N'Abend liebe Leute und liebe Leidensgenossen und -genossinnen,
Ich war schon kurz davor, dass Thema hier in den Thread der Recherchen zu packen, aber dann kam es mir nach Lesen der Regeln irgendwie doch fehl am Platz vor. Also gern verschieben, wenn's falsch ist.
Auch wenn ich hier von mir selbst und meinem Projekt rede, möchte ich doch betonen, dass ich den Thread für alle eröffne, denen es auch so geht. Falls es sonst keinem so geht, muss ich mal über mein Leben nachdenken

________________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Es fängt noch alles irgendwie harmlos an. Man beginnt zu schreiben. Einfach so. Weil man grad Lust hat. Man erkennt erste Dinge, von denen man keine Ahnung hat, recherchiert, und findet interessante Sachen raus. Die Begeisterung steigt. Wow, man lernt ja
so viel. Wie interessant. Hochmotiviert geht's dann weiter. Die erste negative Stimme kommt hinzu. Das ist die Stimme, die sich fragt, ob man überhaupt gut genug ist und all dieses Zeug. Zwar ist man hochmotiviert und total begeistert - aber mit verstreichender Zeit vernimmt man plötzlich immer deutlicher ein Geräusch ganz hinten im Kopf. Was ist das? Ein schriller Ton. Man guckt genauer und sieht einen Teil seines Ichs händefuchtelnd und kreischend rumrennen, das begeisterte Ich am Kragen packend und rufend: "Bist du des Todes?" Ist ja gut, Teil des Ichs, komm mal wieder runter. Ist vermutlich die Unsicherheit, die man nur damit beruhigen muss, einfach weiterzumachen.
Dann aber merkt man endlich, wer oder was das ist. Die innere Arbeiterbiene.
Recherche. Recherche. Und nochmal Recherche. Es hört einfach nicht auf. Man hat 100 Baustellen und wenn man 1 bearbeitet hat, sind wieder 5 hinzugekommen. Früher dachte ich, Autoren seien so bewandert, weil sie selbst gern lesen. So als Hobby (verklagt mich nicht). Klar müssten sie auch für ihr Buch recherchieren und alles, aber früher wusste ich noch nicht, wie viel das in Wirklichkeit ist. Da dachte ich, wenn jemand ein Buch über... keine Ahnung, eine indigene Kultur schreibt, dann müsste er halt intensiv über diese Kultur recherchieren und gut is (überspitzt gesagt). Ha. Ha-Ha. Ha-Ha-Ha

Es ist
Wahnsinn, über was man alles Informationen einholen muss und wie umfangreich teilweise.
Das ist es, was es für mich wie eine Unmöglichkeit erscheinen lässt, überhaupt nur ein einziges Buch zu schreiben. Ich zähle mal von meinem eigenen Projekt auf (Blutdruck steigt

):
- so viele Kulturen und Ethnien (!). Ich will ja Diversität reinbringen. Und nicht nur, dass ich das selbst will, nein es wäre auch fürs Projekt inkohärent, es nicht zu tun. Meine Prota ist spanisch-kanadisch. Der Love-Interest halb-indisch. Es gibt ost-asiatische Charaktere (ja, ich weiß, Indien gehört auch zu Asien^^), Charaktere mit dunkler Hautfarbe, indigen, eher nordisch (also skandinavisch) und eigentlich alles, was man sich so vorstellen kann. Nun, sicher nicht alles. Aber so einiges. Eigentlich müsste ich ja jetzt Experte werden in all diesen Kulturen und Ethnien, damit ich allen irgendwie gerecht werden kann. Schon allein das bringt mich fast zum innerlichen Platzen. Aber damit ist es ja noch
längst nicht vorbei.
- Gehörlosigkeit - ein Nebencharakter ist gehörlos
- verschiedene Sexualitäten
- Stereotype von Mann und Frau
- Gender(n)
- Anatomie (wie spritzt das Blut, welche Wunden sind wann realistisch, welche Verletzungen ziehen was nach sich, wie manifestieren sich innere Blutungen, achja, dadurch kann man noch eine Blutvergiftung bekommen, diese Krankheit ist so und so....)
- psychische Erkrankungen - von deren Symptome bis hin zu Stigmata, denen man ausweichen sollte
- Thema Nomaden
- Realistische Kampfszenen schreiben - achja, da stand ja ein Gegenstand. Hm stimmt,
dabei müsste die Waffe eigentlich kaputt gehen. Mist. Wie bewegen sich Kämpfer überhaupt? Was tun Angreifer, was Verteidiger?
- Sorgfältig über Hobbys und Berufe der Charaktere recherchieren: Klettern, Schwimmen, Graphologie, das Fliegen von Flugzeugen oder das Fahren mit dem Schiff und noch 1000 mehr
- Politik und Führungspositionen - welche Entscheidungen sind wann realistisch
- Edelsteine, Reiki-Symbole, Chakras usw.
- Physik und andere Naturgesetze - wie bewegt sich das Feuer wann wohin, wann erfriere ich oder kann ich meinen Körper nicht mehr bewegen, wann ist wo welche Strömung im Wasser, wie genau geht ein Schiff unter, ja wie atmet man überhaupt?
- Material - man könnte ja sagen, dass alles nur aus Holz oder Stein besteht, aber ganz so urmenschenhaft soll es dann doch nicht sein. Also spricht man von Nussbaumholz, Marmor, Granit, Sandstein und was nicht alles und beißt sich nen Zahn dran aus, das auch noch halbwegs schön zu beschreiben (ich beschreibe ja nicht allzu viel. Aber wenn, dann soll es auch ein Bild im Leser erzeugen und nicht nur öde Leere)
- Architektur - wie baut man sein eigenes Haus im Buch, was nicht nach dem Hotelzimmer aussieht?
- Ach, und einfach alles. Es kommt ein Hund vor - welche Hunderassen gibt es? Wie sieht das aus? Für welche Verhaltensweisen sind diese Hunde bekannt? Oh, eine Muschel. Hm. Wie könnte eine interessante Muschel aussehen? Lass uns mal googeln und nach Bildern suchen.
Hinzu kommt - vor allem für Neulinge (aber auch für erfahrenere Autoren, da man sich ja weiterbildet) - alles, was mit dem Schreiben zu tun hat.
- Wie plottet man (super, es gibt viele Methoden)
- wie schreibt man einen anständigen Charakter
- wie erstellt man einen Characterarc
- wie baut man Spannung auf
- wie schreibt man gute Dialoge?
- Show don't tell
- die einzigartige Atmosphäre eines Buches
- die eigene Erzählstimme
- Worldbuilding
- Kreativitätsmethoden
- wie vermeidet man abgelutschte Klischees und welche gibt es überhaupt?
- Anfängerfehler vermeiden
- Schreibstil
- Grammatik (oh, die Grammatik und all ihre Verwandte. Ist es denn jetzt
herein oder
hinein?)
- Klappentext
- Exposé
- Buchtrailer
- Covergestaltung
- gute Titel finden
- Marketing
- Anschreiben
- Finanzen
- Offizielle Anmeldung als Beruf
- Versteuerung
- Absätze setzen (ja, man stößt immer wieder auf Dinge, von denen man noch nicht mal wusste, dass man über sowas wirklich nachdenken sollte)
Und viiiieles mehr. Immer, wenn ich ein Thema recherchiere, fallen mir dann 5 weitere dabei auf. Die man dann aber eigentlich auch noch recherchieren müsste. Oje
P.S.: Man sollte ja vielleicht auch
zufällig noch gute Ideen für eine Story haben.
So, genug Geheule. Musste mal raus, ich wurde am Kragen gepackt, erinnert ihr euch?
__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Deswegen endlich meine Frage: Wie geht ihr damit um? Habt ihr irgendwelche Bewältigungsstrategien, nützliche Tipps und Tricks? Ihr dürft auch gern mitheulen, wenn euch danach ist

Oder mich ebenfalls mal am Kragen packen und sagen, "Bist du des Todes, du Depp, du gehst das alles falsch an"

Bühne frei.