Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Veldrys am 30. Oktober 2015, 15:26:01

Titel: 1. oder 3. Person?
Beitrag von: Veldrys am 30. Oktober 2015, 15:26:01
Ich habe erfahren, dass viele Menschen Romane, die in der 1. Person geschrieben sind, nicht so gerne lesen.

Warum ist das so?

Schreibt ihr persönlich lieber in der 1. oder in der 3. Person?

Welche Vor- und Nachteile haben die beiden Erzählweisen für euch?
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 30. Oktober 2015, 15:49:58
Orson Scott Card hat diese Frage in seinem Schreibratgeber beantwortet. So ganz habe ich das aber nicht mehr im Kopf. Es hat außer mit der Perspektive auch etwas mit Nähe - Entfernung und der Zeitlinie zu tun. Ich mache das immer aus dem Bauch heraus. In meinen Kurzgeschichten ist es so 50:50. In meinen Romanen bleibe ich mittlerweile bei "Er", weil es dann einfacher ist, Handlungsstränge zu verflechten (braiding). Dick Francis hatte alle seine Bestseller (Thriller in der Rennreiter-Szene) in der Ich-Perspektive geschrieben und alle in einer ähnlichen Machart, die trotzdem beim Leser ankam. Einer der Gründe ist der immer interessante Ich-Erzähler, der alles andere als ein Supertheld ist.

Ich befürchte, das eine ist dem anderen nicht überlegen.
Wer mit Perspektiven spielen kann, kann auch mal versuchen, einen Strang in der Ich-Perspektive zu schreiben und die anderen in "Er". Wenn ich mich nicht irre, hat Lian Hearn das in der Otori-Trilogie gemacht. Aber das ist auch eine gute Autorin, die ihr Handwerk beherrscht.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: HauntingWitch am 30. Oktober 2015, 16:05:42
Oh, Perspektiven, eines meiner Lieblingsthemen.  :)

Zitat von: Veldrys am 30. Oktober 2015, 15:26:01
Ich habe erfahren, dass viele Menschen Romane, die in der 1. Person geschrieben sind, nicht so gerne lesen. Warum ist das so?

Mir persönlich ist das beim Lesen ja relativ egal, aber meine Nachbarin meinte, dass sie sich dann fühle, als müsse sie in den Körper des Protagonisten steigen und dann fühle sie sich nicht mehr wohl. Bei der 3. Person fühlt sie sich mehr wie ein Beobachter. Genau erklärt hat sie das so: Wenn ein Ich-Erzähler etwas tut, während sie "in ihm drin" ist, sie selbst aber lieber etwas völlig anderes tun würde, fühlt sie sich quasi gefangen. Wenn ein 3. Person-Erzähler das tut, kann sie einfach sagen, "Du, Depp, wieso machst du das so und nicht so?", weil sie weniger beteiligt ist. Ich fand das total spannend, weil ich das selber nicht kenne.

Zitat von: Veldrys am 30. Oktober 2015, 15:26:01Schreibt ihr persönlich lieber in der 1. oder in der 3. Person?

Ganz abgedroschene Antwort: Kommt auf den Charakter an. Die einen Charaktere schreiben sich besser in der 1. Person, andere fallen mir in der 3. Person leichter. Das ergibt sich bei mir meistens schon in der Anfangsphase eines Projekts, bei der Szenensammlung.

Was ich als Leserin nicht so mag, ist Ich-Erzähler im Präsens, aber es ist mehr das Präsens, das mich stört. Kann aber auch gut sein, wenn es gut gemacht ist.

Zitat von: Veldrys am 30. Oktober 2015, 15:26:01Welche Vor- und Nachteile haben die beiden Erzählweisen für euch?

Der Ich-Erzähler hat für mein Empfinden den Vorteil, dass man als Leser näher dran ist. Als Autor kann man damit schön spielen und intensivere Momente erzeugen als mit der 3. Person. Der Nachteil ist, dass man stärker an den einen Charakter gebunden ist, weil es bei mehreren Ich-Erzählern leichter zu Verwirrungen kommt. Man ist auch eingeschränkter, weil kleinere Perspektivbrüche oder "Zooms" viel stärker auffallen, da die Überlegung, wie der Chara denkt und ob er alles, was da steht, denken kann/wird, viel näher liegt. Man ist sozusagen tiefer im Denken des Charas.

3. Person hat für mich den grossen Vorteil, dass man vier bis fünf von ihnen in dieselbe Geschichte packen kann, ohne dass es zu chaotisch wird (man kann sicher auch mehr, wäre mir aber dann doch zu viel). Ich empfinde es auch während dem Schreiben einfacher zu switchen und man kann sich ein bisschen mehr erlauben. Der Nachteil ist, in Umkehrung zum Ich-Erzähler, der grössere emotionale Abstand zwischen Leser und Chara. Als Autorin finde ich es z.B. auch bei besonders emotionalen Szenen schwieriger, mich in den Charakter einzufinden.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Kare am 30. Oktober 2015, 16:53:43
Zitat von: Veldrys am 30. Oktober 2015, 15:26:01
Ich habe erfahren, dass viele Menschen Romane, die in der 1. Person geschrieben sind, nicht so gerne lesen.

Warum ist das so?

genau zu diesen Menschen gehöre ich auch. Traurig, aber wahr - eine ich-Perspektive beim Reinlesen in die erste Seite kann bei mir schon Grund sein, das Buch wieder wegzulegen. Da muss schon die Story verdammt gut oder Schreibstil gleich zu Beginn einfach genial sein, aber erstmal ist es für mich eine Abwertung.

OBWOHL meine absoluten Favoritenbücher in der Ich-Perspektive geschrieben sind.

Mir geht es ähnlich wie Witches Nachbarin - ich fühle mich eingeengt beim Lesen in dieser Perspektive.
Ich will ÜBER die Charas etwas lesen, mit ihnen mitfiebern, ja, aber ich will mich nicht so mit ihnen identifizieren als wäre ich in ihrer Rolle. Mir ist das oft zu nah, ich gehe dabei innerlich weit auf Abstand und fühle mich ironischerweise den Charas auch näher, wenn über sie in der 3. Person erzählt wird.

ZitatSchreibt ihr persönlich lieber in der 1. oder in der 3. Person?

Experimentweise habe ich die 1. schon ausprobiert, und mei, es geht. Aber ich würde keinen Roman aus dieser Perspektive schreiben.
A) weil ich sie eben selbst ungerner lese
B) weil ich eigentlich immer mit verschiedenen Handlungssträngen spiele und mehrere POVs brauche. Dabei stört die 1. Person


ZitatWelche Vor- und Nachteile haben die beiden Erzählweisen für euch?

zum Schreiben:
seh ich ehrlich gesagt keine Vorteile der 1. Person, da ich auch in der 3. sehr nah an meinen Charas bleibe. Nur ich und er/sie ausgetauscht. Der Vorteil der 3. Person liegt in der Möglichkeit, die POVs zu wechseln.

der Effekt beim Lesen:
sowas wie Erlebnisberichte wirken sicher glaubwürdiger aus der 1. Person. Auch, wenn man starke Bewertungen reinbringen will im Sinne von
"Ja, und den fand ich damals schon schräg. Ist ja dann auch nicht besser geworden, sag ich euch. Und wenn man sich den Kerl heute mal anschaut, Mann, Mann, Mann. So einen abgedrehten Typen habt ihr sicher noch nie gesehen"

Sowas funktioniert aus der 1. deutlich besser als aus der 3.

Genau das als Leser aber wieder mein Problem: ich kann die kommentierenden Erzähler nicht so leiden. Die nerven mich einfach.  ;D
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 30. Oktober 2015, 17:10:47
Also beim Lesen stört mich die erste Person meistens auch. Ich denke aus den selbern Gründen die hier schon geann wurden: ich finde es einengend, man kann nicht auf Distanz gehen, wenn man das Gefühl hat, dass es nötig wäre, nicht sagen "das hätte ich jetzt anders gemacht".
Seltsamerweise finde ich das bei neueren Büchern fast noch heftiger als bei Klassikern - ich hatte neulich Moby Dick in der Hand, hab ein bisschen reingelesen und da hat mich die Ich-Perspektive weniger gestört. Kann daran liegen, dass der Erzähler trotz allem doch noch etwas distanzierter war als es heutzutage üblich ist. Dieses "Kommentieren", was Kare beschrieben hat, fände ich auch störend.

Schreiben in der Ich-Perspektive kann ich mir momentan gar nicht vorstellen. Das funktioniert bei mir maximal in kurzen Absätzen und Ideenskizzen.

Ein wirklicher Nachteil der Ich-Perspektive wäre für mich tatsächlich auch, dass man nur schwer bis gar nicht mehrere Handlungsstränge und Erzähler zusammenbringen kann. Vorteile sehe ich im Moment keine. Zumindest nicht für meine Art zu Schreiben.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Sternsaphir am 30. Oktober 2015, 17:15:01
Zitat von: Witch am 30. Oktober 2015, 16:05:42

Mir persönlich ist das beim Lesen ja relativ egal, aber meine Nachbarin meinte, dass sie sich dann fühle, als müsse sie in den Körper des Protagonisten steigen und dann fühle sie sich nicht mehr wohl. Bei der 3. Person fühlt sie sich mehr wie ein Beobachter. Genau erklärt hat sie das so: Wenn ein Ich-Erzähler etwas tut, während sie "in ihm drin" ist, sie selbst aber lieber etwas völlig anderes tun würde, fühlt sie sich quasi gefangen. Wenn ein 3. Person-Erzähler das tut, kann sie einfach sagen, "Du, Depp, wieso machst du das so und nicht so?", weil sie weniger beteiligt ist.

Genau so geht es mir auch. Es kommt aber darauf an, wie sehr der Autor die Entscheidungen des Prota vermitteln kann, sodass sich der Leser einfach mitziehen lässt, weil es ihm in diesem Moment als logisch erscheint.

In der dritten Person ist man eher der Außenstehende, man kann sich trotz aller Beschreibungen über Vergangenheit und Gefühlslage vom Prota etwas distanzieren, während man in der 1. Person wortwörtlich in seiner Haut steckt, also mittendrin ist.

Ich schreibe eigentlich grundsätzlich in der 3. Person, aber es reizt mich auch, mal einen Versuch in der 1. Person zu starten.

Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Ilva am 30. Oktober 2015, 17:28:33
Ich werfe mal in die Runde: Ist die Wahl der Perspektive nicht auch eine Genre-Frage? Bei mir zumindest scheint das so zu sein.

Gerade erste Person ist eine Perspektive, die meiner Meinung nach zum Beispiel in moderneren Settings gut funktioniert. Ich schreibe zum Beispiel gerne dystopischen Stoff in der ersten Person. Dadurch wird die Geschichte für mich "realer", denn es könnte quasi jemand aus unserer Zukunft sein, der das erzählt.
In einem modernen Setting verwende ich auch eine leicht andere Sprache: Erste Person passt für mich gut zu einer etwas salopperen Ausdrucksweise - Stilmittel wie Galgenhumor gefallen mir in der ersten Person besser.

Dritte Person gibt für mich eher den Klang einer Chronologie oder einer Sage. Deshalb ist diese Perspektive für High Fantasy Projekte und allgemein weniger moderne Settings meine erste Wahl. Hier darf die Sprache auch ausgeschmückter sein.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 30. Oktober 2015, 17:35:09
Ich habe jetzt in den Card noch einmal hineingeschaut. Der wichtigste Unterschied für den Autor ist, weil dieser Unterschied grundsätzlich ist und nicht weggeschrieben werden kann, dass der Ich-Erzähler "distant in time" ist. Seine Stimme erzählt vergangene Dinge. Das kann die Er-Perspektive zwar auch, muss es aber nicht. Sie kann im Hier sein. Dafür muss die Ich-Stimme immer am Ort des Geschehens sein, denn der Leser schaut mit seinen Augen. Das führt - korrekt gemacht - zu einer sehr hohen Intensität, die sich durch die gesamte Geschichte zieht. Die Er-Perspektive ist "distant in space", denn die Erzählstimme spricht über eine Figur und nicht durch sie.
Es gibt noch ein paar Schwierigkeiten mit beiden Perspektiven, aber die lassen sich lösen, wenn man weiß wie man es machen muss.
Ich kann mit vorstellen, dass die Abneigung der Ich-Perspektive beim Leser daherkommt, dass er irrtümlich meint, der Ich-Erzähler wäre er selbst, der Leser. Ich denke, dass das aber kaum geschehen kann, wenn die Erzählerstimme von Anfang an sehr deutlich ist und nichts mit mir, dem Leser zu tun haben kann. Wenn ich damit recht habe, dann wäre das ein Effekt einer schwachen Erzählerstimme. Aber da bin ich jetzt auf wackeligem Boden, denn ich rede über andere Leser als mich und kann gleichzeitig nicht beurteilen, welche Bücher diese anderen Leser gerade in der Hand halten. Aber wie bereits erwähnt, Dick Francis schrieb einen Bestseller nach dem anderen. Genre-Literatur und alle in der Ich-Perspektive.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Edit: Mein Posting hat sich mit Ilvas Posting überschnitten und bezieht sich nicht auf ihren Kommentar.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: HauntingWitch am 31. Oktober 2015, 15:33:37
@Trippelschritt: Das verstehe ich jetzt nicht. Der Ich-Erzähler kann doch auch im Hier und Jetzt sein. Wieso sollte er das denn nicht dürfen? Das erschliesst sich mir nicht. Bei mir hat sich jedenfalls niemand darüber beklagt, dass der Ich-Erzähler in meinem Roman im Präsens anfängt und dann zur Vergangenheitserzählung übergeht. ;) Ausserdem gibt es sehr viele Bücher, die in Ich-Erzähler präsens geschrieben sind (was ich aber nicht so mag, also das Präsens allgemein). Auch kann die 3. Person ebenfalls durch den Charakter sprechen und somit sehr nah dran sein.

Ich glaube, was du meinst, ist der Unterscheid zwischen personalem Erzähler (durch eine Person, wie in den meisten modernen Genre-Romanen) und auktorialem Erzähler (der allwissende Erzähler führt das Wort, wie z.B. im Märchen). Aber das hat nichts mit 1. oder 3. Person zu tun, auch jemand, der in der 1. Person spricht, kann der allwissende Erzähler sein. Nämlich dann, wenn dieser Erzähler bloss ein Beobachter ist und der eigentliche Protagonist jemand anders. Kommt im Film "The Great Gatsby" vor (die neue Verfilmung mit Leo DiCaprio, das Buch dazu kenne ich nicht). Die Geschichte wird eigentlich aus Sicht einer Nebenfigur geschildert.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 31. Oktober 2015, 17:17:12
So wie ich Card verstanden habe, geht es ihm vor allem um die Stimme. Wenn ein Ich-Erzähler erzählt, dann erzählt er nicht, während er etwas tut, sondern zu einem späteren Zeitpunkt über etwas, das er früher erlebt hat. Da ist also eine Distanz zwischen ihm, während er erzählt und dem, was er tut. So kann der Ich-Erzähler normalerweise während der Geschichte nicht sterben, denn dann könnte er später nicht mehr darüber berichten. Und diese Distanz zieht sich durch die gesamte Geschichte. Dafür ist er aber immer direkt am Ort des Geschehens, denn der Leser sieht ständig durch seine Augen.
Ich finde diese Betrachtungsweise sehr interessant und verweise für Details gerne auf den Schreibratgeber von Orson Scott Card. Ich halte ihn für das Beste was mir untergekommen ist zu den Themen Figuren und Perspektive. Ich glaube, es gibt ihn auch in deutscher Übersetzung.

Wenn das als Erklärunh jetzt nicht reicht, bohre ruhig nach. Dann hole ich das Buch noch mal raus und versuche es deutlicher zu machen. Ist schon heavy stuff. Mit auktorialem Erzähler hat das allerdings nichts zu tun.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Mithras am 31. Oktober 2015, 17:25:16
Zitat von: Witch am 31. Oktober 2015, 15:33:37Ich glaube, was du meinst, ist der Unterscheid zwischen personalem Erzähler (durch eine Person, wie in den meisten modernen Genre-Romanen) und auktorialem Erzähler (der allwissende Erzähler führt das Wort, wie z.B. im Märchen). Aber das hat nichts mit 1. oder 3. Person zu tun, auch jemand, der in der 1. Person spricht, kann der allwissende Erzähler sein.
Fpr mich ist das nicht ohne weiteres zu trennen. In der Schhule haben wir gelernt, dass die Perspektive charakteristisch für den jewiligen Erzähler ist. Natürlich mag es auch allwissende Ich-Erzähler geben, aber die sind eben keine auktorialen Erzähler, weil die per definitionem in der dritten Person schreiben.

Für mich gibt es im Grunde nur den personalen Erzähler, also die dritte Person. Die Gründe wurden hier im Wesentlichen schon genannt: Ich brauche Abwechslung unter den Perspektivträgern sowie eine gewisse Distanz zwischen ihnen und mir. Wobei hier der Perspektivenwechsel wohl der springende Punkt ist, denn sowohl in der erstn als auch in der dritten Personkann man mit der Distanz spielen.
Allwissende Kommentatoren, die wissen, was als nächstes passiert oder was in den Köpfen der anderen vorgeht, oder die mir sogar ihre Ansichten aufdrücken und mich bevormunden wollen, kann ich gar nicht abhaben. Ich will mir selbst einen reim darauf machen dürfen! Deshalb ist die auktoriale Erzählweise für mich schon ein rotes Tuch, wenn ich nicht gerade eine Satire schreibe bzw. lese, in der der Erzähler bewusst auf ironische Distanz zu seinen Charakteren geht. Mit einem Ich-Erzähler, der eher in Richtung personal tendiert, komme ich noch zurecht, doch wenn er die Geschichte aus der Retrospektive erzählt, läuft er Gefahr, zum allwissenden Kommentator zu mutieren, und das kann ich, wie gesagt, gar nicht abhaben.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Shedzyala am 31. Oktober 2015, 17:31:00
@Trippelschritt: Ich schließe mich Witch an, ich kann dir auch nicht ganz folgen. Ein Ich-Erzähler, der im Präsens berichtet (was auch ich nicht so mag), ist direkt am Geschehen und kommentiert quasi in Echtzeit, was er gerade tut. Und auch der Ich-Erzähler kann sterben: Ich musste grad an den Disney-Film "Rapunzel" denken, denn der beginnt mit den Worten "Das ist die Geschichte meines Todes – aber hey, es ist eigentlich ganz lustig" (ganz frei zitiert). Auch habe ich es schon gesehen, dass in Romanen der Ich-Erzähler während der Kapitel wechselte. Bei dieser Struktur ist er erst recht nicht sicher.

Ich glaube, heutzutage ist es nicht mehr so strikt, welche Perspektive wie viel Distanz schafft. Dafür haben schon zu viele Autoren zu viel ausprobiert und mit Regeln herumexperimentiert.

Nachtrag: Mithras war schneller.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 31. Oktober 2015, 18:57:00
Für mich ist es absolut einleuchtend, was Card zu den Perspektiven sagt, aber ich bin offensichtlich nicht in der Lage, das verständlich zu transportieren. Tut mir leid. Aber es ist im Grunde genommen auch nicht so wichtig, weil der Autor , eine solche Entscheidung eh meist aus dem Bauch heraus trifft. Grundsätzlich kann ich aber in jedem Fall empfehlen, mindestens eine lange Geschichte einmal aus der Ich-Perspektive zu schreiben. es rückt ein paar Dinge zurecht, weil man an die einmal gewählte Perspektive kombiniert mit der Erzähleweise gebunden ist. Mittlerweile bin ich wieder beim Er.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Edit: Auswirkungen hakender Tastatur beseitigt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: HauntingWitch am 01. November 2015, 16:25:25
@Trippelschritt: Also, ich verstehe es tatsächlich noch nicht, aber vermutlich liegt das daran, dass Card und ich uns nicht verstehen. ;) Ich glaube, der hat eine ganz andere Auffassung von alledem als ich, so wie du es beschreibst. Liegt also nicht an dir. Ich denke, man kann auch nicht sagen, das eine ist richtig und das andere falsch, vieles ist ja glücklicherweise auch Geschmackssache. Möglichst vieles ausprobieren ist sowieso gut, denke ich. So findet man heraus, was einem am besten liegt und was nicht und auch, was man selbst mag und was weniger.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Angela am 09. November 2015, 13:09:55

Für mich ist es so, dass ich 1. Personen oft als weniger sympathisch empfinde. Vielleicht, weil ich ihre Art zu denken zu gut kenne, vielleicht auch, weil ich nicht weiß, ob die Beurteilungen/Ansichten der Person mit der Realität übereinstimmen, gerechtfertigt sind.


Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 10. November 2015, 07:43:01
Aber gilt das nicht grundsätzlich für jede Figur? Und am anfang kennt man den Ich-Erzähler doch genau so wenig wie alle anderen Figuren.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Katha am 10. November 2015, 08:28:23
Ich finde deine Ansicht interessant, liebe Angela, weil mir Ich-Erzähler gerade wegen der Nähe oft sympathischer werden. Dazu kommt noch, dass ich bei einem Ich-Erzähler das Gefühl habe, unmittelbar an seinen Gedanken, Gefühlen und Reaktionen teilzuhaben, während ich mich bei einem Erzähler aus der 3. Person sehr oft dabei ertappe, seine Worte zu hinterfragen. Das kann je nach Geschichte natürlich auch von Vorteil sein. :D

Als Autor finde ich die 1. Person vor allem bei solchen Geschichten gut, die sich viel in der Gedankenwelt des Protagonisten abspielt. Ich habe zum Beispiel mit einem Krimi angefangen, bei dem der Detektiv natürlich auch Schlussfolgerungen und Vermutungen an den Leser transportieren soll. Das finde ich persönlich einfacher und authentischer, wenn das in den Gedanken des Detektivs passiert und ich habe auch keine Lust andauernd eine Watson-Figur einzubauen. Würde ich diese Geschichte aus der 3. Person erzählen, wäre es für mich - und vermutlich auch für den Leser - sehr viel anstrengender andauernd in den Gedanken des Detektivs zu sitzen als bei einer Erzählung aus der 1. Person.

Insgesamt versuche ich eigentlich, als Autor flexibel zu sein und mich je nach Geschichte für einen Erzähler zu entscheiden. Im Moment habe ich aber leider das Gefühl,  dass mir der Ich-Erzähler besser liegt und auch leichter zu schreiben fällt.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: PinkPuma am 10. November 2015, 15:41:52
Zitat von: IlvaIch werfe mal in die Runde: Ist die Wahl der Perspektive nicht auch eine Genre-Frage? Bei mir zumindest scheint das so zu sein.

Gerade erste Person ist eine Perspektive, die meiner Meinung nach zum Beispiel in moderneren Settings gut funktioniert. Ich schreibe zum Beispiel gerne dystopischen Stoff in der ersten Person. Dadurch wird die Geschichte für mich "realer", denn es könnte quasi jemand aus unserer Zukunft sein, der das erzählt.
In einem modernen Setting verwende ich auch eine leicht andere Sprache: Erste Person passt für mich gut zu einer etwas salopperen Ausdrucksweise - Stilmittel wie Galgenhumor gefallen mir in der ersten Person besser.

Dritte Person gibt für mich eher den Klang einer Chronologie oder einer Sage. Deshalb ist diese Perspektive für High Fantasy Projekte und allgemein weniger moderne Settings meine erste Wahl. Hier darf die Sprache auch ausgeschmückter sein.
Hier bin ich absolut bei dir, Ilva! Für mich hängen Perspektive und Genre ganz eng zusammen.
Ich selbst schreibe z.B. Fantasy grundsätzlich aus der Sicht eines personalen Erzählers. Hauptsächlich deshalb, weil der komplexe Plot durch einen Ich-Erzähler wichtige Handlungsstränge nur einseitig beleuchten würde. Mal abgesehen davon fühlt sich Ich-Perspektive und Fantasy für mich nicht gut an – zum schreiben. Als Leser habe ich tatsächlich bislang nur sehr, sehr wenige Fantasy-Romane gelesen, die für mich in der Ich-Perspektive funktioniert haben. Um ehrlich zu sein, fällt mir gerade nicht mal einer ein...
Hingegen bei Gegenwartsliteratur mag ich Ich-Erzähler sehr gerne und es dürfen für mich sowohl als Autorin wie auch als Leserin auch mehrere Ich-Erzähler sein, solange es gut gemacht ist und nicht zu Verwirrungen führt. Mein Debüt-Roman beispielsweise hat zwei Ich-Erzähler, mein aktuelles NaNo-Projekt hat einen (beides ist Gay Fiction mit einem gegenwärtigen Setting).
Bei Sprache und Stil geht es mir ebenfalls wie Ilva.
Fantasy, historische Romane etc. darf gerne etwas gehobenere Sprache sein und das passt gut zur 3. Person. In der 1. Person würde das oft zu geschwollen klingen. Ein Ich-Erzähler darf da etwas alltagssprachlicher agieren.


Letztlich kann ich nicht sagen, welchen Erzählmodus ich vorziehe. Ich finde, sowohl 1. als auch 3. Person hat Vor- und Nachteile und zwar immer in Bezug auf die betreffende Geschichte. Ich kann nicht sagen, ,,ich finde Ich-Erzähler nicht gut", aber ich kann sagen, ,,ich finde den Ich-Erzähler für diese Geschichte nicht gut". Daher entscheide ich auch meist aus dem Bauch heraus, wer in meinen Texten das Wort bekommt.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Angela am 10. November 2015, 17:40:15
ZitatAls Leser habe ich tatsächlich bislang nur sehr, sehr wenige Fantasy-Romane gelesen, die für mich in der Ich-Perspektive funktioniert haben. Um ehrlich zu sein, fällt mir gerade nicht mal einer ein...
Robin Hobbs Fitz und Fool Bände sind in der 1. Person. Ich liebe die Bücher dennoch ;D.


ZitatAber gilt das nicht grundsätzlich für jede Figur? Und am anfang kennt man den Ich-Erzähler doch genau so wenig wie alle anderen Figuren.
Ich habe in einem Schreibratgeber gelesen, dass es eigentlich Jacke wie Hose sei, ob 1. oder 3. Person. Ich für mich habe aber schon den Eindruck, dass 1. Person doch meist mehr von seiner Gedankenwelt preisgibt, der ganze Erzähltext wird auch in seiner speziellen Sprache geschrieben sein, all das bestimmt die Person doch arg und schränkt sie gleichzeitig auch ein, zumindest empfinde ich das so. Ich habe einmal versucht, in der 1. Person zu schreiben und es war mir zu eng.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 11. November 2015, 11:35:18
P. Rothfuss: The Name of the Wind wurde auch in der Ich-Perspektive geschrieben. Jedenfalls über große Strecken. Ebenso Clan der Otori von Liam Hearn, wenn auch nur ein einzelner Strang, wenn ich mich recht erinnere. In der Krimi-Literatur ist es Dick Francis. viele Erotiksachen sind in der ersten Person geschrieben, weil man dort die große Nähe ausnutzen kann. Also: auf den ersten Blick finde ich keine Genreabhängigkeit. Ob es irgendwo eine Häufung gibt, kann ich allerdings nicht sagen. nur, dass die Ich-Perspektive in der Minderheit ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Sturmloewin am 12. November 2015, 12:23:25
Beim Lesen stört mich die 1. Person nur, wenn ich merke, dass der Autor damit irgendwie Unlogik reinbringt. Die Ich-Perspektive ist eben viel näher an den Gefühlen und wenn die dann ausgelassen werden oder zum Beispiel unlogische Gedankenstränge auftauchen, gefällt mir das nicht.
Allerdings kann die erste Perspektive auch sehr spannend sein. "Wintermädchen" von Laurie Halse Anderson könnte ich mir zum Beispiel nicht in der dritten Person vorstellen.

Ob ich in der ersten oder 3. Person schreibe kommt für mich immer darauf an und da gehe ich ganz mit Ilva.

Für mich ist zum Einen das Genre wichtig, die Komplexivität der Handlung, aber auch die Person an sich. Fantasy schreibe ich zumeist lieber aus der Er-Perspektive, während mir andere "realere" Themen manchmal in der ich-Perspektive besser gefallen.
Meistens entscheide ich das aber einfach aus dem Bauch heraus und ich denke, sofern man sich als Autor seiner Sache sicher ist und die Entscheidung trägt, kann das gut funktionieren.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: pink_paulchen am 12. November 2015, 16:24:01
Ich schreibe gerade Nano - es ist contemporary romance und soll einmal das werden, was man "frecher Frauenroman" nennt.
Nach Schreibtests bin ich in der 1. Person Gegenwart unterwegs. Es fühlt sich ganz toll an beim Schreiben. Ich BIN meine Heldin. Das ist ja grundsätzlich super. Aber ich entdecke dabei einen grundsätzlichen dramatischen Unterschied.
Ich habe quasi null Setting. Im anderen Roman (personaler Erzähler, Steampunk) gab es immer mal Abschnitte für Setting, Kulisse, Gegenstände, Welt. Ich habe das im jetzigen Buch überhaupt nicht. Wenn ich im jetzigen Roman einen Stuhl habe, dann taucht der auf, weil sich jemand draufsetzt. Wenn es ganz gut läuft, ist er noch weich oder hart. An keiner Stelle steht, dass das ein toller altenglischer Ohrensessel im Kolonialstil mit grünem Samt und Messingknöpfen ist (wie im anderen Projekt).
Einerseits kommt mir der Roman dadurch sehr straff vor, leicht irgendwie und handlungsstark.  Andererseits fehlt mir schon ein bisschen das blumige.
Denkt ihr, dass es bei mir am Setting liegt (im Steampunk hast du natürlich auch viel mehr  Lust die tolle optisch opulente Welt zu verschreibseln) oder hat dieses Phänomen schon mal jemand von euch beobachtet?
Und zweite Frage: Wie mach ich's in der Überarbeitung? Einen Roman relativ ohne Details in der Umgebung anreichern? Oder kann sowas funktionieren?
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 13. November 2015, 08:28:46
Es kann alles funktionieren. Wenn die Heldin sich mit allen möglichen Dingen bescjhäftigt und "blumige" Dinge nicht wahrnimmt, dann ist sie eben so und passt auch zu einem "frechen" Frauenroman. Es ergibt sich aus dieser Entscheidung eine ganz andere Atmosphäre, als wenn man bei reflektierenden Beschreibung verharrt. Jedes hat seine Funktion. Man muss es nur überzeugend schreiben. Also: keine Gewissensbisse, sondern Volldampf voraus. (Um mal in der Rauchersprache zu bleiben)  :snicker:

Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 13. November 2015, 09:32:37
Ich würde auch sagen, solange man personell schreibt beschreibt man das, was dem/der Protagonisten/in ins Auge fällt und wie er/sie es beschreiben würde - ganz egal ob 1. oder 3. Person.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: HauntingWitch am 13. November 2015, 17:20:57
Ich unterschreibe bei Dämmerungshexe. Wenn für deine Protagonistin der alte, englische Ohrensessel etwas völlig Normales ist oder etwas, das sie nicht weiter erwähnenswert findet, dann wird es eben nicht eigens erwähnt. Man geht ja auch nicht durch die eigene Wohnung und denkt: "Ich betrete jetzt mein 40m2 grosses Wohnzimmer und schaue dabei auf die Aussicht gen Westen, wo in wenigen Minuten die Sonne untergeht. Ich komme an meinem orangen Sofa vorbei, das Sideboard aus Glas beachte ich gar nicht." (Meine Güte, wie das klingt). Man betritt ja sein Wohnzimmer und setzt sich aufs Sofa. Oder schaut dem Sonnenuntergang zu. Wenn das Sofa aber plötzlich nicht mehr da ist, würde mir das schon auffallen. ;D Ich halte das immer so, ich beschreibe, was die Personen sehen und was ihnen auffällt.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Slenderella am 13. November 2015, 17:56:44
Ich würde eher sagen, es ist keine Genre Frage, sondern eine Zielgruppenfrage. Jüngeres (nicht ganz junges) Publikum freundet sich schneller mit dem Ich-Erzähler an.
Ich mochte das hingegen früher gar nicht, weder als Teeny noch als Kind, warum ich dann auf den Trichter kam, meinen Erstling in Ich-Perspektive zu schreiben, kann ich niemandem beantworten.

Ich mache das mittlerweile nach Gefühl, manche Geschichten erzählen sich einfach so besser (gerade wenn ich lange Zeiträume abdecken will, aber nicht verraten will, was um die Person herum so geschieht).
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Brigadoona am 13. November 2015, 19:51:30
Ich habe vor Jahren einen historischen Roman in der 1. Person geschrieben, weil ich ihn irgendwie in die Gegenwart transportieren wollte. Die Kombi Präsens und Ich-Form fände ich in so einem Fall besonders reizvoll. Auf die Idee bin ich damals aber noch nicht gekommen.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 14. November 2015, 10:18:32
Ich kenne viele ältere Leute, die überhaupt kein Problem mit der Ich-Perspektive haben. Und Dick Francis war immerhin Jockey der Queen Mum.
Ich denke eher, dass es manche Stoffe gibt, für die sich einfach eine Ich-Perspektive anbietet, und andere, bei denen es schwierig ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Brigadoona am 14. November 2015, 11:22:46
Zitat von: Trippelschritt am 14. November 2015, 10:18:32
Ich kenne viele ältere Leute, die überhaupt kein Problem mit der Ich-Perspektive haben.

Da ist was dran.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Slenderella am 18. November 2015, 18:31:45
Zitat von: Trippelschritt am 14. November 2015, 10:18:32
Ich kenne viele ältere Leute, die überhaupt kein Problem mit der Ich-Perspektive haben. Und Dick Francis war immerhin Jockey der Queen Mum.
Ich denke eher, dass es manche Stoffe gibt, für die sich einfach eine Ich-Perspektive anbietet, und andere, bei denen es schwierig ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Ich sag ja auch nicht, dass das für alle "älteren" Leute gilt. Aber wenn ich so bei mir in der Familie mich umhöre, dann mögen meine älteren Verwandten das alle nicht so gern. Wohingegen Schwiegermutter (genauso alt) wieder kein Problem damit hat.

Aber es gibt durchaus marketingtechnische Gründe, warum viele Jugendbücher die Ich-Perspektive wählen.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Fafharad am 29. Februar 2016, 11:52:25
So, dann will ich dieses wirklich interessante Thema aus gegebenem Anlass mal wiederbeleben  :). Ich stehe nämlich am Beginn meines Romans vor der Perspektiv-Frage, und sie kommt mir gerade wie eine ziemlich hohe und massive Mauer vor.
Ein Ich-Erzähler würde mir schon ganz gut passen, eben weil er auf lockere Art sein Wissen mit dem Leser teilen kann. Beim personalen Erzähler würde aus einer Erklärung des Protas schnell ein trockener Infoblock werden.
Aber wie sieht es mit der Akzeptanz der 1. Person bei Lesern und Verlagen aus? Mir geht es da nämlich wie vielen anderen auch: Ich bin zunächst skeptisch, wenn ich ein Buch aufschlage und das Wörtchen "Ich" lese. Wenn der Funke nicht schnell überspringt, lege ich das Buch zur Seite - denn auf einen anderen Erzähler, bei dem es besser wird, brauche ich ja in der Regel nicht zu hoffen.

Slenderella hat den Marketingaspekt angerissen, der leider nicht mehr weiterdiskutiert wurde:
Zitat von: SlenderellaAber es gibt durchaus marketingtechnische Gründe, warum viele Jugendbücher die Ich-Perspektive wählen.

Bei mir ist es kein Jugendbuch, sondern eher ein Mystery-Thriller, der mehr und mehr in Urban Fantasy abdriftet "The Goner".
Ich denke, den Ich-Erzähler wird man eher in Thrillern als in Fantasy-Romanen finden. Könnt ihr mir gute, aktuelle Urban-Fantasy-Titel mit Ich-Erzähler empfehlen?

Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Lothen am 29. Februar 2016, 11:59:52
ZitatBeim personalen Erzähler würde aus einer Erklärung des Protas schnell ein trockener Infoblock werden.
Also das würde ich nicht sagen, auch über einen personaler Erzähler kann man gut Informationen vermitteln. Dagegen muss man, finde ich, gerade beim Ich-Erzähler aufpassen, dass man nicht zu sehr in die Info-Dump-Schiene rutscht, wenn der Prota mal munter angefangen hat zu erzählen. ;)

ZitatKönnt ihr mir gute, aktuelle Urban-Fantasy-Titel mit Ich-Erzähler empfehlen?
Da fallen mir gerade spontan die Dresden-Files ein. Gerade zu Urban-Thrillern mit einem guten Schuss Krimi Noir kann ein Ich-Erzähler hervorragend passen, finde ich. Allerdings sollte man sich natürlich bewusst sein, dass es die Perspektive einschränkt, weil man nicht ohne weiteres auf einen anderen POV wechseln kann.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Denamio am 29. Februar 2016, 12:13:41
Die Bücher die mir dazu sofort einfallen sind Jim Butchers Dresden Files (2000-heute) und gerade während dem Schreiben schon erwähnt von Lothen und Simon R. Greens Nightside (2003-2012). Beide Reihen benutzen die Ich-Perspektive (Kurze Leseproben sind bei diversen Online Verkäufern einsehbar). Allerdings beginnen auch in beiden Fällen die Hauptfiguren als Privatdetektiv. Speziell Jim Butcher hat zur Perspektive einiges geschrieben: http://jimbutcher.livejournal.com/1262.html (etwas weiter unten).

Ich könnte mir die Bücher ohne Ich-Perspektive nicht vorstellen. Zugleich gibt es in beiden Reihen gelegentlich Probleme mit der Perspektive. Simon R. Greens wechselt ein einziges mal in 12 Bänden den Erzähler, er braucht es für einen Rückblick. In dem Moment war ich komplett raus aus der Geschichte und reichlich irritiert.
Ähnlich hat Jim Butcher in einem der Bücher ein Problem, dass er nur die Perspektive seiner Hauptfigur bringen kann. Das wird ihm dann zum Verhängnis, als die anderen Charaktere ungewohnt reagieren. Sie tun es, weil die Situation von ihrem Standpunkt komplett anders aussieht, aber das weiß der Held und somit der Leser nicht. Als Resultat setzt zunehmend Frustration ein, weil sich nichts so verhält, wie man es gewohnt ist. Ich musste mich nach dem Buch erstmal hinsetzen und mir selber erklären warum die Figuren so reagiert haben.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Tintenteufel am 29. Februar 2016, 12:59:49
Ich bin ein ziemlicher Gegner der Ich-Perspektive. Natürlich gibt es einige Erzählungen, die das sehr erfolgreich gestalten und verwenden. Mein Lieblingswerk sogar, Worm, ist aus der Ich-Perspektive.

Das dickste Problem ist gleichzeitig auch der größte Vorteil: Verortung.
Die Ich-Perspektive macht sehr deutlich, wer da erzählt. Nämlich dieser Charakter in der Erzählung, der da handelt. Sie gibt der Erzählung einen deutlichen Kontext, der einerseits hilfreich, andererseits sehr problematisch sein kann. Und zwar dann, wenn er vergessen wird.
Was ich damit meine: Ich kaufe einem Ich-Erzähler, der in der Vergangenheitsform schreibt (Ich kam, ich sah, ich siegte) nicht ab, dass er sich in Lebensgefahr befindet. Ganz einfach. Er muss überleben, sonst könnte er die Geschichte nicht erzählen. Überhaupt ist fragwürdig, wieso er die Geschichte überhaupt erzählt, wenn der konkrete Kontext fehlt. Hört da jemand seinen Gedanken zu, dass er seine Lebensgeschichte nochmal vor sich selber ausbreitet? Ist es ein Tagebucheintrag von später?
Besonders bei den Dresden Files wird dieses Problem deutlich. Die Ich-Perspektive wurde da, soweit ich mich entsinne, nicht als bewusstes Rahmungsmittel gewählt, sondern weil in alten Film Noirs der Protagonist eben per Voice-Over davon erzählt. (http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/PrivateEyeMonologue) Entsprechend hat man Brüche in der Immersion, immer wenn es um Action geht. Bei einer Serie, in der die Action im Vordergrund steht, ist das dann höchst problematisch.
Man vermutet in den allermeisten Büchern ja schon, dass der Protagonist es weitgehend unbeschadet überlebt. Wenn er auch noch der Erzähler ist, kann man gar nicht mehr daran zweifeln.

Die Ich-Perspektive eignet sich meiner Meinung nach also nicht für alle Geschichten, sondern nur für diejenigen, die auf emotionalem Drama, auf Gedanken und Geheimnissen und nicht auf der Spannung der Lebensgefahr beruhen.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 29. Februar 2016, 17:20:51
@Fafharad Ich hatte mal bei einer Geschichte die große Unsicherheit (ging in Richtung historische Fantasy), welchen Erzähler ich nehmen sollte.
Als Entscheidungshilfe habe ich mehr oder weniger die gleiche Episode zwei Mal geschrieben. Einmal in der Ich-Perspektive, einmal in der dritten Perspektive. Und dann habe ich sowieso schon gesehen, was mit genau diesen Protagonisten besser funktioniert und besser zu meinen Zielen passt.
Das habe ich mir noch sicherheitshalber von Testlesern absegnen lassen, aber eigentlich wusste ich nach meinem Test bereits, dass für die Art von Geschichte, die ich schreiben wollte, die Ich-Perspektive besser funktionieren würde.

Persönlich bevorzuge ich ja die Kombo "3. Perspektive + Personeller (unzuverlässiger!) Erzähler", weil mir das erstens auch größere Freiheiten in der Sprache lässt (auch wenn es für den Leser nicht so aussieht, bin ich zu 100% in meinem Charakter drin und habe je nach Perspektivträger dann auch eine andere Erzählsprache) und zweitens mehr Möglichkeiten, mit Handlungssträngen zu spielen.
Aber eine meiner Protagonistinnen ist eine ganz Divahafte, die ihre Memoiren schreibt. Und auf die passt die Ich-Perspektive einfach wie die Faust aufs Auge.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: funkelsinlas am 29. Februar 2016, 20:18:29
Also... ich hasse die ich- Perspektive (Ausnahmen bestätigen die Regel! Ich will hier niemanden schlecht machen) Aber es ist oft ein verwaschener Mix aus der Meinung der Person und des Autors. Irgendwie sind die so eng dann immer verknüpft. Manch einer trennt das gut, ist aber oft eher weniger gut und vermutlich auch sehr schwierig.
Auch finde ich es einfach langweilig alles nur aus der Sicht dieser Person zu lesen. Man hat kein zusätzlichen Input und keine Chance an Infos zu gelangen. Keiner denkt über Dinge nach, die er kennt. Das erscheint schnell künstlich oder muss extrem aufwendig gelöst werden.
Auch ist die Ich- Perspektive etwas, was eine schnelle Identifikation auslösen soll, weil sich das Buch darüber verkaufen soll (siehe Twilight). Das klappt bei bestimmtem Klientel und bei bestimmten Themen. Bei Extremsituationen würde ich das nur mit sehr viel Recherche machen. Wie man da reagiert muss noch einmal eine Spur authentischer sein.

Also, wenn das einer gut kann und ich weiß, dass das Buch gut ist, geb ich ihm ne Chance (und zieh den Hut), aber meistens lass ich die Finger davon.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Churke am 01. März 2016, 10:39:24
Ein guter Grund für den Ich-Erzähler kann die Authentizität sein. "Das Boot" würde mit einem personalen Erzähler nie so funktionieren.
Zitat von: funkelsinlas am 29. Februar 2016, 20:18:29
Keiner denkt über Dinge nach, die er kennt.

Aber vielleicht denkt er über Dinge nach, weil er sie kennt...
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 01. März 2016, 13:21:28
Für mich gibt es nur einen einzigen Grund, den ich akzeptiere. Schreibe in der Perspektive, in der Du dich am wohlsten fühlst für den entsprechenden Stoff. Wenn ich verzweigte Handlungsfäden habe, ist eine Ich-Perspektive kaum geeignet. Bei Plots, die auf eine Person bezogen werden, ist es eine sehr gute Lösung. Wichtig ist, dass der Leser die Ich-Figur so interessant findet, dass er sich mit ihr identifizieren kann. Tödlich ist alles, wo vermutet wird, der Autor schreibt über sich selbst in schlechter Supermann-Verkleidung.
Ich habe in beiden Perspektiven geschrieben. Beide habe sie ihre Vor- und Nachteile.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Denamio am 01. März 2016, 14:27:46
Zitat von: Trippelschritt am 01. März 2016, 13:21:28
Tödlich ist alles, wo vermutet wird, der Autor schreibt über sich selbst in schlechter Supermann-Verkleidung.

Ja, die beliebte Mary Sue. Egal in welcher Perspektive eine Gefahr, wobei die Ich-Perspektive natürlich ein wenig verleitet. Aber ich stimme dir hier absolut zu:

ZitatSchreibe in der Perspektive, in der Du dich am wohlsten fühlst für den entsprechenden Stoff.

Und finde, ganz ohne wen kritisieren zu wollen, das wäre doch eine gute Grundeinstellung. Negativ-Listen lassen sich da über jede Perspektive schreiben und jeder hat seine Vorlieben beim Lesen, wie auch beim Schreiben. Persönlich benutze ich die Ich-Perspektive dann, wenn ich einen wahnsinnig spannenden Hauptcharakter habe und dessen Perspektive einfach zu speziell ist. Die Texte werden bei mir in der Formulierung dann auch gern mal farbenfroher, als es in der dritten Person der Fall ist. Aber ich habe auch schon in der dritten Person geschrieben, wenn ein wenig Distanz zur Materie wichtig war.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: phoe am 01. März 2016, 14:39:21
Mein Favorit ist eindeutig in der "Ich"-Form zu schreiben. Allerdings passiert es mir, dass ich dann doch zur 3. Person wechsle, wenn ich merke - nö, passt nicht. Wie jetzt aktuell in einem Projekt. Da habe ich in der1. Person angefangen und es gefällt mir nicht mehr. Also wird umgeschrieben und angepasst.
Oft helfen auch Betas, die beim lesen fststellen, dass etwas nicht passt. Ich hatte tatsächlich ganz zu Anfang die Situation, dass ich von der 1. in die 3. Person gewechselt habe, weil ich es als unpassend fand, in der "Ich"-Form zu schreiben. Nachdem ich meine Betas mit dem Lesestoff versorgt hatte, bekam ich von zweien sofort die Rückmeldung, in der "Ich"-Form wäre die Geschichte viel tiefgängiger, könnte man sich als Leser besser hinein versetzen. Ergo, habe ich wieder umgeschrieben und mir gefiel es auch besser.
Wie hier schon gesagt wurde - am besten so scheiben, wie man sich am wohlsten fühlt.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Fafharad am 01. März 2016, 22:10:40
Danke für die Antworten und Denkanstöße!
Besonders der Tipp mit den Dresden Files war sehr hilfreich. Ich kannte sie bisher nicht und musste feststellen, dass meine Story sehr stark in diese Richtung geht - Mystery Thriller mit übersinnlichem Ermittler, Anleihen beim Film Noir, aber nicht hardboiled. Sehr klasse fand ich Jim Butchers Tutorial - Danke dafür, Denamio!
Die Entscheidung für die 1. Person ist damit gefallen. Nur die erste Szene, in der mein Prota ermordet wird (passiert ihm öfter  ;)), funktioniert schlecht damit. Ich mache es jetzt wie Evanesca Feuerblut und erzähle probeweise in der 1. und 3. Person und als allwissender Erzähler und schau mal, was meine Betaleser dazu sagen.

Zitat von: funkelsinlasAuch finde ich es einfach langweilig alles nur aus der Sicht dieser Person zu lesen. Man hat kein zusätzlichen Input und keine Chance an Infos zu gelangen. Keiner denkt über Dinge nach, die er kennt. Das erscheint schnell künstlich oder muss extrem aufwendig gelöst werden.
Zusätzlicher Input entsteht über die Nebencharaktere, die dem Prota auch gerne mal die Meinung sagen oder erzählen, was sie seit der letzten Begegnung erlebt haben. So aufwändig finde ich das gar nicht, es ist dann halt in solchen Szenen etwas dialoglastig. Ich will diesen Kniff aber auch nicht überstrapazieren.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 02. März 2016, 21:09:53
Vielleicht noch als Ergänzung oder zur Info. Noch vor einigen Jahren galt es als absolutes no go, einen Ich-Erzähler und gleichzeitig in der personalen Er-Perspektive zu schreiben. Bis dann Lian Hearn (Clan der Otori) kam und es machte. So ist es immer. Eine eiserne Regel und dann kommt ein Könner, der sich nicht drum schert. Wenn als der Autor es kann, ...

Trippelschritt
(In diesem Fall ist der Autor eine Autorin)
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Norrive am 03. März 2016, 09:18:17
Der Clan der Otori ist aber auch eine geniale Reihe. Wusste ich doch, dass ich irgendwo mal 1. und 3. Perspektive gemischt gelesen hatte, weil ich das teilweise auch für sehr sinnvoll halte.

Ich lese tatsächlich lieber 3. Perspektive, mit einigen Ausnahmen (zB das Horn von Askir hat mir als Ich-Erzähler sehr gut gefallen), aber schreibe auch so, wie es mein Plot erfordert und wie es sich eben besser anfühlt. Aber vor dieser Frage an sich stehe ich auch öfter, denn manchmal passt einfach beides mit jeweils eigenen Vor- und Nachteilen.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Alana am 03. März 2016, 10:00:24
Zitat von: Fafharad am 29. Februar 2016, 11:52:25
Ein Ich-Erzähler würde mir schon ganz gut passen, eben weil er auf lockere Art sein Wissen mit dem Leser teilen kann. Beim personalen Erzähler würde aus einer Erklärung des Protas schnell ein trockener Infoblock werden.

Ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob das ein guter Grund ist, sich für eine bestimmte Perspektive zu entscheiden. Denn gerade bei der Ich-Perspektive ist die Gefahr sehr groß, ins Schwafeln zu verfallen und man muss immer auf der Hut sein, dass man den Erzähler die Geschichte wirklich erleben lässt, anstatt sie ihn nur kommentieren und erzählen zu lassen. Außer natürlich, man möchte genau das. Letztendlich ist die Perspektive ein Stilmittel wie jedes andere und man sollte diejenige Form wählen, mit der man die Geschichte genauso erzählen kann, wie man es möchte.

Zitat von: funkelsinlas am 29. Februar 2016, 20:18:29
Also... ich hasse die ich- Perspektive (Ausnahmen bestätigen die Regel! Ich will hier niemanden schlecht machen) Aber es ist oft ein verwaschener Mix aus der Meinung der Person und des Autors. Irgendwie sind die so eng dann immer verknüpft. Manch einer trennt das gut, ist aber oft eher weniger gut und vermutlich auch sehr schwierig.
Auch finde ich es einfach langweilig alles nur aus der Sicht dieser Person zu lesen. Man hat kein zusätzlichen Input und keine Chance an Infos zu gelangen. Keiner denkt über Dinge nach, die er kennt. Das erscheint schnell künstlich oder muss extrem aufwendig gelöst werden.

Genau das meine ich eben. Was du beschreibst, bedeutet für mich, dass du wahrscheinlich noch nicht viele gut gemachte Ich-Perspektiven gelesen hast und das, was du als Gefahren siehst, könnte man andersrum genau als den Reiz der Ich-Perspektive sehen. Zumindest ist es das für mich. Es stimmt auch nicht, dass es schwerer oder aufwändiger ist oder dass man keinen zusätzlichen Input hat. Das ist alles eine Frage, wie man es macht und im übrigen ist es eine Fehleinschätzung zu glauben, dass man das in der 3. Person anders machen kann. Wenn man nämlich einen streng personalen Erzähler verwendet, was die meisten Autoren tun, dann muss man die gleichen Beschränkungen beachten wie in der Ich-Perspektive, wenn man keine Brüche haben möchte. Und diese Brüche, wenn man sie ganz absichtlich verwendet, zum Beispiel im sogenannten rauszoomen und einem kurzen Wechsel zum auktorialen Erzähler, kann man in der Ich-Perspektive durch andere Techniken auch verwenden.

Was die zusätzlichen Infos und den Input angeht: Ich finde, man macht es sich als Autor viel zu einfach, wenn man zu diesem Zweck durch die Köpfe hüpft oder den auktorialen Erzähler benutzt. (Außer natürlich man setzt das sehr bewusst als Stilmittel ein.) Wenn man andere Lösungen findet, die die Perspektive nicht brechen, bekommt man meiner Meinung nach ein viel kreativeres, spannenderes Ergebnis.

Ich schreibe mittlerweile selbst sehr gerne in der Ich-Perspektive und auch im Präsens, mein Buch "Bis ins Herz der Ewigkeit" zum Beispiel und ein anderes, das im Herbst erscheint. Ich mache das vor allem bei Büchern, bei denen ich sehr nah am Protagonist dran sein will. Meine Bücher, die so in die Richtung Jojo Moyes gehen, realistische Liebesromane mit sehr ernsten Themen, schreibe ich alle in der Ich-Perspektive und im Präsens. Bei meinen neueren Fantasybüchern, bei denen die Handlung mehr im Vordergrund steht, schreibe ich sehr gerne in der 3. Person, weil ich finde, dass man damit eine gewisse Distanz erzeugt, die für einen schnelleren Handlungsverlauf günstig ist. Gefühle kann man aber auch in der 3. Person sehr gut rüberbringen, ebenso wie Reflektionen der Figur. Auch saloppe Kommentare in den Gedanken der Figur sind möglich, die sind nicht auf die Ich-Perspektive beschränkt.

Die Bücher, die ich in der Ich-Perspektive schreibe, haben übrigens meistens mehrere Erzähler, also verschiedene Perspektiven. Bis ins Herz der Ewigkeit hat zusätzlich zwei Zeitlinien, meine Protagonistin erzählt einmal eine Zeitlinie, in der sie bereits tot ist ;D und einmal in der vergangenen Zeitlinie, in der auch der Love Interest eine Perspektive hat. Beide Zeitlinien und Perspektiven sind in 1. Person Präsens geschrieben. Wichtig ist dabei natürlich, dass man mit Textstimme und Handlungsorten, Atmosphäre etc. den Leser in der jeweiligen Perspektive verankert. :)

Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Fafharad am 03. März 2016, 20:51:00
Zitat von: AlanaDenn gerade bei der Ich-Perspektive ist die Gefahr sehr groß, ins Schwafeln zu verfallen und man muss immer auf der Hut sein, dass man den Erzähler die Geschichte wirklich erleben lässt, anstatt sie ihn nur kommentieren und erzählen zu lassen.
Ich glaube, schwafeln ist keine Frage der Perspektive  ;D. Die schlimmsten Schwafelattacken bringe ich mit personalen Erzählern in Verbindung - entweder als sachtextähnlicher Infoblock (vor allem bei SciFi) oder als Introspektive und Was-Wäre-Wenn-Abwägung des Protagonisten. Alles eine Frage des erzählerischen Könnens.
Im Fall meines Protas ist es so, dass er ständig mit übersinnlichen Phänomenen konfrontiert wird, die er kennt - aber der Leser (oder der Zuhörer, dem er seine Geschichte erzählt) nicht. Für mich wäre es frustrierend, jemandem zuzuhören, der Wissen voraussetzt, dass ich nicht besitze. Also gibt er kurze Erklärungen ab. Dafür benötige ich keine Kunstgriffe, sondern kann ihn frei von der Leber weg erzählen lassen. Außer natürlich mitten in spannenden oder emotionalen Szenen.

Zitat von: TrippelschrittVielleicht noch als Ergänzung oder zur Info. Noch vor einigen Jahren galt es als absolutes no go, einen Ich-Erzähler und gleichzeitig in der personalen Er-Perspektive zu schreiben. Bis dann Lian Hearn (Clan der Otori) kam und es machte.
Dem möchte ich noch hinzufügen, dass Stephen King 1983 in "Christine" mit der Perspektive herumgespielt hat. Teil 1 und 3 des Buches sind in der 1. Person, Teil 2 in der 3. Person erzählt. Was mich damals einigermaßen irritiert hat ...  ;)
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Alana am 03. März 2016, 20:55:29
Und dazu würde meine Lektorin jetzt sagen, dass es total unlogisch wäre, wenn ein Ich-Erzähler sich sowas selbst erzählt, weil er es doch bereits weiß. :P Man muss ihm dazu halt immer einen guten Grund geben, um Infos loszuwerden, er muss einen Anlass haben, erneut über diese vertrauten Dinge nachzudenken. (Oder er redet mit dem Leser. Gibt es ja auch.) Also eigentlich nicht anders, als bei der 3. Person auch. Wenn es sich für dich mit Ich-Erzähler besser anfühlt, mach es doch einfach. :)
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Churke am 03. März 2016, 23:09:20
Zitat von: Alana am 03. März 2016, 20:55:29
Und dazu würde meine Lektorin jetzt sagen, dass es total unlogisch wäre, wenn ein Ich-Erzähler sich sowas selbst erzählt, weil er es doch bereits weiß. :P

Äh, was?  :hmhm?:
Ich habe immer als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sich der Ich-Erzähler an den Leser richtet. Wem sollte er die Geschichte sonst erzählen?

Die Frage "Warum erzählt der das?" sehe ich eher bei personalen Erzählern. Da es für den personalen Erzähler offiziell keinen Leser gibt, kann er schlecht motiviert sein, den Leser zu belehren. Das driftet auch schnell in Infodump ab.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Alana am 04. März 2016, 09:20:26
Ein Ich-Erzähler im Präsens erzählt ja nicht unbedingt. Er erlebt die Geschichte zusammen mit dem Leser live. In meinen Büchern ist das so. Manchmal spricht er den Leser aber auch direkt an wie bei Harry Dresden. Der Effekt ist halt ein ganz anderer. Letztendlich will ich eigentlich nur sagen: man kann alles machen, solange man es gut macht. Man kann ja auch eine ganze Trilogie mit der Anatomie von Grashalmen vollschwafeln *hust*HerrderRinge*hust* und damit einen Bestseller landen. Wichtig ist nur, dass man sich des Effekts auf die Leser bewusst ist und den zu erreichen versucht, den man haben möchte.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Cailyn am 04. März 2016, 09:45:48
Erstaunlich wie viele die Perspektive in der 1. Person nicht mögen. Ich liebe sie. Und zwar nicht nur dann, wenn ich mit dem Protagonisten einig bin. Gerade wenn das ein Stinkstiefel ist oder eine komplett anderer Charakter als ich. Dann bin ich nämlich gespannt, ob sich diese Figur irgendwann ändert oder mir plausibel erklärt, warum er/sie so geworden ist.

Und noch was anderes: Seit geraumer Zeit geistert hier der Irrtum herum, man dürfe die 1. und 3. Perspektive nicht mischen. Ich mag mich noch genau an dein zementiertes Statement erinnern, Churke, wo du gesagt hast, das gehe auf keinen Fall. Aber dem ist nicht so. Es gibt einige Bücher, in welcher es einen Erzähler und eine 3. Person gibt, und es für mich als Leserin die Geschichte extrem bereichert. Die Perspektivenmischung ist erlaubt und das wird auch erfolgreich so gemacht. Und da muss man sich auch von der Vorstellung lösen, dass eine Ich-Perspektive eine Erzählung von A-Z ist, welche der Erzähler dem Leser auf einem Sofasessel erzählt, während er sich an all die Erinnerungen an seine Vergangenheit erinnert. Das ist natürlich eine Art von Ich-Erzählung. Aber die 1. Person kann auch ganz einfach eine Variante des Autors sein, die er gewählt hat, um tiefer in dieser Figur einzudringen.

Was mich an der 1. Person sehr reizt, ist die Sprache an sich. Wenn Orte, Gegenstände oder andere Menschen beschrieben werden, kriegen die sofort eine andere "Farbe", als wenn sie neutral beschrieben werden. Was in der 3. Person oftmals langweilig ist, z.B. Landschaftsbeschreibungen, kann in der 1. Person immens spannender werden, wenn es denn gut gemacht ist. Die Betrachtung eines Objekts, einer Landschaft oder einer anderen Figur kann dann viel eher mit einem Gefühl verbunden werden, was das Beschriebene noch verstärkt. Der Ich-Erzähler bringt ja meist eine Wertung des Beobachteten mit hinein. Klar, das kann manche Leser ärgern, weil sie es anders sehen, aber wenn es gut gemacht ist, schafft es entweder mehr Identifikation oder mehr Abscheu, was beides gewollt sein kann. Bei Gesprächen, Argumentationen oder Konflikten mag ich es dann auch, wenn der Ich-Erzähler auch gleich seine Gedanken mitteilt (sofern seine Gedankenwelt mich anspricht). Das ist wohl auch die Krux dabei. Wenn eine Figur ein 08/15-Denken hat, dann wird das langweilig. Aber wenn nicht, dann kann ich mich in diese Gedanken vor Freude reinsetzen oder vor Ärger zu rauchen beginnen. Das ist dann, wie wenn mir ein Freund oder Bekannter etwas erzählt und ich am liebsten vor Begeisterung oder Abscheu dazwischenreden wollte. Insofern schafft das eine Spannung zwischen der Figur und dem Leser, die ich in der 3. Person nicht habe. Ist sicher Geschmacksache. Das möchte nicht jeder.

Für mich ein gelungenes Beispiel für eine gute Ich-Perspektive ist Karl Schmidt aus dem Buch Magical Mystery. Mit dieser Figur kann ich mich im Grunde kaum identifizieren. Er verkehrt in einem anderen Milieu, verhält sich anders, fällt Entscheidungen, die ich nie fällen würde, und nimmt die Welt komplett anders wahr. Dennoch mochte ich ihn auf Anhieb und konnte ihn nachvollziehen, und dies sicher besser, als wenn seine Geschichte in der 3. Person geschrieben worden wäre. Er wuchs mir echt ans Herz, weil das, was er erzählte, von der Logik her passte, auch wenn es nicht meine Logik war.

Ich denke, in der 1. Person zu schreiben, ist anspruchsvoller, weil man in viel gröbere Fallen tappen kann. Es wurden ja hier schon einige aufgezählt. Für mich ist die grösste Falle, es dem Leser recht machen zu wollen. Die Ich-Perspektive zu wählen, weil man sich bei der Leserschaft mit gewollter Identifikation einschmeicheln möchte, das wirkt dann häufig so Teenie-Roman-mässig, wie in Twighlight, wie jemand schon geschrieben hat. Die 1. Person muss dann schon gerhörige Ecken und Kanten haben und gleichwohl sympathische Aspekte haben. Das ist eine Gratwanderung, die halt nicht immer gelingt.

Und noch zur Vermischung von Figur und Autor
Klar, das kann vorkommen. Aber wie wir wissen, haben Protagonisten ja alle immer ein Krümel weit mit dem Autor gemeinsam. Entweder gibt es ähnliche Persönlichkeitsaspekte oder Seiten, die der Autor nicht auslebt und gerade deshalb in den Protagonist pflanzt. Warum sollte mich das als Leser stören? Mich stört es dann höchstens, wenn die Figur keine Konsequenz erfährt. Wenn da plötzlich Gedankengänge auftauchen, die überhaupt nicht zur Figur passen, weil sie sich zufällig und aus einer Laune heraus vom Autor in den Prota geschlichen haben.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Churke am 04. März 2016, 10:35:56
Zitat von: Cailyn am 04. März 2016, 09:45:48
Was mich an der 1. Person sehr reizt, ist die Sprache an sich. Wenn Orte, Gegenstände oder andere Menschen beschrieben werden, kriegen die sofort eine andere "Farbe", als wenn sie neutral beschrieben werden.

Wo steht denn, dass der personale Erzähler neutral ist?
Der personale Erzähler kann subjektiver sein als der Ich-Erzähler. Dem Leser mag das im Einzelfall nicht bewusst sein. Aber wenn ich personal erzähle, dann sieht der Leser die Welt durch die Brille des POV. Im Kopf des POV verschmelzen Fakten, Fiktionen und Vorurteile.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Maubel am 04. März 2016, 11:05:52
Vor vielen Jahren konnte ich die Ich-Perspektive nicht ausstehen. Irgendwie klang sie immer falsch, schreiben konnte ich darin schon gar nicht. Dann habe ich u.a. die Weitseher-Chroniken gelesen und mir ist erst irgendwann in der Mitte überhaupt aufgefallen, dass das ja in der verhassten Ich-Perspektive geschrieben wurde. Seitdem denke ich, dass, wenn es gut gemacht ist, die Perspektive keine Rolle spielt. Beides kann angemessen sein.

Mittlerweile habe ich selber einen Roman in der Ich-Perspektive geschrieben (mit zwei POVs im Wechsel) und wenn ich das ganz objektiv mit einem zeitgleichen Projekt in der 3. Person vergleiche, muss ich sagen, dass es so unterschiedlich gar nicht ist. Auch mein persönlicher Erzähler sinniert über Sachen nach, macht sich Gedanken zu den Sachen die er sieht, hat Zweifel und färbt die Geschichte. Ich finde es sogar, verdammt schwer genau zu sagen, warum ich das eine so und das andere so geschrieben habe, nur das es irgendwie passte - vielleicht auch einfach eine Genresache (Coming-of-Age - Ich-Perspektive, Fantasy - 3. Person.). Ich habe nun einige Tage darüber nachgedacht und bin zu einem möglichen Wahlkriterium gekommen. Wenn die Geschichte mehr eine Charaktergeschichte ist, also einen (oder auch zwei) Charaktere genau beleuchtet und deren Lebensweg schildert durch alle Höhen und Tiefen, lohnt sich denke ich die Ich-Perspektive als Stilmittel mehr. Wenn die Geschichte Plotgesteuert ist und das schließt interessante Charaktergänge nicht aus, generell mehrere Charaktere hat, die von diesem Plot berührt werden, dann würde ich eher die Er-Perspektive wählen. So ein bisschen was von Introperspektiver Plot und Extroperspektiver Plot (falls die Wörter überhaupt existieren). Und selbst da gibt es Werke, die sich auf dem Grat zwischen beidem bewegen. Um zu meinem Beispiel zurück zu kommen. Die Weitseher-Chroniken spiegeln tatsächlich mehr den Charakter von Fitz wieder und dessen Geschichte, die dennoch spannend und plotreich ist. Aber hier finde ich auch, dass das Buch Chargesteuert ist und nicht Plotgesteuert wie zum Beispiel... ganz klassisch Herr der Ringe.

Mittlerweile mag ich zumindest beides gerne lesen und schreiben, wenn es gut gemacht ist.

Und was das vermischen von Figur und Autor angeht, stimme ich da Cailyn zu. Irgendein Aspekt ist immer in den Charakteren. Es spielt keine Rolle, ob er dem Autor superähnlich ist oder nicht, solange der Charakter in sich logisch ist und man nicht das Gefühl hat, dass ist jetzt die Stimme dahinter, ist alles in Ordnung.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 04. März 2016, 11:54:35
In erotischen Kurzgeschichten habe ich gern die Ich-Perspektive gewählt. Vor allem hat es als Mann Spaß gemacht eine weibliche Perspektive zu wählen. Kaum jemand hat gemerkt, dass der Schreiber weiblich war.  ;D

Trippelschritt
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Cailyn am 04. März 2016, 12:20:49
Churke
Da hast du natürlich recht. 3. Person ist nicht neutral. Ich habe das falsch beschrieben. Ich meinte eher, dass du mit der inneren Sprache eines Ich-Erzählers noch einmal eine stärkere Position beziehen kannst und das Beschriebene deshalb (auf mich) lebendiger und intensiver wirkt. Wenn sich eine Figur z.B. über etwas ärgert und seine Meinung in der 3. Person geschrieben wird, dann wird zwar geschrieben, was diese Person denkt und fühlt. Wenn sich ein Ich-Erzähler ärgert, dann kann der Zusatz "derb fluchen und hässliche Worte benutzen" das Ganze noch intensivieren. Klar kann man der Figur in der 3. Person auch Gedanken anhängen (Gedanke + , dachte er/sie), aber das wirkt nie so direkt und ungefiltert, als wenn eine Figur von sich aus Tacheles redet. So als Beispiel.

Maubel
Ob etwas Plot- oder charakterrelevant ist, macht natürlich sehr viel aus. LOTR in 1. Person wäre undenkbar. GOT sicher auch. Da bin ich auch mit den meisten anderen einig: Grosse, komplexe Geschichten, welche verschiedene Handlungen an verschiedenen Schauplätzen zeigen wollen, lassen sich wohl fast nur in der 3. Person verwirklichen. Ansonsten hätte es ja eine ganz andere Wirkung. Ob das aber Genre-abhängig zu sehen ist, bin ich nicht sicher. Es gibt ja in jedem Genre Plot- oder Charakterrelevanz.

Trippelschritt
Ja, bei Erotikgeschichten ist die Ich-Perspektive sicher eine gute Idee.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Churke am 04. März 2016, 13:30:39
Zitat von: Cailyn am 04. März 2016, 12:20:49
Klar kann man der Figur in der 3. Person auch Gedanken anhängen (Gedanke + , dachte er/sie), aber das wirkt nie so direkt und ungefiltert, als wenn eine Figur von sich aus Tacheles redet. So als Beispiel.

Das "dachte er/sie" ist in den allermeisten Fällen komplett überflüssig.
In der 3. Person lassen sich die Gedanken einer Figur genauso direkt und ungefiltert an den Mann bringen.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Schneerabe am 05. März 2016, 15:16:30
Also früher habe ich hauptsächlich in der Ich-Perspektive geschrieben, heute ist es fast ausschließlich die Dritte Person. Neben dem bereits genannten Vorteil mehrere POV-Charaktere, habe ich noch einen ganz eigenwilligen Grund, weiß nicht ob das hier schon genannt wurde aber, in der ich Perspektive bleibt mich nichts anderes übrig als 'Ich' zu schreiben. In der dritten Person habe ich meist die Option er/sie zu schreiben und den Namen, manchmal bieten sich auch andere Formulierungen an, um eine Figur zu charakterisieren, für mich hört sich die dritte Person deshalb und generell also einfach hübscher an.  ;D
Da ich auch nicht so empfinde als würde die Er-Perspektive eine größere Distanz zwischen mich und meine Figuren bringen, hat sie für mich nur Vorteile.

Beim Lesen selbst ist die Ich-Perspektive allerdings keine rote Flagge, ich würde sagen es ist mir fast egal nur das sich die meisten Bücher in der dritten Person irgendwie 'eleganter' Lesen lassen, vielleicht waren die Bücher die mir untergekommen sind ja auch generell ausgeschmückter und zufällig in der Er-Perspektive verfasst, wer weiß.  :D
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Denamio am 05. März 2016, 16:51:27
Zitat von: Schneerabe am 05. März 2016, 15:16:30
weiß nicht ob das hier schon genannt wurde aber, in der ich Perspektive bleibt mich nichts anderes übrig als 'Ich' zu schreiben. In der dritten Person habe ich meist die Option er/sie zu schreiben und den Namen, manchmal bieten sich auch andere Formulierungen an, um eine Figur zu charakterisieren, für mich hört sich die dritte Person deshalb und generell also einfach hübscher an.  ;D

Finde ich einen interessanten Kritikpunkt, weil ich dem so garnicht zustimmen kann. Er/sie hat in dem Fall die gleichen Schwierigkeiten wie die Ich-Perspektive, die Lösungen sind einfach anders. Dazu ein Beispiel:


Und nein, ich habe keine Kopfschmerzen, auch wenn mich dieser und der Präsens Thread ein wenig deprimieren. Die Abwehrhaltung gegenüber Ich-Perspektive scheint doch sehr stark zu sein, aber wenn die Leser ähnlich heftig auf die Perspektive reagieren, erklärt es aber warum meine Werke von Verlag und Agentur oft nichtmal mit einer Absage gewürdigt werden. Irgendwie habe ich da einen Paradigmenwechsel verpasst. :o
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Slenderella am 05. März 2016, 18:19:59
Ne, das wird ganz sicher kein Grund sein.
Die Ich-Perspektive ist ein genauso anerkanntes Stilmittel wie andere auch, und es wird kein Buch abgelehnt, nur weil es in der Ich-Perspektive ist. Nimm dir das nicht als Grund - Absagen sind oftmals einfach unbegründet, hat irgendwem, der quergelesen hat halt nicht so gefallen, dass er mehr wollte und gut.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Fafharad am 06. März 2016, 20:34:47
Ganz unrecht hat Schneerabe aber nicht. Beim Schreiben in der 1. Person sehe ich mich oft gezwungen, Sätze umzustellen oder gänzlich umzuformulieren, um eine häufige Wiederholung des Wörtchens "Ich" zu umgehen. Das ist immer zusätzlicher Aufwand, vor allem, wenn man dem Protagonisten eine einfache, lockere Sprache in den Mund legen will und dann feststellen muss, dass die "Hilfskonstruktionen" eigentlich nicht seiner Ausdrucksweise entsprechen.
Der Wechsel von Personalpronomen und Namen beim personalen Erzähler vereinfacht die Sache tatsächlich etwas. Kritisch sehe ich die Verwendung von Synonymen aus dem ausschließlichen Grund der Vermeidung von Wiederholungen. Da werden gerne körperliche oder biographische Merkmale, Berufe und Dialogposition ("der Angesprochene", "sein Gegenüber") bemüht. Das gleitet bei inflationärer Verwendung ins Lächerliche ab.
Ein Kriterium für die Wahl der Perspektive wären diese Überlegungen für mich aber nicht.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Denamio am 06. März 2016, 20:44:45
Sorry, aber das kann ich immer noch nicht nachvollziehen, genau das gleiche Problem besteht bei der dritten Person doch auch. ??? Ob das jetzt gestelzt wirkt, weil jemand hundert mal er schreibt, oder weil er ich schreibt, in beiden Fällen gibt es Wege dran vorbei.
So habe ich zum Beispiel kein Problem in der Ich Perspektive andere Wege zu finden, aber sobald ich in die dritte Person wechsel, stoße ich auf das gegensetzliche Problem: Jeder zweite Satz "er sagt, sie sagt". Also habe ich Mühe das als inheränten Nachteil der ersten Person zu sehen, wenn es mir eher wie eine Übungssache scheint.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Slenderella am 06. März 2016, 20:55:47
Hatte ich auch noch nie ein Problem mit  ???. Auch im Lektorat ist mir nichts Entsprechendes markiert worden.
Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Fafharad am 06. März 2016, 22:42:34
Zitat von: Denamio... wenn es mir eher wie eine Übungssache scheint
Das ist der Punkt. Ein geübter Autor wird damit überhaupt keine Probleme haben. Aus diesem Grund einer bestimmten Perspektive den Vorzug zu geben, könnte ich mir nicht vorstellen.
Dein Problem mit den verbi dicendi lässt sich aber noch leichter umgehen: Die sind nämlich immer dann entbehrlich, wenn aus dem Zusammenhang oder dem Dialogverlauf bereits hervorgeht, wer gerade spricht. Als Behelf lässt sich hier auch sehr gut mit nonverbaler Kommunikation oder kurzen Handlungen arbeiten, die der Dialogzeile des Sprechers zugeordnet werden. In der Ich-Perspektive ist das schwieriger, das häuft sich dann wieder das "Ich"  ;).

Titel: Re: 1. oder 3 Person?
Beitrag von: Denamio am 06. März 2016, 23:19:39
Zitat von: Fafharad am 06. März 2016, 22:42:34
In der Ich-Perspektive ist das schwieriger, das häuft sich dann wieder das "Ich"  ;).

Nicht mehr als in der dritten Person, womit der Kreis sich wieder schließt. Mir geht es nicht darum deine persönlichen Erfahrungen in Frage zu stellen. Da ist jeder individuell. Manches liegt einem, anderes nicht. Mir liegt zum Beispiel die dritte Person nicht so und da war dein Exkurs sicher nett gemeint.
Ich sehe aber nicht den Unterschied auf der sprachlichen Ebene, warum das eine jetzt schwieriger sein soll als das andere. Wohl aber sehe ich den Unterscheid auf der individuellen Ebene und der jeweiligen Befähigung zur einen oder anderen Perspektive, oder vielleicht sogar zu beiden.

Kannst du mal näher ausführen, warum du glaubst, dass sei auf einer sprachlichen Ebene in der Ich-Perspektive schwieriger, als in der Er/Sie Perspektive? Eventuell anhand von Beispielen, damit ich nachvollziehen kann, wie du zu der Aussage kommst? Das fällt mir im Moment noch schwer.  :)
Titel: Re: 1. oder 3. Person?
Beitrag von: Fafharad am 07. März 2016, 08:47:13
Zitat von: DenamioIch sehe aber nicht den Unterschied auf der sprachlichen Ebene, warum das eine jetzt schwieriger sein soll als das andere.

Ich habe spaßeshalber den Text in der 3.  Person, an dem ich gerade arbeite, in die 1. Person umgewandelt. Verblüffende Erkenntnis (weil ich so was noch nie gemacht hatte): Es gibt keinen nennenswerten Unterschied.
Das Wort "Ich" taucht häufiger auf als "Er". Klar, denn ich musste auch den Namen des Protas durch "Ich" ersetzen (siehe Schneerabe). Aber beim Lesen stört das nicht.
Das liegt daran, dass schon der Ursprungstext keine Häufung von Satzanfängen mit "Er" oder dem Namen hatte und ich mit Verben wie "sagte"/"fragte"/"dachte" generell sparsam bin. Im Umkehrschluss würde ich sagen, dass ich in der 3. Person so dicht an der Reflektorfigur bin, dass der Unterschied zur 1. Person mehr sprachlicher als perspektivischer Natur ist.

Um deine Frage zu beantworten: Für mich ist es tatsächlich nicht schwieriger in der Ich-Perspektive. Meine Argumentation war mehr ein Versuch, mich in Schneerabe hineinzuversetzen.
Jetzt bin ich um eine Erkenntnis reicher   ;D.
Titel: Re: 1. oder 3. Person?
Beitrag von: Cailyn am 07. März 2016, 09:24:57
Fafharad
Du kannst natürlich anstatt "Ich" auch ab und zu mit "mir" abwechseln
z.B. Ich hatte keine Lust zum arbeiten = Mir war nicht danach, irgendwelche Arbeiten zu erledigen.

Dass die 1. Person etwas mehr Aufwand generiert, finde ich auch. Aber ich sehe es als Herausforderung, die mich reizt. In meinem nächsten Buch werde ich ja auch eine Ich-Perspektive wählen (unter anderem ;)), und ich habe mir vorgenommen, auch oft die Du-Form zu benutzten, wenn die Ich-Figur zu sich selber spricht im Sinne eines inneren Monologs. Natürlich nicht immer, aber ab und zu als weiteres Stilmittels, damit es nicht zu sehr mit Ichs überladen ist.
Titel: Re: 1. oder 3. Person?
Beitrag von: funkelsinlas am 07. März 2016, 20:37:32
@Alana : Ja, stimmt, ich habe noch nicht so viele gute Ich- Erzähler- Bücher gelesen. Das ist etwas sehr schwieriges und etwas, was oft auch aus dem Lesefluss reißen kann. Wie gesagt. Hut ab, wer das gut kann, aber ich würde die Erzählart nur sehr sparsam verwenden.
Titel: Re: 1. oder 3. Person?
Beitrag von: Vic am 09. März 2016, 15:41:06
Also ich finde es für mich persönlich einen riesigen Unterschied ob ich 1. oder 3. Person schreibe - da kommen bei mir komplett andere Geschichten und sogar Protagonisten raus.
Aber das liegt vermutlich wirklich daran, dass ich in 3. Person wesentlich sachlicher schreibe und distanzierter und in 1. Person wesentlich flapsiger und viel mehr drauflos labere (das ist für mich auch der Reiz an 1. Person ehrlich gesagt).
Ich find das irre, dass das für einige hier offenbar gar keinen Unterschied macht....
Titel: Re: 1. oder 3. Person?
Beitrag von: Trippelschritt am 12. März 2016, 14:36:59
Ich glaube, dass das für alle hier einen gewaltigen Unterschied macht, denn man wählt nicht einfach so eine der beiden Perspektiven, sondern die, von der man glaubt, dass sie der Geschichte angemessener ist. Trotzdem gilt, dass sich ganz viele Passagen ohne größere Schwierigkeiten aus beiden Perspektiven schreiben lassen. In mehr, als man vielleicht anfangs glaubt. Das Umschreiben kann aber auch ganz schön Arbeit machen und alles andere als einfach sein.

Liebe Grüße
Trippelschritt