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Brutale/ Blutige Szenen - wie weit würdet ihr gehen?

Begonnen von Darielle, 07. Oktober 2011, 04:26:49

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Darielle

Liebe Tintenzirkler,

ich bin nicht sicher, ob dieses Thema so allgemein gehalten in den Bereich hier passt, falls nicht, bitte ich um Verzeihung und Verschiebung.

Also ich stelle für mich beim Schreiben fest, dass es mir irgendwie gar nicht mehr abartig genug zugehen kann. Nicht nur, dass bei mir Kleintiere "aus Spaß" qualvoll getötet werden. Nun hat sich mein Antagonist auch noch entschieden, gegen die Menschenwürde zu hetzen und menschenverachtende Experimente mit Giften zu versuchen. Die Szenen werden immer blutiger, das schwache Opfer immer schwächer und verzweifelter, während der sadistische Antagonist seinen Triumph auskostet. Darf man das? Ich meine, als Autor - auch von Fantasy und Co. - hat man doch einen gewissen Bildungsauftrag. Ich lehne normalerweise das Lesen von Krimis ab, weil sie mir zu gewaltverherrlichend sind. Ok. Sie sind mir zu langweilig. Ich geb es ja zu. Die meisten sind zu einfach gestrickt, ihr kennt das Muster.

Wie handhabt ihr das? Habt ihr für eure Geschichten eine Grenze, bis zu welcher beinahe unvorstellbarer Grausamkeit ihr das Ableben eurer Charaktere beschönigt? Ich komme mir hier einerseits vor wie ein Psychopath, andererseits fühle ich tief in mir drin den Anta, der mir genau seine Gefühle vorgibt. Ich spüre ihn und er wird realer. Irgendwann kommt doch die berühmte Hemmschwelle. Man will gar nicht weiter gehen, will sich widersetzen und mit einem Mal hat man im Kopf, dass da mehr passieren muss. Man könnte ja den Leser langweilen. Wie wir wissen, wirkt Sensationslust bei sehr vielen Menschen. Sollte man das unterstützen? Ehrlich, ich bin grade ratlos. Ich möchte eigentlich gar keine Gewalt reinbringen, ganz im Gegenteil. Ich möchte mit meiner Geschichte auf die Leute zeigen, die Gewalt anwenden, als sei es so normal wie das Schuhe anziehen. Jetzt mutiere ich virtuell zu einem solchen Menschen.  :wums:
Also, ich bin einfach dankbar, wenn mir jemand eine Meinung dazu sagen kann.  :omn:

Sanne

Hallo Darielle,

ich kann Dein Dilemma verstehen, geht mir manchmal ähnlich. Ich bin auch nie sicher, wie weit ich meinen Anta gehen lassen soll.
Andererseits will man ihn dem Leser ja auch schonungslos näher bringen?

Früher habe ich die Szenen dann verschoben - das ist jedenfalls keine Lösung. Jedenfalls für mich.

Heute schreibe ich sie erstmal. Wenn es mir dann beim Überarbeiten zu heftig erscheint, dann wird es nochmal geändert, aber wie Du schon bemerkt hast - man kommt ihm auch als Autor näher, wenn man ihn gewähren lässt. Als ein Kriterium bei der Entscheidung, was drin bleibt oder nicht, nehme ich immer: Würde ich es so lesen wollen? Muss man nicht als Leser auch erahnen können, zu was der Typ alles fähig ist? Ansonsten kratzt man nur an der Oberfläche.

Also lass ihn ruhig brutal sein, lass es dann ruhen und entscheide später im Zusammenhang, ob es zuviel ist.

Liebe Grüße
Sanne



Drachenfeder

Die Phantasie setzt die Grenzen. Beim Autor sowie beim Leser.  Man muss nicht immer ins Allerkleinste gehen, um ein Bild hervorzurufen. Das ist zumindest meine Meinung.

Ich habe keine Probleme brutale Szenen zu lesen und auch keine zu Schreiben. Vorallem bei phantatischen Geschichten finde ich es nicht so schlimm, im Gegensatz zu geschichtlichen Büchern, bei denen ich weiß, dass ist wirklich geschehen. Z.B. bei einer Szene in "Stadt der Diebe", da habe ich mich beinahe übergeben müssen. Das muss ja nicht sein. Es kommt zwar auf den Leser und dessen dickes oder eben dünnes Fell an, aber trotzallem sollen Geschichten auch die Fantasie anregen.

Natürlich kommt es auch drauf an, welches Publikum du ansprechen willst. Da müssen Grenzen gesetzt werden. Schreibst du ein Kinder- oder Jugendbuch, oder eins für Erwachsene?

ZitatNun hat sich mein Antagonist auch noch entschieden, gegen die Menschenwürde zu hetzen und menschenverachtende Experimente mit Giften zu versuchen. Die Szenen werden immer blutiger, das schwache Opfer immer schwächer und verzweifelter, während der sadistische Antagonist seinen Triumph auskostet. Darf man das?

Da erinnere ich mich an die Chronik der Unsterblichen "Glut und Asche". Folter, folter, folter. Das war heftig. Versuche sehe ich da in der gleichen Sparte. Ob man es darf? Es verbietet ja niemand, oder? Die Menschheit ist leider verdammt grausam und die Menschenwürde wird auch im echten Leben oft verletzt.  Es ist deine Geschichte. Schreib sie erst wie du sie willst und wenn es dann weitergeht musst / willst du sie vielleicht noch mal abändern, heftige Szenen rausschmeißen. Aber das steht ja noch nicht fest. Also hau in die Tasten.

In meinen beiden Romanen sind "brutale" Szenen drin, jedoch verzichte ich ganz ins Detail zu gehen und überlasse der Vorstellungskraft den Rest. Wenn ich von meiner eigenen ausgehe, ist diese oft schlimmer als die genauere Beschreibung wäre  ;D



Sven

Zitat von: Darielle am 07. Oktober 2011, 04:26:49
Ich meine, als Autor - auch von Fantasy und Co. - hat man doch einen gewissen Bildungsauftrag.

Wenn du keine Sach- oder Schulbücher schreibst, hast du als Autor vor allem einen UNTERHALTUNGSauftrag.
Wieviel Brutalität ist unterhaltend, und ab wann kippt das Leserinteresse?
Ich glaube, das ist nicht so pauschal zu beantworten. Es kommt natürlich darauf an, für wen die Geschichte gedacht ist. In einem All Age Roman hat ausartende Brutalität nichts zu suchen. Da kann man Szenen entschärfen, oder als Autor "nicht so genau hinsehen".
In einem Horror-Roman darf es krasser zugehen. Da ist jeder Leser anders.
Dabei sollte man aber immer auch im Auge behalten, das zu viel grausame Beschreibungen den Leser auch abstumpfen lassen. Deine erste blutige Szene kann noch schockieren, die zweite wird schon nicht mehr so genau gelesen und bei der dritten nimmt der Leser sie nur noch wahr.
Eine brutale Schilderung ist in einer Geschichte nicht schmückendes Beiwerk, sondern soll im Leser etwas auslösen. Im besten Fall ist es ein Gefühl. Eine Abneigung dem Antagonisten gegenüber, oder Mitleid für den Helden. So etwas sollte wohl dosiert werden.
Darüber hinaus muss man immer im Blick haben, was ein Verlag dazu sagen würde.
Ich persönlich schreibe gerne brutale Szenen und musste mich in meinem All Age Buch ordentlich zurückhalten. Brutal geht es auch dort zu, aber wenn der "Held" im entscheidenden Moment die Augen schließt (und er der Perspektivcharakter ist), dann hört er nur, wie jemand abgeschlachtet wird, oder er spürt die warmen Blutspritzer im Gesicht, oder die Knochensplitter piksen ihn, oder ...
Also man kann Brutales schildern, ohne brutal zu schreiben. Wenn jemand im Vorbeigehen eine Katze von der Brüstung des 10. Stockwerks schubst und einfach weitergeht, ohne es zu beachten, ist das brutal, ohne dass man sich mit ausufernden Beschreibungen aufgehalten hat.

Beste Grüße,
Sven
Beste Grüße,
Sven

Ary

Für mich kommt es immer darauf an, in welchem Zusammenhang eine brutale Szene steht und wie wichtig es ist, die Brutalität zu zeigen. Und vor allem, wie oft sie gezeigt wird. So schlimm das ist, wenn ich mit zu viel Brutalität überhäuft werde, die nur um der Brutalität willen in einem Buch ist, stumpfe ich irgendwann ab und lasse das Beschriebene nicht mehr an mich ran, weil ich mich überfüttert fühle, weil ich denke, ja, der Kerl ist ein brutales Ekel, ich weiß es jetzt.
Die Dosis macht es und die Art, wie es beschrieben wird. Ich stehe bei sowas ja mehr aufs Subtile und nicht auf Splatter.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Steffi

Zitat von: Sven am 07. Oktober 2011, 08:57:06
Dabei sollte man aber immer auch im Auge behalten, das zu viel grausame Beschreibungen den Leser auch abstumpfen lassen. Deine erste blutige Szene kann noch schockieren, die zweite wird schon nicht mehr so genau gelesen und bei der dritten nimmt der Leser sie nur noch wahr.


Das Problem hatte ich mal als Leserin bei einem Buch, bei dem es reihenweise brutale Vergewaltigungen gab. Nach einer gewissen Zeit hab ich dann nur noch die Augen verdreht, was sicherlich nicht die Intention des Autors war (und mich nicht sehr stolz macht, aber es passierte halt).

Außerdem sollte es in deinem Buch auf jeden Fall noch einen richtigen, wichtigen Plot geben, in der die Gewalt integriert ist. Lynn Flewellings Roman "Shadows Return" zum Beispiel ist leider zu einer einzigen (ziemlich ekelhaften) Folterorgie geworden, bei der der Plot leider bloß wie nettes Beiwerk und notwendiges Übel erscheint, und das ist mir dann doch böse aufgestoßen. Weniger wäre da mehr gewesen.

Es kommt natürlich auch immer auf die Art des Buches an. In einem Thriller über Serienmörder und Profiler erwarte ich mehr brutale Morde als in Harry Potter, mal ganz doof gesagt.
Sic parvis magna

Snöblumma

Ich blende bei brutalen Szenen gerne aus und beschreibe eher die Gefühle meines Perspektivträgers, die Gerüche und die Geräusche, weniger das Geschehen selbst. Ich war noch nie ein großer Fan der Großaufnahme, weder im Film noch im Buch. Subtilere Gewalt, da schließe ich mich Aryana an, kann viel brutaler wirken als Splatter, der irgendwann von meinem Gehirn als überzogen, unrealistisch und lächerlich abgelehnt wird.

Natürlich ist das meine ganz persönliche Ansicht, so wie ich es gerne mag. Und genau so, wie ich es gerne lesen würde, schreibe ich es erst mal, selbstverständlich ein wenig angepasst an das angedachte Zielpublikum. In einem Horrorroman erwartet man mehr Splatter als in einem High Fantasy Buch, und in einem Romantasy haben blutige Szenen wenig zu suchen, meiner Meinung nach. Aber das ist nun nicht die neueste Erkenntnis ;).

Gewalt, wie sie in "Song of Ice and Fire" vorkommt, geht mir stellenweise zu weit. Wenn ich vor dem Buch sitze und mich der pure Ekel packt, steigert das nicht gerade das Lesevergnügen, vor allem, wenn die Gewalt keinen wirklich erhellenden Effekt in Bezug auf einen Charakter hat. Gewalt als Selbstzweck finde ich abstoßend und auch langweilig, dann lieber weniger davon, aber wohl dosiert. Auch bei Abercromies Klingenbüchern hat es mich an einigen Stellen wirklich geekelt, aber hier fand ich den Grat in den meisten Fällen für meinen Geschmack gut gewählt.

Andererseits finde ich es lächerlich, immer sofort einen Cut zu machen und die Gewalt nur von fern zu zeigen, um das Bild des edlen Helden nicht zu zerstören. Auch Helden töten ihre Feinde nicht mit Rosen; auch die Feinde verrecken gelegentlich unter Schmerzen und unnötigem Leid. Hier nur noch von fern zu beobachten und so zu tun, als wäre es alles nur ein großer Spaß, lässt auch einen schalen Nachgeschmack zurück.

Wie gesagt, ich selbst habe für mich den Weg gewählt, selten direkt auf das brutale Geschehen zu zeigen, sondern eher die Wahrnehmungen des Perspektivträgers dabei zu schildern und so zu zeigen, welche Auswirkungen die Gewalt auf ihn hat.

Die Frage, wie weit du gehen darfst, ist sicher noch einmal eine andere. Natürlich sind die Grenzen in Büchern sehr viel weiter als im realen Leben. Darüber würde ich mir jetzt erst einmal nicht den Kopf zerbrechen - wenn wegen irgendeiner Szene der Index droht, würde der Verlag es dir sicher rechtzeitig sagen und um Änderung bitten ;) . Ebenso, wenn irgendetwas zu heftig ist und damit das Zielpublikum verschrecken könnte. Wenn es dir so und nicht anders gerade aus den Fingern fließt, dann schreib es erst einmal und schwäche es vielleicht beim Überarbeiten ab. Das ist sicher besser als dich von vornherein zu beschränken und möglicherweise gar nicht weiterzukommen!

Sanjani

Hallo Darielle,

schwieriges Thema. Ich als Autorin schreibe eigentlich meist nur solche Sachen, die ich selber auch noch lesen könnte. Und meine Grenze liegt da sicher nicht im endlos brutalen Bereich. Auch kommt es darauf an, was geschildert wird. Wenn jemand z. B. schildert, wie er Menschen quält und sich dran erfreut, würde ich vermutlich irgendwann denken "Igitt so ein Ekel", aber es würde mich auch abstumpfen. Anders ist es, wenn aus der Sicht des Gequälten beschrieben wird, z. B. im Schwert der Wahrheit, wo Richard bei den Mord Sith landet. Das fand ich nicht nur ekelhaft, sondern es hat mich auch so sehr durchgeschüttelt, dass ich die ganze Nacht danach nicht schlafen konnte. Und das war mir definitiv zu viel, so etwas würde ich nicht noch einmal lesen wollen.

Ich würde vorschlagen, dass du erst mal alles schreibst und danach einen nervenstarken Beta dran lässt, der was dazu sagen möchte.

Ansonsten kann ich mich bzgl. Alter und Zielgruppe den anderen nur anschließen.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Sprotte

Ich schreibe Heroic Romantasy, und meine Helden müssen leiden.
Einem steche ich die Augen aus, einer wird mit Vergewaltigung bedroht, ein anderer mit Kastration. Dem vierten muß ich leider ein Bein absägen.

Es geht deutlich zur Sache, aber alle diese Szenen haben Sinn im Plot, sie sind nicht um der Gewalt wegen enthalten. Ich brauche sie für die Gefühlswelt und die Entwicklung des Helden - und zum Spannungsaufbau.

Eine Betaleserin sagte mir deutlich: Bis zu dieser Grenze ist es gut. Gehe nicht darüber.
Daran halte ich mich.

Luna

#9
Zitat von: Sanjani am 07. Oktober 2011, 09:21:39
Anders ist es, wenn aus der Sicht des Gequälten beschrieben wird, z. B. im Schwert der Wahrheit, wo Richard bei den Mord Sith landet. Das fand ich nicht nur ekelhaft, sondern es hat mich auch so sehr durchgeschüttelt, dass ich die ganze Nacht danach nicht schlafen konnte. Und das war mir definitiv zu viel, so etwas würde ich nicht noch einmal lesen wollen.
Gerade die Szene fand ich besonders eindringlich. Ich persönlich fand das nicht zu viel. Die ganze Gewalt, die ihm angetan wurde, hatte meiner Meinung nach u. a. den Zweck, dem Leser die verquere Welt der Mord Sith und wie sie zu dem wurden, was sie waren, nämlich, dass sie auf die selbe grausame Art gequält wurden, nahezubringen. Und, um Richard noch strahlender zu machen ;D, dass er sogar für die Mord Sith noch irgendwie Verständnis aufbringen konnte.
Aber lange Rede, kurzer Sinn, Gewalt einzusetzen, nur der Gewalt wegen, halte ich auch für Schwachsinn. Bei Malus Darkblade haben mich die brutalen Beschreibungen irgendwann so genervt. Nicht weil ich sie eklig fand, aber spätestens nach der dritten blutigen Metzelszene dachte ich: OK, ich weiß jetzt, was der Typ für ein Schlächter ist, ich habs begriffen :seufz:.
Hingegen bei dem Buch "American Psycho", sorry, der Autor ist mir grad entfallen, das vor üblen Gewaltszenen nur so gestrotzt hat, hat mich das nicht gestört. Da hat das irgendwie gepasst. Das ganze Buch war sehr schräg: Ein serienmordender Wallstreet Börsenmakler, seitenweise Beschreibungen wie die Visitenkarten der Broker aussehen, mit welchen High-Tech Finessen ihre Wohnungen ausgestattet sind, welche Krawatten sie tragen, Lästereien über Visitenkarten/Ausstattung/Klamotten anderer Broker und dazwischen übelste Splatterszenen.

Ich bin mit Gewalt auch nicht zimperlich, meine Typen sind Söldner, Assassinen und Soldaten etc.. Aber die Dosis macht das Gift. Zuviel setzte ich sie auch nicht ein. Dazwischen gibt es auch noch Handlung ;D.

moonjunkie

Das ist wohl wirklich eine Geschmacksfrage. Ich persönlich scheue mich ein bißchen vor zu viel Gewalt, wenn ich schreibe. Einfach deswegen, weil ich es nicht gerne lese. Ein bißchen ist okay, klar und es muss eben passen. Ich glaube das ist das Wichtigste, dass es zur Story passt, dass es den Plot vorantreibt und nicht einfach nur gesplattert wird. Spannung muss sein, aber wenn es zu eklig wird, lese ich es nicht gerne. Dann doch lieber nur andeuten und nicht allzu viele Gewaltszenen reinbringen. Wie bei allem: wohl dosieren.

Letztens habe ich ein Buch gelesen (von Nalini Singh, Titel weiß ich gerade nicht), da hat es mich schon gestört, wie sehr es dort ins Detail ging. Ich fand es einfach zu grausam. Allerdings hatte ich von Anfang an gedacht, es wäre eine Liebesgeschichte. Es ging um Engel und meine Freundin meinte sogar noch: Nein, das muss so brutal sein, sonst wäre es kitschig. Womit sie vielleicht Recht hatte, aber irgendwas an den Beschreibungen hat mich gestört. Es war einfach zu viel.

Aber wie einige hier schon meinten, ich würde es auch so machen: schreib es erstmal so, ohne inneren Zensor und dann beim Überarbeiten kannst Du immer noch gucken, wo es Dir zu viel und zu arg geworden ist. Ein Betaleser kann dann ja auch nochmal drübergucken.

Eine Buchhändlerin meinte letztens, der Trend ginge bei Büchern in Richtung mehr Gewalt.

Ary

@Steffi - da sieht man mal wieder, wie die Geschmäcker auseinandergehen - ich fand es bei "Shadows Return" nicht überzogen und fand auch nicht, dass der eigentliche Plot hinter den Folterszenen zurücksteht. Okay, "Shadows Return" war für mich bisher auch der schwächste Nightrunnerband, aber ich habe schon schlechteres gelesen.
Was mich zum beispiel unheimlich nervt, ist die "Quotenvergewaltigung". Manchmal glaubte ich schon, dass es keine Romanheldin mehr gibt, die nicht irgendwann irgendwo mal vergewaltigt wurde. Okay finde ich es, wenn eine Vergewaltigung in der Vergangenheit der Heldin stattgefunden hat und auf ihren jetzigen Gemütszustand noch immer Einfluss nimmt. Z. B. bei Rosa in "Arkadien erwacht" - man erfährt über sie, dass sich jemand an ihr vergangen hat, nachdem er ihr KO-Tropfen in den Drink getan hat. Rosa wurde schwanger und trieb ab - das wird nicht geschildert, aber wie es immer wieder in der Geschichte auftaucht und immer wieder in Rosas Gedanken herumspukt und wie es sie auch nach einiger Zeit noch immer beeinflusst, ist beklemmend.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Farean

Hallo Darielle,

zunächst einmal: daß dein Antagonist in seiner ganzen sadistischen Grausamkeit in dir selbst eine Saite zum Schwingen bringt, ist normal. Sich dem zu stellen, erfordert Mut, von daher meine Hochachtung. Mal ganz unabhängig vom Schreiben: wir sind nur dann komplette Menschen, wenn wir uns auch mit den finsteren Seiten unserer Seele befassen. Wenn wir das nicht tun, sondern die Augen davor verschließen, erwischen sie uns im entscheidenden Moment völlig unvorbereitet.

Beim Schreiben ist es meiner Ansicht nach OK, die Grausamkeit (je nach Publikum) beliebig intensiv zu schildern, solange dabei nicht rüberkommt, du als Autor würdest wollen, daß der Leser es genießt. Mein Trick dabei besteht in der Wahl der Perspektive: ich lasse den Antagonisten gern in all seiner Leidenschaft machen, aber ich schildere die Szene dann aus der Sicht seines Opfers bzw. des Helden, der ihm in den Arm fällt. Und in diesen denke ich mich genauso intensiv rein, so daß keinerlei Mißverständnis entsteht, die Szene solle "geil" auf den Leser wirken.

Als spontanes Beispiel fällt mir eine Vergewaltigungsszene ein, die ich einmal geschrieben habe, und zwar aus der Sicht des Opfers. Dabei habe ich das beschrieben, was in dem Moment das Opfer empfand, also hauptsächlich Ekel, Furcht und ein gewisses Gefühl der Unwirklichkeit. Nicht beschrieben habe ich, wo und wie der Täter das Opfer genau berührt. Auf diese Details legt vor allem der Täter wert, um sich daran aufzugeilen, das Opfer hat anderes im Sinn.

Sich damit auseinanderzusetzen, finde ich, wie gesagt, nicht nur im Hinblick aufs Schreiben wichtig, sondern im Hinblick aufs Menschsein insgesamt. Sie alle wohnen in uns: Täter, Opfer und Held. Leider gehört es in unserer Kultur dazu, daß wir die tugendhafte Heldenrolle als selbstverständlich ansehen und nicht hinterfragen, wogegen wir vor der Täterrolle die Augen verschließen und sie daher genausowenig hinterfragen. Darum erwischt uns der innere Täter manchmal unvorbereitet, während der innere Held schläft, weil er eigentlich noch nie ernsthaft auf die Probe gestellt wurde. Von daher: laß deinen inneren Täter sich in deinen Seiten austoben, aber vergiß bei der Schilderung seiner Taten nicht die Sicht deines inneren Opfers oder Helden.

Runaway

Hochinteressantes Thema, muß ich schon sagen. Ich stell mir die Frage auch öfter und mache das mit mir und meinen Betas aus. Bisher hab ich auch noch nicht danebengelegen, aber man muß sich schon auch irgendwie damit auseinandersetzen, um ganz klar zu wissen, was man da überhaupt schreibt.
Will heißen: Für mich gibt es einen Unterschied zwischen körperlicher Brutalität, bei der Blut fließt, und seelischer Grausamkeit. Das ist für mich auch die wichtigste Unterscheidung überhaupt.
Wenn Blut fließt, kann das meinetwegen gern in Strömen fließen - es wird mich nie so berühren wie seelische Grausamkeit. In meinem ersten Fantasyroman hat der Antagonist meiner Heldin mal eben den Arm gebrochen, weil er Lust dazu hatte, und dann hatte sie erst mal eine Weile Freude an dem offenen Bruch, bis sie Hilfe bekam. Ist gemein, aber verkraftbar.
Was weniger schön war: In meinem letzten Fantasyroman gab es einen ziemlich irren, fiesen König, der seine Soldaten auf Raubzüge geschickt hat und sich durchaus sehr gefreut hat, wenn die ihm ein paar hübsche Mädchen mitgebracht haben, über die er sich hermachen konnte. Eins dieser Mädchen war die Schwester meiner Prota - und nachdem die ihre Schwester dann unter großen Anstrengungen befreit hat, stand sie hilflos davor und wußte nicht, wie sie dem traumatisierten Mädchen helfen soll. Das fand ich sehr viel eindringlicher.

Getoppt wird das nur, wenn beides sich trifft - auch sowas hatte ich schon und da kriege ich bis heute eine Gänsehaut, wenn ich das lese. Da hat mein Protagonist nicht die geringste Schwierigkeit, den Mann brutal zu ermorden, der zuvor seine Frau gequält hat. Er läßt ihn auch betteln und flehen und metzelt ihn trotzdem nieder.
Das ist schon hart an der Grenze, aber ich hab's bewußt geschrieben, um auch die Frage zu stellen: Ist das noch okay? Oder überschreitet er da die Grenzen alles Zumutbaren und ist hinterher nicht besser als derjenige, den er da umbringt?

Und das ist der springende Punkt. Was möchte man denn mit Brutalität und Gewalt transportieren? Ist das alles bloß Selbstzweck? Oder möchte man damit eine Botschaft rüberbringen? Ich hab zum Beispiel gar nichts gegen die detaillierte Beschreibung von Gewalt, wenn sie einen kathartischen Effekt bewirken und abschrecken soll. Das ist ganz klar eine Frage der persönlichen Vorlieben, aber die Welt ist nun mal nicht immer nur lieb und schön und ich habe nichts dagegen, mich damit auseinanderzusetzen.
Wo ich allerdings eine absolute Grenze habe, ist Ekel. Blut - ok. Seelische Grausamkeit - auch ok. Aber wenn's anfängt, eklig zu werden, steige ich aus.
Nur als Beispiel: Ich hab mir problemlos Saw 1-3 angeguckt, aber 4 war mir einfach zu eklig. Wer ihn kennt, wird wissen, was ich meine, wenn ich jetzt "Schwein" sage... brrr. Damit war das Ding für mich echt erledigt.


Zitat von: Steffi am 07. Oktober 2011, 09:06:34
In einem Thriller über Serienmörder und Profiler erwarte ich mehr brutale Morde als in Harry Potter, mal ganz doof gesagt.
Genau so einen Thriller habe ich ja geschrieben und irgendwo ist es natürlich auch genretypisch, daß es Morde gibt und sich jemand mit denen auseinandersetzt. Sonst wär's ja kein Thriller. Die genaue Schilderung der Ereignisse transportiert da natürlich auch was und es ist schon nervenzerrend, wenn die Profilerin sich erst detailliert mit den kranken Ideen des Mörders auseinandersetzt und sich ihm hinterher selbst gegenübersieht. Da betet der Leser dann schon mal für sie.
In diesem Moment ist die Schilderung grausamer Ereignisse natürlich ganz banal ein Mittel zur Spannungserzeugung und das finde ich auch legitim, wenn Gewalt nicht verherrlicht wird oder zum Selbstzweck verkommt. Und außerdem ging es dabei immer um die psychologische Komponente, um einen Erklärungsversuch. Keinen Verständnisversuch!
Ich habe unterschiedliche Rückmeldungen bekommen, die immer abhängig waren von der Persönlichkeit des Lesers. Die meisten fanden es angemessen, aber genauso gab es auch Reaktionen von "da hätte auch noch mehr kommen können" bis "das war mir so schon zuviel".

Aber ich muß auch Farean zustimmen: Interessant ist auch, sich selbst damit beim Schreiben auseinanderzusetzen. Ich hab mich auch gefragt: Was sagt es über mich, daß ich mir sowas ausdenken und hinschreiben kann?
Meine Schlußfolgerung war: Daß ich anscheinend abgebrüht genug bin, mich damit auseinanderzusetzen und daß ich auch etwas transportieren kann, das mir fremd ist.
Natürlich hab ich auch irgendwann gezuckt, als es darum ging, die Erlebnisse eines Mädchens zu beschreiben, das sein Dasein acht Jahre in einem Keller gefristet hat und da natürlich nicht gerade schöne Dinge erlebt hat. Aber meine Beschreibung ging immer nur so weit, daß ich sie selbst noch aushalten konnte und das ist ein ganz guter Indikator dafür, was geht und was nicht. Da muß man sich schon ein bißchen vertrauen.

Zitat von: Farean am 07. Oktober 2011, 10:34:46
Leider gehört es in unserer Kultur dazu, daß wir die tugendhafte Heldenrolle als selbstverständlich ansehen und nicht hinterfragen, wogegen wir vor der Täterrolle die Augen verschließen und sie daher genausowenig hinterfragen.
Genauso sieht es nämlich aus. Ich für meinen Teil war die plakativen, nicht erklärten Romanbösewichte satt und scheue die Auseinandersetzung mit dem "Bösen" nicht. Es gehört einfach dazu.

Sanjani

@Luna: Ich habe ja auch nicht behauptet, dass es überhaupt nicht nötig gewesen wäre die Gewalt zu schildern, aber Darielle fragte ja "wie viel" und mir persönlich war es einfach viel zu viel. Ich bin da aber vielleicht auch etwas zart besaitet, gebe ich gerne zu. Ich fand es auch ziemlich grenzwertig, dass er nach der ganzen Tortur noch in der Lage war die Mord Sith auf irgendeine verdrehte Weise zu verstehen. Für mich war das - hmmm, wie soll ich sagen? - irgendwie übermenschlich, also für einen Buchhelden schon irgendwie denkbar, aber gleichzeitig nicht realistisch.

@Farean: Eine Vergewaltigungsszene habe ich auch schon mal geschrieben. Auch aus der Sicht des Opfers. Ich hatte sie zuerst so, dass ich die Berührungen des Täters mit drin hatte, also nicht genau ins Detail, aber schon so dieses hilflose Ausgeliefertsein, wenn er die Frau begrapscht und küsst usw. Und natürlich dann auch die Gefühlswelt, dass sie sich z. B. wehrt und dann versucht wegzudenken. Ich habe dann irgendwann angefangen dieses Buch als Fortsetzungsroman in einer Blindenzeitschrift zu veröffentlichen und als ich bei der Szene ankam, habe ich sie noch mal umgeschrieben und die körperlichen Details, die drin waren, auch noch rausgestrichen. Das war für mich eine interessante Erfahrung, weil ich mich mit der Szene schon beim ersten Schreiben sehr schwer getan habe - ich fand sie nicht authentisch (hatte mich auch an anderen Büchern orientiert) und dann, als sie öffentlich werden sollte, war sie mir irgendwie peinlich und ich wollte sie so nicht mehr haben. Eine Leserin hat mir dann zurückgemeldet, dass sie u. a. diese Szene sehr eindringlich fand, obwohl sie durch das Umschreiben teilweise eher auf eine metaphorische Ebene gelangte. Und ich bin damit jetzt auch einverstanden.

Ich denke, runterschreiben ist erst mal am besten, dann sieht man, wie man sich fühlt, wenn man es einem Beta gibt, und dann, falls angedacht, ob man es gegenüber einem Verlag vertreten kann und zuletzt auch gegenüber dem öffentlichen Leser.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)