Im Endeffekt finde ich, dass es überhaupt keine Rolle spielen dürfte, wer jetzt welche Hautfarbe hat. Schlussendlich ist es im Kern auch rassistisch, verkrampft darauf zu achten, Menschen mit anderen Hautfarben als weiß bloß niemals böse oder negativ darzustellen, unterstellt man ihnen damit doch, nicht damit umgehen zu können. Wenn man ständig darauf achtet, unterstellt man schließlich doch wieder Unterschiede, wo gar keine sein sollten. Eine Geschichte mit rassistischer Konnotation sollte eigentlich für jeden mit ein wenig Empathie sofort als solche erkennbar sein (Beispiel: Die Legende von Aang).
Deine These ist hier, dass es rassistisch ist, nichtweiße Figuren anders zu behandeln als weiße Figuren und meinst damit konkret, dass man weder bei weißen noch bei nichtweißen Figuren auf die Hautfarbe und damit verbundene Konnotationen achten sollte.
Du schreibst, dass man nichtweißen Menschen damit unterstellt, nicht damit umgehen zu können, wenn man sie negativ oder böse darstellt. Das zeigt, dass du offensichtlich noch nicht verstanden hast, was überhaupt das Problem ist. Nichtweiße Menschen müssen in unserer Gesellschaft tagtäglich damit umgehen, dass sie als Person nur aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit in bestimmte Schubladen gesteckt werden. Wenn von vorne herein ungleiche Bedingungen bestehen, schafft Gleichbehandlung keine Gleichberechtigung.
Menschen neigen dazu, andere Menschen in Gruppen einzuteilen. Das führt dazu, dass es Menschen gibt, die der eigenen Empfindung nach zur eigenen Gruppe gehören und solchen, die zur Fremdgruppe gehören. Das führt unter anderem dazu, dass man Mitglieder der eigenen Gruppe heterogener wahrnimmt als Mitglieder der Fremdgruppe. Diese Unterteilung kann aufgrund unterschiedlicher Merkmale passieren: Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe, Parteimitgliedschaften, Affinitäten zu einem bestimmten Fußballverein, Beruf, Bildungsstatus, finanzielle Situation, Star Wars vs. Star Trek, die Ärzte vs. Die Toten Hosen. In der Praxis kann das zum Beispiel so aussehen, das ich als Schalke-Fan ein Fußballspiel besuche und sehe, wie ein anderer Schalke-Fan jemandem betrunken auf die Schuhe kotzt. Ich werde denken „Der ist aber besoffen, hat der sich nicht im Griff?“ und weil ich selbst Schalke-Fan bin, führe ich seine Trunkenheit nicht auf den Verein zurück, den er mag, sondern auf ihn als Person. Wenn ich aber einen BVB-Fan sehe, der jemandem betrunken auf die Füße kotzt, könnte ich denken „Der ist aber besoffen, haben sich diese BVB Fans nicht im Griff?“ In diesem Fall führe ich die Trunkenheit darauf zurück, dass er BVB-Fan ist und generalisiere, indem ich vom Verhalten eines Einzelnen auf eine ganze Gruppe schließe. Zwei Fußballspiele später erzähle ich immer noch davon, dass ich den BVB nicht mag, weil sich die Fans nicht benehmen können und sich immer so besaufen. Mir kommt das nicht wie eine unfaire Generalisierung vor, denn ich habe ja beobachtet, wie der BVB-Fan jemandem auf die Füße gekotzt hat. Das passiert einem bestimmt nicht immer, aber generell treffen wir solche Generalisierungen bei Fremdgruppen sehr viel einfacher und schneller.
Aber Fußballfans zu generalisieren ist nicht dasselbe wie Rassismus. Der Unterschied besteht zum einen darin, dass manche dieser oben aufgelisteten Eigenschaften gewählt sind (welchen Fußballverein ich mag, ob ich Star Trek lieber mag als Star Wars), manche unverschuldet sind (finanzieller Status, in großen Teilen der Bildungsstand) und manche angeboren (Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit). Der Unterschied ist auch, und das ist noch wichtiger, auf welcher Ebene diese Generalisierungen stattfinden. Wenn Fans eines Fußballvereins Vorurteile gegenüber einem anderen Verein haben, dann ist das vielleicht nicht schön, aber die Auswirkungen sind erstmal begrenzt. Rassismus zum Beispiel ist aber Diskriminierung, die auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet, nicht nur auf der persönlichen. Hier wirken sich diese Vorurteile und Generalisierungen in vielen unterschiedlichen Lebensbereichen negativ auf das Leben der Personen aus. Von Rassismus betroffene Personen sind gegenüber weißen Personen strukturell benachteiligt.
Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Geschichten (Bücher, Filme, Serie, etc.) und den Vorurteilen in unserer Gesellschaft. Rassismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert, wirkt sich auf unterschiedliche Lebensbereiche aus und wird uns von klein auf beigebracht. Wir sind alle davon betroffen und haben diese Vorurteile verinnerlicht, ob wir wollen oder nicht. Das zu entlernen ist harte Arbeit, aber wenn wir uns diese Arbeit nicht machen, laufen wir unwiderruflich in Gefahr, dass unsere verinnerlichten Rassismen in unsere Geschichten sickern und sich dort wiederfinden, besonders wenn wir nichtweiße Figuren schreiben. Gleichzeitig wirken sich Geschichten auf das Denken derjenigen aus, die sie konsumieren. Geschichten sind mächtige Werkzeuge, um Einstellungen zu verändern. Sie können dementsprechend also Vorurteile verstärken, sie können sie aber auch abbauen. Unsere Vorurteile wirken sich also auf unsere Geschichten aus, andersherum wirken sich unsere Geschichten aber auch auf unsere Vorurteile aus.
Wir hinterfragen Geschichten nicht auf dieselbe Weise wie logische Argumentationen. Bei Geschichten neigen wir vielmehr dazu, Dinge hinzunehmen, ohne sie zu hinterfragen. Das heißt nicht, dass Rassismus gar nicht vorkommen darf, weil wir ihn sonst ungefragt hinnehmen würden. Aber viele Geschichten geben uns einen Rahmen vor, in dem wir Dinge hinterfragen sollen, indem sie die Dinge selbst hinterfragen. Es macht einen Unterschied, ob ich Rassismus unhinterfragt reproduziere oder ob ich ihn durch meine Geschichte gezielt hinterfrage. Gleichzeitig besteht die Gefahr der Generalisierung bei Figuren, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören bzw. die Teil einer marginalisierten Gruppe sind viel eher.
Wenn ich aber einen Cast aus weißen Figuren habe und dann einen Antagonisten, der nicht weiß ist, dann ist das in den meisten Fällen ein unhinterfragtes Reproduzieren von Rassismus und kein kritisches Hinterfragen. Und gerade da wir hier schon eine existierende Ungleichheit haben, in der eine weiße Mehrheitsgesellschaft systematische und strukturelle Benachteiligungen für nichtweiße Personen schafft, sorgt eine absolute Gleichbehandlung, wie du sie forderst, nur dazu, dass bestehende Vorurteile und Ungleichbehandlungen verfestigt werden. Wenn wir schon von ungleichen Bedingungen ausgehen, schaffen wir durch Gleichbehandlung keine Gleichberechtigung. Wenn wir bestehende Ungleichheiten ignorieren, verfestigen wir sie noch. Ja, da
sollten keine Ungleichheiten sein, aber sie
sind trotzdem da und wegzusehen hilft definitiv nicht dabei, sie abzubauen.
Die Forderung, sensibler damit umzugehen, in welchem gesellschaftlichen Kontext unsere Geschichten existieren, soll Rassismus abbauen. Sie kommt nicht von weißen Menschen, sondern von nichtweißen Menschen, die direkt von den Auswirkungen betroffen sind. Wenn du sagst, dass das schon rassistisch ist bzw. Ungleichbehandlungen schafft, das anzusprechen, unterstellst du denen Rassismus, die direkt davon betroffen sind. Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr.
Es ist selbstverständlich, dass man als Autor all seine Charaktere mit der gleichen Sorgfalt darstellt.
Letztendlich ist nichts selbstverständlich genug, um nicht mehr erwähnenswert zu sein.
Eine eindeutig rassisitische Geschichte wäre doch gar nicht lesenswert.
Es gibt leider sehr viele Geschichten, die Rassismus, Homophobie, Sexismus oder Transfeindlichkeit so schamlos reproduzieren, dass sich mir die Fußnägel hochrollen. Und trotzdem haben sie gute Rezensionen und werden gerne gelesen.
Es muss aber - meiner Meinung nach - nicht dahingehend eskalieren, dass man sich selbst als Autor immer wieder selbst hinterfragen muss, wenn ein nicht-weißer Charakter mal nicht immer die Perfektion in Person oder auch mal der Böse ist.
Wenn wir Figuren schreiben, die marginalisierten Gruppen angehören, dann können wir uns entweder immer und immer wieder hinterfragen, oder wir werden früher oder später die Diskriminierung, die in unserer Gesellschaft vorherrscht, in unseren Geschichten reproduzieren.
Es geht auch nicht darum, dass nichtweiße Figuren perfekt sein müssen, das hat auch niemand gesagt. Es hat auch niemand gesagt, dass sie niemals Bösewichte sein dürfen. Es geht einfach nur darum, zu hinterfragen, welche Aussagen unsere Geschichten letztendlich beinhalten und welchen diskriminierenden Stereotypen wir in die Hände spielen.
Man muss auch nicht immer überall gleich Rassismus vermuten, das bringt uns eher auseinander als zusammen. Wenn man immer nur nach fehlgeleiteten Intentionen sucht oder diese interpretiert, erschafft das Grenzen, obwohl wir diese eigentlich abbauen und zusammen agieren sollten. Mensch ist Mensch, die Farbe ist doch uninteressant... (sollte zumindest so sein, finde ich)
Das ist, und ich sage das als weiße Person, eine sehr weiße Sichtweise. Ich muss ehrlich sagen, dass mir erst kürzlich klar geworden ist, wie sehr ich Rassismus unterschätzt habe. Obwohl ich mich informiere und weiterbilde. Ich teile diese Erfahrung einfach nicht und obwohl ich wusste, dass Rassismus real ist, dass er existiert, war mir nicht bewusst, wie allgegenwärtig er für nichtweiße Menschen ist und wie oft solche Dinge wirklich passieren.
Insofern: Wen bringt das mehr auseinander als zusammen? Geht es hier nur um eine weiße Sichtweise, die sich an eine Welt klammert, in der Rassismus Teil einer schändlichen Vergangenheit ist, und die nicht gestört werden will? Die deshalb gerne unterstellt, man würde ja übertreiben, man würde bewusst nach Rassismen suchen, man würde bewusst nach fehlgeleiteten Intentionen suchen? Oder sind wir nicht letztendlich schon tief gespalten und es fühlt sich nur an, als würde es uns auseinanderbringen, weil man sich nunmal bewegen muss, um Platz für wirklich
alle Menschen zu schaffen?