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Wie Bücher zu Klassikern werden. Oder: Von zeitgemäßer Moral

Begonnen von Luna, 24. April 2013, 15:28:23

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Adam_Charvelll

#60
Zitat von: FeeamPC am 27. April 2013, 11:53:08
Klassiker, die wichtige Aussagen haben wie z.B. Goethes Faust, können durch ein neues Medium wieder aktuell und verdaulich werden. ich habe den Faust als Film-Aufzeichnung eines Theaterstücks gesehen, und war fasziniert, obwohl ich ihn in der Schule gehasst habe. Habe mir den Film sogar zweimal angesehen. (Mephisto, mit Gustav Gründgens in der namensgebenden Rolle)

Gerade im Theater wird ja heutzutage viel Wert darauf gelegt, die Vorlagen neu zu adaptieren und mit gegenwärtigen Themen zu verbinden. Es wird also immer der thematische Kern isoliert und anschließend vom veralteten Rahmen extrahiert, um ihn in einen aktuelleren und gegenwartsnäheren Kontext einzubinden.

Kati

ZitatMärchen, egal wie brutal und politisch falsch sie ausfallen, sind Behandlungen von Archetypen, die jeder von uns aus dem kollektiven Unterbewusstsein mitkriegt und die deshalb unabhängig von Jahrhundert die Menschen ansprechen. Nicht jeden, aber eben doch sehr viele. Das macht sie so zeitlos. Und so notwendig.
Über diese Archetypen und eine sehr schwarz-weiß-gemalte Welt können Kinder Werte finden und verankern. Das gibt ihnen Ankerpunkte, sie sie brauchen.

Und das denke ich gerade nicht. Kinder brauchen keine Märchen um irgendwelche Werte mitzubekommen, besonders keine Märchen, die aus einer Zeit stammen, in denen man Kindern noch durch Einschüchterung und Demütigung Dinge "beigebracht" hat. Es gibt ein Märchen über ein Kind, das ständig seine Eltern ärgert, dann stirbt und immer die Hände aus dem Grab heraussteckt, aber keiner kümmert sich wirklich drum. "Das eigensinnige Kind" heißt das Ding. Was ist der Wert dahinter? ,,Wenn du nicht brav bist, lässt Gott dich an einer Krankheit sterben und das hast du dann davon." Was ist der Wert hinter den großen Märchen wie Schneewittchen oder Dornröschen? 

Märchen sind interessant, keine Frage, aber ich denke, sie sind lange nichts mehr für Kinder. Diese Werte können Eltern ihren Kindern auch auf andere Weise mitgeben. Es gibt genug Kinderbücher, die alle möglichen Themen behandeln, ohne so krasse Aussagen zu treffen. Es gibt Kinder, die lieben Märchen und welche, die sie hassen und beides ist in Ordnung, aber Kindern Märchen aufzudrängen, weil es angeblich gut für das Wertebewusstsein ist, finde ich sehr weit hergeholt. Man braucht ja auch nicht die zehn Gebote aus der Bibel auswendig zu kennen, um zu wissen, dass man nicht stehlen oder töten darf und was da alles drin steht.
Ich finde Märchen, genau wie viele Klassiker, als Ausblick in die Entstehungszeit interessant, aber nicht als Maßnahme zur Kindererziehung.

Ludovica

Da verallgemeinerst du aber ein bisschen, Kati. Wer erzählt denn heute noch dieses Märchen seinen Kindern? Und was soll an Märchen wie Allerleirauh, das Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen oder den ganzen Die Kluge XY-Märchen bedenklich sein, um nur mal ein paar der Lieblingsmärchen aus meiner frühen Kindheit zu nennen (ich fand auch die Gänsemagd ganz toll und konnte das Pixi-Buch mit 4 Jahren auswendig, aber dass das ein bisschen komisch für manche Kinder sein könnte bestreite ich gar nicht).

Die Sache ist die, dass man sogar wenn man seinen Kindern Märchen erzählt, eine unglaubliche Auswahl hat. Der Index meiner Ausgabe von Grimms' Kinder- und Hausmärchen hat sieben Seiten, und dann gibt es noch Hauff und Andersen und 1001 Nacht. Man braucht ja nicht unreflektiert einfach jedes Märchen erzählen, vielleicht sollte man es sich vorher selbst mal durchlesen und überlegen, ob das für sein Kind das Richtige ist (nachdem ja auch jedes Kind anders ist). Ich hab als Kleinkind Beschreibungen dunkler Dinge geliebt, Prinzessinnen, die sich verkleiden und Abenteuer erleben, Geschwister, die bösen Hexen und Wassermännern entkommen, clevere junge Soldaten, die durch ihre Güte und Intelligenz riesige Schätze mitheimnehmen... Ja, nicht jedes Märchen ist mehr geeignet für Kinder, aber ein paar sind es eben doch noch. Und meine Mutter hat mir Märchen nicht zu Erziehungszwecken erzählt, sondern als Unterhaltung, und ich werde das auch so machen, abgesehen von gewissen grundlegenden Messages: Du kannst allem Bösen entkommen; sogar wenn dir mächtige Leute Böses tun, kannst du sie besiegen; wenn du geduldig bist und alten Frauen und verletzten Tieren hilfst, wirst du belohnt werden. Das sind meiner Meinung nach keine negativen Botschaften.

Und man muss seinem Kind ja nicht die Originalversion von Schneewittchen erzählen, oder das Märchen vom Mäuschen, vom Vögelchen und von der Bratwurst (das mich selbst auch ziemlich verstört hat). Oder Andersen, der wirklich großteils nicht für sehr kleine Kinder geeignet ist, aber vor allem deshalb, weil der gute Mann eine Abneigung gegen Happy Ends zu haben scheint. Das ist doch genauso wie beim Fernsehen: Man braucht seinem Kind nicht das Fernsehen zu verbieten (was ich selbst für ein bisschen weltfremd halte heutzutage), aber man sollte sich halt selbst erst mal die Mühe machen, darüber zu reflektieren, ob gewisse Inhalte für sein Kind geeignet sind; und ja, das braucht Zeit, und sicher wäre es einfacher, seinem Kind einfach ein 100% unproblematisches Kinderbuch von einem 100% unproblematischen Autor in die Hand zu drücken, aber das ist wirklich jedem selbst überlassen.

Kati

#63
Allerleirauh zum Beispiel heiratet ihren Vater, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass man Kindern keine Märchen mehr vorlesen soll. Ich bin nur gegen die Aussage, dass alle Kinder unbedingt Märchen zur Wertebildung brauchen. Das glaube ich nämlich nicht. Und du sagst es ja: Märchen sollten wenn, dann zur Unterhaltung erzählt werden und auch nur Kindern, die das hören wollen. Aber, dass Kinder Märchen unbedingt brauchen, weil sie daraus Werte mitnehmen können, wollte ich einfach mal in Frage stellen und nicht so unkommentiert stehen lassen.  ;) Es gibt ja zum Beispiel auch die "kindgerechten" Disney-Versionen oder Aufarbeitungen von Märchen, in denen die grausigen Details gar nicht vorkommen. Ich kenne viele Leute, die gar nicht wissen, dass sich Aschenputtels Schwestern die Hacken abschneiden, weil sie bloß die kindgerechten Versionen kennen. Um es nochmal zu sagen: Ich bin keinesfalls dafür, dass Kindern keine Märchen mehr vorgelesen werden, wenn sie welche hören wollen. Aber ich denke nicht, dass sie für Kinder zur Pflichtlektüre gehören müssen.

Ich liebe Märchen heute, obwohl ich sie als Kind gehasst habe. Andere Leute finden ihren Zugang zu Märchen vielleicht niemals und das ist auch in Ordnung. Märchen sind wichtig, das sage ich ja auch in dem anderen Post, aber nicht als Pflichtlektüre für Kinder, sondern viel eher als Einblick in uralte Sagen und Geschichten, die uns ohne die Sammlung der Grimms vielleicht verloren gegangen wären.

Alana

Ich habe mal gelesen, dass Kinder am Anfang diese extreme schwarz-weiß Zeichnung brauchen, die in Märchen vorkommt. Das ist wichtig, damit sie später lernen können, zu differenzieren und die Graustufen zu erkennen. Obs stimmt, weiß ich nicht, aber es klingt plausibel, solange man rechtzeitig den Absprung schafft und nicht beim Schwarz-Weiß sehen bleibt. Nutzt einem allerdings auch nichts, wenn das Kind partout keine Märchen hören will. Zwingen werde ich ihn sicher nicht.
Alhambrana

Ludovica

#65
Zitat von: Kati am 27. April 2013, 22:55:34
Allerleirauh zum Beispiel heiratet ihren Vater, wenn ich mich recht erinnere. 

Da erinnerst du dich nicht richtig: Allerleirauhs Vater will sie heiraten, aber sie trickst ihn aus und flieht (was für ein bisschen ältere Kinder eine wichtige Botschaft ist: Deine Familie kann schlecht für dich sein, und es kann sein, dass du dir wo anders Hilfe suchen musst). (EDIT: Ich hab das übrigens in meiner Kindheit nie kapiert, dass das ihr Vater war. Sie wurde halt als Prinzessin und er als König bezeichnet, aber ich hab da diesen Umkehrschluss nicht 100% getroffen, weil der König halt Der Böse war.)

Und ich denke auch, dass Märchen ein wenig mehr sind als nur ein Einblick in frühere Zeiten. Da stimme ich FeeamPC definitiv zu, auch wenn ich mit dem 'wichtige Werte vermitteln' nicht 100% konform gehe, weil man das wirklich auch anders machen kann: Märchen bauen auf Archetypen auf, auf Geschichten, die seit tausenden Jahren erzählt werden (sehr viele Märchenmotive findet man schon in Fabeln und auch Trivialromanen aus der römischen Antike). Meiner Meinung nach sind Märchen oder märchenförmige Geschichten durchaus wichtig, wenn man seine Kinder in die Welt des Fiktiven einführen will (was ich auf jeden Fall vorhabe). Es gibt eine klare Struktur, ein klares das-ist-böse, das-ist-gut, die Bösen werden bestraft und die Guten belohnt. Kinder wissen diese Dinge nicht von Geburt an, die muss man ihnen auch erst einmal beibringen. Also gerade, um ihnen kleine moralische Anstöße zu geben, wirken Märchen sicher besser als jetzt zu sagen 'Das darfst du nicht machen', ohne eine Geschichte dazu zu liefern.

Wie gesagt, es steht jedem frei, andere Geschichten oder kindgerechte Märchen zu nutzen, aber Märchen sind keinesfalls bloß ein Produkt einer Zeit, das man nicht auch aus dieser Zeit abgelöst betrachten kann.

Kati

Zitat von:  AllerleirauhDa kamen die goldenen Haare hervor, und sie stand da in voller Pracht und konnte sich nicht länger verbergen. Und als sie Ruß und Asche aus ihrem Gesicht gewischt hatte, da war sie schöner als man noch jemand auf Erden gesehen hat. Der König aber sprach: ,,Du bist meine liebe Braut und wir scheiden nimmermehr voneinander." Darauf ward die Hochzeit gefeiert und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod.

??? Klingt mir so, als würde sie ihren Vater heiraten, tut mir Leid. Aber daran wollte ich mich jetzt gar nicht aufhängen. Ich gebe dir in soweit Recht, dass es wichtig ist, seinen Kindern Gut und Böse beizubringen und das durch Geschichten wunderbar geht. Und ich habe ja auch mehrmals gesagt, dass es auf das Kind ankommt: Kinder, die Märchen abkönnen und mögen, können die doch vorgelesen bekommen, da bin ich ja gar nicht gegen. Aber, wie auch schon gesagt habe (!), gibt es die Märchen für empfindliche Kinder auch in harmloseren Versionen. Aber auch Kinder, die Märchen gar nicht mögen, können kreativ werden und in die Welt des Fiktiven eintauchen. Ich habe eben andere Geschichten über gut und böse gelesen und ich denke nicht, dass es mir deshalb vorenthalten war in die Welt des Fiktiven eingeführt zu werden oder den Unterschied zwischen Gut und Böse zu lernen.

Zitat von:  Ludovicaaber Märchen sind keinesfalls bloß ein Produkt einer Zeit, das man nicht auch aus dieser Zeit abgelöst betrachten kann.

Das habe ich ja auch so nicht gesagt. Das geht auch gar nicht, schließlich sind Märchen nicht das Produkt einer bestimmten Zeit, sondern vieler Jahrhunderte. Aber du sagst es ja selbst: Märchen oder märchenförmige Geschichten. Und deshalb denke ich, dass Kinder Märchen nicht unbedingt brauchen. Aber ich streite ja gar nicht ab, dass Kinder aus Märchen auch was mitnehmen können, wenn man sie richtig erzählt.

Ludovica

(
Zitat von: Kati am 27. April 2013, 23:24:22
??? Klingt mir so, als würde sie ihren Vater heiraten, tut mir Leid.

Das ist aber ein anderer König  :versteck: Sie flieht vor ihrem Vater in ein anderes Königreich und heiratet da den König; zuviele Könige für ein Märchen.... )

Zitat von: Kati am 27. April 2013, 23:24:22
Das habe ich ja auch so nicht gesagt. Das geht auch gar nicht, schließlich sind Märchen nicht das Produkt einer bestimmten Zeit, sondern vieler Jahrhunderte. Aber du sagst es ja selbst: Märchen oder märchenförmige Geschichten. Und deshalb denke ich, dass Kinder Märchen nicht unbedingt brauchen. Aber ich streite ja gar nicht ab, dass Kinder aus Märchen auch was mitnehmen können, wenn man sie richtig erzählt.

Dann sind wir uns ja einig  ;) Woran ich mich aufgehängt hab war das 'Produkt ihrer Zeit'-Ding, aber wies aussieht, haben wir ansonsten eh die selbe Meinung, nur von zwei verschiedenen Standpunkten.

Stahlkarnickel

Ist es nicht einerlei, auf welche Weise Kinder 'zeitgemäße Moral' aufnehmen? Ob ich jetzt Max und Moritz, Wir Kinder aus Bullerbü, Der König der Löwen oder Lauras Stern hernehme.
Alle haben sie einen pädagogischen Effekt. Ich glaube, dass vor allem im Bereich Kindergeschichten, die Klassiker durch die Assoziation entstehen, die die Eltern (Erzieher, Lehrer) mit einem bestimmten Werk haben.
Der Vater weiß, wie er Max und Moritz in seiner Kindheit liebte, deswegen gibt er die Geschichte an seine Kinder weiter. Vielleicht erzählt er noch zwanzig andere Geschichten, die er für ebenso wichtig hält, aber beim Kind bleiben davon nur fünf hängen, die er dann an seine Kinder weitergibt. Die anderen 16, die das Kind den eigenen Nachkommen erzählen wird, sind neu dazugekommen.

Der Klassiker ist also die Geschichte, die es geschafft hat, von mehreren Generationen als eine der Wichtigsten angesehen zu werden. In den Zeiten des Internets gibt es allerdings eine Art Geschichtenpluralisierung. Es stehen dem Einzelnen in immer kürzerer Zeit immer mehr Geschichten zur Verfügung, die gelesen werden wollen. Bei vielen Eltern fallen dann eben ältere 'Klassiker' aus dem Raster, weil es so viel neues zu Lesen und Vorzulesen gibt. Dadurch sterben und werden sehr viele Klassiker aussterben. Was aber nicht unbedingt etwas schlechtes sein muss.

Ich glaube, wenn wir ehrlich sind, dann sind Aussagen wie; »Ich finde Max und Moritz ist einfach Allgemeinbildung« nicht dem Gedanken geschuldet, dass wir die Max und Moritz für unersetzlich in der Bildung junger Menschen halten, sondern den persönlichen nostalgischen Emotionen gegenüber der Geschichte. Ich möchte die Geschichten nicht schlecht reden, ich habe sie ja selber in meiner Kindheit geliebt. Aber man darf seine eigenen Kindheitserinnerungen nicht glorifizieren, zumal dort ohnehin alles schöner erscheint. Jeder wird seinen Kindern das mitgeben, was er für wichtig erachtet. Da kann sich die Norm binnen Fünf Jahren schon total verändern.

Ich finde Ludovica trifft es da sehr gut auf den Punkt!
ZitatUnd man muss seinem Kind ja nicht die Originalversion von Schneewittchen erzählen, oder das Märchen vom Mäuschen, vom Vögelchen und von der Bratwurst (das mich selbst auch ziemlich verstört hat). Oder Andersen, der wirklich großteils nicht für sehr kleine Kinder geeignet ist, aber vor allem deshalb, weil der gute Mann eine Abneigung gegen Happy Ends zu haben scheint. Das ist doch genauso wie beim Fernsehen: Man braucht seinem Kind nicht das Fernsehen zu verbieten (was ich selbst für ein bisschen weltfremd halte heutzutage), aber man sollte sich halt selbst erst mal die Mühe machen, darüber zu reflektieren, ob gewisse Inhalte für sein Kind geeignet sind; und ja, das braucht Zeit, und sicher wäre es einfacher, seinem Kind einfach ein 100% unproblematisches Kinderbuch von einem 100% unproblematischen Autor in die Hand zu drücken, aber das ist wirklich jedem selbst überlassen.

Immer wenn ich mir Sorgen mache, dass Werte verkommen und die Menschheit daran zugrunde gehen wird, dann kommt mir dieses Zitat in den Sinn, das Aristoteles zugeschrieben wird:
"Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes,wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen." - Aristoteles
Und dann muss ich lächeln :)

Kati

Ludovica: Zwei Könige, okay. Dann gefällt mir das Märchen immer noch nicht, aber wenigstens ist es nicht ganz so gruselig, wie ich immer dachte.  ;D Im Englischen ist der zweite König auch als Prinz übersetzt, da wird das klarer. Ich denke auch, dass wir im Kern dasselbe meinen.

Linda

Zitat von: Kati am 27. April 2013, 23:24:22
??? Klingt mir so, als würde sie ihren Vater heiraten, tut mir Leid. Aber daran wollte ich mich jetzt gar nicht aufhängen.

nein. Das (siehe Zitat) ist der König, an dessen Hof sie als Küchenmagd gearbeitet hat, nachdem sie vor ihrem Vater geflohen ist, der in ihr bloß eine junge Version der verstorbenen Mutter gesehen hat. Märchen stecken voller Tiefenpsychologie, davon können sich viele andere Werke eine Scheibe abschneiden. Märchen sind nicht für Kinder geschrieben ... Aber Schulkinder können sie lesen, weil sie nur die Teile verstehen, die sie auch verarbeiten können.  Deswegen wirken die grausamen Datails da auch ganz anders, als im Horrorfilm, oder der Tagesschau.
Ganz kleinen Kindern würde ich eher Tiergeschichten präsentieren oder anderes vorlesen. Disney-Versionen sind auch ganz nett. Aber halt nur ein reduzierter Teil der Wahrheit. Wobei die Märchen, die man heute in den Kinder- und Hausmärchen der Grimms findet, gegenüber den ursprünglichen Versionen schon entschärft und bearbeitet worden sind.
Den schlimmen (jawohl!) Satz, dass Mädchen / Prinzessinen im Märchen nur gerettet werden, verdanken wir ebenfalls der filmischen Verkitschung.
Sehr viele Märchen zeigen die Individuation und das Lebensmodell für Frauen, die im Gegenteil die starke Rolle verkörpern. Mal durch Erdulden und Schweigen (7 Schwäne), mal durch aktiven Einsatz (7 Raben), mal als Herrscherin (Marija Morewna), mal als Zauberin oder durch List und Klugheit... Als Liebende, Partnerin, Beraterin ... Da ist also für fast jedes Lebensmodell was dabei.

Ludovica

Zitat von: Linda am 27. April 2013, 23:44:55
Den schlimmen (jawohl!) Satz, dass Mädchen / Prinzessinen im Märchen nur gerettet werden, verdanken wir ebenfalls der filmischen Verkitschung.
Sehr viele Märchen zeigen die Individuation und das Lebensmodell für Frauen, die im Gegenteil die starke Rolle verkörpern. Mal durch Erdulden und Schweigen (7 Schwäne), mal durch aktiven Einsatz (7 Raben), mal als Herrscherin (Marija Morewna), mal als Zauberin oder durch List und Klugheit... Als Liebende, Partnerin, Beraterin ... Da ist also für fast jedes Lebensmodell was dabei.

Ich hab grad Herzchen in den Augen, dass du Marija Morewna kennst, Linda  ;D

Aber ja, das ärgert mich auch immer wieder. Einerseits heißt es immer 'Buuuh Märchen sind so frauenfeindlich', andererseits kommt dann dieser (zensiert) von Hollywoodproduzent an mit 'Jaaa es gibt zu wenig Märchen mit männlichen Hauptfiguren also machen wir aus dem Zauberer von Oz eine Geschichte ÜBER den Zauberer von Oz, obwohl die Geschichte von einem Feministen geschrieben wurde, der absichtlich so viele starke Frauencharaktere geschrieben hat'...

Das ist ein bisschen mit der Bibel - viele kennen die Adaptionen, aber wenige setzen sich im Erwachsenenalter mit dem Original auseinander.

Kati

Linda: Ja, ich hatte das jetzt auch nochmal nachgelesen. Das war dann ein Fehllesen meinerseits. In der englischen Übersetzung, wo der zweite König als Prinz übersetzt ist, wurde mir das dann auch klarer, aber ich dachte jetzt wirklich jahrelang, die heiratet ihren Vater, obwohl man das aus der deutschen Version auch rauslesen kann, das nicht, wenn man nicht immer dachte, es wäre so. Und ich denke, du hast Recht, was das angeht, das Kinder nur das verstehen, was sie vertragen können. Aber Kinder verstehen auch viel falsch (wie ich Doofkopp mit meinem König, ein Irrglaube, dem ich fünfzehn Jahre nachgehangen habe.  :d'oh:). Und, wenn einem etwas Angst macht, dann vergisst man manchmal auch, dass die Geschichte eigentlich einen guten Ausgang hat. Wie gesagt, es kommt halt immer auf das Kind an, welche Art von Geschichten es lesen oder hören sollte. Ich hatte übrigens ein uraltes Märchenbuch von meinen Großeltern, in dem die unentschärften Versionen standen. Das kann natürlich auch nochmal ein Faktor sein, wie man mit Märchen umgeht. Es kommt immer drauf an, wie viel man abkann und ob man das überhaupt vorgesetzt bekommt.

Und, dass Märchen Frauen als "damsels in distress" darstellen, hatte ich jetzt eigentlich nie geglaubt. Ich halte aber Märchen auch nicht als besonders "feministisch". Aber sie zeigen natürlich auf, dass die Mädchen genau wie die Jungen ihren eigenen Kopf haben und sich retten können und das ist ein großer Vorteil. Und, Ludovica, das mit dem Zauberer von Oz ist auch so eine Sache, die gar nicht geht. Aber das wird so oft gemacht und den "Hass" kriegen dann meistens die Originalwerke ab, die nichts dafür können.

Linda

Zitat von: Ludovica am 27. April 2013, 23:49:23
Ich hab grad Herzchen in den Augen, dass du Marija Morewna kennst, Linda  ;D

:vibes:  ich hab sogar eine großformatige Ausgabe russischer Volksmärchen mit Illustrationen von Iwan Billibin. Ich mag schön illustrierte Märchen... und diese sind wirklich sehr schön.

Ludovica

Zitat von: Linda am 27. April 2013, 23:59:48
:vibes:  ich hab sogar eine großformatige Ausgabe russischer Volksmärchen mit Illustrationen von Iwan Billibin. Ich mag schön illustrierte Märchen... und diese sind wirklich sehr schön.

Das ist jetzt total off-topic aber Billibin Aaaaah  :vibes: Ich muss mir endlich mal ein russisches Märchenbuch im Original zulegen, wenn ich die Sprache jetzt schon mal gelernt hab... (Aber Marija ist einfach so toll  :wolke: Ich hab einen ganzen Haufen Badass-Königinnen in meinen Geschichten, die von ihr inspiriert wurden)