Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: zDatze am 28. Januar 2011, 12:27:32

Titel: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: zDatze am 28. Januar 2011, 12:27:32
Ich grüble schon seit einiger Zeit über dieses ominöse "zwischen den Zeilen schreiben". Genauer gesagt seit dem NaNo. (Zu Steffi :winke: )

Es auf ein schlichtes Show, don't tell runterzubrechen, passt meiner Meinung nach nicht. Natürlich zeigt man Gesten, Reaktionen und Blicke, doch oft kommt es auch auf das an, was man eben nicht zeigt. Die eigene Intuition spielt da stark mit. Das Timing, wann man welche Information einflechtet.
Man fängt ein Gefühl ein, ohne es tatsächlich zu benennen. Gewisserweise ein Synonym, das sich nicht auf ein Wort beschränkt, sondern über einen ganzen Absatz. Oder eine Seite. Oder eine ganze Szene.

Mir passiert es oft, dass ich dann vor meinem Text sitze und weiß, dass ich da eigentlich nur platte Emotionen fabriziere und dass es eindeutig besser - indirekter - ginge. Aber da sitzt so ein Knoten in meinem Kopf, der oft einfach nicht platzen will. Dann notiere ich mir die Stelle, schreibe erstmal weiter und hoffe auf ein kleines Wunder, wenn ich die Überarbeitung starte. Aber so wirklich glücklich bin ich mit der Lösung nicht.

Daher bin ich so unverschämt und löchere euch gleich mal mit Fragen:
Wie geht es euch mit dem "zwischen den Zeilen schreiben"? Achtet ihr beim Schreiben darauf, oder schafft ihr das ganz intuitiv? Oder erst bei der Überarbeitung?
Gibt es vielleicht einen Kniff, der den Knoten im Kopf lösen könnte? ::)
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Kerimaya am 28. Januar 2011, 12:37:33
Körpersprache ist für sowas sehr praktisch, find ich :) Damit kann man viel ausdrücken, ohne etwas deutlich sagen zu müssen. Wenn ein Charakter einem anderen nicht mehr direkt im Gespräch in die Augen schauen kann, beispielsweise. So etwas schafft eine unbehagliche Atmosphäre (egal wie nett das Gespräch auch ist) und deutet auf Scham, Unbehagen o.ä. hin.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: KaPunkt am 28. Januar 2011, 12:38:58
Ich mache das nicht bewusst.
Ich glaube, wenn man es bewusst versucht, wird es schnell einfach nur platt. Aber vielleicht gibt es da Leute mit mehr Talent und größeren Fähigkeiten in dieser Richtung, als ich sie habe.

Ich glaube, zwischen den Zeilen passiert dann am besten, wenn die Geschichte rollt. Wenn die Figuren lebendig sind und einfach so das machen, was sie eben machen. Wenn die Sprache fließt. Ich kann es nicht besser beschreiben. Es gibt diese Momente, wenn ich eigentlich nur noch meinen Finger mein Tippen zuschaue und denke, schreibe ich gerade diesen Wahnsinn?
Dass sind die dichtesten Szenen, wenn der Leser das zwischen den Zeilen mitbekommt, weil es eben einfach so ist in dieser Szene, und nicht, weil der Autor da unbedingt noch geschickt drauf hinweisen wollte.

Verständlich?

Liebe Grüße,
Kirsten
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Maran am 28. Januar 2011, 12:58:57
Das Verständnis der Körpersprache, und nicht nur der Körpersprache, ist abhängig vom Kulturkreis.
Ein Kopfschütteln bedeutet in den meisten Fällen ein "Nein", ein kräftiges Kopfschütteln verstärkt dieses "Nein". Man kann dieses "Nein" natürlich auch mit einem Ausrufezeichen verstärken. (Wobei ich schon wieder beim Thema Interpunktion gelandet bin ...  :darth:) Allerdings gibt es Kulturen, in denen ein Kopfschütteln eine Bestätigung bedeutet. Dann wird aus dem "Nein" plötzlich ein "Ja".

Nun, ich denke, der Leser verbindet vieles mit ihm bekannten Dingen, Situationen und Erfahrungen. Dieses kann man als Autor nicht zwangsläufig herbeiführen, eben weil es permanent und unbewußt geschieht, aber man kann es in eine grobe Richtung lenken, so man denn will.

Beispiel: Den Brunnen abdecken, nachdem das Kind hineingefallen ist.
Das Offensichtliche dabei ist, daß man die Gefahr hätte ausmerzen sollen bevor etwas geschieht. Nur setzt das natürlich voraus, daß man die Gefahr überhaupt erkennt. Dieser Punkt ist bei Weitem nicht so offensichtlich.
Weiterhin ist das Unglück bereits geschehen, aber der Ausgang ist unklar. Hat man das Kind herausgeholt, oder liegt es noch dort unten, wenn man den Brunnen abdeckt? Wenn man es herausgeholt hat, ist es am Leben? Ist es verletzt? Wenn ja, wie schwer? Selbst über das Ausmaß des Unglücks erhält man keinerlei Informationen, aber der Leser wird es wissen, weil er mit dem Bild selbst etwas verbindet, genauso wie er weiß, wie der Brunnen aussieht. Auch wenn der Brunnen bei zwei Lesern nicht zwangsläufig gleich aussehen wird.

Ich persönlich schreibe nicht bewußt zwischen den Zeilen, aber beim Überarbeiten fällt mir manchmal auf, daß ich es getan habe. Wenn ich es beim Schreiben darauf anlegen würde, dann würde ich im Textfluß gestoppt, denke ich mir.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Grey am 28. Januar 2011, 13:10:09
Hm, also bei mir läuft das sehr stark über die "Charakterstimme" ab. Wenn ich schreibe, habe ich die Stimme meiner Figuren im Kopf, die erzählen. Währenddessen weiß ich aber oft selbst nicht, was sie eigentlich wollen und warum sie so handeln, wie sie handeln (es sei denn, ich kenne den Charakter schon sehr lange). Ich vertraue ihnen aber in sofern, dass ich glaube, dass es schon einen Hintergrund gibt, der sie zu dem gemacht hat was sie sind. Meine Aufgabe ist es, das herauszufinden - und die des Lesers auch, also muss ich dem Leser die gleichen Informationen zukommen lassen, die ich auch habe. Daher höre ich sehr aufmerksam zu, während ich schreibe, "beobachte" die Charaktere beim Handeln, und nehme die Dinge in den Text auf, die mir persönlich am deutlichsten zeigen, was die Figur antreibt - ob das nun gerade direkt mit der Handlung zu tun hat oder nicht. Und wenn die Figur über diese Hinweise für mich schlüssig wird, dann hoffe ich, dass das auch beim Leser funktioniert.

Ich hoffe, das war jetzt nicht zu wirr ausgedrückt. ;)
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Nycra am 28. Januar 2011, 13:21:54
Genau das habe ich mich auch schon gefragt. Wenn ich Texe lese, in denen der Autor Gefühle, Situationen etc. beschreibt, ohne sie zu beschreiben, überkommt mich immer wieder eine Gänsehaut (oder der pure Neid - je nach dem). Dann denke ich: Das will ich auch, dass kann ich auch. Und dann, wenn ich es bewusst versuche, kommt nur Murks dabei raus.

Daher kann ich voll und ganz nachvollziehen, was Grey hier meint. Ich habe in der Zwischenzeit begriffen, dass ich es genau wie sie handhabe. Meine Protas/Antas haben nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine Stimme. Höre ich nicht auf sie, kommt vermutlich wenig Sinnvolles dabei heraus. Ich durfte feststellen, dass, wenn ich ihnen ihren Willen lasse und es nachher durchlese, verblüfft feststelle, dass ich es tatsächlich auch kann. Nur eben unterbewusst.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Rakso am 28. Januar 2011, 13:24:35
Du musst immer Bedenken, dass die Wahrnehmung eines Charakters immer subjektiv ist (außer bei einer allwissenden Erzählperspektive). Ergo ist die Art und Weiße, wie Gefühle, Eindrücke usw. an den Leser herankommen schon subjektiv und wird vom Leser nochmals "gefiltert" und mit eigenen Erfahrungen, Situationen oder Emotionen verknüpft.

Also solltest du versuchen die wichtigen Eindrücke zu verpacken. Ich glaube das geht relativ schwer, wenn man das bewusst versucht (beim mir jedenfalls wirkt das immer irgendwie komisch.) Deshalb schreibe ich mich "warm", also ein paar Landschaftsbeschreibungen und Gedankengänge des Charakters und irgendwann bin ich so richtig im Schreiben versunken und geh dann an die Handlung. In gewisser Weiße schreiben meine Figuren ihre Geschichten selbst, es läuft einfach meist ist das Ergebnis nicht schlecht. Die Überflüssigen "Dehnungsübungen" lösche oder verändere ich meist wieder.

@Kerimaya: Stimmt, Körpersprache ist wichtig, aber dass eine Mensch einer anderen Person nicht in die Augenblicken kann, ist nicht immer ein Ausdruck von Scham, Unbehagen oder Ablehnung. Manche Menschen können anderen nicht in die Augenblicken, obwohl sie sich weder schämen, noch ihren Gegenüber ablehnen. Natürlich ist das für den Empfänger irritierend.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: zDatze am 28. Januar 2011, 13:37:39
Körpersprache und die Stimme der Figur sind Punkte, über die ich auch schon gestolpert bin. Wobei wohl auch die Beobachtungsgabe der Figur, aus deren Blickwinkel ich schreibe, wichtig ist. Wenn ich einen ungehobelten Trampel als Prota habe, wird zwischen den Zeilen wohl nicht soviel ablaufen. :hmmm:
[EDIT: Hat sich mit Szajkós Post überschnitten.]

ZitatIch glaube, zwischen den Zeilen passiert dann am besten, wenn die Geschichte rollt. Wenn die Figuren lebendig sind und einfach so das machen, was sie eben machen. Wenn die Sprache fließt. Ich kann es nicht besser beschreiben. Es gibt diese Momente, wenn ich eigentlich nur noch meinen Finger mein Tippen zuschaue und denke, schreibe ich gerade diesen Wahnsinn?
Das klingt mehr nach dem Flow, der einen (hoffentlich) oft beim Schreiben packt. Wenn die Geschichte rollt, dann ist es ein gutes Zeichen, dass die Charas lebendig sind. Da stimme ich dir zu. Aber an sich hat der Flow (für mich) nichts damit zu tun, ob da Informationen zwischen den Zeilen stecken.

ZitatDass sind die dichtesten Szenen, wenn der Leser das zwischen den Zeilen mitbekommt, weil es eben einfach so ist in dieser Szene, und nicht, weil der Autor da unbedingt noch geschickt drauf hinweisen wollte.
Ich gebe es zu. Ich will absichtlich Informationen zwischen die Zeilen schieben. Weil es mich stört, wenn alles direkt lesbar da steht und weil ich es schön finde, wenn einem Text mehr "anhaftet", als tatsächlich geschrieben steht. Ich finde es faszinierend wie diese unterschwelligen Nuancen erzeugen werden. Vielleicht kann nicht jeder etwas damit anfangen, aber ich würde diese Technik gerne beherrschen. ;)

@Maran: Dankeschön für das Beispiel. :)
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Grey am 28. Januar 2011, 13:44:23
Ich denke und hoffe, wir meinen das Gleiche: Natürlich kann man nicht die Vorgeschichte jeder Figur in den Roman einbauen. Aber man kann und sollte sich immer bewusst machen, dass trotzdem jede Figur eine solche hat - und damit auch eine individuelle Weltanschauung. Und die kann man über das Handeln des Charakters deutlich machen, auch ohne sie konkret zu benennen. Damit der Charakter Tiefe bekommt, auch wenn er vielleicht nur eine kleinere Nebenrolle hat.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: KaPunkt am 28. Januar 2011, 14:12:48
Zitat von: zDatze am 28. Januar 2011, 13:37:39
Das klingt mehr nach dem Flow, der einen (hoffentlich) oft beim Schreiben packt. Wenn die Geschichte rollt, dann ist es ein gutes Zeichen, dass die Charas lebendig sind. Da stimme ich dir zu. Aber an sich hat der Flow (für mich) nichts damit zu tun, ob da Informationen zwischen den Zeilen stecken.

Ich finde, was Grey beschrieben hat, mit der Stimme der Protas, trifft ziemlich gut das, was ich auch meine.
Wenn meine Figuren übernehmen und die Geschichte rollt, dann passiert das zwischen den Zeilen von selbst.
Weil die Figuren sich dann eben so verhalten, wie sie es tun, und ihre ganze Vorgeschichte, Moralvorstellungen, Gefühlsleben mit sich rumschleppen. Das ist dann das, was zwischen den Zeilen durchkommt.

Beispiel: Im Moment bin ich sehr froh, dass Nellis langsam lebendig wird.
Sein Vater neigte zu häuslicher Gewalt, und ich habe wenig Lust, Nellis Traumata den Lesern einfach so die Füße zu klatschen.
Jetzt fängt der Gute an, bestimmte Dinge nicht zu tun. Bestimmte Dinge zu sagen oder anders zu formulieren. Zum Beispiel geht er nicht zu einem offensichtlich verärgerten, vielleicht angetrunkenen Mann, um ihn zu fragen, warum er denn so sauer ist. 'Schlechte Idee, jetzt gerade.' Ist alles, was er dazu sagt. Und dass macht er so, weil ihn da sein Leben im Griff hat.
Ich vermute, irgendwann wird dann auch ein potentieller Leser ahnen, wo sein kaputter Handnerv und das vernarbte Ohr herkommen.
Und das ist für mich zwischen den Zeilen. *shrug*

Liebe Grüße,
Kirsten
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: zDatze am 28. Januar 2011, 15:01:39
Mir ging es weniger um die Charakterstimme, eher darum, dass ich mit dieser individuellen Stimme Gefühle und Gedanken durchsickern lasse, die sich der Chara vielleicht selber nicht eingestehen möchte, die ich aber dem Leser vermitteln möchte.
Für mich sind Charakterstimme und diese zusätzlichen Informationen/Emotionen/Gedanken, die ich in einer Szene rüberbringen möchte, verschiedene Dinge. So wie: Die Stimme ist das Transportmittel, die Information die Ware, die transportiert wird. Ein besserer Vergleich fällt mir gerade nicht ein. :-\
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Grey am 28. Januar 2011, 15:13:51
Ja. Das meinte ich aber auch. Zumindest ungefähr. ;)
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Churke am 28. Januar 2011, 21:48:18
Zitat von: zDatze am 28. Januar 2011, 12:27:32
Wie geht es euch mit dem "zwischen den Zeilen schreiben"? Achtet ihr beim Schreiben darauf, oder schafft ihr das ganz intuitiv? Oder erst bei der Überarbeitung?
Gibt es vielleicht einen Kniff, der den Knoten im Kopf lösen könnte? ::)

Ich sehe das so:
1. Erzähle dem Leser nicht, was eine Figur denkt, sondern beschreibe das Verhalten der Figur so, dass der Leser ihre Gedanken errät. Neben Taten ist das wichtigste Mittel hierzu der Dialog! Durch den Dialog tritt das Innere nach außen.
2. Ersetze lange innere Monologe durch kurze, suggestive Gedankenblitze. Ein einfacher Satz, der den Leser ins Grübeln bringt.

Ich will hier mal ein Beispiel "Dialog" vorstellen - aus gegebenem Anlass mal wieder mit Baldered und Teodenantha:

ZitatAls sie ihn vom Baum band, räusperte sich Baldered und meldete ein Bedürfnis an.
,,Dann los!", sagte Teodenantha.
Baldered starrte sie an.
,,Hier?"
,,Wo sonst?"
Er schluckte. ,,Könnt... Ihr Euch nicht wenigstens herum drehen?"
,,Nein."
Sie wartete.
,,Was ist jetzt?"
Baldered schüttelte den Kopf.
,,Also doch nicht so dringend." Sie trat ihn mit dem Stiefel. ,,Los! Es geht weiter!"

 
Indem ich das Anmelden des Bedürfnisses als etwas peinliches Anliegen zusammen fasse und dann gleich in den Dialog hinein springe, betone ich Teodenanthas brutale Antwort.
Danach: Baldered ist verwirrt. Er geniert sich, Teodenantha nicht.
Baldereds Scham ist größer als sein Drang: Er kann nicht, er steckt zurück.
Teodenanthas Reaktion ist treffender als jede Hasstirade.
In der kurzen Passage sieht man auch, dass die beiden aus völlig unterschiedlichen Welten kommen.


Ein zweites, schon gepostetes Beispiel:

ZitatIn Teodenanthas vollkommener Schönheit lag etwas Herbes, Abweisendes, das es keinen Mann wagen ließ, sie zu begehren.
Baldered störte sich an etwas anderem: Teodenantha war einfach nicht tot genug.

Dass es keiner wagt, sie zu begehren, heißt im Klartext, dass Männer Angst vor ihr haben und dass sie außerdem ziemlich einsam ist.
Der dritte Satz enthält Baldereds abgrundtiefen Hass, der ihn bei ihrem Anblick überkommt. Aber dem zweiten Satz lässt sich entnehmen, dass Baldered KEINE Angst vor ihr hat, was ihn zu etwas Besonderem macht.


Weitere Option: Arbeiten mit Bildern und Andeutungen, auch in den Gedankenpassagen:

ZitatBaldered verstand kein Wort  von ihrer Unterredung, aber nachdem beide ständig zu ihm blickten wie zu einem störrischen Esel auf dem Viehmarkt, konnte er sich das Thema gut zusammen reimen.


Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Sanjani am 29. Januar 2011, 00:19:54
Hallo zusammen,

für mich ist dieses zwischen den Zeilen transportieren auch etwas, das während des Schreibens automatisch passiert. Gerade die Beispiele, die Churke gebracht hat, wären solche Sachen, die ich intuitiv mache. Mir käme es gar nicht in den Sinn da länger drüber nachzudenken, es kommt vielmehr einfach aus mir heraus. Deshalb kann ich mich auch nicht wirklich zum Schreiben zwingen, wenn das passende Gefühl nicht da ist. Es kommt einfach nichts Vernünftiges bei rum.
Ich weiß, das ist jetzt nicht sehr hilfreich.

Ich möchte aber noch eine Sache zu bedenken geben, die mir durch eine Beta klar geworden ist: Manchmal passiert es, dass Szenen, die man selbst total öde findet, eigentlich sehr gut beim Leser wirken, weil sie bestimmte Dinge bei ihm aktivieren, die man auch gerne aktivieren möchte, wo man aber selbst das Gefühl hat, sie nicht aktiviert zu haben - vielleicht, weil man sie bei sich selbst gerade nicht aktivieren möchte oder kann und sie deshalb bei einem selbst nicht wirken können.
deshalb sind Betas auch so wichtig.

Außerdem ist mir auch schon aufgefallen, dass gerade sehr gefühlsbehaftete Szenen manchmal auch mit nur wenigen, einfachen Sätzen gezeigt werden können und sie trotzdem gut wirken.

LG Sanjani
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Churke am 29. Januar 2011, 10:46:13
Zitat von: Sanjani am 29. Januar 2011, 00:19:54
Außerdem ist mir auch schon aufgefallen, dass gerade sehr gefühlsbehaftete Szenen manchmal auch mit nur wenigen, einfachen Sätzen gezeigt werden können und sie trotzdem gut wirken.

Ich denke mal, nur wenig ist öder als langatmiges, deskriptives Gefühlsgedusel. Beschreibe nicht, was die Figur fühlt, sondern beschreibe die Situation, in der der Leser fühlen würde wie die Figur.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Sanjani am 29. Januar 2011, 10:55:20
Hallo Churke,

in beiden Fällen geht es aber m. E. darum es richtig zu machen. Es gibt ja ebenso auch kurze Situationen, die einfach von der Art her nicht gut beschrieben sind und wo man dann als Leser auch nicht reinfindet oder längere, wo man sich als Leser drin verliert, weil man so eintaucht. Ich persönlich finde aber die kurzen schwieriger zu schreiben als die längeren und ich kenne nicht viele, wo es mir richtig gefallen hat, deshalb hab ich das so herausgehoben.

LG Sanjani
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Spinnenkind am 29. Januar 2011, 14:48:45
Ich würde meinen Vorrednern in den genannten Aspekten soweit erst einmal zustimmen.
Körpersprache ist wichtig, und Churkes Anmerkung über das Beschreiben von Situationen finde ich auch richtig.

Ich habe mir da so noch nie Gedanken drüber gemacht, fand das Thema aber sehr interessant und habe mir mal probeweise ein Textstück von mir durchgelesen.

Mir fällt auf, dass ich persönlich gerne mit der Umgebung arbeite, in der der Charakter sich gerade befindet.
Die subjektive Wahrnehmung von Natur, Menschen etc. ist ein gutes Medium für solche subliminalen Vermittlungen.

Zum Beispiel: Der Charakter kommt aus einer Situation, die man unterschiedlich empfinden kann, je nachdem, was für Hintergedanken oder was für eine Vorgeschichte man hat. Am Himmel geht die Sonne unter (jetzt nur so als Beispiel). Jetzt sind die Fragen, die ich mir (unterbewusst) stelle: Wo ist der Himmel positioniert? Drohend über ihm? Oder breitet er sich verheißungsvoll vor ihm aus, auf gleicher Augenhöhe, von einer Klippe aus betrachtet zum Beispiel? Fließen die Farben sanft ineinander, oder trieft das Abendrot vom schmuddeligen, wolkigen Himmel?
Derlei komponierte Szenen unterlegen dann die Gedanken meiner Charakters, ohne, dass ich mit dem Zollstock auf seine Emotionen pochen muss.

(Ich sitze jetzt übrigens nicht bei jeder Szene da und mache mir stundenlang Gedanken über die Szenenkomposition ;D Es geht recht intuitiv von statten, trotzdem ist es mal interessant, die gedanklichen Vorgänge aufzudröseln).
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Nikki am 06. Mai 2021, 21:25:24
*prüft Staubfilter in Atemmaske, bringt Staubwedel in Position* Los geht's! :vibes:

@zDatze
ZitatEs auf ein schlichtes Show, don't tell runterzubrechen, passt meiner Meinung nach nicht. Natürlich zeigt man Gesten, Reaktionen und Blicke, doch oft kommt es auch auf das an, was man eben nicht zeigt. Die eigene Intuition spielt da stark mit. Das Timing, wann man welche Information einflechtet.
Man fängt ein Gefühl ein, ohne es tatsächlich zu benennen. Gewisserweise ein Synonym, das sich nicht auf ein Wort beschränkt, sondern über einen ganzen Absatz. Oder eine Seite. Oder eine ganze Szene.

Mir passiert es oft, dass ich dann vor meinem Text sitze und weiß, dass ich da eigentlich nur platte Emotionen fabriziere und dass es eindeutig besser - indirekter - ginge. Aber da sitzt so ein Knoten in meinem Kopf, der oft einfach nicht platzen will. Dann notiere ich mir die Stelle, schreibe erstmal weiter und hoffe auf ein kleines Wunder, wenn ich die Überarbeitung starte. Aber so wirklich glücklich bin ich mit der Lösung nicht.

Daher bin ich so unverschämt und löchere euch gleich mal mit Fragen:
Wie geht es euch mit dem "zwischen den Zeilen schreiben"? Achtet ihr beim Schreiben darauf, oder schafft ihr das ganz intuitiv? Oder erst bei der Überarbeitung?

Mir kommt dieses "Problem" immer wieder unter und ich finde es schön, dass es hier etwas so schön angesprochen wird, was grundlegend zu meinem Schreibprozess gehört. Um auf die letzten zwei Fragen direkt zu antworten: Ja, mir ist diese Problematik direkt beim Schreiben bewusst, aber ich widme mich ihr erst im Zuge der Überarbeitung.

Vor wenigen Jahren noch hätte ich jedes einzelne Wort des ersten Entwurfes abgewogen, jetzt schreibe ich drauf los und die Überarbeitungsphase ist das Stadium, das die meiste Zeit und Konzentration verlangt. Diese Umverlagerung hat dazu geführt, dass ich im ersten Entwurf bewusst Sätze einstreue, von denen ich weiß, dass sie die Überarbeitung nicht überleben werden, aber den nötigen Input geben, um zu helfen, das Nötige zwischen den Zeilen in der Endversion zu transportieren.

Ein Beispiel: Person X verhilft Person Y zur Flucht, Person Y mutmaßt über die Motive von Person X. In der ersten Version steht da so etwas wie: Person Y wusste, dass Person X ihr nicht aus reiner Herzensgüte half, doch sie [Person Y] hatte keine andere Wahl, als ihr zu vertrauen.

Im Grunde ist jener Satz nichts anderes als eine Regieanweisung (eine von vielen) für die entsprechende Szene. Die Endversion wird so aussehen, dass Person X gewisse Andeutungen fallen lassen wird, die Rückschlüsse auf ihre Motive zulassen werden, Person Y dennoch zögerlich reagiert, weil sie ahnt, dass ihr nicht die Wahrheit erzählt wird. Da personal erzählt wird, wird der innere Umschwung von "Wieso sollte mir gerade diese Person helfen?" zu "Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihre Hilfe anzunehmen" erzählt, ohne aber (hoffentlich) explizit zu sagen: Wenn ich der nicht vertraue, sterbe ich! So wird aus dem ursprünglichen "Sie wusste" ein "Sie ahnte Schlimmes, entschied sich aber dennoch dafür".

Eine andere Methode, die ich anwende, ist zunächst reinen Dialog zu schreiben und beschreibende Elemente nachträglich einzufügen. Im Kontext kann ein einzelner Satz bereits so viel Ungesagtes und doch Spürbares transportieren, dass es gar keine großen Erklärungen mehr braucht. Dann feile ich lieber an einer bestechenden Formulierung der direkten Rede als zwei extra Beschreibungssätze einzufügen.

Was für Strategien fahrt ihr da? Hast du eine gefunden, die für dich funktioniert, zDatze?  :) An die anderen, die hier schon geantwortet haben, was habt ihr in den vergangenen Jahren dazugelernt? ;D
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Manouche am 08. Mai 2021, 00:00:19
Nikki, danke fürs Ausgraben dieses Themas!

@zDatze
ZitatIch gebe es zu. Ich will absichtlich Informationen zwischen die Zeilen schieben. Weil es mich stört, wenn alles direkt lesbar da steht und weil ich es schön finde, wenn einem Text mehr "anhaftet", als tatsächlich geschrieben steht. Ich finde es faszinierend wie diese unterschwelligen Nuancen erzeugen werden. Vielleicht kann nicht jeder etwas damit anfangen, aber ich würde diese Technik gerne beherrschen.

Vielleicht siehst du das jetzt anders als damals, @zDatze.  Aber auf mich trifft das auf jeden Fall zu. Es hat irgendwie auch damit zu tun, dass ich in einer Szene mehr als eine Information vermitteln will.
Z.B. zwei Personen treffen sich nach sehr langer Zeit wieder, in knappen Worten reden sie über vergangene Zeiten und die gegenwärtige Situation, aber zwischen den Zeilen wird deutlich, dass sie sich gegenseitig misstrauen und Fehler vorwerfen.
Hier kann ich also die momentane Situation aufzeigen, die Beziehung der beiden andeuten und Informationen über den Streitpunkt, der für den Plot von Bedeutung ist, einflechten. Edit: Am liebsten mit fast nur Dialog...
Ich bin weit davon entfernt immer solche Szenen auf Anhieb gut hinzukriegen, aber wenn es mir gelingt (zumindest für die erste Fassung passend), dann macht es richtig Freude.
Bei Dialogen fällt es mir auf jeden Fall einfacher, zwischen den Zeilen zu schreiben.
@Nikki, die Methode, zuerst nur den Dialog zu schreiben und beschreibende Elemente später einzufügen, mache ich teilweise auch so. Das entspricht mir sehr, da ich gerne Dialoge schreibe.

@Nikki
ZitatVor wenigen Jahren noch hätte ich jedes einzelne Wort des ersten Entwurfes abgewogen, jetzt schreibe ich drauf los und die Überarbeitungsphase ist das Stadium, das die meiste Zeit und Konzentration verlangt. Diese Umverlagerung hat dazu geführt, dass ich im ersten Entwurf bewusst Sätze einstreue, von denen ich weiß, dass sie die Überarbeitung nicht überleben werden, aber den nötigen Input geben, um zu helfen, das Nötige zwischen den Zeilen in der Endversion zu transportieren.

Das freut mich jetzt extrem zu lesen. Denn es kommt häufig vor, dass ich etwas schreibe und widerwillig stehen lasse, weil ich in der Handlung weiter kommen möchte und hoffe, dass ich in der Überarbeitung die richtigen Worte finde.
Ich bin ja noch bei meinem ersten Romanprojekt und noch weit von der Überarbeitung entfernt, daher freut es mich zu sehen, dass diese Arbeitsweise funktionieren kann.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Nikki am 08. Mai 2021, 00:20:42
Ist der gute alte Staubwedel doch noch für etwas gut  ;D

Das freut mich, dass wir eine ähnliche Arbeitsweise haben. :) Ich finde, jeder Satz, egal, wie hölzern, ungelenk, verschachert oder redundant er auch wirken mag, ist besser als der Satz, der niemals geschrieben wurde. Mein Gehirn funktioniert nach der Devise: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ein "Das kannst du später noch machen" gibt es nicht, wenn ich es nicht schriftlich irgendwo festhalte.

Bei manchen Sätzen muss ich mir extra Randnotizen machen, um meinem späteren Ich klarzumachen, welcher Aspekt genau behaltenswert ist. Das kann beispielsweise eine wunderbare Formulierung sein, die im Moment nicht perfekt passt, aber für sich genommen genau das ausdrückt, was ich gerne vermitteln würde. Oder die Information an sich ist wichtig, aber die passende Stelle ist noch nicht gefunden. Im Erstentwurf ist mehr besser als wenig. Die Erstfassung ist wie ein rohes Stück Holz. Mit jedem Teilschn/ritt der Überarbeitung nimmt man ein Stück davon weg, bis am Ende eine wunderbar gefertigte Statue entsteht.
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Manouche am 08. Mai 2021, 23:16:57
ZitatIm Erstentwurf ist mehr besser als wenig. Die Erstfassung ist wie ein rohes Stück Holz. Mit jedem Teilschn/ritt der Überarbeitung nimmt man ein Stück davon weg, bis am Ende eine wunderbar gefertigte Statue entsteht.

Das ist sehr schön formuliert. In meinem Fall habe ich manchmal fast eher das Gefühl, das noch mehr möglich wäre. Um eben die Feinen Zwischentöne noch auszuarbeiten. Ich stelle es mir irgendwie so vor, dass der Plot das Gerüst ist, die erste Fassung das Haus und mit den nächsten Fassungen kommt dann die Wandbemalung und diverse Verzierungen, die das ganze Vollständig machen. Allerdings ist es gut möglich, dass ich da meine Meinung noch ändere.

(Das ist ja eigentlich auch das spannende in diesen alten Themen, die ausgegraben werden ;) wer weiss vielleicht schaue ich dann in ein paar Jahren hier vorbei und schmunzle über meine Beiträge...)
Titel: Re: Zwischen den Zeilen schreiben
Beitrag von: Rhagrim am 09. Mai 2021, 07:16:12
Sehr spannendes Thema!
Ich glaube, am besten schafft man das, wenn man seine Charakter in- und auswendig kennt und in solchen Situationen immer ihren Hintergrund und ihre wahren Absichten im Auge behält, und diese in ihr Verhalten miteinfließen lässt. In der Realität kann/sollte/will man diese ja selten auch 1:1 so ausdrücken, aber dennoch kann man - je nach Charakter - meist mehr oder weniger erahnen, wie eine Person *wirklich* zu einer Situation steht. Ich denke, dass man so eine spannende Dynamik schaffen kann, die zwischen den Zeilen bleibt, wenn man sich nicht hinreißen lässt das widersprüchliche, oder undurchschaubare Verhalten gleich lang und breit zu erklären. :hmmm:

Zitat von: Nikki am 06. Mai 2021, 21:25:24
Vor wenigen Jahren noch hätte ich jedes einzelne Wort des ersten Entwurfes abgewogen, jetzt schreibe ich drauf los und die Überarbeitungsphase ist das Stadium, das die meiste Zeit und Konzentration verlangt. Diese Umverlagerung hat dazu geführt, dass ich im ersten Entwurf bewusst Sätze einstreue, von denen ich weiß, dass sie die Überarbeitung nicht überleben werden, aber den nötigen Input geben, um zu helfen, das Nötige zwischen den Zeilen in der Endversion zu transportieren.
Oh, das ist echt ein super Tipp. Das macht es sicher um einiges leichter, nicht beim ersten Durchgang ewig an einer Szene herumzudoktern.

Zitat von: Manouche am 08. Mai 2021, 00:00:19
Z.B. zwei Personen treffen sich nach sehr langer Zeit wieder, in knappen Worten reden sie über vergangene Zeiten und die gegenwärtige Situation, aber zwischen den Zeilen wird deutlich, dass sie sich gegenseitig misstrauen und Fehler vorwerfen.
Hier kann ich also die momentane Situation aufzeigen, die Beziehung der beiden andeuten und Informationen über den Streitpunkt, der für den Plot von Bedeutung ist, einflechten.
In so einer Situation kann man schon eine Menge allein über die non-verbale Ebene ausdrücken: Sie werden (je nach Grad des Misstrauens) permanent angespannt sein, den jeweils anderen im Blick behalten und seine Bewegungen wachsam verfolgen, ihrem Gegenüber nicht den Rücken zuwenden wollen. Nur ablehnend die Arme vor der Brust verschränkt halten, oder gar offen die Hände nahe an den Waffen behalten. Bei einer schnellen Bewegung des anderen sich durch eine erschrockene/abwehrende/kampfbereite Reaktion verraten. Verächtlich, wütend, oder offen hasserfüllt das Gesicht verziehen und dem anderen vielleicht gar vor die Füße spucken. Geringschätzig lachen, falls der andere für seinen Mut, seine Milde (oder was auch immer sonst ihm von seinem Gegenüber vorgeworfen wird *nicht* zu haben) gelobt wird.
Verbal könnten sie, wenn sie nicht direkt den offenen Streit suchen, bei passiv aggressiven Andeutungen und Beleidigungen bleiben. Kleine, feindselige Seitenhiebe, in jeder sich bietenden Situation. Anspielen auf die vergangene Feigheit/den Verrat/wasauchimmer, ohne näher drauf einzugehen, aber die (charakterlichen) Schwächen bzw Verfehlungen des anderen immer wieder mal andeuten. Umso mehr, wenn andere Personen dabei sind, die vielleicht (noch) nichts von alldem wissen, um den anderen zu demütigen und ihn öffentlich als (Vorwurf hier einfügen) hinzustellen.