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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Alana am 08. Februar 2012, 22:21:23

Titel: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 08. Februar 2012, 22:21:23
Hallo ihr Lieben, :)

schon länger trage ich mich mit dem Gedanken, so einen Thread aufzumachen, jetzt tu ich es. ;D

In "20 Masterplots and how to build them" äußert der Autor die Theorie, dass der Protagonist eines Bestsellers oft ein Charakter ohne Ecken und Kanten, ohne interessante Hobbys und ohne besondere Merkmale ist, weil sich so jeder Leser gut hinein versetzen kann. Differenziert angelegte Charaktere (wohl gemerkt Haupt-Charaktere!) wären demnach nichts für die breite Masse.
Erschreckend daran ist, wie viele Beispiele diese Theorie tatsächlich belegen. Harry Potter (ich liebe die Bücher, aber ein besonders vielschichtiger Charakter ist Harry wirklich nicht), Isabella Swan (Keine Motivation, keine Interessen, eigentlich gar nichts, was einen Charakter ausmacht), Frodo (bitte nicht schlagen). Die Liste lässt sich fortführen. Natürlich gibt es auch viele Gegenbeispiele, aber wenn ich so darüber nachdenke, was mir da einfällt, sind das meistens Bücher aus anderen Genres als Fantasy. Wohl gemerkt, es geht hier um Bestseller. Gute Charaktere haben zweifelsohne ihre Freunde. Aber besonders in der Fantasy zeichnen sich viele Protagonisten einfach durch ihre Beherztheit, ihren Mut und ihren Kampfgeist aus. Nichts weiter. (Sonea passt da als Beispiel, denke ich)

Ich glaube übrigens auch, dass eine gewisse Linie, eine gewisse Einfachheit, einem Charakter gut tut, aber das bedeutet doch nicht, dass der Hauptdarsteller eine leere Hülle sein muss. Ich mag vielschichtige Charaktere.

Ich stelle das jetzt einfach mal zur Diskussion. Ich bin gespannt auf eure Meinung.

P.S.: Ich hoffe, das Thema ist hier richtig, ich konnte mich nicht ganz entscheiden, ob es hierhin oder in den Workshop gehört.
Aber es geht ja nicht darum, einen möglichst hohlen Charakter zu erschaffen, also poste ich es mal hier. ;D
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Robin am 08. Februar 2012, 22:27:46
Ich habe eindeutig was gegen hohle Charaktere. Und wenn ich auf solche treffe, dann würde ich ihnen am liebsten an die Kehle gehen. Aber gut, ich bin ja auch nicht unschuldig, was das benutzen solcher Charaktere angeht.

Cherosh, der ja mittlerweile mein absoluter Lieblingscharakter in allen Lebenslagen ist, hat sich auch erst von der uninteressanten Nebenfigur zu einem ziemlich bissigen, provokativen Rüpel mausern müssen. Es gab zwischen zwei gefestigten Versionen eine solche "charakterlose Hülle", aber die konnte ich nicht lange leiden. Einfach weil nichts dahinter steckte, nur Luft.

Deshalb bin ich eher auf der Seite zu sagen, dass ich einen festen Charakter will. Mir ist es egal ob jemand ihn mag oder nicht, er soll einfach Biss haben. Oder sie, ich darf ja nicht meine Ladies vergessen. ;D

Das Beste an der Geschichte ist ja, dass Cheroshs leere Phase eine... eher gemiedene Phase war. Diejenigen, die ihn in Rollenspielen kennen gelernt haben, wollten nicht so recht auf ihn eingehen, und ich habe auch erkannt warum. Also habe ich die Ecken und Kanten wieder herausgehobelt, und tada - schon war er wieder äußerst beliebt.

Und er taucht auch schon in einer längeren Geschichte auf, die ich auf dem Rollenspiel basierend schreibe, mit dem er die meiste Entwicklung durchgemacht hat. Was soll ich sagen? Auch da mögen ihn die meisten lieber als oft ziemlich unangenehmen Zeitgenossen, mit all seinen Fehlern, Verrücktheiten und kleinen Sünden.

Ich bin ganz klar gegen die Meinung, dass substanzlose Charaktere gut für eine Geschichte wären - voraussgesetzt, sie sind Hauptprotagonisten. Es... passt einfach nicht, finde ich.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 08. Februar 2012, 22:33:19
Ich finde auch, dass es nicht passt. Andererseits gehören einige Bücher, in denen das so ist, zu meinen erklärten Lieblingsbüchern.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Robin am 08. Februar 2012, 22:39:15
Das ist eben das Problem bei dieser Sache. Auch bei mir gehören Bücher mit solchen Charas zu meinen Lieblingen. Gleichzeitig würde ich so etwas aber nicht schreiben wollen.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Runaway am 08. Februar 2012, 23:01:39
Ich finde Bücher mit substanzlosen Protagonisten fürchterlich. Grad lese ich zum ersten Mal was von Adler Olsen - der Kommissar ist der Knaller. Kauzig, knurrig, für seine Umwelt wahnsinnig anstrengend und eigentlich ein Unsympath, aber irgendwie geht das in die Richtung von Dr. House: Das Publikum mag ihn trotzdem. Und zwar, weil man irgendwie versteht, warum er so ist. Man wäre wahrscheinlich selbst nicht anders. Ich jedenfalls mag den Kerl total, weil ich sein Verhalten komplett nachvollziehen kann.
Natürlich ist das riskant. Es gibt bestimmt Leser, die nicht nachvollziehen können, daß ein über den Haufen geschossener Kommissar, der posttraumatische Belastungsstörungen für Murks hält, irgendwie als Protagonist taugt. Für den Autor ist so eine Angelegenheit eine echte Gratwanderung.

Aber diese Charaktere sind es, die mir im Gedächtnis bleiben. Dan Browns Protagonisten? Vergiß es. Riesengroße Bestseller, aber aalglatte Protas, von deren Namen mir nur einer im Gedächtnis geblieben ist - Robert Langdon. Von den Frauenfiguren fang ich am besten erst gar nicht an.
Und was hab ich kürzlich noch alles gelesen... jetzt fällt mir natürlich kein gutes Beispiel mehr ein, aber ihr habt ja schon viele genannt.

Was ich mich frage: Machen Autoren das extra? Überlegen die sich: Och, ich mach jetzt mal eine Figur ohne Ecken und Kanten, damit viele Leser was damit anfangen können? Denn Adler Olsen ist ja nun auch eine Hausnummer. Oder wenn ich jetzt mal an Panem denke - die gute Katniss war ja selbst mir manchmal zu anstrengend. Sind auch Bestseller! Geht also offensichtlich schon.

Ist mir auch definitiv lieber, sowohl als Leser, als auch als Autor. In meinem aktuellen Schätzchen ist das ganz extrem - meine Protagonistin war für mich am Anfang selbst nicht faßbar. Ich wollte eine irgendwie schüchterne, verletzliche Person, die aber bei Bedarf aus sich rauskommt und über sich hinauswächst und wahnsinnig zäh und stur ist. Irgendwie wollte ich eine Mischung von Dingen, die ich mir da selbst noch nicht vorstellen konnte, und es war nicht leicht, anfangs über sie zu schreiben. Ich wußte genaugenommen nicht mal, wie sie nun wirklich aussieht - ich zeichne meine Charaktere ja auch immer und bei ihr hab ich, glaube ich, 5 Anläufe gebraucht, um ein Porträt hinzukriegen, das meiner Vorstellung am nächsten kam.
Sie hat auch Ecken und Kanten. Allerdings fand sie bisher jeder meiner Leser total nett und konnte viel mit ihr anfangen. Da müßte ich jetzt mal empirische Untersuchungen anstellen, warum genau ;)
Denn ich lasse sie durchaus auch manchmal anstrengend sein. Sie trägt schwer an ihrer Vergangenheit, boxt die unmöglichsten Dinge auch gegen Widerstand durch und hat Glück, daß sie so einen geduldigen Mann hat, denn andernfalls hätte er sie wohl schon längst erwürgt.
Der Leser aber seltsamerweise nicht.

Und deshalb denke ich, daß ein Autor "nur" seine Hausaufgaben machen muß. Es gilt, glaubhafte, schlüssige und tiefe Charaktere zu erfinden, finde ich... keine platten Abziehbilder. Wen reizen die? Ich denke durchaus, daß man auch vielschichtige Charaktere erschaffen kann, die den Lesern gefallen! Wichtig ist wohl immer, nachvollziehbar zu machen, warum ein Charakter wie handelt.
Weiß nicht, irgendwie war das immer die Disziplin, mit der ich am wenigsten Probleme habe. Manche Leute haben arge Schwierigkeiten, glaubhafte Charaktere zu erfinden - die hatte ich nie.
Warum das so ist? Ich hab keine Ahnung. Aber vielleicht geht's Stephenie Meyer und Co. ja auch so. Vielleicht machen die das gar nicht extra, vielleicht können sie es nur nicht besser ;D

(edit: Danke Alana ;D )
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Angela am 09. Februar 2012, 00:44:55
Vielleicht kann man da unterscheiden. Zum einen das Buch, in dem der Leser sich mit dem Prota identifizieren möchte, praktisch sein Leben erlebt, da muss die Figur eher eine positiv besetzte Schablone sein, die für fast jeden passt.
Oder den Charakterkopf, dessen Kämpfe und Erlebnisse man vom gemütlichen Sofa aus erlebt, der einem eher fremd ist und gerade deshalb fasziniert. Da braucht es einen mehr abgeklärten Leser für und das wird dann sicher eher selten der Superverkaufsschlager.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alessa am 09. Februar 2012, 06:14:26
Ich schließe mich Angelas Meinung an. Zum Beispiel bei Dan Brown. Robert Langdon ist in seinen Büchern sozusagen der Ruhepol, der auf den sich die Leser verlassen können, der Faden an dem sie sich praktisch entlanghangeln können. Seine Handlungen sind vorhersebar. Ich glaube fast, hätte er noch Ecken und Kanten, würde das dem Leser irgendwann auf den Geist gehen.
Ganz anders solche Geschichten wie Dr. House. Er bestimmt durch seinen eckigen Charakter die Handlung, er ist derjenige der die Zuschauer (in dem Fall) überrascht und immer wieder aufs neue Fesselt.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Rigalad am 09. Februar 2012, 07:30:11
Ich glaube, es gibt aber auch im Fantasy Hauptcharaktere, die stark gezeichnet sind. Gwen aus der Smaragdgrün Reihe fällt mir da ein, oder Clary aus "Die Chroniken der Unterwelt". Nicht zu vergessen, Katniss aus den Hunger Games im dystopischen Bereich. Ich glaube, es lassen sich genauso viele Gegenbeispiele finden wie Positivbeispiele. Die Frage ist nur, ob da dieselben Zielgruppen angesprochen werden.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Ary am 09. Februar 2012, 08:32:13
Mir sind die Ecken und Kanten auch lieber als die Schablonen. Bella fand ich fürchterlich, auch, weil sie irgendwie so naiv-dümmlich daherkam. Der eigentliche Held in den Hobbitszenen vom Herrn der Ringe ist Sam, auch wenn er nur eine Nebenfigur ist. In den Harry Potter-Büchern fand ich Ron und Hermine immer deutlich plastischer als Harry selbst. Bei Dan Brown (ich habe nur Sakrileg udn Illuminati gelesen) fand ich das Rätselraten selbst deutlich spannender als die rätselratenden Protagonisten.

Starke Fantasyfiguren, die ich wirklich gut finde, weil sie Ecken, Kanten und Schwächen und Fehler haben, sind zum Beispiel die Figuren in Lynn Flewellings Tamir-Trilogie. Bei Nightrunner ist es nicht so ausgeprägt, aber auch da finde ich noch Charaktere, die diese Bezeichnung verdienen.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Nirathina am 09. Februar 2012, 08:57:04
Oh, ich hasse hohle Protagonisten  ::)

Wobei man auch wieder zwischen hohlen und gradlinigen Protagonisten unterscheiden muss, denke ich. In meinen Augen ist Bella hohl, weil sie mit sich spielen lässt wie ein Püppchen und eigentlich nur Edward hinterhertingelt, und Harry ist gradlinig, weil man seine Hitzköpfigkeit kennt und er sich darin nicht verändert.

Das dazu. Aber es ist tatsächlich war: komplexe Protagonisten laufen einem selten über den Weg. Meist sind es die Freunde der Protagonisten ("die rechte Hand des Helden"), die für einen entsprechenden Kick sorgen und so stark herausgearbeitet werden, dass man die Dummheiten des Hauptdarstellers meist nicht mehr bemerkt. Was das im Bezug auf Dan Brown bedeutet: Ich finde Robert Langdon als Handlungsträger vom Intellektuellenschlag interessant, aber viel besser finde ich seine Gegenspieler und ihre Perspektiven  :snicker:

Wobei ich zugeben muss, dass Valery, die Prota meiner Barden, mir anfangs auch ziemlich hohl vorkam  ??? Ich dachte nur: Mein Gott, was hast du denn da für eine? Aber je länger ich sie gequält und damit vom verwöhnten Stadtgör zur Kämpfernatur habe werden lassen, desto besser gefiel sie mir. Aber ich denke, als Autor fällt einem diese Hohlheitskultur selbst nicht so leicht ins Auge, weil man seine Charaktere eben gern hat.

Ein großes Problem sehe ich speziell darin, einen erwachsenen Charakter zu beschreiben, der seine Lebensmitte erreicht hat und sich *theoretisch* nicht weiterentwickelt. Natürlich entwickelt er sich weiter, aber die Frage ist: In welche Richtung? Und: Wie stark? Denn pubertierende Jugendliche stehen nicht so fest im Leben wie ein Erwachsener es *theoretisch* tun sollte. Deshalb finde ich erwachsene Protas manchmal gradlinig, aber nicht hohl.

Ach herrje, das ist so eines dieser "unendliche Geschichte"-Themen. Danke für den Anstoß, Alana  :jau:
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Kisara am 09. Februar 2012, 09:12:15

Zu Bella werde ich nichts sagen, denn ich glaube es gibt den ein oder anderen Twilight-Fan hier im Forum und wenn ich anfange, höre ich a)nicht mehr auf und b)wird der Thread dann wohl zum Schlachtfeld. Meine Meinung zu Stephanie Meyer ist... sagen wir deutlich.

Aber zum Thema zurück:
Dass wir uns im O-Ton alle irgendwo einig sind, ist ja schon klar geworden. Wir alle hassen platte Charas, die eigentlich nur Namen auf dem Papier sind und das ein oder andere machen, von denen wir die meisten aber auch ohne Probleme wieder vergessen könnten.

Ich denke, es geht dabei sowohl um den Typ Autor, der dahinter steht. Ein Prota, der keine Ecken und Kanten hat, ist viel handzahmer. Du musst nicht darüber nachdenken, ob es zu ihm passt in dieses Drachenmaul zu springen oder ob er sagt: "Ich? Den einen Ring nach Mordor bringen? Ihr seid lustig!"
Mit solchen platt-Protas kannst du alles machen und du kannst sie einfach runter schreiben.

Viel Schuld liegt aber meiner Meinung nach auch bei den Verlagen.
Dazu hole ich ein wenig weiter aus, wenn legitim:
Eine kanadische Bekannter von meiner Kommilitonin hat einen Roman (selbst-)veröffentlich. Wieso hat sie das getan? Weil jeder Verlag ihr gesagt hat:
"Oh mein Gott! Sowas verlegen wir nicht! Wie stehen wir denn dann beim Leser da?!"
Dieses entsetzliche sowas ist die Tatsache, dass ihr Prota schwul ist. Punkt. Er hat keine Liebschaft in dem Roman, es spielt kaum eine Rolle. Er sagt es nur irgendwo mal einem Mädel, das ihn anflirtet.
Der Knackpunkt ist: Sie hätte den Roman bei verschiedenen Verlagen unterbringen können, wenn sie den homosexuellen Prota in entweder eine Frau oder einen heterosexuellen Mann umgebaut hätte.

Dieses Beispiel unterstreicht für mich, wie sehr sich Verlage davor fürchten, mal aus ihrem Sandkasten von bewehrten Normen und Geschichten auszubrechen und etwas "Neues" zu versuchen. Ich möchte nicht sagen, dass ein auf den Kopf gekrempeltes Liebesleben jetzt so neu ist, aber wie viele Bestseller-Protas fallen euch ein, die nicht nach demselben 08/15-Muster gestrickt sind und auch nach diesem lieben? Mir persönlich keiner.  :no:

Dass man jetzt auch noch beim Autor unterscheiden kann in die Sorte: "Ich will um jeden Preis veröffentlichen!" und in die Sorte: "Ich schreibe, weil es mir Spaß macht und hey, vielleicht veröffentliche ich irgendwann auch mal was." muss ich hier wohl nicht durchkauen. Ich mache die Erfahrung, dass viele Autoren sich regelrecht prostituieren, um eine Auflage von 100 oder 200 Büchern  zu bekommen - ganz egal, ob die Änderungen und Einschränkungen des Verlags ihre Werke komplett zerstückeln oder nicht.

Ich werde es daher einfach weiter so halten wie ich es immer tue: Ich schreibe, wozu ich Lust habe. Ich provoziere gerne. Ich werde weiterhin schwule Pärchen haben, gewisterlichen Inzest und misshandelte Charaktere. Ich werde weiterhin über Blut, Mord und Totschlag schreiben, über unmenschliche Prüfungen und ein sehr kaputtes Leben.
Und wenn ich niemals veröffentliche, ja, dann ist das halt so. Lieber das, als das man mir später nachsagt: "Sie war eine ganz Große. Und ihre Protas waren auch immer aalglatt und... öhm... wie hießen die noch und worum ging´s überhaupt?"

@Nirathina:
Ich finde, dass ein Prota sich nur dann nicht weiter entwickelt, wenn man ihm keine Herausforderungen stellt. Bei einem Erwachsenen muss ich vermutlich tiefer in die Trickkiste greifen, als bei einem Jungspund, aber das macht doch grade den Reiz aus.  :vibes:

Ich glaube, viele trauen sich einfach nicht, ihren Protas wirklich Gewalt an zu tun. Sie haben Mitleid mit den Figuren und denken: Das kann ich nicht machen!
:psssst: Doch!
Ein nicht gequälter Prota ist langweilig und ein nicht gequälter Prota bleibt stehen in seiner Welt!

*großes Päckchen auf die Datenautobahn zerr* SO, einmal Peitschen, Büchsen der Pandora und Wundsalbe, aber auch Zuckerbrot für alle Autoren, die ihre Protas mal härter anfassen wollen/müssen! Bedient euch!
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Erdbeere am 09. Februar 2012, 09:32:26
Uiui, tolles Thema!

Ich schliesse mich Nira an, denn auch ich finde, man sollte zwischen hohlen und geradlinigen Charakteren unterscheiden. Eragon z.B. ist hohl und völlig flach, Sonea geradlinig, weil sie stur eine Linie verfolgt und kaum unerwartete Dinge tut. Der eine Charakter langweilt schnell, der andere zieht die Handlung mit (wenn das Buch denn gut geschrieben ist).
Als Beispiel für eine völlig verschrobene Hauptfigur in einem Bestseller nenne ich mal Monza Murcatto aus Best Served Cold von Joe Abercrombie (ich glaub, Racheklingen auf Deutsch) - von Anfang an ist sie so rachedurstig und kaputt, dass man sie entweder nur lieben oder hassen kann.

Die Frage ist jedoch, warum haben so viele Bestseller platte Charaktere? Wenn man es so interpretiert, dass ein platter Hauptcharakter Erfolgsgarant ist, dann gute Nacht, ich höre auf mit Schreiben. Die Leser können doch nicht auf solche hohlen Figuren reinfallen, oder? Oder ist es eher so, dass sich der Leser dann mehr mit einer Figur identifizieren kann, gerade weil sie flach ist und dementsprechend mehr Projektionsfläche bietet?
Trotzdem gibt es genügend Gegenbeispiele, die mir dann wieder versichern, dass es eben auch anders geht. Die Serie "Dexter" z.B., oder "Das Lied von Eis und Feuer", alles von Steven King,...

Für einen Autor ist es schwierig, richtig schön komplexe Charaktere mit ihren Ecken und Kanten zu schaffen. Das merke ich jedes Mal selber - da meldet sich eine Figur, stellt sich vor und ich stelle fest, die ist völlig lahm. Also muss ich zuerst ziemlich viel Zeit investieren, um die Figur zu "pimpen". Ich gebe ihr eine Vergangenheit, vielleicht sogar ein dramatisches Ereignis, Vorlieben, Abneigungen, Motive, Flausen, Dummheiten, eine Sucht (und sei es nach Schokolade) etc. pp.
Aufpassen sollte man natürlich, dass man keine Mary Sues oder Gary Stus erschafft.


@Kisara:
Typisch, würde ich sagen. Klar, Kanada ist nicht die USA, aber trotzdem davon beeinflusst. Wenn es nicht gerade von einem Briten geschrieben wurde, suchst du vergeblich nach einem Buch mit einem schwulen Protagonisten. Lafayette in den Sookie Stackhouse Büchern (und der TV-Serie) z.B. finde ich derart überzeichnet und klischeehaft, dass es mich jedes Mal schaudert. Da schaue ich lieber nach Japan, die haben da weniger Probleme mit dem Thema.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Michaela am 09. Februar 2012, 09:41:36
@Kisara, das hört sich ein bisschen so an, als wärst Du der Meinung, Autoren die Charas für das breite Publikum entwerfen, wären nur darauf aus veröffentlicht zu werden?

Könnt Ihr Euch wirklich einen Sam als Hauptchara in der Herr der Ringe vorstellen? Hauptcharas zeichnet zu aller erst ihr Potenzial zum durchhalten aus. Sie werden komme was wolle ihr Ziel verfolgen und es nie aus den Augen verlieren. Sie werden alle Konsequenzen ziehen um ans Ziel zu gelangen. Viele der von Euch erwähnten Charas sind alles andere als stereotyp, sonst wären sie nicht so erfolgreich geworden. Immerhin sind sie auch Euch im Gedächtnis geblieben, ob positiv oder negativ spielt keine Rolle. Was ich sagen will, ein wirklich starker Charakter zeichnet sich dadurch aus, das ihm kein Opfer zu groß sein wird. Harry Potter wird alles tun um seine Freunde zu schützen und den Tod seiner Eltern zu rächen. Er stellt sich am Ende sogar seinem größten Feind, obwohl er weiß, das er sterben wird. Ein hohler Charakter würde das wohl kaum tun.
Frodo zeichnet sich vor allem dadurch aus, das er egal was er durchlebt, immer das Ziel verfolgt den Ring zu zerstören. Sam hält nur Frodos willen bis zum Ende durch. Sam zeichnet vor allen Dingen seine tiefe Freundschaft zu Frodo aus, das macht ihn so sympatisch. Aber damit gewinnt man diesen Krieg nicht.  ;)

Einer meiner liebsten Charas ist Sherlock Holmes er ist ebenfalls ein sehr extremer Chara.

LG Michaela

Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Erdbeere am 09. Februar 2012, 09:54:44
@Michaela: Deswegen unterscheiden Nira und ich zwischen hohl und geradlinig. Frodo und Harry sind geradlinig, weil sie, wie schon gesagt, ein Ziel stur und geradlinig verfolgen. Hohl ist eine Figur, wenn sie mit sich machen lässt und kaum etwas treibendes zur Handlung beisteuert. Bella Swan ist da ein gutes Beispiel. Die "ist" einfach.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Thaliope am 09. Februar 2012, 09:56:59
Auch wenn ich jetzt Gefahr laufe, mich hier verprügeln zu lassen ...  ;D
Ich glaube, dass komplexe Charaktere manchmal echt überschätzt werden. Ich hab mal - weiß nur gerade leider nicht mehr wo - die Faustregel gelesen, dass entweder ein gewöhnlicher Charakter in eine ungewöhnliche Situation kommt, oder eben ein ungewöhnlicher Charakter mit einer gewöhnlichen Sitation klarkommen muss.

Da die meisten Geschichten, die wir so lesen und schreiben, ja möglichst ungewöhnlich sein sollen, finde ich persönlich es gar nicht so schlimm, wenn die Hauptfigur einigermaßen schlicht gezeichnet ist. Dann dient sie dazu, uns die Geschichte aus seiner Sicht erleben zu lassen, wir sehen sozusagen durch seine Augen, und können uns eben leichter mit ihm identifzieren und so tun, als würden wir die Geschichte selbst erleben, wenn sein Charakter nicht allzu komplex auserzählt wird.

Nur ein Gedanke von der anderen Seite :)
Wahrscheinlich geht es wieder mal darum, den richtigen Mittelweg zu finden. :)

LG
Thali
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Kisara am 09. Februar 2012, 10:02:16
@ Michaela:
Ja, gewissermaßen ist das auch so. Ich denke, dass viele Autoren Charaktere entwerfen, die wenig Potential haben um abgelehnt zu werden, grade weil man sich mehr Chancen auf eine Veröffentlichung erhofft.
Und viele von denen, die zwar Ecken und Kanten zulassen, lassen sich von ihren Verlegern später zum Schmirgelpapier verleiten, statt sich einen neuen Verlag zu suchen und hinter ihrer Geschichte zu stehen.

Ich meine, wie sonst wäre es zu erklären, dass es Abschrift 731 von Eragon und 368 von Twilight gibt? Die Verlage sagen sich, dass das Original gut funktioniert hat, also fluten sie den Markt damit. Aber das können sie nur, weil es Autoren gibt, die sich nicht zu schade sind abzuschreiben.
Viele reproduzieren doch nur noch das, was schon mal jemand geschrieben hat und womit er erfolgreich war.

Die Autoren unserer Zeit haben oft eine schreckliche Angst davor, dass sie nicht verlegt werden oder das sie jemand kritisieren könnte. Deswegen nehmen sie von vorne herein alles weg, was zur Kritik gereichen könnte und puzzlen sich was aus dem zusammen, was schon da ist.

An dieser Stelle muss ich dann doch mal - oh mein Gott! - Stephanie Meyer gratulieren: Ich glaube kein einziges Buch, das so auf Misshandlung von Teenie-Psyche ausgelegt ist, ist jemals so berühmt geworden.  :wums:
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Michaela am 09. Februar 2012, 10:23:46
Was die Vampire angeht, gebe ich Dir recht Kisara. Ich kaufe mir schon gar keine Bücher mehr aus dieser Ecke, weil das Thema zu genüge ausgelutscht wurde.  :happs:

ZitatDa die meisten Geschichten, die wir so lesen und schreiben, ja möglichst ungewöhnlich sein sollen, finde ich persönlich es gar nicht so schlimm, wenn die Hauptfigur einigermaßen schlicht gezeichnet ist. Dann dient sie dazu, uns die Geschichte aus seiner Sicht erleben zu lassen, wir sehen sozusagen durch seine Augen, und können uns eben leichter mit ihm identifzieren und so tun, als würden wir die Geschichte selbst erleben, wenn sein Charakter nicht allzu komplex auserzählt wird.
Ich glaube Thaliope hat es ganz gut getroffen. Das ist vermutlich der Bestseller - Geheimtipp. Viele Menschen können sich mit dem etwas schlichteren Charakter identifizieren. Tiefgründige Figuren lesen sich nicht so leicht.

Jugendbücher leben von den weniger ausgefeilten Figuren, da steht die Geschichte und der Lesespaß im Vordergrund. Für erwachsene Leser sind ausgereiftere Figuren und komplexere Themen interessanter.

Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Nirathina am 09. Februar 2012, 10:26:52
@Kisara:

ZitatBei einem Erwachsenen muss ich vermutlich tiefer in die Trickkiste greifen, als bei einem Jungspund, aber das macht doch grade den Reiz aus.  :vibes:

Genau darauf wollte ich auch hinaus  ;) Das Problem bei mir ist, dass ich dazu meistens zu faul bin  ;D

ZitatIch glaube, viele trauen sich einfach nicht, ihren Protas wirklich Gewalt an zu tun.

Dazu wiederum bin ich definitiv nicht zu faul  :psssst: Ich denke ja, dass die Konfrontation mit Gewalt aus einem gradlinigen Prota einen komplexen machen kann; aber ein hohler würde daran wahrscheinlich zu Grunde gehen, außer er wird von einem entsprechenden Nebenchara heldenhaft gerettet.


@ Thaliope:

ZitatIch glaube, dass komplexe Charaktere manchmal echt überschätzt werden.

Da gebe ich dir Recht, vor allem, wenn man den komplexen Charakter in einen komplexen Plot stellt.
Hohler Charakter plus hohler Plot, da kennen wir ja alle mehrere Beispiele; gradliniger Charakter plus komplexer Plot macht die Sache schon viel interessanter. Aber komplexer Charakter plus komplexer Plot ist schwierig, weil nicht jeder Leser Lust hat, sich beim Lesen ständig den Kopf zu zerbrechen; anders herum gibt es auch (Hobby-) Autoren, die sich mit einem gradlinigen Prota in einer komplexen Geschichte besser zurechtfinden, beziehungsweise kann man dadurch die schwierigen Sachverhalte besser darstellen.

Edit: Michaela war fixer ^^

Wenn man mal den Aspekt der Klischees und ausgelutschten Beweggründe/Vergangenheiten dazu nimmt, ist eigentlich jeder Charakter gradlinig oder schlimmstenfalls hohl. Man kann "traumatische Ereignisse" als Tatbestand nicht neu empfinden, man kann sich immer nur neue Ereignisse ausdenken. Daran hängt auch viel, was den Charakter ausmacht.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Zit am 09. Februar 2012, 10:28:23
Ich denke, die Aussage aus 20MasterPlots kann man nicht so ohne Weiteres hernehmen und zerlegen. Wenn ich mich recht entsinne, sagt Tobias auch irgendwo, dass eine Geschichte eben nur eins sein kann: plot- oder character-driven. Nun, und wenn der Fokus auf dem Plot liegt (worum sollte es sonst in 20MasterPlots gehen, hehe), dann haben die Charaktere das Nachsehen. Und ich wage die Behauptung, dass die meisten Leser einfach eine tolle Geschichte, also einen tollen Plot, wollen.

(Es ist auch gar nicht so einfach, Plot und Charakteren zugleich gerecht zu werden. Jin&Lis waren die ersten, bei denen ich das versucht habe und es noch nicht so wirklich umgesetzt ist, imho. Aber da ich bei denen eh vor mich hinschnecke, weil das Geschriebene muss ja auch erste Sahne sein ... :d'oh: Es ist sauschwer, einer Geschichte auf allen Ebenen gerecht zu werden. Einfacher ist es eben, irgendwo Abstriche zu machen. Am Ende darf es ja auch irgendwo widerum nicht zu schwer sein, um so viele Menschen wie möglich anzusprechen, auch die, die wenig bis gar nicht lesen.)
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: chaosqueen am 09. Februar 2012, 10:35:02
Das ist ja mal eine spannende Sache, über die ich noch nie bewusst nachgedacht habe! Aber so sehr ich die Twilight-Reihe mag, Bella macht mich halb wahnsinnig mit ihrer "Edward-Anschmachterei"! :brüll: Ich hab da neulich so eine nette zusammenstwllung gesehen. Drei Frauen aus berühmten Büchern /Filmen: Ganz oben Eowyn mit einem Schwert und in Kampfhaltung: "I'll save the world!", danach Hermine mit einem Zauberstab: "I will help to save the sorcerer's world." Und unten Bella, liegend auf einer Wiese: "I will lay around and make my glittering boyfriend do all the work." ;D

Ähm, zurück zum Thema: Ich denke, Thali hat es gut auf den Punkt gebracht. Ein kauziger Held voller Ecken und Kanten, der dann auch noch in extrem außergewöhnliche Situationen gerät, wird schnell in die "unglaubwürdig"-Ecke abgeschoben. Ich hatte da mal so ein ChickLit-Buch am Wickel, in dem es um eine extrem skurrile Mädelsclique in Hamburg ging, die extrem seltsame Dinge erlebt haben (es gab einen Nachbarn, der seine Wohnung nur durch die Wohnung eines der Mädels erreichen konnte, ein Krokodil als Haustier und jede Menge weiteren seltsamen Kram). Jedes Element für sich genommen konnte ich unter "was für eine geniale, abgefahrene Idee!" verbuchen, aber die Häufung hat mich irgendwann nur noch genervt.

Ich fürchte, meine Mara ist teilweise auch sehr glatt, aber sie entwickelt sich immerhin im Laufe der Geschichte. Und selbst ihre Gegenspielerin, die bisher nur von der Sorte "eifersüchtige, nervige Zicke" war, bekommt gerade ihre große Chance, über sich hinauszuwachsen. Dafür ist Tom eher der geradlinige Held, der wenig Kanten, aber zumindest eine fiese Vergangenheit hat, die seine Motivation begründet. - Ja, wenn ich meine aktuellen Figuren analysiere, dann stelle ich fest, dass es auch hier jemanden gibt, der unbedingt ans Ziel will und das mit aller Macht zu erreichen versucht, dafür aber wenig weitere Eigenschaften hat, und zwei Personen in seinem Umfeld, die aus unterschiedlichen Gründen ihre eigene Persönlichkeit doch recht weit entwickeln müssen, um Schritt zu halten.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: HauntingWitch am 09. Februar 2012, 11:23:53
Das Meiste wurde schon gesagt. Ich mag selber auch lieber Charaktere mit Macken, das können ja ein paar wenige sein. Aber dieses "nett & herzig"-Ding schreckt mich ab.

Zur Anfangsfrage von Alana, warum so viele substanzlose Charaktere zu Bestsellern werden, denke ich, dass es auf den Leser ankommt. Ein passionierter Leser, der sich mit dem Inhalt seines Buch auseinandersetzen und darin versinken möchte, wird so einen flachen Charakter als unrealistisch empfinden. Ein Leser hingegen, der nur aus Langeweile liest oder "weil man das eben einmal gelesen haben muss" oder weil es der Lehrer sagt oder aus anderen Gründen; Der wird seine Freude an einem möglichst einfachen Charakter haben, über den er nicht so viel nachdenken muss. Nur so eine These.  ;)

Darüber hinaus hat es vermutlich auch mit unseren Vorstellungen zu tun. Sind wir ehrlich, flach oder nicht: Jeder mag doch Helden, die noch die Welt retten und all die Fehler derselbigen nicht haben.  ;D Schaut euch z.B. die Legende von König Artus an: Der Typ ist absolut perfekt, hat keine Fehler, keine Makel, alles, was er tut, ist richtig. Trotzdem oder gerade deswegen fasziniert das so viele, weil das einfach ein Held ist, etwas, woran man glauben kann und das Hoffnung gibt. So unrealistisch das Drumherum dann sein mag, wünschen wir uns nicht alle solche Leute in unsere Zeit? Wahrscheinlich würden wir sie furchtbar langweilig finden, wenn wir ihnen begegneten, aber wenn wir von ihnen lesen, finden wir sie toll, weil sie eben Helden sind.

Was mir auch auffällt ist, dass die Masse eher auf Happy Ends steht als auf schockierende oder gar offene Enden. Ich denke, das geht ins Gleiche hinein. Das Happy End hat etwas Märchenhaftes (warum mögen wir Märchen? Dornröschen, die perfekte Schönheit? Gretel, die Rechtschaffene?), das wir so in der Realität nicht bekommen. Also flüchten wir uns in diese irrationale Idee von Hoffnung. Hingegen ein schockierendes Ende entspricht wahrscheinlich eher den realen Möglichkeiten, also lehnen wir es ab. Bekämen wir allerdings in unserem Leben immer Happy Ends, wie lange würde es dauern, bis wir uns über zu wenig Action beklagen? Diese letzte Frage stellen sich aber, denke ich, nur Menschen, die sie sich stellen wollen. Alle anderen nehmen lieber das ungetrübte Heldentum.

Ja, meine 2 Cents.  ;)
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Runaway am 09. Februar 2012, 11:45:39
Zitat von: Thaliope am 09. Februar 2012, 09:56:59
Auch wenn ich jetzt Gefahr laufe, mich hier verprügeln zu lassen ...  ;D
Ich glaube, dass komplexe Charaktere manchmal echt überschätzt werden. Ich hab mal - weiß nur gerade leider nicht mehr wo - die Faustregel gelesen, dass entweder ein gewöhnlicher Charakter in eine ungewöhnliche Situation kommt, oder eben ein ungewöhnlicher Charakter mit einer gewöhnlichen Sitation klarkommen muss.

Da die meisten Geschichten, die wir so lesen und schreiben, ja möglichst ungewöhnlich sein sollen, finde ich persönlich es gar nicht so schlimm, wenn die Hauptfigur einigermaßen schlicht gezeichnet ist.
Jaaaa auf sie mit Gebrüll!! (Scherz ;D )
Nee, aber im Ernst, es gibt einen Unterschied zwischen relativ schlicht und relativ dämlich ;)

Ich find ja die Unterscheidung von plot- und character-driven gut. Da ist für mich einiges dran. Wobei ich mich da jetzt frage: Hab ich ein Problem? Bei mir beeinflußt sich beides immer wechselseitig... ;D

Ich find's interessant, daß Frodo und Sam in der Diskussion aufgetaucht sind. Mir war Sam auch immer deutlich lieber. Ich hab ja jahrelang Herr der Ringe-Fanfiction mit Fokus auf die Hobbits geschrieben - und Sam war immer mein Liebling und mein großer Held. Mehr als Frodo.
Und auch Eowyn kam eben kurz vor - lustig ist, daß ich jetzt am Wochenende HdR nochmal auf DVD gesehen hab und mich dabei die gaaaanze Zeit über Arwen aufregen mußte. Ich warf imaginär immer mit Popcorn vom Sofa, wenn wieder Arwen und Aragorn dran waren und kaum daß Eowyn aufgetaucht war, hab ich mich drüber aufgeregt, daß ich an Aragorns Stelle ja Eowyn genommen hätte, weil die Frau wenigstens Feuer hat. Arwen liegt immer nur rum und sieht gut aus ;)
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Zit am 09. Februar 2012, 12:06:02
ZitatIch find ja die Unterscheidung von plot- und character-driven gut. Da ist für mich einiges dran. Wobei ich mich da jetzt frage: Hab ich ein Problem? Bei mir beeinflußt sich beides immer wechselseitig... ;D

Das sollte es wohl auch im Idealfall. :D Aber es ist nun mal so, dass der Fokus bei vielen Schreibern nur auf einem von beidem liegt und entweder sind es ausgefeilte Plots oder vielschichtige Charaktere.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Tanrien am 09. Februar 2012, 12:59:27
Zitat von: Thaliope am 09. Februar 2012, 09:56:59
Ich glaube, dass komplexe Charaktere manchmal echt überschätzt werden. Ich hab mal - weiß nur gerade leider nicht mehr wo - die Faustregel gelesen, dass entweder ein gewöhnlicher Charakter in eine ungewöhnliche Situation kommt, oder eben ein ungewöhnlicher Charakter mit einer gewöhnlichen Sitation klarkommen muss.
Sehr schön gesagt! Da kann ich zustimmen. Ich kenne zwar auch Bücher, die eine wirklich komplexe Story mit einem wirklich komplexen Charakter verbinden und das bewundere ich wirklich, aber die Kombinationen aus dem einen komplex und dem anderen simpel habe ich bisher eigentlich immer als genauso, wenn nicht sogar als stärker mitreißend erlebt. Wobei, das waren dann eben teilweise auch Bestseller. ;)

Ich glaube aber auch gerade bei jugendlichen Charakteren, dass man irgendwo an seine Grenzen stößt. Ein bestimmter Charakter als Mixtur aus Charakterzügen muss ja auch durch einen entsprechenden Lebenweg/Hintergrund erklärt werden. Und da haben jugendliche Charaktere meistens nicht viel zu bieten - wobei das sicher auch auf die eigene Weltsicht ankommt, wenn man sagt, dass die meisten Menschen gar nicht so verschieden sind. In der Situation dass der Drache feuerspeiend auf einen zufliegt gibt es schlicht nur zwei Möglichkeiten, "Charakter" zu zeigen: Wegrennen oder Kämpfen. Das beschränkt ja die Ausdrucksmöglichkeit für Charaktereigenschaften. In der Realität unterscheiden sich Menschen an Kleinigkeiten, die aber in einer fight-or-flight-Situation schwer bis gar nicht darzustellen sind. Und wenn man sie in den Ruhephasen darstellt, wirken sie oft abgemildert.

Die wenigsten Menschen sehen sich selbst ja als extrem an, sondern leben halt irgendwie vor sich hin und wer jeden Tag immer wieder alles nach dem gleichen Muster tut, der sieht das als abgeschwächt/normal an - warum sollte es bei einem Charakter anders sein? Wenn wir Harry Potter aus der Perspektive von Hermine hätten, würde ja auch Harrys Charakter das total exotische Tier sein, während es für uns Leser schlicht normal-0815 wäre, dass wir da ein fleißiges Mädchen hätten.

Sobald ich viel Zeit (= Seiten im Roman) damit verbringe, zu erklären, dass Charakter Anna gerne strickt, weil sie das von ihrer Großmutter gelernt hat, aber ungern kocht, weil ihre Mutter sie früher dazu gezwungen hat, aber ihr Vater sie gerne kochen sieht, weil er sich dadurch an seine Geliebte erinnert fühlt, Anna das aber weiß, weil sie die Geliebte mal kennengelernt hat und ebenfalls in die verknallt war, bis ihre Großmutter das herausgefunden hat und Anna auf den Landsitz gebracht hat, und Anna aber einen Hund hat, der... etc. pp. All die Zeit, die ich brauche, um Annas ganze Charaktereigenschaften so darzulegen, dass sie wie ein "runder" durchschnittlicher Mensch wirkt, ist Zeit, die ich nicht habe, um Anna durch die Goblinhöhlen fliehen zu lassen.

Alternativ könnte man Anna dann edgy machen, also einen Charakterzug besonders herausstellen, was sicher auch interessant sein kann - aber Platz braucht. Von daher kommt man so zurück zu Thalis Aussage.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Debbie am 09. Februar 2012, 13:37:13
Mmmh... Ich überlege jetzt gerade welche Definition für "flach" ihr hier zugrunde legt  :hmmm:

Ein "guter" Charakter sollte für mich als Leser folgende Eigenschaften besitzen:

- glaubwürdig sein; und die große Mehrheit der Bevölkerung ist eben einfach nicht schwul und misshandelt und geisteskrank, etc. - also ist es schwierig für den Durchschnittsbürger sich damit zu identifizieren. Die meisten Leben sind eben nicht voll von Leid und Melodrama. Nicht, dass es nicht ehrenvoll und wünschenswert ist, mit Büchern die diese Dinge behandeln zumindest für einen Augenblick an der Oberflächlichkeit des "Alltagslebens" zu kratzen  :wums: Aber die meisten Menschen wollen über sowas garnicht nachdenken - genauso wenig wie sie bei jedem Bissen an die hungernden Kinder in Somalia denken wollen. Ich würde da auch nicht unbedingt Gleichgültigkeit unterstellen. Evolutionstechnisch schließt das Funktionieren in einer Industriegesellschaft die ständige Vergegenwärtigung von Elend wohl einfach notgedrungen aus.

- eine Vergangenheit haben; und zwar am Besten eine unschöne...  >:( Es ist zwar traurig, aber wahr - Tiefgründigkeit und Durchhaltevermögen entstehen in den meisten Menschen erst, wenn sie selbst gelitten haben. Solche Charaktere sind gewünscht (Harry, der von seinen Verwandten körperlich und seelisch misshandelt wurde; Bella, die der typische scheidungsgeschädigte Teenager ist und früh erwachsen werden musste, weil sie eine hilflos chaotische Mutter hat) und werden ihrer Zielgruppe entsprechend entwickelt. Was auch wiederum gut ist, denn die Identifikation mit den Charakteren ermöglicht die Identifikation mit der Geschichte; ein Garant dafür, dass die Leser über die "Message" zumindest gewillt sind nachzudenken. Das "Was-würde-ich-tun" wird greif- und erfahrbarer.
Aber: Auch wenn solche Vergangenheiten gewünscht sind, will der Leser das nur in geringen Dosen "erleiden" müssen. Charaktere die sich in ihrem Leid suhlen und nicht fähig sind, darüber hinaus zu wachsen, eignen sich eben nicht für eine plot-driven Story. Es lenkt zu sehr vom eigentlichen Plot ab, sofern es eben nicht selbt der eigentliche Plot ist. Da wird dann die Grenze überschritten, meist die zwischen Unterhaltungsliteratur und literarischer Belletristik. Harry Potter konnte nur ein Erfolg werden, weil die Autorin Harry's Leid ins Lächerliche gezogen hat - ansonsten wäre es für den Leser kaum auszuhalten gewesen, und Harry, wenn er sein eigenes Leid nicht einfach als gegeben hingenommen hätte, wäre nie der Charakter gewesen, der auch durch all die anderen Dinge "leben" kann, welche ihm die Autorin noch vor die Füße geworfen hat.

- wie schon mehrfach erwähnt, ein enormes Potential an Durchhaltevermögen haben; was oftmals wiederum aus einer schmerzhaften Vergangenheit resultiert. Ein gewisses Maß an erprobter Leidensfähigkeit ist eben erforderlich, und der Charakter wird wiederum glaubwürdiger, wenn diese durch seine Vergangenheit  begründet wird.

Nochmal zur Definition von flach: Wenn ihr euer eigenes Leben mit der Ausgangsposition von Harry und Bella vegleicht, ist es denn dann viel aufregender, leidgeplagter?? Wenn ihr euch in deren Alter seht, ward ihr "tiefgründiger" und interessanter? Würdet ihr euch deswegen selbst als "flach" bezeichnen?

Zudem darf man nicht vergessen, um wen es in den Geschichten eigentlich geht: Gut, Harry Potter behandelt Harry's Leben - aber er ist auch ein außergewöhnlicher Elfjähriger (charakterlich). Der eigentliche Protagonist von Twilight ist eigentlich Edward; Bella wurde v. a. "designt" das, für den kaum vorhandenen Plot, passende Gegenstück zu sein. Clary (Die Chroniken der Unterwelt) ist bei Weitem nicht so interessant wie Jace - sie wächst mit der Geschichte, aber im Grunde gäbe es den Bestseller nicht ohne einen "Jace"...

Ich habe in letzter Zeit einige sehr gute Bücher gelesen, auch welche, die nicht zum "wahren" Bestseller geworden sind - und das wohl tatsächlich, weil sie sich an die oben genannten Regeln z. T. nicht gehalten haben  :(  Ich finde sie hätten mehr Aufmerksamkeit verdient, aber das eigene Maß an Leidensfähigkeit muss eben jeder Leser für sich entscheiden...

Und ja, ich gebe zu, meine Charaktere "publikumsfreundlich" zu entwickeln - das bedeutet nicht, dass sie nicht gequält und kaputt sind, sondern lediglich, dass sie entweder a) sich selbst deswegen nicht leid tun, b) nicht zuviel über ihre Vergangenheit nachdenken, oder c) der Leser diese Vergangenheit nur häppchenweise und keinesfalls sofort serviert bekommt. Für mich ist das eine gute Lösung für einen "Mittelweg".


@Tanrien:
ZitatEin bestimmter Charakter als Mixtur aus Charakterzügen muss ja auch durch einen entsprechenden Lebenweg/Hintergrund erklärt werden. Und da haben jugendliche Charaktere meistens nicht viel zu bieten -

:pompom: Meine Worte!

Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Dogtales am 09. Februar 2012, 13:38:26
Zitat von: Tanrien am 09. Februar 2012, 12:59:27

Die wenigsten Menschen sehen sich selbst ja als extrem an, sondern leben halt irgendwie vor sich hin und wer jeden Tag immer wieder alles nach dem gleichen Muster tut, der sieht das als abgeschwächt/normal an - warum sollte es bei einem Charakter anders sein? Wenn wir Harry Potter aus der Perspektive von Hermine hätten, würde ja auch Harrys Charakter das total exotische Tier sein, während es für uns Leser schlicht normal-0815 wäre, dass wir da ein fleißiges Mädchen hätten.

Ich stimme da vollkommen Tanrien zu (und einigen anderen, denn das Wichtigste wurde ja schon gesagt). Wenn wir ein Buch oder andere ein Buch oder sogar andere unser Buch lesen, dann wollen sie in der Regel eins, sich mit dem Hauptcharakter identifizieren. Jetzt hat man also Autor meiner Meinung nach – und recht vereinfacht dargestellt – zwei Möglichkeiten: Man schafft einen Charakter, der rundum stimmig ist, mit Ecken und Kanten und Narben und Beulen. Dieser Charakter wird lebendig und interessant sein, aber für das Gefühl, etwas mit dem Charakter gemein zu haben, werden wahrscheinlich nur wenige Leser angesprochen sein, die nämlich, die dem Charakter am ähnlichsten sind, oder Leute, die allgemein über ein sehr gutes Einfühlungsvermögen verfügen. Es gibt vielleicht noch ein paar, die den Charakter interessant finden, aber sich nicht direkt emotional mit ihm verbunden fühlen, weil er einfach zu anders ist. Dann bliebe noch die Möglichkeit, einen einfachen Charakter zu machen, ich will jetzt mal ausnahmsweise nicht zwischen hohl und geradlinig unterscheiden, und damit einen Charakter zu erschaffen, in dem sich viele Leser wiederfinden. Warum? Weil er nicht zu speziell ist. Weil er nicht vollständig ausgestaltet ist und somit für den Leser viel Interpretationsfreiheit lässt, inwieweit sich der Leser auf den Charakter einlässt und die Möglichkeit hat, seine eigenen Charakterzüge auf den Charakter zu projizieren. Ich glaube, dieses ,,Potential" macht diese flachen Charaktere erfolgreicher.
Außerdem – wurde auch schon erwähnt – ist die einzige Rolle des Protagonisten vereinfacht gesagt, die Romanhandlung voranzutreiben und das Ziel, das der Autor/die Autorin ihm stellt zu erreichen. Nicht sehr viel mehr.

Ich persönlich mag allerdings auch lieber vielschichtige Charaktere und weil es, wie schon gesagt, in den meisten erfolgreichen Büchern eher flache Protagonisten gibt, bin ich auch ein bekennender Nebencharakter-Liebhaber.
Und ich möchte eben auch schreiben, wozu ich Lust habe und was für mich selbst am nachvollziehbarsten ist, weshalb ich mir die größte Mühe gebe, meine Charaktere allesamt, vom Nebencharakter zum Protagonisten, nicht flach sondern interessant und lebendig darzustellen - mit Ecken und Kanten.  :)
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Moni am 09. Februar 2012, 13:51:08
Zitat von: HauntingWitch am 09. Februar 2012, 11:23:53
Schaut euch z.B. die Legende von König Artus an: Der Typ ist absolut perfekt, hat keine Fehler, keine Makel, alles, was er tut, ist richtig. Trotzdem oder gerade deswegen fasziniert das so viele, weil das einfach ein Held ist, etwas, woran man glauben kann und das Hoffnung gibt.

Gerade Artus hat sich aber auch ein paar grobe Schnitzer geleistet, was ihn dann vielleicht wieder sympathisch machte... Ich sag nur: Inzest, Kind mit Schwester und ein paar andere Dinge, die dann letztlich zum Krieg geführt haben.

Ich habe Frodo nie als hohl empfunden, im Gegenteil, er hat sehr viel Substanz. Aber er ist, zumindest zu Beginn, noch sehr geradlinig. Außerdem liegt die meiste Zeit die Perspektive auf Sam, so dass wir mehr über seine Ängste und Wünsche erfahren, als über Frodos.

Bella, ok, abgehakt.

Aber was mir in dieser ganzen Diskussion aufgefallen ist: ihr nennt (Frodo mal ausgenommen) nur Charaktere, die in den letzten 10 -15 Jahren die Bühne betreten haben. Habt ihr das Gefühl, dass man wirklich davon ausgehen kann, dies wäre ein Phänomen, dass erst in den letzten Jahren aufgetreten ist? Denn Bücher mit flachen und hohlen Charakteren gab es schon immer, auch gerne als Verkaufsschlager (Stichwort Hohlbein und Marion Zimmer Bradley - auch wenn mich dafür einige schlagen möchten, es ist so, ihre Frauenfiguren sind beinahe alle durch die Romane hinweg austauschbar!)
Ich denke auch, wir müssen hier differenzieren zwischen unserer wesentlich kritischeren Wahrnehmung als Leser und Autoren und der "reiner" Leser, die lediglich Konsumenten sind. Sobald man beginnt, sich mit Charakteren auf einer anderen Ebene - nämlich der Erschafferebene - auseinanderzusetzen, empfindet man plötzlich Protas in Romanen ganz anders. Genauso geht es mit dem Plot, den Recherchen... Ich habe immer den guten Vergleich mit einer Freundin, die ebenfalls Buchhändlerin ist und sicherlich auch schon eine kritische Leserin, aber oft bemängele ich in Romanen Dinge, die ihr nicht einmal aufgefallen sind.
Persönliches Empfinden ist also ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Runaway am 09. Februar 2012, 14:16:07
Zitat von: Debbie am 09. Februar 2012, 13:37:13
Nochmal zur Definition von flach: Wenn ihr euer eigenes Leben mit der Ausgangsposition von Harry und Bella vegleicht, ist es denn dann viel aufregender, leidgeplagter?? Wenn ihr euch in deren Alter seht, ward ihr "tiefgründiger" und interessanter? Würdet ihr euch deswegen selbst als "flach" bezeichnen?
Nein, überhaupt nicht. Aber darum geht es nicht. Es geht doch darum, daß Protagonisten, die hilflos von der Story dahingetrieben werden, nicht viel taugen. Das beste Beispiel, das mir dafür einfällt, ist Eragon - der Junge ist bloß ein Spielball der anderen Figuren. Im zweiten Band hat "sein" Handlungsstrang mich null interessiert, dafür aber sehr wohl der seines Cousins, denn der Junge hat was drauf.

Oder eben Bella. Du sagst es hier selbst:
Zitat von: Debbie am 09. Februar 2012, 13:37:13
Der eigentliche Protagonist von Twilight ist eigentlich Edward; Bella wurde v. a. "designt" das, für den kaum vorhandenen Plot, passende Gegenstück zu sein.
Das kann es doch nicht sein?! Ich für meinen Teil lese doch keine Bücher, weil die Person, die eigentlich im Zentrum steht, nix drauf hat.
Wenn der eigentlich Protagonist in Twilight doch Edward ist, warum hat Frau Meyer dann nicht ihn ins Zentrum gerückt? (rein rhetorische Frage übrigens)

Nee, also da bin ich unverrückbar der Meinung: Gut ausgearbeitete Charaktere sind wichtig. Die müssen nicht so kantenreich sein wie Katniss in Panem, aber sie müssen stimmig sein. Glaubhaft. Sie müssen Tiefe haben. Sie müssen keine Übermenschen sein, aber ich mag diese Spielball-Protas nicht. Mir fällt auch absolut kein einziger plausibler Grund ein, warum ein Autor so einen erfinden würde - außer daß er es nicht besser konnte...
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Maran am 09. Februar 2012, 15:39:16
Meiner Meinung nach gibt es keine wirklich substanzlosen Charaktere. Im schlimmsten Falle sind sie einfach nur oberflächlich - und das ist eine Charaktereigenschaft.  ;)

Wenn ein Charakter in einem Werk nicht besonders "ausgeformt" herüberkommt, heißt das noch lange nicht, daß der Autor sich nicht mit ihm auseinandergesetzt hat. (Ich denke dabei gerade an Rowlings Aussage über Dumbledore.)

Die meisten Menschen lesen doch eigentlich, um unterhalten zu werden, um den Alltag zu vergessen etc., und ich vermute, daß sie sich dann nicht unbedingt mit den Ecken und Kanten des Protas auseinandersetzen, sondern einfach eine gute Geschichte lesen wollen. Je einfacher der Hauptchara ausgearbeitet ist, desto leichter fällt das Lesen, und umso besser wird der Leser von der Geschichte, so sie denn interessant ist, auch gefangen. Dieses Gros der Leser füllt die Bestsellerlisten. So einfach ist das. Die Bestsellerliste sagt nichts, absolut gar nichts, über die Qualität eines Buches aus. Sie zeigt einfach nur auf, daß viele Menschen dieses Buch gekauft haben. (Ob sie es dann auch lesen, läßt sich daraus allerdings nicht ableiten.  ;) ) Mir persönlich wäre HP entgangen, wenn es nicht in aller Munde gewesen wäre. Seltsamerweise war es meine Mutter, die das erste Buch kaufte, und mir davon vorschwärmte.  :hmmm: Harry hat mich lange Zeit nur angenervt, ich hätte ihn am liebsten aus dem Buch gezogen und ihm links und rechts was hinter die Ohren gegeben, damit er endlich mal erwachsen wird. Aber Snape fand ich einfach nur faszinierend.

An Harry Potter (und auch Frodo) erkennt man aber auch, daß die erfolgreichen Protas eben nicht "aktiv" sind, sondern einfach in die Geschichte hineingestoßen werden. Ich wage zu behaupten, daß die wenigsten "Helden" sich freiwillig und in vollem Bewußtsein dafür entscheiden. Sie sind von Natur aus eher passiv. Der Vergleich mit Frodo hinkt meiner Meinung nach auch ein wenig, da er (und jetzt pfannt mich, wenn ihr wollt, es wird nichts nützen  :P) nicht die wichtigste Person im Handlungsstrang ist.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Silvia am 09. Februar 2012, 16:08:29
Interessanter Thread. Mir ist beim Lesen auch so ein Gedanke gekommen:
Können diese schablonenhaften, "unbeschriebenen" Charaktere auch daher kommten, dass vor allem im Bereich Jugendbuch und Fantasy gern nach dem Plotmuster der "Heldenreise" gearbeitet wird?
Unbedarfter Jüngling vom Lande (Eragon ... irgs) stolpert in eine Situation, die für ihn noch zu groß ist, an der er wachsen und über sich hinauswachsen muss, um sie zu bezwingen. Dass dabei am Anfang leider immer so ein unbedarftes Kerlchen stehen muss, finde ich selber ziemlich grausig, aber es ist mir oft genug untergekommen beim Lesen. (Ob das vom Erfinder des Musters so gewollt ist, weiss ich nicht.) Neben diesem steht der Held dann natürlich als Identifikations- und Projektionsfigur für seine jugendliche Leserschaft ... wo soll man da also noch Ecken und Kanten unterbringen? Also macht man ihn massenkonform, gibt ihm höchstens die typischen, üblichen kleinen Schwächen (ein bißchen hitzköpfig, ein bißchen verfressen, ein bißchen naiv ... oder auch dämlich halt  ;D).
Leider verharren viele Charaktere trotz "Heldenreise" oft in dieser Position. Sie bewältigen dann zwar ihr persönliches Schicksal, aber irgendwie sind sie am Ende immer noch substanzlos. Nicht alle, aber viele.
Das wäre so meine Theorie.
Warum sonst bleibe ich denn auch ständig beim Freund/Gegenspieler des Helden hängen, wenn ich mir meine Sympathiefigur des Buches aussuche? Richtig - die Typen sind nicht der Identifikationspool, haben mehr Background und sind einfach interessanter.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Nirathina am 09. Februar 2012, 17:00:09
@ Moni:

ZitatHabt ihr das Gefühl, dass man wirklich davon ausgehen kann, dies wäre ein Phänomen, dass erst in den letzten Jahren aufgetreten ist?

Nein, aber ich persönlich kann das über einen längeren Zeitraum hinweg nicht beurteilen, da ich wohl schlicht und ergreifend zu jung bin, beziehungsweise nicht so viele "alte" Fantasy-Bücher gelesen habe. Aber du hast mit Sicherheit Recht, wenn du sagst, dass es nicht nur ein modernes Phänomen ist.

Zitat... Stichwort Hohlbein ...

Gutes Stichwort. Von Hohlbein hat mir bisher nur ein einziges Buch gefallen, wenn ich mal daran zurückdenke...
Aber der Mann schreibt auch schon recht lange, oder nicht? Und er schreibt ziemlich viel. Vor allem hat er nicht gerade einen Faible für weibliche Hauptfiguren, wie mir aufgefallen ist.


@ Maran:

ZitatDie meisten Menschen lesen doch eigentlich, um unterhalten zu werden, um den Alltag zu vergessen etc., und ich vermute, daß sie sich dann nicht unbedingt mit den Ecken und Kanten des Protas auseinandersetzen, sondern einfach eine gute Geschichte lesen wollen.

Du sagst es. Ich meckere ja selbst über hohle Protas, aber manchmal will man auch ein bisschen Ruhe beim Lesen haben, so dümmlich die Figuren auch scheinen  ;D
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Debbie am 09. Februar 2012, 17:23:26
ZitatEs geht doch darum, daß Protagonisten, die hilflos von der Story dahingetrieben werden, nicht viel taugen.

ZitatDas kann es doch nicht sein?! Ich für meinen Teil lese doch keine Bücher, weil die Person, die eigentlich im Zentrum steht, nix drauf hat

Die Charas haben das drauf, was sie drauf haben müssen um zu überstehen (meist, jedenfalls  :snicker:) und den Plot möglich zu machen. Ich sehe das auch eher so:

ZitatAn Harry Potter (und auch Frodo) erkennt man aber auch, daß die erfolgreichen Protas eben nicht "aktiv" sind, sondern einfach in die Geschichte hineingestoßen werden. Ich wage zu behaupten, daß die wenigsten "Helden" sich freiwillig und in vollem Bewußtsein dafür entscheiden. Sie sind von Natur aus eher passiv.

Dafür gibts keine Pfanne, sondern einen  :pompom:  Die besten Helden sind immer die, die sich nicht zum Helden berufen fühlen (Bescheidenheit ist eine Tugend  ;) ) Dumbledore sagt da auch mal was (im siebten Band glaube ich  :-\), von wegen, dass Verantwortung oftmals die am Besten tragen, die sie nicht gesucht haben - oder so ähnlich...  :versteck:
Und damit stimme ich völlig überein. Helden wider Willen sind einfach sympathischer, als jene die sich in den Vordergrund drängen und "HIER!" schreien - deswegen gibts davon wohl auch so wenige...

ZitatWarum sonst bleibe ich denn auch ständig beim Freund/Gegenspieler des Helden hängen, wenn ich mir meine Sympathiefigur des Buches aussuche? Richtig - die Typen sind nicht der Identifikationspool, haben mehr Background und sind einfach interessanter.

Stimmt, die anderen sind oft interessanter  ;) - der Prota ist halt nicht immer die Hauptperson, sondern manchmal auch einfach nur Erzählinstanz (siehe Watson und Holmes). Vielleicht haben manche Leser da an manche Geschichten einfach eine falsche Erwartungshaltung  ???
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Runaway am 09. Februar 2012, 17:27:27
Zitat von: Silvia am 09. Februar 2012, 16:08:29
Unbedarfter Jüngling vom Lande (Eragon ... irgs) stolpert in eine Situation, die für ihn noch zu groß ist, an der er wachsen und über sich hinauswachsen muss, um sie zu bezwingen.
Das wiederum finde ich völlig legitim, weil es eine Charakterentwicklung beinhaltet, die man als Leser miterlebt.
Im Englisch-LK hab ich mal den denkwürdigen Satz gehört: Wenn die Figur am Ende der Story immer noch dieselbe ist wie am Anfang, ist die Story Müll und es ist nix passiert. Das hab ich mir gemerkt...
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Kati am 09. Februar 2012, 17:32:20
Ich denke, man muss auch nochmal zwischen "platt" und "normal" unterscheiden oder eben dem, was man als normal bezeichnet. Ich habe nichts gegen Protas, die bis zum Einsetzen der Handlung ein völlig ruhiges unspektakuläres Leben geführt haben. Wenn sie Hobbies haben und auch mal was machen und nicht nur irgendwelche Vampire anschmachten, ist es völlig okay. Aber jeder Mensch hat irgendwas in seiner Vergangenheit, dass er bereut und das in gezeichnet hat und sowas weiß ich gern über Charaktere. Ich mag es auch nicht, wenn ich das Buch zuschlage und nicht sagen kann, was für einen Charakter der Charakter überhaut hat. Wenn der Prota immer nur an die Handlung angepasst wird, damit der Plot funktioniert, werde ich sauer. Das habe ich schon so oft gelesen. Wenn ein Prota zum Beispiel als tollpatschig beschrieben wird und über seine eigenen Füße stolpert und dann aber völlig ruhig ins Lager des Bösen schleicht ohne ein Geräusch zu machen, ist das so ein Fall.  :omn:

Ich versuche mittlerweile bei meinen Charakteren einen Mittelweg zu finden. Normale Teenager, aber meist mit irgendeinem Ereignis in der Vergangenheit, dass sie gezeichnet hat.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Erdbeere am 09. Februar 2012, 18:43:22
Zitat von: Dani am 09. Februar 2012, 17:27:27
Das wiederum finde ich völlig legitim, weil es eine Charakterentwicklung beinhaltet, die man als Leser miterlebt.
Im Englisch-LK hab ich mal den denkwürdigen Satz gehört: Wenn die Figur am Ende der Story immer noch dieselbe ist wie am Anfang, ist die Story Müll und es ist nix passiert. Das hab ich mir gemerkt...

Das hast du sehr schön gesagt und unterschreibe ich so direkt. :pompom:


Ich versuche, das jetzt mal aus meiner Sicht als reine Leserin zu sehen: Als Jugendliche mochte ich Figuren, in die ich mich hineinversetzen konnte, die also völlig durchschnittlich und normal waren wie ich selbst, dann aber ins kalte Wasser geworfen wurden und durch eine Geschichte mussten, derer sie anfangs nicht gewachsen waren. Wenn sie dann zu Helden wurden, wurde ich selbst auch eine Heldin. Das fühlte sich toll an. Heutzutage mag ich es verschrobener und kann mich sehr gut auf Charaktere einlassen, die eben nicht durchschnittlich und flach sind. Aber im Endeffekt kommt es immer noch drauf an, ob eine Figur mit der Geschichte wächst, die Herausforderung annimmt (ob bewusst oder unbewusst) und meistert, oder ob sie nur dahindümpelt und alle anderen machen lässt.

Als Autorin versuche ich nun natürlich, eine gute Mischung davon zu finden. Jeder von uns hat Ecken und Kanten, irgendeine Macke, die anderen total auf die Nerven geht. Meine Figuren sollen authentisch sein - nicht direkt verquer und mit der Hacke bearbeitet, dennoch mit ein paar rauen Stellen.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: HauntingWitch am 09. Februar 2012, 19:25:26
Zitat von: Moni am 09. Februar 2012, 13:51:08
Gerade Artus hat sich aber auch ein paar grobe Schnitzer geleistet, was ihn dann vielleicht wieder sympathisch machte... Ich sag nur: Inzest, Kind mit Schwester und ein paar andere Dinge, die dann letztlich zum Krieg geführt haben.

Okay, das stimmt zwar auch wieder...

Zitat von: Erdbeere am 09. Februar 2012, 18:43:22
Als Autorin versuche ich nun natürlich, eine gute Mischung davon zu finden. Jeder von uns hat Ecken und Kanten, irgendeine Macke, die anderen total auf die Nerven geht. Meine Figuren sollen authentisch sein - nicht direkt verquer und mit der Hacke bearbeitet, dennoch mit ein paar rauen Stellen.

Dem kann ich mich - trotz Heldenthese ;) - eigentlich nur anschliessen. Ich war total geschockt als meine erste Testleserin zu meinem Hauptchara gesagt hat: "Ja, nett." Nett? Einfach nur nett? Eigentlich wollte ich, dass er ein Mensch ist und nicht, dass er einfach nur nett ist. Mittlerweile ist er "ein bisschen arrogant" geworden. Gut.  ;D
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 09. Februar 2012, 20:37:30
Guten Abend,

ui, da ist ja einiges sehr spannendes zu dem Thema geschrieben worden.

Ich persönlich finde die Unterscheidung in Character-Driven und Plot-Driven auch sehr passend und einleuchtend. Vor allem, wenn ich darüber nachdenke, dass ich Bücher mit viel Action und rumgelaufe und hier und da nicht mag. Ich mag lieber Geschichten, die von den Charakteren leben. Ausnahmen gibt es natürlich. Und es gibt auch Bücher, die beides schaffen. Herr der Ringe zum Beispiel, auch wenn ich kein großer Fan des Buches bin. Aber die Charakterentwicklung ist wirklich genial gemacht, insbesondere was die Hobbits betrifft.
Das ist übrigens auch einer der größten Kritikpunkte, die ich an den Wolfgang und Heike Hohlbein-Büchern habe. (Die ich immer gern gelesen habe, früher.) Es findet keine besondere Chrakterentwicklung statt, die Charaktere sind hinterher fast genauso wie vorher. Vielleicht ist es auch diese Entwicklung, die den Charakter wirklich spannend macht und nicht seine Ecken und Kanten?

Auch die Unterscheidung in hohl und geradlinig finde ich übrigens einleuchtend. Wobei ja einige der Charaktere wirklich nur auszeichnet, dass sie das nötige Durchhaltevermögen haben. Vielleicht ist das aber tatsächlich genug und keine Frage von richtig oder falsch, sondern einfach von Geschmack. Trotzdem finde ich, wenn ich an einen Charakter denke, dann sollte mir doch etwas im Gedächtnis bleiben, was denjenigen auszeichnet und das sollte nicht nur das Durchhaltevermögen und die Willensstärke sein.

Wahrscheinlich ist es wie mit fast allem: Die richtige Mischung machts.

Und zu Twilight: Tja da muss ich wohl einsehen, dass es mir deshalb beim ersten Lesen so gut gefallen hat, weil ich mich selbst hineinversetzt habe und es mir gefallen hat, von Edward so umgarnt zu werden. ;D Dem zweiten Mal Lesen hält das allerdings nicht stand. Edward nervt mit seiner aalglattheit. Ein Beispiel das ich dazu noch anbringen möchte: Er hat mal Menschenblut getrunken, aber nur das von Verbrechern und macht sich deswegen völlig fertig. Hätte man das nicht auch differenzierter machen können oder wollen die Leser das wirklich so?
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Debbie am 09. Februar 2012, 20:53:40
ZitatEin Beispiel das ich dazu noch anbringen möchte: Er hat mal Menschenblut getrunken, aber nur das von Verbrechern und macht sich deswegen völlig fertig. Hätte man das nicht auch differenzierter machen können oder wollen die Leser das wirklich so?

"Die Leser" vielleicht nicht - aber man darf nicht vergessen, dass es ein Jugendbuch ist & sich an junge Mädchen wendet... Denen soll nicht suggeriert werden, dass es o.k. ist mit einem kaltblütigen Mörder zusammen zu sein  :hand:

Ich mag Twilight auch nach dem dritten Mal lesen noch; und finde es auch garnicht schlimm... Mich stört auch nicht, dass Bella so "abhängig" ist oder Eddie so glorifiziert - so ist die erste große Liebe halt oft  ::)  Auch der schwache Plot stört mich nicht - in dem Buch geht es um die ewige Liebe, und während man Bellas "Schwärmen" miterlebt, erinnert es einen an die eigene erste große Liebe  :wolke:  Es tut also, wozu es gedacht war - und einen anderen Anspruch hatte die Autorin auch nicht. Und, ich finde die Figuren sind gut gezeichnet, sowie die Emotionen schön plastisch beschrieben.

Aber wie gesagt: Geschmackssache. Ich kann nur einfach nicht leiden, wenn Leute etwas nicht gut finden, weil es "Mainstream" ist oder deswegen schon mit der entsprechenden Einstellung dran gehen... Das Buch hat viele Menschen berührt & fasziniert, irgendwas wird also schon dran sein  ;) Und generell finde ich man sollte weder Geschichte noch Autor in der Luft zerreißen, bevor man es selbst geschafft soviele Menschen mit dem eigenen Geschreibsel zu berühren. Lieber: Live and let live!
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Kati am 09. Februar 2012, 21:06:25
Zitat"Die Leser" vielleicht nicht - aber man darf nicht vergessen, dass es ein Jugendbuch ist & sich an junge Mädchen wendet... Denen soll nicht suggeriert werden, dass es o.k. ist mit einem kaltblütigen Mörder zusammen zu sein 

Das finde ich wieder... nicht so gut. Ich habe Twilight auch als junges Mädchen gelesen und ich wusste natürlich, dass es nicht okay ist, mit einem Mörder zusammen zu sein. Ich wusste aber auch sehr gut, dass es nur ein Buch ist und es eh keine Vampire gibt. Ich finde, man sollte Jugendlichen ruhig mal ein bisschen was zutrauen, die wissen selbst, dass Mord nicht okay ist und dass es keine Vampire gibt. Mir hätte Eddie damals als "echter" Vampir besser gefallen.

Noch dazu finde ich die Einstellung, dass es okay ist Menschen zu töten, solange es Verbrecher sind, noch viel beängstigender. Das ist nämlich das, was Meyer da suggeriert. Auch in ihrem Bree-Tanner-Spin-off töten die Vampire natürlich nur Verbrecher und Prostituierte.  :-\

Aber das geht jetzt total ins Off-Topic. Tut mir Leid.  :versteck:
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Dealein am 09. Februar 2012, 21:20:31
Zitat von: Kati am 09. Februar 2012, 21:06:25
Das finde ich wieder... nicht so gut. Ich habe Twilight auch als junges Mädchen gelesen und ich wusste natürlich, dass es nicht okay ist, mit einem Mörder zusammen zu sein. Ich wusste aber auch sehr gut, dass es nur ein Buch ist und es eh keine Vampire gibt. Ich finde, man sollte Jugendlichen ruhig mal ein bisschen was zutrauen, die wissen selbst, dass Mord nicht okay ist und dass es keine Vampire gibt. Mir hätte Eddie damals als "echter" Vampir besser gefallen.

Noch dazu finde ich die Einstellung, dass es okay ist Menschen zu töten, solange es Verbrecher sind, noch viel beängstigender. Das ist nämlich das, was Meyer da suggeriert. Auch in ihrem Bree-Tanner-Spin-off töten die Vampire natürlich nur Verbrecher und Prostituierte.  :-\

Irgendwie erschreckend, nicht? In vielen Büchern wird Mördern doch oft vergeben und am Ende gelten sie sogar nocht als sexy oder ähnliches. So a ala "Ja früher habe ich gemordet, ist aber vorbei. Jetzt bin ich gut." Ich weiß, ist total Off Topic, nur war gerade passend das anzumerken.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Erdbeere am 09. Februar 2012, 21:26:34
Um das OT weiter zu spinnen: Schaut euch mal "Dexter" an. Kerl mit dem Drang zu töten tötet nur Kriminelle. Held der Serie und verdammt cool. ;D Nur mal so am Rande.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Rigalad am 09. Februar 2012, 21:27:20
Zitat von: Dealein am 09. Februar 2012, 21:20:31
Irgendwie erschreckend, nicht? In vielen Büchern wird Mördern doch oft vergeben und am Ende gelten sie sogar nocht als sexy oder ähnliches. So a ala "Ja früher habe ich gemordet, ist aber vorbei. Jetzt bin ich gut." Ich weiß, ist total Off Topic, nur war gerade passend das anzumerken.

[OT]Das ist mir auch schon aufgefallen. Das war mein großes Problem mit dem vielgelobten Märchenerzähler von Antonia Michaelis. Es gibt Dinge, die müssen anders aufgearbeitet werden. Die kann man nicht einfach dadurch lösen, dass man jemanden liebt und dadurch alles verzeiht.[/OT]
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 09. Februar 2012, 21:42:55
Zitat von: Debbie am 09. Februar 2012, 20:53:40
Aber wie gesagt: Geschmackssache. Ich kann nur einfach nicht leiden, wenn Leute etwas nicht gut finden, weil es "Mainstream" ist oder deswegen schon mit der entsprechenden Einstellung dran gehen... Das Buch hat viele Menschen berührt & fasziniert, irgendwas wird also schon dran sein  ;) Und generell finde ich man sollte weder Geschichte noch Autor in der Luft zerreißen, bevor man es selbst geschafft soviele Menschen mit dem eigenen Geschreibsel zu berühren. Lieber: Live and let live!

Das war nicht meine Absicht und wenn dieser Eindruck entstanden ist, dann tut es mir leid. Ich habe ja ausdrücklich gesagt, dass viele der genannten Bücher zu meinen erklären Lieblingsbüchern gehören. Harry Potter gehört für mich in vielerlei Hinsicht zu den genialsten Büchern, die ich kenne. Besonders, was die Charaktere betrifft. Und gerade deswegen finde ich das ja so interessant. Auch Twilight hat immer noch Vieles, was ich mag, aber es gibt eben auch Kritik. Und die muss man auch äußern dürfen, wenn man selbst kein Bestseller-Autor ist.
Darum geht es mir in dem Thread hier aber gar nicht, sondern mir geht es mehr um die Mechanismen, die dahinter stecken. Warum funktioniert soetwas? Was daran spricht den Leser (in vielen Fällen ja auch mich) an.

Zum Thema Mörder und Vergebung: Genau das ist doch interessant, finde ich. Aber natürlich muss es glaubhaft sein, ein Mensch, der soetwas getan hat, trägt immer Spuren davon, da gibt es kein einfaches "und jetzt bin ich geläutert und wieder gut" und genau das ist es, was ich so spannend finde.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Debbie am 09. Februar 2012, 21:51:54
Um den Bogen wieder zurück zu den substanzlosen Charakteren zu spannen...  :hmhm?: (Nachdem ich ja bereits genug OT beigetragen habe  :versteck:)

Mörder sind oftmals interessante Charaktere - vielleicht, weil wir uns von der Andersartigkeit angezogen fühlen... Vielleicht aber auch, weil sie unsere "dunkle" Seite ansprechen, die ja jeder irgendwie hat. Die Einen mehr, die Anderen weniger  ;)

ZitatNoch dazu finde ich die Einstellung, dass es okay ist Menschen zu töten, solange es Verbrecher sind, noch viel beängstigender. Das ist nämlich das, was Meyer da suggeriert.

Das ist die durchschnittliche amerikanische Sichtweise; nicht umsonst gibt es da noch in vielen Staaten die Todesstrafe, und keine Demokratie richtet jedes Jahr mehr Menschen "im Namen der Gerechtigkeit" hin, als die USA.

Aber ich oute mich diesbezüglich auch als Hardliner - Todesstrafe für Kinderschänder, Seerienmörder und dergleichen, halte ich persönlich nicht für ein unverzeihliches Verbrechen; aber auch das ist natürlich Ansichtssache.

Zitat[OT]Das ist mir auch schon aufgefallen. Das war mein großes Problem mit dem vielgelobten Märchenerzähler von Antonia Michaelis. Es gibt Dinge, die müssen anders aufgearbeitet werden. Die kann man nicht einfach dadurch lösen, dass man jemanden liebt und dadurch alles verzeiht.[/OT]

Absolut richtig, aber Mord ist nicht gleich Mord. Es gibt durchaus Mörder mit denen ich sympathisiere, oder deren Beweggründe ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann... Jedenfalls habe ich noch keine Hauptfigur erlebt, die gleichzeitig Mörder und "flach" war (nach meiner Definition des Wortes).

@Alana: Oh Gott, nein! Du warst damit überhaupt nicht gemeint  :knuddel: - das war nur eine generelle Off-Topic Anmerkung, da es mitunter nervig ist, immer wieder von Kritikern zu hören, was für eine "Jungfrau in Nöten" Bella doch ist, wo da die Emanzipation bleibt, dass nur Teenager und Minderbemittelte sich für die Bücher interessieren, bla bla bla... Vielleicht bin ich einfach merkwürdig, aber ich habe mich bisher noch nie von einem Buch in meiner Emanzipation bedroht gesehen   :vibes:
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 09. Februar 2012, 22:02:46
@Debbie: Dann ist ja gut, ich bin nämlich auch gegen Mainstream-Bashing, weil ich selbst sehr empfänglich für Mainstream bin (nicht immer, aber schon oft.) ;D
Todesstrafe - ganz schwieriges Thema, da fange ich jetzt gar nicht an. (zu OT)

Ich gebe zu, dass ich bei dem Mörderthema auch meine Probleme habe. Ich möchte gerne genauso einen Charakter schreiben, aber ich kann nicht so extrem weit damit gehen, weil ich es dann nicht mehr glaubhaft machen kann und will, dass meine Protagonistin ihn noch liebt. Also muss man einen Mittelweg finden, der irgendwie noch akzeptabel ist. Und genau deswegen stelle ich mir genau diese Frage. Wie weit kann ich gehen bzw, kann man das überhaupt machen, oder stößt das den Leser ab? Schreiben werde ich es am Ende so wie es mir persönlich gefällt, aber diese Fragen finde ich trotzdem sehr interessant.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Debbie am 09. Februar 2012, 22:14:45
ZitatWie weit kann ich gehen bzw, kann man das überhaupt machen, oder stößt das den Leser ab?

Wenn Veröffentlichung für dich kein Thema ist, hast du absolute Narrenfreiheit  :snicker:
Ansonsten sieh es aus Sicht des Lesers - und da du mit einer Veröffentlichung ja auch ein gewisses Maß an Erfolg anstrebst, ist deine "Anfälligkeit" für Mainstream doch ein großer Vorteil. Du bist selbst ein "Durchschnittsleser" (wie ich übrigens auch), und kannst damit gut beurteilen, wo die Grenzen des Zumutbaren liegen  ;)
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 09. Februar 2012, 22:22:33
Veröffentlichung ist immer ein Thema, da bin ich ehrlich, aber ich will trotzdem das Buch erstmal so schreiben, wie es mir gefällt. Dann sehe ich weiter. Vor allem, weil genau dieses Thema der Auslöser für mich war, das Buch anzufangen.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Debbie am 09. Februar 2012, 22:31:24
Das hört sich spannend an - falls du mal auf der Suche nach Beta-Lesern bist...  ;)

In Orson Scott Card's "Character & Viewpoint" gibt es ein Kapitel darüber, wie man "unsympathische" oder auch "moralisch verwerfliche" Charaktere zu Sympathieträgern macht - vielleicht ist das ja was für dich?
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 09. Februar 2012, 22:39:16
Danke für den Tipp und für das Angebot.  :knuddel:

Ich werde jedenfalls in den Büchern, die ich lese, mal vermehrt darauf achten, wie sich Plot und Charaktere an Komplexität zueinander verhalten. Dieses Verhältnis finde ich nämlich sehr interessant.

Übrigens: Ich meinte mitnichten, dass ein gut ausgedachter Charakter 1000 Eigenschaften haben muss, unendlich viele Spleens und dergleichen. Sondern ich meinte, dass etwas an ihm ist, das im Gedächtnis bleibt, abgesehen von seiner Motivation, die Welt zu retten.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Runaway am 09. Februar 2012, 22:52:24
Zitat von: Debbie am 09. Februar 2012, 22:31:24
In Orson Scott Card's "Character & Viewpoint" gibt es ein Kapitel darüber, wie man "unsympathische" oder auch "moralisch verwerfliche" Charaktere zu Sympathieträgern macht - vielleicht ist das ja was für dich?
Ich hab schon erlebt, daß die das von selbst machen. Eine meiner stärksten Figuren, wie ich grad festgestellt habe, ist eine Borderlinerin mit multipler Persönlichkeit, die, um ihrer Opferrolle zu entfliehen, gemeinsame Sache mit einem Serienkiller macht.
Nein, höher gegriffen hatte ich da grad nicht vorrätig! ;D
Der Punkt ist: Die Frau ist komplett krank im Kopf. Total. Die macht Sachen... die sind nicht schön. Und trotzdem, als sie plötzlich vor meiner Heldin einen Switch hat und dann plötzlich die andere Persönlichkeit in Form eines verängstigten kleinen Mädchens vor ihr steht... da hat man Mitleid. Man versteht, wie es dazu kommen konnte.
Und das macht die Sache noch viel gruseliger.
Aber ich gebe zu: Es hat gedauert, diese Figur zu entwickeln. Ein Sympathieträger wird sie wohl nie, aber obwohl man sie hassen müßte, tut man es nicht. Ist auch ein echter Drahtseilakt!
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Judith am 09. Februar 2012, 23:26:09
Hm, ich habe das Gefühl, dass hier "substanzlose" bzw. "wenig charakterisierte" und "schwache" Figur teilweise gleichgesetzt wird.
So hat etwa Hohlbein in fast allen seinen Jugendromanen völlig substanzlose Figuren. Die könnte man alle wild durch die Romane tauschen und hätte kein Problem, weil die alle kaum Ecken und Kanten haben und immer einem bestimmten Typ entsprechen.
Wenn ich die jetzt mit der hier oft genannten Bella vergleiche ... Bella ist nervig und vom Verhalten her schwach, aber ich finde doch, dass sie recht klar charakterisiert ist. Dass sie sich treiben lässt, unemanzipiert ist und oft wenig eigenen Willen zeigt, macht sie noch nicht zu einer substanzlosen Figur.
Und umgekehrt können ja auch "starke" (sowie moralisch verwerfliche) Figuren sehr wenig charakterisiert sein.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Kraehe am 10. Februar 2012, 18:39:59
Zitat von: Judith am 09. Februar 2012, 23:26:09
Hm, ich habe das Gefühl, dass hier "substanzlose" bzw. "wenig charakterisierte" und "schwache" Figur teilweise gleichgesetzt wird.

Das habe ich mir auch gedacht, nachdem ich den Thread seit gestern gant gespannt mitverfolgt habe... Bella ist für mich ganz klar keine sympathische Figur. Und als Charakter nicht der Typ, mit dem ich wirklich was anfangen könnte, so in real. Aber sie kommt schon raus. Vielleicht etwas zu deutlich. Und viel zu schwach - das ist der Effekt, der dich dazu bringt, sie packen und schütteln zu wollen. Mich zumindest. Ich finde ziemlich unmöglich, wie sie da charakterisiert ist und was sie für ein Bild übermittelt.Aber das ist dann nochmal eine andere Geschichte.

Ich tendiere im Moment fast dazu zu sagen statt substanzlos gehört für mich eher ein 'schwache/unaufdringliche' Charaktere in den Titel. Oft habe ich eher den Eindruck, dass Point of Views an solche übergeben werden, weil das klar einfacher ist. Sie beobachten schön, spiegeln alles wider und können super Reporter spielen, weil sie selbst nicht wirklich aktiv was beitragen. Oder wenig.
(Und damit habe ich mich im letzten halben Jahr viel auseinander gesetzt, weil ich genau so eine hatte, die eigentlich nur da war, um zu erzählen und sich retten zu lassen...)
Wenn man anspruchsvollere oder stärkere Charaktere schreibt, ist das durchaus schwieriger, weil man nicht eifnach beobachtend erzählen kann. Und das ist ja im Zweifelsfall durchaus begrüßenswert für den Leser, der nicht viel nachdenken will bzw. ncht zu sehr zwischen Chara-Sicht und Objektiver Sicht unterscheiden müssen will, denke ich. Stärkere Charaktere stehen in ihrer Perspektive viel mehr im Mittelpunkt (oder manchmal im Weg), das erfordert ganz andere Herangehensweise. (Und dann ist man wieder bei plot- oder charadriven...)
Und in der Regel kann hinter so einem Chara auch viel stecken. Das ist dann auch schön, zu entdecken. Falls es mal durchkommt ::) Schwierig wird es m.E. mit so einem Chara aber, sobald dem x-beliebigen Leser auffällt, dass er zu passiv und zu wenig funktionell ist, als dass er eine Daseinsberechtigung hätte.
Zumindest bei den genannten Beispielen bisher ist das aber nicht so furchtbar, glaube ich, wenn man sich nicht gezielt mit Charas auseinandersetzt. Und dann funktionieren solche Geschichten für viele Leute ja auch gut.

Was ich mir aber auch als Frage gestellt hatte - viele von diesen Helden - Frodo, Harry, Sonea - die hier genannt wurden, entsprechen in gewissen Grundzügen einem gewissen Typ, finde ich. Und eine gewisse Geradlinigkeit, die vielleicht auch auf Zähigkeit als großer Eigenschaft aufbaut, braucht es für alle, damit sie in ihrem Umfeld funktionieren. Wenn man sich mal so Heldengruppen anschaut - hier sind ja schon oft die besten Freunde und Nebencharaktere genannt worden - dann findet sich in 'Bestsellerumkreisen' oft nicht nur ein Held, der einem gewissen Typ entspricht (der nicht zwingend substanzlos, vielleicht einfach blass ist), sondern auch eine ganze Konstellation um den Held. Seine Helfer, durch die er erst zum Held werden kann usw.
Da tauchen nicht nur klassische Figurentypen, sondern auch klassische Gruppierungen immer wieder auf. Scheint auch ein fuktionierendes Prinzip zu sein. :hmhm?:
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 10. Februar 2012, 20:55:43
ZitatIch tendiere im Moment fast dazu zu sagen statt substanzlos gehört für mich eher ein 'schwache/unaufdringliche' Charaktere in den Titel.

Hm, ja da könntest du recht haben. Was ich eigentlich meinte ist, dass sie keine Eigenschaften haben, die sie von anderen Charakteren dieser Art unterscheiden, keine Charakteristika, die hervorstechen. Das hat sich mir als substanzlos dargestellt, aber ich gebe zu, dass ich mich da ungenau ausgedrückt habe. Ich konnte es allerdings selbst nicht so recht einordnen, bis ich eure Beiträge gelesen habe. Bis hierher fand ich die Diskussion sehr spannend und ich sehe jetzt auch etwas klarer.

Was du über den Helden und die Konstellation sagst, finde ich auch interessant und auch sehr wahr, für viele Bücher. Harry gibt das ja sogar selbst ganz offen zu ;D und ich meine auch Frodo sagt einen Satz, den man so deuten kann.
Jetzt frage ich mich, ob es auch andersrum geht. Starker Prota, schwacher Sidekick.

Auskoppeln würde ich evtl. ganz gerne die Mörderdiskussion, ich bin mir nur nicht sicher, ob es das schon gibt oder ob wir da vielleicht im Bösewichter-Thread drüber diskutieren könnten.

Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Steffi am 10. Februar 2012, 22:15:33
Ich habe vor kurzem die Hunger Games Reihe von Suzanne Collins verschlungen und war völlig überrascht, wie kantig und eigenwillig die Hauptfigur ist (und das als Mädchen - die müssen doch oft bloß als nettes Love Interest herhalten). Katniss ist misstrauisch, launisch, hat keine interessanten Hobbies und kann kalt und manipulativ sein, und ich fand es großartig. Es hat mich fast gewundert, dass die Bücher trotzdem solche Bestseller geworden sind und die Antwort liegt wahrscheinlich einfach darin, dass Frauz Collins einfach wirklich ganz toll schreibt. Spannend von der ersten bis zur letzten Seite mit einem World Building, das mir vor Freude Tränen in die Augen treibt. Sie hat eine tolle Geschichte zu erzählen. Und Katniss, mit ihrer latenten Paranoia und Bindungangst, passt in diese Welt einfach gut rein.

Anderes Beispiel: Kvothe aus "Der Name des Windes" ist nun wirklich kein Sympathieträger aber auch hier liegt der Sachverhalt ähnlich: Patrick Rothfuss kann einfach zum Niederknien gut schreiben. Seine Welt ist so vielschichtig und interessant, dass es mir fast egal ist, wer mich dadurch führt :-)

Und: bei beiden Autoren kommen die Hauptfiguren mit ihren Maschen nur begrenzt durch. Ihre menschlichen Fehler machen sie verletzbar, und sie müssen durchaus die Konsequenzen ihres Tuns ertragen. Das macht sie wiederum sympathisch.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Franziska am 10. Februar 2012, 22:57:36
Ich denke, man wird immer Beispiele für beides finden. Und ich denke auch, dass es einen Unterschied zwischen normal (z.B: Harry) und charakterlos gibt. Bei Harry gibt es ja doch eine Menge, was ihn als Person auszeichnet.
Man muss sich eben fragen, für wen man schreibt. Ich merke gerade, dass es mich tierisch langweilt, wenn ich einen Chara habe, der zu normal ist. Ebenso langweilen mich Charaktere die mir selbst ähneln, was nicht daran liebt, dass ich mich selbst langweilig finde, sondern dass ich mich selbst eben kenne. Letztens ist mir aufgegangen, dass ich meine Probleme mit einem Text dadurch beheben kann, dass ich meine Chara mit mehr Persönlichkeit ausstatte. Ob das dann ankommt? Ich weiß es nicht. Aber es gibt ja durchaus viele Charaktere, insbesondere Ich-Erzähler in Jugendbüchern, die rotzfrech sind und den Leser gerade dadurch mitziehen, dass sie sich so ausdrücken, wie sie es sich selbst nie trauen würden.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Kraehe am 10. Februar 2012, 23:00:14
@Alana: *pro Mörder-Diskussion an anderem Ort*
Die Konstellationen - funktionieren wohl vielerorts einfach. Ein enorm starker Chara mit einem schwachen Anhängsel daneben ist auch irgendwann nervig, glaube ich. Ich glaube, dass der ganz schnell ganz viel Sympathie einbüßt. Oder aber dass sich alle über den Nebenchara aufzuregen anfangen ohne Ende. Ich schätze mal, es ist leichter (und spannender) von außen, bzw. aus 'milderer' Perspektive einen starken Chara zu betrachten, als aus seiner Perspektive jemand anderen. Geh ich nochmal drüber nachdenken... (aber ich würde sagen, dass da ganz schnell der Eindruck entsteht, die Nebencharas seien eben mal platt daneben gestellt worden, damit es nicht wie eine one-man-show aussieht, obwohl es so wirken wird.)

@Steffi: Ja, mit Kvothe wollte ich vorhin auch schonmal ankommen. Der Typ ist so ein starker Kerl und hat mich im zweiten Band sehr zu nerven angefangen. Das fand ich stark - weil sich alles trotzdem so gut lesen ließ (Rothfuss hat es wirklich drauf). Und weil mir vorher kaum so bewusst war, wie gut man ein Buch trotz/wegen einem so nervtötenden allwissenden alleskönnenden Charakter finden kann. Bis ich aber kapiert hatte, dass genau das Kvothe charakterisiert und zu ihm macht, habe ich auch ein wenig gebraucht. Dann fand ich das toll.
Aber solche Bücher - auch Panem, was ich bald lesen möchte - sind glaube ich, mal in Relation zu den anderen, die sich so als Bestseller finden, selten. Zumindest selten so bekannt und gefragt in der breieten Masse. Oder? (*Beispiele suchen geh*)
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Steffi am 10. Februar 2012, 23:05:55
@Krähe: ich würde jetzt mal die waghalsige Theorie anbringen, dass nur wenige Autoren so gut sind, dass sie eine an sich nervende, unsympathische Figur über hunderte von Seiten den Plot tragen lassen können, ohne die Leserschaft zu vergraulen. *versteck*

Du hast ja so Recht mit Kvothe. Aber ich find es toll, dass er mit seiner Art eben auch immer wieder auf die Nase fällt. Z.B. als ihm die Bibliothek wegen seiner Dummheit verschlossen bleibt.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Kraehe am 10. Februar 2012, 23:12:11
@Steffi: Da kann durchaus was dran sein. :hmmm: 

Kvothe könnte für meinen Geschmack öfter oder tragischer auf die Nase fallen, in Relation zu allem, das er mal eben mit Links meistert. Aber das ist dann eine andere Debatte :innocent:
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Alana am 10. Februar 2012, 23:59:27
@Krähe: Das mit der One-Man-Show könnte durchaus stimmen, da muss ich mal drüber nachdenken.

Panem zeichnet sich in meinen Augen in vielerlei Hinsicht als sehr ungewöhnlich aus. Ich fand das Ende toll (genauso, wie den gazen Rest), weil es zum Buch passt, weil die Charas einfach total kaputt sind, was nach dem was sie erlebt haben nur logisch ist. SC hat damit allerdings sehr viele Leser verprellt, die sich wohl ein richtiges Happy End erwartet hatten.
Katniss fand ich manchmal anstrengend, aber nicht im negativen Sinne. Es hat eben einfach mit dem Rest harmoniert.
Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Khalisa am 11. Februar 2012, 10:13:24
Ich klinke mich jetzt hier einfach mal ein, weil ich diese Diskussion gerade enorm spannend finde.
Momentan stehe ich nämlich genau vor dem Problem mir die Charaktere aus meinem Projekt anzusehen und noch einmal gründlich zu charakterisieren.
Festgestellt habe ich dabei, dass fast alle Nebenfiguren, insbesondere die mit antagonistischen Zügen, bedeutend besser durchdacht sind als meine Protagonistin.

Absicht war das nicht - es ist mir nur schlicht nicht aufgefallen. Ich überlege gerade woran das liegen könnte. Eine Vermutung ist es, dass (zumindest bei mir - Anfängerfehler?) meine Protagonistin gnadelos dafür gebraucht wird die Handlung zu tragen und sich in bestimten Situationen schlicht so verhalten muss, wie die Handlung / Romanidee das vorgibt.
- ich bin gerade dabei das zu überarbeiten!  ::)
Möglicherweise leiden gerade in Fantasy-Romanen Protagonisten unter diesem Problem?

Ich lese ja auch sehr gerne Krimis und da gibt es zur Zeit eher den Trend schrullige, sehr eigenbrötlerische Figuren zu verwenden. Teilweise tritt die Aufklärung eines Verbrechens sogar hinter die persönlichen Probleme der Hauptfigur zurück (z.B. bei Arnaldur Indridason)
In einem Fantasyroman, ich muss jetzt dazusagen, dass ich hauptsächlich High Fantasy lese, geht das nicht so einfach. Da muss immer ein großes Ganzes dahinter stehen (Weltrettung etc.)

Titel: Re: Substanzlose Charaktere - Der Bestseller-Geheimtipp?
Beitrag von: Maran am 11. Februar 2012, 12:15:25
Zitat von: Alana am 10. Februar 2012, 20:55:43
Jetzt frage ich mich, ob es auch andersrum geht. Starker Prota, schwacher Sidekick.

Ich glaube nicht, daß das wirklich funktionieren würde. Innerhalb einer Gruppe (und ich zähle jetzt einmal Helden + Sidekick + Leser als Gruppe) ist i.d.R. die Nummer 2 der Beliebteste. Aber letzten Endes kommt es wohl vor allem auf das Genre an.

Bella muß zwangsläufig eine schwache Figur sein, denn letzten Endes geht es darum, Eddie anzusabbern. Wenn Bella stärker wäre, dann gäbe es möglicherweise kleinere Eifersuchtsszenen zwischen ihr und der Leserin ... öhm ...  ;D. Ich sehe Bella einfach als Medium, durch dessen Augen man die Geschichte erlebt. One size fits all, wenn ihr versteht, was ich meine. Eigentlich ist da prinzipiell nichts gegen einzuwenden, wenn man die Masse der Leser erreichen will.