• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Warum muss ein Buch "dünn sein"? - Bücherdiät

Begonnen von Polarfuchs, 20. Januar 2014, 10:40:27

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Christopher

Dinge die gerne als "überflüssig" betrachtet werden und in vielen Geschichten zu kurz kommen oder gestrichen wurden/werden: Überleitungen zwischen Szenen.

In einigen Büchern die ich in letzter Zeit gelesen habe, wird die Handlung gnadenlos vorangetrieben, keine "Verschnaufpause". Das mag ja ganz toll sein, mir gefällt es aber nicht.

Da ich gerade wieder "Der Name des Windes" lese, mal ein Beispiel was vielleicht einige kennen:
Kvothe reist aus Tarbean ab nach Imre zur Universität. Sehr viel "Bla bla" um die Reisegruppe, wobei nur eines relevant für die Story ist: Die erste Begegnung mit Denna. Das sind Seiten im zweistelligen Bereich! Das Kennenlernen hätte auch an anderer Stelle stattfinden können oder in anderer Art und Weise, gemäß der "Entschlackung" der Bücher: Einfach kürzer. Das unwichtige Bla bla streichen. Er hätte genausogut mit einer x-Beliebigen Handelskarawane reisen können in der Denna ebenfalls mitreist. Den ganzen Rest streichen, dann haben wir einen Bruchteil der Geschichte.

Hat man aber nicht getan. Warum? Weil wir während dieser Reise Kvothe etwas besser kennenlernen. Weil viele Dinge passieren, die ihn charakterisieren. Alles (abgesehen von Denna) nicht wichtig für die Hauptstory. Alles reine Charakterisierung. Aber ist das schlimm? Nein.

Zurück zu den Überleitungen. Diese Überleitung des Ortswechsels von Tarbean nach Imre finde ich gelungen und gut. In den meisten Fällen wenn Kvothe den Ort des Geschehens wechselt, wird das auch so beschrieben. "Er ging von dort nach dort und machte vorher dies/das dachte über jenes nach..." o.ä. Warum denn auch nicht? Warum so etwas streichen? Man könnte es ohne große Verluste für die Hauptstory auch weglassen, aber was bringt mir das als Leser?

In den letzten Büchern die ich so gelesen (und dann weggelegt) hatte, fühlte ich mich größtenteils atemlos, weil keine "Pause" zwischen der ganzen Handlung war. Im gestrecken Galopp ging es der Hauptstory entgegen. Keine Zeit für Charakterentwicklung, Nebencharaktere, das Aufbauen von Atmosphäre oder sonstigen Dingen, die ich so gerne habe.

Mit dem Beispiel am Ende des Blogs gehe ich nicht konform. Die meisten seiner Fragen zu der Vorstellung der Kulisse die er mit dem kurzen Abschnitt erschaffen hatte, musste ich verneinen. Das Gegenbeispiel war natürlich überzogen, allerdings in seiner Länge für mich fast ok wenn: Der Raum DER Raum ist, in dem also große Teile der Geschichte spielen. allerdings würde ich die Details über den Text verteilen und den Leser nicht mit einer Beschreibung am Stück erschlagen.
Be brave, dont tryhard.

Kati

Christopher: Das ist doch genau das, was Fianna gerade gesagt hat. "Unwichtige Szenen vermeiden" heißt ja nicht, immer nur Action schreiben zu müssen oder die Überleitungen wegzulassen. Du kannst auch Überleitungen und Verschnaufspausen schreiben, die für die Handlung Bedeutung haben. Es geht doch darum Szenen rauszulassen, die einfach völlig willkürlich wirken und keinerlei Relevanz haben. Wenn du eine Verschnaufspause möchtest, kannst du eine ruhige Szene schreiben, in der sich der Held mit jemandem unterhält oder in einer Bibliothek recherchiert. "Plot weitertreiben" heißt ja nicht, dass es immer Verfolgungsszenen, Kämpfe und Action geben muss.  :)

Wir haben doch auch schon festgesetzt, das Szenen, die der Charakterisierung von Figuren dienen, auch wichtig sind und die Handlung vorantreiben. Dein Beispiel wird also gar nicht angezweifelt. Also, Überleitungen, Charakterisierung etc. ist doch gar nicht unnütz und das hat hier auch niemand gesagt. "Dem Plot folgen" heißt ja nicht, das immer Action sein muss.

Christopher

Ich war wohl noch am schreiben, als Fianna gepostet hat - zeigt aber nur, dass wir da einer Meinung sind, was ja nicht verkehrt ist ;) Ich widerspreche hier ja niemandem ;D

Der Hauptbeitrag zur Diskussion in meinem Beitrag war dann wohl eher, dass ich das schon öfters deutlich anders gesehen habe - auch in veröffentlichten Büchern wohlgemerkt. Und eben nicht nachvollziehen kann, wie man so etwas wirklich mit Genuss lesen kann  :no:
Be brave, dont tryhard.

Aphelion

#18
Zitat von: Polarfuchs am 20. Januar 2014, 10:40:27
Ich bin der Meinung, dass es doch auch für den Leser unterhaltsam ist, wenn er einfach mal Charaktere in Aktion erlebt, egal ob das jetzt zur Weiterentwicklung beiträgt.
Das sehe ich anders. Solche Szenen sind wirklich unnötig - wenn nur die selben Charaktereigenschaften aufgegriffen werden, wie vorher/nacher auch schon. Wenn du solche Szenen nutzt, um die Figur zu charakterisieren, dann ist es okay. Aber nur, um Füllmaterial zu produzieren und sich und die Figur profilieren zu wollen ... neee.

So etwas interessiert Fans der Figur (z.B. den Autor ;) ), aber nicht den "durchschnittlichen Leser". Um Fan zu werden, muss man die Figur erst einmal schätzen lernen - das geht schlecht, wenn man den Chara in sinnlosen Szenen erlebt. (Deshalb findet man solche "ich will ja nur mal"-Szenen eher bei Reihen und auch da eher in den späteren Bänden ... Achte mal rauf. :))

Trägt die Szene jedoch zur Stimmung der Geschichte oder zum charakterlichen Gesamtbild bei (s.o.), hat die Szene durchaus eine Funktion und wird (u.U.) sogar dringend benötigt. Dann liefert die Szene jedoch einen Mehrwert.

Schreiben kann man solche sinnlosen Szenen ja trotzdem. Um die Figuren besser kennen zu lernen, kann das sogar sehr hilfreich sein. Aber wenn sie nichts zur Geschichte beitragen, dann gehören sie eben nicht zur Geschichte - und sind in der Geschichte deplatziert.

Anj

Ich denke, es ist wirklich schwierig, klar zu definieren, was genau diese überflüssigen Szenen denn nun sind. Je nach Genre können sie auch variieren, bzw. macht auch die Gewichtung einiges aus.
Eine Szene mit Alltagsmomenten kann durchaus dazuführen, dass eine Geschichte dreidimensionaler wird, denn niemand hetzt von einer Aktion zur nächsten. Damit hat diese Szene einen Sinn, weil sie die Geschichte realistischer scheinen lässt und mit der Realität im Hintergrund der Geschichte verknüpft. Habe ich aber nun hunderte solcher Szenen, dann nutzt sich dieser Sinn ab und sie werden überflüssig. Plot- oder Characterdriven dürfte auch ein unterschiedliches Empfinden überflüssiger Szenen bewirken.

Für noch viel wichtiger halte ich eigentlich die Stelle, an der solch strittigen Szenen stehen. Auf den ersten Seiten sind sie wohl eher kontraproduktiv, um aber als retardierendes Moment eingesetzt zu werden, können sie mittig und gegen Ende sinnvoll sein. Und, auch das wurde schon angesprochen, elementar wichtig ist, dass sie die Perspektive nicht verwischen. Auch diese Situationen müssen konsequent aus Sicht des Perspektivträgers geschrieben sein. Oder aus der des Erzählers. Sie dürfen nicht plötzlich den Autor hören lassen, der seine Geschichte erklärt. Die Sinneswahrnehmung und die Konsequenz dieser Wahrnehmung in der Figur sind für mich also auch essentiell, ob ich das als überflüssig (weil Fremdkörper im Text) empfinde, oder als logische Fortführung der Perspektive und Situation. Und schon würde auch weder das Argument der Charakterisierung greifen.

Dass sie in Reihen häufiger vorkommen, halte ich auch für eine wichtige Erkenntnis, denn als Fan genießt man ja schon das einfache Zusammensein mit den Figuren, bzw. das Abtauchen in die Geschichte.

Und dann spielt auch der Lesergeschmack eine Rolle. Ich persönlich empfinde detailliertere Beschreibungen als eher überflüssig, weil ich sie für meine Fantasie nicht brauche und nur selten gute Beschreibungen entdecke. Vielleicht 2 von 1000, die ich gelesen habe. Andere lieben genau diese 1000 Beschreibungen, weil es die Geschichte für sie atmosphärischer macht Dafür mag ich es, wenn meine Figuren in kleinen Nebenszenen mit dem Alltag konfrontiert werden. Wie kriege ich was zu essen? Wer wäscht das Geschirr? Wer geht einkaufen? Wer putzt das Bad? Das sollten dann aber narrative Einschübe von ein paar Sätzen sein, oder beispielsweise den Hintergrund für Grübeleien bieten.

Bei mir ist es auch sehr oft so, dass in diese Szenen nach eine halben Seite die Handlung platzt. Da ich ja ohne detaillierten Plot schreibe, ist das tatsächlich ein hineinplatzen. Das ist für mich auch immer das sicherste Zeichen, dass es ab jetzt überflüssig werden würde, wenn ich die Alltagsszene weiter schreiben würde.

Die wichtigste Überprüfung für mich sind da übrigens die Betaleser. Meinem Urteil vertraue ich nur bedingt, weil sich für mich die Geschichte beim Schreiben ja erst richtig entwickelt und damit auch quasi festbetoniert ist. Erst wenn die Betaleser mir die entsprechenden Rückmeldungen geben, gehe ich aus der engen Autorensicht und fange an, in die Struktur der Geschichte einzugreifen.

Für mich verstehe ich den Tipp zu kürzen auch eher so, dass ich nicht Inhalt wegkürze, sondern diesen verkürzt darstelle. Das wurde hier ja auch schon beschrieben. Statt einer ganzen Szene eine narrative Zusammenfassung, oder nur eine Flirtszene in einer Liebesgeschichte, statt 3.
Manchmal reicht es aber auch, den Grundkonflikt wieder stärker einzubauen, neue Fragen aufzuwerfen oder Antworten zu geben, damit die Nebenhandlung nicht zu weit wegführt.

Kurz gesagt: Ich bin nicht sicher, ob Streichen immer die richtige Lösung ist. Vielleicht wäre verändern manchmal die bessere Variante?
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

canis lupus niger

Zitat von: Polarfuchs am 20. Januar 2014, 10:40:27
Ich bin meistens immer einer Meinung mit ihm und verstehe, was er meint.
Allerdings hat er jetzt einen Blog gestartet indem er schreibt, dass es für jede Geschichte gut ist, wenn man sie "ein wenig abspecken lässt", also Szenen die nicht zur Weiterentwicklung der Geschichte oder des Charakters dienen, wegkürzt.
Er scheint wirklich sehr überzeugt davon zu sein, dass dieses Kürzen notwendig ist, in seinem Video "Szenen" wird das auch nochmal deutlich.
Aber ich bin da anderer Meinung.
Klar ist es langweilig, wenn seitenlang nur ein und dieselbe Salatschüssel beschrieben wird. So etwas würde ich auch sofort streichen. Aber wieso "sollte" alles weg, was nicht auf das Ziel hinausarbeitet (Hat sich der Charakter für den Hauptplot essentiell entwickelt? Hat der Leser eine neue Information erhalten? Hat der Plot einen Schritt vor/zurück gemacht?)

Auch ich bin der Meinung, dass man eine Geschichte nicht mit Überflüssigem belasten sollte. Aber die für mich entscheidende Frage ist doch: Was ist überflüssig?

Klar, die opulenten Beschreibungen der Romane des ausklingenden 19. Jahrhunderts müssen es nicht unbedingt sein. Sie sind meiner Meinung nach dem Mangel an verfügbaran Bildern geschuldet. Welcher Leser wusste schon, wie es in der US-Amerikanischen Prairie aussah, wie sich einem der Hafen von Sansibar darstellte, wenn man mit einem Schiff dort eintraf, oder was die äußerlichen Merkmale eines Thais von denen eines Chinesen unterschied. Damals hatte man keinen Fernseher, man sah noch genau hin und wusste Beschreibungen zu schätzen. heute ist nur noch Action gefragt, oder Emotion. Wer will schon Zeit mit dem Lesen von Beschreibungen verschwenden?

Aber wir alle sind uns doch einig, dass jeder Leser seine eigenen Erwartungen an eine Geschichte hat. Manche mögen vielleicht doch bildhaft Geschriebenes. Kommt es wirklich nur darauf an, die Geschichte oder die Charakterentwicklung "voranzubringen"? Was ist mit der Atmosphäre? Was ist mit show, don´t tell? Gutes "Show-en" dauert nun mal. Dem Leser muss das Bild erst vor Augen geführt werden. Die Geschichte bringt es kein bisschen weiter, wenn der Prota eine Katze aus dem Baum rettet oder ein eingebrochenes Kind vom zugefrorenen teich, wenn er/sie sich ausheult oder im Gegenteil jemanden aus lauter Frust grundlos zusammenpfeift. Aber es erzeugt eben die Stimmung, lässt den Leser den Charakter besser kennenlernen, ihn/sie hassen oder lieben, verstehen oder verabscheuen. Man lernt Land und Leute kennen und kann nachvollziehen, wann was warum passiert. (Wenn der Autor das richtig rüberbringen kann, natürlich nur!)

Deshalb denke ich, dass es auf das richtige Maß ankommt. Wenn ich die Geschichte nur "voranbringen" wollte, könnte ich einen nüchternen Bericht schreiben. Aber wie lesenswert wäre der? Oder um bei dem Bild des Abspeckens zu bleiben: Eine ausgezehrter, überarbeiteter Mensch kann aussehen wie ein reines Skelett. Trotzdem kann er seinen Teil Arbeit vielleicht immer noch leisten. Aber würde er für den Betrachter noch schön aussehen? Wäre er widerstandsfähig gegen Krankheiten oder große Belastungen? Ein bisschen Masse ist deshalb vielleicht gar nicht so schlecht. Muss nicht nur unnützes Fett sein.   

Thaliope

Ich hab jetzt länger über das Thema nachgedacht. Ich selbst versuche mich meist möglichst kurz zu fassen, weil ich irgendwie ein schlechtes Gewissen hätte, die Aufmerksamkeit des Lesers länger als nötig zu beanspruchen. Das ist sicherlich eine Extremhaltung, die aufgeweicht gehört, wenn ich etwas Atmosphärisches und Gefühlvolles erzählen möchte.

Aber das andere Extrem, um das es vermutlich geht, ist ja auch nicht besser: das wäre nämlich selbstverliebtes Erzählen um des Erzählens willen.

Für mich ist der springende Punkt, dass man nicht einfach "nur erzählen" sollte, sondern immer "die Geschichte erzählen", falls verstehbar ist, wo ich da den Unterschied sehe. Das kann ausschweifend oder knapp erzählt sein, da können Episoden dazugehören, die nichts mit dem eigentlichen Hauptplot zu tun haben, aber den Charakter und sein Umfeld näher vorstellen. Aber das auch nie als reinen Selbstszweck, sondern um dessen Rolle in der Geschichte verständlich zu machen. Kurz gesagt, müsste man nach dieser Definition wohl immer eine plausible Antwort auf die Frage eines ungeduldigen Lesers parat haben: "und was hat das jetzt mit der Geschichte zu tun?"

@canis: Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Szenen zu rechtfertigen wären, die nur der Atmosphäre dienen und sonst keinen einzigen Zweck in der Geschichte erfüllen. Atmosphäre lässt sich ja mit der Handlung und der Geschichte verknüpfen. Das heißt aber nicht, dass man nicht zB atmosphärisch die Situation schildern sollte, in der sich die Hauptfigur zu Anfang befindet, weil der Hintergrund der Figur schließlich Ausgangspunkt und Auslöser für Handlungen, Emotionen, Reaktionen ist.
Was ich sagen will: es gibt viele sehr veschiedene Funktionen, die eine Szene in einer Geschichte haben kann. Aber wenn sie keine Funktion hat, sondern nur Schwelgerei ist, weil der Autor gern ein bisschen mehr Zeit mit seiner Figur verbringen wollte, gehört die Szene in meinen Augen gestrichen. Dann ist sie eine Privatangelegenheit zwischen Autor und Figur :)

LG
Thali


Polarfuchs

Nach diesen ganze ausführlichen Meinungen kann man wohl wirklich sagen, dass die Frage, "wie dünn" ein Buch sein sollte, wirklich stark vom Geschmack des Lesers abhängt. Einige möchten gern, dass alles beschrieben wird, andere möchten sich das gern selber denken.
Da scheint wirklich jeder seine eigene Vorlieben zu haben :)
Zu den Beschreibungen: Ich persönlich lese gern, wenn die "wichtigen" Dinge wirklich bildhaft beschrieben werden. Wie zum Beispiel ein surrealer mystischer Ort, den man als Autor dem Leser wirklich näher bringen möchte.
Ob jetzt aber der einfache Waldweg über den der Prota läuft, von Moos oder Farnen umsäumt ist und ob die von blatt- oder moosgrüner Farbe sind, ist mir herzlich egal.

pink_paulchen

Ich mag noch einen Aspekt dazu ergänzen, der bei der Frage "weg oder kürzer oder darf bleiben?" für mich auch sehr relevant ist. Nämlich die Frage: Was passiert vorher und nachher? Vor allem: Wie actionreich ist das?
Das lästigste Übel ist für mich, wenn mitten in einer hochrasanten Actionszene und höchster Spannung ein abrupter Bruch kommt und ich mich plötzlich in einer Landschaftbeschreibung finde, bevor nach 10 Seiten voller Bäume endlich aufgelöst wird, wie die Handlung weitergeht. Grundsätzlich hätte ich gegen die Landschaft nichts gehabt, sie schafft Atmosphäre und entführt mich in die Romanwelt - aber es gibt Momente, da musst du den Leser aus der Action anders abholen, als mit Cliffhangern.
Wer Karl May gelesen hat, versteht mich. Ich kenne niemanden, der nicht an den entscheidenden Stellen die Beschreibungen (die eigentlich großartig sind) weggeblättert hat, um zu erfahren ob, oder ob nicht das Messerduell gut ausgeht.
Und ich stimme der Mehrheit zu, dass allzu verliebt ausschweifende Details in der Umgebung gekürzt gehören. Bei Karl May hat man manchmal das Gefühl gehabt: Wenn jetzt ein Gecko aus dem Stein kriecht, zieht er ihm die Haut ab und beschreibt die Struktur der Muskelfasern. Und was zur Hölle läuft es beim Duell???  :darth:

Cailyn

Ich sehe es ähnlich wie Anjana. Es hat sehr viel mit Geschmack zu tun. Und überdies ist es sehr schwierig, auf der Metaebene über dieses Thema zu reden. Man müsste anhand konkreter Beispiele diskutieren, denn was für die einen detailliert ist, ist für die anderen vielleicht schon zu kurz.

Christopher, danke für das Beispiel aus "Name des Windes". Anhand dessen kann man sehr schön sehen, wie unterschiedlich Geschmäcker sind. Mir war das einfach zu viel Drumherum. Aber du kennst mich ja. Ich bin eher puristisch veranlagt, zumindest aus deiner Sicht  ;). Dennoch finde ich dieses Buch vom Erzähltempo her gelungen, da es in sich ausgeglichen ist. Es ist nicht an einer Stelle sehr dicht erzählt und an anderer Stelle gibt es riesige Sprünge. Das an sich finde ich auch wichtig.

Ich denke, man sollte grundsätzlich gut unterscheiden zwischen den Erzählarten. Gerade i.S.v. Hintergrundwissen und auch bei Dialogen kann oft viel gekürzt werden.
Hier mal ein fiktives Beispiel:
Wenn ein Prota auf einer Reise einen Nipamuk antrifft und man in einem Satz schreibt, dass der Nipamuk ein zotteliges Fell hat, Glubschaugen und Krallenhände, dann reicht das erstmal aus. Als Leserin möchte ich da keine Abhandlung darüber, woher diese Nipamuks kommen, was sie früher gemacht haben, wo sie leben etc.. Man könnte höchstens in einer Bemerkung vom Prota noch einen Hinweis einfliessen lassen, z.B. "Seit diese Nipamuks in die Berge abgehauen sind, ist es im Flachland wirklich sehr viel gefahrloser." Kurz und knapp. Aber eine halbe Seite Beschreibung, wer das ist - geht bei mir gar nicht. Sollte das für die spätere Handlung von Bedeutung sein, kann ich natürlich schon mehr einfliessen lassen. Aber wenn diese Nipamuks nur Teil der Welt sind, ohne grossen Einfluss, dann lieber zurückhaltend beschreiben.
Und wenn sie schon wichtig sind, dann über das berühmte "show, don't tell". Nicht eine halbe Seite schreiben, dass diese Viecher früher Schafe und Kühe gerissen haben, bis sie von der Arme Sowieso vertrieben wurden, sondern lieber eine Szene zeigen, wo der Prota ihre unmittelbare Gefahr mitbekommt.

Bei Dialogen habe ich manchmal den Eindruck, dass die viel zu früh anfangen und zu "step by step" gehandhabt werden. Teilweise haben Schreibende den Drang, ein Gespräch genau so abzuhalten, wie es realistisch wäre. Aber das funktioniert in Büchern nicht. Es ist langweilig. Figuren in Büchern sprechen nicht wie wir im richtigen Leben. Sie sprechen komprimierter. Aber ich treffe es oft an, dass Dialoge von A-Z durchgekaut werden. Vom ersten "Hallo", über "Wer bist du?", "Was machst du?", "Warum denn auch?".... phu, also das finde ich gar nicht attraktiv zum lesen.

Aber für mich gibt es auch einige Ausnahmefälle, wo man schon weiter ausholen kann.
Zum Beispiel wenn es darum geht, Kinästethisches oder Gefühle zu beschreiben. Da kann mich der Schreibene schliesslich abholen.
Ausserdem gibt es Situationen, wo die Atmosphäre sehr wichtig ist, um die Handlung zu spiegeln. Wenn also der Held nach einem harten Kampf erschöpft auf der Wiese steht und den Himmel beobachtet, dann würde es mir schon passen, wenn die Landschaft und das Wetter detaillierter beschrieben werden, denn das korreliert ja meistens stark mit den Empfindungen des Protas.
Und die letzte Ausnahme für Ausschweifungen haben für mich auch mit dem Autor zu tun. Wenn jemand eine Sprache hat, in die ich mich reinlegen könnte vor Entzückung, dann frohlocke ich auch über jegliche langen Beschreibungen. Aber das kommt schon eher selten vor. Viele schreiben halt gut, aber nicht herausragend gut.

Christopher

Zitat von: Cailyn am 24. Januar 2014, 09:25:36
Christopher, danke für das Beispiel aus "Name des Windes". Anhand dessen kann man sehr schön sehen, wie unterschiedlich Geschmäcker sind. Mir war das einfach zu viel Drumherum. Aber du kennst mich ja. Ich bin eher puristisch veranlagt, zumindest aus deiner Sicht  ;). Dennoch finde ich dieses Buch vom Erzähltempo her gelungen, da es in sich ausgeglichen ist. Es ist nicht an einer Stelle sehr dicht erzählt und an anderer Stelle gibt es riesige Sprünge. Das an sich finde ich auch wichtig.

Ja, so ist das wohl ;D
Der Name des Windes ist auch mir stellenweise zu ausschweifend, aber nur um eine Kleinigkeit. Ich hätte es als ich angefangen habe es zu lesen sogar fast weggelegt. Weil es gefühlt hundert Seiten dauerte, bis die eigentliche Geschichte hervorkam. Eine Leseprobe über die ersten 50 Seiten hätte mich niemals zum Kauf bewegt.

Dennoch finde ich es sehr gut wie Rothfuss es gelöst hat. Er hat die fließenden Übergänge die ich so gerne mag (abrupte Szenenwechsel sollten sich meiner Meinung nach möglichst auf Kapitelanfänge beschränken), bringt aber dabei immer etwas ein. Es wird nicht stumpf beschrieben wie Prota von A nach B läuft, es passiert immer etwas dabei. Sei es, dass er überfallen wird, jemanden trifft oder die Zeit genutzt wird, um über etwas wichtiges in der nahen Zukunft nachzudenken oder um etwas deutlicher zu zeichnen, was de Leser bisher nicht bewusst geworden ist.

Aber wie man schon an deiner Empfindung sieht:
Es ist ein schmaler Grat. Noch ein bisschen mehr und es wäre auch mir zu viel gewesen. 
Be brave, dont tryhard.

Cailyn

Mich hat die Sprache erfreut. Dennoch, Teil 2 habe ich nicht mehr gelesen. Ich konnte mich einfach nicht mit dem Prota anfreunden. Aber sorry, das gehört hier gar nicht hin.  ;)

Christian Svensson

Es ist schon nachdenkenswert, dass ich gerade hier meinen ersten Post im Tintenzirkel schreibe. Doch das hier Gelesene war für mich hochinteressant, denn ich sehe dieses Problem immer noch mehr aus der Ecke des Lesers.
Wir leben in einer Zeit, in der ein neuer Gott erschienen ist. Sein Name ist Effizienz. Dieses »Carpe diem« von früher wird zu einem Fetisch. Keine Handlung, kein Tun sollte ohne ein konkretes Ziel erfolgen und muss mit höchster Effektivität ein messbares Ergebnis erbringen.
Es gibt viele Bücher, die ich mehr als zwanzig Mal gelesen habe, meisten immer nur bestimmte Szenen und das waren nie die, in denen so richtig »Action« angesagt war. Es sind Szenen, die manchmal nur beiläufig irgendeine Handlung einer Person dargestellt haben, ein Lob, ein Tadel, eine besondere Tat.
Wenn ich als Leser ein Buch in die Hand nehme, erwarte ich, dass es mich entführt in eine Zeit und/oder einen Ort, den ich nicht kenne und mich aus meinem hier und jetzt entführt. Das ist für mich die Aufgabe eines unterhaltenden Buches. Es vertreibt mir auf eine angenehme Art und Weise meine Zeit.
Gnadenlos vorangetriebene Handlung führt zwar zum »Lesen mit angehaltenem Atem«, dem »Nicht weglegen können«. Es führt aber auch dazu, dass ich ein Buch in zwei Stunden zu Ende gelesen habe - schade eigentlich, war so schön. Wo ist der zweite, der dritte Teil usw. . Natürlich sind solche Bücher die, die sich verkaufen wie warme Semmel. Sie sind für mich aber nicht wirklich entspannend.
Ich denke, dass es eine Ausgewogenheit geben sollte zwischen Handlung, Spannung, »Effizienz« usw. . Ist irgendwie wie im Leben - alles sollte ein wenig in der Balance sein.