussage sein soll "LESER! Bring den Müll raus!" könnte man es zumindest so verpacken.
Die Frage wäre dabei, ob der Leser dann sagt "Hier! Ich könnte es tun!" und dadurch, dass er nicht erhört werden kann, gegen diese vierte Wand stößt ... und eventuell selbst durchbricht. Es hätte zwar keine Auswirkung auf die Geschichte, aber zumindest gäbe es vier Wände und eine Botschaft wurde mit Bravour durch sie hindurch übermittelt.  ::) Ohje, das war total OT. Sorry. Meine Antwort geht gerade eher in die Richtung "Wie vermeidet es, dass man eine vierte Wand durchbricht", haha.

Edit: Storytelling der Zukunft: Der Leser durchbricht selbst die vierte Wand!
Guilty feet have got no rhythm.

Evanesca Feuerblut

Mir fallen einige Fälle ein - Wolf Haas und seine "Verteidigung der Missionarstellung" ist sich permanent dessen bewusst, ein Buch zu sein. Das ist sowieso ein avantgardistisch sehr gewagtes Romanding geworden.
Und ansonsten, eher aus dem Fantastikbereich, auch "Sophies Welt" von Jostein Gardner, in dem den Figuren der Binnenerzählung bewusst wird, dass sie nur Figuren in einer Erzählung sind.
Persönlich finde ich sowas genial, ist aber nicht ganz so leicht.

Aphelion

#8
Dazu fällt mir ein Buch ein, das in meinen Augen ein Paradebeispiel dafür ist: Walther Moers "Ensel und Krete", das einen beabsichtigt aufdringlichen und selbstherrlichen Erzähler namens Mythenmetz hat, der in "Mythenmetzschen Abschweifungen" den Leser genau so viel nervt, dass es lustig ist und man das Buch nicht in die nächste Ecke pfeffert. Er reibt dem Leser sogar unter die Nase, dass die Abschweifungen für den Plot wichtig sind und man sonst nichts verstehen wird.

Die Gedanken einer Figur zu kennen, allwissend oder omnipräsent zu sein halte ich nicht für das Durchbrechen der vierten Wand (um bei dem Begriff zu bleiben).

Dämmerungshexe

Ich denke die vierte Wand wird im,er dann durchbrochen, wenn tatsächlich der Leser selbst angesprochen wird. Kompliziert wird die Sache dann, wenn es verschiedene Erzählebenen gibt. Also: spricht der auktoriale Erzähler sein Publikum, an, oder tun es seine Charaktere "an ihm vorbei"? Bei der Ich-Perspektive ist es Definitonssache - bekommt man mit, wem genau der Erzähler die Geschehnisse erzählt, ist eine Durchbruch wohl eher nicht gegeben.

Ich hab im Musenbrunmen mal eine Idee hinterlegt, wo die Grenze zwischen Autor und Figur verschwimmt und auch für mein Blog-Roman-Projekt Pläne ich etwas in der Richtung. Ich glaube so etwas hat nicht nur Potenzial, sondern wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen, angesichts der allgemein zunehmenden Interaktivität zwischen Autor und Figuren und den Lesern/Fans.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Cailyn

Leider hab ich weder von 1, 2, 3 oder 4ten Wänden keine Ahnung. Aber ich wollte mich mal kurz für den kleinen Musenmoment bedanken, den mir diese Diskussion hier beschert hat in punkto "Wen spricht man in der Ich-Perspektive eigentlich an?". Diese Frage hat mir gerade eine geniale Idee gegeben für mein aktuelles Buch. Juhuu! Danke euch!

Lukas

#11
Wenn ich mein etwas älteres Deutsch - GK - Wissen aus dem Regal hole, den Staub runter puste und vorsichtig so öffne, dass die Seiten nicht zerbröckeln, dann glaube ich mich daran zu erinnern, dass die "narrative Metalepse" und der "Durchbruch der vierten Wand" unterschiedliche Herangehensweisen mit einer gemeinsamen Grundprämisse sind. Diese stellt sich so dar, dass die Figuren über ihre Fiktivität Bescheid wissen. Die narrative Metalepse beschreibt diese Prämisse meist durch Interaktion der Figuren miteinander (Durchbruch der Erzählschichten - siehe den Post von Dämmerungshexe), während der "Bruch" nach einem direkten Ansprechen des Zuschauers/Lesers/Theatergängers verlangt.

Da dieses Wissen in den tiefsten Schubladen meines Gedächtnisses aufbewahrt ist und ich hier nur sehr langsames Internet habe, kann es sein, dass ich falsch liege...Ich hoffe trotzdem, dass es weiterhilft!

Lg Lukas

AlpakaAlex

Nächstes Jahr werde ich wohl noch mein eines Jugendbuch Rabenjunge schreiben, was halt ein Buch ist, das die vierte Wand durchbricht. Denn die Geschichte wird für mich ungewöhnlich sein, weil sie erste Person Präteritum ist, etwas, was ich normal nicht schreibe. Aber es ist eben auf eine Art geschrieben, als würde der Erzähler es wirklich den Leser*innen direkt erzählen. Entsprechend werden die Leser*innen direkt angesprochen, teilweise auch auf zynische Art und Weise.

Das ist allerdings die einzige Art von 4te Wand Bruch, die ich normal schreiben würde. Etwas anderes ist mit Funtasy. Da kann man natürlich etwas lustiger machen und auch die Handlung selbst unterbrechen, um einen 4te Wand Bruch durchzuführen. :P
 

Maubel

Schön, dass du den Thread wieder hochholst. Irgendwie verstehe ich nur so halb, was ich damals geschrieben habe :rofl: Tatsächlich habe ich jetzt eine ganze Serie geschrieben, in der die vierte Wand manchmal durchbrochen wird. Es ist Ich-Perspektive und Präsens, und eigentlich ist gar nicht so klar, wem genau die Geschichte erzählt wird. Rika erzählt halt einfach und manchmal nimmt sie dabei mit dem Leser Kontakt auf, wie z.B. "Glaub mir, wenn du auf der Straße leben würdest, würdest du auch xy bevorzugen". Generell ist ihre Erzählung recht flapsig, sarkastisch und manchmal zynisch und manchmal ist eben dieses mysteriöse Du da, mit dem sie direkt den Leser anspricht. Es war auch eigentlich gar nicht so geplant, aber sie fing halt einfach so im ersten Buch und dann habe ich mich darauf eingelassen.

Soly

Was @Maubel beschreibt, erinnert mich an die ersten Percy Jackson-Bücher. Da hat der Ich-Erzähler auch so einen schnodderigen und zynischen Ton drauf, mit dem er jede Handlung kommentiert, und ich glaube, er spricht gelegentlich auch die Leserschaft direkt an.

Im Bereich Funtasy habe ich mal eine Kurzgeschichte für eine Ausschreibung geschrieben, in der eine Figur sich bewusst war, nur eine Figur zu sein. Die wusste dann zum Beispiel, dass es keinen Kampf geben wird, obwohl die Monster wirklich gruselig aussahen. Auf die Frage, wie sie das wissen konnte, erklärt sie, dass ihnen nur 50.000 Tastaturanschläge inklusive Leerzeichen zur Verfügung stehen und deshalb klar war, dass sie sich keinen langen Kampf leisten können. ;D
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.