Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Allgemeines => Tintenzirkel => Thema gestartet von: Aphelion am 19. September 2019, 21:58:25

Titel: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Aphelion am 19. September 2019, 21:58:25
Im Moment habe ich das Gefühl, dass es in der High Fantasy, die sich an Jugendliche und Erwachsene richtet, selten Kinder als Statisten oder eher unwichtige Nebenfiguren gibt, die nicht an den Beschützerinstinkt appellieren.

Mit Statisten meine ich Figuren, die fast mehr zum Setting als zu den Figuren gehören: Sie stehen dumm herum, wenn die handlungsrelevanten Figuren vorbeigehen, und sagen vielleicht mal einen Satz, der aber eigentlich ,,nur" zur Atmosphäre beiträgt.

Edit, zur Klarstellung: Ich suche also gerade die Statisten, die Unwichtigen, die nur mal am Rande erwähnt werden – keine Hauptfiguren etc.

Die geringe Anzahl an Kindern (in den Büchern, die mir in letzter Zeit untergekommen sind) finde ich insofern interessant, als dass in vielen High-Fantasy-Welten allein aufgrund des Settings eigentlich eine geringe Lebenserwartung vorherrschen müsste, ergo müssten anteilig viel mehr Kinder und Jugendliche herumlaufen als heute in Mitteleuropa.  :hmmm:

Mir ist bewusst, dass es für eine hohe Lebenserwartungen auch in einer Welt mit primitiven Technologien Erklärungen geben kann, aber ich beziehe mich hierbei nicht auf solche Welten, die direkt oder indirekt eine solche Erklärung liefern – ich meine solche, bei denen z.T. sogar unüberlesbar beschrieben wird, wie schwer es die Menschen haben.

Paradoxerweise habe ich auch den Eindruck, dass viele Autoren den Anteil der Alten erhöhen, wenn sie signalisieren wollen, dass eine Gesellschaft arm dran ist – obwohl die Bevölkerung gerade dann ja überdurchschnittlich jung sein müsste?  ???

Jetzt habe ich natürlich keinen repräsentativen Überblick über die Fantasy-Literatur, deshalb die Frage an euch: Wie seht ihr das?
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Maubel am 19. September 2019, 23:14:27
Kann ich jetzt ehrlich nicht so sagen. Meine zwei Lieblingsromane zum Beispiel: Robin Hobbs Weitseher-Trilogien: Fitz beginnt als Kind, es gibt im ersten Band auch viele Szenen mit anderen Kindern und in der dritten Trilogie ist seine Tochter Bee zweite Hauptfigur im Alter von ... 10? Als sie auch noch nicht durch die Weltgeschichte touren gibt es auf dem Anwesen eine ganze Menge anderer Kinder. Unsichtbar würde ich das nicht nennen.
Dann das Lied von Eis und Feuer: Die Starkkids sind alle Kinder, teilweise auch noch am Ende und auch dort wird ständig von Kindern gesprochen, über und überall.
Auch bei Lynn Flewellings Tamir-Trilogie kommen viele Kinder vor, wieder in den ersten Bänden, weil sie selbst Kinder sind, aber sie sind nicht die einzigen ;)

Klar, wenn ich auf eine Abenteuerreise gehe, nehme ich selten einen Haufen Kinder mit, aber ich habe sie in den High Fantasy Welten noch nie unsichtbar gesehen. Da ist mir schon öfter der Trope vom weisen/altklugen Kind aufgefallen. Das läuft nämlich auch oft mit und ist etwas ganz Besonderes.

Was stimmt, sprich: ich bestätigen kann, ist dass die Lebenserwartung oft höher ist. Die wenigstens sterben in ihren 40er/50er (außer beim Mord- und Totschlag). Ich würde sagen, es ist einfach nicht so extrem wie unser Mittelalter, aber gänzlich unsichtbar sind die Kinder nicht und die sagen auch oft mehr als nur einen Satz.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Angela am 20. September 2019, 00:19:43
Die Belgariad Geschichte hat einen kindlichen Helden, der erst nach und nach begreift, was um ihn herum geschieht. In der Richtung habe ich auch schon etliche andere Geschichten gelesen, als Erwachsenenbücher verkauft, aus dem englischsprachigen Raum.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Maja am 20. September 2019, 00:29:43
Ich habe das hier verschoben, weil es doch den Kernbereich unseres Schaffens betrifft und nicht "die Phantastikszene".

Zitat von: Angela am 20. September 2019, 00:19:43
Die Belgariad Geschichte hat einen kindlichen Helden, der erst nach und nach begreift, was um ihn herum geschieht. In der Richtung habe ich auch schon etliche andere Geschichten gelesen, als Erwachsenenbücher verkauft, aus dem englischsprachigen Raum.
Garion ist sicherlich sechszehn Jahre alt, kein Kind mehr, sondern im typischen stürmischen Jungheldenalter. Den würde ich nicht als Beispiel heranziehen, wenn es ausdrücklich um Kindre und noch nicht mal um Jugendliche geht. Jugendliche sind in der Fantasy sehr gut sichtbar. Mit Kindern sieht das in der Tat anders aus. Da würde ich eher auf die Stark-Sippschaft verweisen, die wirklich noch im Kinderalter sind, als die Geschichte anfängt.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Aphelion am 20. September 2019, 01:31:37
Irgendwie geht das teilweise in die falsche Richtung - vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt.

Meine Beobachtung war, dass es zu wenig kindliche Statisten gibt. Überspitzt gesagt: Als Werkzeuge tauchen Kinder auf, aber ansonsten sind sie unsichtbar. Ich suche also gerade die Statisten, die Unwichtigen, die nur mal am Rande erwähnt werden – keine Hauptfiguren etc. :)

Edit, bevor das untergeht: Das soll keine Verallgemeinerung sein, sondern war nur bei den letzten neueren Büchern so, die ich gelesen haben. Inwiefern die Beobachtung allgemein zutrifft, will ich ja herausfinden.

Ich gehöre zu den drei Menschen auf diesem Planeten, die das "Lied von Eis und Feuer" nicht gelesen haben und auch sonst nicht viel von der Geschichte mitbekommen haben, aber das klingt schonmal nach einem guten Hinweis, danke!

@Maja
Danke für's Verschieben.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Trippelschritt am 20. September 2019, 07:09:06
Ich denke, Du hast Recht damit. Halbwüchsige Hauptfiguren gibt es viele, aber wenn Erwachsene wichtig sind, gehen die Kinder aus dem blickfeld verloren. Auch in meinen eigenen Geschichten kommt zwar mal hin und wieder Kinderlärm oder -geschrei vor, aber vor meinem eigenen Augen sind sie nicht präsent.

Wenn Du sie jetzt in Deinen Geschichten etwas emporhebst, wär das doch eine schöne Innovation - und außerdem auch noch auf Deiner eigenen Beobachtung gewachsen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Alina am 20. September 2019, 09:40:25
Wenn ich an die Geschichten denke, die ich zuletzt gelesen habe, würde ich dir Recht geben. Wenn man bedenkt, dass es in diesen Gesellschaften eigntlich viele Kinder geben müsste, tauchen sie in den Geschichten, an die ich mich jetzt erinnere, vergleichsweise selten auf.
Zumal ja in solchen wenig entwickelten Gesellschaften, auf die du dich beziehst, die Kinder viel sichtbarer sein sollten, als wir es aus unserer Gesellschaft kennen: sie gehen dann eher selten zur Schule, stattdessen müssen sie mitarbeiten oder sie treiben sich im Freien und auf den Straßen herum.
Interessante Fragestellung, werde ich in Zukunft beim Lesen mal drauf achten.

In meinen eigenen Geschichten kommen Kinder häufig vor, in Haupt- und Nebenrollen und als Statisten, das liegt wohl daran, dass ich einen mütterlich geprägten Blick habe  ;)
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Cooky am 20. September 2019, 10:06:48
Da spiegelt sich vielleicht die Kinderlosigkeit unserer westlichen Gesellschaft wieder? Und den Wunsch, Kinder zu verstecken, weil sie stören könnten?
Es gibt heutzutage so viel Möglichkeiten, dass Kinder versorgt sind. Krippe, Kindergarten und inzwischen viel längere Schultage.
Vor ein paar Monaten gab es einen Bericht über ein Restaurant, in dem ab einer gewissen Zeit keine Kinder mehr erlaubt sind.
Wenn man selber keine hat, könnte man bei so viel "Schutz" beinahe vergessen, das es sie gibt. Das zeigt sich wohl auch in der Literatur.

Denke, ich werde mir für den Nano eine eigene Challenge setzen und irgendwo eine Kindergruppe einbauen. :)

Edit: Der Name des Windes von Patrick Rothfuss kann auch noch als Beispiel für Kinder dienen. Aber da ist es eben, wie im Beispiel von @Maubel so, dass auch die Kindheit des Protagonisten geschildert wird. Wenn man das macht, kommt man wohl nicht so leicht drumrum, auch andere Kinder zu erwähnen.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Ary am 20. September 2019, 10:16:13
Könnte es vielleicht auch daran liegen, dass viele High Fantasy-Romane doch eher für Erwachsene geschrieben sind, die Geschichten über erwachsene Protagonisten lesen wollen und Kinder deswegen eher nur am Rande auftauchen, es sei denn, die erwachsenen Protagonisten sind selbst Eltern oder aus irgendeinem Grund mit Kindern beschäftigt?
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Guddy am 20. September 2019, 10:34:42
Kinder als Hintergrundkulisse gibt es denke ich schon ab und zu, zumindest ist mir das Fehlen nicht so aufgefallen.

Was aber auch zugegebenermaßen daran liegen könnte, dass ich keine große Kinderfreundin bin und sie in meinen eigenen Geschichten nur dann einsetze, wenn sie plotrelevant sind.

Dabei ist die Darstellung von Kindern (und die Behandlung derer etc.) wichtig für die Weltendarstellung. Daher danke für das heads up. :)
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Antennenwels am 20. September 2019, 10:36:38
Das ist eine interessante Beobachtung und ist mir bisher nie wirklich aufgefallen. Könnte es nicht sein, dass dies vor allem mit der Perspektive zu tun hat? Wenn die Geschichte aus Sicht eines Erwachsenen geschrieben ist (oder auch eines Teenagers), dann wird dieser kaum auf Kinder achten, es sei denn die Person hat Kinder oder jüngere Geschwister etc.
Ich selbst bin kinderlos und ganz ehrlich...ich interagiere praktisch nie mit Kindern. Alle meinen engen Freunde sind ebenfalls kinderlos, wie auch meine einzige Schwester und ich komme daher schlicht nicht in Kontakt mit ihnen. Natürlich sehe ich hin und wieder Kinder, aber ich achte kaum jemals bewusst darauf. Wieso sollte es in einem Roman anders sein? In Büchern die strikt personal geschrieben sind, ist die Abwesenheit von Kindern als Statisten daher gar nicht so erstaunlich in meinen Augen.
Und wie schon von anderen angesprochen, liegt wohl auch daran, dass Kinder in unserer Zeit "versteckter" sind, da sie weniger am Leben der Erwachsenen teilhaben (nicht arbeiten) und dies dann in die Geschichten übertragen wird. Obwohl es in einem mittelalterlichen Setting natürlich realistisch wäre, wenn die Protagonisten beispielsweise Essen an einem Marktstand kaufen, der von einem Kind betreut wird.
Ich werde in Zukunft mehr darauf achten, auch Kinder zu erwähnen. Danke für den Hinweis.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Tigermöhre am 20. September 2019, 12:38:55
Zitat von: Maja am 20. September 2019, 00:29:43

Zitat von: Angela am 20. September 2019, 00:19:43
Die Belgariad Geschichte hat einen kindlichen Helden, der erst nach und nach begreift, was um ihn herum geschieht. In der Richtung habe ich auch schon etliche andere Geschichten gelesen, als Erwachsenenbücher verkauft, aus dem englischsprachigen Raum.
Garion ist sicherlich sechszehn Jahre alt, kein Kind mehr, sondern im typischen stürmischen Jungheldenalter. Den würde ich nicht als Beispiel heranziehen, wenn es ausdrücklich um Kindre und noch nicht mal um Jugendliche geht. Jugendliche sind in der Fantasy sehr gut sichtbar. Mit Kindern sieht das in der Tat anders aus. Da würde ich eher auf die Stark-Sippschaft verweisen, die wirklich noch im Kinderalter sind, als die Geschichte anfängt.

Bei der Belgariadsaga (Und noch stärker bei der Fortsetzung der Malloreonsaga) kommen aber auch einige Kinder als Statisten vor. Neben seinen Kindheitsfreunden sucht Garion zum Teil sehr bewusst nach andern Kinder-/Jugendlichenkontakt. Und ständig bekommen da die Nebenfiguren Babys und unterhalten sich darüber, wer jetzt wie viel hat, wie groß und alt die sind etc.
Allgemein meine ich, gerade in älterer High-Fantasy kommen wirklich viele Kinder vor. Gerade in Kriegsszenarien, um den Schrecken noch zu verdeutlichen. Wie das in aktuelleren Büchern ist, weiß ich gerade nicht. Da lese ich zur Zeit echt wenig.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Maja am 20. September 2019, 22:07:37
Es hängt sicher auch mit der Zielgruppe zusammen und dass Erwachsene sich lieber mit Erwachsenen identifizieren. Ich habe im "Gefälschten Siegel" eine vierzehnjährige Perspektivträgerin (neben zwei erwachsenen Perspektivträgern), und da haben sich viele Rezensenten darüber beklagt, dass sie sich zu kindisch verhält, zu sehr wie ein Teenie - auch wenn sie wirklich ein Teenie ist.

Kinder als Kulisse sind etwas anderes, aber Kinder in Hauptrollen sind schwer an erwachsene Leser zu vermitteln.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Tintenteufel am 21. September 2019, 08:34:53
Ich überlege gerade, aber mir fallen absolut keine Beispiele der High Fantasy ein. Wahrscheinlich, weil ich sie einfach überlese. Nur in anderen Medien/Genres kenne ich Beispiele: Fallout 3 hat eine Siedlung voller Kinder, die erwachsen gewordene Bewohner automatisch ausschließt und Stephen Baxters "Stone Spring" spielt in der Jungsteinzeit und die Hauptcharaktere sind ausnahmslos Kinder.

Ich finde den Hinweis aber interessant, dass es eine Unregelmäßigkeit im Weltenbau ist. Ich werde bei der nächsten Lektüre mal mehr darauf achten.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Cooky am 21. September 2019, 09:41:01
An Fallout hatte ich auch gedacht, aber ab den zweiten Teil. In dem wurden alle Kinder für die deutsche Version entfernt, damit keine Gewalt gegen Kinder ausgeübt werden kann. Wenn einige Autoren sie für die Betonung von Gräueltaten extra einbinden, könnten andere vielleicht auch Hemmungen haben und lassen sie ganz weg.
Oder sie wurden nur in den deutschen Übersetzungen entfernt.  ;)
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: FeeamPC am 21. September 2019, 12:41:32
In der Spiegelmagie-Serie (definitiv High-Fantasy) tauchen immer mal wieder Kinder auf, Sklavenkinder, spielende Kinder in der Stadt, hungrige Kinder in den Slums, die einen Hund jagen, weil sie ihn als Nahrung ansehen, Kinder, die "collateral damage" in kriegerischen Unruhen sind, Kinder, die einem Erwachsenen, der neu zum Stamm kommt, richtig Reiten beibringen usw. Unsichtbar sind sie nicht. Sie fallen nur nicht so ins Auge, weil der Leser natürlich meistens die Hauptpersonen in seinem Kopf herumträgt. Wie im realen Leben. Wir tendieren dazu, Kinder als "Anhängsel" der Erwachsenen zu sehen und meist nicht gezielt wahrzunehmen.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Churke am 23. September 2019, 16:54:04
Ich glaube, dass die Kinder einfach "stören". Das Phänomen ist nicht auf die Fantastik beschränkt. Man findet es auch in historischen Genres.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Slenderella am 23. September 2019, 20:35:54
Streng genommen ist der halbe Cast von GOT minderjährig und definitiv mit dem Merkmal "Kind" zu versehen.

Dasselbe gilt für Six of Crows, die sind teilweise was ... um die 13?

Ansonsten sind sie gerade in Dystopien schon häufiger vertreten. Klassiker: Battle Royale.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Churke am 24. September 2019, 22:12:35
Der Cast ist keine Statisterie.
Nehmen wir mal einen x-beliebigen Sandalenfilm. Eigentlich müssten die Kulissen von der Kinderschar der Haussklaven bevölkert werden. Aber die wären den Intrigen & großen Gefühlen der Protagonisten nur im Weg.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Zit am 24. September 2019, 22:22:34
Six of Crows ist doch aber ein Jugendbuch, oder? Da ergibt sich auf Grund der Zielgruppe schon ein Fokus auf jüngere Protagonisten, finde ich.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Gilwen am 25. September 2019, 07:14:38
In "Six of Crows" werden sie zwar an einigen Stellen als Kinder bezeichnet, aber ich weiß noch, dass mich das ein bisschen irritiert hat, denn ich hab sie für älter gehalten. Vielleicht so um die 16 oder 17, dachte ich.  :hmmm:
Zumindest bei Kaz kann man anhand seiner Hintergrundgeschichte nachrechnen, wie alt er ist. Ich schau das nachher mal nach, das interessiert mich!

Zum Thema: Jetzt, wenn du es sagst, fällt es mir auch auf. Da habe ich irgendwie noch nie drüber nachgedacht. Danke fürs Aufmerksammachen :)
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: canis lupus niger am 27. September 2019, 12:00:53
In aktuellen High Fantasy Romanen tauchen meiner Meinung nach Kinder nur deswegen so selten als Statisten auf, weil insgesamt nur wenige Statisten vorhanden sind. Werden wir Autoren nicht immer gemahnt, uns auf die wesentlichen plotrelevanten Aspekte einer Geschichte zu beschränken, um eine Geschichte nicht zu ausschweifent zu schreiben? Ist es nicht erwünschtes Ziel, alles unnötige wegzulassen? Nun, in High Fantasy Romanen sind die sozial und biologisch unverzichtbaren Kinderscharen nun mal selten plotrelevant. Manchmal tauchen sie als Teil des Settings auf, wie zum Beispiel in Funkes "Tintenherz"-Trilogie. Aber das scheint mir eine Ausnahme zu sein.

Da ich es mit GRRM halte, dass der Genuss an einem Fantasy-Werk größer wird, wenn das Setting lebendig bis opulent erlebbar ist, bemühe ich mich, in meinen Geschichten auch Kindern und anderen nicht plotrelevanten Statisten Raum zu geben. Aber ich habe das Privileg, nicht zum Geldverdienen schreiben zu müssen (dorfen, können  ::)), sondern zu meinem eigenen Vergnügen. Kein Verleger oder Agent sagt mir: "Hm, ja, schön und lebendig, aber versuchen Sie bitte, das Manuskript um 20 Prozent zu kürzen. Der Verlag möchte nichts über 400 Seiten. Diese Marktszene im dritten Kapitel, die ist doch eigentlich völlig entbehrlich. Die sozialen Spannungen kann man auch in einem der anderen Kapitel thematisieren."

Bei mir tauchen Kinder auf, die den Pagen meines Prota in eine Prügelei verwickeln, weil einer von ihnen etwas gegen den Prota hat. Die Flucht zwei anderer Charaktere wird dadurch erschwert, dass sie ihre drei kleinen Kinder mitnehmen müssen und wollen. Eines der Probleme des rechtlosen "fahrenden Volkes" besteht darin, dass ihre Kinder von den Einheimischen oftmals bedroht werden. Alles vielleicht nicht plotrelevant, aber wichtig für die eigentlichen handelnden Personen, weil ihr Handeln dadurch stark beeinflusst wird.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Guddy am 27. September 2019, 14:11:58
Zitat von: canis lupus niger am 27. September 2019, 12:00:53
In aktuellen High Fantasy Romanen tauchen meiner Meinung nach Kinder nur deswegen so selten als Statisten auf, weil insgesamt nur wenige Statisten vorhanden sind. Werden wir Autoren nicht immer gemahnt, uns auf die wesentlichen plotrelevanten Aspekte einer Geschichte zu beschränken, um eine Geschichte nicht zu ausschweifent zu schreiben? Ist es nicht erwünschtes Ziel, alles unnötige wegzulassen?
Das hieße ja, keine Bechreibungen zuzulassen. Welten nicht auszuschmücken. Dabei finde ich es gerade wert- und vor allem auch sinnvoll, Fantasywelten und deren unterschiedlichen Kulturen zu beschreiben. Wie soll das besser gehen als durch passive Beschreibungen auch der Umgebung? Und da können eben auch Kinder sein.
Plotrelevant oder nicht.

Ein Mond ist auch nur selten plotrelevant und dennoch taucht er in Büchern auf.
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Ratzefatz am 27. September 2019, 14:29:34
Zitat von: Slenderella am 23. September 2019, 20:35:54
Streng genommen ist der halbe Cast von GOT minderjährig und definitiv mit dem Merkmal "Kind" zu versehen.

Und darunter sind nicht nur die Protas wie zB die Stark-Kids, sondern auch viele Statisten. In den Stammbäumen der Häuser findet sich jede Menge Nachwuchs (allein schon die vielen Lannister-Cousins). In Winterfell gibt es Kinder (Jeyne Poole taucht zB im ersten Buch nur als Sansas Freundin auf und wird erst später plotrelevant). Cersei Lannister verbrachte als Mädchen Zeit mit ihren Freundinnen, Arya trifft auf ihrer Flucht Kinder und Brienne beschützt die Kinder in einem Gasthaus vor dem vermeintlichen "Hound".
Titel: Re: Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?
Beitrag von: Aphelion am 02. Oktober 2019, 23:32:14
Zitat von: Trippelschritt am 20. September 2019, 07:09:06
Wenn Du sie jetzt in Deinen Geschichten etwas emporhebst, wär das doch eine schöne Innovation - und außerdem auch noch auf Deiner eigenen Beobachtung gewachsen.
Naja, eine große Innovation ist das jetzt nicht. ;D Und das Problem ist mir bei mir selbst aufgefallen... Aber ich werde in Zukunft auf jeden Fall stärker darauf achten.

Zitat von: Alina am 20. September 2019, 09:40:25
Zumal ja in solchen wenig entwickelten Gesellschaften, auf die du dich beziehst, die Kinder viel sichtbarer sein sollten, als wir es aus unserer Gesellschaft kennen: sie gehen dann eher selten zur Schule, stattdessen müssen sie mitarbeiten oder sie treiben sich im Freien und auf den Straßen herum.
An diesen Punkt habe ich noch gar nicht gedacht, aber ich halte ihn für sehr wichtig. Danke! :)

@Cooky
@Aryana
Das halte ich für eine plausible Erklärung, wie dieser "Fehler" zustandekommt. Letztlich projizieren wir beim Schreiben sehr viel...

Zitat von: Antennenwels am 20. September 2019, 10:36:38
Könnte es nicht sein, dass dies vor allem mit der Perspektive zu tun hat?
In dieser Frage bin ich noch unschlüssig. Einerseits denke ich, dass eine sehr enge personale Perspektive schon damit zusammenhängen kann, dass die (Nicht-)Erwähnung von Kindern dem Fokus des Erzählers geschuldet ist – dadurch bin ich überhaupt erst auf das Thema aufmerksam geworden, um ehrlich zu sein. ;D Ich habe in einer Geschichte eine Figur, die kinderlieb ist, und eine, die Kinder hasst, und wollte das so ganz nebenbei einfließen lassen... Und dabei fiel mir auf, dass sowohl ich als auch (einige?) andere Autoren Kinder textlich vernachlässigen.

Andererseits: Die Kinder müssen dem Erzähler ja nicht überproportional ins Auge springen, damit er sie zur Kenntnis nimmt. Z.B. können die Hauptfiguren an einem erwachsenen Schäfer vorbeikommen - oder eben an einem Kind. Dann würde der Erzähler dem Kind zwar keine weitere Beachtung schenken, aber das Kind wäre im Text trotzdem als solches erkennbar.  :hmmm:

Zitat von: Tigermöhre am 20. September 2019, 12:38:55
Allgemein meine ich, gerade in älterer High-Fantasy kommen wirklich viele Kinder vor. Gerade in Kriegsszenarien, um den Schrecken noch zu verdeutlichen. Wie das in aktuelleren Büchern ist, weiß ich gerade nicht. Da lese ich zur Zeit echt wenig.
Bei Büchern, die nach dem 2. Weltkrieg erschienen sind, habe ich denselben Eindruck, nicht nur in der Phantastik. Wobei ich denke, dass Kinder dort meistens nicht "einfach so" erwähnt werden, sondern (wie du schreibst) wegen des Kontrasts Unschuld-Krieg.

Dein Post bringt mich auf einen anderen Gedanken: Ist es eigentlich ein relativ neues Phänomen, das Setting so pedantisch auf Stimmigkeit abzuklopfen?  :hmmm:

Zitat von: Maja am 20. September 2019, 22:07:37
Kinder als Kulisse sind etwas anderes, aber Kinder in Hauptrollen sind schwer an erwachsene Leser zu vermitteln.
Wenn Kinder nicht als Hauptfigur auftauchen, aber ansonsten schon, wäre das für mich kein "Fehler", weil der Weltenbau ja trotzdem stimmig sein kann. :)

@Tintenteufel @Cooky
Danke für die Beispiele aus einem anderen Bereich! Da ich mich da nicht auskenne, finde ich die Bemerkungen wirklich interessant.

@FeeamPC
Stimmt, die Brille des Lesers spielt bei der Wahrnehmung von Kindern auch eine Rolle. Danke für den Buchtitel!

Zitat von: Churke am 23. September 2019, 16:54:04
Ich glaube, dass die Kinder einfach "stören".
Das zählt für mich als Erklärung, warum Autoren Kinder weglassen; aber es ist kein Argument, das diesen Fehler rechtfertigt, solange andere Teile des Settings in der High-Fantasy schließlich auch beschrieben werden. Letztlich ist es für die Handlung egal, ob die Person, die im Hintergrund Schafe hütet, ein Erwachsener oder ein Kind ist – aber wenn es ein Kind ist, wird damit dem Leser die Welt noch ein bisschen näher gebracht, ohne dass eine langatmige Ausführung hinsichtlich Kinderarbeit notwendig ist.

Zitat von: canis lupus niger am 27. September 2019, 12:00:53
In aktuellen High Fantasy Romanen tauchen meiner Meinung nach Kinder nur deswegen so selten als Statisten auf, weil insgesamt nur wenige Statisten vorhanden sind. Werden wir Autoren nicht immer gemahnt, uns auf die wesentlichen plotrelevanten Aspekte einer Geschichte zu beschränken, um eine Geschichte nicht zu ausschweifent zu schreiben? Ist es nicht erwünschtes Ziel, alles unnötige wegzulassen?
Du streust Salz in (m)eine offene Wunde. ;D Die Frage ist: Was ist für eine Geschichte wichtig? Ich bin eine erklärte Gegnerin dieses durchökonomisierten Stils, bei dem "Geschichte" auf "Plot" reduziert wird, und "Plot" sich auf "Hauptplot + max. zwei Nebenplots" beschränkt. Es gibt extremere und weniger extremere Beispiele dafür – umgekehrt will ich keine seitenlangen Landschaftsbeschreibungen lesen.

Deine Beispiele gefallen mir sehr gut. :)

Allein durch spezifische Bezeichnungen lassen sich in meinen Augen Details unterbringen, ohne die Geschichte aufzublähen. Natürlich ist das eine Frage des Stils, aber ich persönlich mag es nicht, wenn eine Geschichte nur aus Plot besteht. Für mich liegt der Reiz von High-Fantasy darin, dass ich als Autorin eine Welt erfinde oder als Leserin in eine fremde Welt eintauche, da bin ich bei @Guddy.

Sorry für's Off Topic, aber ein (mir) wichtiger Punkt fällt mir dazu noch ein: Ich habe von einer Studie gelesen, in der festgestellt wurde, dass Naturbegriffe immer stärker aus der Literatur verschwinden und dass auch die Spezifität der Begriffe abnimmt. Sprich: Bäume werden seltener erwähnt – und wenn, dann ist der Baum immer häufiger einfach nur ein Baum, keine Buche und erst recht keine Rot- oder Hainbuche. Ich habe das Gefühl, dass dasselbe mit anderen Begriffen passiert. Das finde ich schade, obwohl (und weil) es das (Un-)Wissen der Mehrheit widerspiegelt; denn dadurch verzichten Autoren nicht nur auf spezifische Bedeutungen, sondern auch auf den charakteristischen Klang, gängige Assoziationen und metaphorische Bedeutungen der Worte. "Rotbuche" wirkt eben anders als "Winterlinde", selbst wenn der Leser keine Ahnung hat, wie diese Bäume aussehen.

Man kann zum Möbelbau einen Stuhl mit der Kettensäge zuschneiden oder einen barockschwülstigen Thron anfertigen. Ich will weder das eine noch das andere, aber gängige Schreibempfehlungen sind mir eindeutig zu nah an der Kettensägen-Variante.  :d'oh: