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Gender-gerechte Bezeichnungen in Romanen

Begonnen von Lothen, 30. Januar 2019, 13:38:50

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Drachenfeder

Guten Morgen!
Ich bin aktuell bei meinem Skript an einem Punkt, an dem es wieder hakt, weil ich mir wieder Gedanken über das  :d'oh: Gendern mache. Ich hatte ja schon mal geschrieben, dass ich das alles etwas übertrieben finde und kein großer Fan davon bin und trotzdem möchte ich nichts falsch machen. Könnt ihr mir helfen?

Es handelt sich um ein Wesen (das weder männlich, noch weiblich ist. Also vielleicht doch, aber es weiß keiner, was wirklich dahinter steckt)
Mein ungefährer Satz:

ZitatEr lief weiter, doch sein Gefährte verharrte hinter ihm.

Habt ihr eine Idee oder könnt ihr mich aufklären?
Zu schreiben: sein Gefährte, seine Gefährtin oder auch mit Sternchen ... das ist doch so doof und unschön zu lesen.

LG Drachenfeder



caity

Was folgt denn auf diesen Satz? Tut das Wesen irgendetwas? Wenn du danach ein "es" setzt, fände ich das hier nicht so schlimm. Ich habe mal nach Synonymen gesucht und mir viele sonst noch "sein Begleitendes" ein, das finde ich aber auch nicht so schön...
Wenn ein Autor behauptet, sein Leserkreis habe sich verdoppelt, liegt der Verdacht nahe, daß der Mann geheiratet hat. - William Beaverbrook (1879-1964)

Rosentinte

Was ist denn mit "seine Begleitung"? Ist für mich inhaltlich neutral, auch wenn es grammatikalisch männlich ist.
El alma que anda en amor ni cansa ni se cansa.
Eine Seele, in der die Liebe wohnt, ermüdet nie und nimmer. (Übersetzung aus Taizé)

Yamuri

Ich habe selbst in meinem Manuskript ein Wesen, das tatsächlich ein Zwitter ist. Ich habe es so gehandhabt, dass einfach öfters im Text erwähnt wird, was es ist, ich aber die Entscheidung getroffen habe es beim Namen zu nennen: es ist eine Pflanzenratte und weil die Pflanzenratte grammatikalisch korrekt wäre, schreibe ich sie, obwohl einer der Charas der Ratte einen männlichen Namen verpasst hat und mein Prota schon drauf hingewiesen hat, dass es sich um ein Zwitterwesen handelt. In einem andren Projekt habe ich ein Wesen, das weder noch ist. Weil es feminin wirkt, verwende ich auch hier das weibliche Pronomen, obwohl es genau genommen kein Geschlecht hat. Wenn das Wesen bei dir ein Begleiter von jemandem ist -> könntest du dem Wesen aber auch einfach einen Namen geben, oder? Dann kannst du anstatt von Gefährte, Gefährtin auch einfach den Namen des Wesens hinschreiben. So habe ich es bei der Pflanzenratte auch gemacht. Entweder ich habe direkt den Namen benutzt und geschrieben "Shinwei folgte ihm..." oder eben "Die Pflanzenratte war ...."
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Minna

Kommt es nicht eigentlich darauf an, welche Ansicht dein Perspektivträger zu der Frage hat?
Was wäre für ihn normal? Nach dem Aussehen oder Namen zu gehen und ein Geschlecht festzulegen, wie Yamuri? Oder das Wesen als es zu bezeichnen? Oder ist es in deiner Welt/ für deinen Prota normal, dass es Wesen ohne festgelegtes Geschlecht und die dazugehörige geschlechtsneutrale Grammatik gibt? Dann könnte man eventuell auf xier zurückgreifen.

Drachenfeder

Es geht um eine Qualle.
Jedoch fällt das Wort "Qualle" schon recht häufig und ich musste auf die Wortwiederholungen achten. Diese Qualle führt aktuell meinen Prota, doch bleibt jetzt "stehen".
In den nächsten Sätzen wird die Qualle erstmal nicht erwähnt @caity



Gizmo

#96
Hat das Volk / die Spezies, zu der deine Qualle gehört, vielleicht eine alternative Bezeichnung? Zum Beispiel: Quallen gehören zu den Nesseltieren. Eine alternative Bezeichnung in deinem Text könnte "Nesselwesen" sein.

Für die konkrete Stelle, die du genannt hast, halte ich allerdings Minnas Frage für entscheiden:
ZitatKommt es nicht eigentlich darauf an, welche Ansicht dein Perspektivträger zu der Frage hat?

Denn du hast geschrieben:
ZitatEs handelt sich um ein Wesen (das weder männlich, noch weiblich ist. Also vielleicht doch, aber es weiß keiner, was wirklich dahinter steckt)
Wenn der Perspektivträger denkt, das Wesen sei z.B. männlich, würde er es meiner Meinung nach auch so bezeichnen.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Fianna

#97
Mit einem Bekannten diskutiere ich gerade das Problem des generischen Maskulinums in einem SF-Setting.

Empfindet ihr englische Begriffe (Commander, Officer usw) in einem zukünftigen Setting als genderfrei?

Ist es überhaupt heute ein genderfreier Begriff oder vielmehr das englische generische Maskulinum (weswegen ihr es auch in einem SF-Setting als generisches Maskulinum, nur eben auf Englisch, seht?)

Alana

Im Englischen gibt es ja genaugenommen kein generisches Maskulin und es wurden für diese Anreden auch im Deutschen keine weiblichen Entsprechungen geschaffen, jedenfalls nicht, dass ich wüsste. (Nicht so wie bei meinem Schwager, der Systemverwalter ist und jetzt an die User*innen schreiben soll, aber bei dem Wort bietet sich das gendern auch eher an). Ich persönlich würde da die Möglichkeit nutzen, das Englische als neutral zu nutzen und es nicht gendern. Eine wichtige Überlegung ist allerdings in diesem Kontext die Anrede mit Sir oder Madam. Heutzutage lassen sich sehr viele weibliche Generäle etc. mit Sir anreden, weil sie Madam als abwertend empfinden und Sir auch als Sprachanhängsel im militärischen Bereich vollkommen internalisiert ist und automatisch Respekt erzeugt. Hier könnte man überlegen, ob man damit arbeitet, um Unterschiede zu betonen, vielleicht auch etwas Neues erfindet, vielleicht direkt mit dem Hinweis, dass Sir und Madam abgeschafft wurden, weil sie eben nicht korrekt bzw. passend einsetzbar waren. So könnte man das Thema direkt ansprechen.
Alhambrana

Shedzyala

Ich empfinde die englischen Wörter bis genau zu dem Punkt als neutral, an dem sie ins Deutsche übertrage werden. "Sie ist der Commander" ist nicht neutral, sondern maskulin, denn es müsste "die Commander" heißen. Das hört sich dann aber für viele falsch an.

Das hat aber imo weniger mit der Sprache, und mehr mit unserer Erwartung zu tun. In meinem SF-Roman gibt es ausgedachte Titel, und ich weiß, dass einige darüber gestolpert sind, dass diese tatsächlich komplett neutral verwendet werden. Bei "er ist der Ktador" gab es keine Einwände, "sie ist die Ktador" klang aber für einige falsch.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Fianna

#100
@Shedzyala
Das finde ich überraschend, denn als zukünftiges Setting und mit einer ganz anderen Kultur sollte man doch als Leser nicht seine eigenen Weltbilder darauf legen...

@Alana
Danke für die Erläuterung. Ich wurde von anderer Seite nun auch darauf hingewiesen, dass Begriffe wie "actress" nicht mehr zeitgemäß sind und viele Schauspielerinnen als "actor" bezeichnet werden oder sich sogar selbst so nennen.
Also werde ich in SF-Settings zukünftig auf jeden Fall diese Begriffe als genderneutral nehmen (sicherheitshalber muss als erstes eine Frau oder ein diverser Mensch auftreten, um das Konzept des neutralen Begriffes beim Leser zu verankern).
Wurden bei Star Trek die Frauen nicht auch bloß als "Officer" bezeichnet, oder waren sie "female Officer"?  :hmmm:


Problematisch ist bei meinem Beispiel wohl, das es ein Begriff der Feudalherrschaft ist, wo es nunmal männliche und weibliche Formen gibt. Mit denen verbindet man als Leser häufig, dass der männliche Part die Herrschaftsgewalt inne hat.
Die männliche Form habe ich in meinem Zukunftssetting als genderneutrale Bezeichnung des Herrschers deklariert und konsequent bei einer Frau angewandt - ich finde es interessant, was das bei den Lesern auslöst. Dass man Hierarchieren und Geschlechterzuweisungen hinterfragt. (Wieso sollte es in der Zukunft Raumschiffe mit Frauen im Dienstpersonal geben, aber alles andere ist genauso wie heute?)
Allerdings habe ich nur etwa 20.000 Zeichen zur Verfügung (Kurzgeschichte) und der Hauptkonflikt ist ein anderer, ich könnte verstehen, wenn das Lektorat solche komplizerteren Weltentwürfe vermeiden will und eindeutiger weibliche bzw genderneutrale Begriffe möchte...

Leider ist mir kein wirklich genderneutraler englischer Ersatzbegriff für "Fürst" eingefallen, nur "Sovereign", und das klingt sehr pompös und liest sich als generelle Anrede recht sperrig.

Da die Person einen französischen oder italienischen Hintergrund hat, könnte ich zur Not auch auf einen solchen Begriff ausweichen, aber diese Sprachen sind bei den feudalen Bezeichnungen bestimmt genauso binär.


EDIT
"Sovereign" klingt auch nach dem absoluten Herrscher, mein genderneutraler Feudaltitel muss kleiner sein.

Alana

#101
@Fianna Ja, das mit dem Actor ist mir auch schon untergekommen und ich bezeichne mich ja auch gern als Autor und nicht als Autorin, einfach, um die Leute ein bisschen gegen den Strich zu bürsten, weil viele zu denken scheinen, dass man als Frau auch die weibliche Bezeichnung verpflichtend für sich nutzen muss, während ich die weiblichen Begriffe irgendwie als Anhängsel der männlichen Form empfinde.

Ich habe gerade Star Trek TNG geschaut, da ist mir "female Officer" nicht untergekommen, sondern ich habe es als neutral wahrgenommen. Star Trek war bei sowas seiner Zeit ja auch eher voraus. Allerdings muss die Tatsache, dass es mir nicht aufgefallen ist, nicht heißen, dass es nicht existiert.

ZitatProblematisch ist bei meinem Beispiel wohl, das es ein Begriff der Feudalherrschaft ist, wo es nunmal männliche und weibliche Formen gibt. Mit denen verbindet man als Leser häufig, dass der männliche Part die Herrschaftsgewalt inne hat.

Die Frage ist halt: willst du das thematisieren oder gerade nicht. Wenn du es thematisieren willst, dann könntest du die Bezeichnungen so lassen und vielleicht sogar eine Bewegung in deinen Roman einbauen, die das ändern möchte. Das wäre auch spannend. Wenn das nicht passieren soll, wird es schwierig, dann bieten sich wohl wirklich am ehesten neue Begriffe an.

Für Fürst könntest du vielleicht einfach (Königliche) Hoheit oder Majestät nehmen? Die wären ja Unisex. Oder passt das nicht? Exzellenz ginge auch noch.
Alhambrana

Fianna

"Exzellenz" ist super! Ich war so auf englische Titel fixiert, aber ich schreibe doch deutsch. Wenn ich die Feudaltitel in der deutschen Sprache finde, ist das genauso gu!

Ich schaue mich mal bei deutschen Wörtern um, denn ich brauche für diese Figur langfristig zwei (jetzt einen Fürstentitel, später einen Diplomatentitel).
"Exzellenz" könnte ich mir besser bei der Diplomatenkarriere vorstellen.

Du hast mich ein großes Stück weiter gebracht, vielen vielen Dank dafür!

Coppelia

Exzellenz ist in der Tat ein grammatisch dreifältiger Begriff. Einendige Adjektive und das Partizip Präsens Aktiv umfassen Maskulinum, Femininum und Neutrum. *Lateinmodus Ende* :D

Anj

Ich bin nicht sicher, ob das hier jetzt 100% passend ist, aber inhaltlich passt es gerade. Ich habe genau zu dem Thema englische Begriffe im deutschen zu gendern eine höchst interessante Erfahrung gemacht.

1. grundsätzlich neige ich dazu es bei Worten ohne erkennbare Endungen so zu halten, dass ich den entsprechenden Artikel wähle. Der/ die Coach beispielsweise. Da weigere ich mih vehement dem Duden mit seinem bescheuerten "Coachin" zu folgen. Einfach weil ich finde, es hört sich fürchterlich an und 2. weil ich der Meinung bin, dass der artikel es deutlich macht, ohne durch das veränderte Wort eine Unterscheidung herbeizuführen. Da wo ich durch meine Lateinkenntnisse automatisch ein Genderbild im Kopf habe, ist das schwieriger.

2. (und das war die interessante Erfahrung) haben wir im Institut nun die neue Funktion des Host (der eben die Meetings mit dem eigenen Account hostet). Nun hat mich ein Kollege, der extrem darauf achtet diversität in der Sprache zu repräsentieren, mich in einer Sms als "Hostin" bezeichnet. Und das ist mir sehr sauer aufgestoßen, was mich zum nachdenken gebracht hat. Denn ich habe unmittelbar und unreflektiert gedacht:" Na, toll, wieso muss man nun auch hierbei darauf hinweisen, dass ich eine Frau bin - und damit ja ganz offenbar nicht so gut wie ein Mann, sonst müsste man ja nicht daraufhinweisen.
Ich weiß zu 100%, dass der Kollege es anders gemeint hat, trotzdem habe ich mich dadurch extrem abgewertet gefühlt.
Und außerdem: wieso wird automatisch angenommen, dass für einen weiblichen accountinhaber eine neue Kreation geschaffen werden muss? Wir sprechen über eine (technische) Funktion (die in unserem Kontext ohnehin von mehr Frauen übernommen wird, diese also überproportional in der Funktion vorhanden sind und deswegen eigentlich eine größere Repräsentation bräuchten) und ist es da nicht vollkommen egal, ob der Host nun durch einen Mann oder eine Frau ausgefüllt wird? Zugegeben, ich habe ihn noch nicht gefragt, ob er sich selbst dann auch immer als "Hoster" bezeichnet, aber ich behaupte, dass er das nicht tut.

Daraus entstand folgender Gedankengang:
Wenn wir nun das grammatikalischer Geschlecht als Entscheidung für Repräsentation durch geschlechtsspezifische Veränderungen des ursprünglichen Wortes annehmen, wieso werden Männer dann trotzdem als "die/eine Führungskraft" bezeichnet? Und bedeutet eine ständige explizite weibliche Form nicht eine Weiterführung einer diskriminierenden Grundannahme, nämlich der, dass immer noch die Frauen explizit benannt werden müssen, während die Männer die Norm (und damit das, was in den meisten Fällen angestrebt und als besser empfunden wird) bedeuten.
Der Gedankengang ist noch roh und arbeitet mit generalisierungen und beinhaltet mit dem Teil der Norm einen weiteren problematischen und hier vereinfachten Effekt, aber es hat mich sehr zum Nachdenken gebracht.
Was würde passieren, wenn wir anfangen würden, englische/neutrale Begriffe als solche zu erhalten und mindestens 3 (besser mehr, weil es ja nun mal auch mehr Geschlechtsidentitäten gibt) neue geschlechtsspezifische Varianten entwickeln.

Als den Coach als neutralen Begriff, die Coachin und den Coacher und sowas wie Coachier oder so.   ?
Oder zumindest mal bewusst die Männer durch neue Kreationen zu repräsentieren und ihnen die Rolle der aus der Normfallenden zuschreiben.

Zum Thema das ganze im Roman umzusetzen:
Allein durch mein Erlebnis wäre ich sehr dafür, die Variante zu nutzen über die ein Leser am meisten stolpert. Die zum Nachdenken bringt oder wenigstens für Irritation und ein Aufmerken sorgt. Ggf. mit einer Erläuterung oder so. Sollte daran der Vertrag am Ende hängen, kann man es immer noch wieder ändern, wenn man will.

Die Frage ist halt: Welche Zielsetzung hat meine Wahl? Was will ich erreichen? Wenn ich das ehrlich betrachte, dürfte
die Art der Umsetzung eigentlich schnell klar sein.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.