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Kann man gute Grundideen anderer Autoren recyclen?

Begonnen von Wilpito, 14. Juni 2008, 15:34:45

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Judith

#15
Wobei es natürlich etwas anderes ist, einen Grundplot zu übernehmen als gleich eine ganze Handlung. Etwa das Motiv "Waisenkind wird schlecht behandelt und kann in eine bessere Welt/ein besseres Leben fliehen" findet man in Märchen ebenso wie bei Harry Potter oder eben Jane Eyre. Das ist einfach ein universelles Motiv, das schon unzählige Male auf viele verschiedene Arten umgesetzt wurde.
Hingegen wäre für mich die Idee "Kind, das schlecht behandelt wird/unbeliebt ist, erkennt, dass es magische Kräfte besitzt und kommt in eine Zauberschule, wo es den Kampf gegen das Böse aufnimmt" ganz eindeutig Harry Potter und - grob gesagt - billiger Abklatsch, wenn es in einem neuen Jugendroman verwurstet wird.

Skandra

Da stimme ich Judith voll und ganz zu.
Warum schreibe ich? Weil ich etwas zu erzählen habe. Und doch nicht, weil ich glaube, etwas, was jemand anderes schon erzählt hat, vielleicht besser erzählen zu können. Das wäre mir zu billig.
Anspielungen, sofern sie gut plaziert sind und einen feinen Unterton haben, sind schon erlaubt, aber einfaches Abgeschreibsel möchte ich ja auch selbst nicht lesen. Auch wenn es vielleicht sogar besser sein mag, den Bonus hat bei mir immer das Original.

Liebe Grüße
Skandra

Coppelia

#17
Und wie seht ihr das bei Romanen, die historische Ereignisse und Personen behandeln? ;) Da ist häufig leider keine Veränderung der Handlung möglich - hach, was würde ich sonst historische Romane schreiben!

Ich denke, der Knackpunkt ist, dass man einfach kreativ bleiben muss und das Inspirieren-Lassen nicht als Erleichterung der eigenen Arbeit verstehen darf. Es bringt nichts, etwas einfach nur zu übernehmen. Wer aber kreativ und bewusst mit seinen Vorbildern umgeht, der kann viel erreichen. Das ist aber eine große Herausforderung und harte Arbeit.

Lateinische Autoren ließen sich von den griechischen inspirieren. So hatte z. B. Vergil den Ehrgeiz, an Homer "ranzukommen". Obwohl ich Vergil (aber aus anderen Gründen) nicht so gern lese, gilt er als regelrechter Star-Dichter. An seinen Werken kann man diesen "Wettkampf" (aemulatio) mit seinen Vorbildern sehr gut verfolgen. Vergil hat mehr getan, als Homer nachzuahmen. Er hatte etwas Eigenständiges zu sagen in seiner Zeit und hat seinen Zeitgenossen dadurch Hoffnung und ein Gefühl für die eigene sprachliche und politische Identität gegeben.
*sülz* ;)
Nein, das erreicht niemand, der den Plot von Harry Potter klaut. Aber es zeigt doch, dass Autoren gerade durch bewusste Auseinandersetzung mit ihren Vorbildern etwas erreichen können, auch heute noch, denke ich.

Judith

Aber historische Romane müssen sich ja trotzdem keineswegs gleichen (auch in der Handlung nicht). Es gibt sehr viele Romane über Caesar, bei denen der Hintergrund zwar vorgegeben ist, und dennoch sind alle irgendwie anders. Die einen behandeln fast wie eine Biografie sein ganzes Leben, die nächsten erzählen über ihn aus einer "wohlgesonnen" Perspektive oder aus feindlicher oder schreiben über seine Feldzüge aus Sicht der Gallier oder dröseln seine Ermordung nach Art eines Krimis auf. Zudem können verschiedene Romane auch ganz unterschiedliche Begebenheiten aus seinem Leben erzählen.

Oder das gleiche gilt für Cicero. Obwohl schon viel über ihn geschrieben wurde, kann man sicher immer noch sehr viel neues erzählen. So, wie man eben auch das Motiv "Waisenkind wird schlecht behandelt und kann in ein besseres Leben fliehen" auf vielerlei Arten gestalten kann.
Aber wenn jetzt jemand kommt und sagt, dass er über Cicero aus der Sicht seines Sklaven Tiro in der Manier eines Politthrillers schreibt, dann würde ich mich doch fragen, ob das nicht nur von Robert Harris' "Imperium" abgekupfert ist.