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Plotten mit der Heldenreise

Begonnen von Hanna, 04. Oktober 2009, 22:16:18

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chaosqueen

Ich hab gerade mal die Heldenreise auf mein aktuelles Projekt angewandt - bin die Punkte durchgegangen und hab geprüft, ob sie vorhanden sind. Neun von zehn treffen bereits zu, einer fehlt noch, wird aber kommen.

Krass, dass man anscheinend so sehr in diesen Strukturen denkt, dass man sie ohne sie bewusst zu kennen trotzdem anwendet! :o

(Ich bin jetzt nur auf den Link im Eingangsposting eingegangen, die durchaus interessanten Beiträge zu NLP etc. hab ich quer gelesen, dazu muss ich wacher sein).

Debbie

Außer Campbell, kann ich auch noch James N. Frey (ja, das ist der, der "Wie man einen verdammt guten Roman schreibt" schrieb  ;)) empfehlen. Sein Buch "The key" geht auf etwas modernere Art auf das Thema ein. Da ich die meisten Ratschläge darin als logisch empfand, war es für mich jetzt nicht unbedingt ein Augenöffner... Aber es hilft sicher wenn man sich eingehender mit dem Thema beschäftigen möchte und nach einer methodischen Herangehensweise sucht  :lehrer:

Ich kann aus Erfahrung sagen, dass ich Geschichten, die der Struktur der Heldenreise weitgehend/komplett folgen, lieber lese, als andere. Wenn ich eine Geschichte lese, die dem Muster nicht folgt, bleibt hinterher das Gefühl "es hätte etwas gefehlt" - ein unterbewusster Vorgang, den ich wohl nicht steuern kann  :-\
Wahrscheinlich resultiert auch meine Vorliebe für Fantasy aus dieser Präferenz - denn im Fantasy-Genre findet man diese Struktur wohl am häufigsten.

Tatsächlich folgen bereits die ältesten Mythen und Epen dieser Struktur - und im weitesten Sinne betrachtet, ist Fantasy ja nichts anderes als die Weiterentwicklung bzw. Neuauflage des Mythos. Geschichten die nach diesem Schema aufgebaut sind, behandeln immer (in unterschiedlich starker Ausprägung) die grundlegenden Fragen des Menschseins, was sicherlich ihre Faszination ausmacht.



Rika

Endlich komme ich dazu, diesen Thread mal zu lesen, ich hatte ihn schon seit Dezember offen... wow, spannend!
Mir ist die Heldenreise glaube ich als erstes im Tarot begegnet, als ich da mal hineingeschnuppert habe.

Zanoni - lieben Dank für dein Studiumsbeispiel, das finde ich sehr anschaulich und gut übertragen!

Tintenweberin, Kamen, euer Zwiegespäch über Heldenreisenworkshops finde ich höchst faszinierend. Ich glaube, so einen Workshop würde ich sehr gern (und sicherlich/hoffentlich sehr gewinnbringend) mal mitmachen, erleben. Kamen, in mancher Hinsicht beneide ich dich ein wenig um diese Erfahrung. Gerade in meiner Jungen Erwachsenenzeit hatte ich immer das Gefühl, daß mir Mentoren fehlten, und vielleicht auch Initiationsriten - ich fühlte mich irgendwie nie bereit, nie richtig "angekommen". Hm... und zumindest zum Teil ist das immernoch der Fall.

Um auf Zanoni's Beispiel zurückzukommen, hänge ich zum Teil wohl immernoch in der Weigerung, die damals normale Welt zu verlassen und mich dem Studium zu stellen, fest, und das Gefühl, Herr meiner/einer Welt zu sein ist mir, trotz inzwischen abgeschlossenem Studium, fremd.

Mmm, wirklich ein spannendes Thema, sowohl für mich persönlich, also auch mit dem Gedanke, mir meine "Raliska" mal daraufhin anzugucken.

Zanoni

Yep ... die Heldenreise ist wirklich eine erstaunliche Sache ... und wird sogar noch immer erstaunlicher, je intensiver man sich mit ihr beschäftigt.

Offensichtlich ist es eine Struktur, die tief in uns verankert ist - wie auch immer das im Detail angelegt sein mag. Wir "ticken" so. Deshalb tendieren wir zu dieser Struktur, auch wenn wir sie überhaupt nicht kennen. Beim Schreiben genauso wie im richtigen Leben.

Der Grund dafür, warum das Heldenreiseschema so gut zur Fantasy zu passen scheint, ist vermutlich in der Verkörperung der jeweiligen Archetypen zu finden. Der Herold, der dem Ruf des Abenteuers überbringt, kann in einer Fantasy-Geschichte schließlich wirklich ein berittener Herold sein, des jeweiligen Königs zum Beispiel. Der/die Protagonist/in ist wirklich ein/e Heroe, der Mentor ein alter Merlin-Zauberer ... usw. usw. ... die Verbindung zwischen der symbolischen Figur und einer in der Geschichte tatsächlich vorkommenden Figur ist offensichtlicher.

Und speziell @Rika:
Mentoren gibt es überall. Das Tintenzirkelforum ist bspw. voll davon. ;-)

Genau genommen ist jeder von uns irgendwann Held und irgendwann anders Mentor, wir sind alle irgendwann Herold und irgendwann auch der Hüter der Schwelle, der den Held auf die Probe stellt. In den allermeisten Fällen sind wir uns dessen nur einfach nicht bewusst.

Und wenn man in bestimmten Bereichen das Gefühl hat, noch nicht zum "Herrn beider Welten" geworden zu sein, dann ist diese Heldenreise wahrscheinlich tatsächlich noch nicht abgeschlossen. Wir sind dann vermutlich noch mittendrin im Abenteuer ... fragt sich nur auf welcher Stufe der Reise.

Cherubim

HILFE ich stehe total auf den Schlauch.

Da ich bei einem Plot nicht weiterkomme habe ich mich gestern Abend mal intensiv mit der Heldenreise beschäftigt. Das klingt auch alles ganz logisch und hat mir wirklich weiter geholfen. Bis ich bei den Punkt 10 und 11 gelandet bin.

Ehrlich gesagt verstehe ich mich genau was damit gemeint ist. Der Held hat bis dahin schon seinen Gegner besiegt und die Belohnung bekommen. Was und wieso soll dann noch passieren?
Wie gesagt ich hänge da total und das macht mich gerade wahnsinnig.

zDatze

#35
Punkt 10 und 11 (nach Campbell) verstehe ich so, dass der Held sich nun wieder im Alltag einfinden muss. An dieser Stelle kannst du wunderbar aufzeigen, wie sich deine Figur im Laufe der Geschichte verändert hat, da du ihn wieder mit seinem "alten Leben" konfrontierst.

Churke

Zitat von: Cherubim am 14. August 2013, 11:14:00
Der Held hat bis dahin schon seinen Gegner besiegt und die Belohnung bekommen. Was und wieso soll dann noch passieren?

Die Heldenreise beginnt mit dem Verlassen der Alltagswelt und endet mit der Rückkehr in diese. Der Held hat gerade das Böse (TM) besiegt und die Welt gerettet und als er am Montag Morgen ins Büro kommt, ist der Chef immer noch der alte Armleuchter, die Kollegen mobben weiter um die Wette und die Unternehmensberater haben ihn als Minderleister ausgemacht...

FeeamPC

#37
Oder der Held stellt fest, dass nicht nur er sich geändert hat, sondern auch die Welt (durch seine Heldentaten), und dass er Schwierigkeiten hat, sich mit dieser veränderten Welt abzufinden bzw. seinen Platz darin zu finden.

Oder: Alles prima mit der Weltrettung, aber daraus ergibt sich ein persönliches Problem, das vorher ganz klein war und jetzt plötzlich riesig und fast unüberwindbar wird- z.B. hat die Prinzessin den Helden geliebt, solange er schüchtern und unbekannt war, aber jetzt, wo er der bekannte Held ist, geht sie ihm unerklärlicherweise aus dem Weg...

Zanoni

ZitatWas und wieso soll dann noch passieren?
Handlungsmäßig passiert an dieser Stelle (in den meisten Fällen) wirklich nicht mehr allzu viel. Es ist, wie einige schon sagten, eine Rückkehr in die "alte Welt". Einige sprechen auch davon, dass der Held (im Idealfall) zum "Herrn beider Welten" geworden ist.

Ausgangspunkt ist die "normale Welt" (die "alte). Dann geschieht etwas Neues/Dramatisches, was dazu führt, dass der Held diese "normale Welt" verlassen will/muss. Er überschreitet die "Schwelle zur anderen Welt" und erlebt dort sein Abenteuer. Irgendetwas erhält er meist als "Belohnung", wenn er das Abenteuer erfolgreich bestanden hat ... einen Gegenstand, eine Fähigkeit, eine Freundschaft, einen geliebten Menschen, Macht, Wissen oder andere "innere" Werte. Diese "Belohnung" muss er dann in die alte, frühere normale Welt mit zurückbringen. Damit er nach seiner Rückkehr auch wirklich etwas davon hat.

Auf diesem Weg zurück wird er oft nocheinmal "auf die Probe" gestellt ... in sehr viel kleinerem Ausmaße als beim zentralen Konflikt, aber im Kern geht es um das gleiche.

Beispiel: Der ausgeschaltete Oberbösewicht ist doch noch nicht ganz ausgeschaltet und versucht sich ein letztes Mal ihm in den Weg zu stellen. Oder wenn der Held eine neue Fähigkeit gelernt hat, muss er beweisen, dass er sie auch tatsächlich anzuwenden vermag. Ein allerletzter kleiner "Beweis" sozusagen. Aber wirklich nur klein - das reicht aus. Bei einem 90-minütigen Spielfilm machen die letzten Stufen der Heldenreise meist nur die letzten 5 Minuten aus.

Interessanterweise gibt es aber einen Unterschied zwischen westlichen und östlichen Kulturen, was diese letzten Stufen des Heldenreisemodells angeht. Während der Held im Westen meist in die gewohnte, alte Welt zurückkehrt, bleibt er im Osten meist in der anderen Welt und kehrt nicht zurück. Das zeigt schön deutlich, wie flexibel das Heldenreisemodell ist. Man kann die letzten Stufen ruhig weglassen, wenn man meint, seine Geschichte brauche sie nicht - kein Problem.


Adam_Charvelll

Auch ich habe mich im Verlauf meines Studiums mit Helden, insbesondere in der Kinder- und Jugendliteratur, beschäftigt und kann neben Campbell auch Vogler zum Anhalten empfehlen, der die typischen Punkte einer Heldenreise als "The Hero's Journey" formuliert hat (an Campbell angelehnt):

Act One: Separation

Ordinary World : Limited Awareness of a Problem

Call to Adventure : Increased Awareness

Refusal of the Call : Reluctance to Change

Meeting with the Mentor : Overcoming Reluctance

Crossing the First Threshold : Committing to Change


Act Two: Descent and Initiation

Tests, Allies, Enemies : Experimenting with First Change

Approach to the Inmost Cave : Preparing for Big Change

Ordeal : Attempting Big Change

Reward : Consequences of the Attempt


Act Three: Return

The Road Back : Rededication to Change

Ressurection : Final Attempt at Big Change

Return with the Elixir : Final Mastery of the Problem

Auch auf Wiki zu finden: http://de.wikipedia.org/wiki/Heldenreise#Der_Zyklus_der_Heldenreise_nach_Vogler

Auch ich bin Fan dieser strukturierten Heldenreisen und seit ich damit zu tun hatte, sehe ich dieses Muster auch immer wieder ;) Die Strukturierung ist sicher nützlich, allzu eng muss man sich aber nicht daran halten, da einige Punkte auch anders umgesetzt werden können.

Cherubim

Danke für eure Antworten. Da war ich mit meinen Gedanken gar nicht so falsch. Ehrlich gesagt sind das die Punkte wo ich mir in den Filmen oft denke, das hättet ihr euch jetzt sparen können. Mal sehen ob ich mit diesen Punkte noch anfreunden kann.

Danke für eure Denkhilfe.

Junipera

@Cherubim:
Mir helfen immer konkrete Beispiele zu den einzelnen Punkten der Heldenreise.
Ich muss bei den letzten beiden Punkten immer an den ersten Teil von Narnia denken. Ab dem Tod der weißen Hexe. Als letzte Prüfung würde ich hier die endgültige Versöhnung von den beiden Brüdern sehen. (Punkt 11)
Sie alle sind die Könige/Königinnen von Narnia, werden dort erwachsen und dann auf der Jagd mit ihrem alten Leben konfrontiert, die Laterne im Wald.
Und Sie finden den Weg zurück durch den Schrank um festzustellen dass in ihrer Welt keine Zeit vergangen ist. Jetzt heißt es also in der alten Welt das Leben zu meistern und das erlernte umzusetzen. (Punkt12)

Liebe Grüße Juni

Chris

#42
In dem wunderbaren Buch 45 Master Characters (ein Tipp hier aus dem Tintenzirkel - DANKE!)

http://www.amazon.de/Master-Characters-Victoria-Lynn-Schmidt/dp/1582975221/ref=sr_1_cc_1?s=aps&ie=UTF8&qid=1376664140&sr=1-1-catcorr&keywords=45+master+characters

stellt die Autorin zum Schluss zwei Modelle der Heldenreise vor - sehr detailliert:
einmal die weibliche Heldenreise - ein Beispiel dafür ist die Titanic
einmal die männliche Heldenreise - klar, da denkt man sofort an den Herrn der Ringe  ;)

Liebe Grüße
Chris

Christopher

Hm, definitiv interessant. Ich hab mal versucht das ganze auf meinen Roman zu münzen, das passt allerdings so überhaupt nicht. Könnte aber auch daran liegen, dass meine Protagonistin eben kein "Held" ist ;D
Be brave, dont tryhard.

Cailyn

Alle meine 3 Haupterzählstränge verlaufen genau nach diesem Schema. Fast Puntk für Punkt. Ich find das aber fast eher gruselig als ermutigend... :schuldig: