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[Buchwesen] Spezielles Wissen zur Druckerei

Begonnen von Annie, 05. Juli 2021, 18:47:11

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Annie

Hallo zusammen,

ist hier jemand, der sich mit der hohen Kunst des Druckens auskennt?
Ich möchte eine alte Druckerpresse wahrheitsgetreu beschreiben und wie diese benutzt wurde.

Liebe Grüße

Annie  :)

Wildfee

Ich war noch nie da (Schande über mein Haupt, dabei wohne ich in der Nähe), aber vielleicht helfen dir da die digitalen Angebote des Gutenbergmuseums Mainz:
https://www.mainz.de/microsite/gutenberg-museum/Museum/digitale_angebote.php

Annie

Wenn man auf den Link zum Online Katalog der Bibliothek klickt, steht da leider, dass alle Medien nur in Präsenz einzusehen sind  :(
An sich aber eine gute Idee  :jau:

Anderland

Vielleicht kann ich hier weiterhelfen (...oder Dir zumindest sagen, wo Du suchen kannst).
Um welche Art von Druck soll es sich denn handeln? Den klassischen Buchdruck oder eher ein Kunstdruck wie beispielsweise Linolschnitt?
Wenn Du etwas mehr Kontext geben könntest, kann ich Dir sicherlich einen Denkanstoß geben. Das ist genau mein Thema :)

Annie

Oh perfekt! Was machst du denn? :D
Also es handelt sich um ein Mittelalter-Fantasy Setting und es soll sich um den klassischen Buchdruck handelt. Mein Protagonist beschattet eine Druckerei, weil der Besitzer Dreck am stecken hat. Mein Protagonist erhofft sich so an Informationen über die den Schwarzmarkt zu kommen. Während er den Drucker also beobachtet bekommt er auch mit, wie die Maschinen funktionieren. Das ist wichtig, weil er sich nach erfolgloser Beschattung (ca eine Woche in der nichts passiert--> die Zeit läuft gegen ihn) dort einschleusen will. Ich suche also nach Informationen, wie die Druckerpressen in ihren verschiedenen Stadien aussahen und wie man sie bediente. Reicht das?  :)

Anderland

Klar, reicht!

Ich versuche Dir mal einige Denkanstöße zu geben, damit Du nach spezielleren Details besser suchen kannst.

Der Buchdruck nach Gutenberg ist nicht die erste Möglichkeit gewesen, Bücher zu vervielfältigen. Vorher gab es durchaus andere Möglichkeiten. Allerdings war es dazu notwendig, den gesamten Text einer Seite in Holz zu schnitzen und zu drucken. Gutenberg hat letztendlich die beweglichen Lettern erfunden, welche das Drucken "minderwertiger" Texte ebenso möglich machten, da man die Bleilettern beliebig oft verwenden kann. Sind allerdings leider auch krebserregend.

Das Setzen eines Textes nimmt meist hundert mal mehr Zeit in Anspruch, als das Drucken selbst. Setzwerkstätten bestehen aus großen, schrägen Pulten und unzähligen Schränken mit Schubladen. In jeder Schublade ist - sofern pfleglich damit umgegangen wird - ein Schriftschnitt. Beispielsweise eine Bodoni in Kursiv, schriftgröße 10. Du fummelst also alle Buchstaben aus der Box und auf deine Platte. Die Schwerkraft hilft Dir dabei. Allerdings brauchst Du trotzdem Abstandhalter (Gevierte, einfache Klötzchen und Plättchen) um eventuell kleinere und größere Buchstaben ausgleichen zu können. Am Ende muss alles richtig fest sitzen und es darf keine Zwischenräume geben. Als Laie habe ich einmal eine solche Seite erstellen müssen. Postkarte, Format A6 - Dauerte geschlagene 3 Stunden bis das Ergebnis halbwegs war. Eine Pinzette und eine gute Brille sind ebenfalls zu empfehlen.

Nun zum Druck selbst, der - sofern man nicht immer den gleichen Text drucken möchte - am wenigsten Zeit in Anspruch nimmt.

In unserem Fall wurde der Text flach auf einen sog. "Tisch" gelegt. Dieser Tisch ist mit Zahnrädern und einer Walze verbunden. Auf den Textblock wurde Farbe mithilfe eines großen, halbrunden Stempels aufgebracht - nennt man auch "Ballen" und war früher mal aus Hundeleder, heute Plastik oder Rindsleder. Danach wird das Papier aufgelegt und in unserem Fall ein Filz zum Schutz. Früher scheint es wohl so gewesen zu sein, dass man nun von Hand ein Gewicht von oben drauf gefahren/gelassen hat. In unserem fall lief das vorbereitete Werksstück samt Papier unter einer Walze durch. Die Walzen sind starr, der Tisch bewegt sich unter den Walzen durch. Bedient wurde diese Walze durch drehen an einem großen Rad mithilfe von Muskelkraft. Dauer circa 20 Sekunden. Dann hat man eine fertige Seite - oder einen sogenannten "Bogen" (Stichwort "Ausschießen Druckprodukt" kannst Du gern mal suchen). Die Walze muss ebenso genau eingestellt werden, wie die Lettern ordentlich gelegt sein müssen. Ist zu viel Druck auf der Walze, können die Lettern verrutschen. Ist zu wenig Druck auf der Walze, haftet die Schwärze nicht richtig und der Druck wird fleckig/Wolkig. Die Schwärze besteht übrigens - oder bestand früher - oft aus Leinöl und Ruß. Hat man oft selbst angemischt, eventuell auch interessant für Dich!

Wichtig ist, dass alles auf Spannung sitzt - jeder einzelne Buchstabe. Verrutscht etwas - und das passiert am Anfang eigentlich immer - muss man weitere Abstandshalter einsetzen, bis alles leicht auf Spannung ist. Zu viel Spannung ist aber auch nicht gut.

Bis eine Seite perfekt gelingt benötigt man mehrere Anläufe. Eine richtige Sisyphusarbeit.

Und wenn man dann letztendlich fertig ist, darf man jeden Buchstaben einzeln zurücksortieren, toll.

Der Vorteil am Buchdruck nach Gutenberg liegt allerdings ganz klar in der Fehlerquote. Verschrieben? Kein Problem. Tausch die Buchstaben aus. Beim Schnitzen in eine Holzplatte ist das bedeutend schwerer. Das Holzdruck-Verfahren ist auch eher für permanente Texte wie beispielsweise die Bibel geeignet. Eine Zeitung hätte man eher nicht täglich aus Holz geschnitzt.

Falls Du konkrete Fragen hast, stell sie gern. Ich helfe gern weiter, sofern ich kann. Ansonsten hilft es Dir vielleicht, mal nach Druckereien oder sogar Kunsthochschulen in Deiner Umgebung zu schauen. Genutzt wird diese Technik natürlich nichtmehr - viele Druckereien bieten aber Prägungen und haben das Meiste der für den Buchdruck benötigten Utensilien daher im Haus. Sehr beliebt bei Hochzeitseinladungen. Wenn man freundlich nachfragt, kriegt man sicherlich mal eine Führung. Die meisten Druckexperten sind totale Geeks auf ihrem Gebiet und freuen sich, etwas Drucker-Nerd-Wissen unter die Leute bringen zu können.

Volker

Vor der Walze gab es einfache Tische mit "Obstpresse", wo die Druckplatten 'draufgelegt wurden, und dann mit der "Obstpressen"-Spindel flach angedrückt wurden. Das macht das Auflegen/Abnehmen des Papiers oder der Platte zu einer fisseligen Arbeit, denn wenn man da verrutscht, dann hat man Geisterbuchstaben oder gar Schmierereien.

Mit Hochdruck (also da, wo die zu bedruckenden Teile hoch stehen, u.a. bewegliche Lettern) braucht man nicht so viel Druck oder so lange zu pressen. Mit Glück (oder Pech - beim Wegknicken oder Schiefauflegen des Papiers) reicht ein einfaches Auflegen und Andrücken mit Hand oder Ballen.

Bei Tiefdruck (Kupferstich u.ä,.) wo die Striche als Vertiefungen im Material sind, wird die Farbe aufgetragen und dann an der Oberfläche sauber(!) abgerakelt. Die ist dann nur noch in den Rillen der Striche oder Buchstaben. Dann braucht es mehr Druck und etwas mehr Zeit (in der Zeit der "Obstpressen"-Drucktische des Mittelalters - ist heute anders), weil das Material (Papier) ja die Farbe "hochsaugen" muss, anstatt nur abzustreifen. Dafür kann man über die Ritztiefe auch Schattierungen/Grautöne basteln.

Annie

Vielen Dank euch beiden @Anderland und @Volker! Das sind super Denkanstöße! :D

@Anderland  Ein paar Fragen haben sich tatsächlich eingeschlichen.
1. Was wurde alles mithilfe der Platten gedruckt abgesehen von einer Bibel? Wie du ja sagtest fielen Texte wie für eine Zeitung weg.
2. Wurden die Platten in der Druckerei selber hergestellt oder woanders? Die beweglichen Lettern wurden vor Ort eingestellt, nehme ich an.

3. Die Aspekte mit den krebserregenden Stoffen und dem enormen zeitlichen Aufwand ist für mich auch sehr interessant.
Ich schwanke allerdings noch etwas zwischen den älteren und der Gutenberg Methode. Es soll sich um eine Druckerei handeln, die mal gut lief, jetzt aber nicht mehr und sich nun mit illegalen Sachen (gefälschte Dokumente, die von einem Notar beglaubigt werden) über Wasser halten muss. Eventuell hält der Drucker störrisch an den alten Methoden fest, wodurch er halt nicht mehr konkurrenzfähig ist?  Auf der anderen Seite soll nicht auffallen, dass mein Protagonist eigentlich keine Ahnung davon hat a la "ich hab noch nach der alten Methoden gelernt", sprich die neue Methode gibt's da noch nicht so lange. Was macht da mehr Sinn? Mir fällt es schwer, die zwei Aspekte zu Verbinden :hmmm:

Lieben Dank nochmal  :vibes:

Anderland

Zitat1. Was wurde alles mithilfe der Platten gedruckt abgesehen von einer Bibel? Wie du ja sagtest fielen Texte wie für eine Zeitung weg.

Alles, was dauerhaft unverändert blieb. Bekanntmachungen und Ähnliches sind teilweise auch auf diese Art gedruckt worden, war aber kostspielig.
Da wenige Menschen lesen konnten, gab es aber eher keine Romane oder Gedichtbände, die so gedruckt wurden. Das wurde eher in den Schreibwerkstätten abgeschrieben.

Zitat2. Wurden die Platten in der Druckerei selber hergestellt oder woanders? Die beweglichen Lettern wurden vor Ort eingestellt, nehme ich an.

Meines Wissens nach wurde alles Vorort gemacht - sogar die spätere Herstellung der Bleilettern. Hohe Handwerkskunst und enorm Aufwändig zur damaligen Zeit! Dazu findet man gute Dokus bei Youtube.

Volker

Zitat@Anderland  Ein paar Fragen haben sich tatsächlich eingeschlichen.
1. Was wurde alles mithilfe der Platten gedruckt abgesehen von einer Bibel? Wie du ja sagtest fielen Texte wie für eine Zeitung weg.
Vor allem Bilder - und auch kombinierte Bild-Text Einseiter (u.a. die "Pestblätter")
Siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Holzschnitt#Einblattholzschnitt_und_frühe_Buchproduktion

Zitat@Anderland 
Es soll sich um eine Druckerei handeln, die mal gut lief, jetzt aber nicht mehr und sich nun mit illegalen Sachen (gefälschte Dokumente, die von einem Notar beglaubigt werden) über Wasser halten muss.
Beim Druck ging es eigentlich immer um "Massen"-Produktion. Dokumente sind ewig und 5 Tage per Hand geschrieben worden - und sei es per Schreibmaschine. Weil Dokumente eben meist nur Einzelstücke (oder bestenfalls einstellige Exemplate) sind, lohnt sich das explizite Drucken nicht. Ganzganzganzvielleicht für Urkunden. Aber auch die sind oft "handgemalt" oder sollen danach aussehen (gerade in den USA).

Holzschnitt wäre dann wohl passend, da die Gutenberg-Methode bei Bekanntmachungen und "Flugblättern" einfach schneller und billiger ist. Zwar kann man noch sein Brot mit Grafik-Drucken für Illustrationen verdienen - aber dafür muss man ein entsprechendes künstlerisches Händchen haben. Für die "einfache" Holzblock-Buchstabenschnitzerei wurde es dann eng.

Annie

Alles klar, danke euch beiden. Ich denke damit komme ich auf jeden Fall weiter  :winke: