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Plotten mit der Heldenreise

Begonnen von Hanna, 04. Oktober 2009, 22:16:18

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Dämmerungshexe

Die Heldenreise ist auch mir bei meinen Recherchen fürs Studium schon mehrfach untergekommen.
Und ebenso zahlreiche andere Strukturen, an denen man sich entlanghangeln kann.
In vielen Fällen sind sie sich sehr ähnlich, und ich habe mal einen schönen Begriff dafür gefunden: Monomythos - die eine große Geschichte, die immer und immer wieder mit anderen Schauspielern und Requisiten erzählt wird. Lässt sich auf sehr viele Bücher, Filme, Spiele ... anwenden, passt fast immer.
(Wer sich für weitere solche Erzählstrukturen interessiert: Aristoteles Poetiks, Gustav Freytag, Vladimir Propp, Tzvetan Todorov ...)

Eine Erklärung für diese immer gleich bleibende Struktur habe ich auch in einem Buch gefunden, dessen Titel und Autor mir gerade entfallen sind. Da wurde die These aufgestellt, dass das Geschichtenerzählen an sich ein Versuch ist, den Menschen mit seinem innersten/wahren Selbst wieder zusammenzuführen und somit zu heilen. Angeblich geht das auf den Schamanismus und ähnliches zurück. Aus diesem Grund sind Erzählungen wie ein Ritual aufgebaut, also folgen einer festen Struktur.
Davon ausgehend, dass auch Aristoteles das Drama als Mittel betrachtet hat, den Menschen Werte zu vermitteln (also eigentlich auch mit ihrem inneren/guten Selbst in Einklang zu bringen), halte ich diese Idee für relativ naheliegend. Ich bin ja Vertreter der Ansicht, dass eine Geschichte für den Leser (oder das Publikum an sich) immer einen "Wert" haben sollte, eine Botschaft, oder einen Anstoß. Sonst ist es reine Unterhaltung.
(Ob ich meine eigene Maxime immer erfülle ist leider eine andere Frage ...)
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Zanoni

Es handelt sich zwar um ein bereits sehr altes Thema, aber ich hoffe, es geht trotzdem in Ordnung, wenn es wieder aus der Versenkung heraushole. Denn eigentlich handelt es sich dabei bei der darin angesprochenen Heldenreise um ein extrem nützliches Dramturgiekonzepte - insbesondere für das phantastische Genre.

Also, ich gebe offen zu, ein Fan dieser Heldenreise zu sein. Nein, genau genommen sogar mehr als das ... ich habe ihre sozusagen gänzlich in mich aufgesogen, nachdem ich mich einmal näher mit ihr beschäftigt hatte. Egal, was ich mache - ob Kurzgeschichte oder sogar sachliche Texte - als erstes definiere ich für mich die typischen zwölf Stufen der Heldenreise. Und bisher habe ich auch nur gute Erfahrungen damit gemacht. Man kann mit ihrer Hilfe deutlich mehr Tiefe in eine Geschichte hineinbringen.

Natürlich gibt es reichlich Kritik an dem Heldenreiseprinzip, wie schon erwähnt wurde, aber das liegt vermutlich darin begründet, dass sie mit herkömmlichen Dramaturgiekonzepten in einen Topf geworfen wird und viele annehmen, man müsse sich sklavisch danach richten. Beides wird ihr aber nicht gerecht.

Während sich viele klassische Dramaturgiekonzepte (wie bspw. das Drei-Akt-Modell) in erster Linie mit der äußeren Handlung einer Geschichte beschäftigen, ist die Heldenreise ein Strukturmodell der inneren Prozesse. Oder anders formuliert: Ihre Elemente richten sich nicht an unseren Verstand, sondern können tief in uns etwas berühren und sozusagen zum Schwingen bringen.

Im Idealfall ist es ja so, dass die äußeren Geschehnisse, mit denen unsere Hauptfigur konfrontiert wird, immer auch etwas mit ihr selbst zu tun haben. Was sich im Äusseren abspielt, kann ein Spiegel dessen sein, was sich in ihrem Innern abspielt. So etwas hinzubekommen, ist wahrscheinlich die ganz große Kunst. Und genau da kann die Beschäftigung mit der Heldenreise unheimlich hilfreich sein. Vorausgesetzt man nimmt sie nicht allzu wörtlich und benutzt sie nicht holzschnitzartig. Das Heldenreiseprinzip ist in der Praxis überaus dehnbar und flexibal. In den meisten Fällen ist sogar unproblematisch verschiedene Schritte gegeneinander auszutauschen oder einzelne gänzlich auszulassen.

Meines Erachtens funktioniert sie deshalb so gut, weil sie mit uns - als Mensch - sehr viel zu tun hat ... wie wir ticken, wie wir leben, lernen und unsere eigenen "Abenteuer des Alltags" bestreiten. Ähnliches gilt für die Archetypen und anderes, was damit noch zusammenhängt.

Aber gut, bevor ich hier gänzlich in einen lobhudlerischen Roman ausschweife, lasse ich es wohl besser erst einmal dabei.

Nur einen Tipp noch am Rande:
Joseph Campbells "Heros in tausend Gestalten" ist sicherlich eine sehr gute Quelle für diese Heldenreise, allerdings auch sehr unkonkret für die Praxis, und damit möglicherweise nicht gerade die beste Einstiegliteratur zu diesem Thema. Christopher Voglers "Odysee eines Drehbuchschreibers" ist deutlich praxisnäher, aber beschäftigt sich halt in erster Linie mit dem Film und dessen Besonderheiten. Ganz anders hingegen: "The Key - Die Kraft des Mythos" von James N. Frey. Darin geht es ganz speziell um das Schreiben von Romanen und der Autor vermittelt die Prinzipien der Heldenreise - und wie man sie nutzen kann - auf sehr anschauliche, praktische Art und Weise. Sein Stil ist vielleicht nicht jedermanns Sache, und Campbells Buch hat deutlich mehr Tiefgang, aber sein grosses Plus ist die Praxistauglichkeit.


Viele Grüße

Tintenweberin

Wie Schade, dass mir dieser Diskussionsansatz im NaNo-Fieber durch die Lappen gegangen ist, aber zum Glück kann man in einem Forum jederzeit alles wieder aufgreifen, auch wenn es vor nahezu sechs Wochen angesprochen wurde.

Nach dem Prinzip, das Joseph Campbell in seinem "Heros in 1000 Gestalten" ausgeführt hat, hat der Theatertherapeut Paul Rebillot eine Selbsterfahrungswoche erarbeitet, bei dem jeder Teilnehmer dem Monomythos des Helden in seiner eigenen Person und in seinem Leben nachspürt. Dieses Seminar hat meine "Schreibe" tatsächlich noch mal auf ein ganz anderes Niveau gebracht, und im Rahmen meiner gestalttherapeutischen Ausbildung habe ich schon öfter darüber nachgedacht, eine Heldenreise speziell für Autoren zu entwickeln.

Falls sich jemand für dieses Thema (oder sogar für das Seminar) interessiert, könnten wir vielleicht an dieser Stelle gemeinsam darüber nachdenken, was in so einem Spezial-Seminar für Autoren auf jeden Fall mit dabei sein sollte.

Kamen

Heldenreise! Toll! Ich habe bis jetzt eine mitgemacht! Und es war eine unglaubliche Erfahrung!
Mein Freund hat sich schon einiger Reisen (Heldenreise, Krafttier, etc) unterzogen und war jedes Mal aufs Neue fasziniert. Wenn du eine spezielle für Autoren entwickeln möchtest, Tintenweberin, wäre ich auf jeden Fall sehr daran interessiert! Mein Freund macht NLP (sagt dir das was?) und hat mir schon viel erzählt und beibringen können. Da will er auf jeden Fall seinen Meister machen und überlegt ebenfalls, eine Heldenreise zu entwickeln. In seiner Live-Rollenspielgruppe hat er schon drei Heldenreisen begleitet. Das war sehr spannend, da die Spieler sowohl in- wie outtime extrem ergriffen waren, obwohl sie selbst wenig damit anfangen konnten, anfangs.
Das Eiserne Buch erinnert an damals, als die Welt brannte, selbst hier tief im Meer...

Tintenweberin

#19
Oh ja, NLP-lerin bin ich auch und der Kollege, der die Ausbildungs-Heldenreise mit mir zusammen erarbeiten will, ist nicht nur Schreiber sondern auch NLP-Trainer. Das sieht so aus, als könnten wir durchaus zusammenkommen....   ;)

Wo hast du denn deine Heldenreise gemacht, Kamen? Magst ein bisschen mehr über das Format und den Umfang erzählen? Das Krafttier klingt für mich nach einer schamanischen Trommelreise. Hat er vielleicht (auch) eine Visionssuche gemacht ...?

Ich komme ausbildungstechnisch übrigens von da -->  http://www.heldenreise.de/content/seminare/heldenreise.aspx

Alana

#20
Ein sehr interessantes Thema!

Besonders für die innere Entwicklung kann ich mir eine Heldenreise gut vorstellen. Ich werde das auf jeden Fall mal durchgehen.

Mich würde das mit den 20 Masterplots auch interessieren. Das Buch ist übrigens auf Englisch noch zu haben und mittlerweile auch als Kindle-Edition. Ich denke, das werde ich mir auch holen. (20 Master Plots and how to build them)
Alhambrana

Kamen

Die Heldenreise habe ich vor über 15 Jahren in Bremen, bei unserer damaligen Diakonin und deren NLP-Freundin gemacht. Leider leben beide nicht mehr :(
Unsere Heldenreise war sehr auf uns Jugendliche/Kinder gemünzt und ist wahrscheinlich weniger tief gegangen. Ich erinnere mich noch daran, dass es ein Wochenende in einem schönen Haus mitten im Wald war, wo wir uns auf die Reise selbst - die Samstag am späten Nachmittag stattfand - vorbereitet haben. Es ging in der Vorbereitung vor allem darum, dass wir uns auf das Thema einlassen konnten. Wir - es waren glaube ich 10 Jugendliche - haben vorher in kleinen Gruppen über unsere Erfahrungen mit Fantasie-Reisen gesprochen und dazu einiges zusammen getragen. Und unsere Diakonin hat uns dann erklärt, wie wir uns am besten auf die Heldenreise einlassen können.
Leider weiß ich nicht mehr so unglaublich viel über das Konzept/Format, da es für uns und unsere Diakonin ziemliches Neuland war.


Die Krafttierreise ist tatsächlich eine schamanische Reise gewesen. Mein Freund ist Schamane mit Leib und Seele und nimmt viele Ansätze aus dem Schamanismus, um in seinem Live-Rollenspiel einen Sami zu spielen. Dort trommelt er sich auch oft in Trance. Das ist für die Außenstehenden total spannend und unheimlich zugleich, aber er ist dann wirklich in einer Art Trance und spielt das nicht nur. Es ist immer jemand dabei, der/die ihn zur Not "zurück" holen kann.
Ich glaube, die Visionssuche hat er auch schon gemacht. Ist bei ihm auch ein paar Jahre her, aber er will unbedingt da weiter machen.

:) Das ist ja echt spannend, dass du auch NLP-lerin bist. Ich hab dazu erst seit einem knappen Jahr Kontakt, eben durch seine Ausbildung. Ich war sozusagen immer seine "Hausaufgabe" und hab mich komplett drauf einlassen können. NLP ist für mich ein absolut spannendes Thema!
Das Eiserne Buch erinnert an damals, als die Welt brannte, selbst hier tief im Meer...

Tintenweberin

@Alana: Zu dem Zusammenhang zwischen äußerer Handlung und innerer Entwicklung bei einer Heldenreise kann ich dir die Bücher von Paul Rebillot (Die Heldenreise) und Franz Mittermair (Neue Helden braucht das Land) empfehlen. Sie bringen die Themen ziemlich knackig auf den Punkt ohne oberflächlich zu werden.

@Kamen: NLP, Schamanismus und Live-Rollenspiel klingt nach einer interessanten Mischung. Wenn dann noch eine Fantasy-Autorin dazu kommt, sollte euch der Stoff im Verlauf der nächsten hundert Jahre nicht ausgehen.

Eine Heldenreise für Kinder und Jugendliche halte ich für eine wunderbare Idee. Herzlichen Glückwunsch zu den beiden Frauen, die dir und anderen diese Erfahrung ermöglicht haben. Vermutlich war das Herzstück eurer Heldenreise am Samstag Nachmittag eine längere Traumreise, die die Vorbereitungen für euch zu einem faszinierenden, mitreißenden Erlebnis gemacht haben.

In dem Fünf-Tage-Seminar geht es zeitweise wie auf einem Live-Rollenspiel zu (z.B. beim Heldenbankett, bei der Dämonenparty oder bei der Konfrontation an der Schwelle). Aber es gibt auch lange schweißtreibende Bewegungs- oder Tanzmeditationen (z.B. bei der Besteigung des goldenen Berges und bei der Reise durch das Land der Wunder). Ich denke, wenn wir das Programm ein bisschen strecken, damit an allen Tagen ein paar Stunden Schreibpause "abfallen", könnten die Heldinnen und Helden nach sieben Tagen mit einem durchlebten inneren Prozess und einem lebendigen äußeren Plot nach Hause gehen.

Kamen

Tintenweberin, ich glaube auch, dass eine ganze Woche für euer Projekt eine sehr gute Zeit ist. Diese "anstrengenden" Sachen haben wir damals definitiv nicht gemacht.
Sieben Tage voller Schreiben, Träumen, lernen, leben, Rollenspielen, erleben und austauschen dürfte jede/n Teilnehmer/in am Ende mit einem ausgefüllten Geist und einem zufriedenen Gefühl nach Hause gehen.

Mein Freund und ich sind ein sehr gutes Team mittlerweile. Egal ob beim Plotten (er hat mir beim NaNo sehr geholfen), beim Rollenspiel oder einfach beim Fantasy-Entwickeln. Ich verstehe noch nicht so viel vom Schamanismus, aber ich bin eine stille Beobachterin seiner Arbeit.
Unser Traum ist es, einmal zu den Sami für einen oder zwei Monate. Dann aber wirklich Inari. Ich selbst bin wohl zu sehr Stadtkind, dass ich es so lange aushalte, in der "Pampa" zu sein, aber ich werde mich dann nach einer kurzen Zeit nach Rovaniemi zurückziehen. Mit unserem Sohn natürlich. Mein Freund setzt sich sehr intensiv für die Sami ein und lernt sogar ihre Sprache.

Diese beiden Frauen, die mit uns die Reise gemacht haben, fehlen mir sehr in meinem Leben. Dabei sind sie schon seit über fünf Jahren nicht mehr auf dieser Welt. Meine Diakonin war meine Mentorin in allen Dingen, die nichts mit dem rationalen Leben zu tun hatten. Sie hat mir gezeigt, was man mit Musik, Tanz, Rollenspiel, Kunst, Selbstbewußtsein und innerer Stärke alles im Leben erreichen kann. Ich halte ihr Andenken sehr hoch :)
Einzelheiten zu meiner eigenen Reise kommen im Moment, wo ich hier schreibe, immer mehr hoch. Das freut mich irgendwie. So lange trage ich diese Reise schon in mir, aber scheinbar musste jemand wie du kommen, damit sie wieder präsent ist :)
Das Eiserne Buch erinnert an damals, als die Welt brannte, selbst hier tief im Meer...

Alana

@Tintenweberin: Vielen Dank für die Tipps!
Alhambrana

Tintenweberin

#25
Zitat von: Kamen am 15. Dezember 2011, 10:48:58
Diese beiden Frauen, die mit uns die Reise gemacht haben, fehlen mir sehr in meinem Leben. Dabei sind sie schon seit über fünf Jahren nicht mehr auf dieser Welt. Meine Diakonin war meine Mentorin in allen Dingen, die nichts mit dem rationalen Leben zu tun hatten. Sie hat mir gezeigt, was man mit Musik, Tanz, Rollenspiel, Kunst, Selbstbewußtsein und innerer Stärke alles im Leben erreichen kann. Ich halte ihr Andenken sehr hoch :)

Was an anderer Stelle ganz sicher ot-isch wäre, passt zu diesem Thema sehr gut: Diese Frauen fehlen nicht dir, sondern dem Kind oder dem jungen Mädchen, das du einmal warst. Die Frau, die du heute bist, hat alles bekommen, was sie braucht, um das Andenken an diese wunderbaren Lehrerinnen lebendig zu halten. Gerade im Monomythos des Helden ist es oft so, dass der weise Mentor erst sterben muss, um dem jungen Helden zu zeigen, dass er die Quelle der Kraft schon längst in sich trägt. Wenn ich um einen Menschen trauere, der in seinem Leben noch so viel Gutes hätte tun können, dann tröstet mich der Gedanke, dass dieser Mensch sicher nicht gegangen wäre, wenn es nicht "anderswo" noch viel Wichtigeres für ihn zu tun gäbe ...   :knuddel:

@Alana: Wenn dir die Bücher zu teuer sind, kann ich sie dir auch leihen.

Zanoni

Hallo zusammen,

sehr interessant, was Ihr da zum Thema Heldenreise aus dem Bereich der Psychologie, NLP usw. zu sagen habt. Dass die Heldenreise auch in diesem Zusammenhang genutzt wird, war mir bis dato völlig unbekannt. Ich muss allerdings zugeben, mich bisher mit ihr wirklich nur im Zusammenhang mit dem "Geschichtenerzählen" (egal ob Roman, Film, Computerspiel oder sonstwas) beschäftigt zu haben. Das dafür dann aber um so eingehender.

Doch im Grunde ist der Gebrauch des Heldenreiseprinzips in der Psychologie ziemlich naheliegend, weil ja beides sehr viel miteinander zu tun hat.

Was mir übrigens noch länger durch den Kopf ging, war die hier irgendwann mal geäusserte Ansicht, die Heldenreise liesse sich nur auf typische Fantasy anwenden (den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr). Dazu wollte ich bei Gelegenheit noch mal ein konkretes Beispiel aus dem "ganz normalen Leben" bringen ... nun, vielleicht ist dies die passende Gelegenheit, wo das Thema gerade wieder aus der Versenkung zurück geholt wurde.

Beispiel Studium:

Das Studium ist vermutlich ein konkretes Beispiel aus dem normalen Leben, in das sich relativ viele Forenmitglieder hineinversetzen können. Wenn man nun die Prinzipien der Heldenreise auf das Studium anwendet, kann das so aussehen:

1. Ausgangspunkt ist die GEWOHNTE WELT des Helden.
Der Held (oder die Heldin, weil natürlich alle Figuren männlich oder weiblich sein können) ist in diesem Fall die Person, auf die das Studium zukommt. Die gewohnte Welt ist die Zeit vor dem Studium, also die Schulzeit, wo die Hauptfigur noch zu hause bei ihren Eltern wohnt. In einer Geschichte ist das der Teil, in dem man die Figur einführt und sie und ihr normales Leben beschreibt.

2. Der RUF DES ABENTEUERS erreicht den Helden.
Aber irgendwann geschieht etwas Neues und die Hauptfigur wird mit etwas konfrontiert, das ihr normales Leben verändern wird. Der Held erfährt vom "Studium". In diesem Zusammenhang wird gerne von der (symbolischen) Figur des "Herolds" gesprochen. Das ist jemand, der die Hauptfigur über das Neue informiert. Beim Beispiel des Studiums können das die Eltern sein, die irgendwann ein "ernstes" Gespräch mit der Hauptfigur führen und über die mögliche berufliche Zukunft - dem "Ernst des Lebens" - sprechen. Es könnte aber genauso gut ein Lehrer in der Schule sein, eine Berufsinformationsveranstaltung oder ein Gespräch unter Freunden. Wie auch immer: In jedem Fall taucht auf einmal "das Studium" auf und der Held dieses Abenteuers wird zum ersten Mal damit konfrontiert.

3. Die WEIGERUNG entweder des Helden selbst oder der Umstände.
Nun, wenn im Leben immer alles glatt gehen würde, dann wäre es doch ziemlich langweilig, oder? Nach diesem Motto läuft auch die 3. Stufe der Heldenreise ab. Entweder die Hauptfigur weigert sich, dem "Ruf des Abenteuers" zu folgen oder sie will es unbedingt, aber die Umstände weigern sich. In konkreten Beispiel könnte es so sein, dass der Held sehr viel Respekt vor einem Studium hat, vielleicht nicht das Elternhaus verlassen möchte oder kein Interesse daran hat, noch ein paar Jahre des Lernens anzuhängen und lieber gleich etwas Praktisches machen und Geld verdienen möchte. Der Held weigert sich. Oder die Hauptfigur will unbedingt studieren, aber hat Probleme damit die entsprechenden Noten zu erreichen. Denkbar wäre auch ein Elternhaus, das sich weigert, der Heldin das Studium zu finanzieren ... usw. usf. - viele Formen der Weigerung sind möglich.

4. Die BEGEGNUNG MIT DEM MENTOR ereignet sich.
Dann folgt unweigerlich die Begegnung mit dem Mentor. Von irgendwoher taucht plötzlich irgendwer unerwartet auf und unterstützt den Helden. Wenn sich die Umstände weigern, kann das in Form einer Hilfe sein, durch welche die Hürden weggeräumt werden. Eine spezielle Förderung, falls sich die Schulnoten weigern. Eine finanzielle Unterstützung, falls sich die Eltern weigern. Oder eine Empfehlung oder ähnliches, wenn sich kein Studienplatz findet. Dieser Mentor muss kein Mensch sein, es kann auch etwas Abstraktes sein, wie bspw. das Internet, wenn man plötzlich etwas findet, was einem weiterhilft, oder eine Instutition oder ein Stipendium - vieles ist denkbar. Wenn sich der Held weigert, dann besteht die Hilfe des Mentors darin, ihn anzutreiben und anzuschubsen, oder vielleicht auch zu motivieren oder ihn zu überzeugen. In einigen dieser Fälle kann die Hilfe des Mentors vom Helden durchaus auch als unangenehm empfunden werden, was sich am Ende allerdings dann doch meist zur Dankbarkeit wandelt, wenn der Held das Abenteuer erfolgreich bestanden hat.

5. Der Held beginnt mit dem ÜBERSCHREITEN DER SCHWELLE, nach der es kein Zurück mehr gibt.
Es kommt, wie es kommen muss: Irgendwann verlässt die Hauptfigur das Haus, zieht womöglich in eine völlig fremde Stadt, und überschreitet die magische Schwelle, die ihr bisheriges normales Leben von ihrem zukünftigen trennt. Die Hauptfigur stellt sich dem Abenteuer Studium, das sie erwartet. Sie betritt eine neue, die "andere Welt", die des Studiums. Der Held muss nun viele vollkommen neue Regeln lernen, die für diese andere gelten. Die ersten Schritte werden also meist etwas vorsichtig, und eher verhalten vor sich gehen. Es gibt natürlich auch Helden, die stürmen sofort los, aber selbst diese werden - durch entsprechende Geschehnisse - erkennen, dass sie neue Regeln zu lernen haben.

6. Daraufhin wird er vor ERSTE BEWÄHRUNGSPROBEN gestellt und trifft dabei auf VERBÜNDETE UND FEINDE.
Diese Phase kann man mit den ersten Tagen und Wochen des Studiums vergleichen. Die Bewährungsproben können die ersten Versuche sein, sich in dieser neuen Welt zurecht zu finden. Mal besteht man diese Proben, mal nicht, aber immer lernt man durch sie. Es kann auch das Heimweh sein, das die Hauptfigur packt. Oder das Gefühl auf einmal völlig allein zu sein. Es können die ersten Prüfungen sein, die man absolviert und vieles dergleichen mehr. Und natürlich findet die Heldin früher oder später auch neue Verbündete bzw. Freunde und Feinde bzw. Hürden, die sie überwinden muss. Ein "Feind" könnten bspw. die Studienbedingungen sein, ein unangenehmer Prof, schwere Stoffe oder katastrophale WG-Bedingungen. Die Freunde sind hingegen meistens wirklich befreundete Menschen oder in einigen Fällen auch günstige Umstände. Sofern es sich jedoch um andere Menschen handelt, dann ist der Ort, auf den der Held auf sie trifft noch ein sehr interessanter Punkt. In mythischen Geschichten sind es nämlich oftmals gastronomische Einrichtungen. Vermutlich ein Überbleibsel aus der Frühzeit, als sich Menschen bevorzugt an Wasserstellen trafen und diese zu ihren sozialen Treffpunkten machten. (Vielleicht sogar ein Grund dafür, warum sich auf Parties immer so viele ausgerechnet in der Küche versammeln *g*)

7. Nun beginnt das VORDRINGEN ZUR TIEFSTEN HÖHLE, in der der Held auf den Gegner trifft.
Diese tiefste Höhle und der Gegner sind im Falle des Studiums natürlich die Abschlussprüfung, als das, worum es beim gesamten Studium eigentlich geht. Sie ist der zentrale Höhepunkt dieses Abenteuers. Die Hauptfigur muss diese Herausforderung annehmen und sich ihr stellen. Deshalb kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem sie sich auf diese Herausforderung zu bewegen muss, der symbolische Marsch auf die tiefste Höhle (manchmal ist es auch der höchste Berg), wo die Heldin auf ihren Hauptgegner treffen wird. Von der Anmeldung zur Prüfung, der intensiven Vorbereitung, auch der Hilfe von Mitstreitern und Freunden, vielleicht mit dem einen oder anderen Stein, der durch die Widersacher noch in den Weg gelegt werden, bis zum alles entscheidenden Tag, an dem der Held ...

8. Hier findet die ENTSCHEIDENDE PRÜFUNG statt: Konfrontation und Überwindung des Gegners.
... den Prüfungssaal betritt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Die Hauptfigur wird mit dem Gegner, den Prüfungsaufgaben, konfrontiert. Nun muss sie beweisen, ob sie wirklich schon bereit dafür ist, diesen Gegner - in einem dramatischen Kampf selbstverständlich - zu überwinden. Dies ist der zentrale Höhepunkt des Abenteuers, auf diesen Moment hat alles hingeführt.

9. Der Held erhält die BELOHNUNG für die bestandene Prüfung.
Und selbstverständlich erhält die Hauptfigur ihre Belohnung, wenn sie im Kampf mit ihrem Gegner erfolgreich war. Sie besteht ihr Studium und erhält das lange ersehnte und hart erarbeitete Diplom. Das ist der mystische Schatz, den es finden galt, oder die symbolische Jungfrau, die in Märchen typischerweise von irgendwelchen Prinzen errettet wird. Diesen Moment sollte man als Autor auch ruhig etwas auskosten, denn er ist ja gleichzeitig auch die Belohnung des Lesers seines Romans, der während der gesamten vorherigen Handlung mit der Heldenfigur mitgefiebert hat.

10. Daraufhin tritt er den RÜCKWEG an.
Wer jedoch meint, mit dem Erhalt der Belohnung wäre schon alles vorbei, der irrt. Denn es folgt noch der Rückweg, aus der "anderen Welt" zurück in die "normale Welt". Der Held hat zwar seinen Schatz errungen, aber es ist klar, dass er nicht in der anderen Welt des Studium bleiben kann. Diese Zeit ist nun ebenfalls vorbei. Das Studium ist beendet. Das Abenteuer ist bestanden. Nun heisst es, sich von seinen Freunden zu verabschieden, wie auch von dieser besonderen anderen Welt, sich vielleicht sogar mit dem Hauptgegner oder einigen anderen Feinden zu versöhnen, und den Rückweg anzutreten.

11. Eine LETZTE PRÜFUNG hält den Helden noch einmal auf.

Um zum Schluss aber noch einmal ein klein wenig Spannung zu erzeugen, tritt häufig eine weitere, unerwartete Prüfung auf. Meist ist das eine deutliche kleinere Version des zentralen Konflikts, wenn auch nur symbolisch. Angenommen der Held hätte sich mit seinem Gegner versöhnt, dann könnte dieser plötzlich so tun als hätte er dem Helden nur etwas vorgemacht und getäuscht (egal ob das stimmt oder nicht). Man kann es als letzten kleinen Test sehen, um den Helden dahingehend zu prüfen, ob er auch wirklich verstanden hat, um was es ging. Wenn der Hauptgegner bspw. ein missgünstiger Prof wäre, dann könnte dieser vielleicht doch noch einen (kurzen) Versuch wagen, den Held zum Scheitern zu bringen, indem er behauptet, dieser hätte geschummelt oder ähnliches. In vielen Hollywood-Thrillern ist es hingegen so, dass der Hauptgegner zwar nach der entscheidenden Prüfung tot daliegt, sich dann aber plötzlich noch einmal aufrafft, weil er eben doch noch nicht ganz tot war. Das zeigt in etwa an, wie klein diese letzte Prüfung gemessen an der entscheidenden Prüfung ist.

12. Danach wird er zum HERR DER ZWEI WELTEN.
Wirklich zuende ist das Abenteuer Studium allerdings erst, wenn die heldenhafte Hauptfigur wieder in der normalen Welt angelangt ist. Denn dann zeigt sich, dass sie nun zum Herr beider Welten geworden ist. Sie selbst hat sich verändert und in gewisser Weise hat sich auch ihre normale Welt verändert. Sie hat nun das Diplom in der Tasche und beginnt einen gänzlich neuen Lebensabschnitt. Es ist sozusagen die normale Welt, aber auf einem neuen, höheren Niveau.


Na ja, so viel zum ganz konkreten Beispiel für das Heldenreiseprinzip im normalen Leben. Es müssen keine alten Zauberer, Herolde, Rittter und Drachen vorkommen, sondern nur das Prinzip, für das diese Symbole stehen. Und es ist übrigens auch nicht jeder dieser 12 Schritte notwendigerweise in jeder Heldenreise enthalten. Oftmals geschehen einzelnen Schritte überhaupt. Zum Beispiel die Weigerung ganz am Anfang. Nicht jeder hat sich dem Studium verweigert oder wurde mit verweigernden Umständen konfrontiert. Aber viel dramatischer wird es natürlich, wenn dieses Element in einer Geschichte enthalten ist. Wenn alles glatt verläuft, ganz ohne Probleme, dann wird es schnell langweilig. Wurde man aber mit sehr vielen, großen Problemen und Hindernissen konfrontiert, dann hat man Held hinterher viel über sein Abenteuer zu erzählen, und andere hören diesen Geschichten auch viel lieber zu. ;-)

Viele Grüße

P.S.: Sollte es wirklich etwas in Richtung eines Workshops oder dergleichen geben, würde mich das interessieren (bin übrigens auch Mitglied in der Plotschmiede-Gruppe und bringe mich dort gerne heldenreisemäßig ein, falls Interesse daran bestehen sollte).


Tintenweberin

#27
Deine Zusammenfassung über die Stationen einer Heldenreise und ihre Übertragung auf das ganz gewöhnliche Leben gefallen mir sehr gut. Lediglich deine Beschreibung der letzten Prüfung erscheint mir zu schwach.

Zitat von: Zanoni am 15. Dezember 2011, 13:19:33
11. Eine LETZTE PRÜFUNG hält den Helden noch einmal auf.
Um zum Schluss aber noch einmal ein klein wenig Spannung zu erzeugen, tritt häufig eine weitere, unerwartete Prüfung auf. Meist ist das eine deutliche kleinere Version des zentralen Konflikts, wenn auch nur symbolisch. Angenommen der Held hätte sich mit seinem Gegner versöhnt, dann könnte dieser plötzlich so tun als hätte er dem Helden nur etwas vorgemacht und getäuscht (egal ob das stimmt oder nicht). Man kann es als letzten kleinen Test sehen, um den Helden dahingehend zu prüfen, ob er auch wirklich verstanden hat, um was es ging. Wenn der Hauptgegner bspw. ein missgünstiger Prof wäre, dann könnte dieser vielleicht doch noch einen (kurzen) Versuch wagen, den Held zum Scheitern zu bringen, indem er behauptet, dieser hätte geschummelt oder ähnliches. In vielen Hollywood-Thrillern ist es hingegen so, dass der Hauptgegner zwar nach der entscheidenden Prüfung tot daliegt, sich dann aber plötzlich noch einmal aufrafft, weil er eben doch noch nicht ganz tot war. Das zeigt in etwa an, wie klein diese letzte Prüfung gemessen an der entscheidenden Prüfung ist.

Wenn die letzte Prüfung nicht wie ein peinliches Anhängsel wirken soll, muss der Held oft gegen ein Hindernis von einer völlig unerwarteten Seite kämpfen und seine letzte Kraft einsetzen, um die Geschichte tatsächlich zu einem guten Ende zu bringen. Gandalf muss sich mit dem Balrog in die Tiefe stürzen um die Reise des grauen Pilgers zu einem siegreichen Ende zu bringen, und Harry Potter muss sich von Voldemort töten lassen, damit der letzte Horcrux vernichtet wird. Die letzte Prüfung kann der Held nur bestehen, wenn er bereit ist, sich selbst und alle seine Hoffnungen um einer höheren Sache Willen zu opfern, die er (im Idealfall) erst im Nachhinein versteht.

In der Gestaltarbeit bringt die letzte Prüfung den Protagonisten an den Kern seines eigenen Widerstands, den er bis zur völligen Erschöpfung bekämpfen darf, um ihn im Loslassen und der Hingabe völlig zu durchdringen und (im Idealfall) zu seinem Verbündeten zu machen.

Alana

@Tintenweberin: Danke für das Angebot. Ich komme evtl. darauf zurück. Lieb von dir. :)
Alhambrana

Zanoni

Genau Tintenweberin, da bin ich voll bei Dir. Ein extrem oft wiederkehrendes Element in diesem Modell ist der Tod - in den allermeisten Fällen nur rein symbolisch (indem der Held sich für eine größere Sache "opfert"), aber manchmal auch tatsächlich.

Aber das ist natürlich ein sehr komplexes Thema, bei dem jeder einzelne Punkt noch sehr viel ausführlicher besprochen werden könnte. Mir ging es jetzt bei diesem kleinen Beispiel (dessen Beschreibung dann doch wesentlich länger wurde als geplant) einzig darum, zu zeigen, dass die Prinzipien dieser mythischen Heldenreise überall zu finden sind, auch in ganz normalen, alltäglichen Angelegenheiten. Das Plotten mit der Heldenreise funktioniert nicht nur bei Fantasy-Geschichten, sondern geradezu überall. Wahrscheinlich würde sie sogar bei der Entwicklung von Schulungsunterlagen funktionieren. Denn dieses Struktur hat offenbar sehr viel damit zu tun, wie wir - als Mensch - Erfahrungen machen, sie verarbeiten und daraus lernen ... das scheint mir das "Geheimnis" ihrer Wirksamkeit zu sein.

Allerdings gibt es nicht nur Auslassungen bei diesen zwölf Schritten, sondern auch veränderte Reihenfolgen. Und auch unterschiedliche Betoungen, der einzelnen Schritte. Im Regelfall liegt die intensivste Betonung auf dem 10. Schritt - wie Du schon sagtest - der absolute dramatische Höhepunkt. Doch ab und zu kommen auch mal andere Betonungen vor. Es ist halt ein sehr flexibles Modell.

Außerdem kommt es natürlich auch vor, dass die Hauptfigur scheitert. Das sind dann die tragischen Helden, in entsprechenden Romanen. Und Serien sind auch ein Sonderfall, weil sich in ihnen die Hauptfiguren nicht oder nur sehr wenig verändern. Serien leben davon, dass bestimmte Figuren immer wieder ähnliches durchmachen ... zumindest auf der inneren Ebene, äußerlich finden selbstverständlich immer andere Handlungen statt. Lediglich in Serien, deren Folgen nur in einer bestimmten Reihenfolge Sinn machen, weil die eine auf die andere aufbaut, findet über einen größeren Zeitraum hinweg eine Veränderung der Hauptfiguren statt. Meist aber auch nur sehr dezent, weil so die Serie irgendwann endet.

Aber gut, letztlich sind das alles Details. Mir ging es hier nur um das Grundsätzliche. Wer Interesse an dem Thema, kann das 12er Schema ja mal auf eine eigene Geschichte anwenden und selbst etwas damit herumexperimentieren. Theorie ist eine durchaus feine Sache, richtig spannend wird es jedoch erst dann, wenn man praktisch damit arbeitet. ;-)