• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Wenn der Zweifel an die Tür klopft

Begonnen von Alaun, 06. August 2009, 09:47:55

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 5 Gäste betrachten dieses Thema.

chaosqueen

Hallo Golden,

Du hast Dir jetzt zwei kleine Punkte rausgepickt ... Ich recherchiere sehr, sehr wenig für meine Romane, genau aus dem Grund. Ich recherchiere derzeit privat mehrere Stunden täglich, nämlich im Bereich Ernährung. Das hat sich ggf. in meinem Post etwas vermischt.

Nicht zu recherchieren löst also nur das Problem, dass ich wiederkäue, nicht aber das Problem der mangelnden Kreativität.

Und ich stelle Kosmetika her, ja. Wenn ich da aber nicht kreativ bin, sondern ausschließlich das mache, was alle anderen auch machen, dann fragen meine Kunden sich zu Recht, warum sie bei mir und nicht bei einer der vielen anderen Firmen kaufen.
Die Firma Lush bringt permanent innovative Kreationen auf den Markt. Sei es vor ein paar Jahren der "Duschwackelpudding" oder zuletzt die "Waschknete", es ist immer sehr kreativ. Und genau das geht mir ab. In allen Bereichen. Ich brauche Input, um etwas erschaffen zu können, ich bin nicht aus mir heraus schöpferisch tätig. Und genau das sollte man als Autorin doch sein ...

Pestillenzia

Zitat von: chaosqueen am 01. September 2013, 18:26:23
Die Firma Lush bringt permanent innovative Kreationen auf den Markt. Sei es vor ein paar Jahren der "Duschwackelpudding" oder zuletzt die "Waschknete", es ist immer sehr kreativ. Und genau das geht mir ab. In allen Bereichen. Ich brauche Input, um etwas erschaffen zu können, ich bin nicht aus mir heraus schöpferisch tätig. Und genau das sollte man als Autorin doch sein ...

Mach dich nicht kleiner als du bist, chaosqueen. Lush ist, wie du selbst geschrieben hast, eine Firma. Die haben nicht nur ein Gehirn, das für die Firma arbeitet, sondern viele. Und da macht auch nicht ein Kopf alles, angefangen vom Handwerklichen über die Vermarktung bis hin zur Buchhaltung. Da arbeiten in jedem Bereich Spezialisten, die nur für einen Aufgabenbereich zuständig sind. Und ganz abgesehen davon haben die ganz andere finanzielle und logistische Möglichkeiten als du. Wie sollst du denn als Ein-Frau-Betrieb herumforschen, bis du das perfekte Rezpet für Duschwackelpudding herausgefunden hast? Das ist so gut wie unmöglich.

Mist, ich hätte noch so viel zu schreiben, aber ich muss aufhören, weil das Essen gleich auf dem Tisch steht und mein Mann schon grimmig guckt.

Thaliope

chaos:  :knuddel:

Niemand erschafft etwas aus dem Nichts. Kein Autor und kein Seifensieder. Alles Neue gründet sich auf Vorhandenes. Und wie viele Köpfe bei Lush da dran sitzen, um "ganz neue" Sachen zu entwickeln, die trotzdem funktionieren und von der Kundschaft angenommen werden, mag man sich ja auch gar nicht ausmalen.

Ich glaube, in gewisser Hinsicht ist Schreiben mit Zeichnen vergleichbar. Wer zeichnen können will, muss sehen können, hieß es früher immer. Und ich glaube, so ist es beim Schreiben auch. Ich finde Texte besonders gelungen, wenn sie mit wenigen "Pinselstrichen", einer flüchtigen Skizze, ein komplexes Bild in meinem Kopf entstehen lassen. Und da kommt die subjektive Sichtweise des Autors auf die Welt ins Spiel: ich muss mir überlegen, was an einer bestimmten Szene, oder an einem Bild, das ich vor Augen habe, charakteristisch ist. Was macht die Situation für mich aus? Welche "Pinselstriche" machen den Unterschied zu den tausend anderen ähnlichen Situationen aus, die ich gerade nicht beschreiben will. Mit welchen Worten wecke ich welche Assoziationen? Wenige, ganz konkrete Worte sind da oft wirkungsvoller als viele umschreibende.

Und Konflikte ... muss man glaube ich einfach üben, wenn man es, so wie ich, selbst immer gern so harmonisch hat. Hilfreiches Trainingsgebiet sind da für mich Soap-Operas. GZSZ, Verbotene Liebe ... natürlich keine hohe Literatur, aber so ziemlich alle zwischenmenschlichen Konflikte werden in aller Ausführlichkeit abgehandelt. Und man kann in sich selbst reinhorchen und sich fragen: Was macht das gerade mit mi? Warum will ich jetzt wissen, wie es weitergeht - obwohl ich mir denken kann, was passiert, will ich sehen, wie die Fetzen fliegen,  und nicht nur dass. :)

So, äh, das mal meine Gedanken dazu. Vielleicht hilft dir ja irgendwas davon weiter. Ansonsten einfach nur  :knuddel:
LG
Thali

Jarek

Liebe chaosqueen,

ich kenne deine Texte nicht, mit denen du so unzufrieden bist. Aber auf ein paar Punkte deines Beitrages möchte ich antworten.

ZitatIch lese Juli Zeh und sage "wow, das will ich können!", aber obwohl ich Literaturwissenschaft studiert habe (!), bekomme ich es nicht hin, die Essenz ihrer Texte zu extrahieren um herauszufinden, was genau es eigentlich ist, das mich so fesselt. Ja, klar: Sie malt mit zwei, drei Sätzen so präzise Bilder, dass ich beim Lesen einen Film im Kopf ablaufen habe - aber WIE sie das macht, bleibt mir schleierhaft.
Aber genau das Schöne am Schreiben ist doch, dass man genau sieht, wie die anderen es machen. Einem gemalten Bild siehst du nicht an, mit welcher Technik, welchen Mischverhältnissen und welchen Kniffen der Maler gearbeitet hat. Im Film bleibt unsichtbar, welches Licht genau in einer Szene gesetzt wurde, wie die Effekte entstanden sind, was außerhalb des Bilder passiert. In der Literatur jedoch bleibt nichts verborgen. Wenn du findest, dass Juli Zeh so präzise Bilder entwirft, dann schau doch genau hin. Kopier ihre Sätze, Stück für Stück und füge sie in deine Szenen ein. Tausche Namen und Orte und sieh, wie es wirkt. Ich finde es großartig, zu schauen, wie Sätze von großen Schriftstellern funktionieren.
Juli Zeh hat die Kunst gemeistert, eine Person, eine Szene, ein Gefühl mit wenigen wichtigen Details zu beschreiben. Sie schaut dabei – wie du schon sagst – nicht mit dem Fernglas von weitem drauf, sondern geht ganz nah dran. Sie pickt sich zwei, drei prägnante Auffälligkeiten heraus, die einer involvierten Person am ehesten auffallen bzw. im Gedächtnis bleiben. Wenn du sagst, dass du zu viel erklärst, weil du Angst hast, dass der Leser sonst nichts versteht, dann schau doch mal, was in guten Büchern da steht. Da wird so wenig erklärt und so viel dem Leser überlassen, weil selbiger so gut darin ist, aus wenigen Details das große Ganze zu erfassen. Setzte dir doch einfach mal das Ziel, eine Szene in nicht mehr als drei knappen Sätzen, sagen wir 30 Wörtern, einzuführen. Wenn du das dann einem Beta- oder Testleser gibt, wette ich, dass er kein Verständnisproblem haben wird. Und wenn du derart reduzierst, hörst du automatisch damit auf, zu distanziert zu schreiben, denn du bist gezwungen, die prägnanten, persönlichen, interessanten Details herauszuarbeiten, um ein Gefühl für die Szene zu vermitteln.

ZitatIch erfinde nichts Neues, ich käue wieder. Ich bin weder innovativ noch kreativ, und je länger ich das Problem beobachte, desto mehr bestärkt es mich in dem Verdacht, dass es mir irgendwie an Phantasie mangelt.
Je mehr ich schreibe, desto mehr habe ich das Gefühl, dass Phantasie und Kreativität bei der ganzen Sache die kleinste Rolle spielt. Jede kleine Idee durchläuft bei mir viele Iterationen, in denen ich mit Phantasie nichts erreiche, sondern methodisch auf andere Dinge achte und an ihnen feile: an der Wortwahl, der Perspektive, dem Klang, dem Umfang, etc. Was am Ende wie der großartige kreative Akt aussieht, ist meiner Meinung nach meistens einfach nur schnöde Arbeit am Text.

ZitatManchmal glaube ich, dass ich gut im Recherchieren, aber grottenschlecht im Schreiben bin. Ich bin derzeit bestimmt super informiert, was Ernährung angeht, weil ich mehrere Stunden täglich damit verbringe, mich darüber zu informieren, aber das einzige, was ich daraus machen kann, sind leckere Gemüsegerichte nach Rezept. Sobald ich versuche, selber tätig zu werden, kommen "Nudeln mit Gemüse" dabei heraus.
Wenn das Fantasy-Genre Gemüse ist, dann sind geschätzt 95% aller Fantasybücher Nudeln mit Gemüse. Der eine Autor salzt ein bißchen mehr, der andere nimmt Curry statt Majoran, aber das grundlegende Rezept ist doch sehr oft das gleiche. Vielleicht ist deine Erwartungshaltung an eine Geschichte bei dir einfach etwas zu hoch angesetzt. Du musst das Rad nicht neu erfinden, du musst es nur so beschreiben, dass nicht jeder sofort begreift, dass du das Rad meinst.

FeeamPC

Hi chaos!
Wenn die Seifen ein Outlet deiner Fantasie sind, warum benutzt du sie dann nicht einfach mal für dein Schreiben?
Schreibe eine Szene, in der eine Frau deine Seifen benutzt... an ihnen schnuppert, sie mit den Fingern streichelt, ihre samtige Oberfläche bewundert, das Dekor,  sie ist fasziniert, lässt sich ein Bad ein, stellt Kerzen auf, sinkt in das Wasser, greift nach der Seife...und vielleicht kommt dann noch ein Mann dazu... oder sie erinnert sich an etwas aus ihrer Kindheit... an einen besonderen Urlaub...

Rhiannon

Chaos, ich schätze, dich hat gerade eine Künstlerkrankheit erwischt. Sie nennt sich Perfektionismus und ist leider nicht heilbar, nur einzudämmen.
Nein, ernsthaft, du machst dich schlechter, als du bist!  :knuddel:
Wenn ich deine Beiträge hier im Forum lese, erkenne ich, dass du sehr gut darin bist, Situationen zu analysieren, die entsprechenden Vorgänge zu sehen und auch emotionale Dinge zu erkennen. Und das führt dann gerne mal zu etwas, das ich auch häufig tue: Du analysierst dein eigenes Geschriebenes zu Tode und betrachtest die Szenen mit dem nüchternen Blick des Analytikers. Und damit bringst du dich selbst um die ganze Schönheit der Texte. Du überlegst dir, was funktionieren muss und wie und genau so schreibst du es dann vermutlich auf.
Das ist ein Talent und per se auch nicht schlecht fürs Schreiben, aber auch mir macht es deshalb oft Probleme, den Übergang von "neben der Figur" auf "in der Figur" zu schaffen.
Etwas, das mir dabei ganz gut geholfen hat, war die jeweilige Figur in den Alltag mitzunehmen. Vielleicht nicht gerade in Situationen, in denen ich selber emotional belastet wurde, aber wenn man aufräumt, oder ähnliches, kann man seine Protas ganz gut mitnehmen und in Gedanken neben sich arbeiten lassen.
Und auf diese Weise hat man sich irgendwann so an das Aussehen und Verhalten der Figur gewöhnt, dass man dann, vor allem bei langweiligen Tätigkeiten, auf einmal nicht mehr neben der figur herarbeitet, weil das dann auch nicht mehr interessanter ist, sondern dass man plötzlich im Kopf der Figur landet. Und wenn man das einmal geschafft hat, klappt es dann meistens beim Schreiben auch besser.
Und um beim Seifenmachen zu bleiben: Was spricht dagegen, bewährte Rezepte zu nehmen? Du willst Seifen, bei denen du weißt, dass sie dem Kunden nicht die Hände verätzen oder so. Und du willst Geschichten, die du selber stemmen kannst. Die kreativen Höhenflüge kommen automatisch, wenn man erst Mal vom Beobachter zum Teilnehmer geworden ist, aber damit kann man sich eben auch schwer tun! Das ist kein Grund zum Zweifeln und schon gar keiner zum Verzweifeln!

Christopher

Irgendwo mal so im groben gelesen, daher hier nur vage wiedergegeben:

Phasen des Künstlers/Schriftstellers/hier einen weiteren kreativen Beruf/Tätigkeit einfügen

1. Euphorie
Alles was man macht ist toll, super und sowieso besser als das was all die anderen machen
2. Perfektion
Da war doch noch etwas nicht so toll, man will es besser machen, noch ein kleines bisschen feilen...
3. Ernüchterung
Alles mist. Doch nicht so toll wie das von anderen. Alles was man macht ist scheisse, schlecht und taugt nichts.
4. Realismus/Professionalismus
Man versteht, das man weder perfekt sein kann, noch besser oder schlechter ist als alle anderen, lebt seinen Stil, fängt an das eigene Ding durchzuziehen und wird früher oder später gut darin.

Dieser Ablauf (sofern ich ihn halbwegs richtig wiedergegeben habe) ist charakteristisch für kreativ tätige Menschen. Viele werden sich da vermutlich in den diversen Phasen wiederfinden oder zumindest erkennen, dass sie da schonmal waren. Glückwunsch an dich: So wie ich das rauslese, bist du mindestens schon in Phase 3 (die Euphorie hat jeder und den Perfektionismus hast du ja auch abgehandelt ;D ). Solltest du jetzt dranbleiben und dich durchringen, kommt irgendwann auch die Phase 4.

Ich empfehle aber die Lektüre von jemandem der das besser umschreibt. Phasen der kreativen Entwicklung oder so. Einfach mal googlen, lesen und sich selbst wiederfinden. Da gibts dann auch Tipps, wie man die einzelnen Phasen am besten gewinnbringend verarbeitet ;)

Würde es gerne noch raussuchen, nur fehlt mir leider die Zeit, da ich morgen wieder arbeiten muss und nu nochmal 1-2 Std Autofahren muss um anzukommen  :(

Hoffe, ich konnte zumindest ein wenig helfen.
Be brave, dont tryhard.

chaosqueen

Hallo ihr Lieben!

Erstmal ein ganz dickes Dankeschön für all eure wunderbaren Posts und jede Menge Zuspruch! :gruppenknuddel:

Ich bin aus meinem Loch noch nicht heraus, daher klingt meine Antwort vermutlich noch immer ziemlich nach "ich weiß aber, dass ich das nicht kann!" (man stelle sich eine bockige Dreijährige vor, die mit dem Fuß aufstampft). Ich gehe trotzdem mal durch, vielleicht bringt es mir ja was, wenn ich eure Aussagen kritisch durchgehe und mich ggf. dabei selber demontiere. ;)

Pesti, Du hast natürlich Recht damit, dass Lush eine riesige Firma ist, die mehr als einen kreativen Kopf hat. Allerdings haben die halt auch mal sehr klein angefangen und waren die ersten, die das Wasser aus den Produkten gezogen haben, um Verpackungsmüll zu eliminieren und Kosten zu sparen. Und wenn drei Köpfe natürlich mehr Output liefern als einer, müsste ein enzelner doch trotzdem hin und wieder mal was tolles Neues ausspucken können. Ich will ja gar nicht unbedingt komplett Neues erschaffen, aber das Rad eben so verpacken, dass man es nicht mehr sofort als Rad erkennt - danke für das hübsche Bild, Jarek!

Zitat von: Thaliope am 01. September 2013, 18:47:49
Ich glaube, in gewisser Hinsicht ist Schreiben mit Zeichnen vergleichbar. Wer zeichnen können will, muss sehen können, hieß es früher immer. Und ich glaube, so ist es beim Schreiben auch. Ich finde Texte besonders gelungen, wenn sie mit wenigen "Pinselstrichen", einer flüchtigen Skizze, ein komplexes Bild in meinem Kopf entstehen lassen.

Tja ... da hast Du genau mein Problem gefunden. Ich "sehe" nicht. Ein paar kleine Beispiele gefällig? Ich ärgere mich über ein Auto, das sich in die Spur drängelt, dann doch wieder zurück wechselt, dann wieder in meine Spur, ich beobachte es eine ganze Weile lang - und als ich abbiege, weiß ich gerade noch, dass es ein Kleinwagen war, nicht aber, ob es der weiße oder der blaue von den beiden fraglichen Autos gewesen ist (kein Scherz, genau das habe ich gestern gehabt).

Schon als Kind habe ich gemerkt, dass ich eine lausige Zeugin abgeben würde: Bei einer Täterbeschreibung könnte ich vermutlich gerade mal angeben, ob es sich um einen Mann oder eine Frau gehandelt hat und vielleicht noch das ungefähre Alter - So "interessante" Details wie Brille, Bart, Kleidung und deren Farbe, Haarfarbe (bei mir ist eh alles, was heller als mein "fast-schwarz" ist, pauschal "blond") Narben etc. sind aus meinem Gedächtnis gestrichen.

Zitat von: Thaliope am 01. September 2013, 18:47:49
Und da kommt die subjektive Sichtweise des Autors auf die Welt ins Spiel: ich muss mir überlegen, was an einer bestimmten Szene, oder an einem Bild, das ich vor Augen habe, charakteristisch ist. Was macht die Situation für mich aus? Welche "Pinselstriche" machen den Unterschied zu den tausend anderen ähnlichen Situationen aus, die ich gerade nicht beschreiben will. Mit welchen Worten wecke ich welche Assoziationen? Wenige, ganz konkrete Worte sind da oft wirkungsvoller als viele umschreibende.

Da haben wir dann wieder mein Referatsproblem: Ich kann nicht differenzieren. Für mich ist alles wichtig oder nichts. Ich hab mal versucht, Medizin zu studieren ... Es war die Hölle. Ich hatte zehn  wirklich große, dicke Bücher auf dem Tisch liegen und wusste, dass ich am Ende des Semesters alles, was darin steht und abgebildet ist, wissen muss. Und genau das habe ich versucht, es komplett in meinen Kopf zu bekommen. Das war aussichtslos. Grobe Zusammenhänge bleiben haften, aber Einzelheiten, kleinste Details? Weg. Und genau diese Details machen einen Text doch lebendig. Dass der Held am Ende das Mädchen bekommt, wissen wir alle, aber wie er das macht, ist interessant. Und genau da setzt es bei mir aus. Ich habe keine Idee, wie er das hinbekommen soll. Da ist immer nur eine gähnende Leere, und wenn ich nicht jedes Mal mich selber schreiben will, dann passiert mehr oder weniger nichts. :(

Zitat von: Thaliope am 01. September 2013, 18:47:49
Und Konflikte ... muss man glaube ich einfach üben, wenn man es, so wie ich, selbst immer gern so harmonisch hat. Hilfreiches Trainingsgebiet sind da für mich Soap-Operas. GZSZ, Verbotene Liebe ... natürlich keine hohe Literatur, aber so ziemlich alle zwischenmenschlichen Konflikte werden in aller Ausführlichkeit abgehandelt. Und man kann in sich selbst reinhorchen und sich fragen: Was macht das gerade mit mi? Warum will ich jetzt wissen, wie es weitergeht - obwohl ich mir denken kann, was passiert, will ich sehen, wie die Fetzen fliegen,  und nicht nur dass. :)

Ich hab früher leidenschaftlich gerne Soaps gesehen! Und Vampire Diaries schaue ich vor allem wegen der verworrenen Liebesbeziehungen. Ich bin voll da und fiebere mit, als wären die Personen lebendig - aber ich habe keine Ahnung, wie ich einen Text so gestalte, dass andere mitfiebern. Manchmal glaube ich, mir fehlt da ein Gen, um Gesehenes und Erlerntes auch umsetzen und anwenden zu können.

Schreibratgeber: Großartige Bücher! Wenn ich sie lese, dann ist alles völlig klar, aber während ich schreibe, weiß ich nur noch, dass in diesem oder jenem Buch hilfreiche Tipps standen. Ich müsste jedes Mal den Schreibratgeber von vorne durchlesen und immer dann, wenn ich an eine passende Stelle komme, schnell den nächsten Satz meines Romans schreiben.
Vielleicht wäre das nicht mal völlig verkehrt, um zu verinnerlichen, wie es geht, aber wie lange soll ich an einem Roman schreiben? Mein ganzes Leben? :o

Danke Dir, Thali! Der ein oder andere Gedanke, den ich mir mit klarerem Verstand anschauen sollte, ist dabei. :-*

Zitat von: Jarek am 01. September 2013, 19:29:19
Aber genau das Schöne am Schreiben ist doch, dass man genau sieht, wie die anderen es machen. Einem gemalten Bild siehst du nicht an, mit welcher Technik, welchen Mischverhältnissen und welchen Kniffen der Maler gearbeitet hat. Im Film bleibt unsichtbar, welches Licht genau in einer Szene gesetzt wurde, wie die Effekte entstanden sind, was außerhalb des Bilder passiert. In der Literatur jedoch bleibt nichts verborgen. Wenn du findest, dass Juli Zeh so präzise Bilder entwirft, dann schau doch genau hin. Kopier ihre Sätze, Stück für Stück und füge sie in deine Szenen ein. Tausche Namen und Orte und sieh, wie es wirkt. Ich finde es großartig, zu schauen, wie Sätze von großen Schriftstellern funktionieren.

Hier wage ich, zu widersprechen: Meine Mutter ist ein großer Kunstfan. Als wir in NY im Guggenheimmuseum waren, hat sie manche der Exponate stundenlang betrachtet und sich genau angesehen, wie es gemacht wird. Sie malt und gestaltet selber und konnte sehr genau sehen, wie die Kunstwerke gemacht wurden.
Ich erwische mich wiederum immer wieder dabei, dass ich bei Filmen darauf achte, wie das Licht gesetzt wurde, wie die Musik die Szene unterstreicht, und manchmal denke ich tatsächlich darüber nach, wie und wo der Kameramann gerade steht, der Tonmann, der Beleuchter. Vielleicht hätte ich damals meinen Studienschwerpunkt auf die Medienwissenschaft setzen sollen, der Bereich hat mir immer ausgenommen viel Spaß gemacht, sowohl in der Theorie als auch die Praxis.

Beim Film konnte ich dieses "Sehen" auch umsetzen. Ich weiß, wie ich das Licht positionieren muss, um einen bestimmten Effekt zu erzielen, wann die Musik einsetzen muss und wie der Tonmann verhindert, das am Ende die Tonangel im Bild ist. Beim Schreiben bekomme ich genau das nicht hin: Das Handwerkszeug so einzusetzen, dass man es am Ende nicht mehr wahrnimmt. Insofern passt es doch wieder, dass Du schreibst, beim Schreiben ist alles offen, die Kunst ist doch aber, so zu schreiben, als hätte man nicht ewig lange die Worte gesetzt (was ja auch das allgemein gängige Bild vom Autor in der Öffentlichkeit stützt, ein Buch würde man "mal eben so herunterschreiben").

Zitat von: Jarek am 01. September 2013, 19:29:19
Juli Zeh hat die Kunst gemeistert, eine Person, eine Szene, ein Gefühl mit wenigen wichtigen Details zu beschreiben. Sie schaut dabei – wie du schon sagst – nicht mit dem Fernglas von weitem drauf, sondern geht ganz nah dran. Sie pickt sich zwei, drei prägnante Auffälligkeiten heraus, die einer involvierten Person am ehesten auffallen bzw. im Gedächtnis bleiben.

Siehe oben: Ich bin eine lausige Beobachterin. Ich brauche Tage, um die völlig verkrüppelten Finger meine Kommilitonin zu bemerken und Wochen, um zu sehen, dass einem Kumpel von mir ein kleiner Finger fehlt. Feuermale im Gesicht nehme ich hingegen auf den ersten Blick wahr, und schiefe Zähne auch ... ;D

Zitat von: Jarek am 01. September 2013, 19:29:19
Wenn du sagst, dass du zu viel erklärst, weil du Angst hast, dass der Leser sonst nichts versteht, dann schau doch mal, was in guten Büchern da steht.

Das meine ich ja: Ich sehe es nicht. Ich merke, was der Text mit mir macht, aber selbst, wenn ich die einzelnen Sätze betrachte, begreife ich nicht, wieso sie diese Wirkung auf mich haben. Ich bin an Juli Zeh verzweifelt, weil sie exakt so schreibt, wie ich schreiben will, wie meine Texte sich in mir drinnen anfühlen - und das, was dann auf dem Papier landet, ist eine Karikatur der schlechtesten Vorabendserie. Es macht mich wahnsinnig!

Zitat von: Jarek am 01. September 2013, 19:29:19
Da wird so wenig erklärt und so viel dem Leser überlassen, weil selbiger so gut darin ist, aus wenigen Details das große Ganze zu erfassen. Setzte dir doch einfach mal das Ziel, eine Szene in nicht mehr als drei knappen Sätzen, sagen wir 30 Wörtern, einzuführen. Wenn du das dann einem Beta- oder Testleser gibt, wette ich, dass er kein Verständnisproblem haben wird. Und wenn du derart reduzierst, hörst du automatisch damit auf, zu distanziert zu schreiben, denn du bist gezwungen, die prägnanten, persönlichen, interessanten Details herauszuarbeiten, um ein Gefühl für die Szene zu vermitteln.

Ich versuche es. Ich hab neulich eine Szene geschrieben, die mir aus den Fingern floss, die Spaß gemacht hat beim Schreiben - und dann hab ich mich gefragt, ob ich ein Buch zur Kasse tragen würde, das mit dieser Szene beginnt, und es war ganz klar, dass ich es wegen diverser Faktoren nicht tun würde:

- ich würde Klamauk erwarten, den ich aber von der Thematik her nicht würde haben wollen (man setze mal voraus, es gäbe einen guten Klappentext)
- die Szene wäre mir zu langatmig und belanglos gewesen
- ich habe nur Stereotypien über die Figuren erfahren
- Das Bild in meinem Kopf enthielt die Umgebung (ein Geschäft), die Figuren jedoch waren seltsam blasse Pappaufsteller, die darin herumgeschoben wurden

Ich kann meine eigenen Texte also analysieren, teilweise auch die anderer, nur WIE etwas gemacht ist, begreife ich nicht und kann es daher nicht umsetzen.
Leider funktioniere ich so. Ich habe mal eine Probestunde Pilates mitgemacht. Der Trainer sagte die ganze Zeit, ich müsse in mein Powerhouse atmen, konnte mir aber nicht erklären, was ich effektiv mit meinem Körper machen soll. Irgendwann bin ich regelrecht wütend vor Frustration gegangen.
Gegenbeispiel: Mein Chorleiter zu Schulzeiten. Der hat extrem anschaulich gemacht, wie wir atmen sollen, so dass ich nie ein Problem damit hatte. Übertrieben ausgedrückt: Ich brauche die Anleitung, welchen Muskel ich wann wie stark an- oder entspannen soll, damit ich es umsetzen kann. Und so ähnlich ist es auch beim Schreiben: Ich muss wissen, zu welchem Zeitpunkt ich welches Stilmittel wie einsetzen soll, damit das gewünschte Ergebnis heruaskommt. Nur, dass das dann leider kein kreativer, schöpferischer Prozess mehr ist, sondern Auftragsarbeit für andere.

Zitat von: Jarek am 01. September 2013, 19:29:19
Je mehr ich schreibe, desto mehr habe ich das Gefühl, dass Phantasie und Kreativität bei der ganzen Sache die kleinste Rolle spielt. Jede kleine Idee durchläuft bei mir viele Iterationen, in denen ich mit Phantasie nichts erreiche, sondern methodisch auf andere Dinge achte und an ihnen feile: an der Wortwahl, der Perspektive, dem Klang, dem Umfang, etc. Was am Ende wie der großartige kreative Akt aussieht, ist meiner Meinung nach meistens einfach nur schnöde Arbeit am Text.

Das unterschreibe ich. Nur kommt mir hierbei auch wieder das "Grober Zusammenhang vs. Details"-Problem in die Quere: Die Geschichte an sich mag ich noch immer, sie ist der große Zusammenhang. Leider sind geschätzt 95% der Sätze großer Mist, so dass ich sie alle neu schreiben müsste. Wenn ich das aber mache, habe ich am Ende eine andere Geschichte. Und: Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ich die Sätze umbauen soll. Sie stehen ja alle im zusammenhang miteinander. Ändere ich hier eine Formulierung, muss ich womöglich im nächsten Satz den Bezug ändern, das geht aber schon nicht mehr, weil der ganze Satz ebenfalls umgestellt werden muss. Und überhaupt, bin ich mir noch sicher, dass die Figur blaue Augen hat, oder sind sie nicht eher goldbraun? Jetzt muss ich erstmal das Dokument der Figur aufschlagen, und dann stelle ich fest, dass ich sie als schüchtern angelegt habe, was mit der aktuellen Szene mal gar nicht zusammenpasst, weil sie gerade einem feuerspeienden Drachen gegenübersteht und diesem freche Antworten gibt ... (Das war spontan, diese Geschichte gibt es bisher nicht ...).
Das Ende vom Lied: Ich stelle wieder fest, dass der gesamte Text Mist ist und gehe zurück unter meinen Stein. Aus die Maus. :(

Zitat von: Jarek am 01. September 2013, 19:29:19
Wenn das Fantasy-Genre Gemüse ist, dann sind geschätzt 95% aller Fantasybücher Nudeln mit Gemüse. Der eine Autor salzt ein bißchen mehr, der andere nimmt Curry statt Majoran, aber das grundlegende Rezept ist doch sehr oft das gleiche. Vielleicht ist deine Erwartungshaltung an eine Geschichte bei dir einfach etwas zu hoch angesetzt. Du musst das Rad nicht neu erfinden, du musst es nur so beschreiben, dass nicht jeder sofort begreift, dass du das Rad meinst.

Tja, und genau das schaffe ich nicht. Entweder schreibe ich "guck mal, ein Rad!" und weise noch fünfmal mit dem Finger darauf, weil ich nicht sicher bin, ob es wirklich verstanden wurde, oder ich beschreibe alles außer dem Rad und erwarte vom Leser, dass er das radförmige Loch schon mit dem passenden Gegenstand füllt. Wie findet man den Mittelweg? *seufz*

Auch Dir vielen Dank, sobald ich nicht mehr mit "geht nicht, kann ich nicht!" gefüllt bin, werde ich das eine oder andere davon mal umsetzen. Oder es zumindest versuchen.

Zitat von: FeeamPC am 01. September 2013, 19:50:03
Hi chaos!
Wenn die Seifen ein Outlet deiner Fantasie sind, warum benutzt du sie dann nicht einfach mal für dein Schreiben?
Schreibe eine Szene, in der eine Frau deine Seifen benutzt... an ihnen schnuppert, sie mit den Fingern streichelt, ihre samtige Oberfläche bewundert, das Dekor,  sie ist fasziniert, lässt sich ein Bad ein, stellt Kerzen auf, sinkt in das Wasser, greift nach der Seife...und vielleicht kommt dann noch ein Mann dazu... oder sie erinnert sich an etwas aus ihrer Kindheit... an einen besonderen Urlaub...

Kurzgeschichte? Kein Problem, kann ich. Ich kann extrem dichte, atmosphärische Szenen schreiben, sofern sie genau das bleiben dürfen: Kurze, in sich abgeschlossene Szenen. Ich gebe zu, dass meine letzten Kurzgeschichten etwa zehn Jahre her sind und ich damals noch an heftiger Adjektivitis gelitten habe, aber einige sind durchaus noch repräsentabel.

Aber vielleicht liegt hier der Schlüssel zu meinem Problem: Ich habe ja immer "das große Ganze" im Kopf und renne dann irgendwie da durch, als gälte es, einen Marathon im Schnellschreiben zu gewinnen. Vermutlich muss ich noch viel exakter plotten und alles auf kurze, knappe Szenen herunterbrechen, die ich dann schreibe, als stünden sie für sich allein. Das würde gleich noch das zweite Problem meiner Romane lösen: Ich habe irgendwie immer das dringende Bedürfnis, meine Protagonisten auf Schritt und Tritt zu verfolgen und ja keine Sekunde ihres Lebens zu verpassen (ein Wunder, dass bisher noch keine meiner Figuren dreimal pro Kapitel aufs Klo rennt!). Mein "Referatsproblem". Vielleicht kann ich das wirklich lösen, indem ich mir überlege, was relevant ist und was nicht und dann eben lauter Einzelszenen schreibe, die sich ggf. am Ende sogar zu einem großen Ganzen fügen.

Hausaufgabe an mich selber: Erstens: Kurze, dichte Szenen verfassen, und sei es nur, um meine Figuren mal näher kennenzulernen. Zweitens: Eines meiner Lieblingsbücher genau darauf noch mal durchzulesen. Wie werden einzelne Szenen beschrieben und wie miteinander verknüpft?

Ich glaube es war Sol Stein, der das Schreiben von Romanen in drei verschiedene Abschnitte unterteilt hat: Zum einen das aktuelle Geschehen, bei dem jeder Schritt, jede (relevante) Handlung sowie Sinneseindrücke etc. beschrieben werden, die schnellere, oberflächlichere Verbindung von intensiven Szenen, und (wenn ich mich nicht irre, das muss ich noch mal genauer nachschlagen), die Auslassung. Kein Mensch will lesen, wie hundert Leute vier Wochen lang belagert werden und auf welche erdenklichen Arten sie sich dabei zu Tode langweilen. Stattdessen reicht ein kurzes knappes "aus Stunden wurden Tage, aus Tagen wurden Wochen, bis keiner der Menschen in der Burg noch recht wusste, wie lange die Belagerung schon dauerte." Und dann setzt man einen Absatz oder ein neues Kapitel und beschreibt eine Szene, die Wochen nach der vorigen spielt.
Wirklich grandios hat das in meinen Augen übrigens Stephenie Meyer gelöst, indem sie drei aufeinanderfolgende Seiten lediglich mit den aufeinanderfolgenden Monatsnamen bedruckt hat. jedem Leser ist klar: Es passiert absolut nichts Erwähnenswertes in Bellas Leben, aber es vergehen drei lange, zähe Monate.

Zitat von: Rhiannon am 01. September 2013, 19:52:19
Chaos, ich schätze, dich hat gerade eine Künstlerkrankheit erwischt. Sie nennt sich Perfektionismus und ist leider nicht heilbar, nur einzudämmen.
Nein, ernsthaft, du machst dich schlechter, als du bist!  :knuddel:

Die Krankheit hatte ich schon immer. Und bisher lautete mein Medikament dagegen: "Wenn Du es nicht zu Deiner eigenen Zufriedenheit erledigen kannst, dann lass es lieber ganz." Was mich eine gute Abinote und einen Studienabschluss gekostet hat. ::)

Zitat von: Rhiannon am 01. September 2013, 19:52:19
Wenn ich deine Beiträge hier im Forum lese, erkenne ich, dass du sehr gut darin bist, Situationen zu analysieren, die entsprechenden Vorgänge zu sehen und auch emotionale Dinge zu erkennen. Und das führt dann gerne mal zu etwas, das ich auch häufig tue: Du analysierst dein eigenes Geschriebenes zu Tode und betrachtest die Szenen mit dem nüchternen Blick des Analytikers. Und damit bringst du dich selbst um die ganze Schönheit der Texte. Du überlegst dir, was funktionieren muss und wie und genau so schreibst du es dann vermutlich auf.

Leider nicht. Ich schreibe aus dem Bauch heraus und habe danach keine Ahnung, wie ich den Murks wieder geradebiegen soll. ;D

Zitat von: Rhiannon am 01. September 2013, 19:52:19
Das ist ein Talent und per se auch nicht schlecht fürs Schreiben, aber auch mir macht es deshalb oft Probleme, den Übergang von "neben der Figur" auf "in der Figur" zu schaffen.
Etwas, das mir dabei ganz gut geholfen hat, war die jeweilige Figur in den Alltag mitzunehmen. Vielleicht nicht gerade in Situationen, in denen ich selber emotional belastet wurde, aber wenn man aufräumt, oder ähnliches, kann man seine Protas ganz gut mitnehmen und in Gedanken neben sich arbeiten lassen.
Und auf diese Weise hat man sich irgendwann so an das Aussehen und Verhalten der Figur gewöhnt, dass man dann, vor allem bei langweiligen Tätigkeiten, auf einmal nicht mehr neben der figur herarbeitet, weil das dann auch nicht mehr interessanter ist, sondern dass man plötzlich im Kopf der Figur landet. Und wenn man das einmal geschafft hat, klappt es dann meistens beim Schreiben auch besser.

Tja ... Meine Figuren leiden alle an einer ganz schlimmen Krankheit: Sie haben keine Seele. Meist haben sie nicht mal ein Gesicht - nein, nicht meist, nie. Das haben aber auch Figuren in Romanen, die ich lese, nie. Da kann sich der Autor noch so viel Mühe geben, in meinem Kopf ist eine halbwegs menschenförmige Masse, die sich agierend durch die Gegend bewegt, aber ich habe keine klaren Vorstellungen von den Figuren. Wenn ich eine Verfilmung sehe, weiß ich allerdings ganz genau, ob der Darsteller meinem Bild von der Figur entspricht oder nicht. Schon ein bisschen bekloppt, oder? ;)

Ich habe noch nie mit meinen Figuren Zwiesprache gehalten oder ähnliches. Ich plotte beim Radfahren, beim Autofahren, beim Seife sieden, ich habe ganze Dialoge und Szenen im Kopf (und ärgere mich dann meistens, dass ich sie gerade weder aufschreiben noch diktieren kann), aber die Figuren bleiben seltsam blass. Vielleicht interessieren mich ihre Äußerlichkeiten nicht, so dass ich sie mir nicht vorstelle? Leider schaffe ich es oft genug auch nicht, sie anhand ihrer Persönlichkeit so zu beschreiben, dass das Bild klarer wird, aber das zumindest ist ja ein Ansatzpunkt - und das nächste Mal, wenn ich putze, muss eine der Figuren dran glauben und mitmachen! ;D

Zitat von: Rhiannon am 01. September 2013, 19:52:19
Und um beim Seifenmachen zu bleiben: Was spricht dagegen, bewährte Rezepte zu nehmen? Du willst Seifen, bei denen du weißt, dass sie dem Kunden nicht die Hände verätzen oder so. Und du willst Geschichten, die du selber stemmen kannst. Die kreativen Höhenflüge kommen automatisch, wenn man erst Mal vom Beobachter zum Teilnehmer geworden ist, aber damit kann man sich eben auch schwer tun! Das ist kein Grund zum Zweifeln und schon gar keiner zum Verzweifeln!

Naja, es geht ja nicht nur um Seifen. Bei meinen bestehenden Produkten habe ich ja bereits reichlich gut erprobte Rezepte. Ich möchte mittelfristig aber auch Gesichtscremes, Körperlotionen und Duschgels anbieten. Und natürlich werde ich dann auf vorhandene Rezepte zurückgreifen und sie nach meinen Ideen abändern. Aber ich hätte auch gerne mal ein Produkt, was sonst noch keiner hat, wo ich sagen kann: "Ja, das Schwubbelwubbel ist meine Erfindung!" Kein komplett neues Rad, aber halt etwas, das so perfektioniert wurde, dass es eben doch irgendwie etwas eigenes ist.

Zitat von: Christopher am 01. September 2013, 20:42:11
Irgendwo mal so im groben gelesen, daher hier nur vage wiedergegeben:

Phasen des Künstlers/Schriftstellers/hier einen weiteren kreativen Beruf/Tätigkeit einfügen

1. Euphorie
Alles was man macht ist toll, super und sowieso besser als das was all die anderen machen
2. Perfektion
Da war doch noch etwas nicht so toll, man will es besser machen, noch ein kleines bisschen feilen...
3. Ernüchterung
Alles mist. Doch nicht so toll wie das von anderen. Alles was man macht ist scheisse, schlecht und taugt nichts.
4. Realismus/Professionalismus
Man versteht, das man weder perfekt sein kann, noch besser oder schlechter ist als alle anderen, lebt seinen Stil, fängt an das eigene Ding durchzuziehen und wird früher oder später gut darin.

Dieser Ablauf (sofern ich ihn halbwegs richtig wiedergegeben habe) ist charakteristisch für kreativ tätige Menschen. Viele werden sich da vermutlich in den diversen Phasen wiederfinden oder zumindest erkennen, dass sie da schonmal waren. Glückwunsch an dich: So wie ich das rauslese, bist du mindestens schon in Phase 3 (die Euphorie hat jeder und den Perfektionismus hast du ja auch abgehandelt ;D ). Solltest du jetzt dranbleiben und dich durchringen, kommt irgendwann auch die Phase 4.

Hehe, das dachte ich beim Lesen auch. Dafür müsste ich nur überhaupt erstmal wieder schreiben, und das klappt leider noch nicht.

Zitat von: Christopher am 01. September 2013, 20:42:11
Ich empfehle aber die Lektüre von jemandem der das besser umschreibt. Phasen der kreativen Entwicklung oder so. Einfach mal googlen, lesen und sich selbst wiederfinden. Da gibts dann auch Tipps, wie man die einzelnen Phasen am besten gewinnbringend verarbeitet ;)

Würde es gerne noch raussuchen, nur fehlt mir leider die Zeit, da ich morgen wieder arbeiten muss und nu nochmal 1-2 Std Autofahren muss um anzukommen  :(

Hoffe, ich konnte zumindest ein wenig helfen.

Danke, ja. So wie ihr alle! :) Jetzt muss ich nur irgendwas draus machen ... *seufz* ;)

Thaliope

Zitat
Tja ... da hast Du genau mein Problem gefunden. Ich "sehe" nicht. Ein paar kleine Beispiele gefällig? Ich ärgere mich über ein Auto, das sich in die Spur drängelt, dann doch wieder zurück wechselt, dann wieder in meine Spur, ich beobachte es eine ganze Weile lang - und als ich abbiege, weiß ich gerade noch, dass es ein Kleinwagen war, nicht aber, ob es der weiße oder der blaue von den beiden fraglichen Autos gewesen ist (kein Scherz, genau das habe ich gestern gehabt).

Schon als Kind habe ich gemerkt, dass ich eine lausige Zeugin abgeben würde: Bei einer Täterbeschreibung könnte ich vermutlich gerade mal angeben, ob es sich um einen Mann oder eine Frau gehandelt hat und vielleicht noch das ungefähre Alter - So "interessante" Details wie Brille, Bart, Kleidung und deren Farbe, Haarfarbe (bei mir ist eh alles, was heller als mein "fast-schwarz" ist, pauschal "blond") Narben etc. sind aus meinem Gedächtnis gestrichen.

Ich bin sehr sicher, dass man dieses Sehen lernen kann, dass man seine Beobachtungsfähigkeiten schulen und stärken kann. Und beim Schreiben geht es lustigerweise gar nicht unbedingt darum, was wichtig ist, sondern was dir wichtig ist. Das erfordert den Mut, zu seiner eigenen Sichtweise, zu seinem eigenen Standpunkt zu stehen und die Erkenntnis, dass man es nie allen recht machen kann. (An dem Punkt steh ich selbst immer wieder, weil sich das, was ich selbst will, so gern mit dem vermischt, von dem ich glaube, dass andere es von mir erwarten. Das auseinanderzufriemeln und dann zu sich zu stehen ... ist manchmal mindestens genauso eine Herausforderung wie das Schreiben selbst.)

ZitatUnd genau diese Details machen einen Text doch lebendig. Dass der Held am Ende das Mädchen bekommt, wissen wir alle, aber wie er das macht, ist interessant. Und genau da setzt es bei mir aus. Ich habe keine Idee, wie er das hinbekommen soll. Da ist immer nur eine gähnende Leere, und wenn ich nicht jedes Mal mich selber schreiben will, dann passiert mehr oder weniger nichts. :(

Für sowas gibts Kreativitäts-Techniken. So Sachen wie Blind-Drauflos-Schreiben, Brainstorming, Such-dir-blind-zwei-Stichworte-aus-einem-Lexikon-und-bring-sie-irgendwie-zusammen. Spinn-mit-andren-Autoren-rum. Vieles davon kann man üben und lernen. Das ist ein Prozess, der wohl tatsächlich ein ganzes Leben andauert. Und ganz zufrieden sein wird man wohl nie, wenn man grundsätzlich mit der Gabe des Zweifelns "beschenkt" wurde. ;) Aber das hindert uns offensichtlich nicht ...

LG und eine Packung Ohren-Steif von Dr. Oetker ...  ;)
Thali

gbwolf

#399
Also, ich habe dein erstes Posting gelesen und Nummer 2 überflogen. Wahrscheinlich könnten wir jetzt einen ganzen Abend diskutieren, aber mein Zeitbudget lässt gerade nur eine Verknappung zu (Wobei Walter Moers ja sagt: "Dicke Bücher sind deshalb dick, weil der Autor keine Zeit hatte, um sich kurz zu fassen."):

Zitat von: chaosqueen am 02. September 2013, 10:08:41Tja ... da hast Du genau mein Problem gefunden. Ich "sehe" nicht. Ein paar kleine Beispiele gefällig? Ich ärgere mich über ein Auto, das sich in die Spur drängelt, dann doch wieder zurück wechselt, dann wieder in meine Spur, ich beobachte es eine ganze Weile lang - und als ich abbiege, weiß ich gerade noch, dass es ein Kleinwagen war, nicht aber, ob es der weiße oder der blaue von den beiden fraglichen Autos gewesen ist (kein Scherz, genau das habe ich gestern gehabt).
Das geht mir haargenau so. Ebenso bin ich nicht die große Reinpaukerin und ich erblasse ständig vor Neid, wenn ich Literatur lese, die messerscharf beobachtet, seziert, analysiert und dabei noch genial die Spannung konstruiert. Oder auch Menschen, die sich völlig auf ein oder mehrere Fachgebiete konzentrieren und darin brillieren. Ebenso fehlt mir absolut alles, um besondere Bilder zu malen, sollte ich jemals das Bedürfnis haben, zu zeichnen.

Auch wenn ab und zu die Depression darüber hochkocht, muss ich mir doch sagen: Ich bin eben ein anderer Typ Mensch und Autor. Das tut weh, aber manche Dinge kann ich nicht ändern. Deshalb ist es wichtig, viel auszuprobieren und Stärken auszuloten. Was ich schon immer gut konnte, auch als Rollenspielmeister, ist es, Stimmungen zu erzeugen. Und nach einem wundervollen Semniar kann ich auch ganz gute Figuren erstellen und halten. Und wenn ich dann noch versuche, nicht krampfhaft originell oder ambitioniert zu sein, kommt meistens auch etwas ganz Gutes bei raus (Spätestens nach zwei Überarbeitungen + 2 Lektoratsrunden ...).

Was ich damit sagen möchte: Nach den Meistern schielen und davon lernen ist nicht verkehrt, aber schau, was dir am besten liegt und was dir am Herzen liegt. Vielleicht sind es eher Innenansichten? Kurzgeschichten? Essays? Ich erinnere mich dunkel an "Tango to Evora" und mir scheinen die Kurzgeschichten dieser Epoche deine Stärken wiederzuspiegeln.

Edit: Um Thaliope aufzugreifen: Setz dich mal in ein Café und schreibe nur auf, was die Leute um dich herum machen. Überleg dir, welche Erwartung du an sie hast, wenn du ihre Physis siehst und wie sie dann sprechen/reagieren. Ich finde das auch in der Bahn immer wieder spannend.

Pestillenzia

Zitat von: chaosqueen am 02. September 2013, 10:08:41
Schon als Kind habe ich gemerkt, dass ich eine lausige Zeugin abgeben würde: Bei einer Täterbeschreibung könnte ich vermutlich gerade mal angeben, ob es sich um einen Mann oder eine Frau gehandelt hat und vielleicht noch das ungefähre Alter - So "interessante" Details wie Brille, Bart, Kleidung und deren Farbe, Haarfarbe (bei mir ist eh alles, was heller als mein "fast-schwarz" ist, pauschal "blond") Narben etc. sind aus meinem Gedächtnis gestrichen.

Da bist du in bester Gesellschaft. Die meisten Menschen sind lausige Zeugen. Und warum? Weil niemand darauf vorbereitet ist, ein Zeuge zu sein. Entweder erfährt man erst im Nachhinhein, dass der Typ, der einen angerempelt hat, ein Räuber auf der Flucht war, oder - wenn man tatsächlich z.B. einen Raub beobachtet - man ist so von den Socken, dass das Gehirn überfordert ist, auch noch die "nebensächlichen" Details aufzunehmen. Wenn fünf Leute einen Verkehrsunfall beobachten, kannst du davon ausgehen, dass alle etwas anderes gesehen haben, angefangen von der Farbe der Autos bis hin zur Marke, zu den Fahrern etc.

Zitat von: chaosqueen am 02. September 2013, 10:08:41
Tja ... Meine Figuren leiden alle an einer ganz schlimmen Krankheit: Sie haben keine Seele. Meist haben sie nicht mal ein Gesicht - nein, nicht meist, nie. Das haben aber auch Figuren in Romanen, die ich lese, nie. Da kann sich der Autor noch so viel Mühe geben, in meinem Kopf ist eine halbwegs menschenförmige Masse, die sich agierend durch die Gegend bewegt, aber ich habe keine klaren Vorstellungen von den Figuren. Wenn ich eine Verfilmung sehe, weiß ich allerdings ganz genau, ob der Darsteller meinem Bild von der Figur entspricht oder nicht. Schon ein bisschen bekloppt, oder? ;)

Ich habe noch nie mit meinen Figuren Zwiesprache gehalten oder ähnliches. Ich plotte beim Radfahren, beim Autofahren, beim Seife sieden, ich habe ganze Dialoge und Szenen im Kopf (und ärgere mich dann meistens, dass ich sie gerade weder aufschreiben noch diktieren kann), aber die Figuren bleiben seltsam blass. Vielleicht interessieren mich ihre Äußerlichkeiten nicht, so dass ich sie mir nicht vorstelle? Leider schaffe ich es oft genug auch nicht, sie anhand ihrer Persönlichkeit so zu beschreiben, dass das Bild klarer wird, aber das zumindest ist ja ein Ansatzpunkt - und das nächste Mal, wenn ich putze, muss eine der Figuren dran glauben und mitmachen! ;D


Geht mir nicht anders. Meine Figuren haben auch keine Gesichter. Ich weiß, ob sie einen Drei-Tage-Bart oder einen Kinnbart haben, ob die Augen blau oder grün, die Haare kurz und strubbelig oder lang und wellig sind. Aber die Gesichter? Totalausfall. Blinder Fleck auf der ganzen Linie.
Andererseits habe ich aber - genau wie du - eine wie auch immer geartete Vorstellung von den Figuren anderer Autoren, die bei Verfilmungen auch schon des öfteren ziemlich enttäuscht werden.

Ich kann mich mit meinen Figuren auch nicht unterhalten. Ich sehe und höre sie, wie sie sich miteinander unterhalten, aber mit mir spricht keine von ihnen. Das geht nur dann, wenn ich einen  Dialog zwischen ihnen und mir schreibe, weil ich dann ebenfalls nichts anderes als eine Figur bin.

Ich weiß - alles keine besondere Hilfe, aber vielleicht bringt dir das Wissen etwas, dass du damit nicht allein bist.  :knuddel:

FeeamPC

#401
Wenn du die Figuren nicht siehst, dafür aber ihre Dialoge genau hörst, dann schreib in der 1. Person. Der Ich-Erzähler hat selten Grund, lang und breit sein Aussehen oder das seiner Gegenüber zu beschreiben. Einmal, zu Anfang, das reicht, man selbst denkt ja auch nicht: "der braungelockte schlanke Mann, der mir gegenüber sitzt", sondern "mein Gegenüber", bei der Sichtweise entfällt also gleich eine Menge von dem, was dir Kummer macht.

Churke

Chaosqueen, ich finde, dass da etwas nicht zusammen passt.
Du schreibst:

ZitatKurzgeschichte? Kein Problem, kann ich. Ich kann extrem dichte, atmosphärische Szenen schreiben, sofern sie genau das bleiben dürfen: Kurze, in sich abgeschlossene Szenen.

Und andererseits:

Zitat
- die Szene wäre mir zu langatmig und belanglos gewesen
- ich habe nur Stereotypien über die Figuren erfahren
- Das Bild in meinem Kopf enthielt die Umgebung (ein Geschäft), die Figuren jedoch waren seltsam blasse Pappaufsteller, die darin herumgeschoben wurden

Ja, was denn nun? Der legendäre Douglas Adamas konnte übrigens auch keine Romane schreiben, geschadet hat ihm das nie. Die Kunst besteht mitunter darin, das Projekt seinen Fähigkeiten anzupassen.
Die Figuren sind blass? Gut - da wäre Military SF fast ideal für dich.  ;D Nein, aber ich hoffe, du verstehst, worauf ich hinaus will. Wenn du dichte, atmosphärische Szenen schreiben kannst, dann musst du deinen Roman eben so aufbauen, dass er sich aus solchen Szenen zusammen setzt. Das geht! Und wenn du es gut machst, dann wird sich niemand dafür interessieren, dass die Figuren vielleicht unzureichend beschrieben sind. Ich sage mal so: Wenn du nicht darauf achtest, dann interessiert es dich offensichtlich nicht. Weshalb sollte es dann den Leser interessieren?
Was ich übrigens sehr treffend fand, das war neulich deine Beschreibung des Y-lastigen Kollegen-Speechs. Das hätte ich gerade abschreiben können.  8) Aus so etwas mache ich Figuren und nicht aus Segelohren oder Hakennasen.

Mogylein

chaosqueen, ich kann dir nur sehr wenig helfen, aber lass dir gesagt sein: du bist nicht allein  :knuddel:  In 90% von dem, was du geschrieben hast, kann ich mich selbst vorfinden, ganz besonders in der fehlenden Kreativität und den "seelenlosen" Figuren. Auch mir geht es so, dass ich mich hier im TZ umgucke und das Gefühl habe, dass ich mit so einem Problem ganz alleine dastehe.


Mein Tipp, so klein er auch sein mag:


Schreibe ausserhalb deiner Komfort-Zone. Und bedien dich ruhig möglichst extremer Wortwahl, ganz egal, in welche Richtung. Ich arbeite gerade daran, für unterschiedliche Charaktere unterschiedliche Stimmen zu entwerfen - und es kommt mir momentan alles total übertrieben und unrealistisch vor. Aber ich halte es für eine tolle Übung, um später dann den Mittelweg zu finden.
   "Weeks of Writing can save you hours of plotting."
- abgewandeltes Programmiersprichwort

Merlinda

Kennt ihr das?
Ihr habt da eine Idee, die unbedingt geschrieben werden will. Oder besser gesagt geschrieben werden muss!
Aber ihr habt Angst davor? Ich meine so richtige Angst? Angst davor eine unsichtbare Grenze zu überschreiten, die von der Gesellschaft gezogen wurde?
Ein Thema ... ja schon fast zu beschönigen, dass von allen Seiten als falsch und verwerflich und schlimmstenfalls totgeschwiegen wird?
Irgendwie bin ich gerade von mir selbst voll geschockt, dass wirklich damit begonnen habe, das leere Dokument mit Wörtern zu füllen, die mir selbst Angst machen ...  :versteck: