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Ein knackiger Anfang - der erste Absatz, die erste Seite

Begonnen von Coppelia, 10. Januar 2009, 07:43:08

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Coppelia

Die Wölfin hat sich dieses Thema gewünscht, ich bin mal so frei, es zu eröffnen.
Irgendwann hatten wir mal einen ähnlichen Thread, wo ich drei Alternativanfänge geschrieben habe nach drei alternativen Arten, mit der Handlung einzusetzen, und die Vorteile und Nachteile genannt. Jetzt muss ich nur noch selbst auf mich hören und den ultimativen Anfang finden, und der Erfolg kann kommen. ;)
Es geht dann um die Frage, wie der Anfang aussehen muss, um den Leser sofort zu fesseln und Verlage und Agenten zu überzeugen. Da ich ja selbst noch keine allzu erfolgreichen Veröffentlichungen vorweisen kann, kann ich zu dem Thema höchstens sagen, mit welchen Mitteln ich vermutlich gute Effekte bei den Büchern erreicht habe, die es etwas weiter gebracht haben als auf meinen eigenen Tisch.

Als ich die Lottiromane angefangen hab, hab ich vom Schreiben noch so wenig Ahnung gehabt, dass es ein Wunder ist, dass die jemals veröffentlicht wurden. Der 1. und 2. Teil waren ja als eins geplant. Die erste Szene beginnt, indem sie den Protagonisten, den meine Leser - die in den Hintergrund eingeweiht sind! - als uralten, hässlichen, bitterbösen Mann kennen. Diese Szene zeigt ihn als jungen Idealisten. Außerdem findet ein sehr existentieller Kampf mit Worten statt. ;) Ich glaube, die Diskrepanz zwischen der Figur im Kopf der Leser und der Art, wie ich sie präsentiert habe, hat irgendwie für Spannung gesorgt.
Mit welcher Szene ich den Schreibauftrag bekommen hab, weiß ich nicht mehr, es war allerdings keine Actionszene, irgend ein Psychodama, glaub ich. Ich würde es heutzutage garantiert nicht mehr mit so einer Szene versuchen, einen Schreibauftrag zu bekommen.

Ich denke, schon der erste Satz muss möglichst viel Spannung wecken, und nach dem ersten Absatz muss der Leser dringend die Fragen beantwortet haben wollen, die bisher aufgeworfen worden sind. Die erste Szene muss ihn dann anfüttern, aber noch viel mehr Fragen aufwerfen, sodass er gar nicht mehr aufhören kann zu lesen. ;D

Was meiner Ansicht nach nicht funktioniert, ist der Einstieg mit einer Actionszene. Das funktioniert in meinen Augen daher nicht, weil der Leser bisher keine Gelegenheit hatte, sich mit der Figur zu identifizieren, die da in Lebensgefahr gerät. Wenn die Geschichte also damit anfängt, dass Hans 10 Orks abschlachtet, die ihn überfallen, denke ich mir als Leser eher: "Na und? Wer ist Hans?" Wenn die Hauptfigur übel am Metzeln ist, wird sie mir außerdem gleich unsympathisch.
Es kann allerdings sein, dass manche Lesergruppen von dieser Art Anfang angesprochen werden (ich erinnere mich an den Anfang von "die Orks"). Wenn man es geschickt anstellt, sympathisiert der Leser vielleicht auch gleich mit dem kämpfenden Helden (vielleicht so (überzogenes Beispiel): "Hans warf sich schützend über den flauschigen Welpen, als die Pfeilde der Orks ringsum in die Bäume schlugen. Der kleine Hund war alles, was er von seiner Verlobten noch hatte, und jetzt wollten diese Grünheute das Tier zum Frühstück essen! ...") Wenn Hans beispielsweise ein süßes Hundchen davor schützt, gegessen zu werden, muss er einem sympathisch sein, oder? Man darf das natürlich nicht allzu durchschaubar machen ... ;)

Ich würd noch weiterschreiben und von meinen Überlegungen für die letzten Anfänge erzählen, aber jetzt muss ich gleich erstmal los.

JulyRose

Ein tolles Thema, mit dem ich mich gerade im Rahmen meines Workshops beschäftige. Passt also!

Ich habe daraufhin gestern mal ein paar Bücher aufgeschlagen und die Anfänge gelesen. Ich glaube, es entscheidet nicht nur der erste Satz. Ich weite das für mich persönlich auf die ersten 100 Wörter aus. Mit diesen hundert Wörtern muss ich - wie Coppelia bereits anmerkte - beim Leser Fragen aufwerfen, die er unbedingt beantwortet wissen will.

Bei Hans, dem Ork, der sofort losmetzelt, funktioniert das nicht. Aber ich finde, es liegt eine unglaubliche Spannung darin, wenn Hans, der Ork kurz vor einer Schlacht steht, vielleicht mit seinen anderen Orksen (?) zusammen steht und sie auf den Beginn des Gemetzels warten. (ich gebe aber zu, dass sowas vermutlich nicht bei Orks funktionieren würde.)

Ich muss gestehen, dass ich ein Freund der leisen Anfänge bin. Ich mag es, wenn man den Leser an die Hand nimmt und ihm erstmal kurz (!) die Welt zeigt, in der er steht, möglichst noch mit dem Helden zusammen, der vielleicht gerade etwas neues erfährt. Mir ist aber bewusst, dass das gar nicht so leicht ist, dieses "leise" mit den Ansprüchen der Verlage zu verbinden.

Liebe Grüße
Juliane

Steffi

Ich finde ein guter Anfang setzt in medias res an. Die allwissenden Anfänge, die mit "Rudolf wurde an einem stürmischen Wintertag in Hintertupflingen geboren, seine Mutter war Näherin und sein Vater Bauer. Schon bald stellte sich heraus, dass der Knabe überaus begabt war..." haben zur Zeiten von Dickens wunderbar funktioniert, aber heute finde ich sie zum Lesen sehr mühsam. Das mag daran liegen, dass Dickens andere Intentionen hatte als bloß eine gute und spannende Geschichte zu erzählen, aber trotzdem finde ich diese Eingänge eher langatmig und ohne wirklichen Nutzen für die Geschichte. Das kann man schließlich auch alles mittendrin verpacken.

Ebenfalls unglücklich finde ich altmodische Natureingänge ("Hinter den blauen Bergen, weit unter dem Sowiesopass, liegt inmitten von malerischen Feldern aus Kornblumen ein kleines Dorf...").

Natürlich gibt es zu diesen Beispielen auch immer Ausnahmen, die die Regel bestätigen :-)

Ich mag es, direkt in der Geschichte zu sein. Ich mag das Gefühl zu wissen, dass schon vorher etwas passiert ist und sich die Räder in Gang gesetzt haben. Das muss ja nicht unbedingt viel sein. Ich lese gerade "Im Bann des Fluchträgers", das lediglich mit der Ankunft eines jungen Reiters am Königshof beginnt. Das ist relativ unspektakulär, aber als Leser ist meine Neugier sofort geweckt.

Was Actionszenen betrifft, stimme ich Coppelia zu.


Mein liebster Anfang ist übrigens der allererste Satz aus Paul Austers "The Brooklyn Follies."

I was looking for a quiet place to die.

Ich habe den ersten Satz zufällig im Laden gelesen und das Buch ohne Umschweife gekauft.  Ich finde diese Art, ein Buch zu beginnen, phantastisch :-)

Sic parvis magna

Churke

Zunächst einmal finde ich, dass ein Anfang zur Geschichte passen sollte. Und zwar sowohl inhaltlich als auch stilistisch.

Ich habe mir mal die Mühe gemacht, ein paar Anfänge von "Alan Burt Akers" rauszuschreiben. Obwohl es in seinen Dray-Prescott-Romanen immer nur um Swords & Sorcery geht, sind seine Romananfänge recht unterschiedlich. Aber trotzdem steigt er immer gleich ein und macht nicht lange rum:

"Oft bin ich an zwei Orten gleichzeitig gewesen; für die übermenschlichen Herren der Sterne ist dies ein leichter Trick. Weniger oft ist es vorgekommen, daß zwei verschiedende Versionen meiner selbst gleichzeitig am selben Ort aufgetaucht sind."
- Der Rebell von Antares (24. Roman)

"Der grauschnäbelige Bursche, der sein schweres Bronzeschwert schwang, bildete sich allen Ernstes ein, auf der gefährlich geschwungenen Klinge sei mein Name eingraviert. Er wünschte sich im Leben nichts sehnlicher, als meinen Kopf als Souvenir zu behalten. Er hatte sich sogar einen Flechtkorb mitgebracht, der an seinem Gürtel baumelte und auf die Trophäe wartete."
- Ein Sieg für Kregen (22. Roman) -> Man beachte bitte den Einstieg mit Action!

"Es gibt mehr als hundert Möglichkeiten, ein Flugboot zu stehlen; doch hier und jetzt kam nur die allererste Methode in Frage."
- Ein Schicksal für Kregen (21. Roman)

"Todesurteile zu unterschreiben ist keine vernünftige Beschäftigung für einen Mann."
- Ein Leben für Kregen (19. Roman)

"'Ganz einfach ist das, Jak', sagte Pompino und sprang ans Ufer. 'Wir brauchen nur noch einige wilde Haudegen anzuwerben und diesem Lord Murgon Marsilus einheizen. Anschließend brennen wir alle verdammten Lem-Tempel nieder, klären, wer wen heiratet - und ziehen nach Hause.'"
-Die Klauen von Scorpio (30. Roman)

"Die Frau, die ausgestreckt im Wüstensand lag, bewegte sich mit der Schlaffheit des kommenden Todes unter den den ausgebreiteten Schwingen des Geiers."
- Delia von Vallia (28. Roman)

Dagegen fängt Asimov in der Foundation-Tiologie ganz anders an: (Man beachte den allwissenden Erzähler)
"Das Galaktische Imperium zerfiel.
Es war ein gigantisches Imperium, das Millionen von Planeten umfaßte, die innerhalb der riesiegen Doppelspirale lagen, die wir als Milchstraße kennen."
Isaac Asimov, der galaktische General

Hm, ich glaube, der perfekte Einstieg enspricht der Grundstimmung eines Buches. Ein fröhlicher Haudrauf-Einstieg wäre dem Verfall des Galaktischen Imperiums sicherlich ebenso abträglich wie der umgekehrte Fall.

Steffi

@Churke: die Anfänge gefallen mir alle gut, besonders der Zweite. Der Humor, der da durchkommt, ist ganz große Klasse :)
Sic parvis magna

Alana

Hallo,

das Thema finde ich auch sehr interessant. Ich habe mein jetziges Projekt auch mit einer Szene engefangen, die wie eine Actioszene aussieht, es in Wirklichkeit aber nicht ist und sie ist auch sehr kurz. Ob es dabei als Anfang bleibt, weiß ich noch nicht, aber ich habe die Szene dazu benutzt, dem Leser meine Figur vorzustellen.
Eigentlich gefällt mir die Szene, aber evtl. ist sie auch etwas zu platt, zu offensichtlich und ich könnte auch damit leben, sie nochmal umzuschreiben.
Ich glaube schon, dass, je nach Zielgruppe, ein flotter Anfang durchaus gut ist.
Eine mehrseitige Actionszene ist natürlich wieder was anderes.
Oder was meint ihr?

Von den Anfängen gefällt mir der erste am besten.
Alhambrana

Isleya

Hallo  :winke:

Also ich finde bei der Auflistung den vierten Anfang am besten. Da dachte ich schon: Oh, okay... Hier passiert etwas, das nicht gerade langweilig oder permanent fröhlich-bunt ist.

Ich finde als Alternative für den klassischen Actionanfang Szenen schön, in denen der Protagonist in einer misslichen Lage steckt und gemeinsam mit dem Leser denkt: "Mist, wie komme ich/kommt der da bloß wieder heil raus...". Das erzeugt für mich gleich zu Anfang Spannung.

Liebe Grüße,
Isleya

Lomax

Also, zunächst einmal kann ich versichern, dass der Anfang mit "Hans und den Orks" funktioniert. Sonst wären Actionszenen als Einstieg nicht so beliebt - und ich habe auch genug Beispiele im Regal stehen, bei denen so ein Anfang mich ins Geschehen gezogen hat. Für das Funktionieren störte es nicht mal, dass man die Personen nicht kennt, ja, es ist nicht mal wichtig, ob die Figuren überhaupt noch eine Rolle im Buch spielen. Für mich reichte es oft schon, wenn die Actionszene einfach nur nach einem Ereignis mit Konsequenzen aussah und so in die Handlung eingeführt hat, die später mit den Protagonisten wieder aufgenommen wurde.
  Allerdings muss ich zugeben: So ein Einstieg funktioniert erstens nicht für jeden Leser, und zweitens nicht in jeder Umsetzung. Ich hab auch Bücher mit Actioneinstieg gelesen, die mich kalt ließen - und, um das leidige Gender-Thema zu bringen: Ich habe schon von mehr Frauen als von Männern gehört, dass so etwas sie grundsätzlich nicht reizt.
  Das wichtigste dürfte also wohl sein, dass ein Einstieg Fragen aufwirft, und zwar solche, deren Beantwortung den Leser wirklich interessiert. Was Leser interessiert, ist allerdings durchaus unterschiedlich, und das dürfte wohl auch die verschiedenen Möglichkeiten für erfolgreiche Anfänge erklären.

Ich persönlich habe daraus jedenfalls den Schluss gezogen, dass ich mich weniger darum kümmere, wie grundsätzlich ich den Anfang gestalte, sondern wie im Detail. Ich denke also weniger darüber nach, ob ich mit einer Actionszene einsteige, mit einer Liebesszene, einer Beschreibung oder einer Vorstellung der Protagonisten, sondern ich überlege mir lieber, wie ich den gewählten Einstieg dann gestalte. Wie ich Fragen aufkommen lasse, Interesse wecke, eine Stimmung vermittle, die in das Buch ziehen soll.
  Und den einen Ansatz, der es allen Recht machen soll, suche ich nicht mehr. Ich versuche, einen Einstieg zu finden, der den Lesern gerecht wird, die dieses Buch lesen sollen.
  Aber: Was mich immer sehr beeindruckt, sind Sätze, die im Gedächtnis bleiben. Steffi hat es schon erwähnt. Mitunter ist es so, dass selbst in Anfängen, die selbst recht unspektakulär bleiben, ein einziger, prägnanter Satz schon hängenbleibt und einen gefangen hat. Darum suche ich immer gerne nach solchen Sätzen. Nicht immer krampfhaft, aber dafür auch nicht nur für den Anfang ;)
  Auch hier wird man wohl keinen Satz finden, der jeden Leser sofort fesselt. Aber zumindest "offene" Sätze mit einem Potenzial dafür empfinde ich immer als stärkeren Einstieg als irgendwelche banalen Sätze, die den ersten Schlag versäumen. Leider benötigt man für solche Sätze eine Inspiration, und die hat man nicht immer, oder sie liegt daneben. Aber einen ersten Satz, an den sich ein Leser selbst dann noch erinnert, wenn er das Buch schon durchgelesen hat - was könnte besser sein? Durch den Satz bleibt das Buch im Gedächtnis, und das ist in jeder Hinsicht gut: Es macht es schwer, das Buch beiseitezulegen; und wenn der Leser sich an Satz und Buch erinnert, kann er darüber reden und es weiterempfehlen  ;)

Steffi

Zitat von: Lomax am 10. Januar 2009, 12:34:02

  Das wichtigste dürfte also wohl sein, dass ein Einstieg Fragen aufwirft, und zwar solche, deren Beantwortung den Leser wirklich interessiert. Was Leser interessiert, ist allerdings durchaus unterschiedlich, und das dürfte wohl auch die verschiedenen Möglichkeiten für erfolgreiche Anfänge erklären.



Ich glaube, damit hast du soeben den Nagel auf den Kopf getroffen :)
Sic parvis magna

Mrs.Finster

Oh man, wenn ich das hier so lese, bin ich echt der Meinung irgendwann mal in der Vergangenheit stehen geblieben zu sein  :hmhm?:

Ich liebe klassische Einstiege, in denen es ,,sanft´´ anfängt  :) Bei mir im Kopf läuft das immer wie eine Art Film ab, wahrscheinlich ist das auch mein Fehler  :hmmm:. Aber nimmt man z.B. den Film Herr der Ringe (das Buch habe ich leider nicht gelesen) diesen klassischen Anfang mit dem Auenland... den find ich total klasse. Weil der Film an sich ist ja stellenweise echt düster und brutal, wenn der auch so anfangen würde... :no:

Aktionszenen sind nicht so mein Ding...da wird man so kalt ins Wasser geschmissen. Aktionszenen, die sich langsam aufbauen sind doch viel spannender, weil ich da als Leser viel besser mitfiebern kann  :)

wie July Rose schon sagte: ,,Ich mag es, wenn man den Leser an die Hand nimmt und ihm erstmal kurz (!) die Welt zeigt, in der er steht, möglichst noch mit dem Helden zusammen, der vielleicht gerade etwas neues erfährt." Genau das unterschreibe ich so  ;D
Glück ist, wenn die Katastrophen in meinem Leben endlich mal eine Pause einlegen :-)

Feuertraum

Mag ich jetzt nicht ganz unterschreiben.
Obwohl...nein, andersherum: Ich unterschreibe Lomax Aussage zwar, gehe jedoch noch einen Schritt weiter und führe den Kontrast als Anfangsmittel mit auf. Nicht dass ich ein Freund dessen bin, aber ich wage einmal zu behaupten, dass man mit diesemMittel einen Leser genauso in seinen Bann schlagen kann.
Es gibt auch Autoren (ich glaube, Marie Luise Fischer hat gern so geschrieben), die erstmal Beschreibungen an den Anfang sitzen, sozusagen ein laues Lüftchen wehen und diesen dann im Laufe des Romans zu einem Orkan anwachsen lassen.

Was mbMn. ebenfalls sehr sehr sehr wichtig ist: Ein Anfang gibt ein Versprechen. Ich darf keinen reißerischen Anfang machen und dann in eine Liebesschnulzenblablageschichte münden.
Der Anfang sollte also so geschrieben sein, dass er den Leser auf das Kommende einstimmt - und ihn nicht betrügt!
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Lomax

Zitat von: Feuertraum am 10. Januar 2009, 13:11:37Es gibt auch Autoren (ich glaube, Marie Luise Fischer hat gern so geschrieben), die erstmal Beschreibungen an den Anfang sitzen, sozusagen ein laues Lüftchen wehen und diesen dann im Laufe des Romans zu einem Orkan anwachsen lassen.
Ich mag solche Bücher auch. Aber ich bin auch ein Mensch, der selbst Telefonbücher liest ;) Nein, im ernst: Gerade sehr epische Werke wirken auf diese Weise sehr gut, wenn sich die Geschichte von einem harmlosen Anfang aus immer weiter steigert.
  Aber es darf auch nicht übersehen werden, dass diese Art Einstieg auf dem Markt immer schlechter funktioniert. Es ist zwar ein Klischee, aber die Zeit ist tatsächlich schnelllebiger geworden. Leser lesen nicht 50 Seiten weiter, nur im Vertrauen darauf, dass es irgendwann besser wird und ein langsamer Einstieg nur das Versprechen auf einen umso dramatischeren Kontrast ist.
  Man muss heute etwas bieten, was sofort wirkt. Wenn man also langsam anfangen will, muss man eben andere "Reize" in seinen Anfang packen. Ansonsten hat man schon wenig Chancen, den Verlag zu überzeugen - denn da gilt für Manuskriptprüfungen durchaus die Regel, dass schon auf den ersten Seiten ein Verkaufsargument sichtbar sein muss.
  Ich denke, die langen, epischen Erzählungen, die sich langsam entwickeln, haben dennoch eine Chance. Aber nur noch dann, wenn sie von einem Standing profitieren können, das der Autor sich vorher auf andere Weise erworben hat. Will man ein Buch platzieren, das für sich allein stehen kann, ist das heutztage mit einem "lauen Lüftchen" am Anfang so gut wie unmöglich. Das macht solche Anfänge vielleicht nicht schlecht oder schließt sie gänzlich aus - aber es macht sie doch schwierig und wenig empfehlenswert.

Leon

#12
Ich selbst mag ebenfalls lieber eine langsame Einführung in das Geschehen. So dass ich mich erst einmal mit der Umgebung vertraut machen kann, bevor mich das Abenteuer ganz und gar verschlingt.

Vielleicht liegt die Kunst auch darin, einen Mittelweg zu finden. Was heißen soll, zwar ruhig beginnen ohne dabei langweilig zu sein.

Gruß
Leon

Alana

#13
Der langsame Anfang funktioniert ja auch z.B. bei der Biss-Reihe ganz hervorragend.
(Auch bei Harry Potter, Tintenherz etc.)
Es fängt eigentlich absolut nichtssagend an, trotzdem war das Buch schon nach der ersten Seite spannend.
Natürlich ist das Geschmacksache, aber der Erfolg der Bücher spricht für sich.
Und das auch noch bei den amerikanischen Teenagern, die bestimmt zu einer sehr schwer zu gewinnenden Zielgruppe für Bücher gehören.
Alhambrana

Nachtblick

#14
Bei mir hat der Anfang überraschend oft mit dem Stil zu tun.
Wenn der Stil mir zusagt, und das vielleicht auch nur unbestimmt, halte ich selbst die langsamsten Anfänge aus. (Wenn es ewig so weiter geht, ist auch meine Geduld mal strapaziert... aber man nehme "Das Parfüm" - der Anfang war nicht "spannend" in dem Sinne, dass ich dachte, "das halte ich nicht aus! Gott, ist das spannend!", sondern eher: "Hm, der Stil ist ja wirklich ungewöhnlich, wohin sich die Figur wohl noch entwickelt... ohh, die ist so schön irre... lass mal weiterlesen". Ich habe das Buch letztendlich regelrecht verschlungen.)

Harry Potter ist ein Beispiel - ich habe das Buch, glaube ich, mit sechs oder sieben gelesen und war von der ersten Seite an sofort gefesselt. Wenn ich mir das heute noch einmal angucke, dann ist es der Stil. Wenige Bücher haben mich im Anfang so sehr fasziniert, wo sie doch so ruhig und "langweilig" beginnen. Tintenherz ist auch ein Beispiel. Ein mysteriöser Anfang, lange Zeit passiert doch wieder nichts, aber die drängenden Fragen vom Anfang waren der Grund, weswegen ich das Buch nicht weglegen konnte. Konkreter gesagt war es die Figur Staubfinger: ich wollte unbedingt mehr über ihn erfahren.
Und dass ich so dringend mehr über einen Charakter erfahren will, ist mir bis dahin nicht mehr über den Weg gelaufen.

Wenn der Stil mir sofort negativ auffällt - meinetwegen auch nur unbestimmt - und ich das Gefühl habe, nee, das ist zu anstrengend, dann muss ich entscheiden, ob der Stoff besser scheint und ich dafür den Stil in Kauf nehme.

Ich blättere in der Buchhandlung meist willkürlich in den Büchern herum, bevor ich entscheide, ob ich sie kaufe. Ich lese die erste Seite und springe dann zehn, zwanzig und sehe, ob mir etwas ins Auge fällt und mich fesselt.