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Allgemeinwissen vs. Fachwissen. Was sollte man nehmen ?

Begonnen von Feuertraum, 16. Januar 2009, 19:41:24

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Feuertraum

Angenommen, Sie lesen in einem Roman folgenden Satz:

"Der weiße Schimmel kam mir entgegen." Ich persönlich hätte - zumindest bis heute - dem Autoren  :pfanne:, weil ein Schimmel ist weiß, ergo ist das weiße im weißen Schimmel ein krasser Fehler.
Nun aber habe ich durch Zufall einen Artikel entdeckt, dass ein Schimmel genauso gut auch grau oder rot oder schwarz sein kann.
Pferdefreunde wissen das sicherlich.
Aber wie schaut das mit der Allgemeinheit aus ? Bekommt man für einen "weißen Schimmel" nur einen Rüffel, weil ja bekannt ist, dass Schimmel weiß ist ?
Wie händels Sie das ?

LG

Feuertraum
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Churke

Das sind so die Wendungen, bei denen eine Fußnote verblüffen kann.  :o

Immerhin gilt der weiße Schimmel als Klassiker des Pleonasmus.  ::)

Im Amtsdeutschen ist ein Schimmel übrigens ein Mustervordruck. (Deshalb kann der Amtsschimmel auch nicht wiehern. ;D)

Manja_Bindig

Hm... wenn das Pferd wirklich schneeweiß ist, lassen sie das "weiß" weg. Dann ist klar, was sie meinen.
Allerdings - wenn sie einen Apfel-, Grau-, oder Schwarzschimmel vor augen haben, sagen sie das auch mit diesen Worten. Eventuell würd ich - vor allem beim Schwarzschimmel, da können sich Nicht-Pferdegewohnte schlecht was drunter vorstellen.

Im Falle eines reinweißen Pferdes ist der "weiße Schimmel" allerdings doppelt gemoppelt, überflüssig, was auch immer.

Schreiberling

Hier würde ich zu Fachwissen tendieren. Aus folgendem Grund:
Ich habe keine Ahnung von Pferden, aber ich dachte immer, dass ein Schimmel auch grau sein kann. Mit einem weißen Schimmel hätte ich dann verbunden, dass er wirklich weiß ist und somit nicht mehr grau enthält als weiß. Auch als ich den Satz gelesen habe, habe ich mir im ersten Moment nichts bei dem 'weißen Schimmel' gedacht.

Liebe Grüße,
Schreiberling

Tenryu

Ich würde in diesem Falle vielleicht von einem "reinweißen" oder "schneeweißen" Schimmel sprechen. Damit wird der Pleonasmus entschärft und zugleich die Farbe präzisiert.

Shay

Außerdem muß ein Pleonasmus ja nichts schlechtes sein. *Stilfiguren lieb*

Manja_Bindig

#6
Pleonasmus muss aber nicht sein...

@Tenryu: Ich fürchte, da muss ich dir widersprechen.
Wenn man nur sagt, "Schimmel" - was hast du da vor Augen? Weißes Pferd. Oder verdorbene Marmelade...
Na gut. Weißes Pferd.
Ein reinweißer Schimmel... ich weiß nicht, für mich wird der Pleonasmus da nur erhöht, statt abgeschwächt.

Wenn das Tier irgendwo graue Flecken hat, gilt es eventuell schon als Apfelschimmel, je nach Größe, Form und Dunkelheit der Flecken, aber das ist dann variabel. Ab einem gewissen Graugrad in der Grundfarbe des Fells gilt es als Grauschimmel(ich hab mal einen gesehen, der sah aus wie aus Silber gegossen, wenn er auf Hochglanz gestriegelt war - ohne Hochglanz-Striegeln mit normaler Pflege hatte das Silber allerdings ziemlich Patina angesetzt ;) ). Dieser Graugrad ist recht niedrig angesetzt - einen "reinweißen Schimmel" zu schreiben IST also doppelt gemoppelt.
Maximal kann man die Färbung eines späteren Schimmels beschreiben, wenn er noch jünger als ein Jahr ist... Schimmel kommen ja dunkel zur Welt und hellen erst nach und nach auf.



Aber gut... es ging um die Frage, ob man Allgemein- oder Fachwissen anwenden soll.

Gute Frage. Ich würde sagen, mischen. Allgemein:Fach irgendwas um die 7:3 im Verhältnis... ab und an kommt man nicht um Fachbegriffe herum wenn man korrekt und präzise sein will - eventuell kann man es ja durch eine kurze Erklärung abmildern.
Schwierig, ohne Fachwissen auszukommen, wird es auch, wenn man eine wahre Koryphäe in einem Gebiet als Chara hat...
Im Endeffekt ist es auch eine Frage - wie viel traust du deinem Leser zu, dass er weiß oder sich auch erschließen kann? Daran misst es sich am Ende - und die verschiedenen Schimmelbeschreibungen sind etwas, was sich eigentlich jeder denken kann.

Feuertraum

@ Manja: Es geht mir nicht darum, wie ich es schreiben soll, sondern darum, ob sie/Sie als Autor lieber auf Begriffe gehen, die man kennt oder eben doch eher auf das Fachwissen.

Um ein weiteres Beispiel anzuführen: Blüten. Kein Polizist wird dazu Blüten sagen; es ist für ihn Falschgeld. Wie verlockend ist es aber nun, statt Falschgeld eben doch das Wort Blüten zu nehmen, einfach, weil der Leser diesen Begriff kennt.

Verstehen Sie, was ich meine ?
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Linda

Zitat von: Manja am 16. Januar 2009, 20:12:21
Schimmel kommen ja dunkel zur Welt und hellen erst nach und nach auf.

ja, weil sie gewissermaßen dank eines Gedefekts frühzeitig vergreisen ;-)
Aber ich glaube, es gibt eine Ausnahme, nämlich Pferdealbinos. So einen hatte ich mal im Stall, mit hellblauen Augen und einem Fell, das rose (also nicht Regina Regenbogenartig) aussah, weil die Haare derartig hell und zart waren, dass die Haut durchschien.

Gruß,

Linda

Linda

Zitat von: Feuertraum am 16. Januar 2009, 20:21:47
@ Manja: Es geht mir nicht darum, wie ich es schreiben soll, sondern darum, ob sie/Sie als Autor lieber auf Begriffe gehen, die man kennt oder eben doch eher auf das Fachwissen.

Um ein weiteres Beispiel anzuführen: Blüten. Kein Polizist wird dazu Blüten sagen; es ist für ihn Falschgeld. Wie verlockend ist es aber nun, statt Falschgeld eben doch das Wort Blüten zu nehmen, einfach, weil der Leser diesen Begriff kennt.

das mache ich von der jeweiligen Perspektive abhängig. Ist es die eines Polizisten, redet der anders drüber, als z.B. der Gauner, oder der Reporter ... Sollte also mit entsprechender Figurenrede zu lösen sein.

Gruß,
Linda

Steffi

#10
Zitat von: Linda am 16. Januar 2009, 20:24:41
das mache ich von der jeweiligen Perspektive abhängig. Ist es die eines Polizisten, redet der anders drüber, als z.B. der Gauner, oder der Reporter ... Sollte also mit entsprechender Figurenrede zu lösen sein.

Gruß,
Linda

Finde ich auch. Ein Gutsbesitzer, der seit dreißig Jahren Trakehner züchtet, würde vermutlich schon von einem reinweißen Schimmel sprechen.
Sic parvis magna

Lomax

Allgemeinwissen vs. Fachwissen?
Natürlich immer Allgemeinwissen! Natürlich unter Berücksichtigung der hier schon genannten Besonderheiten in Bezug auf Persepektive u.ä.

Bei der Arbeit für die Presse habe ich da den netten Satz gelernt: "Was der Leser für falsch halten muss, ist auch falsch." Denn es geht ja darum, für Leser zu schreiben - nicht darum, sich daran zu erfreuen, dass man etwas besser weiß und sich dann erhaben fühlen kann, wenn die Leser, die's nicht besser wissen, darüber schimpfen.
  Wenn man Fachwissen bringt, muss man es auch erklären. Und erklärende Exkurse in einem Roman taugen per se nicht. Fachwissen ist also auf die Fälle beschränkt, wo man die nötigen Infos plotrelevant einstreuen kann - und das kommt eher selten vor.
  Außerdem kollidiert Fachsprache oft auch mit der Allgemeinsprache. Der Experte weiß es dann nicht "besser", sondern er hat einfach nur eine andere, fachsprachliche Definition für das Wort - die in der Allgemeinsprache schlicht "falsch" ist.
  Wenn also ein Sanitäter darüber schimpft, dass man Verletzte nicht "bergen" kann, sondern nur "retten", dann sollte man auf dieses "Fachwissen" nicht viel geben. Korrekter Sprachgebrauch ist das, was im Duden und anerkannten Wörterbüchern steht - nicht das, was irgendwelche Berufsgruppen untereinander für den internen Sprachgebrauch ausmauscheln.
  Aber wenn im Roman dann ein Sanitäter oder Feuerwehrmann auftaucht, ist es durchaus authentisch, wenn er vom "retten" spricht und besserwisserisch schimpft, dass man ja nur Tote "bergen" kann ;)

Vali

Ich hatte so eine Diskussion mit einer Freundin von mir. Sie hat einen Roman geschrieben, den ich betagelesen habe. Es geht um Karma. Das Problem hierbei ist, dass das Allgemeinwissen (hier in Europa zumindest) sich vom Fachwissen unterscheidet.

Das ganze spielt in einer asiatisch anmutenden Kultur. Eine Frau hat aus Eifersucht ihr Volk verraten und dadurch schlechtes Karma gesammelt. Bei einem Unfall kommt sie um und wird als Wolf wiedergeboren. Als Wolf hat sie natürlich Schafe gerissen, usw. und hat einen Menschen angefallen, um ihr Rudel zu beschützen. Dadurch soll sie wieder schlechtes Karma bekommen haben. Als sie dann zufällig ihr altes Volk wieder trifft, erinnert sie sich an ihr altes Leben und hat ein schlechtes Gewissen, weil ihr Volk nun in Sklaverei lebt. Ihrem Rudel erzählt sie die Geschichte und erklärt ihnen unter anderem auch, dass man das Karmasystem als eine Art Seelenkonto sehen kann. Für böse Taten gibts schlechtes Karma und für gute Taten gibts gutes Karma. Ziel ist es so viel gutes Karma zu sammeln, dass man als Mensch wiedergeboren wird und das will sie auch, um wieder bei ihrem Volk leben zu können. Also kommt sie auf die Idee als Wolf ihr Volk zu retten und bekommt wegen ihrer Heldentat ein Haufen gutes Karma, wird aber wegen eines Mißverständnisses durch einen Wurfspieß getötet, Wiedergeburt als Mensch, Happy End, um es mal kurz zu fassen.

Ich wies sie darauf hin, dass die ganze Idee mit dem Karma nach Fachwissen nicht so funktionieren kann. Erstens sind Karma keine Straf- und Bonuspunkte und selbst wenn, dann hätte ihr der Vorfall mit dem Menschen gutes Karma eingebracht, weil sie ihr Rudel beschützt hat. Und warum sollte man durch Beschaffung von Nahrung schlechtes Karma bekommen? Als Wolf kann man ja schlecht Cornflakes essen.
Schlechtes Karma kann man nicht einfach durch gutes Karma ausgleichen. Und diese Erklärung mit dem "Seelenkonto", da kringeln sich ja einem die Zehnägel. Eigentlich sammeln Tiere wegen Unwissenheit über ihre Taten kein Karma, aber weil es ein Wolfsroman ist, kann man drüber hinweg sehen. Eigentlich ist es auch Ziel überhaupt kein Karma zu sammeln, um erlöst, also eben nicht mehr wiedergeboren zu werden. Dass Reinkarnation erwünscht ist, passt also nicht, aber es könnte ja eine spezielle Sicht dieses Fantasyvolkes sein.

Sie erwiderte mir, dass ich vielleicht Recht habe mit meinem Fachwissen, aber es sei nun mal Allgemeinwissen hier in Deutschland, dass das Karmasystem wie ein Seelenkonto funktioniert und es Ziel ist so viele gute Taten zu vollbringen, um gutes Karma zu bekommen. Dass sich dieses Glauben hier so etabliert hat, sieht man auch an zahlreichen anderen Romanen mit Karma, an Postingbewertungssystemen in Foren, einigen Computerspielen und in der Esoterik.
Weil ihr Roman auf diesem Glauben basiert, wird sie es nicht dem Fachwissen anpassen, weil es den ganzen Plot umwerfen würde und sie Erklärungen schreiben muss, damit es Ottonormalleser kapiert. Außerdem ist das ja eh alles Fantasy, da kann man alles so drehen wie man es möchte.
Dass sie den Roman nicht neu schreiben will, dafür hat sie mein vollstes Verständnis. Aber "so drehen wie man es möchte" finde ich nicht immer geschickt. Ich finde es sehr komisch, warum ein asiatisch angelegtes Volk an europäische Ansichten von Karma glauben soll. Das zeigt ja eher, dass sie als Autorin darüber nicht recherchiert hat.

Wie sollte man das grundsätzlich denn machen? Sich an Allgemeinwissen halten, auch wenn es nicht der Wirklichkeit entspricht, damit es selbst der dümmste Leser versteht und man nicht verkrampft Erklärungen einbauen muss oder sich doch besser an Fachwissen orientieren, um sich nicht an die vielen Romane anzureihen, die diesen Unfug weiter verbreiten und noch populärer machen?

Grey

Allgemeinwissen ist ja im Normalfall nicht grundsätzlich falsch, sondern erklärt den Sachverhalt nur weniger detailliert. Ich hab mich mit Karma noch nicht näher befasst, aber in diesem Spezialfall geht es ja offensichtlich nicht mal darum, Allgemeinwissen von Fachwissen zu trennen. Ich frage mich dann auch, warum man ein Buch schreibt, in dem Karma eine wichtige Rolle spielt, wenn man es andererseits nicht interessant genug findet, darüber zu recherchieren.
Für den unbedarften Leser finde ich es besser, die Sachverhalte im Buch allgemeinverständlich präsentiert zu bekommen. Aber ich will nichts *falsches* lesen. Das hat dann ja auch nichts mehr mit Allgemeinwissen zu tun, sondern vielmehr mit Irrglauben.

Coppelia

Das Beispiel mit dem Karma greift für mich überhaupt nicht ... warum soll es keine asiatisch angehauchten Völker mit europäischen Ansichten in einer Fantasywelt geben, wenn es gut durchdacht und Bestandteil der Welt ist? Das Wichtigste ist ja, dass es insgesamt Sinn ergibt. Das hat dann in einer anderen Welt nichts mit Allgemein- oder Fachwissen zu tun, sondern nur damit, wie der Autor seine Welt gestaltet.

Ich würd mich auch an Allgemeinwissen halten. Fachwissen geschickt einzubauen, schadet ja nie. ;) Ich glaube z. B. nicht, dass man bei meinen Gerichtsszenen gemerkt hat, dass ich unbedingt mein Fachwissen über antike Rhetorik einbauen musste, denn Fachbegriffe hab ich nie verwendet. Ich denke aber, dass es überzeugender wurde.