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Triggerwarnungen - wichtig oder überflüssig?

Begonnen von FeeamPC, 15. September 2019, 21:40:08

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Evanesca Feuerblut

@Barra Ich sehe das nicht als großen Mehraufwand - im Falle des Patreon-Romans editiere ich beispielsweise das Kapitel sowieso, ehe ich es poste und lese es dabei komplett. Dabei die CN rauszuschreiben und einen Aspekt mehr zu berücksichtigen, ist kein zu großer Mehraufwand. Und meine älteren Bücher muss ich wegen Plattformwechsel auch sowieso mal wieder durchsehen, es ist also etwas, das bei mir sehr selbstverständlich mitläuft inzwischen.

Zum Thema Verlag: Der Verlag von "Stahllilie" hat absolut wohlwollend aufgenommen, dass ich welche reingepackt habe. Gerade im Bereich Klein- und Kleinstverlage machen das immer mehr. Wie das bei den Großen aussieht, weiß ich allerdings nicht.

Alana

#136
Auch Großverlage machen das mittlerweile und begrüßen es sogar. Ich lasse euch als Beispiel gerne mal meine aktuelle CN aus meinem nächsten Roman bei Knaur da. Vorne im Buch wird darauf hingewiesen, der Text steht dann hinten.

Ich habe diesen Text nach langer Recherche und Gesprächen mit Betroffenen erstellt und hoffe, dass er vielen Leuten hilft, einzuordnen, ob sie das Buch lesen möchten. Viele haben zum Beispiel berichtet, dass ein sensibler Umgang mit einem Thema und eine positive Auflösung ein triggern verhindert, deshalb bin ich darauf eingangen, wie die Themen im Buch verarbeitet werden. Außerdem wurde berichtet, dass eine Liste quasi dazu einlädt, sich selbst zu triggern, daher habe ich einen Fließtext erstellt und auch darauf hingewiesen. Auch die Nennung von Seitenzahlen kann Leute dazu bringen, sich selbst zu verletzen, indem sie sich absichtlich triggern, obwohl sie das eigentlich nicht wollen. Deswegen habe ich auf eine Nennung der Seitenzahlen verzichtet. (In diesem Sinne stimmt also ein "eine Triggerwarnung kann ja nicht schaden" nicht! Es ist also wichtig, sich auch damit auseinander zu setzen, wie man es macht und wie man solchen Mechanismen evtl. vorbeugen kann.)

Hinweis: das ist die noch nicht ganz perfekt formulierte, erste Fassung und soll nur als Anhaltspunkt für euch dienen, die andere finde ich leider gerade nicht.

Sie gehört übrigens zu meinem Buch "Du und ich ein letztes Mal". Wer das Buch lesen möchte und sich nur im Rahmen eines Beispiels für diese CN interessiert, sollte nur den Anfang lesen, die Aufzählung dann aber nicht mehr.

ZitatLiebe*r Leser*in,

wenn du weißt, dass bestimmte Themen oder Situationen bei dir ungewollte Reaktionen auslösen können, findest du hier eine Aufstellung einiger sensibler Themen und ihrer Verarbeitung im Buch. Wir haben uns Mühe gegeben, alle vorhandenen Trigger aufzulisten, aber was einen Menschen triggert, kann so vielfältig sein, dass wir dich dennoch bitten, selbst auf dich zu achten und immer damit zu rechnen, dass eine solche Aufstellung nicht vollständig ist.

ACHTUNG: Wenn du nur neugierig bist, überleg dir noch mal, ob du die Aufstellung wirklich lesen möchtest, bevor du das Buch gelesen hast. Es werden einige inhaltliche Aspekte vorweggenommen, was dein Leseerlebnis beeinflussen könnte.

Die Inhaltswarnung ist in Textform und nicht als Liste verfasst, damit du dich nicht aus Versehen durch das Aufschlagen dieser Seite triggerst.

Umgang mit schwierigen Themen in dieser Geschichte:

Alle hier genannten Themen werden im Buch von den Figuren aufgearbeitet und schließlich positiv abgeschlossen. Es ist ein wichtiges Ziel aller meiner Bücher, zu zeigen, wie man mit einer schwierigen Lebens-Situation umgehen und sie positiv verarbeiten kann, ohne sie jedoch zu romantisieren oder als reines Dramaturgie-Werkzeug zu missbrauchen. Dabei liegt immer sorgfältige medizinische Recherche zugrunde, die die Realität berücksichtigt, in die Auflösung einbezieht und nicht verharmlost.

Inhaltswarnung

In dieser Geschichte finden sich: bildliche Beschreibungen von Suizidgedanken an einigen wenigen Stellen, ebenso an einigen wenigen Stellen Erwähnung von Suizid und entsprechendem Vokabular. Es wird kein Suizidversuch direkt dargestellt, jedoch rückblickend ein positiv aufgelöster Suizidversuch erwähnt und teilweise bildhaft beschrieben.

Desweiteren finden sich sehr bildhafte Beschreibungen in Verbindung mit einer bipolaren Störung, Sehnsucht nach einem Leben ohne Tabletten und bildliche, emotionale Darstellungen der manischen Phase so wie der Depression. Dieses wird, wie oben beschrieben, am Ende in Kontext gesetzt und entsprechend "gesund" aufgelöst. Ein Leben ohne Medikamente oder Behandlung der Krankheit wird nicht als erstrebenswert dargestellt.

An einigen wenigen Stellen wird eine ungewollte Schwangerschaft erwähnt, diese ist ein wichtiger Punkt in der Vergangenheit einer Figur, nimmt jedoch in der Handlung keinen großen Raum ein.
Alhambrana

Cooky

@Alana
Danke für die Erklärungen und dieses Beispiel. Da gehst du sehr einfühlsam an die Sache heran. Die Aufbereitung in Textform statt Liste hilft wirklich, nicht schon im Vorfeld über die entsprechenden Themen zu stolpern.

Barra

Danke für deinen Beitrag @Alana
Zitat(In diesem Sinne stimmt also ein "eine Triggerwarnung kann ja nicht schaden" nicht! Es ist also wichtig, sich auch damit auseinander zu setzen, wie man es macht und wie man solchen Mechanismen evtl. vorbeugen kann.)
Schade, dass du das in Klammern gesetzt hast, erscheint es mir doch als Kernaussage deiner Herangehensweise.
Das mit der "ungewollten Schwangerschaft" habe ich nur beim Querfliegen gelesen. Ehrlich gesagt, ist mir das einfach zu lang als Statement. Der Entwurf liest sich wie ein Spoiler im Spoiler im Spoiler vor dem jedes Mal Achtung, Vorsicht, Warnung steht. Für meinen Teil ist das zwar unglaublich rücksichtsvoll und ich sehe ein, dass ein bloßes Hinklatschen einer Liste, wie ich es präferieren würde, nicht der sensibelste Umgang ist, aber diese Ausführung finde ich eben auch zu viel. Nicht was die Empathie und Vorsicht betrifft, sondern einfach die Textwand an sich. (Dasselbe Problem habe ich mit Vorwörtern. Sind die länger als 1-2 Seiten, hör ich auf und überflieg nur noch.) Aber das ist vielleicht nur mein Ding. Ich mag es nicht mich erst durch etwas durchwühlen zu müssen.
Toll, dass du das mit uns geteilt hast und da schon so viel Arbeit reingesteckt hast an Recherche.

Tasha

Danke @Alana ich finde das sehr hilfreich. So könnte ich mir das bei mir auch vorstellen.
We are all in the gutter, but some of us are looking at the stars (Oscar Wilde)

Alana

#140
Freut mich, dass ihr es hilfreich findet.  :vibes:

@Barra Man kann es halt nicht jedem recht machen und jemand, der es einfach überfliegt und die Zeit nicht investieren will, den betrifft es dann vielleicht auch nicht und er kann und sollte das Lesen dann auch bleiben lassen, weil es ja nicht für ihn gedacht ist. :)
Alhambrana

Evanesca Feuerblut

Ich glaube, so ein Fließtext funktioniert, wenn man wenige (dafür aber größere) Themen hat, die den Plot stark dominieren. Das mit "Das Thema ist enthalten, wird aber nicht romantisiert oder verharmlost" finde ich enorm wichtig und eventuell mache ich sowas Ähnliches für "R0mEO und Julz", wenn das Buch als Gesamtausgabe erscheint (bisher wird es ja kapitelweise gepostet), weil es da einige große Themen gibt und darüber hinaus noch pro Kapitel auszuweisende weitere Dinge.

Für mich spricht für eine Liste die Barrierearmut - wenn ich schauen will, ob "meine" Problemfelder vertreten sind, verschwimmt es mir vor Augen, wenn ich dazu Fließtext lesen soll, um rauszufinden, ob da etwas enthalten ist, was mir schaden könnte. Aber ich habe schon überlegt, ob es einen Weg gibt, beides anzubieten, um den verschiedenen Bedürfnissen entgegenzukommen. Denn ja, dass es anderen bereits schaden kann, die Auflistung zu lesen, ist mir bewusst und ein Problem, für das ich bisher keine Lösungsansätze hatte.

Von einer Person weiß ich, dass da ein Begleitbüchlein angeboten wird (https://www.karlabyrinth.org/stories/Myrie.html - man muss ein bisschen scrollen, dann kommt man zu den Content Notes), das beides bietet. Einmal eine Liste und einmal dann die Einordnung, in welcher Form etwas passiert für Leute, die sich zur Absicherung spoilern lassen wollen/müssen.

Coppelia

#142
Mal ne Frage: Gibt es eine Content-Note-Formulierung für Inhalte, die religiöse Menschen als anstößig empfinden könnten? Ich habe so einen Fall in "Nebelritter", wo ja so eine Art katholische Kirche, wenn auch eine Fantasyversion davon, in der Antagonistenrolle ist. Zwar hat schon ein religiöser Mensch gegengelesen und meint, es wäre nicht so schlimm. Aber unter uns Pastorentöchtern gesagt (und das wirklich), ich weiß, dass es schon harter Tobak sein kann.
Ob das jemanden triggern würde, kann ich nicht beurteilen, aber es gibt sicher hin und wieder Menschen, die den Roman dann nicht mehr lesen wollen würden.
Oder wäre das eurer Meinung nach kein Fall für Content Notes?

Koboldkind

Diskriminierung wegen der Religion steht im Grundgesetz, also für mich ein klares Ja. Gleich ob die Diskriminierung einzelne Charaktere betreffen oder eine gesamte Glaubensgemeinschaft verteufelt wird. Eine "katholische" oder "muslimische" Religion als Antagonisten hinzustellen fällt mir in meiner distanzierten, kritischen Religiösität nicht weiter schwer und ich gehe davon aus, dass meine Leserschaft keine allzu enge Bindung zum Glauben hat (ich meine, welcher gute Christ würde Harry Potter auch nur anrühren  ::) ). Aber es kann passieren bzw. es kann zur Diskussion kommen - in dem Bewusstsein würde ich schon eine CN "Religiöse Kritik bzw. Gewalt" reinnehmen.
... im Computerspiel Greedfall gibt es auch die "katholischen" Kolonisten auf der neuen Insel. Als man deren Stadt das erste mal betritt ist die erste Cutszene gleich eine Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, während nebenan ein Einheimischer gezwungen wird, seinen alten Göttern abzuschwören. Und so geht es mit denen immer weiter. Abgesehen von der expliziten Gewalt und Ermordung, und selbst wenn ich argumentiere, dass es eine "historische" Darstellung sein soll - als allgemein religiöser Mensch kann ich mich hier schwer beeinflusst fühlen. Und jetzt stell ich mir vor, wie sich jemand fühlen muss, der Opfer der "Aufarbeitungsversuche" der katholischen Kirche ist. ... yeah.
(Erinnert mich daran, dass Ubisoft vor den Assassins Creed Spielen indirekt auch immer eine CN hat, dass dieses Spiel historisch inspiriert ist und von einem multireligiösen Team erstellt wurde.)
Wer jetzt nicht wahnsinnig wird, muss verrückt sein.

Coppelia

#144
Ich bin nicht sicher, ob das die Richtung ist, in die es bei mir geht, aber ich denke noch mal drüber nach. "Religionskritische Inhalte" wäre vielleicht eine okaye Richtung, aber sinngemäß geht es bei mir eher um die Institution der Kirche und ihren Machtmissbrauch und nicht die Religion selbst, und das war auch nicht das eigentliche Problem, das ich gesehen habe (auch wenn es ggf. eins ist). Es geht eher um eine konkrete Szene, die religiöses Empfinden verletzten könnte (wie etwa die "Schändung" eines Kruzifix oder so). Aber wohl wahr, wer sich daran stört, hätte wohl auf die anderen Inhalte auch nicht so viel Lust. ;)

Danke jedenfalls für deinen Input, @Koboldkind.

Koboldkind

Oh ja, Schändung von Glaubensgegenständen sind immer einen Aufreger wert.
Nachtrag: Habe in Greedfall gestern erfahren, dass es schon Blasphemie sein kann, die Glaubensvertreter nicht zu respektieren oder als Lügner zu bezeichnen. War mir neu, oder es ist bei den Evangelen kein Ding. Insofern ja, "Religionskritische Inhalte" sind denke ich eine CN wert.
Wer jetzt nicht wahnsinnig wird, muss verrückt sein.

Coppelia

Die Antwort ging bei mir irgendwie unter ...

Die CN kommt dann entsprechend rein, ich werde aber "religions- bzw. kirchenkritische Inhalte" schreiben, auch wenn meine Version natürlich nicht exakt der Katholischen Kirche entspricht. Denn ich kritisiere nicht, dass Menschen religiös sind, sondern mehr den Machtmissbrauch der Institution.

Aber was mir noch wichtig ist zu sagen: Menschen nicht zu respektieren oder als Lügner zu bezeichnen, ist in meinen Augen per se problematisch. Und wenn das gegenüber Repräsentant*innen von Religionen geschieht, ist das nicht anders und natürlich nicht nur für die Menschen selbst, sondern auch für die Gläubigen verletzend. Das gilt natürlich auch fürs Christentum.
Das heißt aber nicht, dass ich gegen religionskritische Inhalte wäre. Das Christentum, katholisch und evangelisch, ist wichtiger Bestandteil der europäischen Geschichte und Kultur (wenn natürlich nicht nur der europäischen). Wir alle sind von diesem Hintergrund geprägt, selbst wenn wir nicht christlich erzogen wurden und keiner Religion angehören. Daher finde ich die kritische Auseinandersetzung so wichtig. Und sie ist in meinen Augen auch noch immer aktuell. Vor Kurzem hat z. B. der Papst erklärt, homosexuelle Paare könnten keine Segnung erhalten. Wir mögen denken "red nur, alter Mann", aber auf der Welt sind ziemlich viele Menschen katholisch, und diese Aussage ist sicher für einen Teil von ihnen bedeutsam.

Aber das war gar nicht Thema, glaube ich, sorry, wenn ich übers Ziel hinausgeschossen bin. ;D

Ilva

Vielen Dank für die spannenden Diskussionen!
Ich habe das Glück, dass ich keine spezifischen Trigger habe (schlimme Szenen in Filmen schaue ich durch die Finger und in Büchern überfliege ich unangenehme Szenen) und ich habe hier und im Sensitivity-Reading-Thread eine Menge gelernt. Ich wusste z.B. nicht, dass ein einziges geschriebenes Wort eine so heftige Reaktion auslösen kann. In Zukunft werde ich besser darauf achten.

Ich hätte eine konkrete Frage, weil sie für die schon genannte Ausschreibung relevant ist:
In der tollen Liste mit Beispielen (bin leider mobil unterwegs und kann nicht nachschauen, von wem die ist, vielen Dank!) wird "Nacktheit" als Trigger genannt:
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Nebeldiener

Ich bin bei diesem Thema geteilter Meinung.

Einerseits kann ich nachvollziehen, dass wenn jemand sexuelle Gewalt erlebt hat, er/sie nicht zwingend ein Buch lesen will, in dem gleiches Thematisiert wird. Andererseits glaube ich aber auch, dass CN's grösstenteils ein Phänomen der heutigen Internetkultur sind.

Heutzutage ist es (zu) einfach auf Seiten wie Reddit, Twitter und Co. in einer Bubble zu verschwinden. Bestes Beispiel dafür sind die ganzen Leute in den USA, die glauben, dass die Erde flach wäre. Muss man jetzt z.B. für die ganzen flat earther eine CN à la: "Vorsicht, in diesem Buch wird die Erde als Kugel dargestellt" einbauen?

Braucht ein Buch von Sebastian Fitzek eine CN wie "Mord, Gewalt, Folter"? Ein Buch wie die Elfen von Bernhard Hennen eine CN wie "Krieg"?

Oder reicht es so wie es z.b. Netflix macht? Bei Ratched schreiben sie einfach: Rated 16+ (violence, sex, nudity).

Ich würde mir bei deutschem Urban Fantasy auch gern eine CN wünschen, die mich davon warnt, dass hier ein männlicher Vampir, Werwolf, etc. nur als sexuelles Objekt für Frauen hinhalten muss. Ob das jetzt aber jede Autorin/ Autor nur meinetwegen einführt, bleibt fraglich.

Aber grundsätzlich könnte man sich auch die Frage stellen, warum Bücher nicht wie Filme unter die FSK fallen.

Fianna

Zitat von: Nebeldiener am 07. April 2021, 15:44:18
Heutzutage ist es (zu) einfach auf Seiten wie Reddit, Twitter und Co. in einer Bubble zu verschwinden. Bestes Beispiel dafür sind die ganzen Leute in den USA, die glauben, dass die Erde flach wäre. Muss man jetzt z.B. für die ganzen flat earther eine CN à la: "Vorsicht, in diesem Buch wird die Erde als Kugel dargestellt" einbauen?

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Ich würde mir bei deutschem Urban Fantasy auch gern eine CN wünschen, die mich davon warnt, dass hier ein männlicher Vampir, Werwolf, etc. nur als sexuelles Objekt für Frauen hinhalten muss. Ob das jetzt aber jede Autorin/ Autor nur meinetwegen einführt, bleibt fraglich.
Warum muss man denn das Thema unbedingt ins Lächerliche ziehen, nur weil man das Glück hat, von nichts getriggert zu werden?  :(