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Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?

Begonnen von Luciel, 30. Juli 2010, 13:27:51

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Luciel

Die Frage beschäftigt wahrscheinlich jeden Autor, wie viel Alltägliches braucht die Geschichte und ab wann wird es langweilig?

Mir ist das gerade beim Lesen von "Sonea" aufgefallen. Die Autorin entwickelt sich gerade zur Meisterin der Langeweile des Alltäglichen. Es gibt da eine Szene, in der zwei Reisende Abschied nehmen - und das genau mit den Sätzen, Gedanken und Gesten, die man bei einem Abschied eben erwarten darf. Gewürzt mit Wiederholungen aus einem vorhergehenden Gespräch ... *gähn* Ich hätte diese Szene komplett gestrichen und gleich in der Kutschfahrt begonnen (wo man dann immer noch auf den Abschied rückblicken könnte).

Da ich selbst gerade an einer Szene schreibe, die an einem Krankenlager spielt, frage ich mich natürlich sofort, ob ich auch der Versuchung erliege, etwas zu alltägliches zu beschreiben, nur um die Szene zu füllen.
"Er sieht schlecht aus ... Du solltest noch nicht aufstehen ... etc."
Das Übliche eben, was sich wohl mehr oder weniger an jedem Krankenbett abspielt und was sich der Leser ohnehin vorstellt.
Bin ich einfach zu schnell gelangweilt beim Lesen (insbesondere als eingefleischter Fantasy-Leser) oder ertappe ich Autoren beim Versuch, ihre Seiten mit chronologischen Abläufen zu füllen?

Wie haltet ihr die Balance? Geht das überhaupt? Gibt es ein Erkennungsmerkmal dafür, wann es zuviel wird?

Antonia Assmann

Prinzipiell wird mir zuviel Alltagsgeschehen auch schnell langweilig. Ich frage mich dann immer, ob diese Art zu schreiben im November besonders beliebt ist... ;D Also, ich habe mich auch schon dabei erwischt, dass ich so einen Ablauf reingebracht habe, aber das war für NaNo. Allgemeinm würde ich sagen weniger ist mehr, außer ich brauche genau diese Alltäglichkeit, als Kunstgriff, weil dann das, was später passiert umso chaotischer, grausamer, witziger, aberwitziger oder wie auch immer rüberkommt. Also rein als Hintergrund, wenn man es aus der Sicht eines Males betrachen möchte.
Ansonsten bin ich auch jemand, der lieber seine Leser mitdenken lässt.

Liebe Grüße
Antonia

zDatze

Gegen ein bisschen Alltag habe ich nichts einzuwenden. Sei es, um die Welt besser kennen zu lernen oder den/die Prota. Und da wären wir auch schon bei dem Punkt, der für mich persönlich sehr wichtig ist. Auch in einer Alltagsszene sollte ein Funken Sinn (optional auch ein Funken Spannung) stecken.
Darunter verstehe ich nicht nur motorisches Abarbeiten eines Tagesablaufes. Wenn "von außen" (das wäre für mich der Plot) kein Anstupser kommt, dann sollte er "von innen" (der Charaker des Protas) kommen. Das heißt, es sollte auf irgendeine Weise eine Weiterentwicklung passieren. Oder ein weiterer Konflikt aufgeworfen werden.

Ich denke, wenn man seine Geschichte mit langweiligem Alltagsgeschehen vollstopft, dann stimmt etwas am Plot nicht. (Oder man hat einfach nichts zu erzählen.)

Luna

Wie heißt es so schön, die Dosis macht das Gift. Ich denke, über das Alltagsgeschehen zu schreiben, um den Charakter des Protas oder seine Marotten und Vorlieben näherzubringen ist nicht verkehrt. Ich habe auch vor, über eine Badeszene zu schreiben. Allerdings sollte das Alltagsgeschehen wohl dosiert und vor allem kurz gehalten sein, so als Erholung, bzw. Verschnaufpause für Leser nach einem spannenden Moment/Höhepunkt.
Mich auf jeden Fall interessieren keine seitenweise Beschreibungen über Leute, die morgens aufstehen, frühstücken, zur Arbeit fahren, nachhause kommen, duschen und sich die Zehennägel lackieren :hand:

Rigalad

Ich sehe das sehr ähnlich. Ein wenig Alltag darf ruhig ausgeschrieben werden.
Meiner Meinung nach ist das sogar notwendig. Ich habe auch schon oft Bücher gelesen, in denen die Handlung Schlag auf Schlag abgearbeitet wurde und der Leser von einem Drama ins nächste geschleudert wurde.
Durch sowas verliert man auch ein wenig seine Glaubwürdigkeit, finde ich. Keine Chara fährt mit Loopings durchs Leben. Das ist unrealistisch. Ich finde, das sollte man auch so darstellen.
Ab und an braucht der Leser auch mal ein paar Seiten Zeit zum Atmen.

Churke

Da stelle ich doch die Frage: Was ist Alltag überhaupt?
Andere Länder, andere Sitten, sagt man, und das sollte doch umso mehr bei einem Fantasy-Roman der Fall sein. Wenn nicht, unterstelle ich dem Autor Einfallslosigkeit, und dafür gibt es keine Entschuldigung.
Denn was für die Figuren Alltag ist, könnte für den Leser hochspannend sein. In einem meiner Historischen geht der Held in die Caracalla-Thermen und stellt fest, dass das "Schwimmbecken" (natatio) nur 1 m tief ist. Mit dem Schwimmen hatten's die Römer nicht so. Sein Führer, ein christlicher Fanatiker, geht da sowieso nicht rein. Anschließend kehren sie in ein popina ein. Die Schankmagd liefert nicht nur Essen an den Tisch, sondern ist - gegen Vorkasse - auch anderweitig zu haben.
Also ein ganz normaler Tag in Rom, bevor die Barbaren vorbei schauen.

Schreinhüter

@Luciel  Eine interessante Frage, eine, die zum nachdenken anregt. Besonders lustig für mich aber ist, dass du ebenfalls gerade eine Krankenlagerszene schreibst. Damit beginnt in diesen Tagen nämlich mein zweiter Roman  ;D

Alltag ist für mich in einem Fantasyroman der Seitenhieb der Realität, die kleine Stütze von Aussen, die den Leser immer wieder davon überzeugt, dass es auch in seiner Welt möglich wäre, oder dass eben die Charaktere auch "nur" Menschen sind. Gerade in einer Welt mit Krieg, Schlachten und allerlei Unheil ist es doch der ruhige Moment, in dem man sich ein kräftiges Schwarzbrot schmiert, oder mit einem Grinsen an der Seite seines Schlachtkumpanen in einer kalten Brise über die Kanonenbootreling...na, ihr wisst schon  ;)  Derber Alltag und notwendiger Alltag, aber nicht das, was Luna schon sehr richtig beschrieben hat - eben das langweilige, was nicht zum Überleben notwendig ist.

Lexa

Das alltägliche Leben sollte nur soweit beschrieben werden, wie es für den Leser nicht alltäglich ist. In einer Fantasywelt darf meiner Meinung nach vorallem am Anfang gerne etwas mehr Einblick in die fremde Welt gewährt werden, doch sobald Dinge beschrieben werden, die ich selber jeden Tag mache und die nichts zur Handlung beitragen, ist für mich Schluss.
Ich würde hier auch an die Vorstellungskraft der Leser appellieren. Wenn der Prota zu Abenteuern aufbricht, kann man sich denken, dass er vorher aufgestanden ist, gegessen und sich bereit gemacht hat. Aber lesen muss man das nicht. Und deshalb auch nicht schreiben.
Ausnahmefälle kann  es jedoch wie überall immer geben  ;)

Schreinhüter

@Lexa

Deinen Punkt kann ich gut verstehen, aber ist es nicht auch so (Schwarzbrot-Beispiel), dass man parallel alltägliche Handlungen vollführen kann, wenn es den Fortlauf der fantastischen Handlung stützt?
Z.B : Ein Elfenjäger im Wald, der immer nur Fährten liest, hetzt und das Tage lang, ohne sich einmal an einen Bachlauf zu setzen, einmal Wasser zu trinken, das Gesicht zu waschen und einen Apfel zu schälen? Das fände ich dann doch ein wenig zu fantastisch. Aber die Grenzen sind da dünn und wenn du sagst, man muss es nicht lesen, wie gleichwohl auch nicht schreiben, dann wäre ich schon ein von dir angesprochener Ausnahmefall.  ;)
Versteh mich nicht falsch, aber wenn man, jetzt ganz nach deinem Beispiel, die Vorbereitung einer Reise nicht trifft, oder den Prota nicht Mal sich selbst sein lassen kann - wie lerne ich als Leser ihn dann besser kennen, oder noch besser: Wie lerne ich als Autor meine Charaktere kennen?
Natürlich, wie du sagst, gibt es Ausnahmen überall, vielleicht bin ich in diesem Fall eine. Deswegen wäre ich gespannt auf andere Meinungen  :)

Rika

Ich denke auch, es kommt darauf an, was in der Szene drin steckt. Lernen wir den Charakter näher kennen, vielleicht über seine/ihre Sorgen, oder darüber wie er/sie auf etwas im Alltag reagiert? So könnte z.B. Geduld, oder Hitzköpfigkeit gezeigt werden, oder ob der Chara fröhlich ist, oder depressiv, oder...
Oder zeigt die Alltagsszene vielleicht das Umfeld/die Gesellschaft in der der Chara lebt? Wird ein Nebenchara eingeführt oder weiterentwickelt? Schafft die Szene die Stimmung für den Chara/die Geschichte? Gibt die Szene einen guten Kontrast her, entweder zu vorhergehender oder nachfolgender "action"? Entwickelt die Szene das Plot irgendwie weiter, auch wenn es nicht sofort offensichtlich ist?

Im Zweifelsfall würde ich die Szene erstmal schreiben, und hinterher gucken ob sie gestrafft werden muß, doch ganz gestrichen (weil überflüssig), oder vielleicht sogar wichtiger war, als ich erst gedacht hatte.

Drachenfeder

Es kommt ja immer drauf an wie man das beschreibt und in welchem Zusammenhang es steht.

Ich habe mal eine Kurzgeschichte geschrieben, in der eine Frau überfallen wird. Vorher ist sie bei der Hausarbeit. Ich beschreibe ein bisschen wie sie etwas macht, dass sie einen Putzfimmel hat, und alles sehr korrekt macht und dadurch nicht mitbekommt, dass jemand in das Haus gekommen ist.

Beschreibungen vom Alltagsgeschen kommen doch generell nur Zustande wenn es für die Geschichte notwenig ist, bzw. wenn daraus etwas hervorgeht, oder?



Zonka

Alltagsschilderungen finde ich dann wichtig, wenn sie allgemein die Handlung voranbringen, oder eben wichtige Hinweise geben auf die Charaktere, die Situation, oder das Setting.
Mich persönlich langweilen seitenweise Beschreibungen, seien sie auch noch so gut, wenn dadurch die Handlung stagniert.
Gezielt eingesetzte Alltagsschilderungen lassen den Leser aber zwischen turbulenten Szenen zum Durchatmen kommen und haben mit Sicherheit ihre Berechtigung.

LG
Zonka

Lucien

*hust* Ich starte eine Geschichte auch mit einem Krankenlager...  ;D
Ich bin auch der Meinung, dass ruhig etwas Alltag in die Geschichte rein darf, meinetwegen auch mal etwas häufiger. Ich persönlich finde, dass es die Geschichten durchaus auch etwas "authentischer" macht, sofern man bei Fantasy davon reden kann. Es findet im Leben nunmal nicht immer und zu jedem Zeitpunkt etwas spannendes statt.
Allerdings sollten diese Szenen nicht zu sehr ausarten oder immer wieder das gleiche beschrieben werden ... oder wenn, dann bitte schön mit einem triftigen Grund, der den Plot vorantreibt.
Aber kein Mensch braucht eine detailierte Beschreibung davon, wie sich ein Mädel eine Lasgane öffnet, in die Mikrowelle schiebt, den Knopf drückt ... Okay, ganz ruhig.  :omn:

Ansonsten sind Alltagsszenen, wie schon gesagt wurde, ganz praktisch, um die Charaktere und die Gebräuche in der Welt kennenzulernen. (Übringens finde ich in dem Zusammenhang auch Beschreibungen von Wohnungen ganz interessant, die ja irgendwie auch zu diesem Alltag gehören.)

Kati

Wie schon gesagt wurde, die Menge machts. Ich finde es wichtig ein bisschen Einblick in den Alltag zu geben, damit das Unalltägliche, was darauf folgt oder parallel geschieht, gewichtiger und verstörender erscheint. Ich beschreibe immer viel zu viel Alltag  ::), bin gerade dabei mir das abzugewöhnen.
Wo ich es richtig schlimm fand, war "The Hollow" von Jessica Verday. Ein schönes Buch, aber im Mittelteil teilt einem die Prota ständig alles mit, was sie macht und das muss dann doch nicht sein.  :) 


Telas

#14
Ich finde ein wenig Alltagsgeschehen speziell am Anfang eines Romans sehr wichtig. Es hilft, die Menschen in dem Werk zu verstehen und ihre Sitten und Gebräuche besser kennen zu lernen (wie Jenny ja schon sagt). Mit fortschreitender Handlung sollte die "Dosis" meiner Meinung nach reduziert werden, da sich andernfalls ohnehin alles wiederholen würde. Außerdem will sicher niemand vor dem großen Showdown hundert Seiten über den neuesten Klatsch in den Städten lesen. Gut, das war vielleicht ein wenig überspitzt gesagt, aber sollte es doch mein Ansinnen deutlich machen. Am Anfang mehr, um den Leser gut einzuführen und zum Höhepunkt hin wenig bis kein Alltagsgeschreibsel mehr.

EDIT:

Eigentlich müsste man Alltagsszenen auch als Brücke zu einer unerwarteten Situation einsetzen können. Beispiel: der Prota läuft zuerst ganz friedlich seinen täglichen Spazierweg ab, doch dann fällt ihm eine krasse Unregelmäßigkeit auf (zum Beispiel eine Leiche). So kann aus einer vermeintlichen Alltagsszene vielleicht noch ein Spannungshöhepunkt werden.