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Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?

Begonnen von Luciel, 30. Juli 2010, 13:27:51

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Kunstmut

#60
Interessanter Thread. Eigentlich kann man auch generell und allgemein fragen: Wie viel Beschreibung gehört in einen Text? Würde man mit Zucht und Strenge jegliche Langsamkeit und Banalität liquidieren, könnte man sich im Kreis der Autoren auch darauf einigen, nur noch Kurzgeschichten zu schreiben. Längere Sequenzen gingen dann nur noch über zusammenhängende Kurzgeschichten oder Novellenzyklen. Gab es schon in der Geschichte. Man denke nur an "Tausend und eine Nacht" oder das "Dekameron" mit allen Nachahmern. Und dann gibt es wieder Phasen der verschwafelten Aufblähung, sei es der Ehrenmann Siegfried von Donnerfels, der mindestens drei Monster und Kieselbert den Dürren besiegen muss oder die moderne Fantasy, die Minderwertigkeits-Komplexe entwickelt, wenn sie nicht mindestens eine Trilogie von dreitausend Seiten Umfang als epochemachendes Schlafmittel präsentieren darf.

Da ich von Backofen-Anleitungen bis hin zur Dialektik des Nicht-Ich in Resonanz zum An-Sich-Sein, Für-Sich-Sein und Rotwein und Weißwein alles lese, kann ich an der Stelle sagen, dass es "l'art pour l'art" gibt. Das ist der strenge Unterschied zum Bestseller-Page-Turner-Roman, der nur auf oberflächliche Affekte setzt, um Leser in eine Seifenoper des großen Dramas zu schicken. Oder in anderen Worten: Theodor Fontanes ewig lange Beschreibungen seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg haben genauso ihre Existenzberechtigung wie Dan Browns Illuminati. Es kommt auf den Geschmack des Lesers an, und natürlich zuerst einmal auf das künstlerische Wollen des Autors, das im Kapitalismus immer mit den ökonomischen Zwängen kämpft.

Tintenteufels Beispiel mit dem Hollywood-Kino muss man insofern als irreführend beschreiben oder eingrenzen, als dass es das populäre Medium für die einfache Unterhaltung betrifft. Das ist so, als würde man zum Beispiel bei Romanen nur auf Genreromane schauen und das stetig wachsende Regal mit Klassikern der Weltliteratur ignorieren. Oder als würde man sich nur an der Popmusik festbeißen und dabei vergessen, dass dennoch, abseits vom kapitalistischen Fernsehen nach USA Vorbild ja weiterhin Orchester und Big Bands spielen. Ist dann eben nur die Minderheit und hat wenig Einfluss auf die historisch prägenden Strömungen. Als Beispiel kann ich Andrei Tarkovsky - Der Spiegel geben (hab den erst neulich zum zweiten Mal gesehen). Ein Film ohne klassischen Plot oder Aufbau, eine kunstvolle Verschmelzung aus Biographie, Träumen und tollen Montagen und Kameraschwenks. Dazu Gedichte und klassische Musik.

Der springende Punkt ist: Wie reagiert das Publikum?

Mehr Leute werden Dan Brown lesen als Theodor Fontane. Genauso wie mehr Leute heute vermutlich Taylor Swift oder Ariana Grande hören, als zeitgenössischen Jazz aus Schweden oder Litauen. An sich hängt es einerseits vom Schreibstil ab, ob man weiterlesen möchte und andererseits von der eigenen Verfassung als Leser. In manchen Phasen kann ein Leser mühelos ewig lange Romane lesen, weil er gerade trainiert ist und ständig liest. Wer dagegen aus x-Gründen nicht zum Lesen kommt, wird bei einem Kaltstart nach langer Leseabstinenz wohl eher zu einem kurzen Science-Fiction Roman mit krassen Katastrophen greifen, als sich in langatmige Werke a la Knausgard zu vertiefen. Zumindest bietet  Youtuber Pewdiepie genau dieses Szenario. Vielleicht gibt es auch Leute, die jahrelang nichts lesen und dann gleich alles von Brandon Sanderson verschlingen. Die Welt der Leser ist so komplex wie die Menschheit.

Aber um mal etwas Neues in diesem Thread beizusteuern, bringe ich ein Beispiel zum Thema Alltagsgeschehen aus der Weltliteratur. In letzter Zeit schätze ich Joseph Conrad sehr, da er einen unaufgeregten Stil schreibt, der gleichzeitig in Sachen Eloquenz, Tiefgründigkeit und Witz zum Besten gehört, was je des Menschen Hand auf Papier schrieb.

Aus der Kurzgeschichte (ca. 53 Seiten), Jugend- Ein Bericht.
Es geht um einen 20-Jährigen Mann, der zum ersten Mal die Seefahrt erlebt. (Selbstverständlich mit verschiedenen Anekdoten verschiedener Leute, Seemannsgarn, Philosophie und Geschichte angereichert; was man natürlich beim Lesen bemerkt, weil diverse mündliche Erzähltechniken, Erinnerungen, Abenteuerhandlung und Rührseligkeiten gekonnt durcheinander gemischt werden, um dieses unbestimmbare Gefühl der Nostalgie nach der See aufzubauen. Wohl typisch für Conrad - depressive Männer und das Meer :D)

Die Stelle beginnt mit:

"Wir liefen aus London mit Ballast aus - Sandballast -, um in einem nördlichen Hafen eine Ladung Kohle für Bangkok aufzunehmen."

Das wäre das Thema 'Marmeladenbrot schmieren' oder oh Wunder, Kühe und eine Schmiede im 0815 Fantasy-Dorf. Was macht ein Schiff im Handelsverkehr denn auch sonst, als Ladung, meist Rohware, von A nach B zu schiffen?

Jetzt erfolgt Kunstgriff Nummer 1: Innerer Gedankenstrom des Protagonisten, um seine Gefühle zu verstehen.

"Bangkok! Mir ging es durch und durch! Ich war nun schon sechs Jahre zur See gefahren, hatte aber erst Melbourne und Sidney gesehen, sicher sehr beachtliche Ortschaften und in ihrer Art sogar reizend - aber Bangkok!"

Aus einer banalen Situation des Handels per Schiff wird ein Traum eines naiven, jungen Mannes, der sich Exotik und Abenteuer vorstellt und dadurch auf ungesunde Weise euphorisch wird. Was ihm später helfen wird, den ganzen Mist zu durchstehen, weil er ja immer diese Vision, diesen Traum vom fernen Osten vor Augen hat, was ihn durchhalten lässt. Direkt darauf kommt eine jener toll eingebauten Alltagsbeschreibungen, die Würze geben. Es wäre für den Plot nicht zwingend notwendig, da der Nordseelotse, der beschrieben wird, für die weitere Handlung nicht mehr wichtig ist, aber Conrad baut es ein, malt es förmlich aus, dass man lachen muss.

"Wir liefen unter Segel aus der Themse aus und hatten einen Nordseelotsen an Bord. Er hieß Jermyn, drückte sich den ganzen Tag in der Kombüse herum und trocknete sein Taschentuch am Herd. Anscheinend schlief er nie. Er war ein trübsinniger Mensch, dem ständig ein Tropfen an der Nasenspitze hing. Entweder hatte er Kummer gehabt oder hatte eben jetzt Kummer oder erwartete demnächst Kummer - jedenfalls fühlte er sich nicht wohl, wenn nicht irgend etwas schiefging. Er mißtraute meiner Jugend, meinem Wirklichkeitssinn und meinen seemännischen Fähigkeiten und ließ keine Gelegenheit aus, mich das durch hundert kleine Nadelstiche spüren zu lassen. Nun, er wird im Grunde schon recht gehabt haben. Ich habe damals wohl wirklich wenig verstanden und verstehe auch jetzt nicht viel mehr, aber diesen Jermyn hasse ich noch heute aus tiefstem Herzensgrund."

Übrigens ist das gleichzeitig ein gutes Beispiel, warum manchmal tell besser ist als show. Sonst hätte man den Absatz und den Humor nie im Leben so herüberbringen können. Der Clou ist jetzt aber, dass Conrad nach diesem Geplänkel zur Sache kommt.

"Es kostete uns eine Woche, bis zur Reede von Yarmouth hochzukreuzen, und dann gerieten wir in einen Sturm - den berühmten Oktobersturm vor zweiundzwanzig Jahren, mit tollen Windstärken, Blitzen, Graupelschauern, Schnee und einer entsetzlichen See."

Joseph Conrad nutzt diese Techniken gekonnt aus, um aus diversen Steinchen ein Mosaik zu bauen, das den Anschein erweckt ein homogener Text zu sein. Dieser Eindruck wird durch den Stil erweckt, der klingt wie ein klassischer Text aus dem antiken Rom. Klare, präzise Sätze ohne zu viele blumige Worte. Damit wird gekonnt kaschiert, dass es eine teuflische Arbeit sein musste, all diese, nennen wir sie mal - Happen - zu etwas Lesbarem zusammenzufügen. Was mir persönlich dabei aufgefallen ist, wie einfach und passend es wirkt, wenn man zwischendrin ein paar Absätze Geschichtsunterricht oder moralische Erwägungen oder allgemeine Betrachtungen über Land und Leute einfließen lässt. Wirkt wie ein längeres drum fill in einem sechs Minuten Song. Alleine würde man sich dieses 'Geschehen' nicht anhören, aber richtig eingesetzt, macht es den Song erst hörenswert. (Ja, ich spiele gerade auf Blind Faith an ...)




Trippelschritt

Beschreibungen sind für mich als Leser ausgesprochen wichtig. Auch Beschreibungen des Alltags. Aber jede Beschreibung erfüllt auch eine ganz bestimmte Funktion. Und wenn das nicht erkennbar ist, dann wird sie unnötiger Füllstoff.

Churke

Zitat von: Kunstmut am 26. Februar 2019, 03:41:53
Aus einer banalen Situation des Handels per Schiff wird ein Traum eines naiven, jungen Mannes, der sich Exotik und Abenteuer vorstellt und dadurch auf ungesunde Weise euphorisch wird.

Ich denke, dass das vor 120 Jahren ein großes Abenteuer war. Mit dem Ferienflieger kam man jedenfalls nicht nach Bangkok...

Conrad scheint mir auch in der russischen Erzähltradition zu stehen. Lukjanenko arbeitet recht ähnlich. Dazu gehören auch exzessive Beschreibungen der russischen Küche. Wie das auf Russen wirkt, weiß ich nicht. Für mich war's neu.

Alys

Zitat von: Churke am 26. Februar 2019, 10:31:56
(...) Lukjanenko arbeitet recht ähnlich. Dazu gehören auch exzessive Beschreibungen der russischen Küche. Wie das auf Russen wirkt, weiß ich nicht. Für mich war's neu.

Bei Lukjanenko fand ich das auch toll, weil man so noch besser mit dem Prota mitfühlte.

Sowas kann auch einfach Ritualcharakter bekommen, speziell in Serien. In den Brunetti-Krimis von Donna Leon wird auch dauernd gegessen. Für sich genommen sind die Szenen nichtssagend, aber durch die Alltagsschilderung rutscht man rein in die Welt und kann sie besser erfühlen. Bestünde das ganze Buch nur aus dem Espresso hier und dem Bruschetta dort, dann wäre es todlangweilig, aber als kleine reaktive Szenen ab und zu erfüllen sie durchaus ihren Zweck. Und gerade, weil diese Krimis eh wahnsinnig repetetiv sind in ihrem Schema, erwartet man auch in jedem der Bücher, dass genau diese Alltagsszenen vorkommen.
(Ging mir zumindest bei den ersten Bänden so. Die letzten habe ich nicht mehr gelesen, weil eben zu repetitiv. Aber genau diese alltäglichen Mittagessen-Szenen habe ich immer gerne gelesen, weil sie sich so authentisch anfühlten.)
Always avoid alliteration.

Turquoise

Für mich kommt es natürlich auch auf das Buchgenre an. Gerade bei Krimis kann man durch solche Szenen mit der Familie gut zeigen, dass der Ermittler eben auch nur ein Mensch ist, der genauso auch mal Streit mit seinem Ehepartner oder den (pubertären) Kindern hat. Auf der anderen Seite kann gerade das Fehlen von solchen zwischenmenschlichen Beziehungen auch sehr viel über einen Charakter aussagen. Meistens tendiere ich dazu, in den ersten Kapiteln einige recht alltägliche Situationen zu schildern, damit der Leser ein erstes Gefühl für den Charakter bekommt. Allerdings muss es die Situation natürlich auch wert sein, erzählt zu werden, sodass man das Buch nicht gleich gelangweilt zuklappt. Daher greife ich tatsächlich gerne auf die altbekannte Hinrichtung/Volksfest/Geburtstag oder Turnier zurück. Die Geschehnisse sind zwar aus dem Alltag eines Charakters gegriffen, allerdings trotzdem außergewöhnlich genug, um für den Leser interessant zu sein. Und damit schlägt man noch eine weitere Fliege und führt den Leser gleichzeitig ein wenig mehr in seine Welt ein. Für andere Genres mag etwas anderes gelten, aber zumindest für die Fantasy ist das so mein Grundkonzept: Evtl. einen Prolog mit Action bzw. einem Geheimnis, die Lust auf mehr machen und dann das erste Kapitel aus Sicht des Protagonisten, der sich gerade in einer mehr oder weniger gewöhnlichen Situation befindet.

Anj

Ich beobachte bei mir als Leserin zwei Tendenzen.
Wenn ich die Figuren interessant finde, dann lese ich auch die langweiligste Alltagshandlung sehr gerne, einfach, weil ich Zeit mit der Figur verbringen will. Interessiert mich die Figur nicht, will ich auch den Alltag nicht lesen. In der Regel sind erstere Alltagshandlungen aber auch gut durch die Figur gefiltert, sodass sie zwischen den Zeilen immer auch etwas über die Figur offenbaren, bzw. als Reize für Gedankenströme, Erinnerungen oder innere Monologe fungieren. Bei zweiteren sind es meist austauschbare Beschreibungen von Handlungen, die jede x-beliebige Pappfigur so ausführen könnte, bzw. sind sie wie Filme ohne Ton. Und die ersten, interessanten Alltagshandlungen treten meist erst ab dem Punkt auf, an dem ich die Figur bereits liebgewonnen habe und sind nicht die Warmschreibübungen des Autors am Anfang der Geschichte, der sein Kennenlernen der Figur im Text stehen gelassen hat. (Ausnahmen gibt es sicher, aber so empfinde ich es in den meisten Fällen)

Ist die Geschichte allerdings ganz klar plotbasiert, dann überblättere ich die Alltagshandlungen ebenfalls, weil sie mich nur aufhalten und für die Geschichte in der Regel uninteressant sind. (Die Figuren interessieren hier aber eben auch nicht, sondern die Geschichte an sich)

Als Autorin überprüfe ich durch Testleser für mich so auch, ob ich interessante Figuren geschaffen habe. Wenn alle Testleser die Stellen streichen, leben meine Figuren einfach nicht. Wenn es die Hälfte ist, ist vielleicht noch zuviel vom eigenen Kennlerngeschwafel drin und wenn es nur wenige sind, dann teste ich ggf. eine gekürzte Version, die sich in der Regel wieder auf ein gesundes Maß anfüttert, wenn ich sie mit Abstand wieder lese. Was dann noch draußen bleibt, war ebenfalls überflüssig.

In den Serien allerdings geht es mir zunehmend auf den Senkel, dass Alltagszenen ständig ausfallen. Ich kann mich einfach immer weniger mit Figuren identifizieren, die nur Alibijobs und -aufgaben haben.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Tanja

Ich persönlich bin ja eher jemand, der Actionszenen überspringt - seitenweise Verfolgungsjagden oder Kämpfe sind nicht mein Ding.

Alltagshandlungen oder ganz normale Dinge finde ich aber insbesondere bei Serien sehr interessant. Das zeigt mir einfach, dass der Held oder die Heldin menschlich ist. z.B. gibt es von Ursula Poznanski eine Krimireihe (der erste Band ist meine ich "Fünf"), in der die ermittelnde Kommissarin eine alleinerziehende Mutter ist. Immer wieder dreht es sich in dem Buch auch darum, wie sie ihren Alltag mit zwei kindern trotz einer Mordermittlung organisiert.
Klingt vielleicht seltsam, aber ich finde es tröstlich, dass auch wahre Helden sich um Dinge wie Elternsprechtage oder den Abwasch kümmern müssen.

Ich mag Einblicke in alltägliche Dinge auch zur "Erholung" nach besonders spannenden oder emotionalen Szenen.

Turiken

Oh ja, Alltag in Romanen - kann herrlich oder grauenhaft sein. Gut geschrieben, können Alltagsszenen manchmal unterhaltsamer sein als die eigentliche Handlung. Egal ob der Charakter beim Einkaufen, Saubermachen, Trainieren oder sonst was ist. Ich glaube, darin zeigt sich auch eine gewisse Kunst: etwas Stinknormales interessant zu machen. Dabei kann man viel über den Charakter und sein Leben erfahren bzw. als Schreiberling verraten, es erzeugt eine gewisse heimelige Atmosphäre und in so einem Moment lassen sich dann prima kleine Bomben einbauen, die aus dem Alltäglichen das Besondere machen. Natürlich nicht in jeder Szene, sonst wirds langweilig. Umgekehrt helfen diese Szenen auch, nach irgendeinem Plottwist oder so was auch wieder etwas Ruhe ins Geschehen zu bringen. Und gerade in der Fantasy oder in historischen Romanen ist es ungemein atmosphärisch, die täglichen kleinen Handgriffe zu lesen, die eine Geschichte brutal aufpeppen können, selbst wenn sie nichts, aber auch überhaupt gar nichts zur Handlung beitragen.

Und wenn diese Alltagsszenen nicht so gut geschrieben sind, sind diese Passagen die ersten, die der geneigte Leser nur noch überfliegt oder gänzlich überblättert. Wenn es einfach nur eine öde Aneinanderreihung von Handgriffen ist, braucht es so was nun wirklich nicht. Jetzt ist die Frage "Ja, und wann ist so eine Alltagsszene gut geschrieben?" Ich wüsste es selbst gern, dann würde ich das genau so immer machen. ;D

Aber ich glaube, immer wieder eingestreute, nicht zu lange Alltagsszenen, die vllt noch mit ein bisschen Story angefüllt sind (und sei es nur, dass der Stallbursche das Pferd versorgt, während er sich mit dem Ritter unterhält), können richtig viel aus einer Geschichte herausholen. Sowohl was die Charakterzeichnung als auch was die Atmosphäre angeht.

Tasha

Ich sehe das genau wie @Tanja und @Turiken , dass gerade die Alltagsszenen oft das sind, was einen Roman ausmacht. Oft bleiben sie mir auch viel mehr im Gedächtnis, als Actionszenen. Das ist bei mir besonders der Fall, wenn es entweder für mich ungewöhnliche Szenen sind, auch wenn sie zum Alltag des Charakters dazu gehören. Bei "Zusammen ist man weniger allein" fand ich es zum Beispiel toll, wenn beschrieben wurde, wie Camille zeichnet oder Franck kocht. Und bei Fantasy Romanen ist es ja oft so, dass man sich zum Beispiel mit den alltäglichen Dingen, die ein Charakter betreibt gar nicht gut auskennt.
Wenn mir ein Charakter schon sehr am Herzen liegt, beobachtete ich ihn sowieso gern auch bei alltäglichen Dingen. Dazu muss eben schon eine Verbindung aufgebaut sein.
We are all in the gutter, but some of us are looking at the stars (Oscar Wilde)

LisaKober

Gut geschriebene Alltagsszenen finde ich auch sehr spannend. Auf eine schöne leise Art, nicht mit dem Hammer voll ins Gesicht. Ich finde aber, dass die nicht gleich an den Anfang gehören. Für mich werden sie dann interessant, wenn ich den Charakter schon ein bisschen kenne, weiß, wie er tickt. Dann könnte ich mir auch zwei Seiten darüber durchlesen, wie gewissenhaft er seine Wohnung aufräumt, wenn der Autor das liebevoll im Detail beschreibt. Ich bewundern das, wenn man dafür ein Gespür hat: Wann ist die richtige Zeit für so einen Szene/Wie lang und detailliert darf sie sein?/Lernt der Leser dabei etwas Neues über den Charakter?

Mich würde sehr interessieren, was eure Lieblingsstellen zum Thema Alltag sind. Vielleicht erinnert ihr euch ja noch an bestimmte Stellen und teilt sie mit uns?

Tex

Ich bin der Meinung, dass gerade in Alltagsszenen einige Rückschlüsse auf den Charakter gegeben werden. An dem, was er tut oder was in seinem Leben die Normalität darstellt, können viele Entscheidungen legitimiert werden.
Beispiel: In der Alltagsszene sitzt der Prota nur rum und redet, während seine Geschwister/Kinder/Eltern das Essen machen, aufräumen etc.. Dann ist es glaubhafter, dass er sich später dafür entscheidet, erstmal abzuwarten,  als sich gleich zwischen zwei Streitende zu werfen.
Beispiel 2: Der Alltag ist sehr autoritär bestimmt: Der Bürgermeister, Großeltern, Eltern, Chef usw. geben die ganze Zeit Befehle. Dann kann ich verstehen, dass er später, wenn er gerade Selbstbewusstsein aufgebaut hat, total rebellisch ist und vollkommen überreagiert, als xy ihm sagt, was er tun soll.

Ich finde, dafür eignen sich Alltagsszenen super. Natürlich darf man sie nicht zu trist gestalten, um den Leser nicht wegschlafen zu lassen, aber das sollte ja sowieso klar sein.