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"Jugendsprache" - Junge TZler vor: Was geht gar nicht? Was ist gut?

Begonnen von serenade, 21. Oktober 2012, 19:06:31

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Eliyanor Aruval

#60
Hm, das Thema ist wohl schon etwas älter. Dabei hab ich auch ne Frage dazu  :-X
Also, in meinem Buch sind die meisten Charaktere, die was mit der Handlung zu tun haben, schon älter (21, 24, 38, 40, 60, 70...) es gibt glaube ich in der ganzen Geschichte nur fünf wichtige Charaktere, die unter zwanzig sind und zwei davon sind auch noch kleine Kinder, fallen also weg. Ein anderer ist der Hauptcharakter, der in etwa so spricht wie ich (also nichts a la "krass" oder so benutzt) und der andere ist so ne Art Autist, fällt also auch weg. Bleibt nur noch der fünfzehnjährige Pit, wegen dem ich das hier poste. Der entspricht nämlich ziemlich dem Bild, das einige ältere Menschen von Jugendlichen haben: Er bekommt nichts auf die Reihe, säuft zu viel, denkt nur an sich, ist ungebildet, denkt nicht an die Zukunft... Und der spricht halt auch ab und zu etwas locker, ist der bisher einzige in der Geschichte, der Sexualität ganz direkt anspricht und keine Andeutungen benutzt (höchstens sehr peinliche Umschreibungen wie "ich habe hier einen Aal, der eine Höhle für die Nacht sucht") und auch mal Schimpfwörter benutzt (aber nichts extrem vulgäres wie F*ck). Er benutzt auch keine Begriffe, die ich als kurzlebig einschätzen würde, sondern so Wörter, die ich schon als Kind kennengelernt habe und heute immer noch oft höre.
Ich denke, an sich ist das mit ihm ganz in Ordnung so, es soll halt zum Audruck kommen, dass er nicht so gut erzogen wurde, im Gegensatz zu den anderen Charakteren, weil er von seinen Eltern eigentlich allein gelassen wurde. Außerdem macht ihn das auch irgendwie sicher sympathisch, dass er so ein kleiner Draufgänger ist. Oder wie seht ihr das? Ich würde da gerne mal die Meinung anderer Autoren zu hören.

Adam_Charvelll

Zitat von: Eliyanor Aruval am 06. Mai 2013, 23:32:50
ist der bisher einzige in der Geschichte, der Sexualität ganz direkt anspricht und keine Andeutungen benutzt (höchstens sehr peinliche Umschreibungen wie "ich habe hier einen Aal, der eine Höhle für die Nacht sucht") und auch mal Schimpfwörter benutzt (aber nichts extrem vulgäres wie F*ck).

Also meiner Erfahrung nach haben gerade Männer der unteren Bildungsschicht Probleme, offen über Sexualität zu reden. Dies wird meistens durch dieses "direkt ansprechen" kaschiert, indem man einfach durch die deutliche Erwähnung derber Ausdrücke provoziert und protzt. Das ist dann zugleich ein Schutzmechanismus, da man weiß, dass das Gespräch dann eh nur auf dieser oberflächigen, machohaften Ebene bleibt und nicht ins Detail gehen kann. Objektiv und sachlich über Sex reden können diese Personen meistens nicht.

Ähnlich ist es bei Schimpfwörtern. Wer viel mit Schimpfwörtern agiert, zeigt nur, dass er sich nicht anders ausdrücken kann. Das würde in mir weniger Sympathie wecken, eher Mitleid.

Zitataber nichts extrem vulgäres wie F*ck

Wenn du F*ck mit u meinst, finde ich das gar nicht vulgär. Das hat sich schon so in unserer Jugendsprache etabliert und wurde durch die inflationäre Benutzung abgeschwächt. Ich selbst sage das wohl rund zehn Mal am Tag, als Ausdruck von Erstaunen oder Ärger  ;D
F*ck mit i ist da schon etwas anderes.


Zitat von: Eliyanor Aruval am 06. Mai 2013, 23:32:50
Ich denke, an sich ist das mit ihm ganz in Ordnung so, es soll halt zum Audruck kommen, dass er nicht so gut erzogen wurde, im Gegensatz zu den anderen Charakteren, weil er von seinen Eltern eigentlich allein gelassen wurde. Außerdem macht ihn das auch irgendwie sicher sympathisch, dass er so ein kleiner Draufgänger ist. Oder wie seht ihr das? Ich würde da gerne mal die Meinung anderer Autoren zu hören.

Ich denke, so wie du das hier schilderst, wird deutlich, dass er keine gute Erziehung bekommen hat. Wie das mit der Sympathie funktioniert, kann ich schlecht sagen. Er könnte mit seiner Unbeholfenheit und Schutzbedürftigkeit sicher Muttergefühle wecken. Bei anderen Menschen ohne diese Gefühle aber vielleicht auch Mitleid, wenn nicht sogar Verachtung.

Churke

Zitat von: Eliyanor Aruval am 06. Mai 2013, 23:32:50
Ich denke, an sich ist das mit ihm ganz in Ordnung so, es soll halt zum Audruck kommen, dass er nicht so gut erzogen wurde, im Gegensatz zu den anderen Charakteren, weil er von seinen Eltern eigentlich allein gelassen wurde.

Ich glaube, seine Sprache wird sich an seinem gleichaltrigen Umgang orientieren. Wenn er zwischen Tennisclub und Musikschule pendelt, ist das sicherlich anders, als wenn er die Tage in zweifelhaften Gegenden abhängt. "Ey, krass, Alder! Bistu schwul oda was?"

Ich finde auch, dass man Figuren durchaus stark zeichnen kann, um da ein wenig Pfeffer rein zu bringen.

Sunflower

Zitat von: Churke am 07. Mai 2013, 09:43:50
"Ey, krass, Alder! Bistu schwul oda was?"

Das Traurige ist, dass ich so einen Ausspruch nicht einmal für überzeichnet halten würde. Wenn du sein niedriges Bildungsniveau betonen willst, kannst du ruhig so eine Sprache verwenden. Wenn man mal in der Nähe von Hauptschülern herumsteht - nein, ich will keine Vorurteile verbreiten, aber dass die Meisten dort so sprechen, ist eine Tatsache - dann wirst du genau solche Aussprüche hören.

Und F*ck mit u sage ich leider auch viel zu oft, das ist heutzutage wirklich nicht mehr so vulgär :)
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Eliyanor Aruval

Also mit Pit ist das so, dass sein Vater der Direktor eines Wanderzirkus ist, was mit seiner Mutter ist, weiß man nicht, er ist reich und verwöhnt, aber Freunde und Geschwister hat er keine, die anderen Artisten sehen in ihm immer nur den "Sohn vom Boss". Zu einem Zeitpunkt vor Beginn des Buches verpennt er die Abreise seiner Leute und irrt von da an alleine durch die Welt und begegnet allerlei zwielichtigen Gestalten und stolpert von einer Katastrophe in die nächste und der Protagonist Silas, dem er immer wieder zufällig begegnet, wird sein erster richtiger Freund und treibt ihm langsam seine Verlogenheit und den Egoismus mit seiner Freundlichkeit aus.
Also man könnte ihn gewissermaßen schon mit den verzogenen Gören irgendwelcher Stars vergleichen, die sich alles erlaubeb, nur weil ihre Eltern reich sind (und keine Zeit für sie haben). Natürlich hat man da Mitleid mit ihm, wie ihr schon sagtet, (das ist ja auch die Urbedeutung von "Sympathie") und ziemlich nervig ist er auch, aber irgendwie nimmt er auch die Verklemmtheit aus den Gesprächen und viele der Lacher gehen auf seine Kosten, weshalb er wohl ein Charakter ist, den man vermissen würde, wenn er weg wäre, so unausstehlich er auch sein kann (und letztendlich ist er ja auch erst 15, auf dem Höhepunkt seiner Pubertät und nur das Ergebnis seiner schlechten Kindheit, Vorwürfe kann man ihm erst machen, wenn er volljährig wird und sich nicht ändert).

Zit

Wenn er der Sohn vom Chef ist, wird er kaum ungebildet sein. Ich gehe eher davon aus, dass der Vater ihn "tyrannisiert", dass Sohnemann mal in sein Stapfen treten soll und ihn entsprechend in solche Richtungen drückt.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Eliyanor Aruval

Zitat von: Zitkalasa am 08. Mai 2013, 18:37:59
Wenn er der Sohn vom Chef ist, wird er kaum ungebildet sein. Ich gehe eher davon aus, dass der Vater ihn "tyrannisiert", dass Sohnemann mal in sein Stapfen treten soll und ihn entsprechend in solche Richtungen drückt.

Seine Unbildung beruht wohl auch auf Desinteresse. Er reist zwar mit dem Zirkus durch alle Welt, aber verlässt dabei den Platz eher selten, wenn überhaupt, und dann auch nur, um in Tavernen zu gehen und ältere Frauen anzubaggern. Er weiß zum Beispiel nicht mal, wie das Nachbarland des Landes, in dem er sich gerade befindet und das wegen eines Bürgerkrieges in der ganzen Welt Schlagzeilen macht, heißt. Die Leute von außerhalb kommen ja auch nur zum Zirkus, um sich die Show anzusehen und wollen ansonsten mit dem umherreisenden Gesinde nichts zu tun haben (in Japan gab es früher eine Art Unterklasse, die man "Nicht-Menschen" nannte und mit denen keiner was zu tun haben wollte, weil sie unreine Berufe ausführten, zum Beispiel Metzger oder wandernde Künstler). Dadurch fehlt ihm zusätzlich der Kontakt zur Außenwelt.

Naja, aber worum es eigentlich ging, nämlich wie er so spricht, scheint jetzt klar geworden zu sein, so wie ich das verstanden habe, scheint ihr das für psychologisch sinnvoll zu halten, dass er so spricht, wie er spricht und als gutes Mittel anzusehen, um seine Unbeholfenheit auszudrücken. Danke für die Hilfe :)

Zurvan

Ich nutze Vulgärsprache in meinem aktuellen Projekt ziemlich häufig, um zu zeigen, dass die Dämonen sozial zurückgeblieben sind.
Nicht wirklich dumm, aber eben keine soziale Kompetenz. Ob das nun Mitleidserregend ist oder nicht, darauf gehe ich mal nicht weiter ein.
Die Dämonen, die von den Engeln abstammen hatten keinen Spaß daran in der gestochen, höflichen Sprache ihrer Vorfahren zu sprechen, wo sie sich ja deutlich abgrenzen wollten.
Das Ergebnis ist, dass insbesondere alte Dämonen neue Begriffe mit denen ihrer alten Sprache vermischen, wodurch sie mal recht nett klingen und im nächsten Moment eine derbe Beschimpfung rauskommt.
Das ist gerade für Engel ziemlich verwirrend.

Ich denke ein unterschiedliches Niveau an Sprache zu verwenden, um nicht nur die Schicht, sondern auch die Rasse eines Charakters darzustellen, durchaus legitim. Ich möchte keinen Elfen, der klingt als sei er bei Orks aufgewachsen - es sei denn er ist tatsächlich bei Orks aufgewachsen. (Dann fänd ich es wirklich witzig.)

Aber im Normalfall bei einem durchschnittlichen Menschen, darf ausgiebig geflucht werden, aber auf sehr vulgäre Ausdrücke, würde ich sogar in einem Streitfall verzichten. Bei zwei sich bekriegenden Gangs dagegen, kann es vorsichtig eingestreut sicher etwas zur Gesamtheit beitragen.

Eliyanor Aruval

Ich stimme dir da zu Zurvan. Wie eigentlich bei allen Dingen geht es vor allem darum, dass es in sich schlüssig ist und zum Charakter passt. Aber bei vulgären Ausdrücken muss man dennoch vorsichtig sein, damit das Buch nicht niveaulos und undurchdacht wirkt, also ein paar Begriffe muss man sich schon vermeiden, selbst wenn sie zum Charakter passen würden...  :-X

Adam_Charvelll

Zitat von: Eliyanor Aruval am 14. Mai 2013, 20:02:01
Ich stimme dir da zu Zurvan. Wie eigentlich bei allen Dingen geht es vor allem darum, dass es in sich schlüssig ist und zum Charakter passt. Aber bei vulgären Ausdrücken muss man dennoch vorsichtig sein, damit das Buch nicht niveaulos und undurchdacht wirkt, also ein paar Begriffe muss man sich schon vermeiden, selbst wenn sie zum Charakter passen würden...  :-X

Jain. Schnupper mal in Wolfgang Herrendorfs "Tschick" rein. Das ist ein Jugendbuch (ein ziemlich gutes noch dazu!), das nur so vor vulgären Ausdrücken strotzt, Ausdrücke, die ich in einem anderen Buch nie akzeptiert hätte. Dennoch werden sie verwendet, um den Charakter des Erzählers bzw. der Personen zu unterstreichen und sind daher nicht nur erträglich, sondern fast schon nötig. Und das Buch ist deutlich auf Jugendliche um die 14 Jahre ausgelegt.

Ich denke, da gibt es keine klare Obergrenze, mal passt es, mal nicht. Mal darf man viel Vulgärsprache verwenden, mal passt es gar nicht. Das ist aber sicher ein Balanceakt, der schwer zu meistern ist :D

Mogylein

Zitat von: Eliyanor Aruval am 14. Mai 2013, 20:02:01
Ich stimme dir da zu Zurvan. Wie eigentlich bei allen Dingen geht es vor allem darum, dass es in sich schlüssig ist und zum Charakter passt. Aber bei vulgären Ausdrücken muss man dennoch vorsichtig sein, damit das Buch nicht niveaulos und undurchdacht wirkt, also ein paar Begriffe muss man sich schon vermeiden, selbst wenn sie zum Charakter passen würden...  :-X


Ich finde, ein Charakter kann noch so viel mit "Hurensohn", "Fickschnitte", "Spastikus" und sonstwas rumwerfen, wenn deutlich genug dargestellt wird, dass diese Ausdrucksweise etwas Negatives ist und der erzählende Text dann literarische Fähigkeiten aufweist.
   "Weeks of Writing can save you hours of plotting."
- abgewandeltes Programmiersprichwort

Eliyanor Aruval

Die Sache ist, dass sobald gewisse Begriffe auftauchen, das Buch auch eine bestimmte Altersgruppe trifft. Wenn man eh ein Jugendbuch schreiben will, ist das ganz gut, da kommt man vielleicht sogar noch eher an als ohne Vulgärsprache. Aber für Kinder und alte Leute ist das Buch dann oft schon nichts mehr. Da ist das dann denke ich Geschmackssache, ich bin persönlich eher Fan von Büchern die, selbst wenn sie für eine bestimmte Gruppe gedacht sind, dennoch von jedem verstanden und gelesen werden können. Ich nenne das gerne Disneyprinzip. Das soll jetzt nichts mit Friede-Freude-Eierkuchen-Welten oder so zu tun haben, sondern mit einer der schönsten EIgenschaften der guten alten Disneyfilme: Jeder von sechs bis über hundert kann sie gucken und toll finden, niemand wird durch irgendetwas ausgeschlossen. Für die Kleinen sind tolle Lieder und Märchenelemente drin und für die Großen zusätzlich so Sachen die die Kinder noch nicht verstehen, wie die Kirchenkritik im Glöckner von Notre Dame. Wenn aber in diesen Filmen plötzlich Wörter wie "Fickschnitte" auftauchen würden, würden die direkt FSK 12 oder so aufgedrückt bekommen, selbst wenn die Person, die das dann gesagt hat, dafür kritisiert wird. Die berühmten Fantasybücher, Herr der Ringe, Harry Potter, Eragon etc. waren für mich sowohl vor, als auch während, als auch jetzt am Ende der Pubertät schön und es gab nichts, wo ich irgendwie empört gewesen wäre (und als ich noch jünger war, war ich SEHR schnell über Schimpfworte oder sexuelle Themen empört, so man denn bei einem Kind von Empörung sprechen kann... "Bäh, das Buch lese ich nicht mehr!" *quengel* xD)

Cailyn

Ich weiss nicht, ob das in Deutschland gleich ist wie bei uns... In der Schweiz ist das meist gebrauchte Wort unter den (coolen) Jugendlichen:
Chill oder chilled

"Ja, ich ging an dieses Konzert. Es war voll chilled."

oder

"Hey chill, nimm's nicht zu persönlich."

Unsere under-20ies im Betrieb reden täglich genau so.

Sonnenblumenfee

ich glaube, in Deutschland ist "gechilled" (gechillt?) gebräuchlicher (also: "Training war heute voll gechilled"), im Sinne von gemütlich, entspannt. "Chilled" als Adjektiv (oder adjektivisch benutzt) habe ich jetzt eher noch nicht gehört.
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin

Mogylein

Etwas ist gechillt, so schreibt man das zumindest auf Facebook und co ;)


Und "Chill, wir machen das so und so" wird gerne mit mal kombiniert, also "Chill mal, wir machen das so und so".


(Erfahrungen: Berlin&Ruhrgebiet)
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