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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Guddy am 26. Mai 2014, 11:34:07

Titel: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Guddy am 26. Mai 2014, 11:34:07
Der Titel sagt es schon, schätze ich ;)
Ich persönlich habe Probleme, die Erzählstimme zu finden, gerade dann, wenn es um das Erzählen reiner Fakten geht - während Dialogszenen etwa oder generell zu Beginn eines Romans, da ich ungerne mitten in der Story beginne (und es auch als Leser eher ungerne habe), sondern erstmal einleitend schreibe.
Wo beginnt die Erzählstimme und wo hört das rein Analytische auf? - Ich habe große Bedenken, die Stimme meines Protas zu sehr einfärbend wirken zu lassen. Wann ist es zu viel, wann zu wenig?

ich komme aus der Chatrollenspiel-Sparte, im Chat habe ich, trotz teils großer Textblöcke, anders geschrieben. Natürlich haben meine Protas eine eigene Stimme, aber in nüchternen, beschreibenden Szenen, in denen keine Emotion etc. aufkommt, weiß ich schlichtweg nicht, wie ich sie einbringen soll und ich habe es auch in den Büchern, die ich gelesen habe, glaube ich auch nie wirklich empfunden, eine Stimme (innerhalb nüchterner Szenen) nie wirklich finden können? ??? Vielleicht irre ich mich da aber auch...
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Franziska am 26. Mai 2014, 14:35:49
Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 11:34:07
Der Titel sagt es schon, schätze ich ;)
Ich persönlich habe Probleme, die Erzählstimme zu finden, gerade dann, wenn es um das Erzählen reiner Fakten geht - während Dialogszenen etwa oder generell zu Beginn eines Romans, da ich ungerne mitten in der Story beginne (und es auch als Leser eher ungerne habe), sondern erstmal einleitend schreibe.
Wo beginnt die Erzählstimme und wo hört das rein Analytische auf? - Ich habe große Bedenken, die Stimme meines Protas zu sehr einfärbend wirken zu lassen. Wann ist es zu viel, wann zu wenig?
Vielleicht ist es auch Geschmackssache, aber ich find es kann nie zu viel sein. Es kommt natürlich darauf an. Wenn du auktorial erzählst, was aber eigentlich niemand mehr macht, dann hast du als Erzähler eine Stimme. Wenn du aus der Perspektive einer Figur erzählst, egal ob Er oder Ich, dann hat die Figur die Stimme. Es gibt dann die Möglichkeit, eher distanziert von der Figur zu erzählen, oder sehr nah an ihr dran. Es kommt auf den Stil an. Ich persönlich mag es nah an der Figur dran zu sein, weil so eher Emotionen aufkommen.

Zitat
ich komme aus der Chatrollenspiel-Sparte, im Chat habe ich, trotz teils großer Textblöcke, anders geschrieben. Natürlich haben meine Protas eine eigene Stimme, aber in nüchternen, beschreibenden Szenen, in denen keine Emotion etc. aufkommt, weiß ich schlichtweg nicht, wie ich sie einbringen soll und ich habe es auch in den Büchern, die ich gelesen habe, glaube ich auch nie wirklich empfunden, eine Stimme (innerhalb nüchterner Szenen) nie wirklich finden können? ??? Vielleicht irre ich mich da aber auch...
Ich verstehe nicht, was du mit nüchternen Szenen meinst. Man sagt doch show don't tell, auch wenn man es nicht immer sklavisch befolgen sollte. Mir scheint, es geht dir um Szenen, in denen du erzählst. Generell sollten solche Szenen nicht zu lang sein, sonst wird es langweilig. Und ohne Emotionen sollte ein Text meiner Ansicht nach nie sein.
Vielleicht hilft es dir, wenn du mal in ein paar Bücher reinguckst und genau guckst, wie da in beschreibenden Szenen der Stil ist. Du kannst natürlich "nüchtern" z.B. einen Ort beschreiben. Dort sieht man die und dort jenes. Interessanter wird es in meinen Augen, wenn du die Figur mit Emotionen erzählen lässt. Zum Beispiel der Anblick der heruntergekommenen Häuser erinnerte ihn an seinen Heimatort, an den er nie zurückkehren will. Schon hat er eine Einstellung zum neuen Ort.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Malinche am 26. Mai 2014, 14:48:26
Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 11:34:07
Ich persönlich habe Probleme, die Erzählstimme zu finden, gerade dann, wenn es um das Erzählen reiner Fakten geht - während Dialogszenen etwa oder generell zu Beginn eines Romans, da ich ungerne mitten in der Story beginne (und es auch als Leser eher ungerne habe), sondern erstmal einleitend schreibe.

Lustig. Ich tue mich mit solchen Einstiegen nämlich eher schwer, beginne lieber in medias res und flechte wichtige Informationen so rasch wie möglich in die Handlung ein. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache. :) (Mir fiel es immer schwer, nach der Einleitung in die Handlung selbst reinzukommen, weswegen es für mich andersherum leichter ist.)

Ansonsten denke ich in eine ähnliche Richtung wie Franziska: auch wenn du Fakten beschreibst, spielt es natürlich eine Rolle, aus wessen Sicht das geschieht, denn auch auf scheinbar Objektives werden verschiedene Charaktere verschiedene Blickwinkel haben. Vielleicht hilft es dir als Fingerübung, einmal den gleichen "nüchternen" Text aus der Sicht unterschiedlicher Figuren zu schreiben und dich dabei bewusst zu fragen, wer aus seinem Charakter hinaus worauf besonders achten und was wie darstellen würde.

Um also Franziskas Beispiel mit den heruntergekommenen Häusern mal aufzugreifen: Ein Krieger wird bei ihrem Anblick vielleicht noch überlegen, dass die Schäden an den Häusern wohl nicht (oder doch?) durch Kampfhandlungen zustande gekommen sind, wird die engen Gassen dazwischen vielleicht strategisch betrachten und überlegen, dass man dort gut einen Hinterhalt legen könnte. Der verwöhnte Bote des Königs wird angesichts der rauen Steinmauern die Nase rümpfen und die Häuser mit dem heimischen Palast (oder eher mit schlichten Stallungen) vergleichen, während er für strategische Aspekte und mögliche Fallen gar keinen Blick hat.

Das muss natürlich nicht alles breitgetreten werden, aber ich denke, wenn man die Figur gut genug kennt, fließen solche Dinge wie von selbst ein. Die charakterliche Veranlagung kommt dann noch dazu - je nachdem, ob jemand eher wortkarg veranlagt ist oder zu blumigen Beschreibungen neigt.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Klecks am 26. Mai 2014, 14:56:20
Diese nüchternen, beschreibenden Szenen, von denen du sprichst, Guddy, sollte es bestenfalls nicht allzu oft geben. Nüchtern wirken sollten sie jedenfalls nicht. Mich als Autorin und als Leserin langweilen die nämlich unendlich. Meine Lösung dafür ist die, dass ich nicht erzähle, was es da so zu sehen gibt, also "Das Haus war weiß", sondern den Prota erzählen lasse, was es da so zu sehen gibt, also "Er hätte die klinisch weiße Fassade lieber quietschpink gestrichen."

Und schon hast du deine Erzählerstimme. Ich stimme Franziska da übrigens zu: Es kann nie zu viel Stimme deines Protas sein, wenn du nicht auktorial schreibst.  :D
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Guddy am 26. Mai 2014, 14:56:39
Ehrlich gesagt habe ich selten einen Roman gelesen, der nonstop emotionale Szenen beschreibt, egal, wie nah dran man ist. Es würde mich auch nerven, wenn es so wäre. Mit "nüchtern" meine ich Szenen, in der niemand trauert, niemand sich zu Tode freut oder chmerzen empfindet o.ä. Jemand geht durch eine Straße und denkt natürlich auch an dieses und jenes und stellt einen persönlichen Bezug her, aber vergießt dabei keine melodramatische Träne ;)Um mehr geht es mir nicht ; Ich will keinen Emo-Reisebereicht verfassen und ich habe es wie gesagt auch (zum Glück) nie irgendwo so gelesen

Aber unabhängig von Emotionen und all das, wie ist es stilistisch noch tragbar? Ich werfe schon Eigenheiten ein, bspw. flucht mein Prota gerne und macht ein paar sarkastische Bemerkungen. "
Darf" man den Text damit zukleistern bzw. ihn davon bestimmen lassen?
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Klecks am 26. Mai 2014, 15:01:28
Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 14:56:39Darf" man den Text damit zukleistern bzw. ihn davon bestimmen lassen?

Das kann man nicht allgemeingültg beantworten, Guddy. Das bestimmt immer der persönliche Geschmack. Klar kann man seinen Text damit zukleistern, wenn man will, aber man kann es auch anders dosieren, wenn es sich so besser anfühlt.  :)
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Malinche am 26. Mai 2014, 15:07:54
Ich hatte letztens auch einen Prota, der sehr gerne flucht, und habe ihn dann bisweilen dann auch machen lassen, wenn er "einfach erzählt" hat, also eine im Prinzip nüchterne Szene aus seiner Sicht geschildert wurde. Das war dann natürlich deutlich weniger als in seiner wörtlichen Rede, aber ab und an vorhanden (auch sarkastische Bemerkungen - die liebe ich). Pauschal lässt sich natürlich nicht sagen, wie hoch man das dosieren sollte. Da würde ich dann nach eigener Intuition, nach dem Charakter der Figur und nach der Erzähl-Intention gehen.

Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 14:56:39
o.ä. Jemand geht durch eine Straße und denkt natürlich auch an dieses und jenes und stellt einen persönlichen Bezug her, aber vergießt dabei keine melodramatische Träne ;)Um mehr geht es mir nicht

Siehe meinen obigen Beitrag. :) Ich finde, allein durch die Überlegung, auf welche Details einzelne Figuren achten, gewinnt man viel an Erzählstimme.

Mir ist noch ein Beispiel aus meinem eigenen Schreiben eingefallen: Ich habe in einem Projekt kürzlich verschiedene Figuren in eine stickige, düstere Silbermine geschickt, wobei unterschiedliche Perspektiven zu Wort gekommen sind. Der eingeschüchterte Mönch hat die Minen nahezu als Höllentor wahrgenommen, war sehr eingeschüchtert und empfand Panik. Er hat dann natürlich besonders auf flackernde Schatten und bedrohliche Geräusche geachtet, zwischendurch gedankliche Stoßgebete ausgesandt und was weiß ich.
Die abenteuerlustige Archäologin hat das Ganze eher mit einer gewissen Faszination betrachtet, in klareren und knapperen Sätzen beschrieben als der Mönch, sich ausgemalt, welche verborgenen Schätze da unten liegen können, und hat insgesamt einen eher vergnügten, neugierigen Tonfall an den Tag gelegt.

Möglicherweise ist das Beispiel schon wieder eine Spur zu emotional. Aber nach meiner Erfahrung kann man in die Richtung eben auch hervorragend arbeiten, wenn der Prota nur eine Straße entlangschlendert.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Tinnue am 26. Mai 2014, 15:13:45
EDIT: Malinche war einen Zacken schneller.


Im Allgemeinen stimme ich Franziska und Malinche da zu.
Was deine letzten Fragen betrifft, Guddy, muss ich sagen, ich bin etwas zwiegespalten. Gerade das

ZitatMit "nüchtern" meine ich Szenen, in der niemand trauert, niemand sich zu Tode freut oder chmerzen empfindet o.ä. Jemand geht durch eine Straße und denkt natürlich auch an dieses und jenes und stellt einen persönlichen Bezug her, aber vergießt dabei keine melodramatische Träne ;)

Hin und wieder lese ich Kurzgeschichten oder Romanausschnitte und denke mir: Das ist too much. Vielleicht nicht unbedingt "too much Erzählstimme", aber "too much emotion". Klar, der Prota bekommt Angst oder beobachtet etwas Schlimmes, Furchtbars. Da braucht der Text Emotion. Aber wenn ich mir manches durchlese, muss ich mir ein Stöhnen verkneifen. Da zittern die Hände, der obligatorische Kloß im Hals ist da, das Herz pumpt, die Härchen stellen sich auf, die Beine schlackern ... es ist alles ok  - in Maßen. Wenn das über zig Zeilen hinweg geht und ich dann die Kurzgeschichte abhake und eine andere lese, weil mich das stört, ist es schade drum.
Aber das, denke ich, wird zu sehr OT und betrifft vielleicht nicht unbedingt die Erzählstimme.

Was die Beispiele von vorher angeht: Die klinisch weißen Wände etc. - da gibt die Figur schon etwas her. Auch das, denke ich, ist in Maßen nur eine Besserung und verdichtet die Atmosphäre. Ich erinner mich an eine Szene, da kommt mein Prota (eine Amazone) aus dem Wald in die große Stadt, in einen Hafen. Sie beschreibt es als "die Menschen standen dicht wie Bäume" (nicht genauer Wortlaut). Es hat super gepasst, der Vergleich mit Bäumen, da das etwas ist, was sie als Waldkind ständig um sich hat/te. Auch bei Musikern, die Stimmungen o.ä. dann mit musikalischen Vergleichen beschreiben, solche Dinge finde ich dann schön zu lesen. Es rundet die Stimmung ein wenig ab und ich fühle mich der erzählenden Figur etwas näher.

Bezüglich des Fluchens: Ich denke, das merkt man beim Korrigieren später, ob zuviel oder nicht. Zukleistern sollte man den Text sicher nicht damit, aber das wirst du für dich vom Gefühl her mit etwas Abstand am besten Wissen. Meine flucht gerne mal, aber ich versuche es in Maßen zu halten. Manchmal bringe ich es direkt ein ("Verbrannt noch mal", "Asche", "Bein und Wurz"), manchmal umschreibe ich es. Aber das bin nur ich mit meiner Meinung. *g*
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Guddy am 26. Mai 2014, 15:15:05
Hm ok, ich glaube, ich habe einfach massive, generelle Probleme mit Einleitungen und erstem Kapitel  ??? Irgendwie würde ich das alles auch so machen wie ihr sagt, kommt nur scheinbar nicht rüber dort. Ich muss das nochmal durchgehen.  :hmmm:

Danke :)
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Tinnue am 26. Mai 2014, 15:18:49
Dafür hast du ja notfalls deine Überarbeitung. Aber ich empfinde Einleitungen oder Kapitelanfänge generell als schwierig, auch mit der Erzählstimme. Ich brauche da selbst immer ein bisschen Zeit, bis es sich für mich richtig anfühlt und ich merke, dass ich drin bin.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Verwirrter Geist am 26. Mai 2014, 15:25:29
Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 11:34:07
Ich persönlich habe Probleme, die Erzählstimme zu finden, gerade dann, wenn es um das Erzählen reiner Fakten geht

Nöööööööt. Ich glaube, dass ist das Kernproblem. Es gibt genau so wenig reine Fakten wie unumstössliche Wahrheit.

Für mich steht die Erzählstimme letztlich immer zwischen Autor, Protagonist und Leser. Sie soll die Eindrücke des Protagonisten mit den Worten des Autors dem Leser vermitteln.

Genau das gibt auch jedem Satz und jeder noch so kleinen Beschreibung immer eine Nuance von Persönlichkeit.

"Die Saphire der Halskette blitzten in einem strahlenden blau."
"Die Edelsteine der Halskette blitzten in einem strahlenden Azurton"
"Die Saphire des Halschmucks glitzerten in den Strahlen der untergehenden Sonne."

Das sind alles Fakten und alles ist irgendwie wahr, aber das verrät auch alles etwas über den Protagonisten und den Erzähler.
Im ersten Falle ist er gebildet genug Saphire zu erkennen, hat aber entweder nicht die Zeit, oder die Kenntniss über bestimmte Farbnuancen.
Im Zweiten liegt der Akzent im Gegensatz sehr stark auf der Farbe, so stark, dass die Juwelen an Bedeutung verlieren.
Und im letzten Falle bekommt die Umgebung in Gestalt der Sonne eine viel stärkere Bedeutung, vielleicht weil die Kette selbst dem Prota nicht so wichtig ist?

Eine kohärente Erzählstimme bedeutet also imho keinesfalls, dem Leser andauernd die Haupteigenschaften des Protas am Text vorzuführen, sondern mit feinen Nuancen so zu erzählen, wie er eben denkt. Und das möglichst immer. Deswegen ist es auch so wichtig seine Protagonisten gut zu kennen.

ZitatWo beginnt die Erzählstimme und wo hört das rein Analytische auf?

Die Erzählstimme hört nie auf, das ist so, wie wenn die Realität des Romans verschwinden würde.

Zitat- Ich habe große Bedenken, die Stimme meines Protas zu sehr einfärbend wirken zu lassen. Wann ist es zu viel, wann zu wenig?

Zu viel ist es, wenn dein Text nur noch aus Satire, oder Zynismus bestünde - du also einen zu großen Akzent auf einen Teil der Denkweise deiner Protas gibst.
Zu wenig, wenn es beliebig wird und kein Charakter mehr erkennbar ist.

Zitatich komme aus der Chatrollenspiel-Sparte, im Chat habe ich, trotz teils großer Textblöcke, anders geschrieben. Natürlich haben meine Protas eine eigene Stimme, aber in nüchternen, beschreibenden Szenen, in denen keine Emotion etc. aufkommt, weiß ich schlichtweg nicht, wie ich sie einbringen soll und ich habe es auch in den Büchern, die ich gelesen habe, glaube ich auch nie wirklich empfunden, eine Stimme (innerhalb nüchterner Szenen) nie wirklich finden können? ??? Vielleicht irre ich mich da aber auch...

Klarer?

Zur Erzähl(er)ertheorie als solches wird sich ja evtl. noch Coppelia äussern, die ist da imho die größte Koryphäe hier.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Guddy am 26. Mai 2014, 15:30:09
Ja aber das ist mir doch klar, das meinte ich doch gerade  ???
Ich hab, wie gesagt, glaube ich schlichtweg ein "1.Kapitel-Problem".
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Verwirrter Geist am 26. Mai 2014, 15:33:29
Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 15:30:09
Ja aber das ist mir doch klar, das meinte ich doch gerade  ???
Ich hab, wie gesagt, glaube ich schlichtweg ein "1.Kapitel-Problem".

Ja, ich hab schlicht zu langsam geschrieben.  ;)

Sonst sehe ich es wie Tinnue - erste Kapitel sind immer etwas fies, weil man mit dem Ton natürlich ersteinmal experimentieren muss.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Mogylein am 26. Mai 2014, 15:51:38
Verwirrter Geist bringt es gut auf den Punkt, aber genau das fällt mir so schwer. Abzutrennen was bin ich, was ist meine Figur und was würde meine Figur eher sagen - Saphir oder Edelstein? Blau oder Azurton? Ich weiß es nicht. Dabei kenne ich meine Figuren in der Regel ganz gut, aber mich einzufühlen, darein, welche Worte sie verwenden würden, fällt mir mehr als schwer.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Guddy am 26. Mai 2014, 16:00:53
Das ist es ja, mir eigentlich gar nicht :( Daher ist es für mich gerade eine kleine Sinnkrise und ich bin regelrecht deprimiert ;D
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Verwirrter Geist am 26. Mai 2014, 16:11:42
Zitat von: Mogylein am 26. Mai 2014, 15:51:38
Verwirrter Geist bringt es gut auf den Punkt, aber genau das fällt mir so schwer. Abzutrennen was bin ich, was ist meine Figur und was würde meine Figur eher sagen - Saphir oder Edelstein? Blau oder Azurton? Ich weiß es nicht. Dabei kenne ich meine Figuren in der Regel ganz gut, aber mich einzufühlen, darein, welche Worte sie verwenden würden, fällt mir mehr als schwer.

Wobei ich das ambivalent sehe. Alles über seine Protas kann man ja sowieso nicht wissen, aber so lernt man sie mit jeder Zeile selbst noch ein bisschen besser kennen.
So würde ich auch dieses Erste-Kapitel-Problem erklären wollen: Anfangs sind die Protas ja mehr ein Nebel, ein theoretisches Konstrukt, dass durch den Text immer klarer eingrenzbar wird.
Daher finde ich auch, dass Schreiben ein bischen wie Kindererziehung ist. Anfangs muss man noch viel helfen und die Welt mehr mit eigenen Worten erklären, aber nach und nach übernehmen die Kinder/Protagonisten immer mehr das Zepter.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: HauntingWitch am 26. Mai 2014, 16:12:59
@Guddy: Ich stimme meinen Vorrednern zu, Malinche hat das schon sehr gut erklärt. Mir scheint, dein Problem ist möglicherweise dies hier:

Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 14:56:39
Mit "nüchtern" meine ich Szenen, in der niemand trauert, niemand sich zu Tode freut oder chmerzen empfindet o.ä. Jemand geht durch eine Straße und denkt natürlich auch an dieses und jenes und stellt einen persönlichen Bezug her, aber vergießt dabei keine melodramatische Träne ;)Um mehr geht es mir nicht ; Ich will keinen Emo-Reisebereicht verfassen und ich habe es wie gesagt auch (zum Glück) nie irgendwo so gelesen

Man kann auch ohne extreme Gefühle emotional sein. Du sagst, es ist "nüchtern", sobald keiner weint oder schreit oder sonst etwas fühlt. Aber man fühlt ja immer irgendetwas, das können ganz einfach Dinge sein. George R.R. Martin schreibt in "Game Of Thrones" z.B., wie Catelyn durch den Wald geht und dabei sagt er einfach nur, wie sie den Wald empfindet: Der Regen ist kälter als der warme Frühlingsregen aus ihrer Heimat, die Bäume wirken unfreundlicher und es ist zu still. Oder so ähnlich. ;) Jedenfalls halte ich das für eine recht emotionale Szene, weil man unmittelbar die Empfindungen der Figur erfährt. Aber sie weint nicht, sie hat keine Schmerzen und sie ergeht sich auch nicht in Frust darüber, dass sie dorthin ziehen musste. Es wird einfach nur die Wahrnehmung der Figur geschildert, durch die Gedanken der Figur. Das geht in das hinein, was Malinche gesagt hat. Ich denke, das schafft bereits eine gewisse Emotionalität ohne übertrieben zu sein.

Hat dir denn jemand gesagt, dass es nicht rüberkommt oder denkst du das nur selbst? Man selbst neigt ja dazu, sich immer kritischer zu betrachten und seinen Text als unzulänglich wahrzunehmen.

Ab wann ist es zu viel? Ich denke, es kann schon zu viel werden mit den Emotionen. Wenn jemand über das ganze Buch hinweg vulgäre Sprache benutzt oder pausenlos in Selbstmitleid versinkt... So etwas stört für mein Empfinden den Lesefluss.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Guddy am 26. Mai 2014, 16:23:42
Nene, mein Problem habe ich schon erkannt, ich meine, es ist einfach eine gewisse Schüchternheit, mich so auszudrücken wie ich eigentlich will, aber mich nicht getraut habe.
Habe das gut durch eure Kommentare erkannt. Für mich ist das Thema auch schon damit durch  ;D
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Fianna am 15. August 2015, 23:53:02
Zitat von: Franziska am 26. Mai 2014, 14:35:49
Vielleicht ist es auch Geschmackssache, aber ich find es kann nie zu viel sein. Es kommt natürlich darauf an. Wenn du auktorial erzählst, was aber eigentlich niemand mehr macht, dann hast du als Erzähler eine Stimme.
Hier wollte ich nochmal reingrätschen: ich habe den Eindruck, es ist gerade bei amerikanischen Werken (also für uns: eingekauften Übersetzungen) verbreitet mit dem auktorialen tell. "Der Weg in die Schatten" macht es, Evie Manieri (Blutstolz) ebenfalls und ich hab den Eindruck, das ist in Amerika wieder "modern"...
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 16. August 2015, 09:00:07
Ich bin da im Moment auch ein wenig am rätseln und verzweifeln:

Am Anfang meines Projektes "Königskinder" habe ich auch einen eher auktorialen Stil, gehe nur in einigen Szenen näher an die Figuren ran. Mit der Zeit aber wandelt das sich und ich schreibe fast nur noch aus Sicht meiner Protas. Ich denke das liegt mit daran, dass auch ich als Autor meine Figuren erst nach und nach kennengelernt habe.

Aber jetzt bin ich am überlegen, was ich will - mir gefällt die "Erzählstimme", die ich am Anfang habe, wobei ich für die Überarbeitung eingeplant habe, dass mehr "show"-Szenen rein sollen, einfach, weil es das Setting und die Zusammenhänge einprägsamer vermittelt.
Es gibt einfach gewisse Details, die würde ein Prota, aus dessen Sicht ich erzähle, nie "erwähnen", weil sie für ihn nicht wichtig sind, oder einfach selbstverständlich. Aber ich als Autor will sie dem Leser in genau eben diesem Moment vermitteln - nicht als Infodump, sondern als Detail, das Atmosphäre schafft und das Setting greifbarer macht (dazu gehören Beispielsweise Kleinigkeiten in der Kleidung der Figuren, oder gesellschaftliche Hintergründe).
An sich mag ich auch beim Lesen den auktorialen Stil recht gerne, kenne ihn aber tatsächlich eher aus älteren Büchern, die einfach auch von der Thematik und der Schreibweise her (benutzte Wörter und Erzähltempo) schon etwas angestaubt wirken. Mich würde es wirklich in den Fingern jucken, so etwas mal "moderner" zu gestalten, weiß aber nicht, wie ich dann diesen Stil bis ans Ende der Geschichte durchhalte.

Es ist vielleicht auch eine Frage der Struktur. Immerhin habe ich fast 10 verschiedene POVs, von denen manche mehr zu sagen haben, andere weniger. In manchen Szenen mag ich es, nahe bei meinen Haupthandlungsträgern zu sein und dem Leser klar zu vermitteln, was sie denken und was ihr Handeln bestimmt. In wieder anderen Fällen wähle ich eine andere - eher beobachtende - Perspektive, um den handelnden Figuren einen interessanten Auftritt zu verschaffen und erkläre die Beweggründe eher später.

Ich werde da wohl noch eine Weile mit meiner Patin drüber reden müssen und dann schauen, wie ich es tatsächlich umsetze. Immerhin ist das ganze nicht nur eine "Geschmacksfrage", sondern auch eine Sache des "Bauchgefühls".


Was Guddys "erstes-Kapitel-Problem" betrifft: ich habe das in diesem Fall so gelöst, dass die erste Szene des Buches aus einer Perspektive geschildert wird, die später gar nicht mehr auftaucht, die aber die Protas ganz knapp beschreibt (Aussehen und Status Quo) und ihre Haupt-Charaktereigenschaften kurz präsentiert. Danach können sie selbst weitermachen - der Leser weiß ja schon die wichtigsten Infos, die nun weiter vertieft und ausgebaut werden.
ich denke das funktioniert im Allgemeinen sehr gut, egal, ob man dafür eine andere Perspektive nutzt oder nicht: erst einmal knapp die wichtigsten Details, damit der Leser sich orientieren kann und ihn dann erst mitreißen.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Judith am 16. August 2015, 12:17:43
Also ich persönlich mag auktoriale Erzähler auch sehr gern und finde es jammerschade, dass sie so aus der Mode sind. Ich weiß noch, wie ich "Der Name des Windes" begonnen habe und total aus dem Häuschen war, dass es dort eine auktoriale Perspektive gibt. Dann beginnt Kvothes Geschichte und ich war unheimlich enttäuscht, dass doch der Großteil des Romans aus der Ich-Perspektive erzählt wird ...

Das heißt, dass ich es schön fände, wenn du deine eher auktoriale Erzählstimme eher so beibehältst - und ich hätte auch kein Problem damit, wenn du im Laufe der Zeit allmählich "reinzoomst" und die Stimme personaler wird (solange das nicht abrupt geschieht).
Allerdings besteht durchaus die Gefahr, dass manche Leser von so etwas abgeschreckt werden - gerade, weil so etwas heutzutage im Fantasygenre kaum noch üblich ist. Die Frage ist also, ob du das Risiko eingehen möchtest.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 16. August 2015, 18:16:36
Es geht mir hier nicht unbedingt um ein "Risiko" beim Leser - das ist für mich wirklich zweitrangig. Ich denke da, dass jede Geschichte ihre eigenen Bedürfnisse hat. Aber gerade das ist wohl das Grundproblem - angefangen habe ich sehr handlungsorientiert und jetzt, kurz vor Schluss, passiert eigentlich mal einige Zeit gar nichts, außer dass die Figuren untereinander ihre Beziehungen klären (ich schließe sozusagen alte Handlungsstränge ab und beginne neue, bevor der "Endkampf" kommt). Da scheint es irgendwie natürlich, dass ich näher an den Figuren dran bin.
Wahrscheinlich müsste ich nochmal genau nachforschen, wo ich angefangen habe meine "Erzählstimme" zu verlieren.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Judith am 16. August 2015, 19:44:36
Wenn du das Gefühl hast, dass du im Laufe des Romans deine Erzählstimme verlierst, ist das natürlich ein Problem. Wenn dir aber die Entwicklung hin zu einer mehr personalen Perspektive natürlich vorkommt aufgrund der Schwerpunkte bei Handlungen und Figurenbeziehungen, kommt mir das nicht wie ein "Verlust" der Erzählstimme vor, sondern eben wie eine Anpassung an die Bedürfnisse der Geschichte.
Hast du denn den Eindruck, dass sich der Fokus zu sehr auf die Figuren verlagert? Könntest du in de Fall vielleicht einen Teil der Beziehungen entweder schon etwas früher klären oder erst im Zuge des/nach dem Endkampf?
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 16. August 2015, 19:51:54
Das wäre natürlich eine Möglichkeit - vielleicht müssen einige Dinge nicht unbedingt jetzt sein. Aber die Beziehungen treten im Laufe der vorangegangenen Teile einfach immer mehr in den Mittelpunkt und gerade an dem Punkt, an dem ich jetzt bin, laufen praktisch alle Handlungsstränge zusammen und die Protas sind zu einer "Atempause" gezwungen (in der sie versuchen alles irgendwie in geregelte Bahnen zu lenken, bevor der Endkampf kommt).

Ich frage mich sowieso, inwieweit es notwendig ist, sich an solche Schubladen wie "auktorialer Erzähler" und "personaler Erzähler" zu halten. Ich kenne natürlich die Definitionen, aber ich weiß nicht, inwieweit es möglich ist, sie wirklich aus vollkommen stringend durchzusetzen. Natürlich ist ein Hin-und-Her nicht wirklich wünschenswert, aber gewisse Schwankungen würden mich als Leser jetzt nicht unbedingt stören. Ich denke, das wäre eher, wie wenn bei einem Film sozusagen auf einen der Darsteller/eine der Figuren hineingezoomt wird.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Fianna am 16. August 2015, 20:05:36
Bei einem auktorialen Erzähler ist man direkt viel distanzierter als Leser.
Mich würde ein Wechsel zwischen verschiedenen Perspektivträgern nicht stören, oder eine auktoriale "Rahmengeschichte", innerhalb derer personal erzählt.

Aber wenn einfach so zwischen auktorial und personal gewechselt wird, das würde mir nicht gefallen.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 16. August 2015, 20:36:48
Zitat von: Fianna am 16. August 2015, 20:05:36
... oder eine auktoriale "Rahmengeschichte", innerhalb derer personal erzählt.

Könntest du vielleicht etwas genauer erklären, wie du das meinst? Das klingt spannend.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Fianna am 16. August 2015, 23:04:40
Naja, das, was Judith über Kvothe sagte, klang so.

Mir liegt als erstes (fiktives) Beispiel etwas Historiographisches auf der Zunge, weil ich da seit einiger Zeit einen Tick für habe (vermutlich, bis ich ein solches Projekt mal realisiert habe). Also eine Chronik/Bardengeschichte, die als auktoriale Begleitung das Drumherum gibt, personal wird dann das echte Geschehen dargestellt, das natürlich abweicht. Im Falle einer Chronik kann man das auch in die personale Perspektive einbinden, z.B. indem eine Nebenfigur sich dementsprechend outet, und der Leser kann sich dann zusammen reimen, dass er da wohl eine nicht so gute Position in der personalen Erzählhandlung einnehmen wird, da er ja offensichtlich die Geschichtsschreibung in einigem Ausmaß verfälscht hat.
(Plotbunny - weg mit Dir! Ich brauche einen Plotbunny-Kruzifix-Smiley!)

Man kann für sowas natürlich auch eine Prophezeiung nehmen oder wenn man so einen politischen Intrigen-Plot baut, kann man da die fädenziehende Partei (eventuell ohne Namensnennung) in der auktorialen Rahmenhandlung einbinden, so dass der Leser einen Ticken mehr weiß als die Protagonisten in der personalen Perspektive... In die Richtung Suspense, weil man ja weiß, dass irgendjemand irgendetwas plant / in die Wege geleitet hat / ein Verräter ist / individuell das Vertrauen eines Charakters missbraucht, aber man weiß noch nicht genau welcher und lauert natürlich bei jeder Interaktion darauf, dass da eine nicht vertrauenswürdige Person dran teilnimmt...
(Plotbunny! Hinfort mit Dir, Du fieses kleines schneidezähniges Monster!)


Wenn man eine auktoriale Rahmenhandlung hat, dann finde ich einen Wechsel gut, wenn es ein Stilmittel ist oder sogar noch mehr Spannung aufbaut, indem der Leser einen Tacken mehr weiß als der Protagonist.

Wenn es einfach nach Lust und Laune zwischen auktorial und personal schwankt oder sogar noch innerhalb einer Szene, fände ich das nicht so schön.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Judith am 17. August 2015, 15:07:23
Zitat von: Dämmerungshexe am 16. August 2015, 19:51:54
Ich frage mich sowieso, inwieweit es notwendig ist, sich an solche Schubladen wie "auktorialer Erzähler" und "personaler Erzähler" zu halten.
Aus meiner Sicht ist das gar nicht notwendig, solange es zur Geschichte passt und man weiß, was man tut.

"Der Name des Windes" ist tatsächlich ein Beispiel für eine auktorial erzählte Rahmengeschichte, innerhalb der es dann eine Ich-Erzählung gibt. Ich persönlich finde aber nicht, dass so eine klare Abgrenzung zwangsläufig sein muss. Aber gerade Fantasy hat sich in den letzten Jahren sehr stark auf eine personale Perspektive "eingeschossen", wie mir vorkommt. Andere Genres, besonders Gegenwartsliteratur, sind da teilweise variabler.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Moni am 17. August 2015, 15:14:53
Zitat von: Judith am 17. August 2015, 15:07:23
Aus meiner Sicht ist das gar nicht notwendig, solange es zur Geschichte passt und man weiß, was man tut.

Besonders den letzteren, von mir fett markierten Teil muß ich da aber noch mal unterstreichen. Ein Autor, der auktorial und personal wild durcheinandermixt, tut weder sich noch dem Werk damit einen Gefallen. Wenn man aber die beiden Erzählperspektiven ganz gezielt mischt, kann man damit tolle Effekte für die Geschichte erzielen.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Siara am 17. August 2015, 16:27:33
Zitat von: Judith am 17. August 2015, 15:07:23
Aus meiner Sicht ist das gar nicht notwendig, solange es zur Geschichte passt und man weiß, was man tut.
Das sehe ich nicht ganz so. Gerade habe ich "Die Lügen des Locke Lamora" gelesen. Aufgrund des Bekanntheitsgrades ist davon auszugehen, dass der Autor offenbar wusste, was er tat. Dennoch hat mich das Springen zwischen personal und auktorial immens gestört. Zum einen, weil es ja letztendlich auch die Ausdrucksweise verändert. Nie war ganz klar, ob ein bestimmter Tonfall nun dem Erzähler oder einer der Figuren zuzuschreiben war. Zum anderen hat es mich auch einfach verwirrt und dafür gesorgt, dass ich den Charakteren nie ganz nahe kommen konnte. Ob diese Wechsel absichtlich gesetzt waren, weiß man als Leser natürlich nicht, aber ich gehe einfach mal davon aus.

Verallgemeinern will ich das wie immer nicht, weil ich daran glaube, dass nichts von Grund auf Mist ist, wenn man es richtig anwendet. Nur habe ich in diesem Fall noch nie ein Positivbeispiel gefunden. Auktorial und personal so zu vermischen, dass es a) eine positive Wirkung erzielt und b) nicht verwirrt stelle zumindest ich mir wahnsinnig schwer vor und kann mir spontan auch keinen Fall vorstellen, bei dem es mir als Leser gefallen würde.

Klare Abgrenzungen durch Leerzeilen oder ein neues Kapitel gefallen mir da viel besser, dann habe ich mit dem Springen auch absolut kein Problem.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Manja_Bindig am 17. August 2015, 20:42:02
Die Frage, die ich mir immer stelle, ist - wann bin ich 3. Person Personal (vgl. Harry Potter. Ich bin gerade massiv zu faul, den entsprechenden Erzähler nach Genettes Modell rauszusuchen) und wann bin ich auktorial?

Ich habe da mehrere Probleme. Wie viel von dem Gefühlsleben meines Hauptperspektiventrägers will ich in die Erzählung packen - wie viel kann ich packen, ohne dass es massiv "Tell-Don't-Show" wird?

Und habe ich mal mehrere Perspektiveträger - und auch noch in einer Szene - und möchte ich ihnen allen Gleichberechtigung angedeihen lassen - sie sind nicht ohne Grund meine Perspektiventräger - wie löst sich das? Auktorialer Erzähler ist scheinbar das Zauberwort, aber da ich meistens auch sehr introspektiv schreibe - Perspektiventräger reflektiert und denkt in dem Maße, wie es dem Charakter entspricht - frage ich mich auch, ob das irgendwann zu verwirrend oder zu viel wird. Gerade wenn die Charaktere sehr konträre Meinungen äußern.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: canis lupus niger am 18. August 2015, 14:01:45
Wenn ich (aktuell in meinem Drachenroman) mehrere meiner Perspektivträger in einer Szene gemeinsam habe und ich jemanden zu Wort kommen lassen möchte, obwohl er/sie gerade nicht 'dran ist', dann habe ich das bisher in einem Dialog oder einer wörtlichen Rede hinkriegen können.  :hmmm:
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Churke am 18. August 2015, 14:20:02
Zitat von: Manja am 17. August 2015, 20:42:02
Und habe ich mal mehrere Perspektiveträger - und auch noch in einer Szene - und möchte ich ihnen allen Gleichberechtigung angedeihen lassen - sie sind nicht ohne Grund meine Perspektiventräger - wie löst sich das?
Das geht dann halt nicht.
Der Reiz eines Perspektivträgers ist seine Erzählstimme. Wir können z.B. ziemlich sicher sein, dass Varoufakis die Verhandlungen in Sachen Griechenland ganz anders wahrgenommen und empfunden hat als Wolfgang Schäuble. Dementsprechend hätte man je nach Erzählstimme 2 völlig unterschiedliche Geschichten, obwohl die äußere Handlung deckungsgleich ist.
Das bedeutet aber auch, dass ich mich für eine Seite entscheiden und auf die andere verzichten muss. Wenn ich dagegen ins Auktoriale wechsle, um eine sagen wir vermittelnde Darstellung einzuführen, dann... kille ich mir die Erzählstimme, derentwegen ich diesen oder jenen Perspektivträger gewählt habe.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: HauntingWitch am 18. August 2015, 14:28:28
Zitat von: canis lupus niger am 18. August 2015, 14:01:45
Wenn ich (aktuell in meinem Drachenroman) mehrere meiner Perspektivträger in einer Szene gemeinsam habe und ich jemanden zu Wort kommen lassen möchte, obwohl er/sie gerade nicht 'dran ist', dann habe ich das bisher in einem Dialog oder einer wörtlichen Rede hinkriegen können.  :hmmm:

Dem schliesse ich mich an. Was ich in solchen Fällen oft mache, ist die Szene aus beiden - oder allen, ich hab einfach meistens nur zwei in der gleichen Szene - Perspektiven zu schreiben und dann zu schauen, welche sich am besten in den restlichen Text fügt. Da wird es meistens sehr klar. Und falls ich es ändern wollte, hätte ich die anderen ja.

Ansonsten: Ich bin ein grosser Fan von Persos und mag auktoriale Erzähler gar nicht. Wie Fianna fühle ich mich da zu distanziert, ich kann mich dann nicht richtig in das Buch einfühlen, nicht so gut mitfiebern. Deshalb halte ich es auch beim Schreiben so.

Wechseln kann man meiner Meinung nach problemlos, solange man es nicht zu oft macht. Rothfuss macht das im Name des Windes ja in einer Szene auch, da legt Kvothe sich schlafen (als Ich-Erzähler) und dann heisst es plötzlich: "...und jetzt lassen wir unserem Kvothe ein wenig Privatsphäre..." (so ungefähr). WTF? :o Aber es ist genau einmal in dem Buch, das fällt in dem Moment auf und zwei Seiten später hat man es vergessen.
Übrigens gibt es bei Kings Dunklem Turm eine Szene, in der zunächst aus der Perspektive der einen Prota erzählt wird und am Ende des Absatzes heisst es (ungefähr): "Sie wussten es nicht, aber der letzte Herbstregen hatte eingesetzt." Wenn sie es nicht wissen, warum steht es dann da, wo doch vorhin gerade noch ihre Gedanken zu dem, was sie sehen, ausgebreitet wurden? Ist das Buch deswegen schlechter? Nein, ich finde nicht.

Gehen tut doch letztlich alles. Ich meine, wir haben alle diese Ratgeber und Regeln, die uns sagen, mach das, lass das und auf gewisse Dinge achte ich z.B. wie oben einfach aufgrund meines persönlichen Geschmacks, aber wenn ich Bücher lese, in denen solche Regelbrüche passieren, stört mich das eigentlich nie.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Guddy am 18. August 2015, 15:15:25
So ein kleines Update: Ich habe meine Erzählstimme mittlerweile gefunden, indem ich einfach meine Hemmungen niedergelegt und einfach so geschrieben habe, wie ich es am besten finde. Klingt komisch, ist aber so ;) Andere machen das vielleicht von Anfang an, ich war da eben nicht "mutig" genug.
Mittlerweile läuft es aber super und ich bin ziemlich glücklich über die Fortschritte :)

Also ich kann da "Habt Mut!" in den Raum werfen, obwohl das natürlich längst nicht für jeden der ultimative Tipp ist.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 18. August 2015, 16:01:22
Ich denke auch, dass man da manchmal etwas zu "verkopft" rangeht. Natürlich ist es nützlich und gut einen Plan zu haben und zu wissen, was man tut und warum man es tut. Das gibt dem Werk Struktur und Halt.
Aber wenn man nicht das schreibt was man "fühlt", wie soll dann bitte der Leser die Geschichte "fühlen"?

Meine Patin hat mir gestern auch die Rückmeldung gegeben, dass ihr bisher von den Perspektiven und der Erzählstimme nichts negativ aufgefallen ist. Insoweit wird das, was ich bisher geschrieben habe irgendwo sein Richtigkeit haben. Womöglich liegt es an einigen wenigen Stellen, über die ich auch als Autor stolpere und die ich in der Überarbeitung jetzt eh ausbügeln will.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Judith am 18. August 2015, 22:34:22
Zitat von: Witch am 18. August 2015, 14:28:28
Wechseln kann man meiner Meinung nach problemlos, solange man es nicht zu oft macht. Rothfuss macht das im Name des Windes ja in einer Szene auch, da legt Kvothe sich schlafen (als Ich-Erzähler) und dann heisst es plötzlich: "...und jetzt lassen wir unserem Kvothe ein wenig Privatsphäre..." (so ungefähr). WTF? :o Aber es ist genau einmal in dem Buch, das fällt in dem Moment auf und zwei Seiten später hat man es vergessen.
Das ist aber doch kein auktorialer Erzähler, das ist eindeutig Kvothe, der das ironisch zu Bast und dem Chronisten sagt.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: HauntingWitch am 19. August 2015, 08:48:03
Zitat von: Dämmerungshexe am 18. August 2015, 16:01:22
Aber wenn man nicht das schreibt was man "fühlt", wie soll dann bitte der Leser die Geschichte "fühlen"?

Meine Rede.  ;D

@Judith: Wirklich? Auf mich wirkte das, als würde der Autor plötzlich einschreiten und den Text übernehmen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass das auch anders sein könnte...  :hmmm:
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: Judith am 19. August 2015, 10:55:40
Auf die Idee wäre ich wiederum nicht im Leben gekommen.  ;D Schon gar nicht, da er ja sehr viel mit Kvothe als Erzähler spielt und dieser auch oft mal dem Chronisten gegenüber recht ironisch ist.
Titel: Re: Wie die Erzählstimme finden?
Beitrag von: AlpakaAlex am 30. August 2021, 19:00:19
Für mich ist das mit den Erzählstimmen so eine Sache. Es kommt für mich ein wenig auf die Figur an, deren Erzählstimme es ist. Dazu sei gesagt: Ich schreibe prinzipiell nur mit personalem Erzähler, also aus der Perspektive einer Figur. Entsprechend ist die Erzählstimme dann natürlich auch an diese Figur angepasst. Das klappt mal mehr, mal weniger.

Es gibt zwei Figuren, bei denen ich keinerlei Probleme mit der Erzählstimme hatte. Das sind Pakhet und Murphy. Pakhet hat einen sehr nüchternden, sehr sachlichen Erzählstil mit vielen kurzen Sätzen, die sich oft auf das wesentliche beschränken. (Jedenfalls anfangs. Im Verlauf von Mosaik ändert sich das und es kommen mehr Gedanken und Gefühle mit hinein.) Murphy dagegen hat einen sehr zynischen Erzählstil und durchbricht auch gerne mal die vierte Wand. Deswegen ist er auch sehr einfach zu erkennen.

Dass es mir mit den beiden so leicht fällt, liegt aber auch daran, dass sie beide ihren Ursprung im Pen & Paper Rollenspiel haben und ich da genug Zeit hatte, ihre Eigenarten zu sprechen und dergleichen auszuarbeiten.

Bei meinen anderen Charakteren tue ich mich wesentlich schwerer. Besonders schwer ist es aktuell bei Sturmjägerinnen, wo ich versuchen muss, drei wirklich unterschiedliche Erzählstimmen zu haben. Das ist nicht so leicht. Während Indigo mir relativ leicht fällt, da they auch ein eher nüchterner Charakter ist, fällt es mir schwer Mutyas Optimismus und Tamiras grundlegendes Misstrauen/Zurückhalten in die Erzählstimme mit hineinfließen zu lassen.