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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Manouche am 29. März 2021, 13:54:56

Titel: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 29. März 2021, 13:54:56
Hallo zusammen.

Ich beschäftige mich im Moment mit der Frage, dass Nebenfiguren irgendwie schnell zu Klischees  werden. Gerade, weil sie nicht so ausführlich vorkommen ist es schwieriger, den Leser*innen zu ermöglichen, sie besser kennenzulernen. Das heisst dann, was bleibt sind häufig, Klischees. Manchmal sind es so kleine Rollen, dass es nicht sehr auffällt. Wenn aber die Person einen wesentlichen Teil zu Geschichte beiträgt, beginnt es mich schon zu stören.

Mich würde interessieren, wie ihr das macht. Lasst ihr es zu, dass Nebenfigur klischeehafter und plakativer sind?
Oder wenn nicht, wie verhindert ihr solche Klischees oder oberflächliche Personen? Was sind eure Erfahrungen?

1.
Ich habe im Moment folgende zwei Varianten, die mich aber nicht voll überzeugen. Am Beispiel eines Bandenchefs:
Ich gebe der Person eine Vergangenheit, wie dieser Junge sich entwickelt hat und im meinem momentanen Fall zu einem fiesen und brutalen Menschen wurde.
Daran gefällt mir nicht, dass kaum etwas von der Hintergrund-Geschichte je in den wirklich geschriebenen Roman kommen wird, weil die Person halt doch zu wenig wichtig ist. Und zudem besteht die Gefahr, dass dann die Hintergrund-Geschichte ebenfalls sehr klischiert wirkt. Das liesse sich aber vermutlich verhindern, mit etwas ausführlicherem auseinandersetzen mit der Figur...

2.
Meine zweite Variante ist, dass ich eher vom Äusseren gehe, das heisst. Vielleicht, ist der brutale Typ sehr klein und zierlich oder er fürchtet sich vor etwas bestimmtem (Dunkelheit, Gewitter...) Oder ich mache aus einem Mann eine Frau etc.
Finde ich aber alles auch ziemlich plump...

Da es mich vor allem grundsätzlich interessiert und nicht eigentlich um eine meiner Figuren geht, habe ich den Thread in den Workshop gesetzt. Ich hoffe das stimmt so.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Araluen am 29. März 2021, 15:43:00
Ich denke ein Stück weit helfen Klischees bei Nebenfiguren auch. Wird ein Klischee bedient, kann die Figur schnell verortet werden, ohne dass es vieler Worte und Erklärungen bedarf. Ich glaube das Problem vieler Nebenfiguren ist weniger, dass sie einem Klischee oder einer Rolle entsprechen, sondern schablonenhaft und austauschbar wirken, weil ihre Charakterisierung allein auf ihre Auftritte fixiert ist. Da Nebenfiguren eigentlich immer einem konkreten Zweck dienen, sind zusätzlich diese Auftritte auf diesen Zweck fixiert. Da schwindet der Platz um einer Figur Leben einzuhauchen auf ein Minimum.
Was ich dagegen mache?
Ich überlege mir, was diese Figur tut, während sie nicht mit dem Prota interagiert. Nicht jede Figur braucht eine ausgefeilte Vorgeschichte, auch wenn das sicher nie schaden kann. Aber wenn sie schon keine Vorgeschichte hat, sollte etwas Zeit und sei es erst einmal rein gedanklich für Alltag da sein.
Zudem versuche ich mir die Szene losgelöst von ihrem Zweck vorzustellen, vielleicht sogar ein wenig aus der Sicht der Nebenfigur. Es ist nicht so, dass ich eine Szene zweimal schreibe - Zeit ist ja auch nur ein endliches Gut - aber wenn die Nebenfigur ihren Interaktionspart bekommt, versuche ich mir vorzustellen, wie die ganze Szene auf sie wirkt und lasse sie entsprechend reagieren. Das kann ganz andere Dynamiken schaffen.
Eine typische Situation wäre in so einem Fall, dass Prota A eine Info von B bekommt und eigentlich existiert B auch nur, um genau jetzt einmal diese Information preiszugeben. Eine ähnliche Szene habe ich in einem meiner Projekte. Da sucht Prota eine Prostituierte auf, in der Hoffnung, dass sie nachts zuvor etwas beobachtet hat. Die Prostituierte selbst erfüllt tatsächlich der Einfachheit halber so ziemlich jedes Klischee einer Prostituierten des 19. Jhd. wie man es aus Buch und Film so kennt, sogar dass sie einen kleinen kranken Jungen Zuhause hat, hab ich nicht vergessen.
Viel Vorgeschichte habe ich zu ihr nicht, eigentlich keine außer, dass sie eben einen kranken Sohn hat. Vermutlich ist sie alleinerziehend, aber da will ich mich gar nicht festlegen und der Pub an der Ecke ist ihre Stammkneipe. Insgesamt ist sie eine Frohnatur, zumindest vor Kunden. Ich hätte folgendes aus der Szene machen können:
Prota sucht Prostituierte auf. Man schiebe etwas Vorspiel ein, in dem der Preis der Information verhandelt wird und dann rattert die Gute ihr Wissen herunter. Beide ziehen ihrer Wege und das wars.
Ich habe mich aber gefragt: Was denkt sich die Gute eigentlich, wenn so ein Typ bei ihr aufkreuzt und solche Fragen stellt? Das habe ich in das Gespräch einfließen lassen. Am Rande wird besagter Sohn erwähnt, ebenso, dass der Arzt am Morgen da war. Auch dieses Wissen habe ich genommen und mir überlegt, wie sich das auf diesen Dialog auswirkt. Sie ist ja schließlich kein Automat, in den man Münzen steckt, damit sie eine hübsche Geschichte erzählt. So entspricht die Prostituierte zwar absolut dem Klischee, hat aber durch diese Kleinigkeiten Profil bekommen.
Was Nebenfiguren ebenfalls Leben einhaucht, ist wenn der Prota ihnen ohne einen bestimmten Zweck früher oder später noch einmal begegnet. Das meine ich damit, dass man den Figuren noch ein wenig Alltag zugesteht. Das müssen keine groß angelegten Szenen sein. Oft reichen da kurze Erwähnungen. Mein Prota wird besagte Prostituierte noch einmal treffen. Es ist nur ein kurzer Moment und sie werden nicht einmal ein Wort miteinander wechseln (er hat in diesem Moment seinen Kopf wahrlich woanders). Doch Prota und Leser erfahren wie ihre Geschichte weiterging. Auch bei den anderen Figuren aus dem Umfeld des Prota gibt es immer mal wieder Einblicke darüber, was sie sonst so den Tag über treiben. Der eine Mitmieter beendet im Lauf des Romans seine Lehre und erhält eine Anstellung als Finanzberater. Der andere schriebt an einer Monographie, deren Veröffentlichung scheitert, sodass er gezwungen ist selbst das nötige Geld in die Hand zu nehmen, um sie zu publizieren. Die Vermieterin wird irgendwann noch Großtante. Das hat alles mit dem Plot nichts zu tun und ist nichtmal eine Szene wert. Aber es passiert und der Leser erfährt davon und selbst wenn die Figuren klischeehaft sind, sind sie lebendiges Klischee.

Beim Beispiel des Bandenchefs würde ich statt unbedingt Klischees brechen zu wollen, mich fragen, warum er Bandenchef geworden ist. Bandenchef wird ja nicht jeder. Ist er besonders skrupellos oder genial (oder beides) oder zu falschen Zeit am falschen Ort oder auch umgekehrt? Hat er seine Prinzipien und steht kompromisslos für eine Sache ein? Vielleicht hat er auch einfach in einem Moment, wo alles schief lief, das Ruder an sich gerissen, weil es sonst keiner machte und nun ist er eben an der Spitze, fühlt die Verantwortung, genießt sicher auch den Respekt und wüsste auch gar nicht, wie er den Posten nun auch wieder zurückgeben sollte. Das muss nicht groß ausgebreitet werden, charakterisiert aber die Figur und schlägt sich darin nieder, wie sie mit anderen interagiert. Äußerlichkeiten finde ich da sehr nebensächlich und dienen für mich persönlich bei Nebenfiguren der bewusst klischeebehafteten Rollenzuweisung, um die Handlung nicht durch unnötige Erläuterungen unterbrechen zu müssen.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Herbstblatt am 29. März 2021, 19:32:55
Zitat von: Manouche am 29. März 2021, 13:54:56
Oder ich mache aus einem Mann eine Frau etc.


Huh? Wie wirkt das Klischees entgegen? Meinst du vielleicht, dass du in manchen Fällen Geschlechterrollen durchbrichst?

@Araluen: Mir gefällt diese Idee, Klischees verwenden, um den Charakteren mehr Tiefe zu geben. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sie dadurch unaustauschbar finde. Sie sind weniger seicht, erfüllen aber immer noch ein Klischee, nicht?

Ich geh das von einer ganz anderen Seiten an, wodurch meine Nebencharaktere wohl meistens klischeehaft und schablonenhaft ausfallen.
Normalerweise haben sie alle einen subtilen Zweck und wirken auf die Protagonisten. An anderen sticht irgendetwas hervor.
Da hätte ich einmal einen unterwürfigen Diener, der mit seiner Unfähigkeit die schlechte Laune des Prinzen bestärkt, eine alte Frau mit Schoßhündchen, die sich über Gesindel aufregt. Ihr habe ich einen knallblauen Lidschatten verpasst. Das kommt von meiner ganz persönlichen Beobachtung, in denen ich gesehen habe, wie sich alte Frauen mit Lidschatten in "Karens" verwandelt haben.  :D

An einer anderen Stelle kam eine Dienerin vor, die ich anders dargestellt habe. Mit ihrer Art weckt sie gewisse Erinnerungen an den Prinzen. Das ist etwas abstrakt, also gebe ich hier ein Beispiel:
ZitatDie Tür schwang auf und eine hochgewachsene Dienerin streckte den Kopf herein. Valto krallte seine Finger in die Tischplatte, um seinen Zorn zu bändigen.  Ausgerechnet diese Dienerin musste hereinschneien. Bei ihrer ausdruckslosen Miene war ihm, als sähe er in die starren Augen dieser Soldatin. Das war der denkbar schlechteste Moment, um an diese aufmüpfige Schlampe erinnert zu werden, die ihm dort hinten auf dem Sofa eine Abfuhr verpasst hatte.
Also, diesmal keine unterwürfige Dienerin, sondern eine Frau mit starrem Blick, die den Prinzen an die Protagonistin (die Soldatin) erinnert, die sich nichts sagen lässt bzw. wehrt.

An einer weiteren Stelle kam die Dienerin noch einmal vor, um die Umgebung besser zu beschreiben:
ZitatDann nickte er der Dienerin auffordernd zu. Die schlaksige Frau musste sich mit ihrem gesamten Gewicht gegen die massive Flügeltür stemmen,  um sie zu öffnen.

Ich halte diese Dienerin für ein gutes Beispiel für einen schwer austauschbaren Nebencharakter.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 29. März 2021, 22:18:09
ZitatHuh? Wie wirkt das Klischees entgegen? Meinst du vielleicht, dass du in manchen Fällen Geschlechterrollen durchbrichst?

:D Ich finde schon, dass ein brutaler Bandenchef klischierter ist, als eine brutale Frau als Bandenchefin. Aber wie eben schon geschrieben, halt auch plump und bedient dann schnell auch andere Klischees.
Und ja, Geschlechterrollen durchbrechen finde ich grundsätzlich eigentlich gut. Aber eben nicht um eine Figur "interessanter" zu machen.

ZitatAlso, diesmal keine unterwürfige Dienerin, sondern eine Frau mit starrem Blick, die den Prinzen an die Protagonistin (die Soldatin) erinnert, die sich nichts sagen lässt bzw. wehrt.

Das Bild dieser Dienerin gefällt mir, es belebt ganz klar die Szene. Hier gehst du ja vom Äusseren aus. Das kann auch funktionieren, wie du gerade beweist. :hmmm:


ZitatIch überlege mir, was diese Figur tut, während sie nicht mit dem Prota interagiert. Nicht jede Figur braucht eine ausgefeilte Vorgeschichte, auch wenn das sicher nie schaden kann. Aber wenn sie schon keine Vorgeschichte hat, sollte etwas Zeit und sei es erst einmal rein gedanklich für Alltag da sein.

Die Idee mit dem Alltag gefällt mir, das könnte gut funktionieren in meinem Fall. Werd ich mir merken.


Meiner Meinung nach, kommt es auch darauf an, wie klein die Nebenrolle ist. Wenn es sich um eine etwas grössere Statistenrolle handelt, mit 2, 3 Auftritten, dann denke ich auch, dass eine reduzierte Wiedergabe ihrer Charakterzüge genügen und vermutlich hilft es den Leser*innen auch sie schnell einzuordnen.
Hingegen eine Nebenrolle, die das leben der Protagonisten und die Handlung stärker beeinflusst und mehrmals vorkommt, da bin ich mir nicht sicher. Ich suche gerade nach einem Beispiel aus Büchern oder Filmen. Wenn ich so darüber nachdenke, merke ich schon auch, dass die meisten dieser Rollen ziemlich stark Typisiert sind. (Und ich merke, dass ich in letzter Zeit wenig zum Lesen oder TV schauen kam  :seufz:)
Ich nehme mir vor in nächster Zeit meine Aufmerksamkeit auf Nebenrollen zu richten.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Araluen am 30. März 2021, 08:51:00
ZitatHingegen eine Nebenrolle, die das leben der Protagonisten und die Handlung stärker beeinflusst und mehrmals vorkommt, da bin ich mir nicht sicher. Ich suche gerade nach einem Beispiel aus Büchern oder Filmen. Wenn ich so darüber nachdenke, merke ich schon auch, dass die meisten dieser Rollen ziemlich stark Typisiert sind. (Und ich merke, dass ich in letzter Zeit wenig zum Lesen oder TV schauen kam  :seufz:)
Ich nehme mir vor in nächster Zeit meine Aufmerksamkeit auf Nebenrollen zu richten.
Größere Nebenrollen versuche ich tatsächlich weniger als Rolle denn als eigene Figur zu betrachten und nehme mir dann auch die Zeit sie entsprechend auszuarbeiten. Selbst wenn davon am Ende nur 10% im Manuskript landen. Aber je lebendiger die Figur für einen selbst ist, desto lebendiger agiert sie auch im Manuskript
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Christopher am 30. März 2021, 13:25:59
Das kling für mich nach sehr vielen generellen Zweifeln was z.B. die Nebenfiguren angeht.

Das Klischee an sich ist verschrien, ja. Aber zu Unrecht, wie ich finde. Klischees kann man, wie Araluen schon sagte, auch für seine Zwecke nutzen. Klischees kann man nutzen, um Dinge sehr schnell und einfach darzustellen, sie fördern es, dass die Erwartungen des Lesers passen. Mit Klischees extra zu brechen nur um des Klischees willen, halte ich für fehlgeleitet.
Als ich mal eines der Harry Potter Bücher angelese habe (Harry Potter ist nicht nicht mein Ding, aber anderes Thema), fiel mir schnell auf, dass es VOLL mit Klischees war. Jedes Klischee was möglich war, wurde auch erfüllt. Das war nicht schlimm, es führte dazu, dass ich quasi wusste, was zu den Charakteren gehört, bevor es überhaupt erwähnt wurde. Ich hatte es gemäß den gängige Klischees erwartet und es wurde erfüllt. Das machte es auch sehr einfach, einzutauchen.


Es klingt für mich nun, als ob du das Problem in den Klischees siehst und die Lösung darin, die zu durchbrechen. Das klingt für mich aber eher nicht so. Eher, als ob du Probleme hättest, deine Nebenfiguren auch als volle Charaktere die sie sind in der Geschichte herauskommen zu lassen.
Hier würde ich auch wieder auf Araluen verweisen: Stell dir die Szenen in denen deine Nebencharaktere vorkommen mal aus ihrer Perspektive vor. Jeder ist der Held seiner eigenen Geschichte, so sind auch deine Nebencharaktere die Helden IHRER Geschichte.

Das kann dazu führen, dass sie ganz anders handeln würden, als die Geschichte für deinen eigentlichen Protagonisten erfordert. Wenn der Leser dann das Gefühl bekommt, dass die Charaktere ihre eigenen Ziele und Ideen verwirklichen wollen und ein eigenes Leben haben, dann musst du dir auch keine Gedanken mehr über Klischees machen.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Araluen am 30. März 2021, 13:46:56
@Herbstblatt
Zitat@Araluen: Mir gefällt diese Idee, Klischees verwenden, um den Charakteren mehr Tiefe zu geben. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sie dadurch unaustauschbar finde. Sie sind weniger seicht, erfüllen aber immer noch ein Klischee, nicht?
Natürlich sind sie dann noch immer Klischee, aber das ist ja nicht per Definition etwas schlechtes. Nebenfiguren, die einen konkreten Zweck erfüllen, sind in der Regel immer austauschbar, selbst wenn man ihnen Profil gibt. Nur mit Profil ist es weniger auffällig.
Meine besagte Beispielszene mit der Prostituierten hätte ich auch mit einem Türstehen, Zeitungsjungen oder what ever machen können. Das Ergebnis wäre dasselbe gewesen. Denn Ziel war es ja, dass Prota die Info erhält. Wäre seltsam gewesen, wenn ich dann etwas anderes draus gemacht hätte. Was sich aber tatsächlich mit der Figur ändert, ist der Verlauf der Szene im Detail. Die Interaktion der Figuren wäre eine andere gewesen, unabhängig davon ob diese verschiedenen Figuren einem Klischee entsprechen oder nicht. Ich hätte mir jetzt auch eine völlig innovative Prostituierte mit ganz viel Tiefe ausdenken können. Wäre sicher möglich gewesen. Nur wäre sie am Ende für diese Szene ebenso austauschbar gewesen und dann stimmt für mich die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht. Denn besagte Szene funktioniert mit einem fast beliebigen Ensemble an Figuren. In diesem Fall steht der Zweck vor der Figur.
Ihre Austauschbarkeit verliert eine Figur in meinen Augen erst, wenn die Figur vor dem Zweck steht, es um ihren Charakter und ihre Entwicklung geht. Denn auch Nebenfiguren dürfen sich entwickeln, selbst wenn sie ein Klischee sind.

@Christopher
ZitatDas kann dazu führen, dass sie ganz anders handeln würden, als die Geschichte für deinen eigentlichen Protagonisten erfordert. Wenn der Leser dann das Gefühl bekommt, dass die Charaktere ihre eigenen Ziele und Ideen verwirklichen wollen und ein eigenes Leben haben, dann musst du dir auch keine Gedanken mehr über Klischees machen.
Du hast hier wundervoll zusammengefasst, was ich meine :)
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Annie am 30. März 2021, 15:29:36
Ich finde es kommt immer auf die Art und Umsetzung der Geschichte an. Wie bereits erwähnt wurde kann es dem Leser dabei helfen bestimmte Gegebenheiten schneller einzuordnen und dadurch auch gut zu der jeweiligen Geschichte passen. Sie können unter Umständen auch genau die Erwartung des Lesers bedienen, je nachdem wonach der Leser in einer Geschichte sucht. Es ist meiner Meinung nach also eher eine Geschmackssache.

Beim schreiben schaue ich daher erst einmal, was ich mit der Figur ausdrücken möchte und welche Bedeutung ihr zukommt. Derzeit habe ich beispielsweise eine sehr wichtige Nebenfigur, die sogar mit einem meiner beiden Protagonisten reist. Diese Figur hat bestimmte Talente, die der Protagonist nicht hat und ist dadurch ein wichtiger Bestandteil. Was sie aber tatsächlich noch bedeutsamer macht ist, dass sie durch ihre eigenen Charakterzüge und unkonventionelle Art die Motive und den Charakter des Protagonisten unterstreicht. Obwohl sie ein Nebencharakter ist, behandle ich sie als eigenständige Figur, die ebenfalls als Protagonist funktionieren und auf ihre Art auch allein ans Ziel kommen könnte. Es sind zwar unterschiedliche, aber in gewisser Weise ebenbürtige Charaktere, wie sich im Verlauf der Geschichte auch noch zeigen wird.

Mit kleineren Nebencharakteren, die ggf. nur kurz vorkommen, verfahre ich anders. Da lasse ich auch mal das ein oder andere Klischee reinspielen wie z.B. den Händler, der einen über den Tisch ziehen möchte oder den größenwahnsinigen Bösewicht. In gewisser Weise gibt es auch einfach Figuren, die genau diesen Zweck erfüllen müssen, damit sie Geschichte vorran kommt und spannend bleibt, denn wenn der Protagonist so mir nichts dir nichts durch die Geschichte spaziert wird das eine recht kurze oder aber langweilige Sache.

Worauf ich immer achte ist: es darf nicht "too much" und es muss logisch nachvollziehbar sein.

Ich hoffe damit konnte ich dir helfen :)
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 30. März 2021, 16:10:41
@Christopher
ZitatEs klingt für mich nun, als ob du das Problem in den Klischees siehst und die Lösung darin, die zu durchbrechen. Das klingt für mich aber eher nicht so. Eher, als ob du Probleme hättest, deine Nebenfiguren auch als volle Charaktere die sie sind in der Geschichte herauskommen zu lassen.
Hier würde ich auch wieder auf Araluen verweisen: Stell dir die Szenen in denen deine Nebencharaktere vorkommen mal aus ihrer Perspektive vor. Jeder ist der Held seiner eigenen Geschichte, so sind auch deine Nebencharaktere die Helden IHRER Geschichte.

Ich glaube da hast du mich falsch verstanden. Mir sind Nebenfiguren sogar sehr wichtig und ich befasse mich lange mit den Charakteren.
Ich merke aber trotzdem, dass sich beim Plotten gewisse Klischees eingeschlichen haben. Besonders bei Figuren, die während dem schreiben mehr Bedeutung kriegen.
Und gerade deshalb, weil mir die Charaktere und das Innenleben meiner Figuren* wichtig sind, nahm es mich wunder, wie ihr damit umgeht.
(*Na gut nicht ganz aller Figuren, Kleinstfiguren schliesse ich aus ;))

@Annie
ZitatIch finde es kommt immer auf die Art und Umsetzung der Geschichte an. Wie bereits erwähnt wurde kann es dem Leser dabei helfen bestimmte Gegebenheiten schneller einzuordnen und dadurch auch gut zu der jeweiligen Geschichte passen. Sie können unter Umständen auch genau die Erwartung des Lesers bedienen, je nachdem wonach der Leser in einer Geschichte sucht. Es ist meiner Meinung nach also eher eine Geschmackssache.

Ja, Geschmacksache spielt da sicher auch mit. Ich finde auch, dass Klischees den Leser*innen helfen, sie schnell einzuordnen und zu verstehen. Sie können im Fluss bleiben. Aber auf den zweiten Blick, darf es gerne noch mehr Tiefe haben. Je nach Wichtigkeit der Figur.
Wenn wir jemanden kennenlernen geht es uns ja auch so. Zuerst stecken wir die Person in eine Schublade, dann mit der Zeit zeigt sich die Vielschichtigkeit jeder Person, auf die wir uns einlassen. Wenn wir sie hingegen nur einmal treffen, bleibt natürlich das erste Bild.

@Araluen
ZitatGrößere Nebenrollen versuche ich tatsächlich weniger als Rolle denn als eigene Figur zu betrachten und nehme mir dann auch die Zeit sie entsprechend auszuarbeiten. Selbst wenn davon am Ende nur 10% im Manuskript landen. Aber je lebendiger die Figur für einen selbst ist, desto lebendiger agiert sie auch im Manuskript

Das sehe ich eigentlich ähnlich. Ich glaube, die Frage stellt sich für mich, da eine Rolle, die zuerst kleiner angedacht war nun wichtiger wird. :hmmm:
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Araluen am 30. März 2021, 16:22:29
Zitat
Wenn wir jemanden kennenlernen geht es uns ja auch so. Zuerst stecken wir die Person in eine Schublade, dann mit der Zeit zeigt sich die Vielschichtigkeit jeder Person, auf die wir uns einlassen. Wenn wir sie hingegen nur einmal treffen, bleibt natürlich das erste Bild.
Na das kannst du doch auch gut als Grundlage für dein weiteres Vorgehen nehmen, gerade wenn recht nebensächliche Figuren plötzlich mehr Bedeutung bekommen. Wenn sie zunächst Klischee ist, ist das ja erst einmal kein Beinbruch sondern auch sehr hilfreich bzw. wäre es auch seltsam wenn eine Figur beim ersten Kontakt bereits so viele Schichten wie eine Zwiebel hätte. Wie du selbst sagst, würden wir in der Realität davon auch nichts wahrnehmen.
Wenn sie dann wichtiger wird und mehr Raum bekommt, besteht auch die Möglichkeit hinter die Klischeefassade zu schauen, durch Alltag und/oder gedanklichen Perspektivwechsel, und zu zeigen, was die Figur noch zu bieten hat.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 30. März 2021, 16:25:02
@Araluen
Ja klar, da hast du recht. Eigentlich geht es uns ja mit allen Figuren so. Die Leser*innen müssen sie auch zuerst kennenlernen.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Annie am 30. März 2021, 16:32:38
Zitat
Ja, Geschmacksache spielt da sicher auch mit. Ich finde auch, dass Klischees den Leser*innen helfen, sie schnell einzuordnen und zu verstehen. Sie können im Fluss bleiben. Aber auf den zweiten Blick, darf es gerne noch mehr Tiefe haben. Je nach Wichtigkeit der Figur.
Wenn wir jemanden kennenlernen geht es uns ja auch so. Zuerst stecken wir die Person in eine Schublade, dann mit der Zeit zeigt sich die Vielschichtigkeit jeder Person, auf die wir uns einlassen. Wenn wir sie hingegen nur einmal treffen, bleibt natürlich das erste Bild.

Absolut. Vielleicht kannst du das ja auch so mit einbeziehen? Dein Prota und der Nebencharakter könnten sich mit der Zeit besser  kennenlernen. Dein Prota könnte dann wiederum erkennen, dass er ihn zunächst falsch eingeschätzt hat. Macht mein Prota stellenweise auch und das obwohl der Nebencharakter sein Bruder ist. Sie wachsen sozusagen beide an ihrer Aufgabe und den Schwierigkeiten, die ihnen begegnen. Gleichzeitig gehen beide völlig anders damit um  :hmmm:
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 30. März 2021, 22:00:10
Eure entspannte Art mit Klischees umzugehen gefällt mir und nimmt mir ehrlich gesagt auch etwas Druck weg :)

ZitatAbsolut. Vielleicht kannst du das ja auch so mit einbeziehen? Dein Prota und der Nebencharakter könnten sich mit der Zeit besser  kennenlernen. Dein Prota könnte dann wiederum erkennen, dass er ihn zunächst falsch eingeschätzt hat. Macht mein Prota stellenweise auch und das obwohl der Nebencharakter sein Bruder ist. Sie wachsen sozusagen beide an ihrer Aufgabe und den Schwierigkeiten, die ihnen begegnen. Gleichzeitig gehen beide völlig anders damit um  :hmmm:

Dies macht in dem speziellen Fall jetzt keinen Sinn, da die Protagonistin den Charakter schon lange kennt und ihm lieber ausweicht. Sie weiss eigentlich schon recht viel von ihm.

Eigentlich war diese Nebenfigur eher ein Auslöser für meine Fragen. Es ging mir auch nicht in erster Linie um diesen speziellen Charakter, sondern ich finde es allgemein interessant, wie andere mit Nebenfiguren und Klischees umgehen.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Annie am 30. März 2021, 22:15:18
Ah ok das hab ich wohl übersehen, sorry  :)
Beim schreiben setzte ich mich auch manchmal zu sehr unter Druck. Im Prinzip sollte es aber Spaß machen und in erster Linie einem selbst gefallen.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 31. März 2021, 20:37:23
@Annie
Das ist nichts zum entschuldigen, ich finde die Gedanken und Vorschläge sehr interessant und kann auch für andere Situationen profitieren. Ich wollte nur sagen, dass es mir allgemein um den Austausch ging, da ich euch sonst fairerweise viel mehr Informationen hätte geben müssen.
Ich war neugierig wie ihr das so seht :)

Ich muss zugeben, dass ich teilweise noch etwas unsicher bin wo und wie ich am besten was schreibe.  :hmmm:
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Annie am 31. März 2021, 21:00:24
Da bin ich froh :) solche Idee kommen beim mir auch häufig auf die Merkliste. Stimmt, der Austausch über verschiedene Herangehensweisen ist auch wirklich interessant und gibt einem oft neue Perspektiven. Die Unsicherheiten habe ich stellenweise auch noch. Insbesondere dann, wenn ich will dass etwas perfekt wird, was dann aber natürlich eher dazu führt, dass man sich selbst blockiert. Eine gute Methode zu Plotten hilft da sehr :)
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 31. März 2021, 21:13:09
Oh und schon wieder hab ich mich falsch ausgedrückt :wums:

meine Unsicherheit bezog sich auf das Forum. Sorry!!!

Ich bin ja unverbesserlich :rofl:

Aber was du schreibst trifft für mich trotzdem zu, Annie. Manchmal stehe ich mir im Weg, da ich es perfekt machen will und gleichzeitig genau weiss, das ich diese Ansprüche nicht so schnell erfüllen kann.
Ja, Plotten hilft mir extrem und zwar auch immer wieder dazwischen, kleinere Sequenzen. Bei so einem "Zwischen-Plot" bin ich kürzlich eben auf diese Figur gestossen, die plötzlich viel mehr Bedeutung erhält. (Plötzlich ;D)
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Annie am 31. März 2021, 21:21:13
Ach alles gut, scheinbar kommen wir ja trotzdem auf den gleichen Nenner ;)
Das mit dem Forum geht mir nämlich auch noch so. Oft ist schon alles gesagt und dann frage ich mich, was ich da noch großartig zu beitragen kann oder dass meine Ideen eh nicht gut genug sind. Aber da müssen wir lernen uns mehr zuzutrauen :)
Absolut. Ich hab letztens die Schneeflockenmethode ausprobiert. Das hat ziemlich gut geklappt. Da gibt es auch einen eigenen Thread zu. Vielleicht ist das was für dich :)
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 31. März 2021, 22:01:40
Ja genau :D

Die Schneeflockenmethode nutze ich auch, finde ich super, allerdings habe ich sie für mich etwas angepasst.
Ich glaub jetzt kommen wir sehr vom Thema ab :hmmm:

Hab dir übrigens eine PN geschickt :)
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Annie am 31. März 2021, 22:46:16
Das stimmt. Gute Idee, das zu verlagern :)
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: zDatze am 04. April 2021, 10:47:26
Wenn es um Nebenfiguren und Klischees geht, dann geht es auch immer um Sterotype, die wir beim Schreiben reproduzieren. Ich sehe Nebenfiguren nicht nur als Statisten oder als eine Nebenrolle, die gefüllt werden muss, sondern auch als einen direkten Weg, um Weltenbau zu betreiben und die Welt für LeserInnen greifbar zu machen. Zum Beispiel lassen sich Hierarchien, die in deiner Welt bestehen, durch die Interaktion zwischen deinen Figuren zeigen - eben, wie z.B. mit Dienstpersonal umgegangen wird, oder ob es bestimmte Arbeiten gibt, die einem bestimmten Geschlecht zugeschrieben wird.

Hier sehe ich dann eben auch das Problem, dass man einfach in Klischees abrutscht. Natürlich kann das gewollt sein oder auch nicht gewollt. Auf etwas zurückzugreifen, das man bereits kennt, ist jetzt nicht per se verwerflich, aber ich stell mir da oft die Frage, ob ich das wirklich so darstellen möchte. Es ist ein vollkommen valider Ansatz da z.B. typische Rollenverteilungen mal zu wenden, um ein Klischee zu brechen. Allerdings landet man dann auch schnell beim nächsten Klischee. Ist alles nicht so einfach.

Also, grundsätzlich wenn ich Klischees bei meinen Figuren entdecke, frage ich mich, wo die eigentlich herkommen. War ich einfach nur faul, bei der Figurenzeichnung? Ist mir auf die Schnelle nichts Cooleres eingefallen? Und meist lande ich dann bei der Erkenntnis, dass es nicht die Figuren alleine sind, die Klischees reproduzieren, sondern die ganze Welt drum herum ebenso. Macht es jetzt nicht einfacher, aber einfach nur die Figuren zu betrachten, ist etwas zu kurzsichtig betrachtet meiner Meinung nach.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Felix Fabulus am 05. April 2021, 15:22:23
Um, allzu stereotype Nebenfiguren zu verhindern, kannst du ihnen nebst der Haupteigenschaft eine zweite Eigenschaft zur Seite stellen, die mit dem Klischee bricht und verhinderst, dass sie eindimensional daherkommen.
Z.B.: Der Bandenchef ist brutal, aber ...
... verhält sich zärtlich zu Tieren.
... ist außergewöhnlich jung.
... hat ein spezielles Handicap.
etc.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Manouche am 05. April 2021, 22:49:08
ZitatHier sehe ich dann eben auch das Problem, dass man einfach in Klischees abrutscht. Natürlich kann das gewollt sein oder auch nicht gewollt. Auf etwas zurückzugreifen, das man bereits kennt, ist jetzt nicht per se verwerflich, aber ich stell mir da oft die Frage, ob ich das wirklich so darstellen möchte. Es ist ein vollkommen valider Ansatz da z.B. typische Rollenverteilungen mal zu wenden, um ein Klischee zu brechen. Allerdings landet man dann auch schnell beim nächsten Klischee. Ist alles nicht so einfach.

Das sehe ich auch so.

Ich glaube, wichtig ist es, sich zu fragen, welchen Teil des Klischee braucht die Figur für die Geschichte und wo kann ich mit dem Klischee brechen um der Geschichte und der Figuren mehr Tiefe zu geben.
Am meisten hilft es mir schon, auch den Neben-Charakteren einen Grund und eine Vorgeschichte zu geben.

Und wie ich jetzt in meinem Fall festgestellt habe, ist es manchmal auch zulässig ein Klischee als solches stehen zu lassen, um sich nicht zu sehr darauf zu fokussieren und dann dadurch den Schreibfluss zu bremsen. Bei der Überarbeitung wird sich sowieso noch einiges ändern.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Marlemee am 02. Mai 2021, 11:44:45
Eine spannende Diskussion habt ihr hier angestoßen. :) Mir fällt dazu noch ein, dass es ja Rollenbilder gibt, die Menschen (geschriebene wie echte) absichtlich versuchen zu erfüllen. Will sagen, von einem Banker wird erwartet, dass er seriös auftritt, also wird er sich bemühen auch so rüber zu kommen (solange er in dieser Rolle ist). Von einer Marktfrau wird erwartet, dass sie laut und geschäftstüchtig ist und so weiter. Ich finde, schon im echten Leben ist es manchmal schwer, hinter die Rolle zu blicken, weil viele sich große Mühe geben, dass man nicht dahinter blicken kann.

Ich finde es eine schöne Lösung, wenn man im Roman kleine Andeutungen findet, die auf die Vielschichtigkeit einer Person schließen lassen. Und den Rest dann der Phantasie des Lesers überlässt.
Der besagte Banker, dem vielleicht der Ärmel des teuren Anzugs über sein Tribal Tattoo am Handgelenk rutscht. Oder bei dem ein selbstgestrickter Schal über dem Kleiderhaken hängt. Manchen Dinge stoßen ja direkt Gedankenketten an. Festivalarmbänder, Bandentattoos, besondere Narben, Familienfotos, gerahmte Urkunden, Pokale, Instrumente, bestimmte Schmuckstücke, Glücksbringer, Glaubenssymbole etc... Dadurch bekommt man einen ganz kleinen Ausblick darauf, was die Person vielleicht in ihrer Freizeit macht und was sie für ein Mensch sein könnte, was sie hinter ihrer Rolle ausmacht.
Bei ganz kleine Nebenrollen braucht es aber nicht mal das. Wie weiter oben schon erwähnt, es braucht ja Zeit, bei jemandem hinter die Fassade zu blicken.
Titel: Re: Nebenfiguren und Klischees
Beitrag von: Sparks am 13. Juli 2021, 20:29:28
Zitat von: Araluen am 29. März 2021, 15:43:00
Ich denke ein Stück weit helfen Klischees bei Nebenfiguren auch. Wird ein Klischee bedient, kann die Figur schnell verortet werden, ohne dass es vieler Worte und Erklärungen bedarf.

Richtig.
Eigentlich ist jeder Begriff ein "Klischee". Wenn ich z.B. den Begriff "Auto" in den Raum werfe, so wird sich jeder irgendwie etwas darunter Vorstellen. Was genau, das wird bei jedem etwas anderes aussehen, aber immer noch (hoffentlich) ähnlich genug, um gemeinsam über ein Thema reden zu können. Wenn das nicht mehr funktioniert, haben wir ein Problem. Das Problem kenne ich, weil es mir öfters passiert. Darum sollte ich auch ein wenig davon ausgehen, das ich missverstanden werde, und meine Aussagen durch nähere Beschreibungen spezialisieren, z.B. "heruntergekommene graue Mittelklasse Limousine".

Klischees können auch einen Text kompaktieren, weil sie im Prinzip wie beim objektorientiertem Programmieren eine "Classe" darstellen, die anderswo definiert ist, und die ich nur mit einigen Ergänzungen aufrufen muss, um das wesentliche beisammen zu haben.

Zitat von: Araluen am 29. März 2021, 15:43:00
Ich glaube das Problem vieler Nebenfiguren ist weniger, dass sie einem Klischee oder einer Rolle entsprechen, sondern schablonenhaft und austauschbar wirken, weil ihre Charakterisierung allein auf ihre Auftritte fixiert ist. Da Nebenfiguren eigentlich immer einem konkreten Zweck dienen, sind zusätzlich diese Auftritte auf diesen Zweck fixiert. Da schwindet der Platz um einer Figur Leben einzuhauchen auf ein Minimum.

Das ist auch Richtig, aber schauen viele Leser soooo genau hin? Klar, wenn man selber Autor ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, aber gilt das so auch für einen 0815 Leser?
Auf der anderen Seite

Zitat von: Araluen am 29. März 2021, 15:43:00
Was ich dagegen mache?
Ich überlege mir, was diese Figur tut, während sie nicht mit dem Prota interagiert. Nicht jede Figur braucht eine ausgefeilte Vorgeschichte, auch wenn das sicher nie schaden kann. Aber wenn sie schon keine Vorgeschichte hat, sollte etwas Zeit und sei es erst einmal rein gedanklich für Alltag da sein.
Zudem versuche ich mir die Szene losgelöst von ihrem Zweck vorzustellen, vielleicht sogar ein wenig aus der Sicht der Nebenfigur. Es ist nicht so, dass ich eine Szene zweimal schreibe - Zeit ist ja auch nur ein endliches Gut - aber wenn die Nebenfigur ihren Interaktionspart bekommt, versuche ich mir vorzustellen, wie die ganze Szene auf sie wirkt und lasse sie entsprechend reagieren. Das kann ganz andere Dynamiken schaffen.

hast Du damit eine gute Methode genannt, um damit klar zu kommen. Das schafft "Lokalkolorit" oder bringt den "Saft in den Braten".

Zitat von: Araluen am 29. März 2021, 15:43:00
Was Nebenfiguren ebenfalls Leben einhaucht, ist wenn der Prota ihnen ohne einen bestimmten Zweck früher oder später noch einmal begegnet. Das meine ich damit, dass man den Figuren noch ein wenig Alltag zugesteht. Das müssen keine groß angelegten Szenen sein. Oft reichen da kurze Erwähnungen.

Das schaft Querverbindungen und verankert die Personen in ihrer Welt. Ich glaube, in Geheimdienstkreisen würde das im weitesten Sinne als "Legende aufbauen" bezeichnet.


Zitat von: Araluen am 29. März 2021, 15:43:00
Beim Beispiel des Bandenchefs würde ich statt unbedingt Klischees brechen zu wollen, mich fragen, warum er Bandenchef geworden ist. Bandenchef wird ja nicht jeder.

Aus der Sicht eines Bandenchefes ist jeder andere auch ein Bandenchef. Entweder ein echter, ein zukünftiger oder ein (eventuell sehr früh) gescheiterter Bandenchef.

Zitat von: Araluen am 29. März 2021, 15:43:00
Äußerlichkeiten finde ich da sehr nebensächlich und dienen für mich persönlich bei Nebenfiguren der bewusst klischeebehafteten Rollenzuweisung, um die Handlung nicht durch unnötige Erläuterungen unterbrechen zu müssen.

Siehe oben das mit der "Kompaktierung".

Trotzdem muss ich bei der Verwendung von Klischees stark aufpassen, dass ich welche verwende, die weit genug verbreitet sind, um überhaupt verstanden zu werden. Denn das ist der Sinn von Klischees: Die Umstände schnell und kompakt darzustellen.
Auf der anderen Seite kenne ich aber auch als selber zu oft Betroffener das Problem, das ich durch Klischees, die mir dann irgendwie wie ein Label anhängen, in falsche und nichtpassende Schubladen gesteckt werde. Ok, ich könnte sagen, wer mich in eine nicht passende Schublade steckt, ist selber Schuld, wenn die Kommode splittert. Aber das ist auch immer mit Stress und Zeitverlust verbunden.

Poser, Hochstabler und Trickbetrücker nutzen Klischees geschickt aus, aber man kann mit ihnen auch gezielt oder ungezielt provozieren oder man kann Klischees aufbauen und demonstrativ zerstören ec.

Egal, Klischees und der Umgang damit ist wichtig, egal ob man sie konstruktiv, destruktiv oder nur als Staffage verwendet.