Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Franziska am 06. Dezember 2013, 18:28:32

Titel: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Franziska am 06. Dezember 2013, 18:28:32
Ich habe immer wieder das Problem, dass ich nicht weiß, wie ich Erinnerungen meiner Figuren in den Erzähfluss einbinden kann. Also die Figur reflektiert über sich selbst und die Vergangenheit. Es heißt ja immer, show don't tell. Deshalb habe ich bei so einer Stelle gerade das Gefühl, dass ich ganz schlechten Stil schreibe, wenn ich meine Figur einfach nur erzählen lasse, also es war so: damals ist das und das passiert und es ging mir so und so.
Andererseits finde ich, richtig gute Autoren zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie das gut können. Erzählen, besonders wenn es eine autobiographische Geschichte ist. Dann kann man leicht schreiben: als ich vier war ereignete sich dieses und jenes.
Bei einem anderen Roman habe ich es so gemacht, dass die Figur gar nicht daran denken will, was passiert ist, weil sie es verdrängt. Erst am Ende kommt es raus, sie erzählt es einer anderen Figur. Dadurch lässt sich Plusquamperfekt auch leicht vermeiden. Aber das passt nicht immer.
Eine andere Möglichkeit wäre, direkt in die Erinnerung zu springen. Dann wäre es eine Art Rückblende. Die man ja aber auch so schreiben könnte, als würde sie gerade passieren. Dann muss das nur deutlich genug sein.
Versteht ihr, was ich meine? Ich glaube, das klingt gerade etwas wirr. Also die Figur erinnert irgendetwas an das Ereignis und plötzlich ist sie mittendrin, sieht, hört und riecht genau wie in der Situation. So eine Art traumatisches wiedererleben. Aber das kann man auch nur machen, wenn es eben ein solches intensives Erlebnis war, dass es auch so in Erinnerung bleibt.

Aber die vorgeschlagenen Lösungen passen nicht immer. Habt ihr Beispiele, wie ihr es gelöst habt, oder wie andere Autoren es gut lösen?
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Klecks am 06. Dezember 2013, 18:43:40
Ich habe klecksige Angebote an dich. ;D

1. Generell ist das "bloße" Erzählen tatsächlich schwerer, als man denkt. Die Figur könnte also tatsächlich in einem inneren Monolog darüber reflektieren und ihre Gefühle in der Situation beschreiben.

2. Wenn es kein Flashback sein darf, lass die Figur davon träumen. Ich träume manchmal eine veränderte Version von Dingen, die ich erlebt habe, wobei gewisse Teile anders sind als das, was wirklich passiert ist. Nach dem Aufwachen könnte die Figur darüber reflektieren und etwas denken wie "Schade, dass es nicht so und so war, sondern so" oder "Ach, wie schrecklich war das, aber zum Glück war es in der Realität nicht so schrecklich, sondern eher so und so". Ich bin in diesen Träumen am selben Ort und mit denselben Personen wie in der Erinnerung, teilweise passiert dasselbe, aber es läuft immer auf ein anderes Ende hinaus.

3. Füge die Erinnerung der Figur aus der Perspektive eines Menschen ein, der Teil der Erinnerung ist. Vorausgesetzt natürlich, die Fgur mit der Erinnerung ist nicht allein und die Figur, aus deren Perspektive die Erinnerung an deren statt eingefügt wird, hat eine Bedeutung für die Handlung.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Franziska am 06. Dezember 2013, 18:50:46
Das mit dem Traum ist wirklich eine gute Idee. Ich persönlich träume eigentlich nie Sachen nach, die ich erlebt habe, aber meine Figur könnte das natürlich machen.
Die anderen Lösungen finde ich auch gut. Es geht nur schlecht, wenn man einen Ich-Erzähler hat, die Perspektive zu wechseln.
Ich will auch noch mal klar stellen, dass es nicht um ein bestimmtes Problem von mir gehen sollte, sondern generell um das Thema, da ich es ja in den Workshop gepackt habe.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Klecks am 06. Dezember 2013, 18:55:08
Freut mich, dass ich dir eine Idee geben konnte. Vor allem mit einem Ich-Erzähler wäre ein Traum natürlich gut geeignet, um intensives Wiedererleben zu ermöglichen.

Mir ist gerade noch eingefallen, dass die Figur auch ein Déjà-Vu erleben könnte - was intensiv und verwirrend sein kann, was sie in Panik verstetzt, was sie zum Reflektieren und daran Zurückdenken bringt, und so weiter.  :D

Oder, einem Déjà-Vu nicht ganz unähnlich: Sie begegnet einer Person, die sie an jemanden erinnert, der Teil der Erinnerung ist. Vielleicht ist es das Aussehen, vielleicht haben die Perosnen dieselben Macken und Angewohnheiten, machen oft dieselbe Geste oder Bewegung, benutzen oft dasselbe Wort, haben dasselbe Kleidungsstück oder dieselbe herausstechende Augenfarbe, haben ein ähnliches Lachen, Niesen, Grinsen ...  :)
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Janika am 06. Dezember 2013, 19:07:09
Im aktuellen NaNo-Roman haben zwei der Figuren ab und zu Erinnerungen. Der eine hat eh ab und zu die Perspektive, die andere kriegt dafür die Perspektive. Die Erinnerungen und inneren Selbstgespräche geben dem Leser (hoffentlich) einige Rätsel auf, erst später, als sie der Protagonistin davon erzählt, wird es wirklich aufgelöst.

Ansonsten bin ich auch eine Freundin von Träumen.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Kati am 06. Dezember 2013, 19:18:52
Ich finde, Erinnerungen sind immer ein toller Bestandteil von Romanen, weil sie Figuren oft mehr Tiefe geben und der Geschichte mehrere Ebenen, wo sonst bloß der Zeitpunkt wäre, zu dem wirklich erzählt wird. Ich finde aber auch, dass bei Erinnerungen immer ganz wichtig ist, dass die Erinnerung eine Bewandnis hat und die Geschichte voranbringt. Ich schreibe sehr gern Erinnerungen und ich mache das zum Beispiel bei längeren Abschnitten so, dass ich nach ein paar Sätzen einfach ins Präteritum rutsche. Das ist an sich ein Zeitfehler, aber es liest sich viel angenehmer, man muss nur aufpassen, dass deutlich ist, dass man sich noch in der Erinnerung befindet und nicht zurück in der Gegenwart. Einen anderen Weg richtige Flashbacks in die Erzählung zu mischen, sehe ich persönlich jetzt nicht. Was ich aber auch gern mache, sind schwammige Erinnerungen, wo nicht mehr alles da ist. Da kann man dann schön vage andeuten oder auch in spannenden Szenen, wo der Prota sich unbedingt erinnern muss, mit spielen. Aber wichtig ist, dass es nicht einfach eine Erinnerung aus dem Nichts ist oder einfach, weil einem gerade danach ist.

Wenn man sich erinnert, muss es immer einen Auslöser für die Erinnerung geben, irgendetwas, was einen daran erinnert. Und die Erinnerung muss entweder zum Figurenverständnis beitragen oder, noch besser, zum Plot. Wenn Prota sich in Kapitel drei erinnert, dass er als Kind mal gelernt hat, wie man mit Haarnadeln Türen öffnet und in Kapitel 7 muss er ein Türschloss öffnen, finde ich das immer sehr stimmungsvoll, dann kommt das Schlossknackertalent nicht so aus dem Nichts, sondern wurde schon angedeutet. Dafür sind Erinnerungen sowieso immer sehr gut geeignet, wenn etwas ansonsten sehr plötzlich kommen würde oder zu willkürlich wirken würde. Was ich zum Beispiel auch gern mag, ist Erinnerungen aufsplitten. Das habe ich gestern erst gemacht. Mein Prota geht über einen Platz, über den er schonmal gegangen ist und ich streue einfach alle paar Absätze ein, was auf dem Platz damals passiert ist. Dann hat man nicht einen langen Absatz bloß Erinnerung, sondern die Erzählung fließt gleichzeitig weiter und die Erinnerung wird zum Bestandteil der Erzählung und unterbricht sie nicht einfach.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Sprotte am 06. Dezember 2013, 20:07:32
Ich beginne oftmals mit einem Dialog, daß Person A mit Person B eine Erinnerung teilen möchte. Schreibe aber nur ein oder zwei Sätze direkte Rede und schließe dann mit einer Art Rückblende im Prätieritum an, in der ich A diese Erinnerung erneut erleben lasse.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Cailyn am 06. Dezember 2013, 20:12:22
Was Kati darüber schreibt, kann ich nur teilen. Die Einbindung in den Plot / die Situation scheint sehr wichtig zu sein. Je nach dem, was passiert, wähle ich dann auch die eine oder andere Form, um die Erinnerung zu zeigen.

So richtige Rückblenden wähle ich grundsätzlich nur bei längeren Szenen aus der Vergangenheit. Wenn Rückblenden nur ein paar Zeilen umfassen, wirkt der Text dann wenig flüssig oder unterbricht die Handlung zu stark. Es wird dann schwerfällig bis störend. In meiner aktuellen Fantasygeschichte machte ich gerade eben den Fehler, dass ich die Haupthandlung mit langen Rückblenden unterbrochen habe. Ich fand das zunächst eine tolle Idee, weil ich dachte, dass dies die Spannung im Text erhöht. Aber meine Betaleser fanden das dann nicht so wirklich toll.

Was ich gerne mag, sind direkte Gedanken einer Figur, ohne gross anzudeuten, dass es sich dabei um Gedanken handelt. Also nicht Sätze, die dann mit [Komma]dachte er enden. Meistens ist ja eh klar, wer am Denken ist.

Woran ich auch immer mehr Gefallen finde, sind kurze Gedanken während eines Dialogs, die etwas über die Vergangenheit der Figuren aussagen. Dies könnte z.B. sein, wenn zwei Figuren in ein Streitgespräch verwickelt sind und der Protagonist sich daran erinnern soll, was früher zwischen ihnen vorgefallen ist. In einem solchen Gespräch kann man ja sehr gut Erinnerungen an Vergangenes mit reinnehmen. Und die beste Mischung von Dialog und Gedachtem ergibt sich oft, wenn das Gesagte und Gedachte weit auseinanderklaffen  ;D.

Häufig nutze ich auch Sinneswahrnehmungen als Überleitung zu einem Erinnerungsfetzen. Da erinnert halt ein kross gebratenes Schnitzel an die eigene Oma oder das Tosen des Meeres an die Klospülung im Schulzimmer. Naja, ok, das sind jetzt blöde Vergleiche, aber du weisst sicher, was ich meine.

Gut finde ich auch, wenn man das "show don't tell" in die Erinnerung mit einbezieht, ja, es vermischt. Als Beispiel: Der Prota schüttelt jemandem fest die Hände und ihm fällt dabei auf, dass derjenige noch immer so schwielige Haut hat wie vor zwanzig Jahren, als seine Frau ihn wegen eines Jüngeren hat sitzen lassen. So in der Art... ;)
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Coppelia am 06. Dezember 2013, 20:13:56
Ich finde nicht, dass man "Rückblenden" nur bei traumatischen Erinnerungen anwenden kann. Generell ist jede Erinnerung dafür geeignet, und wenn man sie plastisch schildert, bereichert sie die Geschichte.
So, wie eine Erinnerung einer Person in den Kopf schießt, kann man sie auch schildern. Das ist doch ein Fall von "show, don't tell". Man muss es nur entsprechend schreiben - anschaulich, nicht erzählend.
Anstatt "Als er an der Schule vorbei ging, erinnerte sich Fritz an seine Schulzeit. Er war immer sehr ungern zur Schule gegangen."
sowas wie
"Sobald Fritz das Schulgebäude nur aus der Ferne sah, meinte er das muffige Klassenzimmer wieder zu riechen und die Stimme des Lehres zu hören, die in seinen Ohren dröhnte, ohne dass er ein Wort verstand. Ständig waren seine Hände unter dem Tisch feucht gewesen aus Angst vor der Hausaufgabenkontrolle. Zum Glück war diese Zeit längst vorbei."

Vielleicht nicht das beste Beispiel, aber ich hoffe, was ich meine wird deutlich.

Dialoge sind ohnehin immer eine sehr gute Methode, Informationen zu vermitteln.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Tanrien am 06. Dezember 2013, 20:21:38
Ich glaube, ob Erinnerungen funktionieren, hängt mehr von der Stelle ab, an der sie in der (Szenen-)Handlung stehen, als davon, wie und in welchem Stil sie geschrieben sind. Ich habe gerade mal in Kraken von China Miéville reingeblättert, weil das das letzte Buch war, was ich gelesen habe, wo mir der Schreibstil bewusst geworden ist und ich gedacht habe, dass es mir gefällt, wie er es macht. In den Teilen, die ich jetzt finden konnte, baut er Erinnerungen auf zwei Arten ein:

Einmal in dem, was ich im Scene-Sequel-Muster "Sequel" nennen würde. Also, die Charaktere haben eine längere Unterhaltung und/oder Szene in einem Nicht-Action-Teil, sondern dessen "Szene" mehr dazu dienen soll, die nächste spannende Szene vorzubereiten. (Also ein Sequel.) Dann baut Miéville dort ein paar Erinnerungen rein, z.B. ganz vom Anfang:
Zitat"Billy noticed the young man [Beschreibung des jungen Mannes].
[Beschreibung der normalen Besucher als Aufzählung der Arten.]
And there were the obsessives.
[Erinnerung, wie Billy mit seinem Freund über die Besucher, vor ein paar Tagen, gesprochen hat.]
[Kurze Szene in der Gegenwart, der Sprung wird nur über den Inhalt deutlich, Billy wird von einem Kollegen bei seinem Spitznamen "Tubular" genannt]
'Tubular?' Billy could see one or two of his escortees wondering if they had misheard.
[Zwei laaaange Absätze darüber, wie Billy den Spitznamen damals bekommen hat, kein Dialog.]"
Dann ist die Szene zuende, ein paar Leerzeilen und es geht normal in der Gegenwart weiter.

Außerdem hat er ganze Rückblenden, schlicht reingesetzt, in denen ein Charakter und sein Hintergrund in einer prägnanten Szene/einem Kapitel beleuchtet werden. Fängt an mit "For the bulk of her tween and teens, most of Kath Collingswood's teachers had either been indifferent or mildly apathetic to her. One man, her biology teacher,  had more actively disliked her." Was ja schon etwas darüber sagt, wie der Rest der Szene aussieht. Die Szene ist durchgehend gestaltet, keine Leerzeilen/Brüche/Szenenwechsel und erzählt die eine Szene/Erinnerung des Charakters, dann kommt ein Bruch und die Erinnerung/Rückblende geht weiter, aber allgemeiner, nicht als Szene aus der Vergangenheit, und endet dann in zwei Absätzen mit der Gegenwart:

"In the case of the alarm system she had installed in Billy's doorway [...] But then that perfectionist would not have been alterted when intruders removed Billy [...] as Collingswood, lurching awake and for several moments confused, her heart gonging and an arching in her ears, was."

Dann kommt ein neues Kapitel (das beschriebene war zwei drei Seiten lang und praktisch nur Erinnerung), wo wir erfahren, wie es dem ja gerade entführten Billy geht.

Das ist natürlich jetzt ein spezieller Stil - wenn man 'direkter' schreibt, also weniger deutlich diese auktoriale Tendenz drin hat, wo der Leser zumindest sieht, dass es konstruiert ist, ist die Einbindung so vielleicht nicht so geeignet? Aber ich finde das ganz cool, vor allem dieses Szenenspringen, ohne wirklich den POV zu wechseln. Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben soll... Die meisten kennen ja sicher den Pratchett-Stil vom Aufbau des Textes, dass es immer wieder Leerzeilen und dann eine andere Szene gibt, mit einem Bruch davor, und in dieser neuen Szene geht es jetzt kurz um etwas allgemeines oder um einen anderen Charakter, und das zieht sich durch das ganze Buch. Wenn man aber bei der gleichen Handlung bleibt, bei den gleichen Charakteren und es nur fragmentiert aufbaut/schreibt. Machen ja viele Autoren, nicht nur Miéville.

Das Beispiel hab ich jetzt nur gebracht, um zu zeigen, dass auch das einfache Reinwerfen ja gut funktioniert und ich es schöner finde, das an einem tatsächlichen Textstück zu betrachten. Natürlich ist auch Miévilles Stil nicht das nonplusultra, aber das wichtigste ist, dass es funktioniert - die Rückblenden/Erinnerungen stören nicht, passen zum Rest.

Von daher ist gerade für den fragmentarischen und auch leichter von den Charakteren distanzierten Stil die Lösung sicher unproblematisch und man kann Erinnerungen einfach reinschmeißen, sobald ein Moment Downtime eintritt. Leider hab ich kein Beispiel zur Hand, wo es mir aufgefallen ist, wie es bei einem Stil, der näher am POV Charakter ist, gehandhabt werden kann. Ich kann da vielleicht mal bei den nächsten Fanfiktions, die ich lese, drauf achten, da sollte das einfach zu finden sein.

Zum ersten Beispiel hat jetzt in der Zwischenzeit Cailyn was geschrieben, zumindest ein bisschen:

Zitat von: Cailyn am 06. Dezember 2013, 20:12:22
Gut finde ich auch, wenn man das "show don't tell" in die Erinnerung mit einbezieht, ja, es vermischt. Als Beispiel: Der Prota schüttelt jemandem fest die Hände und ihm fällt dabei auf, dass derjenige noch immer so schwielige Haut hat wie vor zwanzig Jahren, als seine Frau ihn wegen eines Jüngeren hat sitzen lassen. So in der Art... ;)

Das mag ich auch, wenn ich weiß/annehmen kann, dass es später trotzdem nochmal aufgearbeitet wird - auch emotional für mich als Leserin; entweder in der Action und der Nachbereitung; oder in einer längeren Erinnerung. Nur das als Hinweis allerdings, da wäre ich enttäuscht. Bei Miéville beschreibt er da ein bisschen mehr und unterbricht für einen Absatz dann auch die normale Handlung, da hält sich das dann in Grenzen, weil dieser Teil meistens ausreicht.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Umbra et Luminis am 06. Dezember 2013, 20:23:41
Das ist ja ein Zufall. Genau jetzt, wo ich eine Schreibpause vor einer Erinnerungsszene einlege, fliegt mir dieser Thread entgegen.  :)

Ich handhabe es in diesem Projekt z. B. so, dass mein Protagonist einen schon recht ausdrücklichen Charakter aufweist. Immer wieder kommen in gewissen Situationen Fetzen an Erinnerungen dazu, wage Sehnsüchte, Wünsche und Andeutungen, wenn ich aus seiner Perspektive schreibe. Er sieht etwas und es erinnert ihn dann z. B. lediglich "an das Puppenhaus der Nachbarstöchter" oder sowas. Mehr bedarf es gar nicht. Die Haupterinnerung kommt später.
Nun habe ich die Situation böse eskalieren lassen und der ungute Protagonist wird in seiner Situation alleingelassen. Eine richtig mistige Situation. Erst da beginnt er einsam und alleine nachzudenken, kramt in seinem Gedächtnis und erinnert sich an die Grundpfeiler, die es haben so weit mit ihm kommen lassen. Der arme Kerl ...
Der Leser wird nach dieser dramatisch eingeleiteten Innensicht und dem ganzen Vorbau wesentlich mehr verstehen, warum der Gute ist, wie er ist. Ob er sich ändern kann und wird, ist die Frage, die zurückbleibt. Diese Erinnerungen sind jedenfalls dringlichst von Nöten, um den Charakter tiefer darzustellen und mögliche Antisympathie in Sympathie umschlagen zu lassen. Ohne diese Erinnerungen ginge es nicht.

So handhabe ich das gerne. Immer mal wieder Andeutungen einstreuen, dramatisch steigern und wenn die Soße richtig am Dampfen ist, dann kommt sozusagen eine Schlüsselerinnerung. Wichtig ist, dass es bis zu diesen Schlüsselerinnerungen immer mal wieder vorbereitende Elemente im Text gibt. Es darf nie hopplahopp erscheinen, sondern so, als wäre es wirklich ein fester Bestandteil des Charakters.

Träume mag ich persönlich nicht so gerne und nutze sie wirklich nur, wenn es gar nicht anders geht. Einen Traum einzustreuen wirkt für mich (das ist nur meine persönliche Meinung) immer etwas willkürlich. So, als hätte es eben keinen besseren Weg gegeben. Das denke ich auch als Leser. Einen Traum würde ich vielleicht als wages vorbereitendes Element nutzen, aber nicht für die Schlüsselerinnerungen.

Zitat von: Cailyn am 06. Dezember 2013, 20:12:22
Gut finde ich auch, wenn man das "show don't tell" in die Erinnerung mit einbezieht, ja, es vermischt. Als Beispiel: Der Prota schüttelt jemandem fest die Hände und ihm fällt dabei auf, dass derjenige noch immer so schwielige Haut hat wie vor zwanzig Jahren, als seine Frau ihn wegen eines Jüngeren hat sitzen lassen. So in der Art... ;)
Ja, so handhabe ich das auch oft als vorbereitendes Element.  :)
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Manja_Bindig am 07. Dezember 2013, 04:01:40
Hm. Wenn es etas Längeres und detailierteres ist, bemühe ich mich, den Gedankenprozess anzusetzen und dann eine Möglichkeit zu finden, ein Flashback einzubauen. Vielleicht träumt der Chara von dem, woran er sich erinnern muss. Oder lässt sich hypotisieren. (Bei Träumen versuche ich, auch im Flashback-Modus eine "traumhafte" Sprache zu behalten). Prinzipiell lass ich die nie länger als vielleicht zwei, drei Normseiten werden.

Sind es einzelheiten, Szenen, etc., die bruchstückhaft hochkommen, binde ich das in das Erzählte Geschehen ein (der Chara macht Kaffee, denkt dabei an ein letztes Gespräch mit dem toten besten Freund, ruft sich vielleicht in Erinnerung, wie er aussah, wie es ihnen beiden ging.)
Andere Szene, Chara macht was anderes, erinnert sich an ein anderes Detail aus dieser Erinnerung.

Wenn es den Chra beschäftigt schweifen die Gedanken immer wieder da hin - wie sehr ihn das im Alltag behindert, hängt von ihm ab.

Oder der Chara muss erzählen woran er sich erinnert - das kann insofern interessant sein, wo die Schwerpunkte gesetzt werden.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Fianna am 11. Dezember 2013, 22:53:09
Ich habe gerade ein positives Beispiel im ersten Band der Krimiserie "Mitchell & Markby" von Ann Granger wieder gefunden.
Die weibliche Hauptfigur ist Diplomatin auf Heimaturlaub ohne engere Bindungen. Sowohl ihre Unabhängigkeit und Bindungsscheuheit als auch der Grund für ihre Berufswahl und der Mordfall hängen mit einer unglücklichen Liebesbeziehung zusammen.
Die Natur dieser Beziehung stellt sich erst nach und nach heraus (Schwärmerei, einseitige Liebe, Kummerkasten, beidseitige Liebe); fest steht nur, dass es schmerzliche Erinnerungen sind, die die Prota verdrängt.
Über den Roman verteilt gibt es immer wieder Erinnerungsfetzen, die von aussen ausgelöst werden. Diese inneren Gedanken (kein Monolog, es sind nur wenige Sätze) geben Aufschluss über den emotionalen Stand der Prota, aber auch weitete kleinere Informationen.

Der Leser wird häppchenweise gefüttert und es setzt sich langsam wie ein Puzzle zusammen.
Das hat mir extrem gut gefallen, besser als Flashbacks oder andere Dinge, die hoer angesprochen wurden.

Natürlich ist es ein bestimmtes Genre mit bestimmten Setting und bestimmten Figuren; es kann bei anderen Projekten genau die falsche Methode sein.

Da ich diesen Tipp nirgends bisher sah, wollte ich es aber ergänzen.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: FeeamPC am 12. Dezember 2013, 01:16:29
Träume sind gefährlich, wie oben schon angesprochen wirken sie auf den Leser oft wie der letzte (und meist unzureichende) Versuch des Autors, Informationen zu streuen.
Und zwar deswegen, weil wir alle (und auch alle unsere Leser) verdammt genau wissen, wie wenig man sich an einen Traum normalerweise erinnert.
Alpträume durch traumatische Erinnerungen sind davon ausgenommen.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Thaliope am 12. Dezember 2013, 08:45:12
Also, a) finde ich immer noch nicht, dass Erzählen schlechter Stil ist. Schlecht Erzählen ist schlechter Stil. Ich glaube inzwischen fast, dass diese Einstellung auf eine zu enge Übersetzung des Sol Stein'schen "tell" zurückzuführen ist, das ja nicht nur "erzählen" im engeren Sinne bedeutet, sondern auch platt "sagen", "benennen", "erklären" und so.
Wie man nämlich an Coppis Beispiel so schön sieht, kann man auch sehr plastisch erzählen, quasi zeigend erzählen. Demnach würde ich "Show, don't tell" vielleicht neu übersetzen mit: Sag mir nicht, dass da ein Baum steht, zeig es mir. Und das kann man auch in einer erzählenden Passage und damit auch in einer Erinnerungg, finde ich: Erzähl es mir so, dass ich es sehen kann.

Und b) sehe ich keinen Grund, warum man nur die Erinnerungen plastisch beschreiben können sollte, die auch im Kopf der Person noch ganz besonders lebendig sind (also die Beschränkung auf Traumatisches). Die Einschränkung würde ich bei einem Ich-Erzähler akzeptieren, weil der Leser da nur das mitbekommt, was auch die Figur im Kopf hat, okay. Aber ein außenstehender Erzähler weiß alles, was für die Geschichte wichtig ist. Der kann die Erinnerungen der Figur plastischer darstellen, als sie selbst sie im Kopf haben muss.

Und c) bin auch ich skeptisch, was den Traum als "Lösung" für ein solches Problem angeht. Ich denke, Träume sollte man dann einbauen, wenn man wirklich einen Traum einbauen will, nicht, wenn man eingentlich eine Erinnerung einbauen will. Sonst wird das Traum-Elemennt schnell überstrapaziert und unglaubwürdig.

Den Punkt, dass es einen Auslöser für die jeweilige Erinnerung geben muss, finde ich gut. Die Figur sieht, riecht, hört irgendetwas, und dadurch wird die Erinnerung ausgelöst. (Ganz berühmt natürlich der Geschmack der Madeleine in Prousts Suche nach der verlorenen Zeit :))
Bei längeren Passagen in der Vergangenheit kann man übrigens oft auf das Plusquamperfekt verzichten. Oft wird es so gehandhabt, dass der erste und letzte Satz im Plusquamperfekt geschrieben wird und alles dazwischen in der normalen Erzählzeit. (Aber da musss man auch immer gucken, ob das passt. Schwierig ist es immer dann, wenn zwischendurch Bezüge zur Gegenwart der Figur gezogen werden.)

LG
Thali

EDIT: Noch ein Nachtrag: Ich hab gerade nochmal gelesen, dass du auch explizit nach dem Ich-Erzähler gefragt hast. Aber auch da, muss ich nach nochmaligem Drübernachdenken sagen, sehe ich eigentlich kein Problem darin, wenn dieser sich sehr plastisch erinnert, ohne dass es jetzt ein traumatisches Erlebnis sein muss. Schließlich erzählst du eine Geschichte, und die Erinnerung ist ein Teil dieser Geschichte. Für mein Empfinden ist es da gar nicht wichtig, dass man sich in der Realität an vieles nicht so hundertprozentig genau erinnern kann. (Das gilt ja eigentlich auch für die aktuelle Erzählzeit: Der Ich-Erzähler erzählt ja meist in der Vergangenheit, und eigentlich wäre es da ja auch unwahrscheinlich, dass er sich so detailreich, bunt und lebendig an alle Gegenheiten und Wortlaute erinnern kann. Aber das ist eben die Geschichte.)
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Fianna am 12. Dezember 2013, 09:55:23
Ich kenne als Übersetzung von 'show, don't tell' auch nicht "zeigen statt beschreiben (erzählen)" sondern "zeigen statt behaupten" .
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Thaliope am 12. Dezember 2013, 09:59:46
Zitat von: Fianna am 12. Dezember 2013, 09:55:23
Ich kenne als Übersetzung von 'show, don't tell' auch nicht "zeigen statt beschreiben (erzählen)" sondern "zeigen statt behaupten" .

Jaha, das ist schöner, danke.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Franziska am 12. Dezember 2013, 19:02:09
@Thali: mit der Übersetzung hast du wohl recht. Erzählen muss man ja irgendwie.


Zum plastischen der Erinnerung: stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, dass der Ich-Erzähler das ja eigentlich alles in der Vergangenheit erzählt.  :hmmm:

Bei der Szene, wo ich gestolpert bin, das macht dann vielleicht das show dont tell noch mal deutlicher, war es gar nicht so sehr eine einzelne Erinnerung, die ich schildern wollte, sondern eigentlich wollte ich die Figure erklären lassen, was in einem längeren Zeitraum passiert ist. Warum sie jetzt da ist, wo sie ist und welche Ereignisse dazu geführt haben. Ich habe es so gemacht, dass ich immer wieder Hinweise gestreut habe, was passiert sein könnte, so dass man sich die grobe Geschichte zusammenreimen kann. Dann sollten die Erinnerungen an die teilweise traumatischen Erfahrungen Stück für Stück hervorkommen. Ich habe dann aber angefangen, die ganze Geschichte nachzuerzählen und da kamen überhaupt keine Emotionen rüber. Ich habe das oft so gelesen, bei Romantasy-Büchern. Die ersten zwei Seiten stellen die Figur vor, so: XY war gerade in die Stadt gezogen. Vorher hatte sie in Z gelebt und als X gearbeitet. Dann wollte sie vor ihrem nervenden Ex fliehen und nun fand sie sich in B wieder und arbeitete in D.
Das ist jetzt nicht unbedingt eine Erinnerung, eher die Biographie der Figur. Das finde ich nicht so schön, vor allem, wenn es einfach nur runtergeschrieben wird, ohne dass es plastisch wird.
Deshalb habe ich mir gedacht, besser ich zeige, wo die Figur steht und was früher passiert ist, indem ich eben bestimmte Erinnerungen aufblitzen lasse.

Eigentlich finde ich jetzt, ein Traum wäre eine gute Lösung dafür. An einen Alptraum kann man sich ja meistens recht gut erinnern. Und es wäre auch nicht aus dem nichts heraus. Die Figur hat gewissermaßen eine Prüfung verhauen und jetzt träumt sie davon, wieder eine Prüfung zu verhauen. Würdet ihr da auch sagen, es ist ein schlechter Trick, sie sich so an das Ereignis erinnern zu lassen?
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Klecks am 13. Dezember 2013, 15:59:29
Ich finde, das ist kein schlechter Trick, sondern das Gegenteil, nämlich sehr plausibel. Je traumatischer deine Prota das erlebt hat, umso plausibler sogar. Ich habe meine Mathe-Prüfung in der Realschule gerade so bestanden, ein Punkt weniger und ich hätte es nicht geschafft. Selbes Spiel beim Abi: ein Punkt weniger und alles wäre versaut gewesen. Glaub mir, ich träume davon, und das Wort "Prüfung" reicht aus, um bei mir Panik und Albträume auszulösen. :gähn:
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Thaliope am 13. Dezember 2013, 16:15:30
Zitat von: Franziska am 12. Dezember 2013, 19:02:09
@Thali: mit der Übersetzung hast du wohl recht. Erzählen muss man ja irgendwie.


Zum plastischen der Erinnerung: stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, dass der Ich-Erzähler das ja eigentlich alles in der Vergangenheit erzählt.  :hmmm:

Bei der Szene, wo ich gestolpert bin, das macht dann vielleicht das show dont tell noch mal deutlicher, war es gar nicht so sehr eine einzelne Erinnerung, die ich schildern wollte, sondern eigentlich wollte ich die Figure erklären lassen, was in einem längeren Zeitraum passiert ist. Warum sie jetzt da ist, wo sie ist und welche Ereignisse dazu geführt haben. Ich habe es so gemacht, dass ich immer wieder Hinweise gestreut habe, was passiert sein könnte, so dass man sich die grobe Geschichte zusammenreimen kann. Dann sollten die Erinnerungen an die teilweise traumatischen Erfahrungen Stück für Stück hervorkommen. Ich habe dann aber angefangen, die ganze Geschichte nachzuerzählen und da kamen überhaupt keine Emotionen rüber. Ich habe das oft so gelesen, bei Romantasy-Büchern. Die ersten zwei Seiten stellen die Figur vor, so: XY war gerade in die Stadt gezogen. Vorher hatte sie in Z gelebt und als X gearbeitet. Dann wollte sie vor ihrem nervenden Ex fliehen und nun fand sie sich in B wieder und arbeitete in D.
Das ist jetzt nicht unbedingt eine Erinnerung, eher die Biographie der Figur. Das finde ich nicht so schön, vor allem, wenn es einfach nur runtergeschrieben wird, ohne dass es plastisch wird.
Deshalb habe ich mir gedacht, besser ich zeige, wo die Figur steht und was früher passiert ist, indem ich eben bestimmte Erinnerungen aufblitzen lasse.

Eigentlich finde ich jetzt, ein Traum wäre eine gute Lösung dafür. An einen Alptraum kann man sich ja meistens recht gut erinnern. Und es wäre auch nicht aus dem nichts heraus. Die Figur hat gewissermaßen eine Prüfung verhauen und jetzt träumt sie davon, wieder eine Prüfung zu verhauen. Würdet ihr da auch sagen, es ist ein schlechter Trick, sie sich so an das Ereignis erinnern zu lassen?

Okay, ich glaube, jetzt weiß ich, was du meinst. Gelungen finde ich solche "Zusammenfassungen des bisherigen Geschehens" oft, wenn sie lakonisch, auf den Punkt und vielleicht auch ein bisschen witzig formuliert sind - so kenn ich das oft aus der Romantasy. Wenn es nicht witzig sein soll, ist das natürlich nochmal eine größere Herausforderung. Ich denke schon, dass man das hinkriegen kann, wenn man genau auf die Wortwahl achtet und vor allem konkrete Begriffe statt abstrakter verwendet, die Bilder hervorrufen können.

Und wenn es wirklich einen Grund für den Albtraum gibt, spricht für mich auch nichts dagegen. Nur als reines Mittel zum Zweck würde ich den Traum nicht benutzen wollen, da ist sein Ruf ja schon ein bisschen angekratzt. Ob es letztendlich überzeugend oder konstruiert wirkt, werden dir wohl erst deine Betas sagen können :)

GLG
Thali
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Cailyn am 13. Dezember 2013, 16:38:53
Franziska,
Die Idee mit dem Traum ist für diesen Kniff sicherlich sehr passend. Schön wäre auch, wenn der Prota nach dem Traum jemandem zum Reden hat. So können auch noch Unklarheiten, die der Traum aufwirft, klären.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Anj am 10. Januar 2014, 11:40:00
Ui, ein interessantes Thema! Allerdings mischen sich hier für meine Empfinden unterschiedliche Dinge.

Ganz generell gehe ich bei Erinnerungen möglichst so vor, dass sie mehr als eine Aussage haben. Ich versuche also grundsätzlich, sie mit Subtext zu unterlegen, damit sie mehr als eine Wirkung haben. Das wurde hier im Thread ja auch schon angesprochen. Charakterisierungen von Figur oder Setting, Foreshadowing, Fragen aufwerfen, falsche Fährten legen usw. sind da natürlich zu nennen.
Wobei der erste Punkt für mich eigentlich immer eine Bedeutung hat (auch zusätzlich zu den anderen), denn dadurch verwebe ich sie stärker mit dem Text, wodurch diese Stellen weniger auffallen. Ich schaue also, was im umliegenden Text einen Bezug zur Erinnerung haben kann/soll und als Auslöser für die Erinnerung genutzt werden kann.
Für mich wirken Texte, die so vorgehen gleich viel plastischer und realistischer.
Wobei ich sagen muss, dass diese theoretische Vorgehensweise für mich in fremden Texten leichter ist, als in den eigenen. Zum einen, weil ich vieles automatisch so umsetze, zum anderen, weil mir doch einfach oft der Abstand fehlt, um fehlende Verwebungen zu erkennen.
Manchmal ist es auch hilfreich, Stimmungen damit zu verstärken. Sarkasmus oder Ironie ist immer gut, um Dinge nur anzudeuten.

Das andere Thema ist diese Kurzbiografie bei Romananfängen. Ich muss sagen, dass es für mich da nur unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Die pointierte, witzige Variante ist hier immer gut, muss aber zu Figur und Setting passen.
Eine andere Variante, die ich in einem Projekt gewählt habe, ist der Wurf ins kalte Wasser durch die ersten Zeilen, die für den Leser erst mal nur Fragen aufwerfen und dann ein Innehalten der Figur, die sich und das Setting in ein bis zwei Sätzen vorstellt. Hier mag ich es auch, wenn der Ich-Erzähler sein Publikum direkt anspricht. Allerdings ist das starke Geschmackssache und passt auch nicht zu jeder Geschichte.
Ansonsten bin ich immer dafür, die Figurenbiografie häppchenweise und gut verwoben einzubauen. Einfach gesagt: Der Test muss konsequent zu dieser Erinnerung führen und die Erinnerung muss mehr als eine Wirkung beabsichtigen. (Wenn man damit Schwierigkeiten hat, bietet sich übrigens eine Aufstellung der Textstelle mit Folgepfeilen an).
Die einzige Ausnahme ist für mich ein schneller Überblick in der Fortsetzung einer Reihe. Aber auch dann würde ich nicht mehr als eine halbe Normseite dafür verwenden.

Ich hoffe, das war jetzt nicht zu verwirrend. :versteck:
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: canis lupus niger am 19. Februar 2014, 21:09:20
Hier ist als Beispiel, wie ich es mal gelöst habe, eine Stelle aus dem entstehenden dritten Band meiner Reihe. Diesen Weg fand ich ganz geeignet, um nicht erst von der Geburt zu erzählen und dann ein ganzes Jahr überspringen zu müssen. Der Leser begleitet den Prota praktisch, als dessen Gedanken davontreiben.
ZitatHungrig reckte Maryam ihre Hände nach dem Becher und trank mit Wanjas Hilfe. Dann nahm er den Löffel, um sie zu füttern. Doch Maryam griff danach und versuchte, ihn ihrem Vater zu entreißen.
   "Nein!" krähte sie. "Leila!" Sie wollte offensichtlich alleine essen.
Entzückt von ihrer Willensstärke überließ Wanja ihr den Löffel und sah gebannt zu, wie sie versuchte, damit zurechtzukommen. Die Hälfte des Breis verteilte sich auf Maryams Gesicht, ihr Kleid, den Tisch, den Fußboden und ihren Vater. Doch vom Rest gelangte genug  in den Mund des Kindes, um es zu sättigen.

    Während er seine Tochter beobachtete, dachte Wanja an den Tag ihrer Geburt zurück. Nur  acht Monate nach der Rückkehr aus Ghadamis´Gefangenschaft nach Wolfsburg und befreit vom Fluch des üblen Zauberers, hatte Valeria ihrer beider Kind zur Welt gebracht. Die Geburt war schnell und leicht verlaufen, wie die Hebamme Ortrun erklärt hatte, als sie den ungeduldigen Vater endlich in das Schlafgemach einließ. (Und so weiter. Schon am Tag der Geburt beobachtet er an seiner Tochter Anzeichen für eine ungewöhnliche Fähigkeit.)

Eine andere Stelle aus einer anderen Geschichte ist ganz anders gestrickt. Die Geschichte fängt praktisch mitten im Geschehen an, dann kommt eine kurze Rückblende, wie es zu der Situation gekommen ist, und dann geht es von der aktuellen Situation ausgehen weiter.

ZitatAls das dritte Taryr aus dem Gehölz hervor brach, wusste Töknurday endgültig, dass er versagt hatte, versagt darin, auf seiner ersten Alleinjagd eine geeignete Beute auszuwählen, zu stellen, zu erlegen und ins Lager zurück zu bringen.
    Dabei hatte der junge Ork das einzeln herum streifende Taryr ursprünglich sogar für eine  hervorragend geeignete Beute gehalten. [...]

Töknurday war nicht leichtsinnig gewesen und hatte alles bedacht, was man ihn über die Raubtierjagd gelehrt hatte. [... Schilderung der Jagd bis zum Beginn der Geschichte]

    Und nun war also dieses dritte Taryr aufgetaucht und Töknurday wusste, dass er praktisch erledigt war. [u.s.w.]

Eine weitere Methoden, die ich schon mehrfach angewandt habe, war, dass ein Charakter dem anderen von einem Erlebnis aus der Vergangenheit erzählt, in einem Monolog oder auch in einem Dialog, je nachdem. 
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: AlpakaAlex am 02. September 2021, 15:58:43
Ich betreibe mal weiter lustige Thread-Nekromantie.

Finde dieses Thema auch interessant. Habe damit lange gekämpft, gerade weil ich von dem, was ich über das Schreiben gelernt habe, ja sehr von den visuellen Medien beeinflusst wurde. Und dort ist es recht leicht - jedenfalls in Serien: Flashback-Time. Filme nutzen dies allerdings meist weniger, es sei denn als Einführungsszene oder Traumsequenz, weil es häufig den Flow des Films stört.

Allerdings muss ich ehrlich gesagt sagen, dass ich Flashbacks in dem Sinne halt auch in Büchern häufig als störend empfinde (erneut: Sofern sie kein gutes Framing Device haben). Sie reißen einfach aus der Handlung heraus, finde ich. Und in vielen Fällen, wo mir in Büchern Flashbacks begegnet sind, fehlte für mich auch ein guter Grund, warum diese Erinnerung genau an der Stelle als Flashback reingebracht wurde. Also es machte meistens Sinn, von wegen: "Jetzt sollten die Leser*innen das wissen", aber eher selten in dem Sinne von: "Jetzt würde der Charakter diesen Erinnerungen nachsinnen."

Ich selbst mache es schon seit langem so, dass ich Erinnerungen nicht als ausgiebige Szenen behandele (sofern nicht mit Framing Device), sondern nur im Erzähltext andeute, oder sie aber von einem Charakter wirklich erzählen lasse und dabei als Möglichkeit nehme, die Beziehung zwischen zwei (oder mehr) Charakteren weiter auszuarbeiten.
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Mari am 02. September 2021, 16:05:08
@AlpakaAlex Ich habe das auch gelernt, aber aus einem Buch. Die "Nach dem Sommer"-Trilogie von Maggie Stiefvater war wirklich ein Augenöffner. Ich mache es genau wie sie: Daran würde der Charakter jetzt denken. Die Kunst ist, das genau in dem Moment glaubhaft unterzubringen, wo der Leser das erfahren sollte :D
Titel: Re: Erinnerungen der Figuren einbeziehen
Beitrag von: Dämmerungshexe am 02. September 2021, 16:28:40
An sich gibt es das ja auch in der Realität: ein bestimmter Geruch und ZACK ist alles wieder da. Ein Schlagwort und schon überkommt einen die Erinnerung und die damit verbundenen Emotionen. (Ist mir heute erst wieder passiert.) Natürlich muss das Timing zum Pacing der Erzählung passen, damit der/die LeserIn nicht auch dem FLuss gerissen wird.
Schwierig kann es bei der Darstellung werden - wie präsentiert man diese Erinnerungen: lässt man es die Figur erzählen oder nochmal erleben, sagt man dazu dass X7Y sich erinnert, oder schmeißt man den/die LeserIn einfach hinein. Hängt wahrscheinlich auch damit zusammen welchen Impact das ganze haben soll, welchen Zweck man als Autor damit verfolgt - will man Infos liefern oder Emotionen rüberbringen?

In meinem derzeitigen (ewigen) Projekt habe ich einen ziemlich auktorialen Erzähler, der öfter mal solche Details mit rein bringt. Ab und zu als kurzer Nebensatz, ab und zu als knapper Absatz. Längere Szenen vermeide ich aber eher, um das ganze eher als Stilmittel zu nutzen, nicht als Plot-Device.