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Wie überwindet man eine Panikattacke?

Begonnen von Azora, 20. November 2020, 08:45:28

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Azora

Hallo ihr Lieben,

meine Protagonistin hat schreckliche Angst davor, Wasser zu atmen - obwohl sie das eigentlich kann. Sie hat es früher auch gemacht, die Probleme haben erst angefangen, nachdem ihr Bruder ertrunken ist (ok, kann man verstehen). Jetzt ist sie in einer Situation, in der etwas so Wichtiges passiert, dass sie ihre Angst besiegen will, um eine für sie sehr wichtige Schildkröte zu retten.

Ich versuche gerade die Szene zu schreiben, bzw habe sie geschrieben, aber es überzeugt mich so nicht so ganz. (siehe hier im Nanoboard)

Also meine Frage an alle, die entweder Panikattacken haben oder hatten, oder extreme Angst vor etwas, und es mal überwunden haben:

wie fühlt es sich währenddessen an?
Ist die Panik da, aber man bezwingt sie mit dem Willen?
Ist man so fokussiert auf das (wichtigere) Ziel, dass man die Panik vergisst, und einem erst im Nachhinein auffällt, dass man normalerweise Angst gehabt hätte?

Ich würde mich sehr über eure Einblicke freuen, gerne, wenn es sensible Themen sind, auch per PN!

Danke und liebe Grüße,
Lisa

Trippelschritt

Während man in Panik ist, setzt der Verstand fast aus, man sieht fast nichts mehr trotz offener Augen, hat bestenfalls einen Tunnelblick, man hört auch nichts mehr außer einem Rauschen, das alle Geräusche der Welt in einem einzigen Rauschen zusammenfasst. Das Herz mämmert, der Atmen wird flach und hechelnd. Je nach Typ rennt man blindling los oder steht gelähmt, schlägt man wild um sich oder kann mit seinen zitternden Händen nichts mehr anstellen. Bis man irgendwann merkt, dass man in Panik ist.
Erst dann kann man eingreifen. Das erste, einzige und beste Mittel ist, ruhig über das Zwerchfell zu atmen (Bauchatmung). Und dann lässt man die Ruhe im eigenen Körper sich verteilen.

Nicht alle Menschen beherrschen die Zwerchfellatmung noch, mir der sie als Kind auf die Welt kamen. Kleinkinder haben eine bessere Atemtechnik als Opernsänger. Sonst könnten sie nicht stundenlang in dieser Lautstärke Krähen. Aber es kann passieren, dass man auf dem Weg zum Erschwachsen werden, die Fertigkeit verliert, richtig zu atmen. Mann kann es aber relernen.

Ruhe im Körper zu verteilen ist eine Technik, die man leicht erlernen kann, muss man aber üben und ist nicht angeboren wie die Bauchtamung.

Und was machen die, die nicht merken, dass sie in Panik sind, weil sie gar nichts mehr mitbekommen? Die kommen aus dem Panikmodus ganz von allein raus. Panik remobiliert alle Ressourcen, Panik entleert den Körper. Irgendwann kann der Körper nicht mehr und streikt aus Erschöpfung.

Reicht das für den Anfang?

Liebe Grüße
Trippelschritt

Arcor

Ich würde noch ergänzen, dass es ein Unterschied ist, ob man Angst hat oder eine Panikattacke. Angst bezieht sich auf einen konkreten Sachverhalt, vor dem man Angst hat. Damit kann man sich gedanklich auseinandersetzen, man kann versuchen, sie zu überwinden, sich "zusammenreißen", sich rantasten an die Situation - also von Anfang an Gegenstrategien anwenden.
Eine Panikattacke ist meist eher losgelöst von einer bestimmten Situation und bricht einfach über einen herein. Da ist nichts mit herantasten. Und bis man, wie @Trippelschritt meinte, erkannt hat, dass es eine Panikattacke ist, macht man auch nicht viel dagegen. Erst dann kann man besagte Techniken anwenden. Das kann einem sofort gelingen (man kann auch merken, dass man in eine reinrutscht), es kann einen aber auch überrumpeln.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Azora

Danke, @Trippelschritt und @Arcor für diese eindrücklichen Schilderungn. Das mit der Zwerchfellatmung ist ja interessant!

Da muss ich vielleicht noch mal ein bisschen in mich gehen...

Ich frage mich halt, wie meine Protagonisten das erleben würde, dass sie sich praktisch mit offenen Augen in eine Situation begibt, wo sie genau weiß, dass sie Panik bekommen wird, es aber aus der Entwicklung der letzten Wochen heraus schaffen wird, handlungsfähig zu bleiben. Es ist praktisch das erste Mal, dass sie die Panik überwindet, weil sie handeln muss. Das ist natürlich auch so eine Situation, wie wir sie in unserer Lebensrealität nicht oft haben, wo es plötzlich um alles geht...

Aber vielleicht kann ich mit der Lähmung arbeiten, die du beschreibst, und die Szene so aufbauen, dass sie es nach und nach schafft sich millimeterweise zu bewegen, hmm *grübel*

Eine Szene, wo die Panik ihr alle Ressourcen raubt, und danach aufhört, habe ich schon. Das war chronologisch kurz davor. Da hat sie sich gezwungen, Wasser zu atmen, und hat es durchgehalten, war dann aber total erledigt und konnte sich fast nicht mehr rühren unter Wasser. Jetzt soll sozusagen der nächste Schritt kommen, wo sie über sich hinauswächst.

Araluen

Dazu müsste sie dann schon vor der Panik wissen, dass es jetzt um alles geht, denn während der Panik, ist der Verstand ein grauer Wattebausch, in den weder etwas rein noch raus geht. Sie würde sich also nicht aus der Panik rauskämpfen. Denn wenn sie soweit ist, dass sie wieder denken kann, ist das Gröbste schon geschafft zumindest nach meiner Erfahrung. Es ginge also eher darum, die Angst niederzuringen, bevor sie die Oberhand gewinnt und zur Panik wird.
Ich hatte einmal beim Wandern eine Panikattacke. Man muss dazu sagen, dass ich stark ausgeprägte Höhenangst oder eher Angst vor dem Fallen habe. Ich habe kein Problem damit auf einen Turm raufzugehen und mir die Landschaft anzuschauen, wenn dort eine stabile Brüstung ist, vornehmlich aus Beton oder Metall ;) Ist das Konstrukt aus Holz oder gibt es gar keine Brüstung, sieht das bei mir schon wieder anders aus. Da rattert bei mir fröhlich das Kopfkino mit Szenarien meines baldigen Endes, die sich gegenseitig überbieten wollen. Zurück zum Wandern. Es war ein schmaler Pfad - links Abhang, rechts Steilhang. Mein Sohn lief vor mir und stolperte. Es passierte rein gar nichts. Er fing sich problemlos ab und kam nicht einmal in die Nähe der Kante. Aber bei mir setzte alles aus. Mein Kopf kannte nur ein Szenario - mein Kind stürzt in die Tiefe - und schaltete quasi ab. Ich bin wohl kalkweiß geworden, habe gezittert, konnte mich minutenlang nicht rühren und hatte Schnappatmung wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ganz langsam hab ich die Kontrolle über mich zurückgekriegt vor allem dank des Zuspruchs meines Mannes, der irgendwann durch die graue Watte drang, und konnte dann mit meinem Sohn zurück zum Hauptweg (der hatte eh keinen Bock zu laufen), während mein Mann mit unserer Tochter sich noch den Wasserfall angeschaut hat. Diese Angst ist mir nicht neu, war sie schon damals nicht. Trotzdem gehe ich mit meiner Familie in eine Klamm, wage mich auf für mich zweifelhaft aussehende Stege, weiche Gegenverkehr auf Pfaden aus, die gerade breit genug für eine Person sind, und klettere irgendwelche Hühnerleitern hoch. Ich tänzle dabei regelmäßig auf dem Grat, dass nichts mehr geht und ich mich nicht mehr rühren kann. Aber mit Atmung und Fokussierung auf einen Punkt (entweder tatsächlich optisch oder auf einen Gedanken) geht es.

Sunflower

Dieses Kopfkino, das Araluen beschreibt, kenne ich auch gut. Ich kann bei dem Thema wirklich nur sehr subjektiv berichten und meine letzte "richtige" Panikattacke ist glücklicherweise schon einige Jahre her. Aber dieses Vorstadium kenne ich ganz gut. Ich habe aus Gründen eine Diagnoseangst, wenn man das so nennen kann. Zum Arzt gehen ist für mich gar kein Problem, aber jedes Mal, wenn ein Testergebnis von z.B. einem Bluttest aussteht, breche ich im Vorfeld halb zusammen. Ich bin dann zu gar nichts mehr in der Lage, es ist wirklich wie ein Wattebausch, wie Araluen schreibt. Beispielsweise habe ich vor kurzem einen Blut-Allergietest gemacht und sollte dann ein paar Wochen später für meine Ergebnisse anrufen. Habe ich gemacht, die Arzthelferin sagte dann, ja, die Ergebnisse sind da, die Ärztin ruft mich in der Mittagspause an. Und dann ging es los ;) Ich war zum Glück zuhause, weil ich allermeistens von zuhause aus arbeite, aber in dieser einen Stunde circa war ich zu gar nichts mehr in der Lage. Mein Kopf hat mir alle möglichen Horrorszenarien geliefert, was für gruseliges Zeug sie jetzt zufällig in meinem Blut gefunden haben könnten. Das ist ein Bild nach dem anderen, ich komme da auch ganz schlecht wieder raus. Irgendwo hat ein Teil von mir schon noch kapiert, dass das nur ein Allergietest ist, dass da gar nichts gruseliges sein kann und ich meine Allergien außerdem seit Jahren kenne. Es ging wirklich nur darum, wie wir bei der Hyposensibilisierung vorgehen, das war nichts Überraschendes, nichts Schlimmes, gar nichts. Aber bis die Ärztin dann endlich angerufen hat, konnte ich nur auf dem Sofa sitzen und im Internet danach googlen, was man potenziell bei Blutallergietests finden kann, und so weiter. Das hilft so ein bisschen, wenn ich besser einschätzen kann, was passiert, aber zum Arbeiten oder so war ich überhaupt nicht in der Lage. Mein Herz rast in dieser Zeit dann auch, ich atme relativ schnell, und diese Gedankenschleifen lassen sich extrem schwer unterbrechen. Wenn es dann soweit ist, also wenn z.B. die Ärztin anruft, funktioniere ich irgendwie - aber es fühlt sich alles an, als würde das nicht mir passieren, sondern ganz weit weg.

Und klar, im Nachhinein sehe ich jedes Mal, das war ja gar nicht schlimm, es ist wieder alles gut, es ist wieder nichts Schlimmes passiert. Ich weiß, wo das herkommt, ich weiß, dass diese Gedankenschleifen kein richtiger Teil von mir sind, dass das eine Reaktion meines Gehirns auf diese Art Situation ist, ich kann das alles ganz rational erklären. Ich höre deswegen auch nicht auf, zum Arzt zu gehen. Z.B. habe ich alle sechs Monate einen Bluttest wegen was anderem (nicht schlimm) und mache das immer brav. Aber ich erwarte jedes Mal, dass was Schlimmes passiert.

Ich glaube, was ich damit sagen will ... zumindest bei mir sehe ich nicht, dass das "von allein" weggeht oder nur, weil ich mich jetzt schon so oft überwunden habe, ist es irgendwann weg. Der Grund für diese Angst ist jetzt sieben Jahre her und es ist besser geworden, ich sitze eben nicht mehr hyperventilierend auf dem Sofa, aber es ist nicht weg. Und ich war als Jugendliche in Therapie wegen Ängsten, ich habe Strategien, um damit umzugehen, aber es ist wirklich immer ein "Umgehen". Es ist nicht weg. Ich kann nur damit leben, ich habe es so einigermaßen im Griff, ich kann es einordnen und funktioniere. Aber dieses magische Besiegen von Ängsten in manchen Geschichten sehe ich sehr kritisch. (Ich meine, vielleicht mache ich auch irgendwas katastrophal falsch?) Ich will gar nicht sagen, dass du das vorhast - dass du dich hier erkundigst, zeigt ja, dass du dich sehr ernst mit dem Thema auseinandersetzt. Aber zumindest in meiner Erfahrung habe ich es noch nicht erlebt, dass eine Angststörung einfach verschwindet. Ich kenne meine Ängste, ich kann mit ihnen umgehen, ich kann sehr gut mit ihnen leben, aber da sind sie halt trotzdem.
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Churke

Ich habe (?) Klaustrophobie. Nehme immer die Treppe, auch in den 20. Stock. Das Schlimmste ist das Wissen, sich in diese Lage freiwillig hineinbegeben zu haben. Wenn sich die Aufzugtür schließt, könnte ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen, dass ich so blöd war und eingestiegen bin. Daraus folgen Vermeidungsstrategien.

Nun kann ich mir solche Rixe aus beruflichen Gründen nicht leisten. Wenn ich den Knast gehe oder in einen Haftraum, muss ich mich einschließen lassen. Erst versuchte ich mich abzulenken, nicht daran zu denken, dass ich gerade in einer Zelle eingeschlossen war. Die Phobie lässt dann nach einiger Zeit deutlich nach und man stellt fest, dass es sich im Knast aushlalten lässt.

Phobien überwindet man, indem man sich der Situation stellt und sie meistert. Wäre man dazu in der Lage, hätte man aber keine Phobie. Der Typ, der mal eben auf den Fernsehturm hochfährt, um seine Höhenangst zu kurieren, hat keine Phobie. Es braucht eine Aufgabe, für die man sich der Angst stellen muss.

Christopher

Ruhe bewahren, Schock bekämpfen. Heißt es bei uns. Für mich ist das in extrem stressigen/beängstigenden Situationen die Anleitung dafür, erst mal kurz inne zu halten und durchzuatmen. Dass etwas so schnell geht/gehen muss, dass man nicht ein paar Sekunden Zeit hat um durchzuatmen und nachzudenken, ist selten. In solchen Fällen wird aber auch einfach gar nicht gedacht, sondern reflexartig gehandelt.

...und dann gibt es in meinem Kopf mehrere Gedankengänge und Gefühle, die miteinander im Clinch liegen. Angst, Reflexe, Emotionen und co. Irgendwo dazwischen ist aber eine Stimme, die rein rational denkt und WEISS, was jetzt das richtige wäre. Dann ist ein Ruck notwendig, alles andere auszublenden und stoisch das zu tun, was diese Stimme sagt. Darauf vertrauend, dass es das einzig vernünftige ist, mir das eigentlich klar ist und all die anderen Dinge die durch den Kopf gehen falsch oder möglicherweise sogar gefährlich sind. Das lässt die Gefühle nicht verschwinden, ich kann mich dabei durchaus absolut schrecklich fühlen, Angst haben etc. aber ich vertraue einfach diesem rationalen Teil meines Denkens und handel danach.


Und: Ich finde es alles andere als schlecht geschrieben  :pompom:

Be brave, dont tryhard.

Azora

Zitat von: Araluen am 20. November 2020, 10:58:18
Es ginge also eher darum, die Angst niederzuringen, bevor sie die Oberhand gewinnt und zur Panik wird.

@Araluen Ja, ich denke genau darum geht es! Das klingt genau richtig getroffen! (mir wurde übrigens ganz schlecht bei deiner Beschreibung, kann das sehr gut verstehen...)

@Sunflower danke fürs Teilen. Ja das ist auch ein interessanter Aspekt, dass das nie so richtig vorbei ist. Das muss ich mir nochmal genau überlegen. Denn in meiner Geschichte ist schon eine ziemliche Veränderung im Verhältnis zur Angst gefragt, sonst ist der Rest der Geschichte nicht so möglich. Aber ich glaube ich muss so was einbauen, dass ein Rest davon bleibt, dass es sie vielleicht doch manchmal noch packt, nur für einen Moment...

@Churke danke! Ja das ist wohl die Krux bei der Sache. Meine Prota ist im Prinzip genau in so einer Situation. Sie MUSS jetzt! Das mit der Wut auf sich selbst ist auch spannend, das kann ich auch gut einbauen.

@Christopher danke für die Schilderung. Ja das mit den parallelen Stimmen ist interessant, und ich denke damit hab ich intuitiv schon gearbeitet. Danke - ich habe es jetzt trotzdem nochmal umgeschrieben. Ich war nicht so ganz zufrieden damit, dass sie die Angst durch ihren "Willen" niederringt, da habe ich meine Zweifel, ob das so geht, das erinnert mich ein bisschen an das von Sunflower bemängelt magische Auflösen der Ängste, die dann total verschwinden. Aber trotzdem danke  :vibes:

Waffelkuchen

#9
Zitat von: Sunflower am 20. November 2020, 11:23:56Aber zumindest in meiner Erfahrung habe ich es noch nicht erlebt, dass eine Angststörung einfach verschwindet. Ich kenne meine Ängste, ich kann mit ihnen umgehen, ich kann sehr gut mit ihnen leben, aber da sind sie halt trotzdem.
Das würde ich aus meiner persönlichen Erfahrung auch so unterschreiben. Ich kann mit meinen Ängsten umgehen und meistens kann ich unabhängig von ihnen entscheiden, etwas trotzdem zu tun (wo ich früher mehr oder weniger handlungsunfähig war und komplett in die Vermeidung gegangen bin). In manchen Bereichen sind sie durch viele, viele Wiederholungen auch kaum noch spürbar, aber wenn ich ein bisschen in mich reinhöre, weiß ich selbst da: Die sind noch dabei, sie haben halt nur mittlerweile eine Kabine am hinteren Ende vom Schiff und stehen nicht mehr am Steuer.

Auch vor Therapie usw. war es bei mir aber so: Wenn ich es irgendwie geschafft habe, mich einer Situation zu stellen, die eigentlich extrem angstbesetzt war (bestes Beispiel sind Vorstellungsgespräche), habe ich immer funktionieren können. Nur halt so, wie Sunflower das auch beschreibt: Ich bin gar nicht richtig da (klar, der Teil der Angst hat muss in dem Moment zur Seite treten, sonst wird das mit dem Funktionieren nichts).

In der Therapie ging es bei mir viel darum, mich innerlich an die Hand zu nehmen und diesen Angstteil nicht abzuspalten und zu verurteilen, sondern so gut wie möglich zu integrieren. Das ist auch das Einzige, was neben eben immer-wieder-machen (und das funktioniert nicht bei allem) dabei hilft, mich nicht ganz schrecklich zu fühlen, wenn ich in solche Situationen reingehe.
Ich heb mein Glas und salutier dir, Universum / Dir ist ganz egal, ob und wer ich bin
Du bist ungerecht und deshalb voller Hoffnung / Ich setze alles, warte auf den Wind
Fremde - Max Herre, Sophie Hunger

Lothen

ZitatIch frage mich halt, wie meine Protagonisten das erleben würde, dass sie sich praktisch mit offenen Augen in eine Situation begibt, wo sie genau weiß, dass sie Panik bekommen wird, es aber aus der Entwicklung der letzten Wochen heraus schaffen wird, handlungsfähig zu bleiben. Es ist praktisch das erste Mal, dass sie die Panik überwindet, weil sie handeln muss. Das ist natürlich auch so eine Situation, wie wir sie in unserer Lebensrealität nicht oft haben, wo es plötzlich um alles geht...
Wenn sich sich vorbereiten kann, hilft das natürlich sehr. Das Problem an Panikattacken ist, dass sie oft unvorhergesehen kommen ohne konkreten Auslöser und sich Betroffene nur schwer darauf vorbereiten können.

Wie @Arcor bereits sagte: Was du beschreibst ist - im psychologischen Sinne - eher eine Angstattacke. Sie weiß, wovor sie sich fürchtet, und es gibt einen klaren, konkreten Auslöser dafür. Panikattacken sind oft diffuser. Im Alltagsgebrauch unterscheidet man das natürlich etwas weniger stringent, da wird "Panikattacke" einfach als Steigerungsform von "Angstattacke" betrachtet. Im strengen psychologischen Sinn sind das aber zwei paar Schuhe.

Ich würde mich auch auf den Aspekt konzentrieren, den meine Vorposter*innen schon genannt haben: Das innere Ringen mit sich selbst, diesen Konflikt zwischen "funktionieren müssen" und "Angst haben". Die Angst wird da sein, sie im Text komplett auszublenden, halte ich nicht für logisch. Aber es ist durchaus möglich, dass es der Prota gelingt, handlungsfähig zu bleiben. Ich weiß nicht, ob das in dem Fall zutrifft, aber oft ist es auch so, dass Menschen mit Phobien bestimmte Situationen (in ihrem Fall ins Wasser gehen) lange meiden. Sie hat also vielleicht auch eine falsche Vorstellung von der Situation (z.B. könnte sie glauben, dass sie sofort Wasser schlucken und dann keine Luft bekommen wird). Wenn das nicht eintritt, hilft es vielleicht, die Angst im Griff zu behalten.

Jen

Person mit Panikstörung hier, hi.  :winke: Es ist schon ganz viel Gutes gesagt worden, ich möchte auch ein wenig zusammenfassen/beisteuern.

Eine Panikattacke ist nicht immer an spezielle Auslöser gekoppelt, sondern kommt auch manchmal "aus dem Nichts", insbesondere in ruhigen Momenten, wenn eigentlich alles in Ordnung ist und man nicht weiß, woher das ungute Gefühl gerade kommt.

Hier ein paar Symptome:
- Innere Unruhe (ich merk das im Bauch, wie ein Kolibri), Zittern der Hände, Zittern der Beine
- schwere Arme, Druckgefühl auf dem Körper, als wäre die Gravitation stärker
- Herzrasen, Herzstolpern, auch verbunden mit Brustschmerzen, die sogar bis in den linken Arm ziehen können und sich dann wie ein Herzinfarkt anfühlen
- Erstickungsangst, Hyperventilation (damit verbunden: "Nicht mehr richtig durchatmen können", kribbelnde Lippen, das ging bei mir mitunter tagelang, oft verbunden mit einem richtig krass angespannten Bauch, wodurch man grundsätzlich flach atmet)
- Schwindel, Derealisation
- Schwitzen, feuchte Hände vor allem
- Sturzangst, Ohnmachtsangst, ein Gefühl des Fallens (nicht ganz wie Schwindel, oder wie heftiger Schwindel, der dich wie ein Welle hittet)
- Übelkeit, Angst vor dem Erbrechen, auch sowas wie Blähungen, Völlegefühl, Unruhe, Magengrummeln, Krämpfe
- brennende Augen
- Missempfindungen der Haut in allen Variationen, z.B. Jucken, Stechen, Ziehen
- Muskelverkrampfungen
- Ohrgeräusche

Die erste Panikattacke ist oft die schlimmste, weil man nicht weiß, was passiert. Irgendwann ist es "nur noch" unangenehm, selbst wenn neue Symptome hinzukommen weiß man irgendwann "Aha, das ist der Auslöser, wart erstmal ab".

Oh, und ganz wichtig: Es wurden fast noch nie Panikattacken beobachtet, die länger als eine halbe Stunde gedauert haben. Manche Symptome wie z.B. das flache Atmen oder die Muskelkrämpfe können sich aber über mehrere Tage oder Wochen ziehen.
Guilty feet have got no rhythm.

Azora

oha, gerade noch mal hier reingeschaut, danke für eure Antworten @Jen @Lothen @Waffelkuchen
Das ist wirklich super hilfreich!!
Ich denke in der Tat, dass es dann eher eine "Angstattacke" ist, vor allem in der Form, in der sie in der Szene auftritt. Also so wie Lothen beschreibt, ein Ringen mit der Angst, das ist im Prinzip das, worum es in der Szene geht.
Ich denke beim Überarbeiten prüfe ich dann nochmal, ob das ganze Thema der Angst/Panik bei meiner Protagonistin so stimmig ist, und auch vor allem diese Szene des Überwindens.

Sanjani

Hallo @Azora,

ich wollte mal noch ein bisschen klugscheißerlike fachliches Hintergrundwissen ergänzen und was fragen:

Was hier geschildert wurde, dieses überwältigt werden von Gefühlen und Symptomen und nicht mehr klar denken können, hat etwas mit der Intensität der Reaktion zu tun. Man stelle sich eine Skala von 0-10 vor, wobei 0 keine Angst und 10 maximal vorstellbare Panik ist. Ab etwa 7 kommt man in einen Zustand, den wir Psychotherapeuten manchmal als "nicht mehr denkfähig" bezeichnen. Da ist man dann dominiert von der rechten Gehirnhälfte und der Amygdala und dem limbischen System. Unser präfrontaler Kortex, der fürs logische Denken zuständig ist, ist praktisch ausgeschaltet. Klassisches Beispiel: Dein Kind verletzt sich schwer und dir fällt partout nicht mehr die Notrufnummer ein. Es gibt den umgekehrten Fall übrigens auch, dass Leute funktionieren und überhaupt nichts spüren, z. B. höre ich so was von Feuerwehrleuten, die in brennende Häuser gehen. Die können denken und planvoll handeln, weil der präfrontale Kortex läuft, spüren aber nix, weil die rechte Gehirnhälfte nicht wirklich läuft.

Ich habe deine Szene nun so verstanden, dass sie sich bewusst in diese Szene hineinbegibt. Da wäre meine Frage, ob sie jemanden kennt, der ihr hilfreiche Ratschläge geben kann. Wie schon gesagt wurde, ist richtiges Atmen eine hocheffektive Methode, um Ängste zu reduzieren. Sie wird dann vielleicht nicht angstfrei sein, aber so, dass sie weiter denkfähig bleibt. Eine weitere Übung, die ich mit Patienten gern einübe, ist die Wahrnehmungsübung. Dabei fokussieren die Menschen sich abwechselnd nach innen und nach außen. Also erst nach innen, zählen sich innerlich auf, welche Symptome sie erleben, welches Gefühl und wie hoch es auf der Skala ist. Dann schauen sie sich außen um, zählen sich innerlich auf, was sie sehen, zählen fünf rote Dinge oder drei runde Dinge auf oder beschreiben sich einen Gegenstand in allen Details und gehen dann zurück zu ihrem Inneren. Gegen Hyperventilation hilft auch so etwas wie durch geschlossene Lippen ausatmen. Vielen meiner Patienten helfen diese Dinge schon sehr, v. a. weil sie das Gefühl haben, sie können etwas gegen ihre Ängste / Symptome tun und sind ihnen nicht ausgeliefert. Das einzusetzen würde wohl aber nur Sinn machen, wenn sie jemanden hätte, der ihr so etwas sagen oder erklären könnte.

LG und viel Erfolg

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Azora

@Sanjani
vielen Dank für deine ausführliche Beschreibung! Das ist sehr interessant, und ich werde bei der Überarbeitung mal überlegen, ob ich so was einbauen kann, oder noch besser, das mit etwas verbinden kann, was ihr vielleicht eine wichtige Person aus ihrer Vergangenheit gesagt hat...  :jau: