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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Maja am 03. Mai 2016, 20:14:53

Titel: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Maja am 03. Mai 2016, 20:14:53
Über Diversität und insbesondere LGBTQ-Figuren in unseren Geschichten haben wir ja schon einen längeren Thread. Dies hier ist ein spezielles Thema, bei dem ich erst überlegt habe, es als Fall für "Autoren helfen Autoren" zu eröffnen, aber da ich denke, dass ich nicht die einzige mit dem Problem bin, mache ich es jetzt hier im Workshop auf. Konkret geht es um die Frage, wann und wie man als Autor queere Figuren outen soll.

Wenn man in einem Verlag oder einer Reihe publiziert, bei der von Anfang ein [Gay]-Disclaimer auf dem Buch pappt, stellt sich diese Frage nicht. Die Leser wissen, dass sie schwule oder lesbische Hauptfiguren zu erwarten haben, und die bekommen sie dann auch. In der "normalen" Literatur hingegen sind immer noch heterosexuelle Helden die Norm, und wenn sie's nicht sind - wie sag ich's meinem Leser?

Auf der einen Seite ist es schön, wenn man mit den Erwartungen spielt und dem Leser dann die lange Nase drehen kann, wenn es anders ist. Nur, je mehr man die Sexualität seiner Figur in Form eines Knalleffekts enthüllt, desto mehr wird selbige zum Spektakel - und wenn man eigentlich rüberbringen möchte, dass eine Sexualität so normal ist wie die andere, dann tut man sich mit so einem Spektakel keinen Gefallen.

In meinem Jugendbuch "Das Glasaugenhaus" stellt sich ganz am Ende, buchstäblich auf den letzten Seiten, heraus, dass die beste Freundin meiner Protagonistin lesbisch ist, und auch wenn das damit nochmal ein guter Gag am Schluss ist, bin ich nicht glücklich damit, dass es auf einen Gag reduziert wird und dass ich meinen lesbischen Leserinnen damit die Möglichkeit genommen habe, sich mit dieser Figur eins-zu-eins zu identifizieren (was nicht heißt, dass sie sich nicht auch so mit ihr identifizieren dürfen, oder dass sich Hetero-Leserinnenn nicht genauso mit ihr identifizieren können), aber ich wollte "Lesbische beste Freundin"-Klischee vermeiden und habe mich darum entschieden, es wirklich an den Schluss zu packen - eine bewusste Entscheidung also, wenn auch eine, mit der ich nicht glücklich bin. Aber für dieses Buch ist das letzte Wort nicht gesprochen, es gibt nur eine Rohfassung, und ehe ich das mal irgendeinem Verlag anbiete, habe ich noch alle Möglichkeiten, das zu ändern.

Konkreter darum ist bei mir gerade ein anderer Fall. Mein "gefälschtes Siegel" ist im Lektorat, und ich stehe gerade vor der Aufgabe, die ersten drei Kapitel zu überarbeiten, und damit rückt das Coming-Out meines schwulen Kriegers in greifbare Nähe. In der ersten Fassung des Buches habe ich es en passant gelöst, dachte ich zumindest - beiläufig am Ende des zweiten Kapitels in der entsprechenden Perspektive mit dem Satz geendet "Aber er liebte ihn trotzdem". Als ich das Buch jetzt durchgearbeitet habe, um einen Überarbeitungsplan aufzustellen, gefiel mir diese Lösung überhaupt nicht. Durch das Packen in den letzten Satz des Kapitels habe ich wieder einen Knalleffekt, der mir so nicht gefällt. Lieber wäre mir, die Figur wäre von Anfang an "out". Nur nehme ich mir damit die Möglichkeit, meine Leser zu überraschen, denn wenn ausgerechnet der steinharte Krieger schwul ist, rechnet damit wirklich kaum jemand.

Gibt es in dieser Situation ein richtig und ein falsch? Wie verkauft man seinen Lesern am Besten, dass eine Figur queer ist, namentlich wenn sie nicht mit affektierter Stimme und gebrochenem Handgelenk auftritt? Soll man den Charakter erstmal als ganz normale Figur auftreten lassen und dann dem Leser sagen "Übrigens, pack mal deine Vorurteile weg, der hier ist übrigens schwul"? Oder lässt man es so lange offen, bis sich ein Coming Out nicht mehr vermeiden lässt, und wenn es ganz am Schluss passiert (oder, im Fall von Albus Dumbledore, in den eigentlichen Büchern niemals erwähnt wird)? Oder lasse ich meinen Krieger gleich auf den ersten drei Seiten seiner Perspektive an den hübschen jungen Prinzen denken? Habt ihr ein Patentrezept? Und wie löst ihr solche Situationen?
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Sprotte am 03. Mai 2016, 20:25:01
In meinen Heroics habe ich des Öfteren schwule Nebenfiguren. Ich bin mit meiner Lösung bei Krieger Orick aus "Cajan" sehr zufrieden.
Orick wird als Krieger einer kleinen Schar vorgestellt. Das ist eine eingeschworene, handverlesene Gemeinschaft. Orick sticht ein wenig hervor, weil er älter ist als der Durchschnitt der anderen Krieger (immer noch jünger als Cajan). Für meine als Mann verkleidete Heldin erweist er sich rasch durch seine ruppig-väterliche Art als Bezugsperson.  Bis eines Abends Cajan in zwei Sätzen Rebby auf Oricks Homosexualität hinweist. Vollkommen unaufgeregt und einfach nur als Hinweis. Er erwähnt, daß Orick Männer bevorzugt, daß der vermeintliche junge Mann Rebby eine Antwort auf ein Angebot nach eigenem Gewissen fällen soll, da Orick auch eine Absage selbstverständlich hinnehmen und sich danach nicht anders als gewohnt verhalten wird.
Und das war es.

Generell haben in meinen Fantasywelten die Figuren auch erheblich schwerwiegendere Probleme als eine homosexuelle Nebenfigur. Das ist eben so, und Vorurteile bewahrt man sich lieber für Elfen oder Monster auf.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Dämmerungshexe am 03. Mai 2016, 20:27:00
Solange die sexuelle Orientierung nicht irgendwie plotrelevant ist, wurde ich das auch nur nebenbei erwähnen.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Steffi am 03. Mai 2016, 20:27:12
Mein liebstes "Outing" einer Figur habe ich bei der Serie "Southland" erlebt.

Da gibt es einen bulligen Cop, knallhart und doch Sympathieträger, halt die Art Mentor, die man sich selbst wünschen würde. Und nach ein paar Folgen zeigt die Serie eine Szene, in der besagter Cop morgens in seiner Wohnung neben einem Kerl aufwacht, aufsteht, sich anzieht und geht. Das ganze wird nicht weiter kommentiert, die ganze Szene ist wirklich unspektakulär und beiläufig erzählt. Das ist einfach wirklich großartig gemacht - zum einen, weil das so überraschend kommt und so galant alle gängigen Klischees einen Quotenschwulen aushelbelt, zu anderen, weil eben keine große Sache draus gemacht wird. Auch später im Verlauf der Staffeln nicht.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: KaPunkt am 03. Mai 2016, 20:28:34
Wie so vieles hängt es von der Geschichte ab und wie wichtig die Orientierung der Figur für die Geschichte ist, finde ich.

Deshalb wirst auch du deine eigene Lösung finden müssen.  ;D
Ich persönlich mag es, wenn es eben so in der Handlung mitfließt. Die Figuren reden ja miteinander, und wie sie eben über das Wetter reden oder die Staatskrise oder wer weiß was, kann es in solchen Situationen auch dazu kommen, dass die Orientierung der handelnden / redenden Figuren ein Thema wird oder erwähnt wird.
So wie man es im täglichen Leben eben auch mit bekommt: "Ich kann später nicht mitkommen, meine Frau (Mann) kocht heute abend."
"An dem beißt sogar du dir die Zähne aus, der hat in dreißig Jahren noch zu keiner 'Ja' gesagt."

Eines der wenigen Dinge, die mir an 'Arkadien brennt' uneingeschränkt gut gefallen haben ist das Outing von Dingens' (Prota Name vergessen) Schwester. Das war eine kleine Überraschung für Dingens, aber keine große 'Oh mein Gott'-Situation im Roman.

Oder so.
*shrug*

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Tanrien am 03. Mai 2016, 20:35:47
Hatten wir dazu nicht schonmal einen Thread? Irgendwie kann ich mich da an was erinnern, aber kann auch zu einem vergleichbaren Thema gewesen sein.

Edit: Und während ich getippt habe, vier neue Antworten.  :d'oh: Ich stimme praktisch KaPunkt zu.

Ich bin kein Fan vom Herauszögern oder dem Überraschungseffekt. Ich schreib zwar keine Romanzen (oder reine Erotik), aber die Liebesgeschichte ist bei mir immer einer der Nebenplots und da will ich, dass Leser mitfiebern können und dafür muss klar sein, dass der Charakter dafür offen ist. Meine Charaktere treffen im ersten Kapitel immer irgendwelche Kassiererinnen, die sie mit den seltsamen Haaren an ihre Ex-Verlobte erinnern, oder sie begutachten den Hintern der Raumschiffpilotin oder sie werden von ihrer Großmutter gefragt, ob es denn "der" oder "die" neue sei, weil Kindchen so strahlt. Halt dieses übliche. Dauert einen Absatz und zack, ist die Sexualität etabliert. Ich finde auch oben genannte Situationen in ihren Settings recht normal und auch "normal", also, die könnten auch einem Hetero-Charakter passieren.

Das ist jedenfalls mein Patentrezept. Aber ich schreibe immer sehr nah am Charakter mit nur einer Perspektive und Action/Abenteuer. Gerade bei anderen Genre und mehreren Perspektiven kann es sicher auch spannend sein, damit zu spielen, so wie bei der von Steffi erwähnten Show, wo man ja gerade bei (US-amerikanischen) Crime-Shows was anderes erwartet. Oder vielleicht, wenn man beides will, einen queeren Charakter direkt zu präsentieren und es bei einem herauszuzögern und dann den Leser zu überraschen. Geht ja auch.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Tintenteufel am 03. Mai 2016, 20:39:18
Also...ich bin mir nicht sicher, ob ein Outing überhaupt sein muss?
Ich meine, wenn ich jetzt von einem anderen Autoren ausgehe: Bei dem tauchen praktisch nie Frauen auf, nicht einmal im Hintergrund. Immer nur Männer, in sehr engen Freundschaften. Einer davon oft genug in einer sehr dominanten Rolle, der andere der Erzähler. Ihre Sexualität spielt einfach keine Rolle, weil ihre "Probleme" größer sind.
Insofern finde ich die Albus Dumbledore Variante besser (wenn man dann nachher noch die Klappe hält und nicht irgendwas postuliert, das in den Büchern nur interpretiert werden kann). In manchen Geschichten spielt Sexualität halt keine Rolle und da muss man doch auch kein Licht drauf werfen, da stimme ich Dämmerungshexe völlig zu. Das gilt ja auch nicht nur für nicht-hetereosexuelle Charaktere. Mich juckt ja z.B. auch nicht, ob Sherlock Holmes schwul ist. Ist ganz witzig, diese Beziehung mit Watson, aber das ist Interpretation des Zuschauers, nicht plotrelevant.

Was auch gehen könnte, wäre das einfach unaufällig in die Perspektive einarbeiten. Thomas Mann hat da einige sehr hübsche Sachen gemacht, wie ich finde. Die Charaktere outen sich bei ihm eigentlich sehr selten. Der einzige, bei dem mir das spontan einfällt, wäre der Protagonist aus Tod in Venedig. Und das auch nur, weil er dauernd von einem Knaben erzählt, den er süß findet, und den verfolgt.
Das eigentliche Outing findet aber fast immer im Subtext statt, da wie anderswo: Der Blick des schwulen Charakters ist ein anderer als der der heterosexuellen Charaktere. Es werden mehr andere Foki in seinem Erzähltext erwähnt, es wird auf die Form der Hände eingegangen, die Figur, wie hübsch oder anziehend die Person ist - ohne groß Gewese drum zu machen, dass der Protagonist an dem interessiert ist. Das kriegt der Leser schon selber mit.
Im "Doktor Faustus" kann man sogar komplett überlesen, dass der eine Charakter wahrscheinlich schwul ist, weil das mit einer kurzen Bemerkung abgetan wird. So a la "Und sie verbrachten einige bezaubernde Wochen auf ihrem ungarischen Schloß während derer sie sich näher kamen, als ich Adrian je war."
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Guddy am 03. Mai 2016, 20:47:55
Bin auch kein Fan von großen, geplanten Überraschungen um der Überraschung wegen, was dieses Thema betrifft. Nicht, weil mich der Fakt stören würde, sondern weil die Sexualität für mich nichts ist, das als Effekt dienlich sein soll und aus einer Geburtstagstorte springt.
Ich persönlich finde es, genau wie einige andere auch schon gesagt haben, schön, wenn die Sexualität nebenbei oder gar nicht erwähnt wird - es sei denn, sie ist plotrelevant.

Wann genau das "Outing" geschieht, ist mir allerdings egal, meistens ist es ja auch schlichtweg nicht relevant genug, um früh auftauchen zu müssen. Solange es unaufgeregt bleibt(homophobe Gesellschaften im Weltenbau mal außen vor gelassen, die sind dabei immer aufgeregt ;) ), passt es meistens.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Fianna am 03. Mai 2016, 20:48:23
Zitat von: Steffi am 03. Mai 2016, 20:27:12
Mein liebstes "Outing" einer Figur habe ich bei der Serie "Southland" erlebt.

Da gibt es einen bulligen Cop, knallhart und doch Sympathieträger, halt die Art Mentor, die man sich selbst wünschen würde. Und nach ein paar Folgen zeigt die Serie eine Szene, in der besagter Cop morgens in seiner Wohnung neben einem Kerl aufwacht, aufsteht, sich anzieht und geht. Das ganze wird nicht weiter kommentiert, die ganze Szene ist wirklich unspektakulär und beiläufig erzählt. Das ist einfach wirklich großartig gemacht - zum einen, weil das so überraschend kommt und so galant alle gängigen Klischees einen Quotenschwulen aushelbelt, zu anderen, weil eben keine große Sache draus gemacht wird.
Das fände ich am schönsten, Maja. Dann hast Du auch nicht das Problem, dass der Leser beim Stichwort "homosexuell" direkt ein anderes Bild in den Kopf kriegt, was sich nicht mehr ändern lässt, egal wie Du es beschreibst.

Also erst ein Bild der Figur etablieren, dann die Information nicht zu knallermäßig geben (alleine deswegen wirkt sie überraschend und wie ein kleiner Knaller), und dann normal weitermachen.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Franziska am 03. Mai 2016, 20:59:39
Ich finde es auch am Besten, wenn es nicht zu einer großen Sache gemacht wird, man muss es nicht gleich in den ersten Sätzen erwähnen, aber auch nicht am Ende des Romans.
Ich finde es ganz toll, dass es mittlerweile selbstverständlich in Serien ist, homosexuelle Figuren zu haben, und das ist dann eben nur ein Aspekt der Persönlichkeit. In der Serie The Family ist das auch so, der Cop erwähnt halt mal, dass er sich mit seinem Mann zum Diner trifft und das wars.
Ich verstehe auch nicht, was denn das Klischee einer lesbischen besten Freundin sein soll? Schwuler bester Freund kenne ich. Aber da fällt mir jetzt so direkt nichts zu ein. Und es ist ja nur dann ein Klischee, wenn du die Figure klischeehaft beschreibst. Was spricht denn dagegen, es früher zu erwähnen?
Wenn sie nicht die Perspektivträgerin ist, kann die das ja erwähnen, sonst halt einfach nebenbei. Lass sie über ihre Ex-Freundin reden, für jemanden schwärmen, gibt ja viele Möglichkeiten, es nebenbei zu erwähnen.

Abgesehen davon weiß ich nicht, ob es wirklich noch so ist, dass jeder erwartet, dass die Figuren heterosexuell sind. Ich tue es nicht (nicht nur bei Gay Romance ; ) , bin aber wohl auch nicht der Durchschnitt, aber je normaler man es darstellt, desto normaler wird es auch werden, denke ich, solche Figuren zu haben.


Wenn es eine nicht ganz so wichtige Nebenfigur ist, finde ich es okay, es später zu erwähnen, bei einem Ich-Erzähler wird es schwerer. Da habe ich ein Projekt, wo er gleich auf der ersten Seite dem Leser sagt, dass er schwul ist. Das passt zu seiner Art. Es kommt ja auch immer sehr auf die Figure an. Ist sie sich selbst sicher über ihre Orientierung, muss sie es selbst noch rausfinden? Wie reagiert das Umfeld? Was für eine Welt hat man?
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: K a t e am 03. Mai 2016, 21:02:29
Ich muss KaPunkt da uneingeschränkt zustimmen. Dazu ergänzen würde ich noch, dass es immer auf den Leser ankommt. Viele machen aus einem queeren Charakter eine "Oh mein Gott was?!" Situation und andere denken sich nur "Jaaah, schön, warum nicht."

Ich hatte neulich eher mit dem Problem zu kämpfen, dass mein Freund, der meinen fast fertigen Roman testliest und noch keine Ahnung von der Story etc. hat, felsenfest davon ausgegangen ist, der beste Freund des Protagonisten wäre schwul und würde auf ihn stehen. ;D Was nicht der Fall ist. Später gab es dann auch eine Szene, die meinen Freund dann von seinen "Der steht doch auf XY!" Behauptungen endlich runtergebracht hat. Aber bis er bei dem Kapitel angelangt war, musste ich mir immer das "Der ist doch voll schwul" gefallen lassen. ::)

Da ich selten Romanzen offensichtlich einbaue habe ich kein wirkliches Patentrezept. Ich überlasse vieles gerne der Fantasie meiner Leser (und deren Wünschen). In meinem Herzensprojekt sind viele vernarrt in die Vorstellung zwischen den beiden Protagonisten könnte es funken. Der eine ist ein Mann, der andere... hat streng genommen gar kein Geschlecht. Ob meine Leser jetzt die Vertrautheit und die neckischen Wortgefechte romantisch oder freundschaftlich einordnen, ist jedem selbst überlassen. Ich weiß, was ich sehen will. ;)



Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: LinaFranken am 03. Mai 2016, 21:04:39
Es kam hier nebenbei die Frage auf, ob das überhaupt wichtig ist und erwähnt werden, sollte, dazu schon mal voarab: meiner Meinung nach ja. Sexuelle orientierung definiert die Menschen nicht, aber es hebt ihre Einzigartigkeit hervor, wenn ich das weglasse, lasse ich einen wichtigen Teil weg, einen Teil der die Persönlichkeit des Protas sicher mitgeprägt haben wird. Unwichtig ist es nur dann, wenn die besagte Person in nur einer Szene auftaucht und so unbedeutend ist, das sie nicht mal einen Namen bekommt.

Wie ich das erwähne? Ich frage den Prota, wie er das gerne haben möchte  ;) Mein extrem extrovertierter Draufgänger haut das schon mal direkt bei der Begrüßung raus, da ist er dann auch ganz stolz auf sich. Eine andere ist sich ihrer Gesinnung nicht sicher, da kann der Leser dann über viele Kapitel ihren inneren Konflikt mitverfolgen. Irgendwie finde ich die Meinung meiner Protas wichtiger, als die der Leser.
Also frage ich meine Protas: Na, magst du das jedem auf die Nase binden oder möchtest du es lieber etwas zurückhaltender in nem Nebensatz fallen lassen? Oder magst du dich gar nicht outen und möchtest das lieber noch ein Weilchen für dich behalten?
Irgendwie ist es doch schön, wenn die Protas genauso vielfältig sind wie echte Menschen und die handhaben das Thema ja ebenfalls unterschiedlich. Also selbst wenn der Prota das nicht in direkter Rede in einem Dialog offenbart, sondern es in eine Beschreibung oder Szene fällt, würde ich es vom Charakter/Temperament/Einstellung des Protas abhängig machen, ob es nur ein Nebensatz oder ein Knall wird.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Tanrien am 03. Mai 2016, 21:12:03
Zitat von: Fianna am 03. Mai 2016, 20:48:23
Das fände ich am schönsten, Maja. Dann hast Du auch nicht das Problem, dass der Leser beim Stichwort "homosexuell" direkt ein anderes Bild in den Kopf kriegt, was sich nicht mehr ändern lässt, egal wie Du es beschreibst.
Wobei ich da auch auf die Zielgruppe gucken würde. Selbst, wenn man die Gay-Label-Leser außen vor lässt, sind ja deutsche Leser, die Fantasy, wie Maja sie schreibt, mögen, größtenteils (sehr wahrscheinlich) eine doch deutlich andere Zielgruppe als die US-amerikanischen Zuschauer vorm Fernseher, die "Crime Drama" mit Cops gucken. Inwieweit die Zielgruppe in der Lage ist, Sichtweisen zu ändern, kann man dann sicher bei der Entscheidung mit einkalkulieren.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Ary am 03. Mai 2016, 21:13:43
Beim Dattelpinzen mache ich von vorn herein klar, dass besagter Prinz schwul ist. Seine Familie weiß es, sein Halbbruder weiß es. Die geschichte fängt damit an, dass mein Prinz sich darüber grämt, dass sein Vater einen Barden vom Hof geschickt hat, in den der gute Prinz sich ein wenig unter seinem Stand verliebt hat. DAS ist es, was gar nicht geht, nicht die Tatsache, dass der "erwählte Gefährte" des zukünftigen Herrschers ein Kerl sein wird.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Kati am 03. Mai 2016, 21:32:57
Ich schreibe praktisch nur noch queere Protagonisten und wenn ich so überlege, mache ich es eigentlich immer unterschiedlich. Im jetzigen Roman kommt es nebenbei rum, dass der Protagonist zwar momentan in eine Frau verliebt ist, aber eben auch schon in Männer verliebt war. Im letzten hat mein Held mit seiner Ex-Freundin und seinem neuen Schwarm zusammengearbeitet, weshalb es auch ziemlich leicht war, es direkt in den ersten Kapiteln nebenbei einfließen zu lassen. Allerdings ist das denke ich aus Ich-Perspektiven auch sehr viel leichter, als bei einer Nebenfigur ohne eigene Perspektive. Da stehe ich auch öfter vor derselben Frage. Generell bin ich aber auch absolut dagegen die Sexualität als Schockelement oder Überraschung zu verwenden. Wann das "Outing" erfolgt ist mir darüber hinaus eigentlich fast egal. Beziehungsweise, solang es vernünftig gemacht ist, kann es kommen, wann es mag. Auf den allerletzten Seiten fände ich schade - eben aus dem Grund, den Maja genannt hat, dass es die Identifikationsmöglichkeit wegnimmt und die Frage aufwirft "Wieso erst jetzt?". Aber alles zwischen dem Anfang und der Mitte oder sogar ein Stück drüber hinaus finde ich vollkommen legitim. Ein beiläufiges "Das ist Luisas Freundin Sarah" auf Seite 120 ist mir sehr viel lieber, als ein mit Macht konstruiertes "LUISA IST LESBISCH" auf Seite 20.

Meine Faustregel ist eigentlich, es genau an der Stelle zu erwähnen, dass die Figur nicht straight ist, an der es meinen Protagonisten eigentlich klar werden sollte. Ich zögere es nicht künstlich heraus, bis sich alle Leser fragen, wieso meine Heldin nicht schon vor 50 Seiten geschnallt hat, dass ihr neuer bester Freund offen schwul ist, ich würde es aber eben auch nicht mit Macht an eine Stelle am Anfang quetschen, wo es absolut unrealistisch ist, es zu erwähnen (Marke: "Hi, ich bin Luisa, ich bin lesbisch, wie heißt du?"). Bisher kam die Stelle eigentlich immer irgendwann "von allein". 
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Pinnie am 03. Mai 2016, 21:41:19
Ich bin nicht der Meinung, dass die Sexualität eine Art Alleinstellungsmerkmal eines Charakters ist. Wenn das der Fall wäre, müsste ja auch jede Heterosexualität gesondert hervorgehoben werden. Klar, verschweigen, um dann später einen Knalleffekt damit zu erzeugen finde ich auch nicht passend, dazu finde ich (für mich persönlich, ich weiß, ein nicht geringer Teil der Gesellschaft sieht das anders) Homo-, Bi-, Trans- usw. -Sexualität einfach zu normal. Ich würd's tatsächlich so halten wie in dem Beispiel mit dem Cop. Ein wenig mehr als nebensächlich, aber kein Knalleffekt. Du hattest das Zitat gebracht: "Aber er liebte ihn trotzdem". Ich kenne jetzt natürlich den konkreten Kontext nicht, aber ich finde die Herangehensweise so eigentlich ziemlich gut und empfinde es nicht als Knalleffekt.
Nichtheterosexualität (ich hab bis heute nicht 100%ig verstanden, was alles unter Queer fällt, glaube aber, dass das mehr als LGBT ist) sollte etwas normales sein. Also würde ich sie auch so behandeln.

Ich kann Deine Bedenken mit dem Identifizieren nachvollziehen. Im Umkehrschluss hieße das aber, sobald Du einen Charakter ausschließlich an eine Sexualität, in diesem Fall lesbisch, anpasst, verliert der Charakter ggf. das Identifikationsmerkmal für Heten, Pans, Trans*, oder Asexuelle. Es mag eine Binsenweisheit sein, aber man kann es nicht allen recht machen. In dem Kontext würde ich ganz klar schauen, welche Zielgruppe Du primär ansprichst und das als Basis benutzen, wie Du die Sexualität konzipierst.
Sofern Deine Chars Dich lassen. Die beiden Mädels in meiner Geschichte sind auch eher durch Zufall zusammengekommen, ohne IRGENDwelche Erfahrungen in Sachen Liebe gemacht zu haben. Hatte ich selbst nicht so recht erwartet. Aber bitte...wenn sie denn wollen. ;)
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Aircaina am 03. Mai 2016, 21:52:23
Es wurde hier ja schon vieles gesagt, dem ich zustimmen würde. Ich persönlich finde es auch besser, wenn damit ganz locker umgegangen wird.
Es kommt aber halt auf die Figur an und auch daran, wie die Menschen um sie herum damit umgehen. So einen Wow-Effekt würde ich wirklich nur in den seltensten Fällen einbauen, wenn es eben zu der Welt passt. Wenn die Handlung z.B. an einem Ort spielt, an dem Homosexualität ein schweres Verbrechen ist. Dann würde ich es ab und an andeuten, weil ich davon ausgehen würde, dass der Charakter, über den ich schreibe, das nicht heraus posaunen würde. Es sei denn natürlich, es ist aus der Ich-Perspektive verfasst.
In der Welt meines momentanen Werkes ist das alles z.B. gar kein Problem. Da wird niemand für seine Sexualität schief angeguckt, das ist da schlichtweg zu normal. Einer meiner Protas liegt mit seinem Partner im Bett, als er das erste Mal auftaucht. Das ist da selbstverständlich und wird von mir demnach auch so dargestellt. 

Außerdem gebe ich Lina Franken, aber auch Pinnie recht. Es ist sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal und muss auch nicht immer stark den Charakter der Figur prägen. Kann ja auch sein, dass sie damit super locker umgeht. Zumindest ich würde es aber schon nebenbei erwähnen, genauso, wie ich auch erwähnen würde, wenn jemand z.B. asexuell ist oder wenn ein heterosexueller Mann in einer Bar eine für ihn sehr attraktive Frau sieht. Das macht für mich einen Teil des Charakters aus und den dürfen die Leser auch wissen, selbst, wenn es kaum Relevanz in der eigentlichen Handlung hat.

Sehr stark und auch ausführlich würde ich auf das Thema eingehen, wenn sich die Geschichte gezielt an homosexuelle Jugendliche richten sollen, oder an solche, die sich nicht sicher sind, ob ihre Neigung in die Richtung geht. Aber das ist ja logisch.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Siara am 03. Mai 2016, 22:06:29
Zitat von: Maja am 03. Mai 2016, 20:14:53
Nur nehme ich mir damit die Möglichkeit, meine Leser zu überraschen, denn wenn ausgerechnet der steinharte Krieger schwul ist, rechnet damit wirklich kaum jemand.
Die Frage ist doch aber: Willst du sie damit überraschen? Für mich klingt es danach, als würde es dich ja selbst eher stören, wenn aus dem Outing ein Effekt gemacht wird. Die Kehrseite der Medaille wäre dann, dass durch die überraschende Erkenntnis, dass der harte Krieger nicht heterosexuell ist, mit Vorurteilen abgebaut wird - Schwule sind nicht weinerlich und können durchaus Blut sehen, und nicht alle kampferprobte Männer stehen auf Frauen. Meiner Meinung bringt das allerdings schnell einen belehrenden Effekt mit sich. Und zudem wird - wenn auch auf Metaebene - aus der sexuellen Orientierung dann wieder etwas Großes und "Spezielles" gemacht, auf das die Leser mit der Nase gestoßen werden. Obwohl die gegenteilige Intention dahintersteckt, wird das Schwulsein damit wieder als Eigenschaft eines Sonderlings hervorgehoben, finde ich. Auch meiner Meinung nach sollte das Outing also so dezent und nebensächlich wie möglich vonstatten gehen. Es sei denn, die Welt oder die Beziehung zwischen Perspektivträger und der betreffenden Person braucht diesen Überraschungseffekt. Aber das ist dann natürlich eine Frage des Einzelfalles.

Zitat von: K a t e am 03. Mai 2016, 21:02:29
Dazu ergänzen würde ich noch, dass es immer auf den Leser ankommt. Viele machen aus einem queeren Charakter eine "Oh mein Gott was?!" Situation und andere denken sich nur "Jaaah, schön, warum nicht."
Das ist meiner Meinung nach auch eine Sache, die bedacht werden muss. Eine leichte Hervorhebung, Maja, wie du sie am Ende des Kapitels durch den einen Satz setzt, ist befindet sich da für mich in einer Grauzone. Wer queere Menschen als nichts Besonderes empfindet, wird es einfach als eine schöne Liebesbekundung aufnehmen. Wer das Thema ohnehin kritisch beäugt oder auch nur sehr neugierig ist, wird den Satz als extremer ansehen und ihm mehr Beachtung schenken.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Fianna am 03. Mai 2016, 22:08:39
Manche sehen das Personalpronomen vielleicht als Tippfehler oder lesen einfach drüber. Die meisten Leser sind nicht so aufmerksam. Außer sie sind selbst Autoren, Blogger/Rezensenten, aber die Mehrheit eben nicht.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Siara am 03. Mai 2016, 22:13:02
Ah, stimmt, weil Guddy es gerade erwähnt. In "Wege des Sommers" ist der beste Freund meines Love Interest schwul, was mir auch erst während des Scheibens bewusst geworden ist. Als er abends die WG (in der er und der Love Interest wohnen) verlässt, will meine Protagonstin sichergehen, dass er nicht ihretwegen verschwindet und fragt nach. Der Love Interest antwortet, dass besagter Mann heute ohnehin bei seinem Freund übernachten wolle. Selbst die Lektorin hat dies komplett überlesen und nicht verstanden, als es in einem späteren Zusammenhang noch einmal erwähnt wurde. Nebensächlich ist also eine Sache, aber unauffällig eine ganz andere.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Issun am 03. Mai 2016, 22:30:02
Als Leser bin ich an der Sexualität der Charaktere  durchaus interessiert, auch wenn es sich um Nebenfiguren handelt, und manchmal ein wenig enttäuscht, wenn ich darüber lange oder gänzlich im Ungewissen bleibe. Da ich gerne (gerne ist untertrieben!) über homosexuelle Beziehungen lese, hoffe ich immer auf Zeichen, dass Figuren in solchen leben oder sie im Verlauf der Geschichte eingehen könnten. Das steigert meine Freude am Lesestoff.

Zeigen kann man die sexuelle Ausrichtung auf unterschiedlichste Art, und ich stimme meinen Vorrednern zu, dass das Wie ganz stark vom betreffenden Charakter abhängt. Steht er selbstbewusst zu sich oder hadert er mit seiner Sexualität? Welche Rolle spielt sein Umfeld? Ist er sich seiner sexuellen Ausrichtung schon sicher - oder lernt er sich erst kennen? Im Fall eines Perspektiventrägers kann man den Leser recht schön durch die Perspektive mit dem Charakter vertraut machen, wie oben bereits gesagt wurde: Worauf richtet der Charakter seine Aufmerksamkeit? Wie reagiert er auf andere Figuren (die er attraktiv findet)? Als besonders eindrucksvolles Beispiel einer sich entwickelnden Liebesbeziehung habe ich kürzlich Maria McCanns "Rotes Glas" entdeckt. Die Hauptfigur ist bisexuell, wird sich dessen aber erst nach und nach bewusst. Der Leser merkt es früh, passend zum Charakter an besitzergreifendem Verhalten, häufiger Bezugnahme auf das Love Interest und eingehende Beschreibungen seines Aussehens, seiner Handlungen usw.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Maja am 03. Mai 2016, 22:45:54
Zitat von: Siara am 03. Mai 2016, 22:06:29
Zitat von: Maja am 03. Mai 2016, 20:14:53
Nur nehme ich mir damit die Möglichkeit, meine Leser zu überraschen, denn wenn ausgerechnet der steinharte Krieger schwul ist, rechnet damit wirklich kaum jemand.
Die Frage ist doch aber: Willst du sie damit überraschen?
Die Frage kann ich ganz einfach beantworten: Ich will meine Leser immer überraschen. Das ist meine Masche - andauernd den Leser in seiner Erwartung an der Nase herumführen und dann sagen "Aber in Wirklichkeit ist alles ganz anders". Meine gesamte Marke, um dieses Wort mal in den Mund zu nehmen, basiert auf dem Prinzip. Deswegen tue ich mich schwer, an einer Stelle, wo der Leser ganz sicher anderes erwartet, das nicht auszunutzen, sondern die Gelegenheit verstreichen zu lassen. Es treffen also zwei Ansprüche, die ich an mich selbst habe, aufeinander.

Wenn ich einmal etablierter bin, kann ich mit "Ach übrigens, der Chara ist schwul" keine Maus mehr hinterm Ofen hervorlocken. Ich habe mehr queere Hauptfiguren als straighte, und früher oder später wird sich das rumsprechen. In der "Traumstadt" ist Sandro von Anfang an offen schwul, ohne dass er oder der Leser auch nur einmal daran zweifeln müssen. In anderen Geschichten habe ich Figuren, deren Sexualität dem Leser ersichtlich ist, aber den Perspektivträgern nicht - weil Roshan in der "Gauklerinsel" überhaupt nicht auf die Idee kommt, dass irgendjemand schwul sein könnte, versteht er bis zum Ende nicht, dass Trosca buchstäblich stockschwul ist, und Percy ist vermutlich vor dem Leser lange out, bevor er selbst merkt, dass er auf Männer steht (da kommt die Überraschung eher in dem Moment, wo er sich zum ersten Mal in eine Frau verliebt und sich herausstellt, dass er nicht schwul ist, sondern bi).

Für meinen schwulen Krieger hingegen habe ich jetzt eine Möglichkeit gefunden, das Thema schon ein Kapitel früher anzusprechen und nicht in Form eines effekthascherischen Knalls, sondern eher zart und romantisch. Ich hoffe, das wird funktionieren - aber da ich das entsprechende Kapitel von Grund auf neu schreiben werde, kann ich die Gelegenheit beim Schopfe packen und zusehen, dass ich das zu meiner Zufriedenheit löse.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Nachtblick am 04. Mai 2016, 22:25:17
Es sind hier die essentiellen Dinge (und vor allem Ratschläge) schon gesagt worden. Ich fände es bei einer Figur, die weiß, dass sie schwul ist (und damit offenbar auch kein Problem hat), am angebrachtesten, das so früh, wie es sich gut erzählen lässt, zu erfahren. :)
Ich finde ein Outing immer wichtig und Dumbledore leider ein denkbar mieses Beispiel. Es wäre einfach um so viel stärker und wichtiger gewesen, das in den Büchern stehen zu haben, als es im Nachhinein als "Bonus" zu kriegen. Mit der Strategie läuft man als Autorin nicht Gefahr, die homophobe Fraktion irgendwie zu reizen (die Bücher sind schließlich schon alle erschienen) und sammelt gleichzeitig auch noch Prämienpunkte von der Fraktion, die sich danach sehnt, sich selbst in Büchern und Filmen zu sehen. Das ist einfach langweilig, wenn nicht feige. Und zum Thema "Aber dann müsste man ja auch Heterosexualität erwähnen": Die wird ja vorausgesetzt. Und Harry Potter hat nun an allen Ecken und Enden (Hetero-)Romanzen. Allein, wer alles mit wem zum Winterball im vierten Buch geht! Und sogar Remus Lupin, dessen Werwolf-sein eine deutliche Metapher auf Aids ist, ist natürlich hetero. Klar.
Dumbledore sagen zu hören, dass er Grindelwald geliebt habe ... ich kann schlecht ausdrücken, wie viel mir und vielen anderen das bedeutet hätte.

Aber zurück zum Thema: Outing ja, aber wie? Ich bin da tatsächlich leicht zu begeistern. Wenn ich erst auf der letzten Seite feststelle, @Maja, dass die Hauptfigur lesbisch ist, wäre mein erster Gedanke definitiv nicht "Das hätte ja früher kommen sollen! So konnte ich das Buch gar nicht in der Hinsicht genießen!". Aber ich bin auch eine Mehrfachleserin. ;)
Hier im Thread haben ja viele unterschiedliche literarische Outings. Das muss man auch noch mal unterscheiden. Weiß die Figur, dass sie homosexuell (oder transgender etc) ist? Steht sie dazu? Oder findet sie das erst alles raus?
Sehr gefallen hat mir in der Hinsicht Tschick, wo das Outing der Hauptfigur auf den letzten dreißig Seiten passiert. Es ist eine meiner absoluten Lieblingsszenen im Buch. Der Roadtrip der beiden Jungs (die gerade ihre Begleiterin abgesetzt haben), war so weit eine großartige Katastrophe, aber langsam holt sie die Realität ein. Sie müssen auf die Autobahn, um weiterzufahren. Sie stehen auf einem Feld und warten auf eine Lücke im Verkehr. Tschick, der zu Beginn des Buchs noch einige homophobe Kleinigkeiten vom Stapel gelassen hat, sagt dem Erzähler, er müsse ihm etwas erzählen, und gesteht ihm: Er habe es nicht so mit Mädchen. Er wäre einfach nicht so und er würde jetzt nicht von Maik verlangen ... aber das wäre eben so und er hätte es noch nie jemandem gesagt. Er sitzt da, sichtlich überwältigt, dass er es gesagt hat, und Maik ist nicht besonders überrascht. Er überlegt sogar, "selbst schwul zu werden, weil das wäre jetzt die Lösung all unserer Probleme gewesen", stellt aber natürlich fest, dass er nur auf Mädchen steht. Er legt Tschick die Hand in den Nacken und sie hören eine Weile Radio.
Und es war so schön, so gut, so echt! Und es hat überhaupt nichts gemacht, dass man es erst am Ende erfahren hat, denn auch Tschick hat es erst am Ende der Reise sagen können.
In Left Behind, dem DLC von The Last of us, finden wir auch erst in der letzten Minute heraus, dass Ellie in ihre Freundin Riley verliebt ist, und was es hier schade macht, dass es nicht "früher" kam, war, dass wir im Spiel nur ganz subtile Hinweise auf diese Geschichte kriegen und nicht wissen, dass Ellie lesbisch ist (es gibt im Spiel noch eine weitere Figur, bei der nur stark impliziert ist, dass sie schwul ist).

Ich habe in meinem ersten Roman mehrere homo- und bisexuelle Figuren und auch so ziemlich jede Form des Outings dabei. Der Vater meiner Hauptfigur, der mit einer Frau verheiratet ist, hat im dritten Kapitel ein Date, woraufhin sie ihn fragt: "Ist er auch aus der Stadt?" Da versteht man plötzlich, dass sowohl er als auch seine Frau homosexuell sind und eine Scheinehe haben und dass die Frau, die die Mutter in den vorherigen Kapiteln erwähnt hat, ihre Partnerin und nicht nur gute Freundin ist. Es folgt später eine kurze Erklärung, wie die beiden zu dieser Scheinehe gekommen sind. Ihre diversen Hintergrundgeschichten mit Expartnern und -partnerinnen sowie ihr Umgehen mit ihrer in den 80ern verbotenen Homosexualität werden im Buch immer wieder wichtig und erwähnt, aber mit beiläufiger Selbstverständlichkeit. Bei den beiden hätte ich nicht in letzter Minute "Überraschung!!!" schreien können.
Bei einer weiteren Figur stellt sich erst dadurch, dass sie jemanden küsst, heraus, dass sie bi ist. Es gibt schon früher Hinweise darauf, die aber leicht zu überlesen sind, und ich habe das "Outing" auch erst dann geschrieben, als es sich natürlich ergeben hat. Bei einer vierten Figur finden wir erst ganz am Ende heraus, dass sie schwul ist, was ich aber selbst umso spannender finde, da es a) den/die Leserin überrascht und b) man plötzlich feststellt, dass es die ganze Zeit unterschwellig da war (auch wenn ich jetzt nicht garantiere, dass es nicht zu erraten ist).
Als Leserin freut mich anders herum nichts mehr, als meinen "Verdacht" bestätigt zu sehen. Daher macht mich auch ein Last Minute Outing definitiv glücklicher als ein "Word of God"-Outing ...

(Als PS: Ich freue mich wahnsinnig, dass so viele inzwischen LGBT-Figuren schreiben! Das macht mich so glücklich, Leute! :vibes: )
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 05. Mai 2016, 00:10:34
Ich klinke mich hier ein, weil ich gerade ein ähnliches Problem mit einer bisexuellen Figur habe. Ich habe sie in der Form bereits mit 15 angelegt, als mir noch gar nicht bewusst war, dass ich sie da "versehentlich" bi geschrieben habe.
(Wobei, eher pan als bi, ich glaube, Livia springt einfach jedes Wesen an, das menschlich und attraktiv ist :D )
Und ich habe dabei einen seltsamen Bruch im Narrativ. Sie ist Römerin, war mal verheiratet und hat in der Ursprungsversion als Mensch ausschließlich was mit Jungs/Männern.
Dann wird sie zur Vampirin und "ist auf einmal" bi. Und das gefällt mir persönlich jetzt nicht, weil das ja so wirkt, als wäre ihre Orientierung erst durch ihre Verwandlung zu Stande gekommen und das ist definitiv nicht der Fall.
Ich überlege also gerade, dass ihr Vater sie nicht wegen eines "Gaius", sondern wegen einer "Iulia" oder einer "Flavia" zu Hause einsperrt...
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Mondfräulein am 05. Mai 2016, 12:05:32
@KaPunkt: Das war Arkadien erwacht! :psssst: In Arkadien brennt waren beide schon längst tot...

Ich persönlich erwähne immer sehr genau, dass eine Figur queer ist und auf welche Weise. Ich will Repräsentationsfiguren für Leser schaffen und das geht ja nicht, wenn die überhaupt nicht wissen können, dass mein Held queer ist. Wie ich das mache, kommt aber immer darauf an, auf welche Weise meine Figur überhaupt queer ist. Einfach ist es, wenn eine Figur mit einer Person des selben Geschlechts zusammen kommt, dann ist das für jeden ziemlich offensichtlich und nur, wenn die Figur nicht homosexuell ist, muss ich noch klar machen, dass sie nicht nur auf das eine Geschlecht steht. Zum Beispiel kann ich dann Ex-Partner erwähnen, oder ich benutze am besten einfach wirklich das Wort bi oder pan (sofern sich meine Figur damit identifiziert, in einem Buch ist es meiner Figur wirklich schlicht egal, was gut zu ihm passt, auch wenn er absolut respektiert, dass das Label seinem besten Freund, der biromantisch und asexuell ist, wirklch sehr wichtig ist).

Schwierig ist zum Beispiel Asexualität, denn das ist so wenig bekannt, dass man eigentlich schon genauer darauf eingehen und es erklären muss. In dem Fall benutze ich wirklich am liebsten ganz direkt das Wort, damit es auch jedem klar wird, denn wenn ich eine Figur einfach keinen Sex haben lasse oder kein Interesse daran zeigen lasse, dann würde ich das nicht einmal selbst eindeutig als asexuell lesen. Ich mache das bei einer Figur, in dem ich sie einfach sagen lasse, dass das bei ihr ein wenig anders ist (er ist demi, kann aber die Emotionen von anderen Menschen spüren, deshalb hat er einen guten Vergleich), eine andere Figur erklärt das seiner Schwester sehr genau. Gerade in dem Bereich ist Repräsentation sehr wichtig und leider umso schwieriger, weil es eben nicht so ist, dass man asexuellen Menschen das von außen ansieht oder anmerkt. Man muss da die Balance finden, denn ich will es auch nicht so plump machen wie "sexuelle und romantische Anziehungskraft müssen nicht übereinstimmen, du kannst zum Beispiel auch homosexuell und biromantisch sein, aromantisch und asexuell sind unterschiedliche Dinge" reinschreiben, das ist ja kein Lehrbuch. (Da fällt mir ein, dass ich echt mal eine Figur schreiben könnte, bei der romantische und sexuelle Orientierung nicht ganz überein stimmen... :hmmm:) Ehrlich gesagt denke ich bei meinen asexuellen Figuren sehr viel bewusster darüber nach, wann und wie ich sie oute.

Ich denke, ich schreibe meine Figuren einfach von Anfang an queer. Das ist mir beim Protagonist meines letzten Projektes am meisten aufgefallen. Er ist meiner Meinung nach nicht irgendwie so und so, weil er schwul ist, aber ich wusste es von Anfang an und habe es von Anfang an im Hinterkopf gehabt. Feedback von einer Betaleserin war dann, bevor er im Buch ganz offen gesagt hat, dass er schwul ist "Der ist so schwul, von Angang an, das merkt man total".  Mir sind einfach kleine Nuancen hinein geraten, zum Beispiel, dass seine Mutter denkt, er hat eine Freundin und er denkt sich nur, dass das ja nicht ganz so ist oder so etwas. Und irgendwann kommt dann bei mir meistens auch der Moment, in dem ich dem Leser "ganz natürlich" sage, dass die Figur queer ist, nämlich in dem Moment, in dem ich es wie jede andere Eigenschaft auch von mir aus spontan im Buch erwähnen würde.

Das klappt aber natürlich auch nicht immer. Wie gesagt, asexuelle Figuren brauchen etwas mehr als subtile Hinweise, finde ich, und manchmal plane ich auch, in welcher Situation das letztendlich raus kommt, habe dann schon eine Idee im Hinterkopf und baue sie ein, wenn ich finde, dass es gerade passt. Ich mache das selten ganz am Anfang, denn die sexuelle Identität meiner Figuren ist nicht der Wichtigsten Teil von ihrem Charakter und am Anfang versuche ich sehr bewusst, meine Figuren für den Leser gut zu umreißen - aber ich kann mir auch gut vorstellen, das zu tun, wenn es zur Figur passt. Ich mache das aber auch selten ganz am Ende, obwohl ich auch schon Bücher mit mehreren Bänden geplant und dann überlegt habe, ob das bei jeder Figur schon in Band I herauskommt oder ob dafür für eine andere Figur vielleicht erst später Zeit ist. Ganz am Ende würde ich aber nicht machen, denn das hätte für mich einen zu großen Knalleffekt und ich wüsste auch nicht, warum ich so lange warten sollte. Dinge, die am Ende stehen, haben für mich auch immer viel mehr Gewicht, als die in der Mitte (Primacy und Recency Effekt, ne?), und so viel Gewicht hat die Sexualität meiner Figuren meistens echt nicht. Ich benutze die Sexualität einer Figur ja auch nie als Effekt, dafür haben sie meistens sehr viel interessantere Geheimnisse.

Interessant fand ich, wie Maggie Stiefvater das in ihrem Raven Cycle gemacht hat. Ich fand es ziemlich wohltuend, wie das einmal überhaupt absolut gar keine Rolle gespielt hat. Ein Progatonist verliebt sich erst in ein Mädchen und dann in einen Jungen und es spielt in keinem Moment eine Rolle, dass sich da gerade zwei Jungs verlieben, es gibt nur um zwei Figuren und ihre Persönlichkeit, ihre Beziehung zueinander, gar nicht ums Geschlecht. Das muss man nicht immer so machen, aber auf der einen Seite wurde natürlich ziemlich deutlich, dass einer schwul ist und einer bi, weil sie ja am Ende zusammen gekommen sind, auf der anderen Seite war es eben einfach kein großes Drama. Ich würde das nicht immer genau so machen, aber ich fand ihre Herangehensweise durchaus interessant.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: KaPunkt am 05. Mai 2016, 13:04:01
Zitat von: Mondfräulein am 05. Mai 2016, 12:05:32
@KaPunkt: Das war Arkadien erwacht! :psssst: In Arkadien brennt waren beide schon längst tot...
Nachdem ich das Buch heute morgen nochmal aus dem Regal gezogen habe, ist mir das auch aufgefallen.
Und Dingens heißt natürlich Rosa.

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Lukas am 06. Mai 2016, 15:03:08
@Nachtblick: Ha, Dumbledore war immer meine Lieblingsfigur. Und es wäre unsagbar wichtig gewesen ihn zu outen. Ich will mich nicht beklagen, weil die Potter Romane trotzdem herausragende Jugendliteratur sind, aber das hätte viele Jugendlichen bestimmt nocheinmal ein positives Bild von Homosexualität vermittelt. Grade weil Dumbledore nicht der 1,80 große Adonis in der Blüte seiner Jugend ist und einen 1,80 großen Adonis in der Blüte dessen Jugend datet. Wie Rainbow Rowell gesagt hat(über die Frage nach der Homo -Romanze ihrer Hauptfigur):
ZitatIt's not a secret. I've been loudly flailing that from day one. People kept saying, 'I can't wait for the subtext,' and I have such a negative reaction to that. No, this is not some cheesy, will-they-won't-they, subtext-y thing. That's not a game I'm interested in playing. I'm definitely not the first person to write a gay Y.A. story. By a million years. I do think in our culture there was a time when this had to be subtext, but I don't think that time is now. I decided to spoil their romance always, every time I talked about it. It's text. Don't watch it for the subtext, don't watch it for the moments [in BBC's Sherlock] when Sherlock and John make eye contact and the world sets on fire but none of it's real. As a culture, we are ready for text.

@Mondfräulein Ich habe die Stiefvater-Romane noch nicht gelesen. Danke für den Spoiler :wart: (Nicht so schlimm, ich wusste es eh schon, dachte aber man könnte so einen Kommentar mit einem Spoiler versehen?)  An sich finde ich es eigentlich schade, dass immer ein Teil einer homosexuellen Beziehung Bi sein muss. Siehe Malec oder eben die Raven Chronicles. Allerdings baut es natürlich auch Spannungen auf(wie übrigens auch im realen Leben). Mir fällt nur auf, dass solche Beziehungen in Jugendbüchern überhaupt fast immer und überall so aufgebaut sind, wobei es in der Realität der Ausnahme entspricht.(Was ja ok ist, mir fiel es nur spontan so auf...)

@Thema: Knalleffekte sind komisch, da ich Majas Geschichte nicht bis ins letzte Detail kenne, kann ich nur das schreiben, was ich für meine Charakter als richtig/angenehm entdeckt habe.
Ich habe es bei meinem Protagonisten so gehalten, dass er sich nie Gedanken darüber macht(ergo der Leser wenig dazu erfährt) und dann viel Show-don´t-tell verwendet. Also lasse ich ihn zum Beispiel immer Merkmale von männlichen Nebenfiguren wahrnehmen (elegant geformte Augenbraue, hohe Wangenknochen, Narben sind "verwegen") während ich die weiblichen Figuren mit wenigen Ausnahmen (in seiner PoV) mit nüchternen Beschreibungen oder Nichtwahrnehmen seinerseits bedenke. Meist beschreibe ich diese allerdings vorher schon aus einer anderen PoV. Ich bin noch nicht so weit, aber geplant ist ihn später offiziell zu outen, wenn ihm klar wird, dass er sich zu einem anderen Mann hingezogen fühlt.
Bei seinem primären Love-Interest habe ich das anders gehalten. Der weiß, was er will; dass er nicht will, dass jemand anderes das mitkriegt und dementsprechend weiß der Leser das auch(Puh, so viele DASs) :hmhm?:.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Kati am 06. Mai 2016, 17:51:08
Zitat von: NachtblickUnd es war so schön, so gut, so echt! Und es hat überhaupt nichts gemacht, dass man es erst am Ende erfahren hat, denn auch Tschick hat es erst am Ende der Reise sagen können.

Ja, das sehe ich natürlich auch so. Ich war ja die, die meinte es stört sie, wenn es erst auf den letzten Seiten kommt, aber es gibt natürlich Situationen wie diese, wo es nicht anders sein darf. Ich meinte natürlich generell Romane, in denen die betreffende Figur lange weiß, dass sie nicht hetero ist, aber es grundlos erst so spät kommt. Es gibt einen Roman, dessen Titel und Autor ich jetzt mal für mich behalte, weil es ein übler Spoiler ist: Den ganzen Roman lang lässt uns der Autor in dem Glauben der Ich-Erzähler sei ein heterosexueller Junge, um dann ein paar Kapitel vor Ende rauszuhauen, dass es sich um ein lesbisches Mädchen handelt, das von Anfang an weiß, dass es lesbisch ist. Das finde ich ehrlich gesagt nur Effekthascherei und unnötig, da hätte ich lieber von Anfang an gewusst, dass ich aus der Sicht eines lesbischen Mädchens lese. Ist natürlich ein Extrembeispiel, aber solche Dinge meine ich. In "Tschick" und ähnlichen Romanen, in denen sich die Figuren selbst erst noch mit ihrer Sexualität auseinandersetzen müssen, ist das natürlich was ganz anderes und absolut berechtigt.

Zitat von: LukasAn sich finde ich es eigentlich schade, dass immer ein Teil einer homosexuellen Beziehung Bi sein muss. Siehe Malec oder eben die Raven Chronicles. Allerdings baut es natürlich auch Spannungen auf(wie übrigens auch im realen Leben). Mir fällt nur auf, dass solche Beziehungen in Jugendbüchern überhaupt fast immer und überall so aufgebaut sind, wobei es in der Realität der Ausnahme entspricht.(Was ja ok ist, mir fiel es nur spontan so auf...)

Ich finde das eigentlich ganz erfrischend. Es gibt dem Autor die Möglichkeit, zwei verschiedene Sexualitäten einzubinden und ich würde auch nicht sagen, dass es im wahren Leben selten ist oder Spannungen verursacht. Gerade bei Cassandra Clare und Maggie Stiefvater verursacht es ja eben keine Spannungen, was ich auch schön finde, sondern ist einfach ein Fakt über die Figur.  :) Das gefällt mir, weil es ja schon kein so nettes Klischee ist, dass Bisexualität zwingend Spannungen verursachen muss, deshalb mag ich es, wenn in der Jugendliteratur mehr bisexuelle Figuren friedliche Beziehungen ohne Konflikt wegen ihrer Sexualität führen. Das ist jetzt ein bisschen off topic, tut mir Leid.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Mondfräulein am 06. Mai 2016, 18:12:06
@Lukas: Sorry! :psssst: Aber ich halte das auch für keinen großen Spoiler, weil es von Anfang an fast klar ist und weil es da noch ganz andere Sachen in den Büchern gibt, die so ein riesiger Spoiler wären, dass ich das letzte Buch am Erscheinungstag in einem Ruck durchgelesen habe. Lies die Bücher! Sie sind toll!

Ich sehe das wie Charlotte (an deinen neuen Nicknamen muss ich mich auch erst noch gewöhnen). Ich schreibe die bi - homosexuell Konstellation tatsächlich auch recht häufig, weil ich einfach mehr Figuren schreiben will, die bi oder pan sind und dann passiert das immer irgendwie. Dann gibt es aber immer so viele spannende Konflikte, dass ein "aber er ist doch bi" ziemlich langweilig wäre, außerdem finde ich es da schon echt unnötig, weil es, wie Kati schon sagt, ein Klischee ist. Mir ist aber noch nicht aufgefallen, dass das, außer bei mir, häufig vorkommt.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Cailyn am 06. Mai 2016, 20:53:27
Maja
Ich finde es sehr wichtig, ob deine Geschichte in einer Zeit spielt, in welcher Homosexualität im allgemeinen akzeptiert wird, oder ob es als anrüchig oder gar pervers angeschaut wird. Wenn es eine frühere Zeit ist (z.B. angelehnt ans Mittelalter), dann finde ich, sollte man das Thema sicher früher aufgreifen, da dieser Mensch ja deswegen in permanenter Hab-Acht-Stellung sein muss. Das beeinflusst ja sein Leben stärker als in einer modernen Zeit, wo sexuelle Ausrichtungen von den meisten als natürlich angesehen werden. Gerade wenn deine Figur der Protagonist ist, würde ich mir als Leserin um die Info zu seiner sexuellen Ausrichtung betrogen führen. Handelt es sich allerdings um eine Nebenfigur, fände ich einen Überraschungseffekt am Ende gut.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: wortglauberin am 09. Mai 2016, 22:23:23
Ach je, sind das spannende Antworten hier! Da trau' ich mich als Neuling ja fast nicht, mich so ganz dreist einzuklinken. Aber eben nur fast :)
Wie anscheinend die meisten hier, finde ich, dass die Balance zwischen "mit den Erwartungen des Lesers spielen" und dem Knalleffekt gewahrt werden sollte, um das Ganze nicht in bloßer Effekthascherei enden zu lassen oder auch darin, dass sich der Lesende am Ende für dumm verkauft verkommt.
Ist natürlich die Frage, was genau man mit dem Roman/ der Geschichte bei den Lesern erreichen möchte- ich bin sicherlich nicht der Meinung, dass gute Geschichten immer leserfreundlich sein sollten bezwiehungsweise diese nicht auch an den Ohren herumführen können; aber eine bloße Enthüllung am Ende, ohne einen anderen Grund für das Outing in genau diesem Moment, als dem Lesenden einen Spiegel vorzuhalten, finde ich persönlich weniger geschickt- auch einfach, weil ich mir vorstellen könnte, dass das eine Trotzreaktion hervorrufen könnte, die in einer ablehnenden statt einer akzeptierenden Haltung resultiert.

Auf der anderen Seite ist es einfach verlockend, mit gewissen Klischees zu spielen, sie umzudrehen oder sich erfüllen zu lassen und die Umgebung der jeweiligen Figuren dann darauf reagieren zu lassen; kann gut sein, dass ich da falsch liege, aber ich glaube, bei homo- oder bisexuellen Figuren hat man es da beinahe noch einfacher als beispielsweise mit asexuellen, weil es zu ersteren eben Vorurteile gibt, die auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst (und eventuell inhärent) sind. Wie Mondfräulein schon sagte, es ist nicht ganz so einfach, mit einer Sexualität beiläufig/ nur am Rande umzugehen, die das Gros der Leser ohne Infodumping überhaupt nicht kennt.

Natürlich kommt es auch darauf an, ob man gewisse Grundhaltungen mit seinen Geschichten (bewusst) unterstützt oder unterstreichen möchte.
In meinem jetzigen Projekt ist der Bruder der Protagonisten asexuell, und ich persönlich möchte hier einfach nicht ohne die Metaebene, auch, weil ich glaube, dass ein relativ unaufgeregtes Outing vor dem Lesenden storytechnisch in der Mitte weitaus mehr bewirkt als am Ende. Es gibt mir die Gelegenheit, durch die Reaktion der Figuren ihre jeweiligen Charakterzüge zu unterstreichen- ob nun jemand empathische Unterhaltung mit dem guten Gideon führt, seine Sexualität ignoriert, leugnet oder gar seine bisexuelle Freundin ist, mit der es natürlich einige Gespräche zu führen gibt- so viele Möglichkeiten zur Charakterentwicklung, die ich mir schon bei heterosexuellen Beziehungen nicht entgehen lassen möchte und in diesem Falle noch um Einiges deutlicher herausstellen kann!
Aber natürlich verfolge ich hier eine Agenda (Akzeptanz, Toleranz, verschiedene Lebensentwürfe, werde wer du bist etc.), und ich weiß manchmal nicht, wo die Grenze ist zwischen  "wir-haben-uns-alle-lieb"- Botschaft mit dem Holzhammer und gewissen Überzeugungen, die ich einfach mittrage.
Wie haltet ihr das? Wenn ein knackiges Outing am Ende besser zur Geschichte passt, ohne der Figur zu schaden, opfert ihr dann die Gelegenheit, Dinge zu sagen, die eurer Meinung gesagt werden sollen? Oder unterwerfe ich meine Geschichten zu sehr einer Botschaft?

@Nachtblick, ich fand es auch total schön, wie das in Tschick gelöst wurde! Bei Herrndorf kam das aber weniger als Knall, finde ich, eher als ein awww- Effekt mit eine Prise Überraschung.
@Mondfräulein, ich hatte den letzten Teil des Raven Cycles zwar auch noch nicht gelesen, aber jetzt ärgert es mich doppelt, dass ich erst Unizeug machen muss, bevor ich ihn lesen darf... ich liebe die Bücher, und das klingt großartig!  :wolke:
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: criepy am 10. Mai 2016, 01:41:01
Ich glaube, es gibt kein "richtig" und kein "falsch" bei diesem Thema, solange das Outing zum Charakter und dem Setting passt.
Wenn es zum Charakter passt, sich mit einem "Knall" zu outen, ist das doch ok. Wenn ein schüchterner und verschlossener Charakter auf einmal da steht und aus heiterem Himmel sagt "Ich bin homosexuell" ist das...komisch und wirkt gestellt.
Wenn die Sexualität für den Charakter an sich ein großes Thema ist, sollte dieses auch dementsprechend behandelt werden. Beispielsweise wenn er/sie eine homophobe Familie hat, ist das oftmals doch sehr belastend. Oder wenn man weiß, der Freundeskreis ist da eher intolerant.
Ist es für keinen ein großes Thema, ist es für die Figur auch keine große Sache und kann in einem Nebensatz erwähnt werden.
Auch ist finde ich wichtig, ob die Figur von Anfang der Geschichte an weiß, welche Sexualität sie hat oder ob dies erst im Laufe der Geschichte "erforscht" wird. Wenn der Prota beispielsweise anfängt, Gefühle für jemanden zu entwickeln und dabei erst bemerkt, dass er eben homosexuell ist.

Ich weiß um ehrlich zu sein noch gar nicht, ob ich meine Protagonistin als asexuell outen soll/muss. Für die Geschichte ist es eigentlich nur wichtig, wenn es um ihre Beziehungen geht. Sie selbst ist eine Jugendliche die sich niemals mit Sexualitäten oder Geschlechtern beschäftigt hat, demnach weiß sie auch nicht, dass sie asexuell ist bzw. sein könnte. Der Leser, der sich mit der Materie auskennt, weiß es, ohne das ich groß etwas dazu schreiben müsste.

wortglauberin: Uff, schwer zu sagen, um ehrlich zu sein. Wie bereits gesagt ist eine meiner Protagonisten auch asexuell, jedoch ohne wirklich geoutet zu werden. Sie hat demnach auch andere Erwartungen an eine Beziehung als ihr Freund, was zu Komplikationen führen wird und ich denke, dass diese Diskussionen zwischen den beiden genauso eine Botschaft sein können. Und das ohne, dass ich sie direkt geoutet habe. Demnach denke ich, dass du beides irgendwie vereinbaren kannst, ohne irgendeiner Figur zu schaden.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: wortglauberin am 10. Mai 2016, 17:28:28
@criepy, spannende Gedanken, und wenn es um ein Outing innerhalb der Geschichte geht, stimme ich dir auch vollkommen zu, das sollte schon zu der Figur passen- aber ein Outing vor dem Leser ist doch nicht zwangsläufig dasselbe, oder?
Wie hier auch bereits erwähnt wurde, kann das doch ebenfalls völlig unaufgeregt vonstatten gehen, eben durch einen flüchtigen Gedanken oder einen Traum oder ähnliches.
Klingt aber sehr schön, was du da für deine Protagonistin planst- und auch, als ob so ein sanfter Hinweis und das Gespräch mit ihrem Freund besser zu ihr passt als etwas deutlicheres.  :)
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Snöblumma am 10. Mai 2016, 22:48:32
Zitat von: wortglauberin am 10. Mai 2016, 17:28:28
aber ein Outing vor dem Leser ist doch nicht zwangsläufig dasselbe, oder?

Spannender Punkt. Habe ich ehrlich noch nie darüber nachgedacht...

Ich persönlich bevorzuge ja die eher leise, unauffällige Art, Figuren vor dem Leser zu outen, einfach weil in meinen Büchern bisher noch nie der Fokus auf diesem Thema lag und es noch bei keiner Figur aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Probleme gab. In meinem aktuellen Fantasyprojekt ist der männliche Haupt-PoV schwul und zusammen mit seinem langjährigen Freund unterwegs, aber das stört in diesem Setting niemandem und ist allgemein bekannt. Das deute ich in der ersten Szene schon an (für die aufmerksamen Leser), und spätestens als der Freund verwundet wird und der Held sich die Augen rausheult merkt es hoffentlich auch der Letzte ;). Aber das kommt immer ganz auf die Geschichte an, wenn der Knalleffekt passt, dann passt er eben.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Simara am 14. Mai 2016, 10:53:21
Bei mir ändert sich stetig, wie ich damit umgehe. Früher, als das Thema für mich persönlich auch noch "frischer" war, habe ich sehr häufig mit den Erwartungen der Leser gespielt und ihnen dann die Orientierung der Figur um die Nase gehauen oder sehr dramatische coming-out Szenen geschrieben. Und wenn es subtiler zuging, dann so subtil, dass tatsächlich alles zwischen den Zeilen stand und nichts bestätigt wurde. Letzteres finde ich, rückblickend, auch immer noch ganz legitim, solange die betreffenden Details nicht Plot relevant sind. Immerhin lässt man den Lesern dann alle Möglichkeiten offen. Natürlich verspielt man dann auch die Gelegenheit, positive Beispiele zu setzen, aber dazu eignet sich ja auch nicht jede Geschichte.
Erstere Variante, das große Erwartungsspiel, sehe ich inzwischen auch eher als zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite mag ich es, Leser zu überraschen, auf der anderen versuche ich aber auch, LGBT+ Themen in meinen Geschichten zu normalisieren und da ist eine "Große Enthüllung™" eher hinderlich.
Im Moment ist meine Faustregel, entsprechende Details mehr oder weniger "im Nebensatz" bekannt zu geben und auch eher zu Beginn der Handlung, damit sich niemand betrogen fühlt.
Allerdings hängt der Umgang mit solchen Themen natürlich immer stark vom jeweiligen Kontext der Geschichte ab und es ist, denke ich, sehr hilfreich, ein kleines Maßnahmen-Repertoire zur Verfügung zu haben, aus dem man sich immer stets die- hoffentlich- richtigen Werkzeuge auswählen kann.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Mondfräulein am 14. Mai 2016, 11:48:21
Zitat von: criepy am 10. Mai 2016, 01:41:01
Ich weiß um ehrlich zu sein noch gar nicht, ob ich meine Protagonistin als asexuell outen soll/muss. Für die Geschichte ist es eigentlich nur wichtig, wenn es um ihre Beziehungen geht. Sie selbst ist eine Jugendliche die sich niemals mit Sexualitäten oder Geschlechtern beschäftigt hat, demnach weiß sie auch nicht, dass sie asexuell ist bzw. sein könnte. Der Leser, der sich mit der Materie auskennt, weiß es, ohne das ich groß etwas dazu schreiben müsste.

Ich persönlich würde sie auf jeden Fall outen, wenn sie asexuell ist. Das Problem, und darüber stolpere ich eben auch immer wieder selbst, ist dass sehr, sehr wenige Menschen wissen, was Asexualität überhaupt ist. Noch weniger Menschen würden so etwas erkennen, wenn es ihnen subtil begegnet. Ich persönlich kenne mich mit dem Thema wirklich aus, aber ich würde es nicht erkennen, weil ich es dem Autoren schlicht nicht glauben würde. Einfach, weil ich noch nie eine asexuelle Figur in einem Buch entdeckt habe und selbst ich würde mir vielleicht einreden, dass der Autor da etwas anderes meint, einfach, weil Asexualität so furchtbar unbekannt und missverstanden ist. Ich würde mich aber wahnsinnig freuen, so eine Geschichte zu lesen und umso mehr, wenn du sie vor dem Leser auch als asexuell outen würdest.

Zitat von: wortglauberin am 10. Mai 2016, 17:28:28
aber ein Outing vor dem Leser ist doch nicht zwangsläufig dasselbe, oder?

Das ist ein sehr wichtiger Punkt! Eine meiner asexuellen Figuren redet mit anderen nicht darüber, weil er selbst weiß, wie das bei ihm ist, weil er weiß, dass das okay und normal ist und mit sich selbst im Reinen ist. Aber der Leser erfährt durch seine Perspektive natürlich davon.

Zitat von: wortglauberin am 09. Mai 2016, 22:23:23
Wie haltet ihr das? Wenn ein knackiges Outing am Ende besser zur Geschichte passt, ohne der Figur zu schaden, opfert ihr dann die Gelegenheit, Dinge zu sagen, die eurer Meinung gesagt werden sollen? Oder unterwerfe ich meine Geschichten zu sehr einer Botschaft?

Ich glaube, das kommt einfach darauf an, was einem wichtiger ist. Mir sind diese Botschaften extrem wichtig, weil ich deshalb queere Figuren schreibe, und deshalb sorge ich von Anfang an dafür, dass die Geschichte nicht darunter leiden muss, dass das Outing meistens eben nicht erst ganz am Ende kommt. Aber die Geschichten, die ich schreibe, erfordern so ein Outing eben auch nicht, weil da andere Dinge passieren, die spannender sind, und ich Identitäten einfach nicht als Knalleffekt benutze. Das finde ich als Leser nicht spannend und schreibe es deshalb so aber auch nicht.

Das ist bei den Raven Boys vielleicht ein wenig anders (ich glaube, das wird hier im Forum mein Lieblingsbeispiel). Eine Figur ist schwul und theoretisch ist er es von Anfang an - wenn man es weiß, gibt es sehr viele Andeutungen. Es kommt am Ende von Band II raus und auf einmal macht viel mehr einen Sinn und man denkt so aaaach, das hätte ich doch die ganze Zeit wissen können. Das passt aber auch, weil es im zweiten Buch darum geht, diese Figur besser kennen zu lernen, er entblättert sich nach und nach vor dem Leser und am Ende steht er auch, vor dem Leser und sich selbst, dazu. Das passt einfach wunderbar zu seiner Entwicklung. Allerdings folgen dann noch zwei andere Bücher und eine wunderbare Liebesgeschichte, also ist es nicht ganz am Ende sondern eher in der Mitte. Das war ein "Knalleffekt", den ich passend und stimmig fand.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Lukas am 14. Mai 2016, 13:02:12
Zitat von: Mondfräulein am 14. Mai 2016, 11:48:21

Das ist bei den Raven Boys vielleicht ein wenig anders (ich glaube, das wird hier im Forum mein Lieblingsbeispiel). Eine Figur ist schwul und theoretisch ist er es von Anfang an - wenn man es weiß, gibt es sehr viele Andeutungen. Es kommt am Ende von Band II raus und auf einmal macht viel mehr einen Sinn und man denkt so aaaach, das hätte ich doch die ganze Zeit wissen können. Das passt aber auch, weil es im zweiten Buch darum geht, diese Figur besser kennen zu lernen, er entblättert sich nach und nach vor dem Leser und am Ende steht er auch, vor dem Leser und sich selbst, dazu. Das passt einfach wunderbar zu seiner Entwicklung. Allerdings folgen dann noch zwei andere Bücher und eine wunderbare Liebesgeschichte, also ist es nicht ganz am Ende sondern eher in der Mitte. Das war ein "Knalleffekt", den ich passend und stimmig fand.

Ich möchte mal die Hand heben und eine Lanze für Alec(als Lieblingsbeispiel) aus "City of XY" brechen.  ;D Dessen Orientierung hat 90% des Romans im Subtext verbracht und wurde dann (YA-typisch) kurz vor der finalen, alles entscheidenden Schlacht enthüllt. Hab mir jetzt Dank euch allerdings den gesamt Raven-Cycle bestellt  ::) ich mochte zwar "Shiver" und "Linger" nicht besonders, aber ich habe gehört, dass der Raven-Cycle besser sein soll und jetzt habt ihr´s geschafft. Mein lokaler Buchhändler hat sich gefreut  :D

Zitat von: wortglauberin am 10. Mai 2016, 17:28:28
aber ein Outing vor dem Leser ist doch nicht zwangsläufig dasselbe, oder?

Nope, sehe ich genauso. Ich weiß nicht, wie sehr ihr mit der Thematik vertraut seid, aber in der "Szene" spricht man von einem "inneren" und von einem "äußeren" Coming-Out. Das "Innere" wäre Selbstakzeptanz und (falls PoV-Charakter) das wörtliche Eingestehen und damit Vermitteln an den Leser. Als das "Äußere" wird das Einweihen Dritter verstanden und ist somit das klassische Coming-Out (Nebenfigur, deren Innenleben man nicht mitbekommt).[ Das letztere wird auch noch in verschiedene Stufen eingeteilt. Die wohl häufigsten sind: "beste Freunde"-->"Geschwister"-->"Eltern"-->"Familie"-->der Rest der Welt(wenn danach gefragt wird). Das ist zumindest das, was ich in der Jugendarbeit festellen durfte.(Ich wurde da häufiger angesprochen, weil ich nie einen Hehl daraus gemacht habe und Jugendliche dann doch erstmal an der Stelle nachfragen, an der sie sicher sein können, dass sie nicht verurteilt werden)] So, ich schwöre, dass ist das letzte mal, dass ich ungefragt etwas zu dem Thema geschrieben habe.   :engel: :engel:

War nicht ursprünglich die Diskussion um Majas spezifisches Problem beim Outing ihres Charakters? Inzwischen ist es mehr zu einer Grundsatzdiskussion geworden :).  Haben wir dir irgendwie weitergeholfen, Maja?
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Mondfräulein am 14. Mai 2016, 13:37:42
Zitat von: Lukas am 14. Mai 2016, 13:02:12
Hab mir jetzt Dank euch allerdings den gesamt Raven-Cycle bestellt  ::) ich mochte zwar "Shiver" und "Linger" nicht besonders, aber ich habe gehört, dass der Raven-Cycle besser sein soll und jetzt habt ihr´s geschafft. Mein lokaler Buchhändler hat sich gefreut  :D

Shiver und Linger sind wirklich nicht mit den Raven Boys vergleichbar. Du wirst total begeistert sein, hoffe ich. Erzähl mir, was du davon hälst!

Zitat von: Lukas am 14. Mai 2016, 13:02:12
Nope, sehe ich genauso. Ich weiß nicht, wie sehr ihr mit der Thematik vertraut seid, aber in der "Szene" spricht man von einem "inneren" und von einem "äußeren" Coming-Out. Das "Innere" wäre Selbstakzeptanz und (falls PoV-Charakter) das wörtliche Eingestehen und damit Vermitteln an den Leser. Als das "Äußere" wird das Einweihen Dritter verstanden und ist somit das klassische Coming-Out (Nebenfigur, deren Innenleben man nicht mitbekommt).[ Das letztere wird auch noch in verschiedene Stufen eingeteilt. Die wohl häufigsten sind: "beste Freunde"-->"Geschwister"-->"Eltern"-->"Familie"-->der Rest der Welt(wenn danach gefragt wird). Das ist zumindest das, was ich in der Jugendarbeit festellen durfte.(Ich wurde da häufiger angesprochen, weil ich nie einen Hehl daraus gemacht habe und Jugendliche dann doch erstmal an der Stelle nachfragen, an der sie sicher sein können, dass sie nicht verurteilt werden)] So, ich schwöre, dass ist das letzte mal, dass ich ungefragt etwas zu dem Thema geschrieben habe.   :engel: :engel:

Die Ausführung finde ich aber total interessant, also schreib ruhig weiter Dinge zu diesem Thema! Allerdings bin ich nicht sicher, ob man das innere Coming Out mit dem vor dem Leser gleichsetzen kann. Wenn ich an Raven Boys denke, bin ich ziemlich sicher, dass die Figur, die ich meine, das schon von Anfang an weiß, aber wirklich deutlich gesagt bekomme ich es erst sehr viel später. Auch mein Tristan weiß zum Beispiel von Anfang an, dass er schwul ist und verheimlicht es vor dem Leser auch nicht, aber sein Coming Out vorm Leser hat er erst später, weil er vorher einfach keinen Grund hat, es explizit zu erwähnen (und ich ihn nicht gleich als den schwulen Tristan einführen wollte, weil er sehr viele Charaktereigenschaften hat, die ihn mehr definieren und der Leser erst diese kennen lernen sollte). Insofern könnte man da durchaus noch eine Unterscheidung machen, oder? :hmmm:
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: wortglauberin am 15. Mai 2016, 14:36:40
Zitat von: Mondfräulein am 14. Mai 2016, 11:48:21
Ich glaube, das kommt einfach darauf an, was einem wichtiger ist. Mir sind diese Botschaften extrem wichtig, weil ich deshalb queere Figuren schreibe, und deshalb sorge ich von Anfang an dafür, dass die Geschichte nicht darunter leiden muss, dass das Outing meistens eben nicht erst ganz am Ende kommt.

Geht mir genauso, aber, wie du schreibst, ist da natürlich nützlich, wenn man das schon im Kopf hat, während man die Geschichte plant, damit der Spannungsbogen eben nicht darunter leidet- wobei ich sicher bin, dass das auch nachträglich gut möglich ist, das erfordert dann eben ein bisschen Modellierungsarbeit.  :)

@Lukas Lustig, dass du Alec ansprichst, mit den Mortal Instruments hat nämlich mein Interesse für queere Figuren in Romanen und Repräsentation im Allgemeinen erst begonnen; ist jetzt auch schon wieder ein paar Jährchen her, dass ich die Bücher gelesen habe, aber ich meine mich zu erinnern, dass ich dort generell die Balance zwischen der Thematisierung seiner sexuellen Orientierung und gleichzeitig den anderen Aspekten seines Charakters sehr schön ausgewogen fand. Als einen Knalleffekt habe ich das auch gar nicht empfunden, es wird ja in den ersten beiden Büchern, glaube ich, sogar schon von den anderen Figuren spekuliert bzw. als gegeben genommen.
Und, OT: der Raven Cycle lohnt sich wirklich sehr :vibes:

Ich habe mal noch über das Thema nachgedacht, und mir ist jetzt gerade noch ein Beispiel eingefallen, das ich trotz Überraschungseffekt sehr gelungen fand: Kennt noch jemand die "Seraphina"- Bücher von Rachel Hartman? Dort wird
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
(Spoiler ohne Namensnennung). Ich muss also vielleicht mein Urteil revidieren, storytechnisch kann das wirklich ganz schön sein  :)

Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: criepy am 16. Mai 2016, 17:09:56
Zitat von: wortglauberinaber ein Outing vor dem Leser ist doch nicht zwangsläufig dasselbe, oder?
Nein, das selbe ist es natürlich nicht. Aber ich finde auch ein Outing vor dem Leser schwierig in vielen Situationen. Ich fände es sehr befremdlich, wenn man eigentlich immer sehr nah an dem Wissen der Figur schreibt und dann aus der neutralen "Erzählersicht" des Autors auf einmal outet, dass die Figur eben nicht heterosexuell ist und sie selbst die Art ihrer Orientierung nicht kennt, wie es beispielsweise in meinem Fall wäre. Dafür würde ein komplett neutraler Erzählerstil gebraucht werden und es gebe so gesehen keine richtige POV-Figur. Und sowas kann oftmals gut sein, natürlich, aber ich denke nicht, dass ich es richtig einbinden oder beschreiben könnte. Das liegt an mangelender Erfahrung, da ich auch irgendwie nur sehr selten solche Passagen gelesen habe.

Zitat von: MondfräuleinIch persönlich würde sie auf jeden Fall outen, wenn sie asexuell ist. Das Problem, und darüber stolpere ich eben auch immer wieder selbst, ist dass sehr, sehr wenige Menschen wissen, was Asexualität überhaupt ist. Noch weniger Menschen würden so etwas erkennen, wenn es ihnen subtil begegnet. Ich persönlich kenne mich mit dem Thema wirklich aus, aber ich würde es nicht erkennen, weil ich es dem Autoren schlicht nicht glauben würde. Einfach, weil ich noch nie eine asexuelle Figur in einem Buch entdeckt habe und selbst ich würde mir vielleicht einreden, dass der Autor da etwas anderes meint, einfach, weil Asexualität so furchtbar unbekannt und missverstanden ist. Ich würde mich aber wahnsinnig freuen, so eine Geschichte zu lesen und umso mehr, wenn du sie vor dem Leser auch als asexuell outen würdest.
Natürlich ist es beinahe unmöglich, jemanden als asexuell zu identifizieren, wenn dieser einen nicht mit der Nase voran dort hineinschupst. Das ist vor allem bei diesen ganzen Abspaltungen schwer, da diese teilweise auch einen normalen sexuellen Trieb haben. Wobei meine Prota einfach nur ganz klassisch stumpf asexuell ist - in seiner mehr oder weniger reinsten Form.
Und du hast Recht - ich würde es einem Autor denke ich auch nicht abkaufen, wenn dieser nur so subtil darüber schreibt. Aber soweit ich mich erinnere, kenne ich sogar einen asexuellen Charakter - nur weiß ich leider nicht mehr wo er vorkam.  :'(
Das Problem mit dem outen bleibt für mich leider trotzdem bestehen, wie ich im oberen Abschnitt geschrieben habe. Selbst wenn ich sie vor dem Leser outen wollen würde - ich wüsste nicht, wie ich das richtig anstellen sollte, wodurch dann trotzdem alle Figuren im dunklen bleiben. Allen vorran natürlich meine Prota. :/

Zitat von: LukasIch weiß nicht, wie sehr ihr mit der Thematik vertraut seid, aber in der "Szene" spricht man von einem "inneren" und von einem "äußeren" Coming-Out.
Das ist mir natürlich durchaus klar - aber in diesem Fall wird eben von einer dritten Partei geredet. Dabei geht es eben nicht um die Person an sich oder dessen Umfeld, sondern um den Leser. Dieser ist da finde ich ein neutralerer Part, der in dieser Situation mehr wissen würde als die fiktiven Charakter. Und das ist immer so eine komplizierte Geschichte.  :darth:

Zu den Beispielcharaktern kann ich leider nicht viel beitragen - ich hab keines davon gelesen.

Ich kann nur von einer Buchreihe berichten, wo homosexuell meiner Meinung nach am realistischten dargestellt wird. Auch was die Reaktion des Umfeldes betrifft. Aber in dieser Reihe bringen sich Kinder von max. 15 Jahren gegenseitig um und eine 14-jährige wird schwanger und bringt einen Menschen-Alien-Verschnitt zur Welt. Da ist die Homosexualität der Charakter noch das normalste.  ::)

Ansonsten...kennt jemand vielleicht die House of Night Reihe? Die Outings fand ich da immer SEHR schlecht - vor allem in Jacks Fall..."Der heißt Jack so und so, der ist schwul, weil Brokeback Mountain." Aaaah.  :wums:



Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Mogylein am 17. Mai 2016, 15:53:32
Ein wichtiges und schönes Thema, dem ich mich auch immer wieder gegenüber sehe!

Zunächst @Maja
Ich denke, es ist die größere Überraschung, wenn du diesen "Widerspruch" von knallharter Krieger und Homosexualität eben nicht als Überraschung ausspielst. Ich liebe ja deine ganzen Plottwists, aber mal abgesehen davon, dass ich kein großer Fan des "Outings als Twist"* bin, denke ich, dass es schon ziemlich oft gemacht wurde und deshalb so gar nicht zu den typischen Maja-Twists passt.

*Meine einzige Ausnahme: Wenn ein Charakter es plotbedingt geheimhält, dass er_sie LGBTQIA ist, dann finde ich es okay

Ich versuche, es immer ziemlich eindeutig zu machen (meist, ohne die entsprechenden Wörter zu benutzen, da es nicht selten einfach nicht so richtig in meine Welt passt). Beispielsweise ist eine meiner Figuren mit einer Frau zusammen und hat aber noch viel Kontakt zu ihrem Ex-Freund. Oder eine Figur schaut sich in der Taverne nach dem hübschesten Menschen des gleichen Geschlechts um. Ich versuche auch, das möglichst früh zu erwähnen, damit kein falsches Bild entsteht, Repräsentation für LGBTQIA-Leser früh gegeben ist und damit niemand auf ein falsches Ship setzt/für die richtigen Charaktere mitfiebert.
Schwierig finde ich es bei asexuellen und transgender Figuren, da das in der Regel nichts ist, das meine Figuren miteinander besprechen würden. Der Bruder einer meiner Hauptfiguren ist trans und ich lasse es hauptsächlich daran erkennen, dass die Mutter das falsche Pronomen benutzt und den Geburtsnamen verwendet (was von den anderen Figuren sehr negativ bewertet wird, alle anderen sprechen den Bruder nur als Mann an), aber inwiefern das akzeptabel ist, kann ich als Cis-Person schlecht einschätzen, da muss ich meine transgender Freunde fragen, ob sie es gegenlesen würden und ob es so in Ordnung ist.
Bei meinen asexuellen Figuren bin ich bisher nur soweit, dass sie sagen (entweder im Monolog oder im Dialog), dass sowas nichts für sie ist und sie sich nicht danach sehnen, aber ich glaube, das kann ich besser.

Wie auch einige andere hier im Thread bin ich immer dafür, queere Figuren (also das ganze LGBTQIA-Spektrum) für den Leser zu outen. Das heißt nicht, dass die anderen Figuren es wissen müssen, das passt nicht immer (gerade in Gesellschaften, in denen Homosexualität illegal oder geächtet ist), aber allein schon der Repräsentation wegen finde ich es sehr wichtig. Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mir die Finger nach der Serie Crazy Ex-Girlfriend geleckt habe, einzig und allein, weil ich herausgefunden habe, dass eine der wichtigen Figuren bisexuell ist. Ich bin es leid, mir zu allen Figuren einen bisexuellen Headcanon zu basteln und jeden Augenkontakt zu überinterpretieren und da bin ich nicht alleine. Deshalb arbeite ich gerne daran, mehr Repräsentation in meinen Romanen einzubauen und auch so früh wie möglich in der Geschichte anzusprechen.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Steffi am 17. Mai 2016, 17:21:02
Bei meinen Spionen habe ich auf Labels bisher bewusst verzichtet, auch wenn ich genau weiß, wie jede der Figuren tickt. Und das gefällt mir ganz gut so. Finley zum Beispiel hat als Halb-Fae ein völlig anderes Verhältnis zu Geschlechtern als Menschen, aber da er sich darüber keine Gedanken macht, spielt es auch in meinem Buch keine Rolle.

Ich habe auch eine asexuelle Figur mit dabei, auch wenn das bisher wahrscheinlich niemand vermutet hat. Aber da besagte Figur eben einfach kein Interesse an einer Beziehung hat, denkt sie auch nicht wirklich weiter darüber nach - da fällt das outen dann schwer. Ich denke in Band 5 wird es ein paar deutlichere Hinweise geben, aber laut sagen werde ich es nicht. Dafür ist es einfach nicht handlungsrelevant genug.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 17. Mai 2016, 18:38:52
Ich glaube, ein Problem des Outings gerade im Fantasysetting oder bei historischen Romanen / historischer Fantasy ist, dass es für Vieles auch nicht wirklich einen Namen gibt zu der Zeit, in der die Geschichte spielt oder in der Welt.
Dadurch kann man manchmal nur begrenzt deutlich werden. Meine Yaelle, die ungefähr 8.000 v.u.Z. in Atlantis lebt, kann sich nicht als asexuell outen, da sie kein Wort dafür hat. Ich kann nur durch ihre Aktionen zeigen, dass sie kein Interesse an Sexualität hat. (Aufgrund eines Traumas hat sie zusätzlich kein Interesse an einer Beziehung, aber das ändert sich in der ca. 6.000 Jahre später spielenden Folgereihe - sie ist nämlich zwar asexuell, aber nicht aromantisch). Und ich frage mich dauernd, ob das beim Leser so auch ankommt, ankommen kann, dass es sich bei ihr nicht nur um eine Phase oder sonstwas handelt, auch nicht die Folge ihres Traumas ist, sondern sie auch vorher schon so war, wenn ich streng personell schreibe und es keine Möglichkeit gibt, da als Erzählinstanz einzuwerfen: Ach ja, das ist ihre sexuelle Orientierung.
Also ja, asexuelle Figuren sind schwer darstellbar, wenn man mit impliziten Mitteln arbeiten muss/will :O.
Da ist alles andere schlicht darum einfacher, weil man es durch Interaktionen mit anderen Figuren zeigen kann, durch das schon angesprochene "dem schönsten Wesen des eigenen Geschlechts nachsehen" etc.
Aber wie soll man was zeigen, das nicht da ist? :D
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Mondfräulein am 17. Mai 2016, 18:49:48
Ich glaube, die Frage mit Asexualität haben hier schon einige, vielleicht wäre das ja fast schon was für einen eigenen Thread?
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Maja am 17. Mai 2016, 18:56:57
Zitat von: Mondfräulein am 17. Mai 2016, 18:49:48
Ich glaube, die Frage mit Asexualität haben hier schon einige, vielleicht wäre das ja fast schon was für einen eigenen Thread?
Ich denke, einen Thread zur Asexualität können wir durchaus brauchen - dann aber allgemeiner und nicht spezialisiert auf das Coming Out, sonst gibt es ein Durcheinandeer.


Derweil hat mein schwuler Krieger in der Überarbeitung auf der zweiten Seite seiner Perspektive erklärt, mit Frauen nichts anfangen zu können (dem Leser, nicht seiner Umwelt), und von da an ist es nur noch ein kleiner Schritt, dass er in den Prinzen verliebt ist. Dann halt ohne Knalleffekt. Gefällt mir aber besser so.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Tanrien am 18. Mai 2016, 13:09:26
@Evanesca Feuerblut Bin gerade auf der Arbeit aber bis heute Abend werde ich es vergessen haben und außerdem wissen andere Leute hier sicher viel mehr darüber: Es gibt ja auch in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten ganz viele Konzepte von Sexualität und Auslebungsmöglichkeiten. Wenn man was reales verwendet, muss man sich da einarbeiten statt es mit unseren modernen westlichen Definitionen gleichzusetzen aber ich finde gerade für Fantasy heißt es, dass man da auch frei ist. Vielleicht gibt es in Atlantis keinen Begriff Asexualität, aber dafür das Konzept X mit Begriff Y, was vergleichbar ist. Wenn wir über Rom schreiben, als historisches Beispiel, muss man ja auch nicht "schwul" sagen. Als Beispiel-Keywords: Two-Spirit oder diese "Frauen", "Jungfrauen", oder wie das in den deutschen Medien genannt wurde, die als Männer leben können, wenn sie sich auch so verhalten.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Vic am 18. Mai 2016, 16:53:30
Ich finde das sollte genauso beiläufig passieren wie bei allen anderen Figuren auch.
Ich bin in der Regel total dagegen einen Charakter als "schwul" einzuführen - ich führe ja auch keinen Charakter als "hetero" ein. Ich würde das immer irgendwie beiläufig machen, wenn es halt grade Sinn ergibt. Ein Charakter in einer Beziehung kann ganz nebenbei seinen Mann oder ihre Frau erwähnen. Ein Single kann einen Verkupplungsversuch mit "oh, leider sind Herren nicht so meins" ablehnen.

Sorry aber wenn Leser automatisch davon ausgehen, dass "nicht sofort definiert" automatisch hetero bedeutet, kann ich denen auch nicht helfen. Selber schuld. Im echten Leben nervt diese Denkweise schon genug.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Mogylein am 18. Mai 2016, 22:16:18
@Vic
Es ist nunmal ein Fakt, dass wir in einer heteronormativen Gesellschaft leben und "Der Leser muss nicht davon ausgehen, dass meine Figuren hetero sind! Blöder Leser!" hilft da auch nicht weiter (und erinnert mich ein bisschen an "I don't see skincolor"). Wenn du dich da wirklich entziehen kannst, ist das schön für dich, aber es ist selten. Selbst bei mir, wo ich 90% aller Charaktere als bisexuell headcanone, gehen alle "Romantik"-Blinkanlagen im Kopf an, wenn der Protagonist und die Protagonistin einander sehen, Augenkontakt haben, miteinander private Details bequatschen usw, was nicht der Fall ist, wenn sie mit einer Figur des gleichen Geschlechts sprechen. Das ist doch ganz normal, wenn fast alle Bücher, Serien, Filme, die man je gelesen/sehen hat darauf hinaus laufen, dass alle Figuren heterosexuell sind. Wenn mir keine expliziten Hinweise gegeben werden (Genre, Klappentext, In-Text-Outing, ...), gehe ich automatisch davon aus, dass die Figur (mal wieder) heterosexuell ist.
Natürlich ist die Lösung nicht, jemanden als "den Schwulen" oder "die Lesbe" einzuführen, wobei ich das verkraften kann, wenn sich schnell rausstellt, dass die Figur mehr Eigenschaften hat als zunächst gedacht war.

@Tanrien Das finde ich eine super Idee! Daran habe ich noch gar nicht gedacht.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Tanrien am 31. Mai 2016, 19:25:34
Ich bringe den Thread nochmal zurück, weil mir scheinbar damals noch nicht aufgefallen ist, wie relevant das Thema überhaupt momentan für mich ist. Momentan (bzw. seit meinem Geburtstag) sitze ich nämlich an dem Vorsatz, ein Jahr lang nur über lesbische Protagonistinnen zu schreiben. Das wollte ich, wenn ich mehr Zeit habe, auch nochmal genauer vorstellen. Jedenfalls, da ich wegen des T12 und dem täglichen Schreiben und in Ermangelung eines längeren Projekts momentan jeden Tag nur eine bis mehrere Kurzkurzgeschichten schreibe, heißt das, wie ich jedes Mal feststelle, dass ich meine weiblichen Protagonistinnen - der Teil ist ja noch einfach - innerhalb von manchmal nur hundert Wörtern bereits geoutet haben muss. Weil dann die Szene, die ich heute schreibe und zu der ich nie wieder zurück kehre, bereits vorbei ist. Bisher läuft es ganz gut und es ist definitiv eine gute Übung, um die verschiedenen Wege zu probieren, einen Charakter zu outen gegenüber dem Leser.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Franziska am 31. Mai 2016, 23:39:19
Das ist ein schönes Projekt, Tanrien. Und bestimmt eine Herausforderung, sich da immer wieder was Neues auszuprobieren.

Ich habe ja gesagt, ich finde es immer gut, wenn die Figur relativ früh "geoutet" wird. Allerdings fällt mir selbst ein Projekt ein, wo ich das nicht mache und ich wüsste auch nicht wie. Es ist eine Nebenfigur, die keine Perspektive hat. Die Figur soll intersex sein, präsentiert sich aber als Mann, weil etwas anderes nicht möglich ist und ich weiß noch nicht, ob das aufgeklärt wird, oder ob ich da eine Sidestory zu schreibe.
Sonst hätte ich verschiedene Möglichkeiten: eine Szene erfinden, nur um das aufzuklären, es in die Story einzubinden und mir da irgendwas auszudenken, warum das wichtig wird oder es einfach offen lassen.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Maja am 01. Juni 2016, 00:56:26
Ich warte ja noch auf Rückmeldung von meinem Lektor wegen des überarbeiteten Kapitels, aber mir hat die Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung sehr geholfen, neue Dynamik in die Geschichte zu bringen und die betreffende Figur vielschichtiger zu beschreiben. Er handelt jetzt aus einer ganz anderen Motivation heraus, und auch wenn es bedeutete, dass ich das Kapitel am Ende dreimal neu geschrieben habe, ist es jetzt endlich rund. Ich habe vielleicht meinen Knalleffekt verloren, aber dafür einen Sympathieträger gewonnen.

@Tanrien
Das klingt spannend, viel Erfolg damit!

@Franziska
Das ist in der Tat eine Herausforderung. Erinnert mich ein wenig an mein Lieblingsbuch "James Miranda Barry" von Patricia Duncker, wo bis zum Ende nicht ge- oder erklärt wird, ob Barry Mann oder Frau, trans- oder intersexuell ist - und dabei ist es die Hauptperson. Extra dafür eine Szene einbauen, käme mir ziemlich holzhammermäßig vor, insbesodnere, wenn es sonst nichts zur Wahrheitsfindung beiträgt und den Plot vorantreibt - ich denke, da muss es entweder eine andere Lösung geben oder eben offengelassen werden. Wenn jemand intersexuell ist, lebt man üblicherweise als Frau oder als Mann, trägt kein Schild um den Hals und bindet es auch nicht jedem aufs Maul. Wenn du das mit einer "Da! Die Figur ist interesexuell!"-Szene erklärt wird, wirkt es mehr, als würde der Autor seine LGBTQ-Strichliste abarbeiten: Intersexuell? Check.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Alana am 01. Juni 2016, 01:15:18
ZitatWie verkauft man seinen Lesern am Besten, dass eine Figur queer ist, namentlich wenn sie nicht mit affektierter Stimme und gebrochenem Handgelenk auftritt?

Du hast ja inzwischen eine Lösung, Maja, aber da ich mich gerade selbst sehr intensiv mit dem Thema beschäftige, möchte ich darauf kurz eingehen. Ich denke, es kommt darauf an, was man mit der Figur machen möchte. Ich glaube, es gibt Situationen, wo die Sexualität einer Figur für die Geschichte keine große Rolle spielt, außer dass sie Teil der Figur ist und natürlich das Handeln der Figur beeinflusst. Dann muss man die Figur nicht outen und in meinen Augen liegt dann gerade die wichtige Message darin, es nicht (auffällig) zu tun. Aufmerksame Leser werden es vielleicht an Details erkennen oder eben auch nicht. Ich finde es besonders schön, Diversität in meine Romane einzubinden, ohne groß darauf einzugehen. Beiläufig, so selbstverständlich wie ich es mir für unsere Gesellschaft auch wünsche.

Oder man möchte an den Figuren etwas zeigen, deutlich machen, wie auch immer, ohne dass es Thema des Buches ist. Dann muss der Leser natürlich die Fakten kennen. Ich denke, es gibt kaum ein richtig oder falsch, außer, dass es sich so natürlich in die Geschichte einfügen sollte, wie alle anderen Informationen. Den Knalleffekt finde ich legitim, man muss halt nur aufpassen, dass die sexuelle Orientierung nicht zum Plot device verkommt, das passiert auch oft mit psychischen Traumata, die kurz vor Plot Punkt 3 als Erklärung für alles enthüllt werden, damit man ein Tränchen vergießen kann. Wirklich bearbeitet wurde das Thema jedoch nicht und deswegen mag ich persönlich das nicht so.

Im Real Life bemerke ich die Sexualität von Menschen oft nicht und es sind dann kleine Nebensätze, die es mir verraten. (Zum Beispiel wenn eine Frau von ihrer Frau spricht.) Ich finde das schön, weil das bedeutet, dass es immer normaler wird und man nicht groß darüber reden muss. (Außer man möchte es. ;) ) Deswegen mache ich es in meinen Romanen gerne genauso. In meinem derzeitigen Roman outet der Protagonist seinen besten Freund mit den Worten: "Er war in meinen Bruder verliebt." Dass das nicht notwendigerweise bedeuten muss, dass der Freund schwul ist, finde ich einen schönen Nebeneffekt.

Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Nikki am 20. Juli 2020, 12:43:39
Es sind über vier Jahre seit der letzten Antwort vergangen und mich würde interessieren, ob sich eure Positionen verändert haben bzw. wie sie von denen sind, die sich noch nicht dazu geäußert haben? Falls die zeitliche Lücke und die Ursprungsfrage, die mittlerweile beantwortet ist, einen neuen Thread verlangen, sagt das bitte, liebe Moderator*innen. Für mich persönlich ist der Titel des Threads aber dennoch noch immer von Relevanz.

ZitatIch bin in der Regel total dagegen einen Charakter als "schwul" einzuführen - ich führe ja auch keinen Charakter als "hetero" ein.

Für mich ist das ein ganz wichtiger Gedanke, den ich gar nicht oft genug betonen kann. Ja, wir leben in einer cis heteronormativen Welt, doch wenn Gleichberechtigung aller sexuellen Orientierungen, Geschlechteridentitäten und Lebensentwürfe wirklich angestrebt wird, dann sollte man solche restriktiven Normen nicht reproduzieren, indem man die cis heterosexuelle Lebenswelt präferiert und sie unreflektiert als Basis hernimmt und alle anderen Konzepte davon abstrahiert. Nicht alle nicht-cis nicht-heterosexuellen Personen erleben ein Comingout als fulminantes Ereignis, für viele steht es von Anfang an genauso fest, wer sie sind, wie für cis heterosexuelle Personen. Darum frage ich mich, wieso ich bei einer trans, nicht-heterosexuellen Figur ein größereres Tramtram um ihre Identität/Sexualität machen sollte als bei einer cis heterosexuellen Figur, wenn die eigentliche Handlung sich nicht zentral darum dreht.

Ich persönlich sage nicht: Schaut her, diese Figur ist cis und heterosexuell! Warum sollte ich also sagen, diese aber ist trans und pan/bi/asexuell/homosexuell?

Für mich sind diese Überlegungen im Moment zentral, weil ich erstmals die Perspektive einer nonbinären, pansexuellen, demisexuellen Figur schreibe, für die nichts von diesen "Tags" eine Überraschung ist, weil sie 16 Jahre lang Zeit hatte, sich selbst kennenzulernen und genau weiß, wer sie ist, auch wenn das in gewissen Teilen des Umfelds auf Verständnislosigkeit stößt. Das Letzte, was ich will, ist, diese Figur als Gegenpol einer vermeintlichen cis heterosexuellen Norm zu inszenieren. Sie ist auf Augenhöhe mit den anderen Figuren, die, je nach Vertrauensgrad innerhalb der Freundschaft, eine längere Gewöhnungsphase brauchen, um die für sie neuartige Identität jener Figur zu akzeptieren, da sie bis zu einem gewissen Grad in ihren eigenen Vorurteilen verhaftet sind - ich leugne die Existenz dieser vorgelebten cis heterosexuellen Norm nicht, aber ich halte es für kontraproduktiv sie 1:1 wiederzugeben, wo doch gerade Autor*innen die Macht dazu haben, Welten zu erschaffen, die sich über das Alltägliche erheben.

Ich schreibe übrigens YA Urban Fantasy, trans nicht-heterosexuelle Figuren kommen sowohl auf der menschlichen als auch nichtmenschlichen Seite vor.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: Federstreich am 20. Juli 2020, 16:40:59
In meinem geplotteten Roman kommt es zwischendurch zu einer Art Casting, welcher der Enkel meiner Rentner meine Protagonistin aufheitern soll. Da fallen "natürlich" die weiblichen Enkel raus, weil meine Protagonistin gerade von ihrem Freund vor die Tür gesetzt wurde. Ich habe lange überlegt, wieso die jeweiligen Enkel nicht infrage kommen könnten, damit letztlich nur einer übrigbleibt, der so gar keinen Bock auf das Spiel hat. So kam es, dass einer schwul ist, dessen Oma das aber nicht weiß. Er hat seine Gründe, wieso er sich vor der Familie noch nicht geoutet hat. Seine Oma soll zuerst überrascht, dann aber ziemlich cool reagieren.
In diesem Fall wird diese Figur genauso normal eingeführt wie alle anderen Figuren. Man erfährt erst später, dass er schwul ist, hat ihn bis dahin also als normalen Menschen kennengelernt. Für mich gäbe es da keinen Grund, ihn wegen dieser zusätzlichen Info plötzlich anders zu sehen und ich hoffe, dass das bei meinen Lesern genauso funktioniert und sie auch darüber nachdenken, sollte dieser Roman beendet und veröffentlicht werden. Ich bin aber eine weiße hetero-Frau und habe von dieser speziellen Thematik absolut keine Ahnung. Klar versuche ich, mich zu diesem Thema zu belesen, aber ich werde es nie selbst erleben.
Folglich werde ich diese Stelle behutsam angehen. Ich kann nur hoffen, dass ich dabei nicht in ein Fettnäpfchen trete, indem ich mir vorzustellen versuche, wie das für den jungen Mann, seine Oma und die umstehenden Rentner ist. Es ist das erste Mal, dass ich über jemanden schreibe, der nicht hetero ist. Ich kann mich nur bemühen, aber das nehme ich ernst. Auch wenn diese Figur nur eine Nebenfigur ist, hat sie ihre Botschaft. Die heißt für mich "Ich bin nicht hetero, aber ich bin ein Mensch und tue mit meiner sexuellen Gesinnung niemandem weh. Liebt und respektiert mich trotzdem." Wobei das nicht mit dem Holzhammer kommen soll.
Titel: Re: Queere Figuren vor dem Leser outen
Beitrag von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 23:23:41
Bei mir kommen in allen Projekten queere Figuren vor - auch immer in den Hauptrollen. Mein Motto ist: Ich schreibe das, was ich mir selbst zu lesen wünsche. Und was ich mehr lesen will, ist nun einmal mehr Geschichten mit queeren Figuren. Davon haben wir einfach nicht genug. Normal mache ich auch immer recht schnell klar, dass ein Charakter queer ist, es sei denn es spielt erst später in seiner Geschichte eine Rolle.

Also wenn ich zum Beispiel Mosaik ansehe, so spielt die Tatsache, dass Joanne aromantisch ist, im dritten Teil halt eine größere Rolle, da sie sich da erst dessen bewusst wird und das ganze hinterfragt. Genau so outet sich Murphy erst in diesem Teil als genderfluid. Mit seiner Pansexualität geht er vorher schon recht offen um, aber Joanne erfährt halt erst in diesem Teil, dass er genderfluid ist - nicht zuletzt, weil er Angst hatte, wie sie darauf reagiert. (Und ja, sie ist damit etwas überfordert.) Es sei auch noch dazu gesagt, dass ich in Mosaik einen einzelnen Charakter habe, der auch queer ist, dessen Queerness allerdings nicht vorkommt, da er einfach nicht über sich redet und ich halt die eingeschränkte Perspektive von Joanne habe. Was sie nicht weiß, kann die Leserschaft eben auch nicht wissen.

Schaue ich mir mein aktuelles Projekt Sturmjägerinnen an, so habe ich eine Gruppe aus Protagonistinnen, die aus zwei Frauen und einem nicht-binären Charakter bestehen, die allesamt zusammen in einem Polykül sind. Da steht dann die Queerness der Figuren nie in Frage. Das ist halt einfach eine vorausgesetzte Tatsache der Geschichte. Genau so wie eine der ersten Sachen, die die Leserschaft über Esmeralda erfährt, ist, dass sie mit einer Frau zusammen war.

Die Sache ist, dass ich keine Outing-Geschichten mag. Also ich habe nichts dagegen, wenn ein Outing in einer Geschichte vorkommt, aber ich mag keine Geschichten, die sich zur Hälfte um ein Outing drehen, da es eben ein sehr verzerrtes Bild auf die Existenz von LGBTQ* gibt. Eben, dass sich alles um das Outing dreht. Das macht mir Bauchschmerzen. Bei mir sind Outings Dinge, die passieren, dann aber recht schnell vorbei sind. Ein, zwei Kapitel maximal.

Mich stört es übrigens immer sehr, wenn in einer Geschichte Last Minute eingebracht wird, dass ein Charakter queer ist. Ja, es gibt ein paar wenige Beispiele, wo es die ganze Geschichte in ein komplett neues Licht setzt und sie interessanter macht, aber auf mich wirkt es meist, wie "Last Minute Brownie Points" Sammeln. Es ist für mich einfach keine Repräsentation, wenn ich über 99% der Geschichte hinweg nicht weiß, dass ich repräsentiert werde. Leider ist es etwas, das gerade bei Filmen und Serien häufig vorkommt, weil man so eben beides haben kann: Brownie-Punkte für Diversität, aber ohne das konservative Publikum über den Lauf der Serie/des Films zu verschrecken. Das finde ich lahm.  ::)

Ebenso empfinde ich es übrigens anstrengend, wenn ein*e Autor*in am Ende ankommt: "Der Charakter ist übrigens queer", wenn in der Geschichte nichts davon gezeigt wird. (Schauen wir kurz und intensiv in die Richtung von Disney ...) Ich meine, klar, ich habe queere Headcanons und es gibt ab und an Medien, die sehr queer sind, ohne explizit queer zu sein, aber wenn es am Ende einfach so von einer*m Autor*in kommt, fühlt es sich für mich falsch an und auch wieder so, als wolle man nur Punkte sammeln. Ausnahme natürlich Geschichten, in denen es bereits einige queere Figuren gibt. Da ist es okay, wenn eine Anmerkung kommt: "Charakter X, dessen Sexualität nicht definiert wird, ist übrigens Y". Weil wenn es einige queere Figuren bereits gibt, ist die Geschichte erst einmal nicht heteronormativ.