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Multiperspektive?

Begonnen von Halblingschruut, 08. März 2020, 10:38:46

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Halblingschruut

ZitatZunächst kann man Multiperspektivität oder multiperspektivisches Erzählen ,,als eine Form der narrativen Vermittlung [definieren], bei der ein und derselbe Sachverhalt aus zwei oder mehreren Sichtweisen [beziehungsweise] individuellen Standpunkten unterschiedlich dargestellt wird"[2]. So kann es sich hierbei um die Beschreibung eines Geschehens, einer Epoche, einer Figur oder eines Themas aus unterschiedlichen Blickwinkeln handeln[3]

Das ist eine der Definitionen, die ich im Internet zu diesem Thema gefunden habe.
Mich würde interessieren, ob ihr mit dieser Art der Perspektive etwas anfangen könnt oder sie sogar selber benutzt?

In meinem aktuellen Projekt (Fantasy), schreibe ich aus der Sicht meiner zwei Protagonisten, die am Anfang gar nichts miteinander zu tun haben, sich deren Schicksal aber immer mehr miteinander verbindet.
Sie treffen sich eher aus "Zufall" und haben alles andere als einen guten Start, dennoch spielen sie ab da immer eine kleine Rolle in der Welt des Anderen, was der Leser durch etwaige Gedanken, Träume etc auch erfährt.

Eine bekannte Buchreihe für dieses Beispiel finde ich die "Save me/you/us" Bücher von Mona Kasten.
Im ersten Buch sind es noch 2 Perspektiven, die in der "Ich-Perspektive" geschrieben sind, im dritten Buch wechseln sich dann schon 5 miteinander ab.

In meinen zwei Perspektiven habe ich jeweils den personalen Erzähler verwendet, einfach weil ich nicht mehr so gern den Ich-Erzähler verwende.

Wie steht ihr zu diesem Thema? Habt ihr Tipps oder Anregungen? Findet ihr diese Art des Schreibens vielleicht sogar ganz schrecklich?

Bin gespannt!  :buch:
Den Tod als Gewissheit,
geringe Aussicht auf Erfolg.
Worauf warten wir noch?
~ Gimli, Glóins Sohn

Elona

Ich bin verwirrt. Mehrere Perspektiven in einem Buch ist ja überhaupt kein Thema und unter Multiperspektivität hätte ich mit der Definition verstanden, dass ein und der gleiche Sachverhalt in diesen dargestellt wird. Beispiel: Person A erschießt Person B. C und D beobachten das und aus beiden Sichten wir das dann erzählt. Dafür gilt, wie bei so ziemlich allem beim Schreiben, kann funktionieren, muss aber nicht. Ich habe das bei kleinere Szenen schon gemacht und bisher immer die Rückmeldung bekommen, dass es nicht störend war, sondernd im Gegenteil. Aber auch das ist natürlich eine Frage des Geschmackes und es sollte einen Grund haben, warum du dieses - äh - Werkzeug anwendest bzw. der Geschichte einen Mehrwert geben.  ;)

Araluen

#2
Ich kenne die Multiperspektive (wenn es da denn tatsächlich eine ist) aus Peter V. Bretts Dämonensaga. Allerdings wird sie hier auf mehrere Bände aufgeteilt. So wird Band 2 großteils aus Perspektive der Figur A erzählt. Dabei geht es um seine Lebensgeschichte, bis sie sich mit den Ereignissen aus Band 1 kreuzt und dann weitergeführt wird. Im darauffolgenden Band verfolgt man die Geschichte der Figur B, die bereits in der Geschichte von A eine große Rolle spielt (sie sind verheiratet). Ab einem bestimmten Punkt erlebt man die Geschichte aus Band 2 im Grunde noch einmal, nur eben aus der Perspektive von B (und mit Handlungssträngen die allein B betreffen und von denen A keine Ahnung haben konnte). Das führt auch dazu, dass man seine eigene Sympathie für B noch einmal überdenkt, da man nun ihr Handeln, das man in Band 2 nur aus zweiter Hand erfährt, nachvollziehen kann.
Diese Art der Multiperspektive hat für mich gut funktioniert. Ich fand es recht spannend, zumal die Begebenheiten nicht zweimal erzählt wurden, sondern jede Perspektive ihren eigenen Handlungsverlauf und Motive hatte - nur die Kernereignisse (zum Beispiel das erste Treffen zwischen A und B oder die spätere Hochzeit) waren die gleichen.
Eine Szene erst aus der einen und dann direkt aus der anderen Perspektive zu erzählen, wäre mir als Leser zu viel Wiederholung. Es ändert sich ja nichts an der Szene an sich, nur wie sie vom Perspektivträger gewertet wird. An der Stelle bin ich dann eher Handlungsfokussiert und bleibe lieber bei einer Perspektive.

Zwei oder auch mehr Perspektiven mit unterschiedlichen Handlungssträngen zu haben, die sich immer wieder kreuzen, sind für mich völlig in Ordnung.

Und wie @Elona schon so treffend sagte: Man sollte in jedem Fall wissen, warum und wie man dieses Werkzeug einsetzt.

Churke

Die Schule der Multiperspektive ist Propaganda. Da werden aus der gleichen Handlung entgegengesetzte Geschichten gestrickt. Meist es aber sinnvoller, Szenen nicht doppelte zu erzählen, sondern sie die Gegenfigur reflektieren zu lassen.


Fianna

Ich verstehe diese Multiperspektive nach der im Eingangsbeitrag zitierten Definitiom so, dass exakt derselbe (kurze) Zeitraum von mehreren Perspektiven beschrieben wird.
Z.b. der Abend vor der Schlacht, die Thronbesteigung  o.Ä.

Das mache ich relativ selten.
In der Regel erleben meine Perspektivträger unterschiedliche Ereignisse, abgesehen von Schlüsselelementen (A besteigt den Thron, B will A währenddessen meucheln, schafft es nicht, und A bekommt nix davon mit - dieselbe Zeitspanne aus verschiedenen Perspektiven).

Und falls das nicht gemeint war, bin ich nicht sicher, ob ich die Frage verstanden habe. Verschiedene Perspektivträger scheinen mir die Regel statt die Ausnahme zu sein, im historischen Roman etwas seltener, aber auch dort kommt es oft vor.

Halblingschruut

Zitat von: Araluen am 08. März 2020, 12:04:57
Diese Art der Multiperspektive hat für mich gut funktioniert. Ich fand es recht spannend, zumal die Begebenheiten nicht zweimal erzählt wurden, sondern jede Perspektive ihren eigenen Handlungsverlauf und Motive hatte - nur die Kernereignisse (zum Beispiel das erste Treffen zwischen A und B oder die spätere Hochzeit) waren die gleichen.
Eine Szene erst aus der einen und dann direkt aus der anderen Perspektive zu erzählen, wäre mir als Leser zu viel Wiederholung. Es ändert sich ja nichts an der Szene an sich, nur wie sie vom Perspektivträger gewertet wird. An der Stelle bin ich dann eher Handlungsfokussiert und bleibe lieber bei einer Perspektive.

Zwei oder auch mehr Perspektiven mit unterschiedlichen Handlungssträngen zu haben, die sich immer wieder kreuzen, sind für mich völlig in Ordnung.

Ja genau, an einigen Stellen musste ich bei mir auch nochmal umschreiben, weil ich das wiederholt hatte, was der Leser eigentlich durch die vorige Szene schon wusste.
Momentan haben beide noch komplett unterschiedliche Pläne und Aufgaben vor sich, irgendwann müssen sie sich aber zusammenschliessen und ab da bin ich mir dann nicht mehr so sicher, wie ich das schreiben soll..
Ich kann ja schlecht stur mit 2 Perspektiven anfangen um nachher, wenn sie beide das gleiche erleben, nur noch mit einer weitermachen? Das wäre dann ja irgenwie komisch  :hmmm:

Zitat von: Churke am 08. März 2020, 12:38:43
Die Schule der Multiperspektive ist Propaganda. Da werden aus der gleichen Handlung entgegengesetzte Geschichten gestrickt. Meist es aber sinnvoller, Szenen nicht doppelte zu erzählen, sondern sie die Gegenfigur reflektieren zu lassen.

Also meinst du damit, dass Person A etwas macht, Person B zuschaut/ davon weiss und danach über die Tat von Person A urteilt/ nachdenkt?


Zitat von: Fianna am 08. März 2020, 12:47:05
Ich verstehe diese Multiperspektive nach der im Eingangsbeitrag zitierten Definitiom so, dass exakt derselbe (kurze) Zeitraum von mehreren Perspektiven beschrieben wird.
Z.b. der Abend vor der Schlacht, die Thronbesteigung  o.Ä.

Das mache ich relativ selten.

Ja genau. Da dachte ich zuerst dran, als ich mit meinem Plot anfing. Habe die Idee aber schnell wieder verworfen, weil ich mir nicht wirklich etwas drunter vorstellen konnte. Darum interessiert es mich, ob andere diese Methode vielleicht öfters anwenden.
Oder ob man sie zwischendurch miteinbauen kann, ohne dass es sich dann stockend liest? :hmmm:
Den Tod als Gewissheit,
geringe Aussicht auf Erfolg.
Worauf warten wir noch?
~ Gimli, Glóins Sohn

Fianna

#6
Das wende ich sehr sehr sparsam ein, z.b. um Suspense aufzubauen. Ich bevorzuge Riddle-Plots, also habe ich häufig Verschwörungen, Geheimnisse usw.

Aber in der Regel versuche ich, neben Suspense noch weitere Gründe zu finden (Informationen, die nur in der zweiten Perspektive gegeben werden können) und generell versuche ich es zu vermeiden und aufeinander folgzende Augenblicke für die Perspektivträger zu finden.

Ich bin da grundsätzlich nicht abgeneigt -  versuche es aber zu vermeiden, wann immer es geht, denn ich lege viel Wert auf Symmetrie im Plot (z.b. 3 Kapitel Prota, 1 Kapitel Anta, 3 Kapitel Prota, 1 Kapitel Anta usw) und bevor ich dieses Stilmittel für exakt denselben Zeitraum nur einmal verwende (oder sehr viel / alle paar Kapitel), nutze ich es lieber gar nicht.

Nur wenn es sich auf keinen Fall anders im Plot lösen ließe.

Jen

Mehrere Blickwinkel können durchaus spannend sein, siehe Filmtrailer zu "8 Blickwinkel" und dem jüngst erschienen Kinofilm "Knives Out".
Das hat meines Erachtens rein gar nichts mit "Propaganda" zu tun. Überhaupt nichts.
Guilty feet have got no rhythm.

Fianna

Das sind ja Thriller/Krimis, ich hatte die Frage jetzt eher auf Phantastik bezogen...  :hmmm: 

Für Thriller würde ich meine Antwort ändern.

Jen

Für Fantasy ist das natürlich schwieriger, aber nicht unmöglich. Es muss halt ein Verbrechen oder ein ähnliches Geheimnis geben, das so komplex ist, dass mehrere Perspektiven möglich sind. Ich habe das im dystopischen Kontext schon getan, da aber bislang mit maximal zwei Perspektiven (quasi "von innen und außen").
Guilty feet have got no rhythm.

Nikki

Ich verwende Multiperspektive, allerdings anders als die vorangestellte Definition vermuten lässt. In meinem Monsterkomplex (> 20 "wichtige" Figuren) schreibe ich in personaler Multiperspektive und zwar nach Reißverschlussprinzip. Das kann heißen, dass Person A Perspektiventrägerin am Anfang der Szene ist, am Ende der Szene aber Person B Perspektiventräger ist. Oder wenn die Szene umfangreich und komplex in Handlung und Konflikt ist, dass Person A zwar zu 90% der Szene Perspektiventrägerin ist, die restlichen 10% aus der Sicht einer anderen oder mehreren Personen erzählt werden.

Wann wechsle ich die Perspektive? Wenn eine neue Perspektive die Szene aufwertet, indem sie neue Informationen beisteuert und den Konflikt, der die Szene dominiert, in ein neues Licht stellt. Ein Beispiel: Es kommt zu einem Verbrechen/Unrecht, das Person A sühnen will und Person C wegen unterlassener Hilfeleistung in der Verantwortung sieht, aus der Perspektive von C erfährt man allerdings, dass mehr dahintersteckt, als Person A wahrhaben möchte und die Frage nach der Schuld nicht so leicht zu beantworten ist.
Oder wenn die ursprüngliche Erzählfigur sich im Moment nicht zum Erzählen eignet. Ein Beispiel: Es gab einen Überfall, der Person A unter Schock stehen lässt, nun führt Person B weiter durchs Geschehen, weil die, ihrem Charakter entsprechend, abgeklärter ist.
Hin und wieder verfahre ich auch nach dem Ping-Pong-Prinzip, wenn zwei (oder mehr Figuren) sich in ihrer Perspektive abwechseln. Dieses Vorgehen eignet sich aber meiner Meinung nach nur, wenn a) die Personen ausgeprägte Charaktere haben und klar voneinander unterscheidbar sind und b) sie zu demselben Konflikt vollkommen unterschiedlich eingestellt sind.

Multiperspektive bei ein und demselben Sachverhalt stelle ich mir mühselig vor (vielleicht ist aber auch nur derselbe Konflikt bzw. in derselben Szene gemeint?), v.a. wenn man jedes Mal alles wieder von Neuem aufrollt. Kapitelweise neue Perspektiven einzuführen, gefällt mir nicht unbedingt, weil da die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch ist, dass bereits Erzähltes wiedergekäut wird und man da wirklich die einzelnen Ereignisse auf die Goldwaage legen muss, ob sie es auch wert sind, nochmal erzählt zu werden.

Jen

Verstehe ich das richtig, dass du im Laufe eines Kapitels bewusst die Perspektive wechselst? Finden das Leser nicht total anstrengend, also ... ich hab das früher versehentlich gemacht und habe dafür immer schlechtes Feedback bekommen, vor allem von AutorInnen. Jetzt ärgere ich mich schon, dass in einem neuen Projekt Folgendes passiert: Die Perspektivträgerin des Kapitels verschwindet am Ende des Kapitels komplett, heißt sie verlässt nicht nur den Raum, sondern verschwindet komplett aus der "Welt". Ich schreibe aber noch die Reaktion der Person auf, die mit meiner Perspektivträgerin am Tisch saß. Auch wenn das nur wenige Sätze sind, stört mich diese Stelle wahnsinnig. Gar keine Reaktion zu zeigen, ist aber komisch. (Es sei denn, ich schiebe die Reaktion in das Kapitel, in dem die Tisch-Person die Perspektive hat ... hmmm).
Ich habe auf jeden Fall im Kopf, dass plötzliche Perspektivwechsel ein No-Go sind. Oder machst du dann immer Absätze dazwischen? Und wie oft?
Guilty feet have got no rhythm.

Nikki

#12
Es ist ungewohnt und wahrscheinlich auch ungewöhnlich, da gebe ich dir Recht. Ob es der Mehrheit gefällt, weiß ich erst, wenn ich es im Herbst veröffentliche. Das bisherige Feedback war dann negativ(er), wenn die Personen nicht gut auseinander haltbar waren und es zu Verwirrung kommt, wer denn nun was sagt. Mir wurden eher auktoriale Einschübe angekreidet als Perspektivenwechsel, wo mir mein eigenes Gefühl auch sagt, dass auktoriale Sätze raus müssen.

Ich denke, es kommt auf die Mischung an und ob sich die Geschichte dafür eignet. Wenn im gesamten Roman 99% nur eine Perspektive da ist und dann plötzlich eine neue auftaucht, weil es einfach nicht anders geht, dann würde es mich stören - außer mir wird eine stichhaltige Begründung angeboten. Ich habe sehr viele Erzählstränge, die genügend Input für unterschiedliche Perspektiven beinhalten. Je komplexer die Handlung, je größer das Personal ist, desto eher halte ich Multiperspektive auf diese Weise passend, weil einfach mehr Leute Unterschiedliches zu denken, zu sagen und zu tun haben.

In einem Satz selbst würde ich nie die Perspektive wechseln, das ist einfach nur verwirrend. Ein Satz = ein Gedanke eines*r Perspektiventräger*in. Ein Absatz, wenn er lang genug ist, kann bei Person A anfangen und mit Person B aufhören. Aber auch nur wenn die Perspektive Person B länger anhält als nur wenige Sätze. Generell trenne ich mittels Absätzen (keine Leerzeilen dazwischen), einfach weil ein Absatz in der Regel auch für eine kurze Abfolge von Gedanken, Handlung etc. innerhalb einer Miniargumentation steht.

In einer ruhigeren Szene, wenn eher resümmiert wird, was in der actiongeladeneren passiert ist, habe ich meistens nur eine Perspektive, weil die dann auch eher das Mindset hat, das Verhalten von anderen zu registrieren, zu reflektieren und darauf zu reagieren.

In einer actiongeladenen Szene kann ich schon mal viel mehr Perspektiven haben [ich krame in meinem Manuskript]: Bei 13 Figuren mit Dialog habe ich in einer Szene (= 1 zugrundeliegender Konflikt, meistens auch an einem Ort) an die 7 Perspektiven drinnen, wovon einige mehr Raum einnehmen als andere. Diese 7 Perspektiven sind durch mindestens ein "einzigartiges" Element in der Szene geprägt, sodass sie sich (abgesehen von den individuellen Persönlichkeiten der Erzähler*innen) auseinanderhalten, in dem Fall wären das Skepsis, Hybris, Beschützerinstinkt, Interesse, der Wille, zu glauben, Angst und Überforderung (das Fantasy-Element tritt zum ersten Mal offensichtlich in Erscheinung für die menschlichen Protagonist*innen). Das sind jeweils die vorherrschenden Motive der einzelnen Perspektiven, denen "Miniplots" unterliegen, um die restlichen Figuren miteinzuflechten. Diese Szene dauert ca. 10-15 NS (je nachdem, ob man die "Einführung" dazu zählt oder nicht).

Wichtig finde ich: Die Perspektiven müssen verlässlich und unterscheidbar sein (was sie für gewöhnlich sind, wenn sie verlässlich sind). Verlässlich heißt, ich als Autor*in kenne meine Figuren in- und auswendig und habe sie auch so gut ausgearbeitet, dass Leser*innen nur einen Satz lesen brauchen und genau wissen, aus wessen Perspektive der stammt. Wenn zwei Perspektiven genau dasselbe sagen, denken und auf dieselbe Weise reagieren, kommt man locker mit einer Perspektive aus. Wie gesagt, es kommt auf den Mehrwert an, den die Szene durch jede weitere Perspektive erhält.

In deinem Beispiel würde ich entweder die Perspektive der anderen Figur ausbauen, sodass diese nicht erst dann zu "sprechen" beginnt, wenn es offensichtlich ist, dass du sie nur jetzt zu Wort kommen lässt, um die Abwesenheit der Protagonistin zu kommentieren, oder sie streichen.

Was ich persönlich gar nicht ausstehen kann, sind Bücher in der Ich-Perspektive und dann kommen Kapiteleinsprengsel in der 3. Person, die die Gedankenwelt der Antagonist*innen bzw. Nebenfiguren beleuchten sollen. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass die Ich-Perspektive nicht gereicht hat, um alles, was erzählenswert ist, unterzubringen, und man noch krampfhaft versucht, aus einer anderen Ecke Infos einzustreuen.

Yamuri

@Nikki: Am Freitag würd ich gerne einen Auszug lesen, wo du die Multiperspektive anwendest? Ich muss bei deiner Beschreibung ein wenig an das Denken, was dabei rauskam, wenn ich Zweier-RPGs in Fanfictionform umgeschrieben habe. Dabei hatte ich dann einen Absatz aus Perspektive A, dann einen aus Perspektive B usw. Ich fand das persönlich eigentlich immer faszinierend. Ich dachte, dass sowas in Romanen nicht üblich ist und unerwünscht, weshalb ich es tunlichst unterlassen habe in meinen Manuskripten diese Erzählweise zu nutzen, obwohl ich es besonders in Dialogen interessant finde, wenn man als Leser erfährt, was alle Charaktere fühlen und denken, die am Interaktionsprozess beteiligt sind. Vielfach rutsche ich vermutlich in die auktoriale Erzählweise und mir fällt es immer noch schwer den Unterschied zwischen auktorial und personal zu erkennen, denn der auktoriale weiß ja alles und im Falle der Innensicht eines Charakters weiß der auktoriale Erzähler dasselbe wie der personale Erzähler. Es kommt zur Überschneidung. Aber ich drifte grade vom Thema ab. :) Finde jedenfalls deine Multuperspektiv-Erzählweise interessant und würde mir gern mal anschaun ob das vergleichbar ist mit dem Perspektivwechseln in meinen Fanfictions, die auf Zweier-RPGs beruhten. :)
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Nikki

Ich kann einen Auszug mitbringen, weiß aber nicht, wie effektiv das ist, da die oben beschriebene Szene ab Seite 108 einsetzt und bis dahin ordentlich Charakterisierung der Figuren betrieben wurde. Ich weiß nicht, ob die vielen Perspektiven auf so engem Raum ohne Vorwissen funktionieren. Die genannten Motive ergeben sich teilweise ja aus der Disposition der jeweiligen Figuren, die im Vorfeld mehr oder minder durchgekommen ist.

Ich habe auch eine Szene drinnen, in der es zu einem Schlagabtausch zwischen zwei Personen kommt, mit vollkommen konträren Weltansichten und dementsprechend unterschiedlichen Motiven. Das käme dem von dir geschilderten Beispiel, @Yamuri , nahe. Auch diese Szene rangiert um Seite 150.

Was hier deutlich wird: Multiperspektiven brauchen ein Fundament, um sich gegenseitig zu tragen. Auf den ersten Seiten behelfe ich mir zu 90% mit einer Perspektive, immer wieder werden andere eingestreut, um darauf vorzubereiten, dass diese im weiteren Verlauf mehr Raum bekommen. Wenn also die Hauptfigur plötzlich nicht mehr die Szene reflektiert, kommt das nicht überraschend, der Perspektivenwechsel ist ein schleichender Prozess.

Ich sage, ich habe über die Bände der Serie mehrere Protagonist*innen, pro Band gibt es aber nur eine Handvoll, deren Perspektive die Handlung maßgeblich bedingt. Regelmäßig kommt es aber zu Szenen, die ein Netz aus mehreren Perspektiven sind, eben um darauf vorzubereiten, dass diese Serie nicht nur die Geschichte einer Figur erzählt, sondern dass jede einzelne ihren Teil dazu beiträgt. Meine Geschichte ist von Haus aus multiperspektiv angelegt, was nicht heißt, dass das immer und überall der Fall sein muss. Es ist wie ein Teppichmuster. Einmal ist eine Farbe dominant, einmal verknüpfen sich zehn Fäden auf einmal.

Wer Manga wie Angel Sanctuary gelesen hat, kann diese Technik vielleicht eher nachvollziehen. Der Manga spielt vor einem extrem komplexen Weltenentwurf und obwohl Setsuna der Held der Geschichte ist, wird den Perspektiven von anderen Handlungsträger*innen immer wieder viel Platz eingeräumt. Die Geschichte wäre nicht erzählbar, wenn man sich stur an Setsunas Perspektive gehalten hätte und somit die Handlung auf Himmel- und Unterweltebene ausgeblendet hätte, weil Setsuna nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann und auch gar nicht das Wissen hat, um sich in diesen Welten zu orientieren und den Leser*innen dieses Universum schlüssig näherzubringen.

Mein Serienkomplex funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Unterbewusst habe ich mich beim Schreiben eher von solchen Vorbildern beeinflussen lassen als von linear erzählten Romanen.