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Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt

Begonnen von Cailyn, 24. Februar 2016, 09:43:06

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Cailyn

Die gesammelten Erkenntnisse aus diesem gesamten Thread findet ihr hier: Link zur Sammlung

Das Vermeiden von Klischees bei der Erstellung von Figuren ist für mich gerade ein sehr aktuelles Thema. Bei mir fängt das Ausdenken einer Figur im Grunde immer mit der Erscheinung an. Dies beinhaltet aber nicht nur das Aussehen, sondern auch die Wirkung auf die anderen. Im Grunde ist das mehr so ein Gefühl gepaart mit äusserlichen Merkmalen, und das kommt immer sehr spontan.

Vor vielen, vielen Jahren hat mir dies bereits gereicht, um damit eine Geschichte zu machen. Also alles intuitiv. Je länger, je mehr habe ich aber gemerkt, dass diese Figuren für Leser/-innen dann sehr flach wirken, weil das, was ich im Gefühl habe (also das Wirken dieser Figuren) ja nicht einfach so auf die Leserschaft  überspringt. Also fing ich an, die Figuren auszuarbeiten. Wo sind sie geboren? Wer waren die Eltern? Was sind die inneren Konflikte? Was hat diese Person für Wünsche, Ziele? ...etc.

Schön und gut. Aber auch noch heute muss ich mir innerlich immer wieder das Ohr lang ziehen, weil ich die Hausaufgaben, die da heissen "guten Charakter/gute Figur ausarbeiten" nicht intensiv genug habe. Immer wieder verfalle ich in Klischees, auch wenn ich das gar nicht mag. Oftmals tue ich das nicht mit Absicht, sondern merke es erst ganz spät. Oder die Figuren wirken dann auf einmal anders, als ich es geplant hatte. Das soll sich ändern. Leider stelle ich auch fest, dass es nicht nur mir so geht. Auch in anderen Büchern, die ich lese, gibt es ganz viele platte und zu wenig durchdachte Figuren. Oder aber die Figuren sind vielleicht schon gut durchdacht, aber es dringt im Buch nicht durch.

Mich würde von euch Folgendes interessieren:

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Ich denke, man kann fast am meisten lernen, wenn man gute Beispiele analysiert.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

heroine

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 09:43:06
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Ich mochte den Gevatter Tod von Pratchett sehr gerne und ich mochte Bartimäus von Stroud, dann George von Blyton, James Bond von Fleming, Miss Marple und Hercule Poirot von Christie (allerdings weiß ich bei den letzten drei nicht, ob die mir durch die vielen Filme verfälscht wurden), Pipi Langstrumpf von Lindgren. Creasy von Quinnell und eigentlich noch ziemlich viele andere Charaktere. Die sind mir jetzt ganz spontan eingefallen.

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 09:43:06
Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

In dem Fall, lasse ich mich von ihnen überraschen, durch ausgefallene Interessen oder merkwürdigen Ängsten/Befürchtungen, manchmal auch durch absolute unerwartete Vorlieben. Wenn sie zu platt/eindimensional wirken, weiß man nur noch nicht genug über sie. Andererseits ist das nicht immer aufregend. Nur weil ein Charakter eventuell langweilig ist, bedeutet es nicht, dass er eindimensional ist. Es gibt einfach absolut unspektakuläre Charaktere.

Welche Fragen stellst du dir denn zu den einzlnen Charakteren? Ich finde immer wichtig zu wissen: Wovor haben sie Angst? Was macht sie glücklich? Was ist ihnen peinlich? Was macht sie wütend? Was wollen sie im Leben erreichen? Was machen sie in ihrer Freizeit?

Elona

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Ich liebe ja Kate Daniels aus der Reihe "Stadt der Finsternis". Warum? Hm, vielleicht wegen ihrer Ironie oder dem Sarkasmus.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Ich hoffe, dass sind sie nicht mehr!  ;D Aber das Problem hatte ich auch mal.

Was ich festgestellt habe, nachdem ich mir massig Aufwand beschert habe mit: wann wo geboren, Lieblingsfarbe (übertrieben, wenn es keine Rolle spielt),  usw. usf. Man braucht es einfach nicht. Und nur weil man eben weiß, was die Lieblingsfarbe seines Charakters ist, heißt das noch lange nicht, ihn wirklich zu kennen.
Was ich sehr interessant fand und mir auch sehr weitergeholfen hat, war Weiland Creating Stunning Character. Denn Tiefe erschafft man nicht über das Lieblingsessen, Lieblingsfarbe sonstiges (weil zu oberflächlich), sondern über die Beweggründe, die Ziele, die Motivation, über Erlebnisse.

Guddy

#3
Mein absolutes Reizthema. ;D Nichts finde ich schlimmer als flache Figuren und/oder Mary Sues. (wobei das eine das andere meiner Erfahrung nach eigentlich immer bedingt.)

Wichtig ist mir, dass es neben Stärken auch Schwächen gibt und die Schwächen nicht wie Alibis wirken: "Sie ist zwar superschön.. hat aber ein zu niedliches Gesicht." etwa oder "Er ist sehr mutig... hat aber eine zu soziale Ader und bringt sich deshalb in Schwierigkeiten".  Da sind die "Schwächen" verkappte Stärken.
Das Graue eines Charakters wird meines Erachtens nach durch das Zusammenspiel von Stärken und echten Schwächen erreicht, zuzüglich von Träumen, Macken und Besonderheiten. Kleine Details, die ihn als Menschen, und nicht als Figur auszeichnen. Eine Figur ist glatt und durchgestylt, ein Charakter hat Unebenheiten. Das erreicht man auch durch Kleinigkeiten wie typische Bewegungen, ein häufig benutztes Lieblingswort, Gewohnheiten. Es ist nicht unbedingt das Brachiale, das Menschen voneinander unterscheidbar macht, nicht die offensichtlichen Charaktereigenschaften. Wenn ich mich allein schon in meinem unmittelbaren Freundeskreis umsehe, wirken die Leute auf Außenstehende doch recht ähnlich (Anfang 30, Rocker, Kölschtrinker, Gamer, laut und direkt), aber als Individuen betrachtet zeigen sie dann doch große Vielfalt. Ich denke, das kannst du bei deinem Freundeskreis besser beobachten und etwas für dich und deine Protagonisten herausfinden. :)

Dabei finde ich die berühmten "dunklen Geheimnisse" nicht wichtig, auch muss nicht jeder eine miese Charaktereigenschaft haben. Haben meine Freunde und Bekannten auch nicht alle. Zum Glück. ;) Aber Macken hat wirklich jeder Einzelne.

Buchfiguren, die mir besonders ans Herz gewachsen sind, sind meinen besten Freunden meistens sehr ähnlich, hat also mit der Charaktererschaffung wenig zu tun, sondern ist einfach persönliche Prägung. Generell finde ich Tollpatsche oder miese Typen wie Glokta auch ganz niedlich oder interessant, wobei man auch dort, wie bei jedem Archetyp, übertreiben kann. Die Balance zwischen Natürlichkeit und Übertreibung zu wahren ist denke ich das schwierige.


Christopher

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Inquisitor Glotka, weil er ein mieser, pragmatischer, eiskalter Wichser ist. Sowas trifft man nicht oft, erst recht nicht als Prota, das hat mir sehr gefallen weil es eben ungewöhnlich ist. Raistlin Majere aus den Drachenlanze Büchern gefiel mir auch sehr. Auch ein "Böser" der aber sehr sinnig und stimmig dazu aufgebaut wurde. Er wurde im Verlauf vieler Bücher zu dem gemacht, was er ist und gibt ein sehr tiefes und stimmiges Bild von sich ab.

Ich könnte noch ein paar mehr nennen, es zeichnet sich für mich aber gerade ab, dass mir die Charaktere am besten gefallen, die mit der Geschichte wachsen und nicht die gewachsen in eine Geschichte kommen.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich mache (versuche) genau das, was mir gefällt: Ich lasse sie wachsen. Jede Figur ist erst mal "platt", weil man eben nichts über sie weiß. Eine gesunde Mischung aus bereits vorhandenen Charaktereigenschaften durch Kultur, Vergangenheit etc (Vorurteile gegen Frauen/Männer, Essgewohnheiten, wasauchimmer) und neuen Eigenschaften, die sie während der Geschichte erwirbt. Die meisten wichtigen Charaktere machen während einer Geschichte Veränderung durch und im Laufe dieser Veränderung, gewinnen sie auch automatisch an Tiefe.


Kurz: Charaktere vor dem Schreiben ausarbeiten ist denke ich nur die halbe Miete. Lass sie sich während der Geschichte weiterentwickeln und sie gewinnen sicher an Tiefe :)
Be brave, dont tryhard.

Cailyn

Danke schon mal für eure Bücher-Lieblinge  ;).

heroine
Stimmt natürlich. Langweilig heisst nicht eindimensional. Man kann auch das Langweilige ausmerzen und kultivieren, bis es dann schon wieder spannend wird.
Das mit den Vorlieben ist ein guter Tipp. Das habe ich bisher noch nicht so miteinbezogen, kann aber eine tolle "Ecke" in den Charakter bringen.

Aurora
Ja, genau so halte ich es auch. Motivation, Erlebnisse, Ziele etc. sind viel wichtiger. Bei mir ergibt sich häufig aus Erlebtem sehr viel, was den Charakter betrifft. Erziehung wie auch Beziehungen zu anderen. Es kommt aber auch vor, dass ich mich dann da drin verliere oder schon zu viel Zeit aufwende und am Ende nicht mehr weiss, ob das für andere nun nachvollziehbar ist.

Guddy
Nein, die dunklen Geheimnisse muss es nicht immer geben. Auch muss man ja wissen, dass Menschen aus weniger dramatischen Gründen sehr heftige Ecken und Kanten annehmen. Da muss nicht immer ein dunkles Familiengeheimnis dahinter stehen.
Andererseits muss ich auch sagen: Wenn ich meinen Freundeskreis beobachte, sehe ich auch wenig Dramen und Extremtypen. Aber ich weiss auch vieles von denen nicht. Wenn ich aber darüber nachdenken, was meine Klienten mir in der Therapie alles erzählen - genauso Menschen wie du und ich - dann merke ich schon immer mehr, dass jeder in seinem eigenen Drama steckt. Das muss nicht das Leben überschatten, aber es führt schon dazu, dass Menschen eben diese und nicht jene Entscheidung treffen oder Blockaden haben, aus denen sie nicht rauskommen. Oftmals ist die Ursache auch dort nicht etwas Extremes, Dunkles oder Erschütterndes, aber die Weichen werden ja so gestellt. Und das finde ich eben für die Figuren in einem Buch auch sehr wichtig. Der Leser muss ja nicht unbedingt wissen, warum jemand immer schlecht gelaunt, sarkastisch oder total oberflächlich ist. Aber ich muss es wissen, damit die Handlungen desjenigen dann wiederum logisch sind.

Christopher
Wenn eine Figur noch sehr jung ist, finde ich das mit dem wachsen lassen sehr gut. Dann kommen die Charakterzüge während der Ereignisse zum Zug.
Hatte eine Figur aber schon ein lange gelebtes Leben, funktioniert das weniger. Du führst ja als gutes Beispiel Glokta an. Gerade er hat ja einen immensen Vergangenheits-Rucksack, den er mit sich herumschleppt. Also im Grunde funktioniert diese Figur ja über seine Vergangenheit.
Eine Frage hätte ich aber noch für die jüngeren Figuren, die sich während der Geschichte entwickeln: Wie schaffst du es dann, dass der Leser rasch eine Verbindung zu dieser Figur aufbaut? Wenn es zweihundert Seiten dauert, bis sich ein Charakter etwas entblösst, dann kommt ganz schön Langeweile auf. Für meinen Geschmack muss eine Figur schon auf den ersten paar Seiten ein paar Eigenschaften haben, die ihn von x-beliebigen abheben oder zumindest meine Aufmerksamkeit entfachen.

HauntingWitch

Liebe Cailyn, ich finde mich in deinem Eingangspost wieder und habe sehr, sehr viel über dieses Thema nachgedacht. Und ich glaube mittlerweile, wir haben zu hohe Ansprüche. ;D Ich beschäftige mich zurzeit gerade wieder einmal mit Körpersprache, Typenlehre etc. und ich stelle einfach immer wieder fest, wie extrem komplex Menschen sind. Der Anspruch, dass ein Buch-Charakter dem sehr nahe kommt ist sicher berechtigt, aber ich glaube, wenn man dem sehr nahe kommt, ist man schon sehr weit.

Wie bei dir erarbeite ich mir Charaktere zu Beginn oft über das Aussehen und gehe erst dann zu ihrem Inneren über. Und jetzt hetzte ich wahrscheinlich gleich das ganze Forum gegen mich auf, wenn ich das sage. Ich bin der Überzeugung, wie innen so aussen bzw. logischerweise auch umgekehrt. Nicht im Sinne von "alle Menschen mit blauen Augen sind geduldig", aber im Sinne davon, dass ein Mensch ausstrahlt, was er ist, jedenfalls einen Grossteil davon. Damit arbeite ich mittlerweile auch beim Schreiben. Und natürlich hat jeder seine Leichen im Keller, die er vor anderen verbirgt. Zum Inneren, Motivation etc hilft mir meistens das hier: 15 Fragen für deinen Charakter von Writer's Write.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Bei mir liegt das dann meistens daran, dass ich sie zu wenig kenne, da schliesse ich mich Heroine und Christopher an.
Oder ich weiss nicht, wie ich gewisse Dinge, die eben in Innenleben sind und zunächst keine Plotrelevanz haben, darstellen kann. Dann versuche ich es mittlerweile über das Aussen, die Körpersprache, die Haltung, eine bestimmte Falte an einer bestimmten Stelle, den Blick, Narben (äusserliche, sichtbare), Style (ich weiss, wie doof das klingt, aber ist euch schon mal aufgefallen, dass sehr experimentelle Künstler immer mal wieder ihre Frisur ändern?). Solche Sachen halt. Ich hoffe, dass die Charaktere dadurch plastischer werden, noch weiss ich nicht, wie das beim Leser am Ende wirkt, weil ich das noch nicht so lange mache.

Ich muss aber auch sagen, dass ich auch schon das Gefühl hatte, Charaktere wäre zu flach oder machen sich zu wenige Gedanken über dieses oder jenes, ihre Gefühle kommen nicht rüber oder sonstwas. Und dann kommen die Leser und sagen z.B.: "Ist XY jemand, den du kennst, der wirkt so real!" Dann fühle ich mich so:  :rofl: Von dem her, wie gesagt, ich glaube, wir haben auch zu hohe Ansprüche an uns selbst und die anderen sehen das gar nicht so eng.

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Flora aus "So ruhet in Frieden" von John Lindqvist, weil ich mich zu dem Zeitpunkt sehr mit ihr identifizieren konnte und mich vom Autor so verstanden gefühlt habe durch ihre Beschreibung. In einer Szene bekommt sie z.B. einen MP3-Player von ihren Eltern geschenkt, aber sie hört lieber Walkman und ist enttäuscht, nicht wegen dem Geschenk, sondern weil ihre Eltern sie kaum kennen. Und die sagen ihr dann, sie wäre undankbar. Da rastet sie aus.

Roland, aus "Der dunkle Turm" von King, weil er genau der Typ Mann ist, den ich gerne real in meinem Leben hätte. Einer der für sich einstehen und kämpfen kann, aber auch respektvoll und emotional ist.

Anton Gorodetzsky aus der Wächter-Reihe von Sergei Lukianenko, aus ähnlichen Gründen, wenn auch Anton eher der sensible Typ ist. Finde ich übrigens besonders im ersten Band eine sehr gelungene Darstellung eines vielschichtigen Charakters.

Ansonsten habe ich auch viele aus TV-Serien, "Nashville" finde ich bezüglich Charaktere einfach nur genial. Mr. Gold/Rumpelstilzchen aus "Once Upon A Time" finde ich ein tolles Beispiel von einem guten Bösewicht (gute Antas sind meine grosse Schwäche).

Christopher

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 10:55:01
Christopher
...
Wie schaffst du es dann, dass der Leser rasch eine Verbindung zu dieser Figur aufbaut? Wenn es zweihundert Seiten dauert, bis sich ein Charakter etwas entblösst, dann kommt ganz schön Langeweile auf. Für meinen Geschmack muss eine Figur schon auf den ersten paar Seiten ein paar Eigenschaften haben, die ihn von x-beliebigen abheben oder zumindest meine Aufmerksamkeit entfachen.

Rasch? Gar nicht. Dafür sind der Prota und die Rahmengeschichte da. Die machen eine Geschichte nicht langweilig. Bei mir "entblösst" sich auch niemand, sondern sie erleben, wandeln sich mit der Geschichte mit.
Ich nehm mal Merumya als Beispiel:
Anfangs nur eine von vielen anderen Kameradinnen von Ann, die sich nur dadurch abhebt, dass sie öfter frech das Maul aufreißt und Ann nicht so hänselt und fertigmacht wie die anderen.
Im Verlauf der Geschichte hebt sie sich dann Stück für Stück ab: Sie wählt am Ende der Ausbildung einen Speer, statt der traditionellen zwei Schwerter als Hauptwaffe (aufmüpfig). Nach der Rückkehr von ihren ersten Kampfeinsätzen, wird sie von jüngeren ausgefragt und findet Gefallen daran, ihre Geschichten etwas auszuschmücken, weil die bewundernden Blicke ihr gefallen (angeberisch). Sie übernimmt die Sitte, sich das Haar zu flechten, je nachdem wie viele Feinde sie besiegt hat (eitel). Sie erhält in einem Kampf eine Wunde im Gesicht, die später vernarbt, weil sie nicht hören kann und ständig dran kratzt (unbelehrbar). sie bekommt ihre eigene Gruppe und findet gefallen daran, sich um andere zu kümmern (fürsorglich). usw. usf.

Jeder Punkt den ich eben genannt habe, ist 50-100 Seiten voneinander entfernt, malt aber Stück für Stück ein Bild von ihr. Ich behandel ihre Vergangenheit gar nicht, weil sie keine besondere Vergangenheit hat. Trotzdem - oder vermutlich gerade deswegen - ist sie bisher bei Testlesern erstaunlich beliebt.

Einen Charakter der vorher schon mit einer tiefgreifenden Vergangenheit daher kommt, hatte ich bisher noch nicht  :omn: Das scheint nicht mein Stil zu sein, wie man das glaubhaft rüberbringt, ist mir auch schleierhaft. Da müsste ich selbst noch mal gucken, bevor ich sowas angehe. Ich persönlich lasse die älteren Figuren (die ja eine Vergangenheit haben müssen) bisher einfach handeln und erkläre das nicht.  Solange sie konsequent sind muss man das auch nicht.
Ein Beispiel was mir gerade einfällt: Warum ist Tony Stark eigentlich so ein Arsch? Da kommt nie eine Rechtfertigung dafür, keine großen Erklärungen, er ist wie er ist und das Publikum liebt was er ist (zumindest ich ;D ) und damit hat es sich. Die Vielschichtigkeit (er sorgt sich z.b. doch um sein Team, macht sich Gedanken um das, was seine Firma bewirkt) sind alles Dinge, die im Verlauf der Geschichte kommen ...

Ich merk schon, ich verrenne mich. Mit den langlebigeren Charakteren kann ich dir vermutlich nicht helfen. Der einzige Punkt den ich anzumerken hätte ist der: Die Backstory sollte für sich so interessant sein, dass es spaß macht sie zu lesen. Dann kannst du auch ein ganzes Buch lang nur Backstory erzählen. Der Name des Windes macht das ja im Grunde, auch wenn es eher ein Kniff für die Ich-Perspektive ist ;D
Be brave, dont tryhard.

Maubel

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Recht viele. Ich bin da relativ anspruchslos. Relativ, weil ich a) gut konstruierte, runde Charaktere doch deutlich bevorzuge, aber b) auch von bestimmten Klischees angesprochen. Ich mag auch einen ganz bestimmten Typ Mann/Junge. Davon abgesehen, schwirrt mir gerade FitzChivalry von der Farseer (Weitseher) Trilogie im Kopf rum, weil ich dessen dritte Trilogie gerade lese. Und obwohl der Charakter mittlerweile schon 60 ist, seine Kinder aus dem Haus sind, sein bester Freund schon lange tot ist und zwischen dem Ende der zweiten und der dritten Trilogie glaube ich 30 Jahre oder so liegen, erkennt man ihn sofort wieder. Klar, er ist gealtert, gereift, aber jetzt von ihm zu lesen, ist wirklich wie einen alten Freund wieder treffen (man ist ja auch gealtert, wenn auch nicht so viel). Und plötzlich werde ich schon melancholisch, obwohl nichts schlimmeres passiert, als das die Welt sich immer weiter dreht. So verbunden habe ich mich selten mit einem Char gefühlt. Ich könnte jetzt aber nicht sagen, woran das liegt, außer das man eben schon so viel mit ihm zusammen durch gemacht hat.


Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich lese häufig von Schwächen und Stärken, sowohl bei der Charakterentwicklung, als auch im persönlichen Bewerbungsgespräch und häufig finde ich die Frage irrsinnig schwer zu beantworten, weil viele Charaktereigenschaften je nach Situation eine Stärke oder eben eine Schwäche sind. Und ich finde, erst dann, wenn die Eigenschaften selber grau (mal dunker, mal heller) sind, werden die Charaktere real.
Ein simples sehr neutrales Beispiel: Der Charakter ist vorsichtig. Vorsichtig sein, ist toll. Es schützt ihn vor Gefahren, er macht nichts kaputt, er stößt keinen vor den Kopf. Aber vorsichtig sein führt auch dazu, dass man Chancen verpasst, dass man das Leben an einem vorbei ziehen lässt manchmal oder Herausforderungen scheut.
Etwas komplizierter, da oft positiv belegtes Beispiel: Organisationstalent. Der Char organisiert sein Leben, Projekte, ist immer gut vorbereitet. Tja, bis er das eben nicht ist, und Schwierigkeiten hat eine ungewohnte Situation zu meistern. Er plant häufig auch die anderen ein, die verhalten sich aber gar nicht nach Plan oder haben keine Lust sich eben so gut vorzubereiten.
Oder ein negativ belegtes Beispiel: Arroganz. Klar, arrogante Menschen mag keiner, aber genau der Charakter ist es vielleicht, der unangenehme Sachen unverblümt ausspricht und sich quer stellt, wo die lieben Helden sich haben bequatschen lassen.

Ich finde, Fantasy verleitet oft zu Klischees, weil es einfacher ist. Das Umfeld ist dramatischer. Die Charaktere reagieren auf Monster, Krieg, Geister... In meinem Coming-of-Age Roman sind die Charaktere plötzlich viel dreidimensionaler, weil das weniger dramatische Umfeld mehr Raum lässt um eben ganz einfach menschlich zu sein. Sie sind keine Helden, aber auch keine Feinde und plötzlich kommen viel mehr Grautöne zu Tage, wo Fantasyromane oft mehr zu den Extremen oder eben dem besonders grauen Charakter neigen.
Kleine Prüfung: Lässt sich der Charakter eindeutig einer der neun DnD-Gesinnung zuordnen? Meistens haben gut ausgearbeitete Charaktere eine Tendenz, aber so ganz 100% in jeder Situation passt es ganz selten. Höchstens im Neutralen Bereich kann man da diskutieren.

Cailyn

#9
Witch
Vielen Dank für die 15 Fragen. Einige können mir sicher weiterhelfen.  :jau:
Ich bin der Überzeugung, wie innen so aussen bzw. logischerweise auch umgekehrt. (sorry, musste die Zitate ins Kursiv nehmen, sonst nimmt es mir immer den ganzen Text als Zitat...keine Ahnung wieso... :hmmm:
Das wende ich bedingt an, nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich stelle mir eine Persönlichkeit immer wie Schichten vor. Das Aussehen und rasch erkennbare Charaktereigenschaften haben oft eine Verbindung. Kleider ja ohnehin. Aber auch Mimik (welche das Gesicht mit den Jahren formt) und Gestik (was die Körperhaltung merklich beeinflusst) gehören für mich da mit herein. Aber für mich ist das dann eher die oberste Schicht der Persönlichkeit. Das bezieht sich für mich hauptsächlich auch auf das Handeln dieser Person.
Für innere Triebe, Motivation, Leidenschaften und Sehnsüchte spielt für mich das Äussere dann nicht mehr eine grosse Rolle, ausser jemand wird z.B. körperlich verunstaltet, so sehr, dass es eine tiefe Wunde in seine Seele gräbt. Für diese weiteren Schichten der Persönlichkeit grabe ich dann tiefer, und das sind dann auch Dinge, die in dieser Figur erst zum Vorschein kommen, wenn sie unter Druck gerät.

Oder ich weiss nicht, wie ich gewisse Dinge, die eben in Innenleben sind und zunächst keine Plotrelevanz haben, darstellen kann.

Nun, es ist ja nicht so, dass ich versuche, den Charakter irgendwo in den Plot reinzukriegen. Der Plot entsteht für mich dann mit dem Charakter. Die sind für mich miteinander verwoben.
Die Frage ist halt, welche Charaktere sind überhaupt interessant genug.

Ich merke gerade, dass ich die grössten Mühen mit den Hauptcharakteren habe, welche sympathisch rüberkommen sollen. Die "Bösen" fallen mir oft leichter. Vielleicht auch, weil es meine Lebenseinstellung ist, dass niemand als Bösewicht zur Welt kommt. Da finde ich es viel einfacher, erst das Böse zu kreieren und dann zu überlegen, warum dieser so geworden ist. Bei den "Guten" finde ich es schwieriger. Ich will keine schlechten Eigenschaften, die dann nur pseudo sind (so wie Guddy es schreibt), aber sie sollen auch vertretbar sein.

Das bringt mich auf einen weiteren Punkt. Ich befürchte, wenn man eine Figur genauso realistisch darstellen würde wie im wahren Leben, würde sie zu unsympathisch wirken. Ich meine, jeder - wenn er/sie ehrlich ist - lügt sehr oft, macht Dinge nicht aus purem Egoismus oder tut Dinge aus purem Egoismus. Vielleicht will man das nicht, aber man tut es. Gut, es mag ein paar engelsgleiche Menschen unter uns geben, aber ich denke, die meisten sind nicht so. Darum ist es fast nötig, dass man sympathische Charaktere etwas weniger realistisch darstellt als im wahren Leben, damit sie gleich sympathisch rüberkommen. Aber dann fehlt mir eben das Schlechte an diesen Menschen. Und man läuft die Gefahr, niedliche Kavaliersdelikte zu wählen, die im Grunde auch lustig oder sympathisch sein können. Die darf es auch geben. Aber eben nicht nur, sonst wirkt die Figur nicht wirklich echt.

Christopher
Gerade in der Fantasy-Literatur, wo der Plot sehr oft nichts Neues ist (der Kampf um das Gute, die Rettung vor dem Bösen etc.) bin ich ganz oft lange gelangweilt in den ersten 100-200 Seiten. Ich gebe zu, ich bin auch keine schnelle Leserin, die 100 Seiten schnell mal durchliest. Ich bin eher eine Genussleserin und brauche daher auch mehr Zeit zum lesen. Darum brauche ich dringend etwas Persönliches ganz am Anfang der Geschichte. Wenn ein Fantasy-Roman also damit anfängt, dass z.B. ein Land von bösen Was-weiss-ich angegriffen wird, dann ist mir das zunächst total egal. Mich interessiert das nicht. Da kann die Welt bedroht sein, Länder am Zusammenbrechen, Tod und Verderb im Anmarsch... mich lässt das kalt. Es sei denn, ich habe einen Grund, dass ich mich betroffen fühle. Und da kommen doch die Figuren, die Charaktere ins Spiel. Wenn ich mich nur mit einer Hauptfigur identifizieren kann, mitleiden kann, dann ist mein Interesse geweckt.
Entwickelt sich aber diese Figur erst über 100 Seiten, dann möchte ich eine Geschichte gar nicht mehr weiterlesen. Es ist nicht so, dass ich von Anfang an alles wissen muss. Man kann bei einer Figur auch Fragezeichen setzen, Ungereimtheiten einbauen, die man später auflöst. Aber es muss für mich spürbar sein, dass da ein Wesen mit Herz und Seele agiert und nicht nur ein austauschbares Etwas, was sich irgendwann öffnen wird.

Aber wie wird eine Figur greifbar?
Ich denke, man kann eine Figur greifbar machen, indem man sich den trivialen Wünschen und Sehnsüchten aller Menschen bedient und diese sofort sichtbar macht. "Ich will geliebt/verehrt/bewundert/gelobt" etc. werden, denn das ist das, was sich fast jeder wünscht. Das wäre die einfache Variante, die aber häufig den Anschein macht, als handle es sich um einen Arzt-Roman, den man am Kiosk kaufen kann. Und das ist ja auch häufig das, was man in Hollywood-Filmen macht, damit man schnell in einen Film reinkommt. Aber sowas suche ich ja nicht. Das wäre zu langweilig, zu simpel.

Dennoch bleiben diese Sehnsüchte der Menschen, die Antriebsmotoren der Psyche, auch wenn es sich nicht um einen Groschenroman handelt. Die Frage ist dann, wie man diese Figuren so konzipiert, dass sie auch interessant und "anders" sind als jeder x-Beliebige. Und hier kommt für mich der Charakter mit rein. Ein komplexer Charakter hat eben mehr Ecken und Kanten. Er mag die gleichen Triebe und Wünsche haben wie Doktor Mayer im Arztroman, aber wie er diese erreichen will, was er dafür opfert, tut und nicht tut, macht es ja dann zu einer spannenden Figur. Und von diesem Andersartigen möchte ich als Leserin schon auf den ersten 30 Seiten etwas zu spüren bekommen. Das muss keine klare Darstellung einer Figur sein. Es genügt auch ein kleiner Einblick, ein Hinweis, dass sich darunter jemand verbirgt, den ich a) mag oder nicht mag, und b) den ich näher kennen lernen möchte.


Diese sollten auch früh spürbar sein, ohne ein Klischee aufzutischen. Vielleicht ist gerade das, was mich noch grübeln lässt. Die ganz grossen Themen, die schon x Mal erzählt wurden, neu darzustellen, in neuen Figuren zum Leben zu erwecken. Und das ist ja wohl das, was eines jeden Schriftstellers Leid ist.... alles hat schon mal irgendwo existiert.

Maubel
Ich bin ganz deiner Meinung. Man kann Charaktereigenschaften nicht einfach nach gut und schlecht beurteilen. Aber mit schlecht meine ich dann etwas, was die Figur immer wieder hemmt oder in Schwierigkeiten bringt. Natürlich haben auch diese Eigenschaften auch immer zwei Seiten einer Medaille. In einer Geschichte sind das ja auch gerade die spannendsten Eigenschaften, weil dann immer die Frage im Raum steht, was passiert, wenn sich der Charakter verändert. Die Konsequenz einer Veränderung ist ja das Spannendste überhaupt.

Asterya

Was helfen kann, um zu perfekte Figuren zu vermeiden, ist, den Charakter mit irgendeinem Rollenspielheldengenerator nachzubauen. Ich nehm die Generierung von DSA und wenn ich meiner Figur dann ganz viele tolle Vorteile gebe, muss ich ihr eben auch ein paar Nachteile verpassen. Das hilft mir zumindest, meine Protas nicht als übermächtige Helden herumlaufen zu lassen. Außerdem stößt man beim Regelwerk lesen auch auf Schwächen, die einem vielleicht gar nicht eingefallen wären.

Mir ist aufgefallen, dass ich bei meinen eigenen Geschichten oft beim Aussehen zu stark irgendwelche Klischees bediene. Der Antagonist ist immer groß, eine starke Kriegerin selten hübsch, ein Bürokrat hat immer fettige Haare, der männliche Love Interest immer größer als der weibliche und so weiter.

ZitatIch befürchte, wenn man eine Figur genauso realistisch darstellen würde wie im wahren Leben, würde sie zu unsympathisch wirken. Ich meine, jeder - wenn er/sie ehrlich ist - lügt sehr oft, macht Dinge nicht aus purem Egoismus oder tut Dinge aus purem Egoismus. Vielleicht will man das nicht, aber man tut es. Gut, es mag ein paar engelsgleiche Menschen unter uns geben, aber ich denke, die meisten sind nicht so. Darum ist es fast nötig, dass man sympathische Charaktere etwas weniger realistisch darstellt als im wahren Leben, damit sie gleich sympathisch rüberkommen. Aber dann fehlt mir eben das Schlechte an diesen Menschen. Und man läuft die Gefahr, niedliche Kavaliersdelikte zu wählen, die im Grunde auch lustig oder sympathisch sein können. Die darf es auch geben. Aber eben nicht nur, sonst wirkt die Figur nicht wirklich echt.

Da stimme ich voll und ganz zu. Bei mir ist es so, dass die schlechten Eigenschaften der "Guten" eher selbstzerstörerisch sind, als dass sie anderen schaden. Mir fällt es auch recht schwer, eine Figur, die doch alle Leser lieben sollen, auf einmal lügen zu lassen oder gemeine Gedanken hegen zu lassen. Also ja, am Ende sind die liebenswerten Charaktere wohl ein wenig unrealistisch oder haben einen guten Grund, schlecht zu handeln, damit man dann immer eine Entschuldigung finden kann. Als Leser hingegen denkt man: "Na toll, klar ist das son Supertyp, der macht ja nie was falsch. Unrealistisch."

Charaktere aus Büchern, die ich gerne mag.... Das ist ne gute Frage, da gibts mehrere. Bartimäus ist definitiv darunter. In den meisten Büchern finde ich Nebenfiguren deutlich gelungener, wahrscheinlich aus den genannten Gründen.

You wake up every morning to fight the same demons that left you so tired the night before. And that, my love, is bravery.

HauntingWitch

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 15:25:11
Das wende ich bedingt an, nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich stelle mir eine Persönlichkeit immer wie Schichten vor. Das Aussehen und rasch erkennbare Charaktereigenschaften haben oft eine Verbindung. Kleider ja ohnehin. Aber auch Mimik (welche das Gesicht mit den Jahren formt) und Gestik (was die Körperhaltung merklich beeinflusst) gehören für mich da mit herein. Aber für mich ist das dann eher die oberste Schicht der Persönlichkeit. Das bezieht sich für mich hauptsächlich auch auf das Handeln dieser Person.
Für innere Triebe, Motivation, Leidenschaften und Sehnsüchte spielt für mich das Äussere dann nicht mehr eine grosse Rolle, ausser jemand wird z.B. körperlich verunstaltet, so sehr, dass es eine tiefe Wunde in seine Seele gräbt. Für diese weiteren Schichten der Persönlichkeit grabe ich dann tiefer, und das sind dann auch Dinge, die in dieser Figur erst zum Vorschein kommen, wenn sie unter Druck gerät.

Ich glaube, wir sind völlig einer Meinung. Natürlich kann man diese tiefer liegenden Aspekte nicht so leicht über das Äussere zeigen, aber das sind ja die Dinge, die eben diese obere Schicht auch mitformen. Deshalb finde ich beides wichtig und ich stimme dir zu, dass gewisses Verhalten tief im Menschen vergraben liegt und erst in der Extremsituation zum Ausdruck kommt. Das habe ich bislang noch nicht so ausgiebig geübt, das möchte ich noch machen.

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 15:25:11
Nun, es ist ja nicht so, dass ich versuche, den Charakter irgendwo in den Plot reinzukriegen. Der Plot entsteht für mich dann mit dem Charakter. Die sind für mich miteinander verwoben.
Die Frage ist halt, welche Charaktere sind überhaupt interessant genug.

Das ist bei mir auch so. Ich versuche nicht, sie in einen Plot hineinzuquetschen. Nur gibt es immer Aspekte, die ich irgendwann mal in einem Dokument mit Hintergrund-Story etc. notiere und die dann im späteren Skript wie keinen Platz finden. Das passiert mir recht oft. Eine Prota von mir hat z.B. ihren Grossvater verloren, aber das geschah irgendwann vor dem Erzählzeitpunkt der Geschichte und somit kommt das in der Geschichte überhaupt nicht zum Tragen und wird auch nicht erwähnt. Ausser, dass es natürlich ihren Charakter mitgeformt hat, aber es findet einfach nirgends Erwähnung.

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 15:25:11
Ich merke gerade, dass ich die grössten Mühen mit den Hauptcharakteren habe, welche sympathisch rüberkommen sollen. D
[...]
Das bringt mich auf einen weiteren Punkt. Ich befürchte, wenn man eine Figur genauso realistisch darstellen würde wie im wahren Leben, würde sie zu unsympathisch wirken. Ich meine, jeder - wenn er/sie ehrlich ist - lügt sehr oft, macht Dinge nicht aus purem Egoismus oder tut Dinge aus purem Egoismus. Vielleicht will man das nicht, aber man tut es. Gut, es mag ein paar engelsgleiche Menschen unter uns geben, aber ich denke, die meisten sind nicht so. Darum ist es fast nötig, dass man sympathische Charaktere etwas weniger realistisch darstellt als im wahren Leben, damit sie gleich sympathisch rüberkommen.

Muss ein Charakter denn ausschliesslich sympathisch sein? Kennst du den Film "Filth" (dt. "Drecksau")? Der Protagonist ist der Ober-Unsympath, aber irgendwie hat mich der Film emotional trotzdem reingezogen. Warum? Ich wollte die ganze Zeit wissen, wann der endlich auf die Fresse fliegt. Und als es dann soweit war, tat er mir trotzdem ein wenig leid. Das ist leider die einzige Geschichte in dieser Form, die ich kenne, aber ich finde die Idee vom unsympathischen Prota total gut.  ;D

Charaktere, die nur da sind, um sympathisch zu sein, finde ich langweilig. Jeder Mensch hat positive und negative Seiten und jeder noch so nette und liebenswerte Mensch verhält sich manchmal wie ein *unschönes Wort mit A* und jedes vermeintliche *unschöne A* hat auch seine guten Seiten. Das macht es doch erst interessant! Mittlerweile finde ich das viel spannender, als einfach nur nette Charas. Da fällt mir ein Spruch aus der Serie Nashville ein (sorry, wenn ich das oft erwähne), der ging etwa so: "Ich habe mich schlau gemacht über dich. Weisst du, was sie sagen? Oh ja, sie ist nett. Nur, dass jeder nette Mensch, dem ich bisher begegnet bin, diese total kaputte Seele darunter zu verstecken versuchte." (Ungefähre Übersetzung des Englischen). Das ist in diesem Fall vielleicht etwas verallgemeinert, aber es hat schon etwas. Ehrlich, zuu nette Menschen sind mir tatsächlich ein wenig suspekt. ;)

Ich finde das übrigens in GoT recht gut umgesetzt, jeder hat seine Gründe für sein Tun, selbst die miesesten Kerle haben nachvollziehbare Argumente und niemand ist immer nur gut und im Recht und niemand ist immer nur schlecht und im Unrecht (ausser Ramsey Bolton vielleicht, aber das ist einfach ein Psychopath).

Oh Mensch, man sieht, ich könnte mich seitenweise darüber auslassen. ;D Ich werde voraussichtlich erst am Wochenende wieder zum Antworten kommen, also nicht wundern.

Norrive

Ich bin etwas verwirrt über den Threadtitel und die eigentliche Diskussion. Sind für euch platte Charaktere automatisch auch Klischee-Typen?
Außerdem muss ich zugeben, dass ich mittlerweile die Diskussion um Klischees im Allgemeinen sehr übertrieben finde. Denn: Dass eine starke Kriegerin nicht hübsch ist, sei ein Klischee, schreibt Asterya. Andererseits erfüllt die gutaussehende Kriegerin ja gleich wieder das Klischee von der sexy Amazone.
Daher habe ich für mich persönlich beschlossen, die Klischee-Diskussion komplett zu ignorieren, wenn ich schreibe/plotte/Ideen entwickle.

Eine ganz andere Sache sind starke, interessante, lebensechte Charaktere. Ich kann nur schlecht beurteilen, wie meine Charaktere gebaut sind, aber das Feedback von Betas war bisher positiv. Ich tue mich beim Schreiben selbst relativ schwer damit, ordentliche Schwächen zu verteilen. Eigentlich liest und hört man ja immer wieder, das Schwächen auch richtige Schwächen sein müssen, sonst sind es, wie ihr schon sagt, Alibi-Schwächen. Aber meiner Meinung nach müssen diese Schwächen auch irgendwie plotrelevant sein. Klar, ich kann jemanden als obsessiven Briefmarkensammler vorstellen, aber Hobbies sind ja nun nicht plotrelevant. Dummerweise tendiere ich aber dazu, genau solche Schwächen einzubauen, anstatt meinem Prota eine Schwäche zu geben, die ihn unausweichlich immer tiefer in die Sch**** reinreißt, wie zum Beispiel Rachsucht, Jähzorn, 'kann die Klappe im entscheidenden Moment nicht halten' oder, oder, oder.
Daher tendiere ich dazu, meine Lieblingsschwächen immer wieder zu benutzen, obwohl ich die oft nicht als starke 'Schwäche' empfinde (die großen 5: Trust-Issues, kurze Zündschnur bei einem speziellen Thema, Ungeduld, extremer(!) Pragmatismus und die gute, alte, arrogante, kalte Maske). Allerdings, wie Maubel schon geschrieben hat, sind auch Schwächen nicht immer schlecht, sondern es ist situationsabhängig, ob eine Charaktereigenschaft in der Szene positiv oder negativ ist. Alles irgendwie nicht so einfach.

Zitat von: Witch am 24. Februar 2016, 18:40:12

Ich finde das übrigens in GoT recht gut umgesetzt, jeder hat seine Gründe für sein Tun, selbst die miesesten Kerle haben nachvollziehbare Argumente und niemand ist immer nur gut und im Recht und niemand ist immer nur schlecht und im Unrecht (ausser Ramsey Bolton vielleicht, aber das ist einfach ein Psychopath).

Das ist glaube ich der Knackpunkt der ganzen Sache. Flache Charaktere haben keine plausiblen Gründe für ihre Taten. Der klassische Evil Overlord, der die Welt einfach nur so beherrschen will, weil er böse ist, hat keinen nachvollziehbaren Grund. Man muss es schaffen, mit der Handlung einer Person deren Charakterzüge zu zeigen (bzw. eher umgekehrt, der Charakterzug bedingt ja die Handlung in einem Szenario). Und bis auf ein paar wenige Ausnahmen gibt es für viele Dinge, die Menschen so tun, eine Begründung, die zumindest nachvollziehbar macht, warum jemand etwas tut, und so kriegt man das dann hoffentlich auch im Buch hin. Man muss sich dann eigentlich nur (haha!) überlegen, wieso der Charakter tut, was er tut, und dann ist man zumindest auf einem guten Weg.

Mein Lieblingsbuchcharakter ist Attikus O'Sullivan aus der Iron Druid Reihe von Kevin Hearne. Man könnte ihn wohl in chaotisch-gut einordnen, wenn man denn wollte. Der Charakter hat aber auch erstaunlich viele Grautöne, obwohl die sunny-boy-Fassade gerade zu Beginn einiges übertüncht. Und er hat durchaus das Talent großen Bullshit anzurichten mit seiner Art.

LinaFranken

#13
Das ist ein sehr interessantes Thema!
Ich habe eine seeehr große Schaar von Charakteren in meiner Reihe und muss mich auch regelmäßig mit der Frage rumschlage, ob sie nicht zu plakativ sind.

ZitatWelche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Zuallererst finde ich Klischees an sich nicht soo schlimm. Es gibt ein paar Chara-Typen, die ich immer wieder gerne sehe, auch wenn sie an sich schon tausendmal da gewesen sind. Z.B. den ruppigen Helden, der ständig blöde Sprüche klopft - kein bisschen orginell, aber immer wieder sehr unterhaltsam (Sam Dean aus Supernatural, Deamon aus Vamire Diaries, Spike aus Buffy etc) immer in Lederjacke und mit nem blöden Spruch auf den Lippen, ausgelutscht bis zum geht nicht mehr und doch immer wieder spaßig.  8)

Dann gibt es aber auch Klischee-Protas die man irgendwie aus persönlichen Gründen nicht mag, obwohl sie bei vielen beliebt sind. Ich persönlich bin da allergisch auf die "muss ständig gerettet und beschützt werden -Protagonistin". Ich mag einfach keine schwachen Mädchen, da kann sich der Autor noch so viel Mühe geben sie tiefgründig zu gestalten.  :no: Die enden bei mir immer als Kanonen-Futter  :darth:

ZitatUnd wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Zuallererst versuche ich ihnen eine Vergangenheit und Gründe für ihr Handeln zu verleihen, aber auch das klappt nicht immer. Es kommt vor, das ich mir trotzdem anhören muss, dass das, was ich vermitteln will, nicht rüberkommt.  :(
Ich denke, ich mache den Fehler, das ich zu lange in der Geschichte warte, bis ich andere Seiten oder Wendungen des Charakters zeige. Da ist es vielleicht besser, schon früher Twists einzubauen  :hmmm:

Was ich oft versuche um mir die Charas lebendiger vorzustellen, ist sie in einen Supermarkt zu setzten. Ich stelle sie mir in einer alltäglichen Stituation, wie im Supermarkt vor und ergründe, wie er sich wohl verhalten würde. Weintrauben klauen? Brav an der Kasse anstehen? Manchmal hilft es, besseres Gefühl für den Prota als echten Menschen zu bekommen.

Slenderella

Manchmal ist der eindimensionale Charakter (also das laufende Klischee) auch nötig, um die restlichen Charaktere aufzuwerten. Klischees gibt's ja vor allem deswegen, weil die beliebt sind. Also ganz klischeefrei geht es sowieso nie.
Und wenn man dann den typischen Cool Bad Boy hat, der nur da ist, um schnieke auszusehen und Mädels abzuschleppen, weiß man plötzlich den wirklich netten Held besser zu schätzen usw.
Ich brauch noch eine Katze
Und ein Beil wär nicht verkehrt
Denn ich gehe heute abend
Auf ein Splatter-Pop-Konzert