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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Aylis am 01. Juni 2015, 22:51:28

Titel: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aylis am 01. Juni 2015, 22:51:28
Guten Abend allerseits!
Ich bin mir etwas unsicher ob der Veröffentlichung dieses Themas, habe aber das Forum ausreichend durchforstet und keinen passenden Thread gefunden.
Falls es besser in ein anderes Bord passt - verschiebt mich einfach, dann tut es mir leid.  :versteck:

Mein Anliegen ist eigentlich relativ simpel (und vielleicht bin ich ja auch das einzige kreative Wesen mit diesem Problem).
Bei mir ist das nämlich so: Meine Idee beginnt meistens mit einem super coolen Prota. Oder einer Welt, einer Situation, in der sich XY befindet.
Oft fliegt mir dann auch etwas zu, was ich gerne in diesem Roman verwursten möchte - eine ganz grobe Plotidee.

Das Problem: Mir fällt nie ein richtig spannender Gegenspieler ein!
Irgendwie will sich kein Charakter formen, der sinnvoll gegen das Ziel meines Protas arbeitet und trotzdem vielschichtig und nicht zu plump ist.
Oder aber es fehlt mir schlichtweg irgendwann an Ideen, wie ich den Konflikt der beiden weiter steigern kann.
Und dann klopft auch schon der Zweifel an die Tür. Gott, du willst also schon wieder das pure Böse gegen deinen Helden antreten lassen?
Oder: Sind die Ziele des Antagonisten und des Protagonisten wirklich spannende Gegensätze?
Gleich verpasst du ihm wohl noch einen langen Bart und eine böse Aura, die ihn Meilen weit ankündigt oder?

Ein Beispiel: Ich hatte mal einen Plot, den ich immer noch ziemlich spannend finde. Ich wollte zwei Welten zu einer zusammenführen. Das ging aus von einer Energie (Gottähnlich), die das Ganze auch durchgeführt hat (denn ich wollte in dieser neuen "verschmolzenen" Welt beginnen). Die antagonistische Kraft war eine andere göttliche Energie, die zu dem Zeitpunkt des Verschmelzens allerdings noch schwach war, da an eine menschliche Hülle gebunden. Aber das war wieder das alte Katz-und-Maus Spiel von Licht und Schatten, denn der Protagonist als Spieler der ersten Kraft arbeitet gegen die zweite Kraft.  Das war mir zu langweilig, deswegen liegt das Projekt jetzt auch brach.

Meine konkrete Frage ist eigentlich: Wie verleiht ihr euren Gegenspielern so richtig Schneid?

Gebt ihr euch zufrieden mit dem düsteren Magier, der eine schlimme Kindheit hatte? Könnt ihr vielleicht komplett ignorieren, dass es jeden Bösewicht irgendwie schon einmal gab oder habt ihr Tipps, wie ich diese Stimme ausschalten kann?
Wie gelingt euch die richtige Balance zwischen zu schwach und zu stark?
Vielleicht können hier ja auch Geschmäcker und Varianten über Antagonisten ausgetauscht werden und diskutiert, ob etwas irgendwie so funktioniert oder eben nicht.

Oder ich brauche einfach allgemeine Tipps zur Charakterentwicklung. Aber ich finde eigentlich, dass ich die einzeln immer ganz gut hinkriege.  :pfanne:
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Fianna am 01. Juni 2015, 23:07:46
Hm.
Ich konzipiere die Antagonisten nicht als Gegenspieler, sondern als eigenständigen Charakter, dessen Ziel zufällig konträr zu dem des Helden steht. Also ich exerziere alles, was ich zur Charakterentwicklung mache, auch mit dem Antagonisten durch: was ist sein großes Ziel? Was will er erreichen? Was ist seine größte Angst? Was ist sein äußerer und was ist sein innerer Konflikt? EDIT: was für eine Biographie muss er haben, um dieser Mensch zu werden?

Und an diesen "Stellschrauben" drehe ich solange herum, bis ich eine Figur habe, die im Plot zwanghaft dem Protagonisten in die Quere kommt.

Aber ich schreibe überwiegend Low Fantasy, da gibt es nicht das eine große Ziel, was der Antagonist erreichen oder der Protagonist verhindern will. Bei mir sind es nicht 2 Seiten derselben Münze, sondern eher zwei verschiedene Geschichten, die sich kreuzen und untrennbar verbinden...
... hm, ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt so gut erklären konnte... Ich habe den Eindruck, Du plottest eher High Fantasy-Sachen?
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: FeeamPC am 01. Juni 2015, 23:11:46
Ich mache meinen Gegenspieler passend, indem ich beiden einen sehr persönlichen Grund gebe, gegeneinander zu agieren. Prota und Anta kennen sich gut. Zwischen ihnen besteht erst Rivalität, dann Neid, dann Eifersucht, und am Schluss Hass.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Sipres am 01. Juni 2015, 23:12:50
In meinen HF-Projekten sind die Antas meist Götter oder andere übermächtige Wesen, die sich bedroht oder verraten fühlen. Ist zwar ein ziemliches Klischee, aber wenn man es richtig anstellt, funktioniert es gut.

In meinen anderen Werken habe ich keine direkten Antagonisten. Es gibt dann verschiedene Fraktionen, die sich bei der Erfüllung ihrer Ziele einfach gegenseitig im Weg stehen, wobei keine wirklich als Antagonist genommen werden kann, weil ich dann Charaktere aus allen Lagern als Protas einsetze.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Siara am 01. Juni 2015, 23:12:59
Ah, super Thema, danke!

Mit Antagonisten habe ich auch immer "Probleme", wobei ich darin eigentlich weniger ein Problem sehe. Viel mehr eine Eigenart. Denn eigentlich beginnen meine Ideen meistens recht simpel mit einer groben Handlung und jemanden, der meinem Prota etwas antut oder unmoralische Interessen verfolgt oder ähnliches. In meinem aktuellen Projekt habe ich sogar absichtlich mit dem ganz typischen Licht gegen Dunkelheit begonnen. Wortwörtlich.

Allerdings braucht es meistens nicht lange, bis meine Empathie sich auch auf den Antagonisten erstreckt. Meine Antas sind niemals böse. Sie sind missverstanden, wollen schützen oder sind schlicht zu inkompetent für ihre Macht. Natürlich haben sie auch ihre wahren Schattenseiten, aber diese sind niemals der Mittelpunkt ihres Charakters. Sie sind vielschichtig wie auch meine Protagonisten, nur steuern eben ihre Interessen in eine andere Richtung. Das kann an einer anderen Erziehung oder Weltanschauung liegen, an Unwissenheit oder auch an Wissen, das der Protagonist nicht besitzt.

Im Grunde sehe ich meine Figuren selten als "Protagonisten" und "Antagonisten". Natürlich erzähle ich meistens nur von einem ihrer Standpunkte aus, aber selbst das nicht immer. Ich schreibe gerne so, dass man am Ende des Romans - egal welche Seite siegt - nicht sicher ist, ob es nun ein Happy End ist oder nicht. Egal, wer überlegen ist, ich als Autor bedauere die andere Seite und freue mich für den Sieger. Beides zugleich.

Antagonisten, die für die Rolle des Antagonisten geschaffen wurden, kann ich nicht leiden. Meine haben Träume und Ängste, eine Vergangenheit und sympathische Seiten ebenso wie menschliche Schwächen. Sie dürfen gierig sein, meinetwegen sogar eine sadistische Ader haben, aber das ist nicht der Kern ihrer selbst. Auf "Schneid" steuere ich da gar nicht aktiv zu. Ich erschaffe keinen Antagonisten, sondern schlicht einen (hoffentlich) interessanten Charakter.

Besonders Spaß gemacht hat mein voriger Roman, bei dem ich aus vier Perspektiven geschrieben habe. Im Grunde waren für jeden von ihnen die anderen drei Antagonisten, obwohl keiner von ihnen bösartig war. Sie verfolgten lediglich unterschiedliche Ziele oder hielten andere Mittel für richtig, um diese zu erreichen.

Edit: Mit anderen überschnitten. Bei mir ist es ja ganz ähnlich wie bei Fianna.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Churke am 01. Juni 2015, 23:20:01
Zitat von: Aylis am 01. Juni 2015, 22:51:28
Irgendwie will sich kein Charakter formen, der sinnvoll gegen das Ziel meines Protas arbeitet und trotzdem vielschichtig und nicht zu plump ist.

Vielleicht habe ich dich falsch verstanden, aber ich stelle es mir auch schwierig vor, einen Antagonisten als Hindernis zu konstruieren. So nach dem Motto: "Ich will die Welt retten! Welcher Schurke hält mich auf???"
Ich mache also erst den Schurken und seine Ziele und dann überlege ich mir, wie der Protagonist dazu steht.

Man kann die Rollenverteilung auch vom Persönlichen lösen. Ich habe schon Sachen geschrieben, in denen sich die beiden Gegenspieler nie persönlich begegnen und auch kaum persönlich wahrnehmen. Da entwickelt der Antagonist zum Beispiel einen perfekten, absolut tödlichen Kampfstoff, und der Protagonist will den Kampfstoff entschlüsseln und ein Gegenmittel finden. Das ist ein Duell der Wissenschaftler, und beide sehe immer nur die Arbeit des jeweils anderen.
Ich weiß auch nicht, ob man sich irgendwelche fiesen Monster aus den Fingern zu saugen braucht. Normale Menschen sind schlimm genug. Man muss ihnen nur die richtige Position und die passenden Anreize geben.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: HauntingWitch am 02. Juni 2015, 08:24:00
Danke für den Thread Aylis, das ist nämlich etwas, womit ich ebenfalls Mühe habe. :knuddel: Ich habe oft das Gefühl, meine Antagonisten sind zu flach, schlicht böse und wollen dem Protagonisten etwas Böses und damit hat es sich. Zwar gibt es schon immer auch Gründe, warum sie so geworden sind, aber ich schaffe es oft nicht, diese im Text herauszuarbeiten. Ich bin aber auch ein sehr intuitiver Schreiberling und überlege mir das nie im Vorfeld, das kommt immer erst während dem Schreiben und danach bei der Überarbeitung.

Ich habe aber trotz allem einen Anta, den ich für vergleichsweise gut gelungen halte. Und ich weiss auch, was ich bei ihm anders gemacht habe als bei den anderen. Früher hatte ich auch immer dieses Gefühl, der Anta müsse ein Hindernis sein. Hauptsache, er erzeugt Probleme. Dieser eine allerdings war ursprünglich nicht als Anta gedacht. Ich wollte ihn als starke Nebenfigur oder sogar Zweit-Protagonist, weshalb ich ihm eine ausführliche Hintergrundstory gegeben und einige entsprechende Szenen aus seiner Sicht geschrieben habe. Ich denke, das hilft, weil man sich dadurch besser in den Anta einfühlen kann. Er wird dann zu einem Charakter, den man kennt und ist nicht nur eine Spielfigur. Ich werde das auch zukünftig weiter üben, sobald ich wieder ein entsprechendes Projekt habe (in meinem aktuellen steht sich mein Prota z.B. selbst im Weg, die antagonistische Kraft ist quasi sein eigener Schwachpunkt, aber das ist auch keine Fantasy).

@Siara: Beim Lesen deines Posts geht mir gerade ein ganz grosses Licht auf. Danke dafür. :)
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: DoroMara am 02. Juni 2015, 08:46:01
Ich fühle mich auch gerade angesprochen. Obwohl ich von mir weiss, dass der Anta eine Schwachstelle bei mir ist, musst ich nun auch bei meinem zweiten Roman nachträglich viel an meinem Antagonisten feilen.

Für mich ist es wichtig, dass der Antagonist eigentlich nicht nur Böse ist, sondern eben auch etwas "Gutes" oder eine "Erlösung" will. Nur hat er sich verrannt und erkennt das nicht. Der Leser soll das auch erkennen können - nicht nur einfach Weltherrschaft des Bösen, weil er böse ist.
Zudem finde ich es toll, wenn ich mich als Leserin auch emotional mit dem Anta verbinden kann. Das heisst nicht, dass er "gut" sein muss, aber er muss vielschichtig und auf eine Weise auch verletzbar sein.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: pyon am 02. Juni 2015, 09:56:12
Ich halte es, wie einige andere hier, dass ich den Antagonisten als eigenständigen Charakter sehe und ihm nur ungern den Antagonisten-Stempel aufdrücke in dem Sinne: "Du bist jetzt böse, weil ich jemanden brauche, der böse ist und meinen Prota Steine in den Weg wirft.".
Bei mir ist es auch oft so, dass der Anta einen bestimmten Plan verfolgt, der für ihn logisch, gut durchdacht und ganz und auf ihn gar nicht böse wirkt, wohingegen mein Prota meist irgendwie in die ganze Sache hineinstolpert und plötzlich merkt, dass das, was der Anta da anstellt vielleicht doch nicht so gut ist und es vielleicht besser wäre ihm ein wenig auf die Finger zu hauen.

Ich handhabe es meistens so, dass ich mich mit meinem Anta in ein Café setze und mich ein wenig mit ihm unterhalte und ich versuche mich auch immer wieder während dem Schreiben mal mit ihm zusammenzusetzen, welche Gespräche meistens mit "Musste das jetzt sein?" beginnen.  ;D

Aber ich muss gestehen, dass ich dem Antagonisten oftmals viel mehr Aufmerksamkeit schenke, als dem Protagonisten, auch aus der Angst heraus ihn zu flach werden zu lassen. Ich will, dass meine Leser nachvollziehen können, warum er so handelt, wie er nun einmal handelt und das nicht unbedingt die "Ich will Böses tun, weil ich kann"- Absicht dahinter steckt.   
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Dämmerungshexe am 02. Juni 2015, 12:22:58
Ich denke eine der Hautfragen ist eher, welche Rolle der Konflikt zwischen Protagonist und Antagoniste im gesamten Plot spielt. Also sollen sie tatsächlich aus persönlichen Gründen verfeindet sein, oder sind sie einfach Vertreter unterschiedlicher Parteien?

Wenn es sich tatsächlich um einen persönlichen Konflikt handelt, fällt mir ein Zitat aus einem Film ein (ich weiß den Titel nicht mehr, Bruce Willis war der Held und Samuel L. Jackson der Böse), bei dem es auch um Comics ging und erklärt wurde, dass der Böse da immer das genaue Gegenteil des Helden ist. An sich ein gutes Grundkonstrukt, aber ich finde es auch spannend, wenn Porta und Anta sich an sich sehr gleichen, nur einfach durch unterschiedliche "Hintergründe" in entgegengesetzte Richtungen getrieben wurden.

Aber man könnte das als guten "Lösungsansatz" für die Frage, wie man dem Anta "Schneid" verpasst benutzen: er muss eine Eigenschaft haben, die ihn dem Prota absolut entgegenstellt. Die darf dann aber natürlich nicht aus der Luft gegriffen sein, sondern (wie alles andere auch) gut begründet. Aber von da aus lässt sich ja gut weiterarbeiten.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Sipres am 02. Juni 2015, 12:25:27
Kurzes OT @Dämmerungshexe: Der Film heißt "Unbreakable - Unzerbrechlich".
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aylis am 02. Juni 2015, 14:54:22
Erstmal freue ich mich total, dass der Beiteligungswille doch so groß ist.  :knuddel: Und danke natürlich für die ganzen Antworten!

Zitat von: Fianna am 01. Juni 2015, 23:07:46
... hm, ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt so gut erklären konnte... Ich habe den Eindruck, Du plottest eher High Fantasy-Sachen?

Alles durcheinander, aber meistens bleibt es tatsächlich bei HF hängen. Aber im Prinzip finde ich deine Antwort auch Genre-unabhängig ziemlich interessant und hilfreich,
danke dafür! Vielleicht muss ich tatsächlich, wie es ja auch schon andere von euch gesagt haben, davon abkommen, dass der Gegenspieler immer gleich tiefgründig böse ist.
Tatsächlich habe ich solche Modelle auch schon geschrieben und sie eventuell nicht zu Ende mit Vergangenheit und Charakter eingepackt.  :hmmm:
Da muss ich eventuell nochmal drüber.

Zitat von: FeeamPC am 01. Juni 2015, 23:11:46
Ich mache meinen Gegenspieler passend, indem ich beiden einen sehr persönlichen Grund gebe, gegeneinander zu agieren. Prota und Anta kennen sich gut. Zwischen ihnen besteht erst Rivalität, dann Neid, dann Eifersucht, und am Schluss Hass.

Ich mag das Prinzip, weil man als Leser dann so richtig schön mitfühlen kann. Aber natürlich bleibt man so immer auf einer persönlichen Ebene, die dementsprechend auch orientiert ist.

Zitat von: Siara am 01. Juni 2015, 23:12:59
Besonders Spaß gemacht hat mein voriger Roman, bei dem ich aus vier Perspektiven geschrieben habe. Im Grunde waren für jeden von ihnen die anderen drei Antagonisten, obwohl keiner von ihnen bösartig war. Sie verfolgten lediglich unterschiedliche Ziele oder hielten andere Mittel für richtig, um diese zu erreichen.

Das klingt super interessant! Dafür sind aber natürlich viele Vorüberlegungen nötig, schätze ich einfach mal, und ich bin auch gerne mal so ein kleiner Affektschreiber wie Witch.  :vibes:
Irgendwie traue ich mir auch nicht zu, so etwas zu schreiben, ohne dass sich Fehler an Fehler reihen. :rofl:
Aber vielleicht werde ich so etwas in der Art mal versuchen, weil mir auch häufig verschiedene Charaktere im Kopf schweben, die dann irgendwie verarbeitet werden wollen, weil ich sie gerade cool finde.

Zitat von: Churke am 01. Juni 2015, 23:20:01
Vielleicht habe ich dich falsch verstanden, aber ich stelle es mir auch schwierig vor, einen Antagonisten als Hindernis zu konstruieren. So nach dem Motto: "Ich will die Welt retten! Welcher Schurke hält mich auf???"
Ich mache also erst den Schurken und seine Ziele und dann überlege ich mir, wie der Protagonist dazu steht.

Da hätte ich eben das Problem, dass mir die "Bösen" oder Gegenspieler (abgesehen von ihrer Persönlichkeit) eben nicht vor der Story oder dem Prota einfallen.
Bei mir steht dann eben schon vor dem Anta der Prota und die Geschichte und dann habe ich den Salat wieder. Häufig formen sich dann Probleme und Möglichkeiten in meinem Kopf, die einen Gegenspieler interessant machen könnten, aber sie wollen mir nicht so recht genügen.
Dass du das Konstrukt Protagonist-Antagonist vom Persönlichen los löst, finde ich auch super interessant. Ich glaube, das wäre für mich allerdings etwas schwerer, da ein persönlicher Konflikt natürlich schon eine sichere Basis bildet, um einen größeren darauf aufzubauen. Und die Konfrontation beider Parteien ist meistens super spannend.  :rofl:

@Witch: Du sprichst mir aus dem Herzen. Unser Schreibverhalten hört sich recht ähnlich an und da viele andere etwas Ähnliches schon geschrieben haben, werde ich es wohl auch mal so versuchen, wie du. Man sollte von diesen Bezeichnungen weg. :rofl: Früher dachte ich auch mal, der Antagonist wäre einfach ein Synonym für Nebencharakter.

Zitat von: pyon am 02. Juni 2015, 09:56:12
Ich handhabe es meistens so, dass ich mich mit meinem Anta in ein Café setze und mich ein wenig mit ihm unterhalte und ich versuche mich auch immer wieder während dem Schreiben mal mit ihm zusammenzusetzen, welche Gespräche meistens mit "Musste das jetzt sein?" beginnen.  ;D

Die Idee ist echt klasse!  :jau: Ich stelle es mir gerade bildlich vor...

Zitat von: Dämmerungshexe am 02. Juni 2015, 12:22:58
Ich denke eine der Hautfragen ist eher, welche Rolle der Konflikt zwischen Protagonist und Antagoniste im gesamten Plot spielt. Also sollen sie tatsächlich aus persönlichen Gründen verfeindet sein, oder sind sie einfach Vertreter unterschiedlicher Parteien?

Ja genau, das geht auf jeden Fall mit der Persönlichkeit Hand in Hand. Doch auch, wenn ich so etwas entscheide, habe ich manchmal eben noch Probleme mit der Persönlichkeit Antagonist.
Denn auch, wenn er "nur" Teil einer anderen Partei ist, braucht er ja Tiefe, Ecken und Kanten. Man muss verstehen, warum er so handelt. Und da habe ich eben noch Probleme bzw. Zweifel daran, ob mir das gelingt.


Generell muss ich sagen, dass ich glaube ich ein riesiges (gigantisches) Problem mit Klischees habe. Ich habe einfach solche Angst, eines zu erfüllen, dass ich gar nicht mehr schreibe und mir selbst die Kreativität zerdenke. Denn solche "Ich bin Böse weil ich es kann" - Bösewichte kann ich nämlich auch nicht leiden. Oder wenn es gar keinen ersichtlichen Grund gibt, warum der Antagonist denn überhaupt böse ist. Ganz übel finde ich es eigentlich, wenn er/sie/es schon böse geboren wurde.
Die Frage ist vielleicht auch, ob Innovation, Neureung eigentlich wirklich so wichtig ist oder ob das nur in meinen Gedanken so festgefahren ist.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Fianna am 02. Juni 2015, 15:03:19
Zitat von: FeeamPC am 01. Juni 2015, 23:11:46
Ich mache meinen Gegenspieler passend, indem ich beiden einen sehr persönlichen Grund gebe, gegeneinander zu agieren. Prota und Anta kennen sich gut. Zwischen ihnen besteht erst Rivalität, dann Neid, dann Eifersucht, und am Schluss Hass.
Ah, stimmt, "persönliche" Gegenspieler habe ich auch teilweise. Da ist es aber keine Steigerung, sondern die Gegensätzlichkeit ergibt sich von selbst, beispielweise hält der Regent seinen Sohn fern von tieferer Verantwortung, weil er alle Fäden selbst in der Hand behalten will. Sein Sohn ist ihm jedoch treu ergeben, nur als er dann plötzlich über die Opfer stolpert, die sein Vater für den Fortbestand des Reiches glaubt bringen zu müssen, ist er so entsetzt von diesem anderen Gesicht, dass er ihn in einem Putsch stürzt - und am Ende steht er mit denselben Problemen wie sein Vater da und stellt fest, dass er sein Volk ebenfalls (wenn auch auf andere Weise) belügen muss und sich einen Teil der charakterlichen Mängel seines Vaters zu Eigen machen muss, um sein Volk zu retten.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aljana am 02. Juni 2015, 15:13:20
Wieder mal eine ganz spannende Frage und viele interessante antworten, bei denen ich mich dann selbst fragen muss, ob mein Anta es sich vielleicht ein wenig einfach macht ...

Er ist nicht mehr und nicht weniger, als der Herr der Schatten. Ein Dämon geschaffen aus den bösen Träumen, dem Hass, dem Neid, der Niedertracht der Menschen. In meiner Welt Erui, jenseits der Schlier werden ja alle Gefühle, Gedanken und Träume real. Und so wie die guten Träume das goldene Reich erst erschaffen haben, so haben die bösen Träume es verdorben. Manchmal denke ich mir, das mag ein wneig platt sein. Denn einem solchen Anta ist alles möglich. Er brauch keine weitere Erklärung, denn er kann nichts Gutes denken oder sich shculdig fühlen. Er braucht nichtmal ne schlechte Kindheit, denn es gibt nur Böses in ihm.

einen menschlichen Anta wirklich glaubwürdig zu skizzieren, ist da denke ich schon die viel größere Kunst.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: pyon am 02. Juni 2015, 15:49:30
Zitat von: Aylis am 02. Juni 2015, 14:54:22
Generell muss ich sagen, dass ich glaube ich ein riesiges (gigantisches) Problem mit Klischees habe. Ich habe einfach solche Angst, eines zu erfüllen, dass ich gar nicht mehr schreibe und mir selbst die Kreativität zerdenke. Denn solche "Ich bin Böse weil ich es kann" - Bösewichte kann ich nämlich auch nicht leiden. Oder wenn es gar keinen ersichtlichen Grund gibt, warum der Antagonist denn überhaupt böse ist. Ganz übel finde ich es eigentlich, wenn er/sie/es schon böse geboren wurde.
Die Frage ist vielleicht auch, ob Innovation, Neureung eigentlich wirklich so wichtig ist oder ob das nur in meinen Gedanken so festgefahren ist.

Ich glaube Klischees kann man nie vermeiden. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es dazu auch einen entsprechenden Thread gibt, indem das rege diskutiert wird/wurde. Es kommt wahrscheinlich nur darauf an, wie gut du sie verpackst. Inzwischen gelten bereits viel zu viele Kleinigkeiten als Klischee und wenn du dir über jedes den Kopf zerbrichst, dann kommst du wirklich nicht mehr dazu auch nur eine Kleinigkeit zu schreiben.

Und manchmal hat sogar dieser "Ich bin böse, weil ich es kann"-Anta seine Daseinsberechtigung. Alleine die Macht Böses zu tun, oder die Macht generell kann sehr verlockend sein und so kann es doch gut möglich sein, dass diese Macht nur getestet werden will, ausprobiert werden will und wenn dabei der ein oder andere stirbt, dann ist das ein Opfer, dass der Anta bereit ist einzugehen. Macht muss hierbei natürlich keine Übersinnliche Fähigkeit sein. Aber wenn es gut in die Geschichte verpackt ist, kann auch dieser "Ich bin böse, weil ich es kann"-Anta interessant sein.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Churke am 02. Juni 2015, 15:55:48
Zitat von: Aylis am 02. Juni 2015, 14:54:22
Ja genau, das geht auf jeden Fall mit der Persönlichkeit Hand in Hand. Doch auch, wenn ich so etwas entscheide, habe ich manchmal eben noch Probleme mit der Persönlichkeit Antagonist.
Denn auch, wenn er "nur" Teil einer anderen Partei ist, braucht er ja Tiefe, Ecken und Kanten. Man muss verstehen, warum er so handelt. Und da habe ich eben noch Probleme bzw. Zweifel daran, ob mir das gelingt.

Bei widerstreitenden Interessen braucht man sich über das Motiv keine Gedanken zu machen. Die Dämonisierung (Gut vs. Böse) ist im Grunde nur ein - imho ziemlich abgedroschenes - Stilmittel, um den Leser emotional für den Pro- und gegen den Antagonisten einzunehmen.
Man kann das anschaulich mit der aktuellen Tagespolitik vergleichen, wo Länder zu Schurkenstaaten erklärt werden, weil sie einen kein Öl abpumpen lassen. Diese Länder werden immer von einem irren, unberechenbaren Diktator geführt, der den Weltfrieden bedroht, furchtbarste Verbrechen begeht usw.

Zitat von: Aljana am 02. Juni 2015, 15:13:20
einen menschlichen Anta wirklich glaubwürdig zu skizzieren, ist da denke ich schon die viel größere Kunst.
Ich glaube, wenn man den Protagonisten in Frage stellt, klappt das mit dem Antagonisten viel besser.
Wer kann einen weißen Ritter aufhalten wollen, der die Heilsarmee anführt? Doch wohl nur ein irrer Schurke.
Ist er aber ein schwarzer Ritter an der Spitze marodierender Söldner, sieht das schon ganz anders aus.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Christopher am 02. Juni 2015, 19:24:52
Bei all der Zeichnung von Anta etc. aber bitte nicht vergessen, dass man nicht zwingend eine Person als Antagonisten braucht. Die sogenannten antagonistischen Kräfte tun es auch. Äußere Umstände (Religion, Gesellschaftsform, Herkunft etc.) tun es auch ganz gut und können mehr als ausreichend unterhalten. Nehme z.b. Der Name des Windes als aktuelleres Beispiel. Es gibt keine Person, die klar der Antagonist gibt (höchstens Nebenfiguren die gegen den Prota arbeiten, aber keine allgemeingültigen Antagonisten). Stattdessen die Umstände von Herkunft, Lebensumständen und der Gesellschaft, die es dem Prota schwer machen.


Bei mir persönlich noch:
Das Problem eines glaubhaften "Bösewichts" hat mich auch schon vor Jahrzehnten verfolgt. So sehr, dass ich mich entschieden habe, viel lieber die Geschichte des Bösewichts zu schreiben als die des Helden. Es klappt erstaunlich gut. Bisher hat keiner der Testleser wirkliche Antipathie entwickelt, obwohl meine Prota(Anta? ;D ) ganz offen jede Menge Dinge tut, die sie vor den meisten Gerichten den Kopf kosten würden.

Knackpunkt des ganzen ist vermutlich, dass die Leser eben die ganze Geschichte verfolgt haben und ihre Handlungen aus ihrem Standpunkt heraus sinnvoll sind. Das Problem was man bei einer üblichen Geschichte haben wird ist, dass man den Anta kaum so vollständig darstellen kann, dass das so wahrgenommen wird.  Das ausschnittsweise Zeigen von "hatte schwere Kindheit" o.ä. lässt eben nur sehr bedingt ein mit- und hineinfühlen in den Charakter zu.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aljana am 02. Juni 2015, 20:25:18
Zitat von: Churke am 02. Juni 2015, 15:55:48
Die Dämonisierung (Gut vs. Böse) ist im Grunde nur ein - imho ziemlich abgedroschenes - Stilmittel, um den Leser emotional für den Pro- und gegen den Antagonisten einzunehmen.


Finde ich nicht abgedroschener, als jedes andere. Und ich meine, wer würde Sauron in Frage stellen? Ist der HdR deswegen schlecht? Ich finde nicht. Good vs Evil ewarten die Leser von Highfantasy ja schon so ein bisschen.

den ansatz von Christopher finde ich übrigens auch interessant, die Geschichte aus Sicht des Antas zu beleuchten. Ich kenn zwar keine aktuellen Bücher, doch in Pcspielen wird das ja auch schon verwendet.
die Leute wollen ja auch mal was ganz anderes haben als immer nur die strahlenden Ritter. Das ist auf Dauer langeweilig. Dennoch glaube ich, dass der Mensch (im Großen und Ganzen) nach Gutem strebt (siehe 'Despicable me' 1+2). Ansonsten finde ich ja immer antagonisten am besten, die erst als Prota aufgebaut werden und sich im nachhinein als Verräter entpuppen.
Wenn ich vorm Fernseher sitze und fluche und schimpfe, weil ich einen Charakter total für ein total besch... verräterisches mieses A... *piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiip* halte, dann weiß ich, der Autor hat alles richtig gemacht, denn er wollte ja, dass man den Anta hasst.
Da ich zur Zeit weniger lese und mehr Serien schaue, fällt mir da auch nur wieder ein Serienbeispiel ein, nämlich [spoiler]Ward[spoiler] in der Agents of S.H.I.E.L.D. Serie. Oh den könnte ich  :darth:

Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Siara am 02. Juni 2015, 20:40:17
Zitat von: Churke am 02. Juni 2015, 15:55:48
Ich glaube, wenn man den Protagonisten in Frage stellt, klappt das mit dem Antagonisten viel besser.
Das fasst das Ganze perfekt zusammen, danke! Den Protagonisten, seine Ziele und Wege dorthin zu idealisieren, macht es wirklich schwer, einen passenden Antagonisten zu finden. Ein solcher müsste ja tatsächlich einfach nur böse sein. Das nachvollziehbar zu gestalten dürfte (ohne auf Klischees wie die schlimme Kindheit zurückzugreifen) schwierig werden.

Zitat von: Christopher am 02. Juni 2015, 19:24:52
Bei all der Zeichnung von Anta etc. aber bitte nicht vergessen, dass man nicht zwingend eine Person als Antagonisten braucht. Die sogenannten antagonistischen Kräfte tun es auch. Äußere Umstände (Religion, Gesellschaftsform, Herkunft etc.) tun es auch ganz gut und können mehr als ausreichend unterhalten.
Stimmt. Wobei ich gerade das Zusammenspiel oder die Kombination antagonistischer Kräfte mit einer Figur als Antagonist doppelt interessant finde. Dies kann die Situation verschärfen, den Antagonisten vorübergehend zum Verbündeten machen und eine vielseitige Dreiecksbeziehung schaffen.

Ohnehin finde ich mehrere Antagonisten (nicht einfach ein böses Zwillingspaar, sondern tatsächlich mehrere Parteien) toll. Gerade wenn auch diese beiden nicht ganz übereinstimmen, ist ein typisches Gut-gegen-Böse ja kaum möglich. Dann können Intrigen geschmiedet werden, oder Vertrauen wird aufgebaut und missbraucht. So richtig spannend wird es doch vor allem, wenn man den Protagonisten dazu bringt, sich mit dem Antagonisten auseinanderzusetzen, (und umgekehrt), ohne dass die beiden im anderen nur den reinen Feind sehen. Frei nach dem Motto: "Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde".
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Silvia am 02. Juni 2015, 21:09:17
Irgendwer sagte mal zu mir: "Der wirklich interessante Kampf ist der Kampf Gut gegen Gut."
Das finde ich auch einen total spannenden Ansatz, weil es eben aus dem S-W-Schema ausbricht.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Christian Svensson am 02. Juni 2015, 21:23:25
Wirklich schönes Thema. Übrigens denke ich, dass Deine Angst vor Klischees unbegründet ist, denn einen Roman auf einem Konflikt zwischen Porta und Anta aufzubauen, ist ja bereits ein Klischee. Es kommt immer darauf an, wie du es ,,verkaufst".
Ich hatte das schon einmal geschrieben, aber ich denke, hier passt es auch her. Für mich ist ein schwacher/dummer Antagonist ein Grund, ein Buch, dass ernsthaft und keine Humoreske sein will, zur Seite zu legen. Wie kann ein Held stark sein, wenn sein Gegner schwach ist? Helden müssen geprüft werden, an ihre Grenzen getrieben werden, am Abgrund zum Tod und ewiger Verdammnis stehen.
Wer würde einen Helden mögen, der sich von einem gegnerischen Schwachkopf so weit bringen lässt?
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Churke am 02. Juni 2015, 21:28:54
Zitat von: Aljana am 02. Juni 2015, 20:25:18
Finde ich nicht abgedroschener, als jedes andere. Und ich meine, wer würde Sauron in Frage stellen? Ist der HdR deswegen schlecht? Ich finde nicht. Good vs Evil ewarten die Leser von Highfantasy ja schon so ein bisschen.

Sauron ist ein Schatten, der sich anderer bedient und als konkrete Figur niemals auftaucht. Jetzt mal Butter bei die Fische, was kann man ihm außer einem Angriffskrieg und diversen Umweltstraftaten konkret vorwerfen?
Okay, die Leute, die für ihn arbeiten, entwickeln sich nicht gerade zu ihrem Vorteil. Doch was ihn so gefährlich macht, ist, dass er seine Diener zum Bösen verführt und sie zu seinen Werkzeugen macht.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aylis am 02. Juni 2015, 22:43:19
Sehr viele äußerst interessante Ansätze. Und wieder so viel wunderbarer Spielraum zum Experimentieren.
Ich bekomme glatt Lust, mein Beispiel aus dem ersten Beitrag hier wieder aufzunehmen. Natürlich muss ich es hier und da etwas überarbeiten.  :hmmm:

Was du, Churke, über Sauron sagst finde ich auch sehr interessant. Die antagonistische Kraft beeinflusst seine Diener zu bösen Taten.
Ich rieche schon den Kampf mit dem eigenen Inneren.

Dir, Bardo djel Liores, stimme ich natürlich auch vollkommen zu. Eben diese Balance zu finden, fällt mir noch etwas schwer.
Obwohl man das vielleicht auch einfach mal von außenstehenden Parteien beurteilen lassen sollte.

Man könnte natürlich auch einfach von dem Eigenleben der verschiedenen Kräfte abweichen (also sie nicht als Göttergestalten sehen), sondern nur Wesen entwickeln, die sich in bestimmten Weisen und Mengen an diesen Kräften bedienen und dementsprechend handeln. Dadurch könnte man ja vieles unter einen Hut bringen und hätte Spielraum für das Verknüpfen von Handlungen.
Immerhin sind es ja die Taten einer Figur, die im allgemeinen Sinne als Gut oder Schlecht bewertet werden und je mehr Taten in eine Richtung begangen werden, desto mehr formen sie Charakter und Ruf einer Figur.
Ich glaube, diese Gedanken könnte ich bis zum Morgengrauen fortspinnen.  :rofl:
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aljana am 02. Juni 2015, 23:12:58
@ churke Achso, Sauron war nur die arme unverstandene Seele und seine Diener waren die, die übers Ziel hinausschossen  ;D
Jetzt verstehe ich das zum ersten Mal .

Nein im Ernst. Für mich ist er ein klassischer Anta im Sinne von Schwarz. Wobei die Gefährten ja nuneinmal in allen Grauschattierungen daherkommen. Und das hat das Buch lesenswert gemacht. Auch das thema Freundschaft und loyalität, um die es im HdR wirklich ging waren zwar Klischeehaft skizziert aber doch einfach nur wunderschön, durch die unterschiedlichen Beziehung der Protas untereinander. Nein, Sauron ist un bleibt die Böse treibende Kraft, auch wenn er selbst niemals wirklich auftaucht. Er was die Macht im hintergrund, gegen die man nur verlieren konnte und am Ende auch hat, denn ich kenne keinen traurigeren Helden, als Frodo, der mit dem Ring alles verlor und sein zuhause hinter sich lassen muste um in einer neuen Welt hoffnung auf frieden zu erlangen. Ich habe geweint.

zu Bardo. Ich stimme dir in allen Punkten zu. ein Held kann nur stark sein, wenn sein Gegner übermächtig wirkt, die aufgabe unlösbar. Erst dann kann er wahrhaft zum Helden reifen. Besser hätte ich es nicht formulieren können.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Sunflower am 02. Juni 2015, 23:17:51
Meine liebsten Figuren sind meist ja auch die Antagonisten ...  :versteck:

Was Klischees gerade im Bezug auf Herr der Ringe angeht, muss ich zuerst kurz etwas loswerden: Klischees wachsen nicht auf Bäumen. Und der alte Konflikt Gut gegen Böse, Licht gegen Schatten, Dämon gegen eigentlich viel schwächeren Held wurde nicht mit dem Herrn der Ringe erfunden, aber er wurde dadurch erheblich popularisiert. Im Herrn der Ringe stecken eine ganze Menge Klischees - aus heutiger Sicht - aber im Endeffekt ist Tolkien quasi "schuld" daran, dass diese bestimmten Symbole, Völker (Elben, Zwerge, etc.) mit den Klischees behaftet sind, die sie heute tragen. Ich finde nicht, dass man Sauron als Fantasy-Klischee-Bösewicht bezeichnen kann, weil es dieses Klischee vorher noch gar nicht so richtig gab. In Ansätzen, ja, aber mMn haben der Herr der Ringe und auch die Verfilmungen in den 2000ern sehr viel dazu beigetragen, die Klischees zu denen zu machen, die wir heute als Klischees bezeichnen.

Was ich auch noch ganz wichtig finde: Antagonisten sind nur aus der Sicht des Protagonisten "böse"/Gegenspieler! Sie selbst denken nicht von sich, dass sie etwas tun wollen, weil es eben böse ist.

Zitat von: Bardo djel Liores am 02. Juni 2015, 21:23:25
Wie kann ein Held stark sein, wenn sein Gegner schwach ist? Helden müssen geprüft werden, an ihre Grenzen getrieben werden, am Abgrund zum Tod und ewiger Verdammnis stehen.
Wer würde einen Helden mögen, der sich von einem gegnerischen Schwachkopf so weit bringen lässt?

Ja, das finde ich auch sehr, sehr wichtig! Andererseits darf ein Antagonist aber auch nicht der Über-Bösewicht sein, weil es sonst absolut unrealistisch wird, dass der Protagonist ihn überhaupt bezwingt. Wenn Protagonisten mit mehr Glück als Verstand gewinnen, dann ist das für mich jedenfalls eine plottechnische Katastrophe - von humoristischen Geschichten mal abgesehen.

Ich schreibe meine Antagonisten jedenfalls ganz ähnlich, wie Siara es beschrieben hat. Sie sind nicht wirklich böse, sie wollen nur andere Dinge und stehen meinem Protagonisten damit im Weg. Meinen Antagonisten fällt es auch nicht einfach, ihre Gegenspieler aus dem Weg zu räumen. Ihnen fällt es nicht leicht, jeden zu töten, der sich ihnen in den Weg stellt. Sie werden mehr oder weniger selbst wieder dazu gezwungen und würde ich meine Romane nur aus der Sicht meiner Antagonisten schreiben, könnten meine Protagonisten zumindest manchmal selbst ganz schnell für Antas gehalten werden.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aljana am 02. Juni 2015, 23:31:21
Ja, HdR ist wohl der beste Dienstahl der Literaturgeschichte. Aber in der spielebranche in der ja mein Mann tätig ist, gibt es das geflügelte Wort "Jeder klaut, aber wenn du es tust, dann klau nur von den besten ;) "

ich stehe ganz ehrlich dazu, dass ich Bücher am liebsten mag, wenn der held so handelt, wie ich es auch tun würde und ich die Antas so richtig schön hassen kann.

Was ich aber auch toll finde ist, wenn ein Anta sich spät in der Geschichte zum eignetlichen Held mausert so wie
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
in HP. Ich hatte es alle Bände hindurch gehofft und ihn bis zum schluss verteidigt  und fanc es großartig, wie es dann nachher kam. Obwohl ich weiß, dass es nicht jedem gefallen hat.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Tigermöhre am 03. Juni 2015, 08:31:15
Zitat von: Aljana am 02. Juni 2015, 20:25:18
den ansatz von Christopher finde ich übrigens auch interessant, die Geschichte aus Sicht des Antas zu beleuchten. Ich kenn zwar keine aktuellen Bücher, doch in Pcspielen wird das ja auch schon verwendet.

Das Buch "Die letzte Schlacht der Orks" ist sehr konsequent aus der Sicht der Bösen geschrieben. Und die Bösen sind wirklich böse. Ich fand das Buch sehr faszinierend. Ich glaube, ich muss es aus Recherchezwecken nochmal lesen.

Ansonsten sind meine Antagonisten meistens Personen, die durch irgendeine Situation Macht bekommen. Diese Macht nutzen sie auf eine falsche Weise um an ihr Ziel zu kommen. Es ist also meistens die Frage: "Heiligt der Zweck wirklich die Mittel?" die durch meine Antagonisten aufkommt.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: HauntingWitch am 03. Juni 2015, 08:34:57
Ich lese und lerne hier. ;D Mir wird langsam klar, dass ich mich, glaube ich, viel zu sehr auf die Protagonisten und deren Vorstellungen von gut und schlecht, richtig und falsch, fixiere. Ich habe mir nie überlegt, wie wohl der Protagonist aus Sicht des Antagonisten aussieht oder warum ein Antagonist einen Protagonisten so hassen könnte (ausser bei dem einen). Ich schreibe viel zu Protagonisten-bezogen, weil ich mich ja auch als Leserin mit dem Prota identifizieren und mit ihm mitfiebern möchte. Dafür muss ich ihn aber mögen.

Zu euren Anmerkungen fällt mir Game Of Thrones (Serie) ein, da habe ich mich nämlich auch schon mehrmals gefragt: Was wäre, wenn die Lannisters als erste Perspektivträger vorgestellt würden? Die Starks wären die grössten Idioten überhaupt, aber als Zuschauer der Serie (zumindest in der ersten Staffel) findet man sich fast automatisch auf der Seite der Starks. Weil sie als erstes eine Perspektive bekommen und dadurch in die Prota-Rolle gehoben werden. Aber wie weiter es in der Geschichte voran geht, umso mehr verwischt das.

Zitat von: Aljana am 02. Juni 2015, 23:31:21
ich stehe ganz ehrlich dazu, dass ich Bücher am liebsten mag, wenn der held so handelt, wie ich es auch tun würde und ich die Antas so richtig schön hassen kann.

Den ersten Teil finde ich nur natürlich und geht mir genauso. Man möchte sich ja mit den Charakteren identifizieren, nein, man hat die Charaktere am liebsten, mit denen man sich am meisten identifizieren kann. Wie man sich im realen Leben die Leute sucht, die einem selber ähnlich sind, mit denen man auf einer Wellenlänge ist. Ich muss aber den Anta deswegen nicht hassen können, im Gegenteil. Ich finde es am spannendsten, wenn ich den Anta nicht hassen kann.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Fianna am 03. Juni 2015, 15:49:08
Zitat von: Witch am 03. Juni 2015, 08:34:57Ich muss aber den Anta deswegen nicht hassen können, im Gegenteil. Ich finde es am spannendsten, wenn ich den Anta nicht hassen kann.
Ich habe sehr häufig eine Spiegelung von Antagonist und Protagonist, in Charakter, Biographie, Verhalten... Meistens aber nicht das Komplettpaket.

Teilweise nutze ich das vor der Positionierung als Gegner (in einem Fall ist dieser Eindruck der verwandten Seelen vom Antagonisten manipulativ herbeigeführt, da er den Protagonisten für seine Zwecke benutzt), teilweise während die Figuren erkennen, dass sie gegeneinander arbeiten müssen, und in mindestens zwei Fällen trifft der Protagonist nach der überstandenen Auseinandersetzung eine Entscheidung, sich in einem Punkt so zu verhalten wie der Antagonist. Wie z.B. das weiter oben erwähnte Belügen seines Volkes.
Der Protagonist ist gezwungen, sich in einem Punkt wie der Antagonist zu verhalten und erkennt (spätestens da), dass eine Verurteilung des Antagonisten als bösartiger Mensch nicht so einfach ist.
Oder er zieht Vergleiche zu seinem früheren Ich (vor den ganzen Ereignissen) und stellt fest, dass er sich (in Verhalten oder Idealen oder sonstwas) dem Antagonisten angenähert hat.
In der Regel sowas wie "Heiligt der Zweck die Mittel?" oder der Protagonist grübelt über notwendige Entscheidungen, die ihn (in seiner Befürchtung) immer näher in Richtung des Antagonisten rücken.

Ich schreibe aber auch am liebsten Sword and Sorcery und Low Fantasy, da gibt es sowieso keine schwarzen und weißen Figuren.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: DoroMara am 03. Juni 2015, 21:48:07
ZitatIch finde es am spannendsten, wenn ich den Anta nicht hassen kann.

Ein bisschen Hassen liegt schon drin (ich glaube, so meinst du es auch Witch). Aber ich möchte für den Anta auch Empathie oder Verständnis haben. Und toll ist es wirklich, wenn er sich, wie Aljana schreibt, zum Helden wandelt. Nur soll dies für den Leser auch überraschend sein!
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: canis lupus niger am 04. Juni 2015, 17:54:33
Zitat von: Aylis am 01. Juni 2015, 22:51:28
Meine konkrete Frage ist eigentlich: Wie verleiht ihr euren Gegenspielern so richtig Schneid?

Gebt ihr euch zufrieden mit dem düsteren Magier, der eine schlimme Kindheit hatte? Könnt ihr vielleicht komplett ignorieren, dass es jeden Bösewicht irgendwie schon einmal gab oder habt ihr Tipps, wie ich diese Stimme ausschalten kann?

Ich gebe zu, dass der düstere Magier mit der schlimmen Kindheit spontan in meinen Kopf drängt, wenn ich anfange zu entwerfen - mangels besseren Ideenmaterials.  :versteck:

Inzwischen gehe ich aber systematischer mit meinem Material um. Wenn ich mich entschieden habe, was in der Geschichte grundsätzlich passieren soll, dann überlege ich mir, wer etwas dagegen haben könnte, dass der/die Prota mit seinen/ihren Wünschen in Frieden zum Erfolg kommt. Abhängig vom Setting/dem Grundplot kann das dann ein Konkurrent, ein Neider, ein eifersüchtiger Ex, ein Krimineller mit eigenen Zielen (ursprünglich ganz ohne Bezug zum Prota), etc sein. Entscheidend ist, dass jemand entsteht, der komplex, realistisch und lebendig genug ist, um bei Umkehrung der Perspektive selber als Prota dienen zu können. Seine Ziele müssen  ihm wichtig sein. Der Autor muss den Antagonisten ebenso lieb haben, wie den Prota.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Franziska am 04. Juni 2015, 19:37:33
Da bin ich wohl die einzige, die es auch in Ordnung finder, wenn der Anta keine Begründung für seine Bösartigkeit bekommt. Klar kann man sagen, dass das langweilig ist aber irgendwie finde ich gerade Menschen interessant, die  einfach ihre Ziele nach Macht oder irgendwas anderen verfolgen, ohne dass sie als Kind misshandelt wurden.  Welche Begründung haben denn reale Herrscher? Man kann ihnen natürlich eine Ideologie geben,  aber auch finde nicht, dass das sein muss. Mein einziger richtig klassischer Anta kommt eigentlich kaum vor im Buch.
Sonst geht es bei  mir abee auch eher um innere Konflikte der Figuren oder um mehrere Parteien die unterschiedliches wollen. Das finde ich interessanter als gut gegen böse Geschichten. Vor allem finde ich es interessanter wenn es mehr als zwei Parteien gibt.  Bei meinem einzigen Fantasyroman gibt es mehrere Antas. Den richtig klassischen bösen Herrscher, der einfach seine Macht erhalten will und einen anderen mit einer Ideologie die man auch verstehen kann und gar nicht klar ist,, ob er wirklich ein Anta ist.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Churke am 04. Juni 2015, 20:05:07
Zitat von: Franziska am 04. Juni 2015, 19:37:33
Klar kann man sagen, dass das langweilig ist aber irgendwie finde ich gerade Menschen interessant, die  einfach ihre Ziele nach Macht oder irgendwas anderen verfolgen, ohne dass sie als Kind misshandelt wurden.  Welche Begründung haben denn reale Herrscher?

Tywin Lennister ist ein rational kalkulierender Machtpolitiker. Er geht über Leichen, aber jede seiner Handlungen ist Notwendigkeit geschuldet. Jofrey dagegen hat das, was man im Jugendstrafrecht als "schädliche Neigungen" zu bezeichnen pflegt.
Oder nehmen wir den "Obersten Führer", Kamerad Kim Jong-un. Er kleidet sich wie Dr. Evil, hat eine lächerliche Frisur und auch sonst die Allüren eines Bond-Bösewichts. Dass ein Mann in seiner Position auch mal jemanden hinrichten lassen muss, ist klar. Aber Vertraute an Hunde zu verfüttern oder durch Flakbeschuss zu zerfetzen, ist stark verhaltensauffällig. Da muss man sich schon Gedanken über das Psychogramm machen.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Mithras am 04. Juni 2015, 21:46:16
@Franziska: Du bist nicht allein! ;D Für muss ein Antagonist nicht unbedingt moralisch ambivalent sein, und ich brauche auch nicht zwangsweise eine Begründung dafür, warum er so ist, wie er ist. Wichtig ist nur, dass der Charakter in sich schlüssig ist. Menschen sind nicht eindimensional, ihre Persönlichkeit ist vielfältig und einzigartig, und das gilt für die "guten" genauso wie für die "Bösen

Witzigerweise begann mein Langzeitprojekt mit den Antagonisten, von denen die meisten schon feststanden, ehe ich mir überhaupt über die Protagonisten im Klaren war. Das Böse fasziniert mich ungemein, diese verführerische Kraft, die uns mit unseren eigenen, destruktiven Abgründen konfrontiert. Außerdem habe ich eine Vorliebe für mächtige Figuren, und die zählte ja schon immer zu den besten Mitteln, die moralischen Prinzipien desjenigen zu untergraben, der über sie verfügt. Wer mächtig ist, wir dubiose Dinge tun. Vielleicht erkennt er, dass er seine Macht verantwortungsvoll einsetzen muss, und kommt zum Schluss, dass der Zweck die Mittel heiligt? Oder er missbraucht seine Macht einfach nach bestem Wissen und Gewissen?

Bei mir gibt es eine Reihe von Personen, die man als Antagonisten bezeichnen kann und die im Hintergrund die Strippen ziehen. Zum Beispiel einen sadistischen Inquisitor, der nach dem Tode seines Mentors die Gelegenheit beim Schopfe ergreift und sich mit propagandistischem Geschick, subtilen Intrigen und unglaublicher Unverfrorenheit an die Spitze des Staates putscht. Er ist ein Perspektivträger, und es macht einfach unglaublichen Spaß, seine Sicht der Dinge zu beschreiben. Mein Hauptantagonist bleibt  im Hintergrund; er ist kein Mensch und lebt bereits seit Jahrtausenden. Wer über das Schicksal ganzer Völker und Kulturen entscheiden kann und unzählige Generationen von Menschen kommen und gehen gesehen hat, für den zählt ein Menschenleben nicht. Bei ihm spielt Langeweile eine entscheidende Rolle, das Alltägliche ist für ihn banal, er sucht die Herausforderung, den Nervenkitzel. Das führte letztlich dazu, dass er seine eigene Schöpfung - ein Reich und eine Religion, die er selbst aufgebaut hat -, untergehen lässt, als ihm sein Konkurrent die Kontrolle darüber entreißen will. Damit wird er zum Stichwortgeber meines heimlichen Protagonisten, der sich damals unwissentlich unstrumentalisieren ließ und damit meinem Antagonisten bei der Zerstörung seiner Heimat geholfen hat. Nun will er natürlich verhindern, dass dieser noch weiter mit dem Schicksal von Völkern spielt, als seien es Schachfiguren, und macht aus seinen Rachegelüsten keinen Hehl. Für ihn heiligt der Zweck natürlich alle Mittel, doch der enntscheidende Punkt, der ihn auch zu meiner unangefochtenen Lieblingsfigur macht, ist, dass er eben nicht ideologisch verblendet ist, sondern sich trotz seiner stets zur Schau getragen Macht und Skrupellosigkeit ständig hinterfragt und zum Schluss bereit ist, die Konsequenzen - alle Konsequenzen - zu tragen, um diejenigen zu schützen, die ihm etwas bedeuten.

Wer der Antagonist ist, hängt letztlich von der Perspektive ab. Jede Figur kommt einer anderen irgendwann in die Quere, und an der Spitze einer jeden Partei steht eine Person mit zweifelhaften Motiven und noch zweifelhafteren Methoden. So ergeben sich ständig neue Bündnisse und Konstellationen, und die Grenzen zwischen Freund und Feind sind ständig in Bewegung. Denn letztlich sind alle Figuren Menschen (oder etwas Ähnliches) und so unvollkommen und ambivalent, wie es Menschen nun einmal sind.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Christian Svensson am 04. Juni 2015, 21:46:53
Muss es denn immer ein Bösewicht sein?

ZitatSonst geht es bei  mir abee auch eher um innere Konflikte der Figuren oder um mehrere Parteien die unterschiedliches wollen.

Das finde ich einen guten Ansatz. Letzten Endes ist der Antagonist doch nur der Ankerpunkt oder der Konfliktgegenpunkt. Der Kern einer Geschichte muss ja nicht Protagonist gegen Antagonist sein, sondern ein Konflikt, ein Problem, eine Aufgabe, ein Ziel für den Protagonisten. Auch das ist ein Ansatz.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Aljana am 05. Juni 2015, 11:20:06
Zitat von: Bardo djel Liores am 04. Juni 2015, 21:46:53
Muss es denn immer ein Bösewicht sein?

Das finde ich einen guten Ansatz. Letzten Endes ist der Antagonist doch nur der Ankerpunkt oder der Konfliktgegenpunkt. Der Kern einer Geschichte muss ja nicht Protagonist gegen Antagonist sein, sondern ein Konflikt, ein Problem, eine Aufgabe, ein Ziel für den Protagonisten. Auch das ist ein Ansatz.

Eine ganz berechtigte Frage. die klassische Heldenreise der Antike ist ja auch nicht unbedingt der Kampf Guter Protagonist gegen böser Overlord. Sondern es geht um eine Chrakterliche Entwicklung des Protagonisten eine Reifung und Wandlung im klassischen Sinne. Das macht auch den Unterschied zwischen für mich gut und excellenten packenden Büchern.
Ich glaube das Gefühl, dass ich damlas durch Tolkien vermittelt bekam, dass Verstehen, dass meine Gefährten am Ende der reise nicht mehr die waren, als die sie einst aufbrachen, war für mich viel wesentlicher, als die tatsache, dass Sauron besiegt worden war. Es ist die Spannung, die einem Buch einen Wiederlesewert gibt. Diese Wandlung zu verfolgen, nicht das Wie sondern das Was. Und das kann einen immer wieder gefangen nehmen.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Churke am 05. Juni 2015, 12:09:20
Zitat von: Aljana am 05. Juni 2015, 11:20:06
Eine ganz berechtigte Frage. die klassische Heldenreise der Antike ist ja auch nicht unbedingt der Kampf Guter Protagonist gegen böser Overlord. Sondern es geht um eine Chrakterliche Entwicklung des Protagonisten eine Reifung und Wandlung im klassischen Sinne.

In "Knight Rider" heißt es: "Ein Mann und ein Auto kämpfen gegen das Unrecht."
Wenn eine Figur für eine Sache kämpft, die vom Leser als gut und gerecht angesehen wird, dann bringt ihr das Sympathie - und es verleiht ihr auch Kraft. Der Antagonist gibt dem Unrecht ein Gesicht. Der Dualismus ist nicht die Bibel, aber wo du schon die antike Heldenreise anführt, so gebe ich zu bedenken, dass diese vom Plot her anders und eher episodenhaft strukturiert ist.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: heroine am 28. Juni 2015, 09:03:27
Huhu,

ein wenig spät, aber leider bin ich nicht früher dazu gekommen. Das Thema finde ich sehr spannend, weil ich persönlich Antas immer auch ein bisschen genauso liebe wie die Protas selbst.  :vibes:

Zitat von: Aylis am 01. Juni 2015, 22:51:28
Wie verleiht ihr euren Gegenspielern so richtig Schneid?

In dem er genau wie der Prota Träume und Ziele bekommt. Er wird nie durch und durch unsympathisch sein und auch immer seine guten Seiten haben. Allerdings baue ich nicht allein auf Erklärungen aus der schlimmen Kindheit, auch gute Kindheit kann zu Bösewichten führen und selbst schlimme Kindheit kann Helden prägen. Diese Rechtfertigung für das Verhalten finde ich manchmal einfach unnötig. Gelegentlich verwäscht es sogar den Charakter und liefert einen Mitleidsbonus, den der Anta gar nicht verdient hat. Wieso soll es in Ordnung sein, dass er Massenmord begeht, nur weil seine Mutter in verprügelt und sein Stiefvater ihn gehänselt hat? Auf einmal ist alles in Ordnung und er darf sich bei einem Psychologen ausheulen, weil die Welt so böse zu ihm war, als er in einer prägenden Phase war?

Für mich ist der Anta auch eine Form von Held und bekommt genauso viel Aufmerksamkeit und Zuneigung. Wenn es einen Bösewicht schon gab, so trifft das Gleiche auch auf den Helden zu. Wobei es nicht unbedingt sein muss, dass der Anta sich verrannt hat. Manchmal kann er absolut richtig und logisch handeln, ihm fehlen dann nur einfach Informationen, die Beispielsweise der Protagonist hat und der Antagonist eben nicht. Manchmal sind die Interessen auch nicht direkt entgegen gesetzt, sondern blockieren sich nur. Sprich der Anta hat gar nicht auf dem Schirm, dass er mit seiner Handlung, die für ihn absolut richtig ist, dem Prota schadet.

Genau aus dem Grund mag ich dreckige Fantasy-Welten so gerne, bei denen gibt es einfach kein reines Gut und kein reines Böse. Jeder hat Dreck am Stecken, mancher mehr manchmal weniger. Der Held trägt keine strahlende Rüstung, sondern eine blutige. Der Held ist kein Vorbild sondern ein mehr oder weniger gezeichnetes Individuum. Jeder eignet sich als Antagonist, die Perspektive muss nur stimmen. Da gefällt mir Sunflowers Bemerkung sehr gut:
Zitat von: Sunflower am 02. Juni 2015, 23:17:51
Was ich auch noch ganz wichtig finde: Antagonisten sind nur aus der Sicht des Protagonisten "böse"/Gegenspieler! Sie selbst denken nicht von sich, dass sie etwas tun wollen, weil es eben böse ist.

Wie von pyon angesprochen denke ich man darf auch Antas machen, die eben nicht nur missverstanden sind, sondern auch mal aus dem Selbstzweck heraus Gegenspieler sind, es kommt dann eben drauf an, wie dieser Charakter sonst eingebettet ist und was ihm Tiefe gibt.

Die Balance zwischen zu schwach und zu stark ist da schon schwieriger. Grundsätzlich würde ich den Anta aber ein bisschen stärker machen als den Helden, so dass es für den Helden nicht einfach wird seinen Gegenspieler zu besiegen. Wie viel stärker kommt ganz drauf an, unter Umständen kann er auch so stark sein, dass der Held ihn nie überwindet.

Was ich an einem Anta nicht mag ist wenn er einfach nur böse ist um böse zu sein. Keine Motive außer der Zerstörung, keine Leidenschaft außer Foltern und Morden, keine Perspektive außer alle auftretenden Helden auszulöschen. Das ergibt für mich keinen Sinn und macht den Bösewicht flach. Genauso unangenehm finde ich stereotype Beschreibungen: bösartige Augen, fieses Lachen (natürlich kann das angebracht sein aus Sicht des Helden, wenn er bereits mehr über den Menschen weiß und von sich aus wertet, aber nicht als allgemeine Beschreibung) am Besten noch mit Mangel an Attraktivität gekoppelt. Der Held ist schön, der Antiheld hässlich.

Vielleicht kann es dir helfen einen Helden zu basteln und seine Motive so lange zu drehen bis er ein Antagonist geworden ist? Ich denke es ist durchaus eine gute Vorstellung, dass die Geschichte aus der Sicht des Anta erzählt ebenfalls eine Heldengeschichte wäre bei der, der eigentliche Held der Bösewicht des Antas ist. Vielleicht hilft es ja das in einer kleinen Kurzgeschichte zu umreißen oder zumindest in einer gedanklichen Skizze? Also genau das, was Christopher auch schon geschrieben hat.

Was den 'böse geborenen' Antagonisten anbelangt. Ich habe durchaus einige Charakter, die grundsätzlich kein Mitgefühl empfinden und stark zum Sadismus neigen, die müssen aber nicht automatisch zum Antagonisten werden. So einen in eine Heldenrolle zu bekommen kann auch spannend sein.

Zitat von: Christopher am 02. Juni 2015, 19:24:52
Bei all der Zeichnung von Anta etc. aber bitte nicht vergessen, dass man nicht zwingend eine Person als Antagonisten braucht. Die sogenannten antagonistischen Kräfte tun es auch. Äußere Umstände (Religion, Gesellschaftsform, Herkunft etc.) tun es auch ganz gut und können mehr als ausreichend unterhalten. Nehme z.b. Der Name des Windes als aktuelleres Beispiel. Es gibt keine Person, die klar der Antagonist gibt (höchstens Nebenfiguren die gegen den Prota arbeiten, aber keine allgemeingültigen Antagonisten). Stattdessen die Umstände von Herkunft, Lebensumständen und der Gesellschaft, die es dem Prota schwer machen.

Persönliche finde ich die Lösung etwas einfach. Aber was ist mit dem bösen Inquisitor, der einfach nur verblendet ist und Opfer des Systems? Es gibt immer jemand der diese antagonistischen Kräfte repräsentiert und es gibt Gründe warum jemand diese Überzeugung hat und aus dieser Überzeugung heraus agiert.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Churke am 28. Juni 2015, 10:06:50
Zitat von: heroine am 28. Juni 2015, 09:03:27
Persönliche finde ich die Lösung etwas einfach. Aber was ist mit dem bösen Inquisitor, der einfach nur verblendet ist und Opfer des Systems? Es gibt immer jemand der diese antagonistischen Kräfte repräsentiert und es gibt Gründe warum jemand diese Überzeugung hat und aus dieser Überzeugung heraus agiert.

Und wenn der Inquisitor als pflichtbewusster Beamter einfach nur seinen Job macht und sich strengstens an die Buchstaben des Gesetzes hält?
Der Inquisitor ist nicht der Fiesling und auch nicht Opfer, sondern Repräsentant des Systems.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: heroine am 28. Juni 2015, 10:10:39
Das war genau der Punkt, die leichte Ironie im 'Opfer des Systems'. Jeder kann ein System instrumentalisieren und damit aktiver Antagonist werden. In dem Fall ist es eben nicht dieser Inquisitor Anta, sondern der Denunziant.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: AlpakaAlex am 30. August 2021, 12:47:03
Ich gebe offen zu, dass Antagonist*innen meine große Schwäche sind. Sie spielen einfach bei mir zu wenig eine Rolle, weshalb sie unglaublich blass sind - und ich bin mir nicht sicher, wie ich das ändern kann. Tatsache ist nämlich, dass meine Geschichten fast immer Charakterreisen sind, die sich in erster Linie um die Hauptcharaktere und ihre Entwicklung drehen. Die Antagonist*innen spielen halt eben nur die Rolle eines Steins im Wege der Protagonist*innen. Damit bin ich selbst aber nicht wirklich zufrieden. Besonders stört es mich bei meinem letzten Projekt - 7 Nächte - wo ich halt zwar eine genaue Vorstellung davon habe, wer die Antagonisten eigentlich sind, der Hauptkonflikt dreht sich aber um die Protagonistin und ihre Gefühle, weshalb sie wirklich nur in einem Kapitel Kontakt zu den Antagonisten hat. Deswegen bleiben die wirklich vage in ihrer Motivation, was schade ist, weil ja ... Aber was sollte ich machen? Einen Bösewichtsmonolog? Das ist ja auch keine Lösung. Problem war halt eben, dass die Antagonisten sehr wenig Interesse an der Protagonistin haben.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Malou am 30. August 2021, 14:01:25
Das ist ja mal ein interessanter Thread mit sehr vielen inspirierenden Antworten ;)

Es wurde schon unglaublich viel dazu gesagt, "wer" genau nun ein Antagonist ist oder sein kann und wie man sich einen solchen vorstellt, was vielleicht eher als sinnvoll und nicht (so) sinnvoll gesehen wird. Total spannend, da kann ich Sachen für mich mitnehmen.

Deswegen hier ein noch etwas anderer Kommentar zur Sache (ich hab nicht ALLES gelesen und weiß daher nicht sicher, ob es nicht bereits gesagt wurde):

*Wichtig für einen tollen Antagonisten ist es meines Erachtens nach vor allem, dass man sich aktiv entscheidet, welchen Antagonisten man schreibt.*

Ich glaube, das Wichtigste ist es, sich wirklich bewusst zu machen, welche Figur man schreiben will. Man sollte wissen, wen man vor sich hat. Nur dann kann man diesem Charakter etwas Tieferes und Faszinierendes verleihen, alles andere wird meist WischiWaschi, von unserem Unterbewusstsein rücksichtslos manipuliert. Und dieses Bewusst-machen sollte wirklich auch aktiv passieren. Ein einfaches "Ach ich schreib mal einen bösen Antagonisten" würde bei mir nicht langen. Dann schreibe ich motiviert vor mich hin - und siehe da, in den Momenten, wo er oder sie abgrundtief böse sein soll, zaudere ich und tu's doch nicht, mach ihn oder sie handzahmer, komme plötzlich mit irgendeiner spontan zusammengesponnenen Erklärung ums Eck, warum jetzt doch nicht. Und so wird nur was Halbes draus. Hallo Unterbewusstsein, das sich davor scheut, solche Charaktere tatsächlich zu schreiben.

Ich nehme bewusst den bösen Antagonisten als Beispiel, da ja eher verpönt (Gott sei Dank gibt es mittlerweile mehr Diversität). Manchmal ist es aber auch als Leser ganz nett, einfach gegen das Böse mitfiebern zu können. Damit solche Charaktere aber nicht flach werden, sollte man sich bewusst dafür entscheiden, ihn oder sie so zu schreiben. So ein Charakter muss auch nicht oberflächlich sein, im Gegenteil, er oder sie kann genauso vielschichtig sein wie das "Gute". Wie ist die Biografie? Was sind die persönlichen Motive für die Taten? Was sind die Ziele? Welche Überzeugungen gibt es? Hat auch er/sie ein Want und ein Need? (Anmerkung: Want und Need müssen nicht immer auf Positives ausgelegt sein). Gibt es Ängste und Phobien, gibt es enge Freunde, Familie, wie ist das Verhältnis, welche speziellen Fähigkeiten hat der Antagonist? Wie entwickelt er/sie sich mit dem Verlauf des Romans? Wie hier schon gesagt wurde, kann man den Anta dazu aktiv befragen oder mal einen ersten Entwurf schreiben, um mal zu sondieren, wo es hin geht. Wenn man es erst weiß, dann kann's richtig losgehen :D Anzunehmen, dass klischeehaftere böse Antagonisten immer alle irgendwie gleich sind, finde ich zu kurzsichtig. Ich liebe Antagonisten, die am Ende doch irgendwie halbwegs gut sind (oder es zumindest in ihrer Welt sind), aber es gibt sie, die fantastischen Bösewichte.

(Ich klammere hier mal aus, dass Charaktere einen manchmal überraschen können. Dass sie manchmal doch anders sind als gedacht und das nicht nur reine Unterbewusstsein-Manipulation ist. Da ist es dann an dem Autor/in zu entscheiden, was man tut. Auch Antagonisten können sich verändern.)

Ich möchte nur sagen: kein WischiWaschi - ja, ich predige mir das auch regelmäßig selbst *g* Willst du (also nicht DU, das ist eine allgemeine Anrede ;)) einen abgrundtief bösen Antagonisten, dessen Lebensinhalt darin besteht, dem Prota Steine in den Weg zu legen, dann tu es. Verschreib dich diesem Ziel. Z.B. als Racheplot oder... keine Ahnung. So ein Anta könnte fast witzig sein *g* Kritische Selbstreflexion sollte definitiv betrieben werden, da gibt es hier ja super Gedankenanstöße en masse. Aber irgendwann muss dann in meinen Augen Schluss sein. Wenn man dauernd nur denkt "Oje, ich sollte es vlt doch anders machen", kann es (zumindest bei mir) nicht gut werden, weil man sich nicht darauf konzentrieren kann und eigentlich schlussendlich keine Ahnung hat, wer er oder sie jetzt ist. Schonmal einen wirklich guten Prota geschrieben, wenn man als Autor-in nicht wirklich eine Ahnung hatte, wer das ist oder sich da nicht festgelegt hat? (Wer ja sagt, Hut ab, ehrlich. Dann bitte hier kommentieren und uns erzählen, wie du das geschafft hast ;) )

Jeder Antagonist, ob nun böse, nicht ganz so böse, eigentlich gut oder wie auch immer ist wie jeder Held-in/ Prota einzigartig ;) ich glaube, wenn man versteht, wen man vor sich hat, kann man diese Figur auch toll schreiben. Ob der Leser das dann mag - nun, glücklicherweise gibt es sowas wie Geschmackssache :D
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Sanjani am 03. Juni 2023, 20:03:18
Hallo zusammen,

ich hole diesen alten Thread mal hoch, weil ich mich heute mit einem Problem beschäftigt habe, das dazu passt, und von dem ich finde, dass im Thread noch nicht so viel gesagt wurde. Ich entwerfe nämlich auch gerade zwei Antas, einen verrückten Wissenschaftler und einen kruden Wirtschaftstypen, der eine hat die Technik und der andere das Geld und sie wollen eine gesellschaftliche Umwälzung nach ihren persönlichen Werten schaffen. So weit, so gut. Das Problem, das ich habe, ist, dass ich es extrem schwierig finde, mich in solche Leute hineinzudenken. Ich meine, es gibt ja so Leute, man schaue sich nur die zahlreichen Diktatoren der Geschichte an, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Ziele verfolgen, oder Leute wie Ilon Musk oder Jeff Besos, die viel Geld haben, aber mit Sicherheit keine Gutmenschen sind. Man muss also eigentlich gar nicht lange herumüberlegen, man könnte sich auch einfach inspirieren lassen. Ich kann nur absolut nicht nachvollziehen, wie solche Leute ticken, und das will für mich als Psychologin schon echt was heißen. Natürlich kann ich so eine Figur am Reißbrett entwerfen, indem ich mich darüber informiere, welche Gegebenheiten in solchen Biografien oft vorkommen und was passieren muss, damit jemand auf eine bestimmte Art und Weise agiert. Die schlimme Kindheit finde ich übrigens furchtbar abgedroschen. Bei mir in den Therapien sitzen sehr viele traumatisierte Patienten, die eine furchtbare Kindheit hatten, aber definitiv nicht böse sind. Und ich glaube, das trifft auf die meisten Leute zu, die eine schlimme Kindheit hatten. Die interessante Frage ist ja eher, warum wählt jemand diesen Pfad, dass er andere Leute ausnutzt und schädigt, um Ziele zu erreichen. So, aber um zurückzukommen auf mein Problem: Wenn ich z. B. einen Charakterfragebogen ausfüllen würde zu einer Gegenspielerfigur, dann könnte da sicher was zusammenkommen, aber ich kann mich nicht reindenken in so jemanden und schon gar nicht hineinfühlen. Und das bedeutet, dass ich die Handlungsschritte der Person so schwer planen kann. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. Leider kenne ich auch aus Büchern echt keine guten Beispiele, denn bei den meisten Antagonisten in Büchern geht es mir genauso. Ich nehm das zur Kenntnis, dass der ein Rachemotiv hat oder geldgeil ist oder nach Macht strebt, aber ich kaufe es den Autoren in der Regel nicht ab. Ich hatte tatsächlich nur einmal eine Perspektive eines Pädophilen, die ich persönlich richtig gut fand. Leider fällt mir der Buchtitel nicht mehr ein.
Tatsächlich geht es mir in der Arbeit bei manchen Leuten auch manchmal so. Da sitzen Leute vor mir, die echt viel Geld verdienen und die haben Angst, dass sie finanziell ruiniert werden könnten. Das gibt es ziemlich häufig, und ich verstehe es einfach nicht. Ich glaube, vieles davon ist einfach zu weit weg von meinen persönlichen Werten und Anschauungen.

Wie seht ihr das? Ist es überhaupt nötig, sich so weit hineinzudenken und hineinzufühlen oder genügt es, wenn man auf dem Reißbrett eine Figur entworfen kann, die schlüssig ist? Und falls nicht, was hilft euch, in den Protagonisten hineinzuschlüpfen?

LG Sanjani
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Rhagrim am 04. Juni 2023, 08:51:17
Hi @Sanjani

Ich hab mich mit dem Thema recht viel auseinandergesetzt, und hätte da ein paar Vorschläge

1) Vielleicht der "unkomplizierteste" Weg: Psychopath. Kein oder kaum Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, das ihn daran hindert, andere Menschen so zu manipulieren und zu missbrauchen, wie er es für seine eigenen, wie auch immer gearteten Ziele für richtig befindet.  Lydia Benecke hat da drei sehr interessante Bücher rausgebracht, die sich auch mit den Psyche und dem Denkmuster von Psychopathen bzw. Sadisten  beschäftigen:
Auf dünnem Eis - Die Psychologie des Bösen (https://www.amazon.de/Auf-d%C3%BCnnem-Eis-Psychologie-B%C3%B6sen-ebook/dp/B00COIOQFG/ref=tmm_kin_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1685859174&sr=8-1)
Psychopathinnen: Die Psychologie des weiblichen Bösen (https://www.amazon.de/Psychopathinnen-Die-Psychologie-weiblichen-B%C3%B6sen-ebook/dp/B0716PMRH6/ref=tmm_kin_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1685859254&sr=8-2)
Sadisten: Tödliche Liebe - Geschichten aus dem wahren Leben (https://www.amazon.de/Sadisten-T%C3%B6dliche-Liebe-Geschichten-wahren-ebook/dp/B00K67WUEQ/ref=tmm_kin_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1685859214&sr=8-4)

2) Narzissten: Da wären wir allerdings, laut meinen Recherchen, wieder bei Kindheitstraumata, die den Narzissmus geformt haben. (EDIT: Wobei, fällt mir ein, nach neuesten Erkenntissen ironischerschweise ausgerechnet auch Social Media zumindest narzisstisches Verhalten fördern kann, durch die soziale Isolation und den damit einhergehenden Verlust "echter" zwischenmenschlicher Bindungen einerseits und den "Zwang", sich andauernd selbst zu vermarkten, um Likes zu sammeln, andererseits) Narzissten gelten ja auch als "unheilbar", weil dieses Verhaltensmuster und Selbstbild so tief eingebrannt ist, dass sie zu keiner Selbstreflektion fähig sind, die ihr eigenes grandioses Selbstbild hinterfragt bzw. voraussetzt, dass sie eigene Schuld zugeben können.
Sie projizieren ihre eigenen Unsicherheiten und Mängel extrem nach außen und wandeln ihre eigene Realität und Erlebnisse so, dass es in ihr Weltbild passt. Nachdem so jeder andere immer "der Böse" wird, der ihnen wahlweise Unrecht getan hat, etwas schuldig ist, dankbar für ihre Aufmerksamkeit sein sollte und ihnen eigentlich viel mehr Anerkennung zollen sollte (etc.), können sie ihr Verhalten super rechtfertigen, weil sie sich selbst einfach nie im Unrecht sehen.
Da hätte ich auch ein spannendes Buch, sowie einen total interessanten Youtube Channel im Angebot, wo ersteres Einblick in die Enstehung und das Innenleben von Narzissten bietet und letztere sich mit den Denkensmustern und Taktiken von Narzissten auseinandersetzt:
Narzissmus: Dem inneren Gefängnis entfliehen (https://www.amazon.de/Narzissmus-Dem-inneren-Gef%C3%A4ngnis-entfliehen-ebook/dp/B06XKHXB9P/ref=tmm_kin_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1685859422&sr=8-1)
(Youtube Channel) Hilfe für Opfer von Narzissten (https://www.youtube.com/@narzissmushilfe)

3) Ideologie / Religion / Politik: Die meisten Menschen wollen von sich glauben, dass sie gute Menschen sind und das richtige tun. Die meisten Menschen kategorisieren sich und ihre Mitmenschen unbewusst automatisch in (ich bzw. wir = Gut) und (der bzw die anderen = böse). Das sieht man schon, wenn man in einer neutralen Gruppe von Menschen Teams bildet, die zusammenarbeiten sollen, dass man die Mitlgieder und das Verhalten des eigenen Teams automatisch oft besser/klüger/wasauchimmer einschätzt, während die Mitglieder des anderen Teams herabgewertet werden. Spätestens sobald es um so fundamentale Themen wie Ideologie, Politik, oder Religion geht, verschärft sich dieses Denken zu einem Punkt, wo "der andere" nicht nur eine andere Weltsicht hat, sondern tatsächlich als "böse" angesehen wird und vielleicht nicht mehr als Mensch gilt.
Jemandem seine Menschlichkeit abzusprechen ist ja Trick Nr. 1 um Mobbing, Misshandlungen, Mord etc. relativ einfach rechtfertigen zu können, sei es jetzt durch rassistisch motivierte Entmenschlichungen, aufgrund von körperlichen oder geistigen Einschränkungen, oder durch religiöse, oder eben auch politische Ansichten.
Mao Zedong meinte ja zB explizit, dass "die falsche politische Gesinnung zu haben gleichbedeutend damit sei, keine Seele zu besitzen" und für ihn galten als Menschen bzw als das "Volk" nur jene, die seine kommunistische Partei unterstützt haben. Was es "leicht" gemacht hat, alle anderen als Feinde abzustempeln, als Dämonen oder sonstwas, die dem utopischen Traum im Wege stehen und auf die ein oder andere Art und Weise ausgemerzt gehören. Wie viele Menschen in dieser Revolution dadurch damals gestorben sind... ist unklar, wird aber auf 40–80 Millionen Tote geschätzt. Same mit Lenin. Oder Stalin. Und ironischerweise wird der Kommunismus dennoch nicht so verdammt, wie der Faschismus, weil seine Ideologie schön und utopisch klingt - ein Traum, für den es sich "lohnt" Opfer zu bringen, weil die eben die Feinde sind, die diesem Taum im Wege stehen. Anders als der Faschismus, der nach außen hin ganz offen so tyrannisch und rassistisch ist und dadurch leicht als böse erkannt werden kann.
Gleichzeitig waren diese Diktatoren von sich überzeugt, das "richtige" zu tun - und das finde ich persönlich die spannendste und glaubhafteste Form von solchen Antagonisten, da es sich in der Geschichte bereits so oft wiederholt hat und es so menschlich und leicht ist, selbst in dieselbe Falle zu tappen, wenn man nur stark genug an irgendetwas glauben möchte.
Dazu gibt es auch ein paar sehr spannende Bücher, leider nur auf englisch, aber sehr empfehlenswert:
The Righteous Mind: Why Good People are Divided by Politics and Religion (https://www.amazon.de/Righteous-Mind-Divided-Politics-Religion-ebook/dp/B0076O2VMI/ref=tmm_kin_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1685860936&sr=8-1)
Losing Reality: On Cults, Cultism, and the Mindset of Political and Religious Zealotry (https://www.amazon.de/gp/product/B07N8H4W7W/ref=dbs_a_def_rwt_hsch_vapi_tkin_p1_i0)
Auf Spotify gibts eine total spannende Podcast Reihe von Real Dictators (Link (https://open.spotify.com/show/4yXsMW1CFOjL17OFbdca0L?si=9d39f6f325204fba)), die sich mit den Biografien von Diktatoren beschäftigt und auch ein bissel das psychologische mit reinnimmt, also, warum sie so waren, wie sie waren.

EDIT: In "the righteous mind" beschäftigt sich der Autor damit, wie Moral entsteht und wie Menschen ihre persönlichen Moralvorstellungen und Werte bilden. Dabei beschreibt er später anhand von durchgeführten Studien auch, dass das intuitive, moralische Urteil *immer* zuerst kommt, und die logische Erklärung erst danach, die wir uns dann so zurechtlegen oder gar manipulieren, dass sie das moralische Urteil rechtfertigen, und somit unser Weltbild aufrecht erhalten kann - selbst, wenn es völlig unlogisch ist.
An dem Punkt greifen dann ja auch so einige unbewusste Mechanismen in unserem Hirn, die diversen kognitiven Biase, die uns genau dabei "helfen": Die verschiedenen Arten und Wirkungsweisen werden hier echt gut erklärt: (Link (https://www.verywellmind.com/cognitive-biases-distort-thinking-2794763))
Ist ziemlich spannend, das an sich selbst und bei anderen zu beobachten und ich finde, ein interessanter Punkt, um sich in deinem Fall auch in die Denkensweise von deinen Antagonisten reindenken zu können.
Was tun/wollen/glauben sie? Und wie rechtfertigen sie es sich dann, dass das, was sie tun/wollen/glauben, das "Richtige" ist?

Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Yamuri am 04. Juni 2023, 09:52:10
1) Bei Psychopath*innen würden wir das Klisché reproduzieren, dass Psychopath*innen immer böse seien. So einseitig ist das aber nicht. Ich mag da Filme/Geschichten lieber die dieses Klisché bewusst bechen, wie in der koreanischen Serie "Bad Guys". Es gibt auch eine chinesische Serie in der einer der Protas "no empathy" hat aber trotzdem ein im Kern guter Mensch ist. Leider gibt es zu der Serie keine gescheiten Untertitel und sie ist wohl auch noch nicht fertig gedreht. Irgendwo habe ich auch mal eine Statistik gesehen, dass Psychopath*innen tatsächlich nur relativ selten wirklich zu Mördern werden. Sie sitzen meist eher in unserer Wirtschaft oder hohen Ämtern.

2) Narzissmus erscheint mir ein wenig ein Modewort zu sein, das in unserer Gesellschaft schnell und leichtfertig verwendet wird, wenn man sich mit jemandem gestritten hat. Der Vorwurf Person XY sei ein Narzist kommt mir gefühlt etwas zu häufig. Ich glaube dass auch dieses Krankheitsbild vermutlich gar nicht so oft diagnostiziert wird, wie es den Anschein macht, wenn man sich ansieht wie leichtfertig im Alltag der Begriff inzwischen teilweise gebraucht wird.

3) Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten und umgekehrt. Die meisten Tyrannen fangen mit einem hohen Ideal an, mit einem Traum von einer besseren Gesellschaft, in der es allen Menschen gut geht. Um dieses Ideal zu erreichen, wird dann nur leider oft über Leichen gegangen. Warum? Darüber kann man nur mutmaßen. Aber ich schätze, dass alle Menschen, die Idealisten sind an einem bestimmten Punkt an dem derzeitigen Entwicklungsstand unserer Menschheit scheitern. Jedes ideale System damit es funktionieren kann, erfordert nämlich eine bestimmte Reife des Menschen und die Erkenntnis, dass wenn wir nicht lernen unsere Mitmenschen so zu behandeln, wie wir uns das für uns selbst wünschen, jedes System langfristig zum scheitern verurteilt ist. Jedes System wird in Tyrannei enden, auch der Kapitalismus tut das, nur wesentlich subtiler, weshalb kaum jemandem die Knechtschaft und Unmenschlichkeit dieses Systems auffällt. Denn es ist der Mensch der sich grundlegend in seinem Wesen ändern muss, damit wir eine bessere Welt erschaffen können.
Scheitern nun Idealisten an der Natur ihrer Mitmenschen, die sowohl gut, als auch schlecht ist, kann diese Verzweiflung, die daraus entsteht zu Tyrannei führen. Wir denken dann, dass wir Gewalt anwenden müssen, um den Menschen zu seinem Glück zu zwingen.
Ich habe so eine Figur auch in einem meiner Projekte. Diese Figur will um jeden Preis Kriminalität aus der Welt schaffen und ist dafür bereit einfach alles zu tun, sogar selbst kriminell zu werden und unmenschliche Dinge zu tun, alles für die richtige Sache. Er denkt, der Zweck heilige alle Mittel, solange das Endergebnis ein Gutes ist.
Ich kann mir aber vorstellen, dass es durchaus auch Menschen gibt, die ihre Ideale nicht verraten und nicht zu einem Tyrannen werden. Diese Menschen werden dann aber vermutlich gar nicht erst versuchen in Machtpositionen zu gelangen, weil Macht meiner Beobachtung nach, offenbar immer irgendwann den Menschen korrumpiert. Sie werden im Kleinen einfach vorleben, wie es richtig wäre und langfristig, wenn es genug von ihnen gäbe wirklich in der Lage sein eine bessere Welt zu erschaffen.

4) Schlimme Kindheit - nicht jeder mit schlimmer Kindheit wird deshalb ein schlechter Mensch, das stimmt. Aber ich finde es durchaus wichtig zu zeigen, was eine schlimme Kindheit mit einem Menschen machen kann. Denn die Aussage "aber nicht jeder, der eine schlimme Kindheit hat, dreht dann durch" kann sehr leicht als Rechtfertigung dafür missbraucht werden, dass wir nichts ändern an unserem Umgang mit Kindern. Und das ist falsch. Es liegt sehr viel im Argen, wenn auch nur ein einziges Kind eine schlimme Kindheit durchleben muss. Daher finde ich es nicht verkehrt in Geschichten aufzuzeigen, was eine schlimme Kindheit anrichten kann. Wichtig finde ich in so einem Fall aber auch, dass wir zeigen, dass etwas, das aus einer schlimmen Kindheit resultiert auch wieder umgekehrt werden kann. Beim Thema schlimme Kindheit liebe ich Redemption Plots besonders, weil sie zeigen, auch wenn wir aus Verzweiflung einen falschen Weg einschlagen, können wir den Kurs korrigieren. Generell mag ich Antagonisten, die am Ende ihre Fehler erkennen und nicht einfach nur "böse" sind.

Edit: Zum Thema Menschen, die viel Geld haben, aber Angst haben finanziell ruiniert zu werden -> man muss selbst in dieser gesellschaftlichen Schicht gelebt haben um zu wissen, wie es sich anfühlt, was es bedeutet wohlhabend zu sein, unter welchen Zwängen und Erwartungen man dann steht. Es hat viel mit Gruppenzwang zu tun, viel damit, dass einem bewusst ist, dass wenn man viel hat, man das auch verlieren kann. Es zu verlieren ist gleichbedeutend mit einer Form des Gesichtsverlustes. Man hat in Wahrheit Angst dann sehen zu müssen, wie viele aus dem eigenen Bekanntenkreis sich abwenden würden, wenn man das Geld, das man hat wieder verliert, man hat Angst dann allein zu sein, ein niemand mehr zu sein. Das Geld ist nur ein Symbol dafür. Denn umso mehr Reichtum man besitzt, desto weniger wahre Freunde hat man unter Umständen. Die Angst das Geld zu verlieren, ist eigentlich die Angst, erkennen zu müssen, dass man die ganze Zeit allein war und die andren nur Freunde waren, weil man etwas besitzt. Diese Ängste verstehen, kann man wahrscheinlich nur, wenn man dieser gesellschaftlichen Schicht angehört, zumindest am unteren Rand.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Rhagrim am 04. Juni 2023, 11:40:28
Generell zu dem Punkt "Denkensweisen zu verstehen"

In seinem Buch "Wie man Freunde gewinnt (https://www.amazon.de/Wie-man-Freunde-gewinnt-einflussreich-ebook/dp/B00I5BP7ZY/ref=tmm_kin_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1685868377&sr=8-1)" erwähnt Dale Carnegie ein Zitat von John Dewey, das bei mir seither haften geblieben ist und mir oft geholfen hat, die Motivation von Menschen zu verstehen:

Zitat,,Der stärkste Trieb in der menschlichen Natur ist der Wunsch, bedeutend zu sein."

Sehr, sehr viele Handlungen und Motivation lassen sich dadurch tatsächlich gut verstehen und geben Hinweise auf Charakter eines Menschen, wenn man die Frage stellt: "Was gibt dir das Gefühl von Bedeutung? Und wie versuchst du, es zu erreichen?"

Das ist auch eine gute Frage, die man sich selbst stellen kann, wenn man bereit ist, wirklich darüber zu reflektieren - zumal es oft wirklich nicht einfach zu erkennen ist, weil man bei der Antwort höchstwahrscheinlich dazu tendieren wird, sich unbewusst selbst zu manipulieren (siehe meinen vorherigen Post)

Ein paar Beispiele:
Macht, Ansehen, Geld und Ruhm wären mal so die Klassiker, die wir im Alltag und in jeder zweiten Geschichte zu sehen bekommen.
Leistung, in wie auch immer gearteter Form, um als klug/schön/schnell/stark/etc. wahrgenommen zu werden.
Krankheit/Schwäche/Sonstige Beeinträchtigungen oder herausragende Merkmale: Ein sehr trauriges Beispiel, das mich persönlich immer sehr mitnimmt, umso mehr, da ich so einen Fall auch in meiner Familie hatte. Es war offensichtlich, dass diese Person einen extremen Mangel an Selbstwertgefühl hatte und krampfhaft versucht hat, Aufmerksamkeit zu bekommen und diese leider ausschließlich durch ihre Krankheit auf sich ziehen wollte, was es am Ende unmöglich gemacht hat, dieser Person zu helfen. Sie hatte Angst, falls sie tatsächlich gesund werden würde, nichts "besonderes" bzw. nicht mehr "hilfebedürftig" zu sein und nicht mehr beachtet zu werden. Daher finde ich es sehr traurig, sowas mitzuerleben, weil dieses Bedürfnis nach Bedeutung und Zugehörigkeit einfach so stark verankert ist, dass es eine Heilung fast unmöglich macht - und man sich dadurch selbst aus der Angst heraus, nicht liebenswert zu sein, wie man ist, unbewusst selbst dazu verurteilt "unglücklich sein zu *wollen*".

Besonders tricky ist es, um wieder auf den Punkt des Idealismus zurückzukommen, wenn man seine Bedeutung darüber finden möchte, ein guter Mensch zu sein. Die Frage stellt sich: Willst DU ein guter bzw. rechtschaffender Mensch sein? Oder möchtest du von ANDEREN als solcher wahrgenommen werden, d.h. deine guten Taten nach außen tragen, damit sie möglichst wahrgenommen werden und du dafür Lob/Anerkennung/Respekt/etc. erhältst und daraus die Bestätigung schöpfst? Vielleicht darüber sogar ein Gefühl moralischer Überlegenheit entwickelst, und dadurch in eine Spirale reinrutscht, die das Potenzial zu Extremen in sich birgt?
Wie erkennt man den Unterschied? Bist du hilfsbereit und begehst deine guten Taten mehr oder weniger im Stillen und unterstützt Menschen/Tiere/Umwelt/sonstiges, einfach "nur" weil es dir ein Bedürfnis ist, ohne dabei eine großartige Show daraus zu machen?
Bsp.: Keanu Reaves, der wie jeder andere normalsterbliche in der U-Bahn fährt und einen Großteil seines Geldes an die verschenkt, die es nötig haben - ohne sich großartig damit zu brüsten.

Oder genügt die gute Tat an sich nicht, sondern es geht dir in Wahrheit eigentlich um die Anerkennung, die du dafür erhalten willst? Das Feedback, das Lob, das Zugehörigkeits- oder Überlegenheitsgefühl? Begehst du *wirklich* gute Taten, oder signalisierst du nur *anderen* deine vermeintlich moralische Überlegenheit?

Ich behaupte mal, dass jeder von uns ersteres von sich selbst glauben möchte und sich deswegen selbst (unbewusst) effektiv davon überzeugt, ein wahrhaft guter Mensch zu sein und das Hirn dann einen meisterhaften Spagat hinlegt, um etwaige Ungereimtheiten in dem Selbstbild mit Rechtfertigungen zu kompensieren. (siehe das Ende meines vorherigen Posts)

Ich glaube, genau in diesem Punkt liegt auch ein wahnsinniges Potenzial für wahrhaft *Gute* (no pun indended  :P ) Antagonisten, die menschlich und tiefgründig sind.

Zitat von: Yamuri am 04. Juni 2023, 09:52:10Die meisten Tyrannen fangen mit einem hohen Ideal an, mit einem Traum von einer besseren Gesellschaft, in der es allen Menschen gut geht. Um dieses Ideal zu erreichen, wird dann nur leider oft über Leichen gegangen.
In meiner Recherche hab ich festgestellt, dass genau das ein immer wiederkehrender Kreislauf in der Geschichte der Menschheit war.
Neue Ideen, Neue Idealisten steigen auf und schaffen es (vielleicht durch eine Revolution, vielleicht ohne) an die Macht. Spätestens dann stellen sie fest, dass nicht ALLE Leute mit ihnen einer Meinung sein und ihren Traum von (wasauchimmer) teilen. Sie sehen ihre Macht bedroht, sind aber gleichzeitig natürlich von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt und fangen dann an, zu denselben tyrannischen Maßnahmen zu greifen, wie ihre Vorgänger. And on and on it goes.

Es scheint immer so zu sein, dass wir von einem Extrem ins andere pendeln und es nicht schaffen, einen Mittelweg zu finden.

Ein tolles Ausnahmebeispiel, das mich total gerührt hat, ist Daryl Davis, ein schwarzer Musiker, Autor und Aktivist aus Amerika, der sich mit Mitgliedern des Ku Klux Klans angefreundet hat und sehr viele daraufhin ihre Roben abgelegt und den KKK verlassen haben.
(Link zu einer grandiosen Spotify Podcast Folge mit ihm (https://open.spotify.com/episode/7AxelxnZMGgWKaN5VziesM?si=daaf6c07e82c42d7))

Er wollte nur eine Antwort auf die Frage wissen "How can you hate me, when you don´t even know me?" und er hat sich darauf eingelassen, all den Vorurteilen und Anfeindungen mit Geduld und Freundlichkeit zu begegnen - und er hatte Erfolg. Also es *geht*, sobald man sich selbst weigert, Feuer mit Feuer zu bekämpfen - aber das ist am Ende das, wozu die meisten Menschen tendieren. Kämpfe zu gewinnen. Argumente für sich zu entscheiden. Jemand anderen, den man als "böse" wahrnimmt zu besiegen.

Da gibts von Daryl Davis auch ein schöns Zitat dazu:
ZitatYou cannot hate the hate out of a person. You cannot beat the hate out of a person. But you can love it out of a person. 

Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Sanjani am 04. Juni 2023, 15:19:41
@Yamouri:
ZitatEdit: Zum Thema Menschen, die viel Geld haben, aber Angst haben finanziell ruiniert zu werden -> man muss selbst in dieser gesellschaftlichen Schicht gelebt haben um zu wissen, wie es sich anfühlt, was es bedeutet wohlhabend zu sein, unter welchen Zwängen und Erwartungen man dann steht. Es hat viel mit Gruppenzwang zu tun, viel damit, dass einem bewusst ist, dass wenn man viel hat, man das auch verlieren kann. Es zu verlieren ist gleichbedeutend mit einer Form des Gesichtsverlustes. Man hat in Wahrheit Angst dann sehen zu müssen, wie viele aus dem eigenen Bekanntenkreis sich abwenden würden, wenn man das Geld, das man hat wieder verliert, man hat Angst dann allein zu sein, ein niemand mehr zu sein. Das Geld ist nur ein Symbol dafür. Denn umso mehr Reichtum man besitzt, desto weniger wahre Freunde hat man unter Umständen. Die Angst das Geld zu verlieren, ist eigentlich die Angst, erkennen zu müssen, dass man die ganze Zeit allein war und die andren nur Freunde waren, weil man etwas besitzt. Diese Ängste verstehen, kann man wahrscheinlich nur, wenn man dieser gesellschaftlichen Schicht angehört, zumindest am unteren Rand.[/uote]

Das beschreibt perfekt das Problem, was ich mit Antagonisten habe. Natürlich muss man nicht alles selbst erlebt haben, um sich reinversetzen zu können. Aber es gibt eben manches, da komm ich einfach nicht dran, eben wie das mit dem Geld. Oder ein Psychopath oder Narzisst zu sein - ich kann das natürlich erklären, ich kenne auch diverse psychologische Theorien dazu. Aber kannst du wirklich echt nachempfinden, wie es ist, einfach keine echten Gefühle oder Mitgefühl jemandem gegenüber zu haben, sondern nur deinen eigenen Interessen zu folgen? Wie fühlt es sich an, wenn man einfach immer glaubt, die anderen seien schuld, wenn man unfähig zur Selbstreflexion ist - dazu fehlt es ja auch oft an Mentalisierungsfähigkeit - ich stehe vor einem Rätsel. Ich hab ja öfter die Leute in Therapie sitzen, die Opfer von solchen Leuten wurden, denen erkläre ich das dann auch, aber sie verstehen es nicht. Also kognitiv natürlich schon, aber ich hab immer den Eindruck, sie haben ein Bedürfnis, das auch gefühlsmäßig zu verstehen und scheitern daran und ich auch. Ich verstehe auch, dass Leute Ideale haben, ist ja im Großen wie im Kleinen so. Ich hab auch meine Ideale, aber dafür Menschen weh zu tun oder sie gar umzubringen? Dazu muss einem doch alles komplett egal sein. Ich weiß noch, als das mit den Verschwörungstheorien losging, da hab ich das an mir gemerkt, ich wollte am liebsten gar nix mit denen zu tun haben. Aber mir käme nie in den Sinn, da einen zu beleidigen, körperlich anzugehen oder gar umbringen zu wollen. Find ich echt schwierig da hinzukommen, also nur für die Autorenschaft natürlich :)

Trotzdem waren einige interessante und wichtige Impulse für mich dabei. Vielleicht werde ich es dennoch auch einfach mal so machen, dass ich anfange, den Charakter am Reißbrett zu entwerfen, und vielleicht spricht er dann ja doch mit mir.

Zum Thema Psychopathen: Es stimmt, die meisten sind keine Mörder, und es gibt viele gesellschaftlich erfolgreiche. Ob es die Möglichkeit gibt, dass ein Psychopath im Kern ein guter Mensch sein kann, das wage ich allerdings stark zu bezweifeln, ohne mich mit der Materie jetzt aber vertieft auszukennen. Ich hatte aber selber mal mit so jemandem zu tun, kann man hier auch bei den Menschengeschichten nachlesen, und es ist für mich wirklich schwer, diese Welt zu verstehen.

Zum Thema Narzissmus: Ich meine mal gelesen zu haben, dass man auch dann narzisstisch werden kann, wenn einem sozusagen alles in den Arsch geschoben wird, wenn man alles machen darf, einem keine Grenzen aufgezeigt werden, man von den Eltern hört, wie besonders man ist und dass man Anspruch hat, besonders behandelt zu werden. Aber auch bei Narzissten ist es ja so, dass es sehr erfolgreiche und im Leben gut angepasste gibt und solche, die richtig ekelhaft sind und ihre Mitmenschen wie Dreck behandeln.

Was die Kindheit angeht: Natürlich werden Dinge über Generationen weitergegeben, und deshalb stimme ich zu, dass es wichtig ist, dass Kinder eine gute Kindheit haben. Und natürlich habe ich auch schon Eltern kennen gelernt, die aufgrund ihrer schlechten Kindheit ihren Kindern absolut nicht gut tun, und das auch ohne ihnen psychisch oder physisch Gewalt anzutun. Meiner Erfahrung nach versuchen die meisten Eltern es für ihre Kinder besser zu machen und scheitern daran, weil sie einige andere Dinge falsch machen. Trotzdem sollte die Kindheit nicht ständig für antagonisten herhalten. Also natürlich lernen wir Grundannahmen über uns und die Welt in der Kindheit, das darf und muss natürlich enthalten sein, aber es müssen nicht immer die schweren Traumata sein. Im Übrigen gibt es auch Sadisten, die grundsätzlich eine eher gute Kindheit hatten. Da scheint auch Genetik eine große Rolle zu spielen. Aber natürlich sind auch nicht alle Antagonisten auch Sadisten.

Ich freue mich jedenfalls, sollte noch jemand Gedanken zum Thema haben.

LG Sanjani
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Fluide am 04. Juni 2023, 19:36:22
Zitat von: Sanjani am 03. Juni 2023, 20:03:18Die schlimme Kindheit finde ich übrigens furchtbar abgedroschen. Bei mir in den Therapien sitzen sehr viele traumatisierte Patienten, die eine furchtbare Kindheit hatten, aber definitiv nicht böse sind.
Ich glaube, es gibt keine "bösen" Menschen. Schon als Kind mochte ich diese Disneyfilme nicht, wo es so eindeutig böse Antagonisten gibt (ZB der Film mit den Dalamatinern). Menschen sind nicht schwarz oder weiß, gut oder böse, sondern grau. Deine Pat sind nicht "böse" und doch wird es ja sicher einige Situationen geben, in denen sie anderen Unrecht tun, zB indem sie Motive anderer missdeuten und ihnen bspw niederträchtige Motive unterstellen.

Zitat von: Sanjani am 03. Juni 2023, 20:03:18Die interessante Frage ist ja eher, warum wählt jemand diesen Pfad, dass er andere Leute ausnutzt und schädigt, um Ziele zu erreichen.
Ich glaube nicht, dass irgendjemand morgens aufsteht und sagt: "Heute schädige ich Leute und nutze sie richtig fett aus. Das wird ein Spaß" Ich glaube, jemand hatte das auch schon geschrieben, dass niemand von sich denkt, böse zu sein. Kriege entstehen nicht (meiner Meinung nach natürlich nur), weil jemand denkt: Heute bin ich mal ein Arsch und zeige denen mal, wer hier der Boss ist, muahhhaaah!, sondern weil jemand zB denkt, er sei ungerecht behandelt worden (vielleicht könnte man auch sagen, aufgrund einer narzisstischen Kränkung, der wir auch alle schon mal anheimgefallen sind, wir fangen bloß keine Kriege an, aber vielleicht Streit mit dem Nachbarn oder dem:r Ehemann:frau).

Zitat von: Sanjani am 03. Juni 2023, 20:03:18Ich hatte tatsächlich nur einmal eine Perspektive eines Pädophilen, die ich persönlich richtig gut fand. Leider fällt mir der Buchtitel nicht mehr ein.
Vielleicht Lolita von Nabokov?

Zitat von: Sanjani am 03. Juni 2023, 20:03:18Tatsächlich geht es mir in der Arbeit bei manchen Leuten auch manchmal so. Da sitzen Leute vor mir, die echt viel Geld verdienen und die haben Angst, dass sie finanziell ruiniert werden könnten. Das gibt es ziemlich häufig, und ich verstehe es einfach nicht. Ich glaube, vieles davon ist einfach zu weit weg von meinen persönlichen Werten und Anschauungen.
Ich glaube gar nicht, dass man das alles verstehen muss. Mein Chef in der VT-Ausbildung hat immer gesagt: Menschen sind nicht logisch, sondern psychologisch. Das klingt zwar platt, aber ja, die Psyche hat ihre eigene Logik und du hast doch sicher auch irgendwelche (irrationalen) Ängste. Ich zB traue mich nicht in den Keller, wenn ich einen Gruselfilm gesehen habe (zB Stranger Things  ;D), obwohl ich weiß, dass das Quatsch ist. Verarmungswahn kommt sehr häufig vor, ich erliege ihm manchmal auch  ;)

Zitat von: Sanjani am 03. Juni 2023, 20:03:18Wie seht ihr das? Ist es überhaupt nötig, sich so weit hineinzudenken und hineinzufühlen oder genügt es, wenn man auf dem Reißbrett eine Figur entworfen kann, die schlüssig ist? Und falls nicht, was hilft euch, in den Protagonisten hineinzuschlüpfen?

Ich sage: Ja, es ist nötig. Manche sehen das sicher auch so und andere nicht. Was mir hilft, ist schreiben. Manchmal setze ich mich hin und schreibe einfach aus der Sicht der Figur etwas, als würde sie es mir erzählen. Ich mache dann manchmal sowas wie eine Biographische Anamnese. Vielleicht hilft es ja, wenn du der Figur als Therapeutin begegnest, vielleicht kannst du ja sogar einen Grund finden, warum sie zu dir kommt. Ich hab das noch nie gemacht, könnte mir aber vorstellen, dass es einem Antagonisten eben diese menschliche Seite verleiht, weil er dann ein Mensch mit Problemen ist. Und wenn du auf bestimmte Fragen, die du als Therapeutin stellst, keine Antwort von deinem sich bei dir in Therapie befindlichen Anta bekommst, könntest du immer noch hier nachfragen. Aber ja, ich finde wichtig, dass die Antas auch "echte" Menschen sind/sein könnten, nicht nur Schablonen oder Stereotype irgdendwelcher Pathologien.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Sanjani am 04. Juni 2023, 20:17:35
Hallo Fluide,

Zitat von: Fluide am 04. Juni 2023, 19:36:22Ich glaube, es gibt keine "bösen" Menschen. Schon als Kind mochte ich diese Disneyfilme nicht, wo es so eindeutig böse Antagonisten gibt (ZB der Film mit den Dalamatinern). Menschen sind nicht schwarz oder weiß, gut oder böse, sondern grau. Deine Pat sind nicht "böse" und doch wird es ja sicher einige Situationen geben, in denen sie anderen Unrecht tun, zB indem sie Motive anderer missdeuten und ihnen bspw niederträchtige Motive unterstellen.

Ja, das Wort böse ist sicher nicht optimal gewählt. Aber das von dir gewählte Beispiel ist ja nichts, was ich als Böse bezeichnen würde. Aber gerade im Traumabereich hört man doch wirklich kranken Scheiß, bei dem mir manchmal wirklich kein anderes Wort einfällt.

ZitatIch glaube nicht, dass irgendjemand morgens aufsteht und sagt: "Heute schädige ich Leute und nutze sie richtig fett aus. Das wird ein Spaß" Ich glaube, jemand hatte das auch schon geschrieben, dass niemand von sich denkt, böse zu sein. Kriege entstehen nicht (meiner Meinung nach natürlich nur), weil jemand denkt: Heute bin ich mal ein Arsch und zeige denen mal, wer hier der Boss ist, muahhhaaah!, sondern weil jemand zB denkt, er sei ungerecht behandelt worden (vielleicht könnte man auch sagen, aufgrund einer narzisstischen Kränkung, der wir auch alle schon mal anheimgefallen sind, wir fangen bloß keine Kriege an, aber vielleicht Streit mit dem Nachbarn oder dem:r Ehemann:frau).

Du hast Recht, das Wort "schädigen" zu benutzen, bedeutet genau nicht, die Perspektive des anderen einzunehmen. Aber wenn ein Vater sein Kind foltert, dann fällt mir da einfach kein anderes Wort zu ein. Und wenn es dann offensichtlich verletzt ist, kann man ja kaum sagen oh das hat meinem Kind jetzt aber nicht geschadet, davon wird es nur stärker. Dazu muss man doch mega verblendet sein oder - was ich eher glaube - man genießt es, jemanden so zu behandeln.

Aber mal ein anderes Beispiel, kein Extrembeispiel: Angenommen, ich würde über jemanden schreiben wollen, der an die Spitze einer großen Firma möchte. Da gibt es dann ja Leute, die machen das auf ehrliche Weise, also durch harte Arbeit, und es gibt solche, die ihre Konkurrenten aus dem Weg räumen, beispielsweise, indem sie sie diskreditieren, Intrigen gegen sie spinnen, Lügen über sie verbreiten etc. Das schädigt ja von außen betrachtet den anderen, aber ich als Charakter muss dann ja im Grunde sagen: Mir steht es zu, Leiter dieser Firma zu werden, und dazu ist es auch ok, zu unleuteren Mitteln zu greifen - wie geht so was? Dieser Psychopathentyp, mit dem ich mal ein paar Wochen zusammen war, der hat mir ja nachweislich das blaue vom Himmel heruntergelogen - das habe ich bis heute nicht verstanden, wieso der das gemacht hat. Ich meine, wenn ich an seiner Stelle wäre, dann könnte es sein, dass ich mir denke, ok ich will der Frau jetzt imponieren, vielleicht sogar nur, um sie ins Bett zu kriegen. Aber spätestens da, wo ich mir denke, ich erzähl der jetzt, dass ich zwei Uniabschlüsse habe in Jura und Informatik und dass mir ein Kunde ein halbes Weingut geschenkt hat und dass ich schon mal allein als Blinder in Ägypten war - und das stimmt ja alles gar nicht, da würde bei mir sich schon das schlechte Gewissen melden und ich würde mir denken, das kann ich jetzt echt nicht bringen. Und ich verstehe nicht, was da in so jemandem vorgeht. Entweder, er glaubt mittlerweile seine Lügengeschichten so, was ich aber nicht glaube, weil er ja in der Zeit selbst auch noch welche frisch erfunden hat - er sei in Indien, weil seine Patentochter beim Klettern abgestürzt ist usw. oder er sagt, Wahrheit oder Lüge ist doch alles gleich oder wie geht das? Ich könnte so jemandem eine biografische Anamnese verpassen, ja, aber schreiben könnte ich über ihn nicht. Was übrigens blöd ist, weil ich ne Geschichte plane über einen, der Menschenhändler ist und ein Psychopath und sich an eine meiner Protagonistinnen ranmacht :)

ZitatVielleicht Lolita von Nabokov?
Nein, ich glaub, es war was anderes.

ZitatIch glaube gar nicht, dass man das alles verstehen muss. Mein Chef in der VT-Ausbildung hat immer gesagt: Menschen sind nicht logisch, sondern psychologisch. Das klingt zwar platt, aber ja, die Psyche hat ihre eigene Logik und du hast doch sicher auch irgendwelche (irrationalen) Ängste. Ich zB traue mich nicht in den Keller, wenn ich einen Gruselfilm gesehen habe (zB Stranger Things  ;D), obwohl ich weiß, dass das Quatsch ist. Verarmungswahn kommt sehr häufig vor, ich erliege ihm manchmal auch  ;)

In der Arbeit halte ich das genauso. Ich muss nicht alles verstehen, um dem anderen u helfen. Aber um einen solchen Charakter zu schreiben, müste ich mich da schon hineinfühlen. Natürlich hab ich auch irrationale Ängste, übrigens auch mit so Gruselsachen ;) aber ich weiß auch ziemlich genau, woher es kommt. Und wahrscheinlich wär das auch weg, wenn ich mich mal dranmachen würde. Aber diese Leute mit dem Geld hatten ja oft nie irgendwelche Erlebnisse mit Armut oder ein reales Risiko zu verarmen. Tatsächlich glaube ich da eher, dass das zutrifft, was Yamouri oder Rhagrim geschrieben haben, dass es so ein massiver Gesichtsverlust wäre. Ich meine, es gibt ja auch Leute, die sagen, wenn sie ihr Geld verlieren, ihre Firma pleite geht oder ähnliches, dann bringen sie sich um, das finde ich schon ziemlich krass. Aber das führt jetzt etwas vom Thema weg ;)

ZitatIch sage: Ja, es ist nötig. Manche sehen das sicher auch so und andere nicht. Was mir hilft, ist schreiben. Manchmal setze ich mich hin und schreibe einfach aus der Sicht der Figur etwas, als würde sie es mir erzählen. Ich mache dann manchmal sowas wie eine Biographische Anamnese. Vielleicht hilft es ja, wenn du der Figur als Therapeutin begegnest, vielleicht kannst du ja sogar einen Grund finden, warum sie zu dir kommt. Ich hab das noch nie gemacht, könnte mir aber vorstellen, dass es einem Antagonisten eben diese menschliche Seite verleiht, weil er dann ein Mensch mit Problemen ist. Und wenn du auf bestimmte Fragen, die du als Therapeutin stellst, keine Antwort von deinem sich bei dir in Therapie befindlichen Anta bekommst, könntest du immer noch hier nachfragen. Aber ja, ich finde wichtig, dass die Antas auch "echte" Menschen sind/sein könnten, nicht nur Schablonen oder Stereotype irgdendwelcher Pathologien.

Das ist mir eben auch wichtig. Selbst wenn im Buch nie eine Perspektive von denen da ist, müssen sie gut konstruiert sein. Ich hasse übrigens biografische Anamnesen :D Aber ich werde das mal ausprobieren. Ich werd mal eine Geschichte für die Person konstruieren, an der ich gerade arbeite, und dann sehen, ob ich was aus deren Sicht schreiben kann. Tatsächlich mach ich das bei meinen Protas auch oft so, aber da fallen mir die Lebensgeschichte oder wichtigen Ereignisse auch oft zu.

Viele Grüße

Sanjani
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Fluide am 04. Juni 2023, 22:42:06
Vielleicht schreibe ich deshalb keine so krassen Antagonisten, weil ich mich in so Extremköpfe gar nicht reindenken will. ZB Leute die extrem gewalttätig sind. Gibt doch diese Mafiaserie, mit dem Mafiaboss der zur Psychotherapeutin geht. Vielleicht dort mal reinschauen zu Recherchezwecken? Es ist aber sicherlich ein Unterschied, ob man tatsächlich so extreme Antagonisten hat oder eher so wie dein Karrieretyp- oder Lügnerbeispiel.

Zitat von: Sanjani am 04. Juni 2023, 20:17:35Das schädigt ja von außen betrachtet den anderen, aber ich als Charakter muss dann ja im Grunde sagen: Mir steht es zu, Leiter dieser Firma zu werden, und dazu ist es auch ok, zu unleuteren Mitteln zu greifen - wie geht so was?
Ich würde das so konzipieren, dass es so Grundannahmen gibt wie: Ich darf nicht scheitern. Wenn ich nicht erfolgreich bin, ist mein Leben/bin ich nichts wert. (Das gilt auch für deinen Lügner, also irgendwelche Grundannahmen, die der so mit sich rumträgt.) Dadurch entsteht innerer Druck, der ist nicht immer gleich groß, der wirkt implizit oder schlummert manchmal auch, aber wenns eine schwierige Situation gibt, dann ist da soviel Druck innen, es schaffen zu müssen, da ist dann gar kein Platz für Gedanken an andere. Ich glaube nicht, dass diese Person dann andere Leute, d.h. Kollegen als fühlendes Individuum mitdenkt, sondern eher als Hindernis. Wie, ich glaube es war Rhagrim, schrieb, wenn einem kein Mensch mehr gegenübersteht, kann man vieles tun. Die kognitive Dissonanz muss ja irgendwie aufgelöst werden. Wenn der aber nicht ansatzweise soziale Interaktion versteht, wird der nicht sehr weit kommen, das heißt, der kann sich nicht immer und nur wie ein Arsch verhalten.

Es gibt ja wahrscheinlich auch Bücher, wo der Antagonist eher "eindimensional" ist und die trotzdem gut funktionieren und nicht so schablonenhaft sind, oder? Ich lese so etwas nicht so viel, deswegen hab ich da so spontan keine Vorschläge. Kennst du "Raum"? Da ist doch der Typ, der Mutter und Kind gefangenhält, auch nur extrem, bin aber nicht ganz sicher. Der ist nur kranker Täter, glaube ich, und nicht mehr. Manche Menschen sind natürlich auch extrem. Aber Tiere ja auch. Delfine können sehr grausam sein und Seeotter erpressen wohl manchmal Nahrung indem sie Seeottterkinder kidnappen.

Also, was ich sagen will: Ich revidiere meine vorherige Aussage ;) und sage: Wahrscheinlich hängt es vom Plot und der Geschichte ab, ob es wirklich nötig ist, sich in den Antagonisten hineinzuversetzen oder ob Reißbrett genügt.

Zitat von: Sanjani am 04. Juni 2023, 20:17:35Ich hasse übrigens biografische Anamnesen :D
Dann machst du auch VT? TPler nennen das vermutlich anders.

Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Yamuri am 05. Juni 2023, 07:07:16
Ich kann mich tatsächlich in jede Figur hineinversetzen. Aber ich denke es ist nicht immer zwingend notwendig. Psychopathen würde ich eher mit Maschinen vergleichen, die rein funktional denken. Daher sind sie im Kern wohl weder gut, noch böse, sie sind einfach nur. Der Mensch bewertet Verhalten als gut oder böse. In der Serie Justice in the Dark (https://mydramalist.com/50145-the-light-in-the-night) ist es so, dass der Psychopath mit der Polizei zusammenarbeit, wobei ich mir inzwischen unsicher bin, ob bei dem Mann nicht ein Fehler gemacht wurde hinsichtlich der Diagnose. Selbstreflexion und keine Empathie zu haben sind zwei unterschiedliche Dinge. Auch ein Psychopath kann sein Handeln reflektieren und dann zu dem Schluss kommen, dass es aus funktionaler Sicht richtig ist, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Vielleicht erhofft sich die Person auch ein tieferes Verständnis in emotionale Prozesse, wie ein Kind, das ausprobiert und testet. Für die Betroffenen, die in so einen Test hingezogen werden, ist das schmerzhaft und man fühlt sich verraten. Aber ist das Verhalten objektiv betrachtet böse? Oder ist es eher der verzweifelte Versuch eines Menschen etwas zu verstehen, was er nicht verstehen kann, Einsichten zu gewinnen? Wie ein Wissenschaftler, der ein Tier auseinandernimmt oder einen Menschen, um zu verstehen, wie das Lebewesen aufgebaut ist? Würde bei einem sozialen Experiment der Forscher den Probanden zuerst sagen, was er erforschen will, würde sich niemand natürlich verhalten und das Ergebnis wäre verfälscht. Ein rein logisch-kognitiv denkendes Wesen, würde zu dieser Schlussfolgerung kommen und seinen selbstgewählten Probanden daher nicht sagen, was es vorhat, was dann wiederum verletzend ist für den Proband, der hintergangen wurde.

Ich denke, dass die meisten Menschen aus Dummheit anderen schaden, nicht aus Bosheit, sondern Gedankenlosigkeit. Wir denken alle zuerst an uns selbst. Das ist ein menschliches Naturell. Wir denken zuerst an unsere eigenen Interessen. Es ist eine Selbstlüge zu glauben, dass dem nicht so wäre. Wenn wir etwas tun, dann immer, weil es für uns einen Nutzen hat. Wenn wir Empathie besitzen und uns für unsere Mitmenschen interessieren (ich denke, dass eine Person sich auch ohne Empathie für Mitmenschen interessieren kann und dann durchaus erkennt, welches Verhalten angemessen wäre und welches nicht - wohingegen auch ein Mensch mit Empathie so frustriert von seinen Mitmenschen sein kann, dass ihm/ihr irgendwann gleichgültig ist was mit den Mitmenschen ist, weil die eigenen Verletzungen zu schmerzhaft geworden sind), wenn jedenfalls beides zutrifft, Empathie und Interesse am Mitmenschen, dann werden wir in der Regel darüber nachdenken, ob unser Handeln auch für andere ein Vorteil ist. In der Regel wird sich aber kaum ein Mensch für ein Handeln entscheiden, das nur den anderen nützt und einem selbst womöglich sogar Nachteile bringt. Das meine ich damit, dass jeder zuerst auf seine Interessen achtet und kaum etwas tun wird, was den eigenen Interessen entgegen läuft.

Aber ich denke auch, dass man sich nicht immer zwingend reinversetzen muss, wenn man nicht will. Ich habe selbst sehr extreme Emotionen. In mir ist viel Licht, aber ebenso viel Schatten. Ich bin bewusst nie in die Politik gegangen, denn ich weiß genau, wohin das führen würde. Ich verzweifle jetzt schon an der Menschheit und das hat sehr viel Groll in mir geboren, den ich in meine Geschichten einfließen kann. Ich habe einen kreativen Umgang mit meiner Wut auf die Gesellschaft gefunden.

Und ich denke, es ist völlig in Ordnung wenn die Menschen, die diesen Zorn kennen, diese Extreme in der eigenen Seele, sich kreativ damit auseinandersetzen, während Menschen, die das nicht in sich tragen sich anderen Themen widmen. Letztlich schreiben wir alle über das, was uns in unseren Herzen bewegt. Ich schreibe ein Stück weit über den Krieg in mir selbst.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Rhagrim am 05. Juni 2023, 15:13:37
Mir fällt es mittlerweile auch leichter, mich selbst in solche Figuren hineinzuversetzen.
Ich finde es sehr hilfreich, Biografien oder Interviews von "betroffenen" Menschen zu lesen oder anzusehen, die darin auf ihre Art zu denken und ihre Weltanschauung eingehen, um ein Verständnis dafür zu entwickeln.
Dabei meine ich nicht, dass man diese Art zu denken, oder manche Taten damit auch entschuldigen soll. Sondern lediglich ein Verständnis für das Wie und Warum zu entwickeln. Darin sehe ich einen großen Unterschied - und gleichzeitig ein großes Potenzial, das eigene Weltbild zu erweitern.

"Keine Angst vor den Schatten", sage ich da. Denn um das zu verstehen und wirklich nachempfinden zu können, muss man sich trauen, sich wirklich auf fremde Weltanschauungen, Meinungen, Arten zu Denken einzulassen - was allerdings dazu führen kann, dass man in dem Prozess auch mit seinen eigenen Schattenseiten konfrontiert wird.
Genau den Seiten, die man vielleicht bis dato verdrängt hat und/oder sie unbewusst auf andere projiziert hat, weil man sie nicht mit sich selbst in Verbindung bringen will.

Allein der Gedanke kann Angst machen, auf paradoxe Art und Weise kann es aber auch sehr heilsam sein, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und in dem Prozess auch die Persönlichkeitsanteile in sich zu integrieren, mit denen man eigentlich nicht in Berührung kommen will.
Ein Gefühl, das sich für mich als guter Richtwert herausgestellt hat, ist: umso mehr ich etwas nicht sehen/hören/wahrhaben will, desto mehr Potenzial steckt darin, etwas daraus lernen und mich weiterentwickeln zu können.

Ich hab zu den einzelnen Themen (Psychopathie, Narzissmus und Ideologie) noch ein paar tolle Interviews auf Youtube ausgegraben, die Einblick geben in die Denkensweise von jeweils Betroffenen bzw. Menschen, die sich intensiv damit auseinandersetzen. Die möchte ich gerne ergänzend zu den bereits erwähnten Buchempfehlungen (die übrigens auch alle als Hörbuch auf Audible verfügbar sind) hier verlinken, die ebenfalls auf Denkensart und Innenleben der jeweils Betroffenen eingehen.

1) Psychopathen
Interview mit einem Soziopathen (englisch) (https://www.youtube.com/watch?v=bdPMUX8_8Ms)
Lydia Benecke Interview über das Mindset von Tätern/Psychopathen (https://www.youtube.com/watch?v=EfMv8Cxg01M)

2) Narzissten
Interview mit (ehemals) pathologischem Narzissten - Wieso ist der Narzisst so wie er ist? (https://www.youtube.com/watch?v=yP0eiMU_-Vo&t=108s)

Bei Narzissten hab ich auch persönliche Erfahrungen, die sich als sehr spannend und lehrreich herausgestellt haben. Mein Exfreund z.B. war Narzisst, wie er im Buche steht, und absolut davon überzeugt, einer höher entwickelten Spezies Mensch anzugehören. Irgendwann später, nach unserer Trennung, haben wir uns mal über die Einvernehmlichkeit beim Sex unterhalten, was er verächtlich abgewunken hat und meinte, dass eine Frau eigentlich dankbar dafür sein solle, dass jemand sie haben will und deswegen halt einfach mitspielen soll, wenn der Mann gerade will.
Das ist nun natürlich keine nette Aussage, aber es war eine *ehrliche* und dadurch ein faszinierender Einblick in die Gedankenwelt eines narzisstischen Menschen, wie er über Frauen und sich selbst bzw. seinen vermeintlichen Anspruch auf ihren Körper denkt.

3) Ideologie/Religion/Politik
Wie ist das Nazi zu sein? - Interview (https://www.youtube.com/watch?v=WZhmXPNo72c)
Ex-Nazi trifft Rassismus-Opfer - Interview (https://www.youtube.com/watch?v=dDm-9ncnRME)
Polizist trifft Antifaschisten - Interview (https://www.youtube.com/watch?v=pd2rmvu5cPE)
Interview mit einer ehemaligen Aktivistin (englisch) (https://www.youtube.com/watch?v=uVSgVlZjk8c)

Gerade bei so ideologischen/politischen/religiös motivierten "bösen Menschen" (böse unter Anführungszeichen, weil ich nicht denke, dass es "böse" in der Form wirklich gibt) spielt, denke ich, auch oft Gruppenzwang eine große Rolle und der Druck, mit den anderen in der gleichen Gruppe konform zu gehen bzw. gehen zu müssen, um nicht selbst Anfeindungen und Mobbing ausgesetzt zu sein.
In so einer Umgebung baut vieles auf Erwartungen auf, die an einen gestellt werden und abweichende Ansichten werden oft nicht wirklich toleriert, da sie das vorherrschende Weltbild bedrohen.
Gleichzeitig bewegt man sich dann oft nur in sehr auserwählten Kreisen, also einer "Echo Chamber", wo sich nur Menschen mit denselben oder ähnlichen Überzeugungen aufhalten und sich dadurch gegenseitig selbst bestärken. Dadurch rutscht man immer stärker in dieses Gruppendenken und diese gut/böse bzw. "wir gegen die" Mentalität rein und radikalisiert sich dadurch immer mehr. Wie sehr sich sowas aufschaukeln kann, sieht man dann ja immer wieder mal bei Protesten oÄ, wo man  nicht mehr alleine als Individuum Verantwortung für seine Aktionen trägt, sondern "nur" einer von mehreren ist, sodass sie Frage nach Schuld und Verantwortung gefühlt nicht mehr nur an einem selbst haften bleibt - sondern auf das Kollektiv abgeschoben werden kann.

Gleichzeitig kann so etwas leicht "kultische" Dynamiken annehmen, was dann die Gefahr zu Extremen in sich birgt und in so eine sich selbst verstärkende Spirale ausarten kann. Robert Jay Lifton schreibt da in seinem Buch "Losing Reality" und "Thought reform and the Psychology of Totalism" die 8 Kriterien der Gedankenreform, wie er sie in Kulten, oder auch z.B. in den Umerziehungslagern Mao Zedongs studiert hat. Die gleiche Dynamik kann man sehr oft in ähnlichen Gruppierungen beobachten Ist total interessant, falls es jemanden interessiert, versuche ich mal, grob zusammenzufassen:
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Michael W am 06. Juni 2023, 21:02:58
Ich möchte etwas in die Runde werfen, das sich auf einen bestimmten Aspekt der Antagonistenrolle bezieht. Die finale Auseinandersetzung mit dem Bösewicht ist in Fantasy-Geschichten sicher eine beliebte Szene und kann dementsprechend klischeehaft wirken. Immerhin ist sie mit der Erwartung verbunden, dass die Heldin oder der Held am Ende siegreich sein wird. Aber der Ausgang der Konfrontation ist ja nicht alles. Spannend ist auch, wie sie sich entwickelt. Ein mögliches Szenario ist, dass der Antagonist bislang mysteriös geblieben ist (also bisher nur durch Taten und Befehle aufgefallen ist) und erst bei der finalen Auseinandersetzung mit dem Protagonisten die eigenen Motive erklärt, die überraschend nachvollziehbar klingen. Dann kommt man beim Lesen idealerweise ins Stocken und fragt sich, wer denn jetzt wirklich böse ist. Das ist jetzt eher ein oberflächliches und kein konkretes Beispiel. Aber für mich ist das ein Zeichen, dass die Charakterisierung der Figuren gelungen ist: Wenn die Sichtweisen von beiden Seiten jeweils mit Argumenten begründet sind und emotional berühren.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Sanjani am 06. Juni 2023, 21:39:57
Hallo noch mal und vielen Dank für die spannenden Impulse,

Zitat von: Rhagrim am 04. Juni 2023, 11:40:28Sehr, sehr viele Handlungen und Motivation lassen sich dadurch tatsächlich gut verstehen und geben Hinweise auf Charakter eines Menschen, wenn man die Frage stellt: "Was gibt dir das Gefühl von Bedeutung? Und wie versuchst du, es zu erreichen?"

Ganz so eindimensional ist es sicher nicht, aber es ist definitiv eine gute Heuristik.

ZitatBesonders tricky ist es, um wieder auf den Punkt des Idealismus zurückzukommen, wenn man seine Bedeutung darüber finden möchte, ein guter Mensch zu sein. Die Frage stellt sich: Willst DU ein guter bzw. rechtschaffender Mensch sein? Oder möchtest du von ANDEREN als solcher wahrgenommen werden, d.h. deine guten Taten nach außen tragen, damit sie möglichst wahrgenommen werden und du dafür Lob/Anerkennung/Respekt/etc. erhältst und daraus die Bestätigung schöpfst? Vielleicht darüber sogar ein Gefühl moralischer Überlegenheit entwickelst, und dadurch in eine Spirale reinrutscht, die das Potenzial zu Extremen in sich birgt?
Wie erkennt man den Unterschied? Bist du hilfsbereit und begehst deine guten Taten mehr oder weniger im Stillen und unterstützt Menschen/Tiere/Umwelt/sonstiges, einfach "nur" weil es dir ein Bedürfnis ist, ohne dabei eine großartige Show daraus zu machen?

Ich nehme an, dass die meisten Menschen etwas von beidem haben, und das ist ja auch ok so, finde ich. Aber natürlich sind auch nicht alle Antagonisten Extreme, was ja vielleicht auch noch mal wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen. Nur weil jemand vielleicht ein Karrieretyp ist, der im Beruf auch mal zu unleuteren Mitteln greift, heißt das nicht zwangsläufig, dass er generell ein Arsch ist :)
Danke übrigens für die vielen interessanten Beispiele. Zum Lesen englischer Bücher fehlt mir echt die geistige Anstrengungskraft, aber ich hab mal in den Real Dictators Podcast reingehört, der ist wirklich unglaublich spannend und gut gemacht und man kann die Leute insgesamt auch gut verstehen.

Zitat von: Fluide am 04. Juni 2023, 22:42:06Vielleicht schreibe ich deshalb keine so krassen Antagonisten, weil ich mich in so Extremköpfe gar nicht reindenken will. ZB Leute die extrem gewalttätig sind. Gibt doch diese Mafiaserie, mit dem Mafiaboss der zur Psychotherapeutin geht. Vielleicht dort mal reinschauen zu Recherchezwecken? Es ist aber sicherlich ein Unterschied, ob man tatsächlich so extreme Antagonisten hat oder eher so wie dein Karrieretyp- oder Lügnerbeispiel.

Also solche gewalttätigen Antagonisten sind bei mir auch absolut nicht die Regel. Aber meine Faszination liegt tatsächlich eher bei denen als bei den Lügnern und machtgeilien Karrieretypen, mit denen kann ich so gar nix anfangen. Oh Gott, das klingt jetzt aber auch bisschen komisch, was ich da geschrieben habe ;)

ZitatIch würde das so konzipieren, dass es so Grundannahmen gibt wie: Ich darf nicht scheitern. Wenn ich nicht erfolgreich bin, ist mein Leben/bin ich nichts wert.

Tatsächlich hab ich sogar so jemanden mal in Behandlung gehabt. Ich weiß aber nicht, inwiefern der auch unleutere Mittel genutzt hat, um sein Scheitern zu verhindern, müsste ich ihn mal fragen :)

ZitatEs gibt ja wahrscheinlich auch Bücher, wo der Antagonist eher "eindimensional" ist und die trotzdem gut funktionieren und nicht so schablonenhaft sind, oder? Ich lese so etwas nicht so viel, deswegen hab ich da so spontan keine Vorschläge. Kennst du "Raum"? Da ist doch der Typ, der Mutter und Kind gefangenhält, auch nur extrem, bin aber nicht ganz sicher. Der ist nur kranker Täter, glaube ich, und nicht mehr. Manche Menschen sind natürlich auch extrem. Aber Tiere ja auch. Delfine können sehr grausam sein und Seeotter erpressen wohl manchmal Nahrung indem sie Seeottterkinder kidnappen.

Nein, das Buch kenne ich nicht. Und das von den Seeottern wusste ich nicht, aber ich glaube, die denken nicht in unserem menschlichen Sinne, die verhalten sich so, wie sie festgestellt haben, dass es nützt, oder?
Meine Sorge ist, glaube ich, dass ich mit meinem Antagonisten dann in diese Schublade rutsche, dass die Leser denken, was ist das denn für eine miese Charakterkonstruktion - eben weil ich selber so wenig Beispiele gelesen habe, die mich wirklich überzeugt haben. Aber tatsächlich heißt das ja nicht, dass diese Beispiele viele andere auch nicht überzeugt haben. Vielleicht bin ich ja auch sehr anspruchsvoll. Und manchmal weiß ich ja auch nicht, was der Autor intendiert hat. Ich hab z. B. letztens die Mars Nation Trilogie von Brandon Q. Morris gelesen, da gibt's auch so nen Wirtschaftstyp, der will eine Marskolonie aufbauen und den Mars unter seine Kontrolle kriegen. Das war so ein furchtbar unsympathischer, ekelhafter Typ. Wenn der Autor dieses Gefühl auslösen wollte, ist es ihm definitiv gelungen. Aber nachvollziehen konnte ich seine Aktionen nicht so richtig, und das hat mich frustriert

ZitatDann machst du auch VT? TPler nennen das vermutlich anders.

Jo genau. Wobei ich die klassischen VT-Verfahren tatsächlich gar nicht so gut finde ;)

Zitat von: Rhagrim am 05. Juni 2023, 15:13:37In so einer Umgebung baut vieles auf Erwartungen auf, die an einen gestellt werden und abweichende Ansichten werden oft nicht wirklich toleriert, da sie das vorherrschende Weltbild bedrohen.
Gleichzeitig bewegt man sich dann oft nur in sehr auserwählten Kreisen, also einer "Echo Chamber", wo sich nur Menschen mit denselben oder ähnlichen Überzeugungen aufhalten und sich dadurch gegenseitig selbst bestärken. Dadurch rutscht man immer stärker in dieses Gruppendenken und diese gut/böse bzw. "wir gegen die" Mentalität rein und radikalisiert sich dadurch immer mehr. Wie sehr sich sowas aufschaukeln kann, sieht man dann ja immer wieder mal bei Protesten oÄ, wo man  nicht mehr alleine als Individuum Verantwortung für seine Aktionen trägt, sondern "nur" einer von mehreren ist, sodass sie Frage nach Schuld und Verantwortung gefühlt nicht mehr nur an einem selbst haften bleibt - sondern auf das Kollektiv abgeschoben werden kann.

Ich finde, das konnte man während der Corona-Pandemie sehr gut beobachten, wie sich die Fronten zwischen "Verschwörern" und den anderen verhärtet haben. Und Der Pfad, wo man heute noch öffentlich was sagen kann, ohne als Verschwörer oder Rechter gesehen oder betitelt zu werden, wird auch immer schmaler, was keine gute Entwicklung ist, aber das führt jetzt etwas OT.

ZitatGleichzeitig kann so etwas leicht "kultische" Dynamiken annehmen, was dann die Gefahr zu Extremen in sich birgt und in so eine sich selbst verstärkende Spirale ausarten kann. Robert Jay Lifton schreibt da in seinem Buch "Losing Reality" und "Thought reform and the Psychology of Totalism" die 8 Kriterien der Gedankenreform, wie er sie in Kulten, oder auch z.B. in den Umerziehungslagern Mao Zedongs studiert hat. Die gleiche Dynamik kann man sehr oft in ähnlichen Gruppierungen beobachten Ist total interessant, falls es jemanden interessiert, versuche ich mal, grob zusammenzufassen:

Danke, das ist sehr interessant. Ich hab irgendwann mal ein Buch gelesen - Flucht aus Lager 14 hieß das, das beschreibt das Leben eines Nordkoreaners, der aus einem Lager geflohen ist. Ich glaub, ich muss das auch noch mal lesen.

Viele Grüße

Sanjani
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Yamuri am 07. Juni 2023, 07:54:40
@Sanjani

Ich fürchte das wird es immer geben, Leser:innen, die das Verhalten einer Figur einfach nicht nachvollziehen können. Ich habe das beobachtet an den Kommentaren zu manchen Serien. Manche Figuren sind sehr polarisierend, sie werden entweder gehasst oder geliebt. Das spiegelt sich dann oft deutlich in den Kommentaren wieder. Vielleicht ist das aber gar nicht so schlimm? Und vielleicht sagt das, wir eine Figur wirkt auf einen Menschen wesentlich mehr über den Menschen selbst aus, als über die Figur?

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Ich bevorzuge auch nicht die "super gewalttätigen" Antagonisten, sondern eher die "sehr intriganten", die Ränke schmieden, auf der Psychologie-Schiene fahren und körperliche Gewalt eher in Maßen und nicht in Massen einsetzen. Also mehr psychische und emotionale Gewalt (es gibt ja viele Formen von Gewalt, Gewalt bedeutet ja nicht zwingend, dass man jemanden physisch verletzt), unter Druck setzen, Menschen in eine unangenehme Situation bringen, in der sie sich verstricken und der Antagonist dann Macht/Kontrolle ausüben kann. Macht und Kontrolle sind so Themen, die mich in Geschichten faszinieren.

Ganz wichtig ist mir bei Antagonisten aber auch, dass sie trotz allem menschlich bleiben, dass sie auch Sehnsüchte und Schmerzen haben, innere Zwänge. Ich glaube dadurch wird ihr Handeln dann auch eher nachvollziehbar, wenn sie nachvollziehbare Ziele haben, z.B. weil sie glauben nur durch ihr Handrln ihre Familie vor irgendetwas schützen zu können (selbst wenn es irrational gedacht ist, Menschen sind im Denken halt nicht logisch sondern oft sehr unlogisch). Eben Menschen mit denen man Mitgefühl haben kann. Sehr gern mag ich auch gefallene Helden, Menschen, die eigentlich das Potenzial gehabt hätten Helden zu werden, aber scheitern und zu den Monstern werden, die sie bekämpfen.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Rhagrim am 07. Juni 2023, 08:50:11
Freut mich, wenn für dich was nützliches dabei war @Sanjani  :)

Ich denke, unterm Strich kann man einfach sagen, dass kein Mensch ausschließlich böse oder gut ist, sondern aus unzähligen Grauschattierungen besteht und gute Gründe hat, warum er tut, was er tut. Ich versuche immer, meine Charaktere als "echte Menschen" zu begreifen und sie zu verstehen, ohne sie dabei zu verurteilen - egal, ob sie meine eigenen Überzeugungen widerspiegeln, oder nicht.
Ihnen soweit als möglich aufgeschlossen und neutral zu begegnen hilft mir persönlich dabei total.

Zitat von: Yamuri am 07. Juni 2023, 07:54:40Und vielleicht sagt das, wir eine Figur wirkt auf einen Menschen wesentlich mehr über den Menschen selbst aus, als über die Figur?
Das glaube ich auch. Ich glaube, wenn wir auf eine Figur (egal ob positiv, oder negativ) besonders stark reagieren, dann, weil sie irgendein unbewusstes bzw. nicht aufgearbeitetes Thema in uns selbst anspricht, und uns damit konfrontiert.

Hm, dann werfe ich hier auch einmalig meine ganz persönlichen 2 Cent zu dem OT Thema dazu, ehe ich mich daraus lieber zurückziehe:
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Derufin Denthor Heller am 07. Juni 2023, 10:08:35
Antagonisten, Helden und ihre Psychosen.

Ein spannendes Thema und für das Schreiben sicher ein mächtiges und wertvolles Werkzeug.
Beim Schreiben meiner Romane bin ich auf einen weiteren Aspekt gestossen, der gerade in der "Phantastik" beachtet werden sollte.
Ich möchte diesen gerne hier teilen.
Die moralischen Wertvorstellungen vieler meiner Figuren kann man nicht so einfach erklären. Uralte Wesen, göttergleiche Figuren oder der Tod als Gestalt können nicht alleine durch gesellschaftliche Moral und eine Psychoanalyse beurteilt werden. Die Unsterblichkeit oder auch nur eine drastisch verlängerte Lebensspanne verändert die Sichtweise.
Vielleicht war gerade deshalb der Vampir in seiner Urgestalt eine unmoralisch handelnde Horror-Schreckens-Gestalt.

Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Yamuri am 07. Juni 2023, 10:29:53
Ich finde das mit den uralten Wesen und göttergleichen Figuren auch sehr spannend. In chinesischen Xianxia Serien kommen ja sogenannte "Immortals" und götterähnliche Figuren vor. Die haben auch ihre ganz eigenen Konflikte, Probleme und natürlich auch andere Werte und Sichtweisen, gerade aufgrund ihres langen Lebens. Auch das Thema Reinkarnation das bei Xianxia ein beliebtes Trope ist, bietet andere Aspekte.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: SebMeissner am 11. Juni 2023, 14:00:11
Das sind wirklich tolle Anstöße, Rhagrim, danke!


Zitat von: Sanjani am 03. Juni 2023, 20:03:18Ich kann nur absolut nicht nachvollziehen, wie solche Leute ticken, und das will für mich als Psychologin schon echt was heißen.

Eventuell fällt dir das auch gerade deshalb schwer, weil sich die "Ich helfe meinem Klienten"-Sicht und die "Ich erschaffe eine zwangsweise überzeichnete und vereinfachte Figur, damit sie den Lesern schlüssig erscheint"-Sicht beißen?


Ansonsten möchte ich noch sagen, dass ich die greifbare Motivation einer Figur, auch eines Antagonisten, viel zentraler erlebe, als deren theoretischen Hintergrund. Mag sein, dass der Antagonist eine klinisch relevante Beeinträchtigung bescheinigt bekommen könnte, aber im Text möchte ich vorallem seine Entscheidungen spüren und daran bestenfalls so zu knacken haben, wie die Protagonisten. Vor allem in den kleinen Dingen. Mein Antagonist schickt seine Leute nicht in den Tod, weil er böse ist, sondern weil ihm die mentale Verbindung zu ihnen Kopfschmerzen bereitet und er endlich in Ruhe essen möchte. Und er kann sich natürlich nicht eingestehen, dass ihn seine eigene Unfähigkeit, diese Verbindung einfach zu lösen, überfordert hat - Schuld sind die Helden, die ihn in diese Situation gebracht haben. Er ist gekränkt und wird sich bei nächster Gelegenheit revanchieren.

Ich erinnere mich an eine Studie zu dissozialen Jugendlichen in Haftanstalten, bei denen deutlich geworden ist, dass Strafen sie zwar nicht beeindrucken, sie aber überaus erreichbar für Belohnungen waren. Ich denke, dass man sich auch einen psychopathischen Charakter als sehr erfolgsorientiert vorstellen kann: Dem Gegenüber zu zeigen, wer der Boss ist, oder den Gegenüber hinters Licht zu führen, können wertvolle Ziele sein.

So etwas lässt sich leichter in eine Geschichte flechten, finde ich.
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: Rhagrim am 13. Juli 2023, 21:18:17
Kennt ihr den Youtube Channel "Cinema Therapy", wo ein Psychotherapeut und ein Filmproduzent Filme und die psychologischen Hintergründe einzelner Charaktere oder der Charakterdynamiken besprechen? Dort haben sie eine eigene Reihe, in denen es um die Antagonisten in Filmen geht. Total spannend. :)
Link : Villain Therapy (https://www.youtube.com/watch?v=rGFmEJcTwwQ&list=PLRO9q005b62X_1kJz9WkcjbWWoKDKx_Qt)
Titel: Re: Der gute, alte Gegenspieler - alles rund um den Antagonisten
Beitrag von: SebMeissner am 16. Juli 2023, 12:27:34
Zitat von: Rhagrim am 13. Juli 2023, 21:18:17Kennt ihr den Youtube Channel "Cinema Therapy", wo ein Psychotherapeut und ein Filmproduzent Filme und die psychologischen Hintergründe einzelner Charaktere oder der Charakterdynamiken besprechen? Dort haben sie eine eigene Reihe, in denen es um die Antagonisten in Filmen geht. Total spannend. :)
Link : Villain Therapy (https://www.youtube.com/watch?v=rGFmEJcTwwQ&list=PLRO9q005b62X_1kJz9WkcjbWWoKDKx_Qt)

Uh, sehr schön. Die beiden hatte ich mal zufällig gesehen, aber nicht abonniert. Herzlichen Dank für den Zugang!  ;D