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Fiktionale Geschichtsschreibung

Begonnen von Tintenteufel, 18. August 2018, 16:47:28

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Tintenteufel

Huhu,

ich hatte eben einen herrenlosen Gedanken und dachte mir, ich präsentiere ihn euch. Vielleicht fällt euch ja ein, wie man ihn an die Kandare legen kann.

Und zwar ist mir aufgefallen, dass G.R.R.Martin ziemlich gut darin ist, Ereignisse in der Handlung seiner Bücher zu benennen und dadurch eine Art von Rahmen oder Historie zu erstellen, die die einzelnen Plotlines noch weiter zusammen hält. Also ich meine so Sachen wie die Rote Hochzeit, das Battle of the Bastards, der Dance of Dragons, der Wildfire Plot, die Tragödie in Summerhall usw. Bis auf wenige Ausnahmen stellen die Ereignisse dar, die während der Haupthandlung der Erzählung geschehen sind, die der Leser selbst miterlebt hat, und die im Lauf der Erzählung dann Teil einer Art von Kanon werden. Auf die Rote Hochzeit wird von diversen Charakteren ja immer wieder hingewiesen, besonders von denen, die nicht dabei waren.
Dadurch werden ja oberflächlich betrachtet schon einmal mindestens zwei Dinge erreicht: Die Wichtigkeit der Taten von Charakteren wird affirmiert und die fiktive Welt wird lebendiger, weil sie eine Geschichte bekommt auf die die Charaktere sich alle zusammen beziehen können.
Ich habe das spontan Mal fiktionale Geschichtsschreibung genannt, auch wenn es das nicht wirklich trifft. Allerdings kenne ich keinen gebräuchlichen Terminus dafür, wäre für Hinweise also dankbar.

Was haltet ihr an und für sich davon? Und viel wichtiger: Wie handhabt ihr das? Gibt es bei euch eine fiktive Historie an der die Charaktere mitarbeiten?

Bei mir ist die Sache etwas verzwickt, da meine ganzen Projekte derzeit im zeitgenössischen Berlin spielen und alles Phantastische durch eine brutal mit Magie aufrecht erhaltene Maskerade von den meisten Sterblichen getrennt ist. Da ich dazu auch noch irgendwie schwammiges Mystery-Horror-Thriller Zeugs schreibe, fällt es mir sehr schwer, auf handfeste Ereignisse zu verweisen. Die sollen eigentlich ja geheim bleiben.
Ich finde die Idee aber zumindest ganz interessant und vielleicht fällt einem von euch ja etwas dazu ein.

P.S.: Entschuldigt, falls ich etwas wirr bin, ich habe heute massive Kopfschmerzen.

Maubel

Also bei meinem Dark Fantasy Zyklus gibt es definitiv eine aktive Geschichtsschreibung. Zum einen existiert eine Vorgeschichte, die sich verändernde Grenzen und verschiedene Machtverhältnisse beinhaltet, die wiederum eine Grundlage für die Geschichte selbst bieten.

In Ravenblood geschehen auf der einen Seite, die vom äußeren Plot bestimmten Katastrophen. Auf der anderen Seite passiert aber auch viel innenpolitisch. Im ersten Band geht es zum Beispiel darum, dass zwei Monarchen verheiratet werden, um die Bindungen der Länder, bzw. die Einverleibung des einen zu festigen. Dabei gibt es dann grob 3 verschiedene Lager. Die Separatisten (Diejenigen, die sich gegen das neue Land sträuben, weil es zu viele Ressourcen von der Krone bekommt etc.), die Nationalisten (Politiker des kleinen Landes, die sich von ihrer Königin verraten fühlen) und natürlich diejenigen, die für die Hochzeit sind. Da entstehen viele Intrigen, aber eben auch Verschiebungen im Machtgefüge. Das Schöne ist vor allem, dass ich als Autor jeden Standpunkt nachvollziehen kann, wenn auch nicht jede Methode, um es durchzusetzen. Es könnte genauso gut der Antagonist Protagonist sein und meine Protagonisten die "Bösen", ohne etwas am Charakter zu ändern.

In den anderen Bänden gehen die durch die Hochzeit geschaffenen Spannungen weiter. Es gibt Anschläge, Machtkämpfe und schließlich tatsächlich Rebellionen (mal nicht auf der "guten" Seite), während gleichzeitig verschiedene äußere Feinde das Reich bedrohen. Was ich  noch hervorheben möchte, ist, dass sich auch abseits der Politik die Welt weiterentwickelt. So gibt es zwischen Band 2 und 3 einen Forschungsdurchbruch, der das Transportsystem revolutioniert und ähnliche geschichtsträchtige Fortschritte, die das Leben im Kaiserreich nachhaltig verändern.

Ich denke aber generell kann man die Geschichtsschreibung in Fantasywelten, gerade in der High Fantasy, nicht umgehen. Irgendetwas passiert ja im Plot und wenn das nicht nur die Charaktere selbst betrifft, sondern auch das Umfeld allgemein, dann geschieht etwas historisches (im Rückblick).

Aphelion

Ich finde nicht, dass sich Heimlichkeit und Geschichtsschreibung ausschließen.

Ein Beispiel dafür ist die "Wächter"-Reihe von Lukianenko. Vor langer Zeit gab es eine Schlacht zwischen Gut und Böse™, die mit der Übereinkunft endete, mehr oder weniger ein Gleichgewicht zu halten. Das ist der fiktional-historische Rahmen, auf dem alles andere basiert, und von dem die normalen Menschen natürlich nichts wissen. Später gibt es in den Büchern immer wieder Hinweise auf weitere fiktiv-historische Ereignisse, die aber auch nicht allen Anderen (also allen, die irgendwie paranormal sind) bekannt sind.

Letztlich gibt es ja innerhalb der fiktiven Welt Eingeweihte, die sehr wohl ihre eigene, parallele Geschichte festhalten können. Das ginge sogar, wenn es nur eine einzige eingeweihte Person gibt.

Ein beliebter Kniff, um die Grenzen zwischen Fiktion und Realität noch weiter anzunähern, besteht darin, Verschwörungstheorien u.Ä. zu nutzen. Nach dem Motto: "Es gibt tatsächlich Chemtrails, aber in Wahrheit sind sie magischen Ursprungs und dahinter steckt der große Zauberer Merlalf." Oder: "Elvis lebt, aber in Wahrheit ist er eine unsterbliche, frankensteineske Züchtung, die von der CIA entwickelt wurde."

Ich würde behaupten, dass jeder mehr oder weniger so eine fiktive Geschichtsschreibung entwickelt. Wie selbstreferentiell eine Geschichte ist, ist natürlich eine andere Frage.

Vor allem in Reihen können Selbstreferenzen durchaus hilfreich sein - aber sie müssen zum Inhalt passen, eine eitle Nabelschau ist uncool. Wenn ich mich richtig erinnere (obwohl ich mir da keineswegs sicher bin), ist Hohlbeins "Chronik der Unsterblichen" zum Beispiel sehr wenig selbstreferentiell. Wichtige Ereignisse werden sogar "vergessen". Es gibt wilde Theorien darüber, warum das so ist ...
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

..., aber innerhalb der Geschichte ergibt die Unstimmigkeit sogar Sinn, wenn man will. Der Protagonist "vergisst" z.B., dass er verheiratet war und ein Kind hatte (was die ganze Geschichte erst in Gang gesetzt hat), als er ganz am Boden ist. Die eigene Geschichte hier zu erwähnen, wäre vielleicht sogar kontraproduktiv. Ich erhebe aber keinen Anspruch auf Richtigkeit der Interpretation, ich sage nur, dass dieser tatsächliche oder scheinbare Fehler für mich stimmig ist. ;) Weiter.

Ich schreibe selten epische Geschichten, deshalb würde es einfach nicht passen, wenn ich überall solche Selbstreferenzen einbauen würde.

Ich habe zwei Projekte, in denen ich so etwas mache: Das eine umfasst einen sehr langen Zeitraum und geht schon irgendwie in die Richtung "episch". Die Erwähnungen von fiktiv-historischen Ereignissen dienen hier vor allem als Erinnerung, weil ich nicht davon ausgehe, dass alle Lesenden sich Notizen machen und die Timeline auswendig lernen, die nichtmal ich selbst im Kopf habe.

In dem anderen Projekt spielt Diplomatie eine sehr wichtige Rolle. Die fiktive Historie ist hier v.a. Backstory. Wenn aber etwas Wichtiges passiert, dann beeinflusst das natürlich auch zukünftige Entscheidungen, weshalb das Ereignis in den neuen Diskurs einfließen muss.

Es muss aber immer einen Grund geben, warum das Ereignis ausgerechnet jetzt erwähnt wird: Jemand hat Angst vor einen Krieg und verweist deshalb auf einen vergangenen Krieg – okay. Aber nicht: "Ha, guck mal, du da mit dem Buch, erinnerst du dich noch daran, wie TOLL ich das und das geschrieben habe und wie GEIL mein vorvorvorvorvorvorvorvorletztes Buch war? Bin ich nicht ein tolles Autorlein?"  :pfanne:

canis lupus niger

#3
Sowohl in meiner eigenen Reihe gibt es eine übergreifende Hintergrundhistorie, als auch (natürlich) in der Isrogant-Reihe, an der ich mit verschiedenen Autoren mitschreibe, jeder von uns an seinen eigenen Büchern. Bei Reihen geht das ja gar nicht anders, finde ich. Man hat teils dasselbe Setting, teils dieselben Charaktere, die Historie wechselt natürlich auch nicht, kann höchstens fortgeschrieben worden sein. Das macht doch den Reiz einer Reihe unter anderem aus.

Coppelia

#4
Für eine Reihe mit dem Fokus auf politischen Ereignissen ist das eine Selbstverständlichkeit, finde ich. Es ist in meinen Augen auch gar keine Besonderheit, sondern ergibt sich von allein, wenn die Welt einerseits immer komplexer wird und andererseits der Logik folgt. Menschen müssen Ereignisse verarbeiten, darüber sprechen, ihr Handeln danach ausrichten ...

Ich mache das in den "Kessler Chroniken" auch sehr stark. Bei mir ist die Geschichte ja generationenübergreifend, die Tradition und Familiengeschichte ist den Menschen wichtig. So kann es immer mal wieder sein, dass Ereignisse, die längst vorher (in einem anderen Roman oder auch nicht) stattgefunden haben, noch Auswirkungen auf die Gegenwart haben. Und Ereignisse, von denen vorher nur erzählt wurde, können zum Mittelpunkt einer Geschichte werden. Mich interessiert daran ja (unter anderem) besonders, wie weltbewegende und erschütternde Ereignisse von Individuen erlebt werden und jede Person innerhalb der großen Historie ihre eigene Geschichte hat. Außerdem mag ich die vielen Blickwinkel auf die Geschichte.

Ich habe aber auch fiktive Geschichtsschreibung. Eine meiner Personen (Malkar, dessen Avatar ich trage ;D) ist sogar ein relativ bedeutender Geschichtsschreiber, der in einigen Romanen auftritt, und ich kenne Titel, Inhalt, Blickwinkel und Stil seiner Werke. ;D

Und in meinem Altphilologen-Irrsinn habe ich mir sogar überlegt, welches Geschichtsbild wohl die Menschen "heute" anhand dieser Texte von den Ereignissen "damals" haben, und habe bestimmte Forschungsansätze über die Texte erfunden. :rofl:

DunkelSylphe

Interessanter Thread @Tintenteufel. Hab da nie drüber nachgedacht, aber jetzt, wo ich's tue, fällt mir auf: Stimmt, mache ich ständig ;D

Bei den Galgenmärchen ganz logisch: Durch das historische Setting sind immer wieder reale politische Ereignisse in die Handlung eingebunden. Aber auch bei den rein fiktiven Texten gibt es prägende "Ereignisse" für die verschiedenen Charaktere. Ist bei meinem aktuellen Science-Fiction-Projekt sehr stark, fällt mir auf. Teil 1 dreht sich um den Fall eines dystopischen Roboterstaates, wo sich verschiedene politische Ereignisse zum Sturz zuspitzen. Teil 2 (nur in Planung bisher) wird sich um den reformierten Staat drehen, in dem erstmals Roboterrechte verhandelt werden.

Von dem her: Ja, da halte ich viel von. Ich bin ein Fan von epischen Geschichten, da nehmen meine Charaktere auch mal revolutionärere Rollen mit entsprechender Tragweite ein. Wenn du auf genau das abzielst – das Große, Bombastische, nicht Sachte und Subtile –, ist das Arbeiten mit "fiktiver Geschichtsschreibung" ein sehr guter Kniff, meine ich.
Man braucht die Dunkelheit, um stärker leuchten zu können.

Tintenteufel

Zitat von: Maubel am 18. August 2018, 22:18:49
Ich denke aber generell kann man die Geschichtsschreibung in Fantasywelten, gerade in der High Fantasy, nicht umgehen. Irgendetwas passiert ja im Plot und wenn das nicht nur die Charaktere selbst betrifft, sondern auch das Umfeld allgemein, dann geschieht etwas historisches (im Rückblick).

Rein theoretisch stimme ich dir da zu. Schon weil High Fantasy sich ja mit epischen und die Welt verändernden Ereignissen befasst. Aber praktisch setzt sich das in der Prosa ja nicht immer um. Nur weil es einen politischen Plot gibt z.B. oder Kriege, gibt es ja nichts zwangsläufige diese direkte Verbindung von Geschichte/fiktiver Handlung und fiktionaler Geschichtsschreibung.
Ich würde z.B. sagen, dass das Element beim Herrn der Ringe (soweit ich mich daran erinnern kann) ziemlich fehlt: Der Ringkrieg  ist sicherlich ein monumentales Ereignis und gewisse Ereignisse sind von großer Wichtigkeit (Schlacht bei Helms Klamm, Schlacht auf den Pelennor Feldern usw.), aber im Vergleich zu G.R.R.Martin fällt mir da auf, dass es wenig Verweis darauf gibt. Die fiktionale Geschichtsschreibung bezieht sich bei Tolkien ja tatsächlich mehr auf den Hintergrund, also auf die Vorhandlung.
Also mir fehlt da eine Art von Abstraktionsebene, wenn man das so sagen kann. Die Charaktere der Geschichte befinden sich selbst unmittelbar in den Situationen und verweisen auf ihre eigenen Handlungen und nicht auf geschichtliche von anderen - es macht ja einen Unterschied, ob Frodo von seinen eigenen Abenteuern berichtet oder ob Cersei und Tywin über die verräterischen Freys lästern.
Ich würde da also nochmal deutlich trennen wollen zwischen einer politischen Geschichte und einer Geschichtsschreibung in dem Sinne.

@Aphelion
ZitatWenn ich mich richtig erinnere (obwohl ich mir da keineswegs sicher bin), ist Hohlbeins "Chronik der Unsterblichen" zum Beispiel sehr wenig selbstreferentiell. Wichtige Ereignisse werden sogar "vergessen". Es gibt wilde Theorien darüber, warum das so ist ....
Ich würde mit einem Seitenhieb bemerken wollen, dass es wahrscheinlich an Hohlbeins mäßigem Talent und sehr undiszipliertem Stil liegt.  ;D Zynismus beiseite: Ich konnte die Chronik nicht leiden. Grässlich primitiver Stil.

ZitatEin Beispiel dafür ist die "Wächter"-Reihe von Lukianenko. Vor langer Zeit gab es eine Schlacht zwischen Gut und Böse™, die mit der Übereinkunft endete, mehr oder weniger ein Gleichgewicht zu halten. Das ist der fiktional-historische Rahmen, auf dem alles andere basiert, und von dem die normalen Menschen natürlich nichts wissen. Später gibt es in den Büchern immer wieder Hinweise auf weitere fiktiv-historische Ereignisse, die aber auch nicht allen Anderen (also allen, die irgendwie paranormal sind) bekannt sind.

Letztlich gibt es ja innerhalb der fiktiven Welt Eingeweihte, die sehr wohl ihre eigene, parallele Geschichte festhalten können. Das ginge sogar, wenn es nur eine einzige eingeweihte Person gibt.
Ein wichtiger Hinweis, danke! Ich werde mir die Wächter-Reihe auf jeden Fall noch einmal anschauen. Ich glaube ich hatte nur vor Jahren einmal einen späteren Band am Wickel und konnte dann natürlich nicht viel damit anfangen.

Nur eine kleine Anmerkung: Das fiktionale bringt das fiktive hervor. Eine fiktive Geschichtsschreibung wäre also eine intradiegetische, innerhalb der Welt angesiedelte Geschichtsschreibung, während die fiktionale Geschichtsschreibung der Geschichte selbst die fiktive Geschichtsschreibung erst hervor bringt.

Zitat
Ein beliebter Kniff, um die Grenzen zwischen Fiktion und Realität noch weiter anzunähern, besteht darin, Verschwörungstheorien u.Ä. zu nutzen. Nach dem Motto: "Es gibt tatsächlich Chemtrails, aber in Wahrheit sind sie magischen Ursprungs und dahinter steckt der große Zauberer Merlalf." Oder: "Elvis lebt, aber in Wahrheit ist er eine unsterbliche, frankensteineske Züchtung, die von der CIA entwickelt wurde."
Ein interessantes Thema, ganz ohne Frage, aber die Erschaffung fiktiver Realitäten mit der fiktionalen Geschichtsschreibung und die Verzerrung von tatsächlichen Realitäten durch die Einbindung fiktiver Elemente würde ich schon als zwei sehr verschiedene Dinge betrachten.

@Coppelia
ZitatIch habe aber auch fiktive Geschichtsschreibung. Eine meiner Personen (Malkar, dessen Avatar ich trage ;D) ist sogar ein relativ bedeutender Geschichtsschreiber, der in einigen Romanen auftritt, und ich kenne Titel, Inhalt, Blickwinkel und Stil seiner Werke. ;D
Okay, das klingt nach einem sehr, sehr witzigen Detail. Darf ich fragen, wie genau du damit umgehst? Also bleibt Malkar ein Charakter irgendwie am Rand des Geschehens, der nur dein persönliches Werkzeug zur Aufzeichnung und Kontextualisierung von Ereignissen ist, oder ist er aktiv am Geschehen beteiligt?
Soweit ich mich entsinne gab es ja gerade bei älteren Geschichtsschreibern immer wieder das Phänomen, dass überlieferte Geschichte nach einigen Jahrzehnten oder hundert Jahren in einen Rahmen gebracht wird.

Wobei ich das natürlich, wie du schon sagst, zur fiktiven Geschichtsschreibung zählen würde, nicht zur fiktionalen.

Coppelia

#7
ZitatDarf ich fragen, wie genau du damit umgehst? Also bleibt Malkar ein Charakter irgendwie am Rand des Geschehens, der nur dein persönliches Werkzeug zur Aufzeichnung und Kontextualisierung von Ereignissen ist, oder ist er aktiv am Geschehen beteiligt?

Hehe. ;D Malkar ist ein prominenter und sehr aktiver Politiker seiner Zeit, die ungefähr dem Ende der römischen Republik entspricht. Er ist ein ausgeprägter Opportunist und hilft eher anderen Mächtigen, die Geschicke in ihrem Sinn zu lenken, scheitert damit aber auch oft und bekommt die Auswirkungen seines Scheiterns schmerzhaft zu spüren. Er ist ein scharfsinniger Beobachter, handelt aber auch oft gegen seine eigene Überzeugung. Die Geschichtsschreibung ist für ihn wohl eine Art, seinem Frust Luft zu machen. Sowas wie Selbsttherapie. Er schreibt historische Monografien über Ereignisse, die er selbst mitgemacht hat, sowie eine Art Annalen-Werk und analysiert darin, wie seiner Ansicht nach der Staat, in dem er lebt, zugrunde geht, nämlich unter anderem durch Leute wie ihn. Insgeheim verabscheut er sich selbst und alles, was seine Welt ausmacht. (Übrigens schreibt er über sich selbst in der 3. Person und so abwertend, dass die Forschung ihn später nicht für den Autor seiner eigenen Werke hält. ;D)
Er ist Nebenfigur, Impact Character und Perspektivträger in verschiedenen Romanen, altert von Anfang 30 bis Mitte 70 und bestimmt die Handlung der Romane wesentlich mit. Ich glaube, er ist meine absolute Lieblingsfigur. :wolke:

Tex

Hi zusammen :) ,
ich denke, eine "fiktionale Geschichtsschreibung" oder wenigstens die Andeutung davon ist ziemlich wichtig, um einem Roman Tiefe zu verleihen. Im Urban Fantasy Bereich (gerade mit Abgrenzung zur nichtmagischen Welt) wäre wichtig zu wissen, wieso man sich so stark von den Menschen abgrenzt (Gab es bereits Auseinandersetzungen zwischen den beiden Welten? Wie ist das ausgegangen? ...). Natürlich auch in der High Fantasy und anderen, nicht auf die reale Geschichte zurückgreifende Settings benötigen eine Geschichte, um einen Grund angeben zu können, wie man überhaupt zur Ausgangssituation des Romans kommt.

Zu dem Vergleich mit Game of Thrones: Das ist meiner Ansicht nach sogar ziemlich wichtig. Schreibe ich einen zweiten, dritten, zehnten oder zwanzigsten Band und jedes Buch endet mit einem epischen, weltverändernden Ereignis, ist es doch unlogisch, wenn die Personen sich nie auf dieses, gerade aktuelle Ereignis beziehen, sondern noch immer von König Lulli von vor 3000 Jahren sprechen. Gerade dieser Wandel, dass neuere Ereignisse immer wieder erwähnt und mit einbezogen werden, gibt der Geschichte und somit der Tiefe des Textes eine gewisse Dynamik.

Trippelschritt

Ich halte im Allgemeinen sehr viel davon und im Speziellen muss ausgewählt werden, was für die jeweilige Geschichte wichtig ist. Mein jetztiges Projekt hat da eine Besonderheit. Es gibt eine vorgeschichte, die sich über Jahrtausende erstreckt und bei der Entstehung der Welt beginnt und in der Jetztzeit endet. Je näher ich der Jetztzeit komme, desto größer wird der Detailreichtum, bis Altstrang und Handlungsebene miteinander verschmelzen.

Es macht Sapß, so etwas zu schreiben. Vor allem die Auswahl. Denn nicht alles, was ich im Kopf habe, ist auch storyrelevant.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Churke

Mit fiktionaler Geschichtsschreibung halte ich mich massiv zurück.
Was man in Stein gemeißt halt, kann man nicht mehr ändern. Ich belasse es lieber bei Andeutungen, die ich bei Bedarf konkretisieren oder relativieren kann.

Oneira

Hallo zusammen!

Spannendes Thema. Ich gebe Tex auf jeden Fall recht: Zumindest die Andeutung von Geschichtsschreibung sollte (wenn es im Roman passend ist) da sein, sonst fehlt einfach irgendwie der Zusammenhang.
Ich habe mir auch Gedanken gemacht, wie ich das in meiner Fantasy-Welt anstelle. Und dabei bin ich dann erst einmal zu der Frage gekommen, wie dort die Jahre gezählt werden. Zum Beispiel bei Herr der Ringe gibt es ja mehrere Zeitalter, die an bestimmte Kriege und Ähnliches geknüpft sind.
So ähnlich habe ich das jetzt auch bei mir gemacht. Das erste Zeitalter beginnt mit der verbindlichen Festlegung eines Kalenders, der sich nach dem Zyklus der Monde des Planeten richtet. Das sind die "Jahre der Monde". Dann wurde irgendwann ein Mönchsorden gegründet, der sehr großen Einflus auf das Leben und den Glauben in dieser Fantasy-Welt hat. Das Jahr der Gründung ist dann "Jahr des Ordens 1". Und dann wird es demnächst einen Krieg geben. Der Ausgang dieses Krieges bestimmt dann über die Bezeichnung des nächsten Zeitalters.
Und dazwischen benutze ich sehr gerne die Geschichtsschreibung der Mönche, um weitere Ereignisse festzuhalten, als da beispielsweise wären: Die Entdeckung einer Quelle der Magie, die vermeintliche Ausrottung eines als feindlich angesehenen Volkes, die Gründung einer Zauberer-Schule im Land, die Machtübernahme durch eine neue Königsfamilie und so weiter.

Ich muss zugeben, ich kann irgendwie nicht besonders gut Politik schreiben und so fehlen mir Ereignisse wie die genannte "Rote Hochzeit" aus Game of Thrones. Solche Sachen würde ich gerne mit unterbringen, aber dafür habe ich bisher irgendwie zu wenig Handlung, an der die Charaktere selber beteiligt waren. Aber wer weiß, vielleicht findet sich da ja noch eine Möglichkeit ...

Liebe Grüße - Oneira
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Loki

Also ich habe mir vorgenommen etwas "fiktionale Geschichtsschreibung" zu betreiben, inspiriert von GoT aber auch Askir. Ich nehme da als Vorlage so ein bisschen das HRR, weil es da so unzählbar viele Konflikte gab, dass es ein Quell ständiger Ideen für mich ist. Mein Plan ist viele einzelne Geschichten so zu verbinden, dass sie alle auf einen größeren Konflikt zusteuern, wobei alle Geschichten die Parallelentwicklung der anderen Krisenherde über Umwege mitbekommen. Ist bisher alles noch eine Idee und ich bekomme bereits Kopfschmerzen bei dem Gedanken, dass alles chronologisch abzustimmen, aber das ist der Plan  :pompom:

FeeamPC

Ich finde, bei High Fantasy ist fiktive Geschichtsschreibung nötig, absolut. Keine Welt und kein politisches Gebilde entsteht aus dem Nichts, und die Art, wie die Entstehung verläuft, bestimmt die spätere Geschichte zu einem Teil mit. Ich habe noch vor dem ersten Band meiner Serie die Geschichte dieses Teils meiner fiktiven Welt geschrieben, ganz grob vorerst, aber rund 1000 Jahre zurückreichend. Innerhalb der Serie werden dann die Basis-Ereignisse sowohl als Bezugspunkte genommen als auch in der einen oder anderen Geschichte mit mehr Details versehen.
Natürlich habe ich da den Vorteil, dass meine Zauberer mehrere hundert Jahre alt werden können und damit einen Teil dieser Geschichte oder sogar die ganzen 1000 Jahre selbst erlebt haben, also aus den eigenen Erinnerungen beisteuern können.
Sofern sie sich noch erinnern. Der Kristall, in dem die meisten von ihnen abgeschirmt leben, erodiert langsam, aber beständig ihre Erinnerungen.

Aylis

Ich bin mir gerade gar nicht sicher, ob das in meinem Buch schon vorkommt, aber falls nicht, werde ich es in der Überarbeitung definitiv einspeisen!
Gerade in Büchern, die nur einen Band bekommen sollen, halte ich es allerdings für schwierig, viele historische Ereignisse stattfinden zu lassen und sie dann Kanon werden zu lassen.
Es muss bei solche Ereignissen ja auch immer etwas Zeit vergehen und da ist es unrealistisch, wenn ein Einzelroman keine besonders große Zeitlinie hat.
Oder?
Wo genau sollen wir einbrechen? - In die namenlose Festung.