• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Wie die Erzählstimme finden?

Begonnen von Guddy, 26. Mai 2014, 11:34:07

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Verwirrter Geist

Zitat von: Mogylein am 26. Mai 2014, 15:51:38
Verwirrter Geist bringt es gut auf den Punkt, aber genau das fällt mir so schwer. Abzutrennen was bin ich, was ist meine Figur und was würde meine Figur eher sagen - Saphir oder Edelstein? Blau oder Azurton? Ich weiß es nicht. Dabei kenne ich meine Figuren in der Regel ganz gut, aber mich einzufühlen, darein, welche Worte sie verwenden würden, fällt mir mehr als schwer.

Wobei ich das ambivalent sehe. Alles über seine Protas kann man ja sowieso nicht wissen, aber so lernt man sie mit jeder Zeile selbst noch ein bisschen besser kennen.
So würde ich auch dieses Erste-Kapitel-Problem erklären wollen: Anfangs sind die Protas ja mehr ein Nebel, ein theoretisches Konstrukt, dass durch den Text immer klarer eingrenzbar wird.
Daher finde ich auch, dass Schreiben ein bischen wie Kindererziehung ist. Anfangs muss man noch viel helfen und die Welt mehr mit eigenen Worten erklären, aber nach und nach übernehmen die Kinder/Protagonisten immer mehr das Zepter.

HauntingWitch

@Guddy: Ich stimme meinen Vorrednern zu, Malinche hat das schon sehr gut erklärt. Mir scheint, dein Problem ist möglicherweise dies hier:

Zitat von: Guddy am 26. Mai 2014, 14:56:39
Mit "nüchtern" meine ich Szenen, in der niemand trauert, niemand sich zu Tode freut oder chmerzen empfindet o.ä. Jemand geht durch eine Straße und denkt natürlich auch an dieses und jenes und stellt einen persönlichen Bezug her, aber vergießt dabei keine melodramatische Träne ;)Um mehr geht es mir nicht ; Ich will keinen Emo-Reisebereicht verfassen und ich habe es wie gesagt auch (zum Glück) nie irgendwo so gelesen

Man kann auch ohne extreme Gefühle emotional sein. Du sagst, es ist "nüchtern", sobald keiner weint oder schreit oder sonst etwas fühlt. Aber man fühlt ja immer irgendetwas, das können ganz einfach Dinge sein. George R.R. Martin schreibt in "Game Of Thrones" z.B., wie Catelyn durch den Wald geht und dabei sagt er einfach nur, wie sie den Wald empfindet: Der Regen ist kälter als der warme Frühlingsregen aus ihrer Heimat, die Bäume wirken unfreundlicher und es ist zu still. Oder so ähnlich. ;) Jedenfalls halte ich das für eine recht emotionale Szene, weil man unmittelbar die Empfindungen der Figur erfährt. Aber sie weint nicht, sie hat keine Schmerzen und sie ergeht sich auch nicht in Frust darüber, dass sie dorthin ziehen musste. Es wird einfach nur die Wahrnehmung der Figur geschildert, durch die Gedanken der Figur. Das geht in das hinein, was Malinche gesagt hat. Ich denke, das schafft bereits eine gewisse Emotionalität ohne übertrieben zu sein.

Hat dir denn jemand gesagt, dass es nicht rüberkommt oder denkst du das nur selbst? Man selbst neigt ja dazu, sich immer kritischer zu betrachten und seinen Text als unzulänglich wahrzunehmen.

Ab wann ist es zu viel? Ich denke, es kann schon zu viel werden mit den Emotionen. Wenn jemand über das ganze Buch hinweg vulgäre Sprache benutzt oder pausenlos in Selbstmitleid versinkt... So etwas stört für mein Empfinden den Lesefluss.

Guddy

Nene, mein Problem habe ich schon erkannt, ich meine, es ist einfach eine gewisse Schüchternheit, mich so auszudrücken wie ich eigentlich will, aber mich nicht getraut habe.
Habe das gut durch eure Kommentare erkannt. Für mich ist das Thema auch schon damit durch  ;D

Fianna

Zitat von: Franziska am 26. Mai 2014, 14:35:49
Vielleicht ist es auch Geschmackssache, aber ich find es kann nie zu viel sein. Es kommt natürlich darauf an. Wenn du auktorial erzählst, was aber eigentlich niemand mehr macht, dann hast du als Erzähler eine Stimme.
Hier wollte ich nochmal reingrätschen: ich habe den Eindruck, es ist gerade bei amerikanischen Werken (also für uns: eingekauften Übersetzungen) verbreitet mit dem auktorialen tell. "Der Weg in die Schatten" macht es, Evie Manieri (Blutstolz) ebenfalls und ich hab den Eindruck, das ist in Amerika wieder "modern"...

Dämmerungshexe

Ich bin da im Moment auch ein wenig am rätseln und verzweifeln:

Am Anfang meines Projektes "Königskinder" habe ich auch einen eher auktorialen Stil, gehe nur in einigen Szenen näher an die Figuren ran. Mit der Zeit aber wandelt das sich und ich schreibe fast nur noch aus Sicht meiner Protas. Ich denke das liegt mit daran, dass auch ich als Autor meine Figuren erst nach und nach kennengelernt habe.

Aber jetzt bin ich am überlegen, was ich will - mir gefällt die "Erzählstimme", die ich am Anfang habe, wobei ich für die Überarbeitung eingeplant habe, dass mehr "show"-Szenen rein sollen, einfach, weil es das Setting und die Zusammenhänge einprägsamer vermittelt.
Es gibt einfach gewisse Details, die würde ein Prota, aus dessen Sicht ich erzähle, nie "erwähnen", weil sie für ihn nicht wichtig sind, oder einfach selbstverständlich. Aber ich als Autor will sie dem Leser in genau eben diesem Moment vermitteln - nicht als Infodump, sondern als Detail, das Atmosphäre schafft und das Setting greifbarer macht (dazu gehören Beispielsweise Kleinigkeiten in der Kleidung der Figuren, oder gesellschaftliche Hintergründe).
An sich mag ich auch beim Lesen den auktorialen Stil recht gerne, kenne ihn aber tatsächlich eher aus älteren Büchern, die einfach auch von der Thematik und der Schreibweise her (benutzte Wörter und Erzähltempo) schon etwas angestaubt wirken. Mich würde es wirklich in den Fingern jucken, so etwas mal "moderner" zu gestalten, weiß aber nicht, wie ich dann diesen Stil bis ans Ende der Geschichte durchhalte.

Es ist vielleicht auch eine Frage der Struktur. Immerhin habe ich fast 10 verschiedene POVs, von denen manche mehr zu sagen haben, andere weniger. In manchen Szenen mag ich es, nahe bei meinen Haupthandlungsträgern zu sein und dem Leser klar zu vermitteln, was sie denken und was ihr Handeln bestimmt. In wieder anderen Fällen wähle ich eine andere - eher beobachtende - Perspektive, um den handelnden Figuren einen interessanten Auftritt zu verschaffen und erkläre die Beweggründe eher später.

Ich werde da wohl noch eine Weile mit meiner Patin drüber reden müssen und dann schauen, wie ich es tatsächlich umsetze. Immerhin ist das ganze nicht nur eine "Geschmacksfrage", sondern auch eine Sache des "Bauchgefühls".


Was Guddys "erstes-Kapitel-Problem" betrifft: ich habe das in diesem Fall so gelöst, dass die erste Szene des Buches aus einer Perspektive geschildert wird, die später gar nicht mehr auftaucht, die aber die Protas ganz knapp beschreibt (Aussehen und Status Quo) und ihre Haupt-Charaktereigenschaften kurz präsentiert. Danach können sie selbst weitermachen - der Leser weiß ja schon die wichtigsten Infos, die nun weiter vertieft und ausgebaut werden.
ich denke das funktioniert im Allgemeinen sehr gut, egal, ob man dafür eine andere Perspektive nutzt oder nicht: erst einmal knapp die wichtigsten Details, damit der Leser sich orientieren kann und ihn dann erst mitreißen.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Judith

Also ich persönlich mag auktoriale Erzähler auch sehr gern und finde es jammerschade, dass sie so aus der Mode sind. Ich weiß noch, wie ich "Der Name des Windes" begonnen habe und total aus dem Häuschen war, dass es dort eine auktoriale Perspektive gibt. Dann beginnt Kvothes Geschichte und ich war unheimlich enttäuscht, dass doch der Großteil des Romans aus der Ich-Perspektive erzählt wird ...

Das heißt, dass ich es schön fände, wenn du deine eher auktoriale Erzählstimme eher so beibehältst - und ich hätte auch kein Problem damit, wenn du im Laufe der Zeit allmählich "reinzoomst" und die Stimme personaler wird (solange das nicht abrupt geschieht).
Allerdings besteht durchaus die Gefahr, dass manche Leser von so etwas abgeschreckt werden - gerade, weil so etwas heutzutage im Fantasygenre kaum noch üblich ist. Die Frage ist also, ob du das Risiko eingehen möchtest.

Dämmerungshexe

Es geht mir hier nicht unbedingt um ein "Risiko" beim Leser - das ist für mich wirklich zweitrangig. Ich denke da, dass jede Geschichte ihre eigenen Bedürfnisse hat. Aber gerade das ist wohl das Grundproblem - angefangen habe ich sehr handlungsorientiert und jetzt, kurz vor Schluss, passiert eigentlich mal einige Zeit gar nichts, außer dass die Figuren untereinander ihre Beziehungen klären (ich schließe sozusagen alte Handlungsstränge ab und beginne neue, bevor der "Endkampf" kommt). Da scheint es irgendwie natürlich, dass ich näher an den Figuren dran bin.
Wahrscheinlich müsste ich nochmal genau nachforschen, wo ich angefangen habe meine "Erzählstimme" zu verlieren.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Judith

Wenn du das Gefühl hast, dass du im Laufe des Romans deine Erzählstimme verlierst, ist das natürlich ein Problem. Wenn dir aber die Entwicklung hin zu einer mehr personalen Perspektive natürlich vorkommt aufgrund der Schwerpunkte bei Handlungen und Figurenbeziehungen, kommt mir das nicht wie ein "Verlust" der Erzählstimme vor, sondern eben wie eine Anpassung an die Bedürfnisse der Geschichte.
Hast du denn den Eindruck, dass sich der Fokus zu sehr auf die Figuren verlagert? Könntest du in de Fall vielleicht einen Teil der Beziehungen entweder schon etwas früher klären oder erst im Zuge des/nach dem Endkampf?

Dämmerungshexe

Das wäre natürlich eine Möglichkeit - vielleicht müssen einige Dinge nicht unbedingt jetzt sein. Aber die Beziehungen treten im Laufe der vorangegangenen Teile einfach immer mehr in den Mittelpunkt und gerade an dem Punkt, an dem ich jetzt bin, laufen praktisch alle Handlungsstränge zusammen und die Protas sind zu einer "Atempause" gezwungen (in der sie versuchen alles irgendwie in geregelte Bahnen zu lenken, bevor der Endkampf kommt).

Ich frage mich sowieso, inwieweit es notwendig ist, sich an solche Schubladen wie "auktorialer Erzähler" und "personaler Erzähler" zu halten. Ich kenne natürlich die Definitionen, aber ich weiß nicht, inwieweit es möglich ist, sie wirklich aus vollkommen stringend durchzusetzen. Natürlich ist ein Hin-und-Her nicht wirklich wünschenswert, aber gewisse Schwankungen würden mich als Leser jetzt nicht unbedingt stören. Ich denke, das wäre eher, wie wenn bei einem Film sozusagen auf einen der Darsteller/eine der Figuren hineingezoomt wird.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Fianna

Bei einem auktorialen Erzähler ist man direkt viel distanzierter als Leser.
Mich würde ein Wechsel zwischen verschiedenen Perspektivträgern nicht stören, oder eine auktoriale "Rahmengeschichte", innerhalb derer personal erzählt.

Aber wenn einfach so zwischen auktorial und personal gewechselt wird, das würde mir nicht gefallen.

Dämmerungshexe

Zitat von: Fianna am 16. August 2015, 20:05:36
... oder eine auktoriale "Rahmengeschichte", innerhalb derer personal erzählt.

Könntest du vielleicht etwas genauer erklären, wie du das meinst? Das klingt spannend.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Fianna

Naja, das, was Judith über Kvothe sagte, klang so.

Mir liegt als erstes (fiktives) Beispiel etwas Historiographisches auf der Zunge, weil ich da seit einiger Zeit einen Tick für habe (vermutlich, bis ich ein solches Projekt mal realisiert habe). Also eine Chronik/Bardengeschichte, die als auktoriale Begleitung das Drumherum gibt, personal wird dann das echte Geschehen dargestellt, das natürlich abweicht. Im Falle einer Chronik kann man das auch in die personale Perspektive einbinden, z.B. indem eine Nebenfigur sich dementsprechend outet, und der Leser kann sich dann zusammen reimen, dass er da wohl eine nicht so gute Position in der personalen Erzählhandlung einnehmen wird, da er ja offensichtlich die Geschichtsschreibung in einigem Ausmaß verfälscht hat.
(Plotbunny - weg mit Dir! Ich brauche einen Plotbunny-Kruzifix-Smiley!)

Man kann für sowas natürlich auch eine Prophezeiung nehmen oder wenn man so einen politischen Intrigen-Plot baut, kann man da die fädenziehende Partei (eventuell ohne Namensnennung) in der auktorialen Rahmenhandlung einbinden, so dass der Leser einen Ticken mehr weiß als die Protagonisten in der personalen Perspektive... In die Richtung Suspense, weil man ja weiß, dass irgendjemand irgendetwas plant / in die Wege geleitet hat / ein Verräter ist / individuell das Vertrauen eines Charakters missbraucht, aber man weiß noch nicht genau welcher und lauert natürlich bei jeder Interaktion darauf, dass da eine nicht vertrauenswürdige Person dran teilnimmt...
(Plotbunny! Hinfort mit Dir, Du fieses kleines schneidezähniges Monster!)


Wenn man eine auktoriale Rahmenhandlung hat, dann finde ich einen Wechsel gut, wenn es ein Stilmittel ist oder sogar noch mehr Spannung aufbaut, indem der Leser einen Tacken mehr weiß als der Protagonist.

Wenn es einfach nach Lust und Laune zwischen auktorial und personal schwankt oder sogar noch innerhalb einer Szene, fände ich das nicht so schön.

Judith

Zitat von: Dämmerungshexe am 16. August 2015, 19:51:54
Ich frage mich sowieso, inwieweit es notwendig ist, sich an solche Schubladen wie "auktorialer Erzähler" und "personaler Erzähler" zu halten.
Aus meiner Sicht ist das gar nicht notwendig, solange es zur Geschichte passt und man weiß, was man tut.

"Der Name des Windes" ist tatsächlich ein Beispiel für eine auktorial erzählte Rahmengeschichte, innerhalb der es dann eine Ich-Erzählung gibt. Ich persönlich finde aber nicht, dass so eine klare Abgrenzung zwangsläufig sein muss. Aber gerade Fantasy hat sich in den letzten Jahren sehr stark auf eine personale Perspektive "eingeschossen", wie mir vorkommt. Andere Genres, besonders Gegenwartsliteratur, sind da teilweise variabler.

Moni

Zitat von: Judith am 17. August 2015, 15:07:23
Aus meiner Sicht ist das gar nicht notwendig, solange es zur Geschichte passt und man weiß, was man tut.

Besonders den letzteren, von mir fett markierten Teil muß ich da aber noch mal unterstreichen. Ein Autor, der auktorial und personal wild durcheinandermixt, tut weder sich noch dem Werk damit einen Gefallen. Wenn man aber die beiden Erzählperspektiven ganz gezielt mischt, kann man damit tolle Effekte für die Geschichte erzielen.
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Siara

Zitat von: Judith am 17. August 2015, 15:07:23
Aus meiner Sicht ist das gar nicht notwendig, solange es zur Geschichte passt und man weiß, was man tut.
Das sehe ich nicht ganz so. Gerade habe ich "Die Lügen des Locke Lamora" gelesen. Aufgrund des Bekanntheitsgrades ist davon auszugehen, dass der Autor offenbar wusste, was er tat. Dennoch hat mich das Springen zwischen personal und auktorial immens gestört. Zum einen, weil es ja letztendlich auch die Ausdrucksweise verändert. Nie war ganz klar, ob ein bestimmter Tonfall nun dem Erzähler oder einer der Figuren zuzuschreiben war. Zum anderen hat es mich auch einfach verwirrt und dafür gesorgt, dass ich den Charakteren nie ganz nahe kommen konnte. Ob diese Wechsel absichtlich gesetzt waren, weiß man als Leser natürlich nicht, aber ich gehe einfach mal davon aus.

Verallgemeinern will ich das wie immer nicht, weil ich daran glaube, dass nichts von Grund auf Mist ist, wenn man es richtig anwendet. Nur habe ich in diesem Fall noch nie ein Positivbeispiel gefunden. Auktorial und personal so zu vermischen, dass es a) eine positive Wirkung erzielt und b) nicht verwirrt stelle zumindest ich mir wahnsinnig schwer vor und kann mir spontan auch keinen Fall vorstellen, bei dem es mir als Leser gefallen würde.

Klare Abgrenzungen durch Leerzeilen oder ein neues Kapitel gefallen mir da viel besser, dann habe ich mit dem Springen auch absolut kein Problem.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.