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Brutale/ Blutige Szenen - wie weit würdet ihr gehen?

Begonnen von Darielle, 07. Oktober 2011, 04:26:49

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Naudiz

Zitat von: Erdbeere am 07. Oktober 2011, 23:07:53
Kennt jemand den Film "Hostel"? Perfektes Beispiel. Eklig, brutal, unhaltbar und einfach nur übelst kotzwürdig. Und dabei habe ich nur Ausschnitte aus der angeblich zensierten Version gesehen.

Hmhm, den kenne ich. Ich habe nicht lange zugesehen. Nicht, weil ich mich davor geekelt hätte oder so, da bin ich ziemlich belastbar (na gut, mir ist noch nie bei einem Film schlecht geworden, egal, was da gerade mit den armen Opfern angestellt wurde). Aber ich fand es kacke, dass alles nur auf Splatter ausgelegt war und da gar keine wirkliche Story hintersteckte. Sowas ist mir einfach zu doof.

@Luciel: Einen wirklichen Anta habe ich auch nicht, jedenfalls nicht in meinem NaNo-Projekt. Dort sind eigentlich alle an der Misere schuld - die Protas, die Feinde, gegen die sie ankämpfen, schlichtweg jeder. Auch wenn es nur die wenigsten wissen.

Mohnrote

Zitat von: Dämmerungshexe am 07. Oktober 2011, 17:16:53
Es mag komisch klingen, aber brutale Szenen müssen für mich auch immer eine gewisse Ästhetik haben, so wie alles andere, was ich beschreibe. Ohne das wird beim Leser nur Abscheu ausgelöst. Ich denke dass beim Lesen solcher Szenen auch eine gewisse Faszination ausgelöst werden sollte. Wenn sich der Leser mit einem Schaudern fragt: "Könnte ich so etwas tun? Wie weit würde ich gehen?", dann ist man auf dem richtigen Weg.

Das unterschreibe ich einfach mal.  :)
Ich beschreibe die Dinge so, wie sie passieren und möchte dabei möglichst wenig beschönigen. Interessanterweise habe ich bisher von meinen Testlesern eher für das gehäufte Auftreten von Krabbeltieren Schelte bezogen als für Blutvergießen, was auch recht oft vorkommt. Aber wie gesagt, alles sollte eine gewisse Ästhetik, oder einen angenehmen Gruselfaktor behalten - sonst ist es einfach nur ekelhaft und man möchte nicht weiterlesen.
Mir scheint es so, dass man sich gerade in der Thriller-Ecke an Grausamkeiten übertreffen möchte. Da brauche ich nur auf das Cover schauen, wo sich Fleischerhaken oder sonstiges Gerät tümmelt. Ich bin nicht empfindlich, aber sowas spricht mich einfach überhaupt nicht an.

Noch ein explizites Beispiel: "Der Kinderdieb" von Brom - viel Gewalt, Gedärm und Gehecksel, doch in diesem Fall empfand ich es durchaus passend für die Gesamtaussage der Story.
Gefährlich wird es meiner Meinung nach, wenn Protas zum Zweck der Leserbegeisterung / entgeisterung misshandelt werden. So a la "starker Kerl wird gefoltert, bis ihm das Fleisch vom Rücken hängt, damit er dann von bravem Mädchen umsorgt werden kann." Kommt das jemandem bekannt vor? ;)

Runaway

Zitat von: Mohnrote am 08. Oktober 2011, 14:57:59
Gefährlich wird es meiner Meinung nach, wenn Protas zum Zweck der Leserbegeisterung / entgeisterung misshandelt werden. So a la "starker Kerl wird gefoltert, bis ihm das Fleisch vom Rücken hängt, damit er dann von bravem Mädchen umsorgt werden kann." Kommt das jemandem bekannt vor? ;)
Ja, in der Fanfiction-Szene nennt man das Hurt-and-Comfort und das ist da gaaanz groß... oder war's zumindest, als ich noch in dem Bereich unterwegs war. Fand ich immer höchst merkwürdig...

HauntingWitch

Genau mein Thema. ;) So etwas wie ein schlechtes Gewissen kenne ich da nicht. Ich habe keine Skrupel, einen Chara ein bisschen leiden zu lassen, wenn es die Story erfordert. Das kann ja mitunter auch förderlich sein, insofern, dass man mehr mit ihm mitfühlt und die ganze Geschichte/Sequenz mehr an einem nagt. Was Sinn und Zweck der Sache ist, denn ich schreibe teilweise Horror und ich als Horrorleser will, dass irgendetwas an dem Buch mich aufkratzt. Sonst würde ich keinen Horror lesen, für alles andere gibt es nettere Sachen.

Allerdings muss die Story oder der betreffende Abschnitt der Story es erfordern. Wenn etwas einfach nur brutal ist um der Brutalität willen, wird es schnell abstossend. Nicht weil, es mir zu krass wäre, sondern weil es mir sinnlos erscheint. Eine gewisse Brutalität in der Kunst muss immer auch ihre Substanz haben, sonst löscht es mir ab, einach weil ich es blöd finde.

Dazu kommt, dass körperliche Gewalt nicht alles ist. Psychoterror finde ich viel schlimmer und lese und schreibe ich auch lieber. Man kann meiner Meinung nach einfach die viel stärkeren Emotionen erzeugen, indem man eine qualvolle Szene ein bisschen hinauszögert. Wird zum Beispiel einfach nur irgendein ein kleines Kind in der Schlacht zertrampelt, ist es eben tot. Aber wird über eineinhalb Seiten lang immer mal wieder erwähnt, dass das Kind da noch liegt und noch lebt, nachdem es früher in der Geschichte ausführlich vorgestellt wurde, einfach weil es gerade zur falschen Zeit am falschen Ort war - das wühlt mich viel mehr auf und wirkt auf mich auch realistischer. Was mehr Substanz ausmacht, als ein unbekanntes x-beliebiges Kind. Ist jetzt nur ein Beispiel von vielen. ;)

Steffi

Zitat von: Dani am 08. Oktober 2011, 15:10:27
Ja, in der Fanfiction-Szene nennt man das Hurt-and-Comfort und das ist da gaaanz groß... oder war's zumindest, als ich noch in dem Bereich unterwegs war. Fand ich immer höchst merkwürdig...

Dann muss ich zugeben, dass ich totaaal auf H/C stehe  ;D ;D  ;D  Allerdings finde ich immer, in "echten" Romanen sollte das wohldosiert passieren und außerdem zum Plot passen, für alles andere gibt es ja eben Fanfics ;)
Sic parvis magna

Runaway

Das ist eben genau der Punkt - wie so oft entscheidet das Maß! Klar leidet man gern mit, aber wenn Storys bloß zum Zweck des Hurt and Comfort geschrieben werden, ist der Rest meist etwas dürftig ;D

Steffi

#36
Zitat von: Dani am 11. Oktober 2011, 11:50:51
Das ist eben genau der Punkt - wie so oft entscheidet das Maß! Klar leidet man gern mit, aber wenn Storys bloß zum Zweck des Hurt and Comfort geschrieben werden, ist der Rest meist etwas dürftig ;D

Das ist exakt das Problem, das ich mit dem bereits erwähnten "Shadows Return" von Lynn Flewelling hatte. Irgendwie war es ein einziges großes H/C  Gedöns mit vorgeschobenem Plot...  :hmhm?: Aber als Fanfic? Immer gerne  ;D Ich muss bloß selber aufpassen, dass ich das Element nicht zu häufig in meinen Romanen verwende. Meistens ist es zwar irgendwie drin, aber ich habe mir selber die Vorgabe gemacht, das nicht mehr als einmal zu benutzen und es nicht zu klischeehaft aufzublasen.  (Ich sollte meine eigenen Fanfics schreiben...  ::)  )
Sic parvis magna

Lomax

Ich überarbeite gerade meinen "Styx", und fühl mich gerade sehr von der Diskussion hier angesprochen. Aus dem ganz aktuellen Anlass der letzten drei Kampfszenen, die ich gerade durchgegangen bin. :-X

Das ist ja Heroic Fantasy, allerdings unter der Prämisse geschrieben, dass man im Gegensatz zu Conan & Co. halt nicht sein Leben mit Gewalt verbringen und davon unberührt ein netter Kerl bleiben kann - sprich, im Grunde hab ich das bekannte Zitat "Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein" als Leitmotiv in dem Roman.
  Und irgendwie muss man das auch deutlich machen. Was bedeutet, dass meine Hauptfiguren halt ein kalt kalkulierender Söldner sind, der für eine Handvoll Geld auch seine Großmutter umbringen würde, eine ziemlich gestörte Söldnerin, die mit Gewalt ihren persönlichen Lebensfrust übertüncht, und ein Barbar, der nach heutigen Maßstäben wohl zu den Typen gehören würde, die vor einem Richter "Der hat mich komisch angeguckt" als gute Begründung vorbringen würden, warum sie jemanden zusammengeschlagen haben.
  Und was das im Einzelfall bedeutet, hab ich beim Schreiben immer wieder bemerkt und merke es jetzt beim Überarbeiten - dass ich an vielen Stellen bei dem, was diese Leute realistischerweise tun würden, nicht mitgehen möchte. Und an anderen Stellen, wo ich es storytechnisch tun muss, zumindest ins Grübeln gerate. Vor allem, weil das halt nicht die "Bösen" sind. Die Bösen müssen davon ja noch abgegrenzt werden und halt noch böser sein :o - wenn auch letztendlich wohl eher in der Bedrohung, die sie fürs große Ganze darstellen, in ihren Motiven und ihrem "bösen Willen", und nicht mehr unbedingt in dem Maß an Gewalt, das sie anwenden.

Ich bin letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es wohl nicht schlimm ist, wenn man als Autor nicht alles mitgehen möchte und nicht alles zeigen, was die Figuren eigentlich tun müssten. Vielleicht ist es dadurch an manchen Stellen etwas "weichgespült", die Gefahr besteht. Vielleicht leidet die Eindringlichkeit. Andererseits können zu krasse explizite Szenen auch die eigentlich wichtige Psychologie zukleistern, so dass man nur noch den Effekt sieht, aber nicht den Hintergrund, auf den er verweisen soll. Oder es tut schlicht der Story - der Leserführung, der Dramaturgie - nicht gut, wenn man zu "krass realistisch" ist. Oder vielleicht könnte man damit etwas herausholen, aber schadet der Geschichte trotzdem eher, weil man es als Autor persönlich einfach nicht kann und damit nicht nur die Grenzen irgendeines "guten Geschmacks" überschreitet, sondern einfach auch die Grenzen dessen, was man selbst wirksam darstellen kann.
  Denn das ist ja auch zu bedenken, nicht alles wirkt bei jedem Autor gleich. Der eine Autor kann bei krassen Szenen vielleicht weitergehen, trifft den Nerv seiner Zielgruppe und erreicht damit etwas, während ein anderer Autor gut beraten ist, es gar nicht erst zu versuchen. Ich denke also nicht, dass es eine allgemeingültige Grenze gibt für "brutale und blutige Szenen" - es hängt sehr von den angesprochenen Lesern, von der Einbettung in der Geschichte und vom Vermittlungsgeschick des Autors ab.
  Aber da den richtigen Kompromiss zu finden, das finde ich schwierig. Vor allem dann, wenn man eigentlich wirklich bis an die Grenzen dessen gehen will, was die Geschichte wirken lässt, und sich nicht durch persönliche Skrupel oder Feigheit daran hindern lassen will, etwas zu schreiben, was eindringlich wirkt. Aber wo traut man sich nicht genug, wo geht man schon zu weit aus lauter Angst, zu früh aufzuhören? Das ist eine Frage, über die ich eigentlich bei jeder einschlägigen Szene in diesem Buch aufs neue nachgrübele und bei der man sich vermutlich letztlich auf seine ganz persönliche Einschätzung verlassen muss - vielleicht mit Hilfe durch seine Betaleser, die in dem Falle hoffentlich auch gut ausgewählt sind  ;)

Ich beneide jedenfalls jeden Autor, bei dem ich am Endergebnis sehe, dass er's draufhat und bei dem ich mir denke, "Wow. So würde ich es auch gerne hinbekommen."

Churke

Zitat von: Lomax am 11. Oktober 2011, 12:55:31
Ich überarbeite gerade meinen "Styx", und fühl mich gerade sehr von der Diskussion hier angesprochen. Aus dem ganz aktuellen Anlass der letzten drei Kampfszenen, die ich gerade durchgegangen bin. :-X

Kampfszenen gelten gemeinhin als Maßstab des Brutalen. Dabei folgen sie letztlich nur Notwendigkeiten. Eine Figur, die wirklich um ihr Leben kämpfen muss, wird nicht zögern, den Gegner mit den klassischen Methoden ins Jenseits zu befördern. Da gibt es wenig Raum für Edelmut. Ich hielte es auch für falsch, eine halbe Seite zu splatten, wenn ein abgebrühter Killer jemanden köpft. Das ist für den einfach keine Begebenheit.

Davon abgesehen halte ich eine blutige Szene, die kein Selbstzweck ist, und deren Beschreibung sich in die Wahrnehmung des Perspektivträgers einfügt, niemals für unpassend.

Lomax

Zitat von: Churke am 11. Oktober 2011, 13:48:51Kampfszenen gelten gemeinhin als Maßstab des Brutalen. Dabei folgen sie letztlich nur Notwendigkeiten. Eine Figur, die wirklich um ihr Leben kämpfen muss, wird nicht zögern, den Gegner mit den klassischen Methoden ins Jenseits zu befördern. Da gibt es wenig Raum für Edelmut. Ich hielte es auch für falsch, eine halbe Seite zu splatten, wenn ein abgebrühter Killer jemanden köpft. Das ist für den einfach keine Begebenheit.
Nun ja, die Kampfszenen sind in meinem Fall auch nicht unbedingt die Problemfälle, die an die Grenzen gehen. Andere Stellen, wo die Figuren mehr Zeit haben, bringen einen da schon mehr ans Grübeln. Wenn ich an Stellen komme, wo ich sexualisierte Gewalt thematisieren müsste, dann frage ich mich schon eher, wie weit ich da explizit werden will.

Und auch "Kampfszenen" sind ein weiteres Feld. Auch da kämpft nicht immer ein Protagonist um sein Leben, oder geht einfach nur routiniert seinem Geschäft nach. Die letzte Szene, die ich bearbeitet habe, war technisch eine Kampfszene - aber sehr asymmetrisch. Eher das Gemetzel einer Protagonistin an hoffnungslos unterlegenen und unterbewaffneten Gegnern, und zwar von ihr ganz bewusst gesucht, damit sie in dieser Situation das Gefühl von Stärke genießen kann, das ihr Partner ihr in ihrer Beziehung konsequent ausgetrieben hat.
  Und das ist dann durchaus eine Kampfszene, wo der Protagonist "Zeit" hat und die Gewalt auch genießt - und wo sich damit dann auch die Frage stellt, wie viel von dieser Sicht des Protagonisten man in der Geschichte wirklich nacherleben lassen will.
  Ich denke also schon, dass deine Sicht auf Kampfszenen sich schon sehr auf "klassische" Kampfszenen fokussiert, und dass man auch dabei schon zu Recht in grenzwertige Bereiche geraten kann, die nicht mehr so selbstverständlich von bloßen Notwendigkeiten diktiert werden und sich auf die Wiedergabe derselben beschränken. Und selbst bei klassischen Kämpfen macht es durchaus einen Unterschied, ob man die Sache klinisch sauber oder schmutzig verlaufen lässt.

Mohnrote

Zitat von: Lomax am 11. Oktober 2011, 12:55:31
Ich bin letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es wohl nicht schlimm ist, wenn man als Autor nicht alles mitgehen möchte und nicht alles zeigen, was die Figuren eigentlich tun müssten.

Zitat von: Lomax am 11. Oktober 2011, 18:22:19
  Und das ist dann durchaus eine Kampfszene, wo der Protagonist "Zeit" hat und die Gewalt auch genießt - und wo sich damit dann auch die Frage stellt, wie viel von dieser Sicht des Protagonisten man in der Geschichte wirklich nacherleben lassen will.

Ich finde auch, dass es in solchen Fällen völlig legitim ist, als Autor die Szene zu verlassen und "abzublenden". Wenn die Intention klar ist, kann man sich (und auch dem Leser) so ein gewisses Übermaß an Gewalt ersparen. Bevor man eine Szene schreibt, bei der einem selbst unwohl wird, ist es sicherlich besser, ein wenig zu zensieren.

chaosqueen

Ich hab irgendwie genau das umgekehrte Problem: Ich bin immer viel zu nett in meinen Texten! Neulich haben meine Protagonisten ein Kaninchen gegessen - das tat mir fürchterlich Leid, das Tierchen. ::)
Und meine Kampfszenen:
Szene 1: Prota wird von allesfressenden Monster-Zentauren angefallen, ich hab mir fest vorgenommen, sein Pferd zu opfern - und schaffe es nicht. Das Pferd lebt und muss nun versorgt werden, ebenso wie der Prota.
Szene 2: Auftragskiller gelangt in den Palast und wird vom König entwaffnet und eingesperrt. Da ist noch nicht mal einer verletzt! :d'oh:
Szene 3: eh schon angeschlagener Prota geht in eine Höhle, um seine Begleitung zu retten, wird vom Monster zusammengeschlagen und von seiner 16jährigen Begleitung gerettet, die es dann auch noch witzig findet, nicht zu erzählen, wie sie das gemacht hat.

Fazit: Ich drücke mich vor den Gewaltszenen. Und zwar weniger, weil ich selber so sanftmütig bin, sondern einfach, weil ich ständig Mitleid mit allem und jedem habe! Ohne Witz: Als Kind hab ich mich mal beim Tisch entschuldigt, als ich in einem leichten Wutanfall mit dem Fuß gegen das Tischbein getreten hatte.

Filme wie SAW gehen gar nicht, dafür aber problemlos Das Schweigen der Lämmer und nachfolgende, American Psycho hab ich mit einer gewissen Begeisterung gelesen, während der Mitbewohner meiner Freundin es nachts um vier ganz unten in der Altpapiertonne vergraben hat.

Ich nehme Gewalt in Büchern wahr und reagiere emotional darauf, ich begreife, dass sie wichtig ist, damit der Leser das Buch stärker empfinden kann, aber ich schaffe es nicht, selber überzeugende Gewaltszenen zu schreiben.
By A Song of Ice and Fire hab ich den Atem angehalten, als Bran aus dem Fenster "gestoßen" wurde, hätte ihn am liebsten eigenhändig am Fallen gehindert und fand die Szene schrecklich - aber sie ist wichtig für die Story und muss daher auch in dieser Direktheit erzählt werden. Das würde ich gerne können.

Für mich ist klar: Gewalt ist wichtig in Büchern, weil sie Teil der Welt ist. Als solche darf sie auch sehr explizit sein, wenn sie damit zur Geschichte beiträgt. Gewalt, die nur für sich steht, halte ich für etwas, das ich zumindest selber weder lesen noch schreiben will.

Lomax

Zitat von: chaosqueen am 11. Oktober 2011, 23:43:53Szene 1: Prota wird von allesfressenden Monster-Zentauren angefallen, ich hab mir fest vorgenommen, sein Pferd zu opfern - und schaffe es nicht. Das Pferd lebt und muss nun versorgt werden, ebenso wie der Prota.
Hm, ja - gutes Beispiel für eine konkrete Grenze im Thema "wie weit würdet ihr gehen". In einer Szene des Romans halten zwei der Protagonisten es für eine gute Idee, mit den Pferden der Feinde, die ihnen ein Stück entfernt einen Hinterhalt gelegt haben, abzuhauen. Ihr Kumpel, den sie zurückgelassen haben, als sie sich bei Annäherung der Feinde unauffällig entfernt haben, sorgt für die nötige Ablenkung und dafür, dass sie wohl eine Weile Zeit haben, bis die Besitzer der Pferde auftauchen.
  Nun stellte sich die Frage, was passiert mit den Pferden, die sie nicht zur Flucht benutzen? Unrealistisch, dass sie die intakt dalassen, damit die Feinde kurz darauf die Verfolgung aufnehmen können. Schlimmer noch, ich weiß, dass die Söldnerin zuallererst auf die blutigste Methode kommen würde, gar nicht mal auf die effizienteste, um die Pferde unschädlich zu machen, und dass sie selbst gar kein Gespür für Grenzen hat. Das wäre nicht mal eine sinnlose Gewalttat am Rande, sondern genau diese Eigenschaft der Protagonistin ist am Ende sehr entscheidend für das Finale - es wäre also ein Punkt, wo man zeigen kann, dass die Figur Grenzen sehr leichtfüßig überschreitet, was dann das Finale vorbereiten würde.
  Es würde sich also nicht nur realistisch aus den Figuren ergeben, sondern wäre sogar dramaturgisch richtig gesetzt. Trotzdem habe ich an der Stelle beschlossen, dass ich so weit nicht gehe - einfach aus der Überlegung heraus, dass Gewalt gegen Tiere auch für viele Leser eine Grenze ist. Da habe ich die Befürchtung, dass einfach zu viele Leser zu empört wären und das als sinnlose Gewalt ansehen würden, so dass jeder tatsächliche Sinn dieser Szene darunter verloren ginge. Warum auch immer, ist aber so, dass Gewalt gegen Tiere problematischer ist als Gewalt gegen Menschen (und menschenähnliche), weswegen ich da auch eher eine Grenze ziehe.

Aber Zurückhaltung aus Mitleid gegen Figuren - das halte ich für mich persönlich für eine Sünde, die ich mir eigentlich eher austreiben möchte. Ich habe oft mit Figuren mitgelitten und saß sogar heulend vor dem Monitor beim tippen. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich das gerade dann durchziehen muss, weil es sich einfach falsch anfühlt, dann die Figuren schonen zu wollen. Denn emotionale Höhen und Tiefen sind ja gerade das, was man aus einer Geschichten herausmodellieren möchte - und nicht glätten und vermeiden.
  Persönliches Mitfühlen beim Schreiben also ja - aber bei mir zumindest ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich mich gerade dann, wenn ich merke, dass meine persönlichen Gefühle mich zurückziehen wollen, mit einem trotzigen "jetzt erst recht" umso tiefer eintauche. Persönliche Grenzen überschreiten beim Schreiben möchte ich eigentlich, auch wenn es natürlich nicht immer klappt. Da halte ich es für legitimer, sich von dramaturgischen Erwägungen oder äußeren Einflüssen zurückhalten zu lassen.
  Ob das immer die gesündere Einstellung, sei dahingestellt. Jedenfalls ist es für mich persönlich so, dass ich einen Kompromiss, den ich beim Schreiben für mein persönliches Wohlbefinden eingehe, immer als "faul" empfinde, wohingegen ich mich vorbildhaft vernünftig fühle, wenn ich mir wenigstens einreden kann, ich wäre zum Besten der Leser, der Vermarktbarkeit und des Buches an sich nicht weiter gegangen. ;D

Runaway

Zitat von: Lomax am 12. Oktober 2011, 10:55:49
Ich habe oft mit Figuren mitgelitten und saß sogar heulend vor dem Monitor beim tippen. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich das gerade dann durchziehen muss, weil es sich einfach falsch anfühlt, dann die Figuren schonen zu wollen. Denn emotionale Höhen und Tiefen sind ja gerade das, was man aus einer Geschichten herausmodellieren möchte - und nicht glätten und vermeiden.
Richtig heulend vielleicht nicht, aber bestimmt nicht weit weg. Mir ist schon oft gesagt worden, meine Charaktere kämen so lebendig rüber. Warum? Weil ich sie total ernst nehme und für echt halte. Für mich geht das auch gar nicht anders. Ich gehe sogar bewußt so weit, daß ich mir manchmal - nicht nur beim Schreiben - vorstelle, ich wäre gerade mein aktueller Held und dann stelle ich mir eine bestimmte Szene vor, die ich bewußt als dieser Held durchlebe. Und dann schreibe ich das auf.
Und diese Szene kann alles sein. Im Moment schreibe ich ja Thriller und da kommen manchmal Sachen vor, da sträuben sich mir alle Haare. Aber das muß ich ja auch glaubhaft für meine Heldin feststellen können und deshalb geh ich da auch so tief rein wie möglich. Da ergibt sich dann meist von selbst, wie weit man irgendwelche Grausamkeiten beschreiben will.

HauntingWitch

Zitat von: Mohnrote am 11. Oktober 2011, 22:13:12
Ich finde auch, dass es in solchen Fällen völlig legitim ist, als Autor die Szene zu verlassen und "abzublenden". Wenn die Intention klar ist, kann man sich (und auch dem Leser) so ein gewisses Übermaß an Gewalt ersparen. Bevor man eine Szene schreibt, bei der einem selbst unwohl wird, ist es sicherlich besser, ein wenig zu zensieren.

Das ist eine interessante Sichtweise und ich finde sie auch völlig legitim. Ich selbst verspüre jedoch gerade in diesen Momenten immer den besonderen Reiz, dann eben genau nicht abzublenden. Das verstärkt meiner Meinung nach den Effekt der Szene, wie gesagt, der Leser kommt mehr hinein, scheint mir. Doch andererseits ist es natürlich auch so, dass es bei manchen Szenen sogar mehr Effekt hat, wenn man abblendet, weil der Leser ja das, was nicht explizit beschrieben wird, sich im Kopf selbst zurechtlegt. So gesehen hat der gewohnte Horrorleser dann sein krasses, aufreissendes Bild und der eher zart Beseitete sein gerade mal noch so verträgliches. Einfach aufgrund der Gewohnheiten und Vorerfahrung, die man als Betrachter hat. Das ist vermutlich genau diese Gratwanderung zwischen subtiler Gewalt und unmittelbarem Schock, die man dem Leser nahebringen will. Je nach Absicht wird wohl das eine oder andere geeigneter sein. Aber wichtig ist natürlich immer, dass man als Autor selbst dahinter stehen kann und die Szene für gut (oder mindestens adäquat) empfindet, wie sie ist. Tut man das nicht, quält man sich a) nur selbst und geht b) die Intensität sowieso verloren.

@Dani: Mache ich auch so. Ich habe auch das Gefühl, es geht dann leichter und kommt detaillierter. Was mich hin und wieder beim Zurück-/Korrekturlesen erschreckt. "Was? Das habe ich geschrieben? Was ging da in meinem kranken Gehirn gerade vor?" ;D Aber das verfliegt, denn wenn ich soweit bin, habe ich in der Regel genau das, was ich wollte. Auch auf die Gefahr hin, dass das dann dem ein oder anderen Leser zu viel wird. ;)

Dazu fällt mir noch eine Frage ein: Kennt ihr das auch, dass ihr manche Szene selbst als weniger brutal/krass/gewalttätig wahrnehmt, als der Testleser? Weil ich es letztens hatte, dass meine Testleserin mir gesagt hat, diese eine Szene sei ihr fast zu heftig gewesen. Ich finde aber, dass es eine der harmloseren in dem Skript ist. Ist das so, weil ich den ganzen Hintergrund kenne, weiss wie es ausgeht? Weil ich im Gegensatz zu ihr von Anfang die Kontrolle darüber hatte? Das ist auch noch ein Aspekt, über den ich in letzter Zeit viel nachgedacht habe.