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Wann ist ein Roman zu düster?

Begonnen von Nightingale, 24. März 2013, 21:46:38

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Robin

Ich muss Kati in dem Punkt zustimmen, in dem sie der Aussage, tiefgründige Figuren MÜSSTEN einen düsteren Hintergrund voller Schicksalsschläge und Leid haben. Ich habe schon gute Bücher gelesen, in dem der Prota gelegentlich nur mit einer eigenen kleinen Schwäche kämpfen musste. Kürzlich erst, im Zuge des Übersetzens, war die einzige kleine Stolperfalle für den Charakter sein Stottern. Im Verlauf der Geschichte hat er sich durch harte Arbeit Respekt und eine neue Lebensperspektive erarbeitet. Und er war auf keinen Fall ein Pappaufsteller von Charakter.

Zu düster wird mir ein Roman, wenn jede Figur irgendein tragisches Ereignis hat, was sie alle angeblich zusammenbindet. In dem Fall ist es für mich eher fast schon ein Missbrauch eines Aspekts, der zwar düster gestalten kann, aber in diesem Fall durch seine Häufigkeit alles verwässert und/oder zu düster und hoffnungslos gestaltet.

Und Protagonisten mit dunkler Vergangenheit sind nicht automatisch tiefgründiger und erwachsener. Sie können genauso verhunzt werden und schlussendlich seicht und charakterlos ausfallen. Schlussendlich kommt es darauf an, wie man alles zusammenfließen und ineinandergreifen lässt. Wenn das nicht funktioniert, dann stimmt das ganze Gebilde nicht, und die Protagonisten werden von einem zu schwachen oder zu überladenem Gerüst in der Geschichte zerquetscht zu Abziehbildern.
~Work in Progress~

Liliane

Stimmt, Kati hat eigentlich Recht. Na ja, Schicksalsschläge lässt Personen sich weiterentwickeln, aber es ist auch wahr, dass schöne Ereignisse einen sich weiterentwickeln lassen können und man nicht naiv, unwissend und unerfahren irgendwo hängenbleibt, nur weil nie jemand gestorben ist, der einem nahe stand; man sich nie einen Finger abgetrennt hat oder selbst einen Mord begangen hat.
Das ist wahr.

Aber ich persönlich schreibe gerne solche düsteren Szenen, in denen sich jemand mit ganz krassen Schlägen auseinandersetzt und ich lese sie auch gerne. Vielleicht ist es einfach so, dass viele Autoren es eben "falsch" sehen, wie mans nimmt, und die Figuren sich eben bloß stark entwickeln lassen, wenn etwas schlimmes geschieht.
Vielleicht ist das wirklich ein Fehler. Und Robin hat auch recht, es geht auch ohne.
Und manchmal ist es wie gesagt auch sehr übetrieben udn nicht mehr realistisch. So viele Leute laufen nun auch nicht auf der Straße herum, die schon mal im Blut ihrer Freunde lagen, oder was auch immer es manchmal in Büchern gibt.

Also nach nochmaliger Überdenkung würde ich zu dem Schluss kommen, dass Bücher so udn so gut (oder auch schlecht oder flach) sein können und man darauf achten muss, dass es nachvollziehbar udn realistisch bleibt.

AlpakaAlex

Haha, der Thread ist von 2013, also 8 Jahre alt und irgendwie könnte er auch von diesem Jahr sein, denn der Trend hält ja definitiv noch an. Nicht zuletzt hat da ja auch Game of Thrones sein übriges getan und dafür gesorgt, dass Dark Fantasy total beliebt ist. Das gilt vor allem für die eher - ohne das Wort jetzt böse zu meinen - Mainstream Variante der Fantasy. Hier ist alles düster und gerade bei Verfilmungen hab ich so den Eindruck: Was noch nicht düster genug ist, wird noch düsterer gemacht. Schön viel Mord, Sex, Folter reinbringen. Ähm ja, bin ich selbst halt eher weniger der Fan von - selbst wenn ich niemanden verurteile, der das gerne liest/schaut. Ich würde mich halt nur freuen in den Verfilmungen mehr Auswahl zu haben, die das eben nicht so machen. Wo ist mein fluffiges, hoffnungsvolles Fantasy, das nicht speziell Kinder als Zielgruppe hat?

Es ist nicht mal so, als würde ich selbst nie etwas düsteres schreiben/lesen. Ab und an habe ich halt auch das Bedürfnis auf düstere Sachen. Wie ich allerdings schon in einem anderen Thread geschrieben habe: Ich selbst schreibe Folter, brutale Morde oder Vergewaltigungen nie aus. Weil ich darin schlicht und ergreifend keinen Sinn sehe. Die Leser*innen können sich ja auch so vorstellen, was da passiert und sind damit wahrscheinlich noch bildlicher, als ich es je sein könnte.

Aber ja, ich wünschte mir ein wenig mehr weniger düsteres Fantasy - gerade in Serienform.
 

Valkyrie Tina

Da muss ich widersprechen. Grade in den letzten Jahren haben wir so viele hoffnungsvolle und fröhliche Fantasy bekommen wie nie zuvor.

Wir haben die Murderbotreihe von Martha Wells, mit dem absolut liebenswertesten Cyborg der Welt (Will gleich Massenmord begehen, nur noch die Serie zuende bingen. Also Moment, das war vor 30.000 Stunden. Als herzlose Killermaschine ist it wirklich eine absolute Null)
Wir haben Elatsoe, eine first nation Urban Fantasy mit einem Geisterhund UND nichttoten,hilfreichen Eltern.
Lesbische Bibliothekare im Wilden Westen,
Dämonische Übernahme von Los Angeles, aber dann haben sies sich anders überlegt und machen stattdessen nen Beautyblog.

Natürlich gibt es auch die BlutBlut-Fraktion, grad im Fernsehen. Aber für jeden the Vikings gibts auch einen Izombie, Thanos haben wir auch abgesägt und dann gibt es noch die Serien, die die Balance tatsächlich schaffen und bei aller Düsternis gleichzeitig auch noch schreiend komisch sind. (tosses a coin to the witcher)

AlpakaAlex

Zitat von: Valkyrie Tina am 02. September 2021, 17:09:38
Da muss ich widersprechen. Grade in den letzten Jahren haben wir so viele hoffnungsvolle und fröhliche Fantasy bekommen wie nie zuvor.
Haben wir. Aber von den genannten Sachen, würde ich nur The Witcher als Mainstream bezeichnen. Wenn ich mir halt anschaue, was beispielsweise auf r/fantasy zu großen Teilen besprochen wird, ist dies meist düsterer Kram (von weißen, cis männlichen Autoren).
 

Mondfräulein

Du gräbst echt die spannendsten Themen aus. ;D

Ich finde viele Geschichten (das nehme ich jetzt mal als Sammelbegriff für Filme/Serien/Bücher/Comics) zu düster, habe auf der anderen Seite aber persönlich keine starren Grenzen, wann mir etwas zu krass ist... macht das Sinn? Wahrscheinlich nicht. Was ich meine, ist dass es mir sehr auf die Umsetzung und Angemessenheit der Inhalte ankommt.

Zum einen finde ich da wichtig, welche Zielgruppe eine Geschichte hat und welche Erwartungen sie weckt, bevor ich anfange, das Buch zu lesen. All That She Can See von Carrie Hope Fletcher ist ein wahnsinnig schlechtes Buch, aber selbst wenn es nicht so mies geschrieben wäre, hätte mich sehr gestört, dass es am Ende nochmal einen krassen Genrewechsel vollzieht. Es fängt als süße und fluffige Geschichte über eine Bäckerin an, die Gefühle in ihr Gebäck backt um Menschen genau das zu geben, was sie brauchen. Sie verkauft fröhliche Cupcakes und selbstbewusste Törtchen. Klingt nach einer Wohlfühlgeschichte. Fängt auch so an. Am Ende brechen sie bei einer Geheimorganisation ein und es gibt Bodyhorror, Blut und graphisch beschriebene Splatterszenen. Das erwartet man überhaupt nicht, wenn man sich den Klappentext durchliest und das Cover ansieht. So unvorbereitet auf einmal eine richtig düstere Geschichte vor sich zu haben finde ich nicht gut. Es geht auch nicht darum, dass man die Genres nicht vermischen darf oder dass einfach das Marketing schlecht war, das Buch hat mittendrin sein Genre komplett gewechselt.

Was mir auch wichtig ist, ist zu welchem Zweck die düsteren Inhalte ins Buch aufgenommen wurden. "Das ist dann voll düster wie ein Game of Thrones" ist kein guter Grund. Wenn ich ernste und düstere Themen in mein Buch aufnehme, was mache ich dann damit? Denn häufig habe ich das Gefühl, dass Autor*innen denken, das würde ihr Buch automatisch besser und tiefgründiger machen, tut es aber nicht. Es ist super, wenn sich Geschichten gekonnt mit diesen Themen auseinandersetzen, aber dann muss man sich eben auch damit auseinandersetzen. "Die Welt ist brutal und düster" ist finde ich auch kein guter Grund. Was gut funktionieren kann ist zum Beispiel "Die Welt ist sehr brutal und düster, das brauche ich als Rahmen, um zu erklären, warum meine Figuren sind wie sie sind und wie sich aufgrund dieser Umstände entwickeln". Das heißt nicht, dass ich mich ausführlich damit auseinandersetzen muss, aber dann habe ich zumindest einen Grund, warum ich die Brutalität der Welt zeige. Dann habe ich mir etwas dabei gedacht.

Oder mit Sex. Bei Sex ist das auch so eine Sache. Ich weiß nicht warum, aber viele streuen auf einmal sehr viele sehr explizite Sexszenen in Romane ein, vielleicht weil sie denken, das ist dann realistisch. Ständig wird Sex gehabt oder über Sex geredet, egal worum es in der Konversation eigentlich geht. Körperflüssigkeiten werden dann auch gerne sehr ausführlich beschrieben. Und da denke ich mir halt... wieso? Mir ist das vor allem deshalb zu viel, weil es so wahnsinnig willkürlich wirkt und meistens einfach vollkommen unhinterfragt passiert.

Mir fällt auch häufig auf, dass manche Geschichten einfach nur Trauma Porn sind, in denen es alleine darum geht, dass einer Figur ganz viele ganz schlimme Dinge passieren und dann kommt das tragische Ende. Das fällt mir häufig bei jüngeren Schreiber*innen auf, aber letztens habe ich mir die Handlung zu A Little Life von Hanya Yanagihara durchgelesen und dachte nur boah ist das deprimierend, das lese ich dann wohl doch nicht. Ich glaube, zu düster ist es mir, wenn eine Geschichte nur davon handelt, wie schlecht es jemandem geht. Was ich brauche ist ein kleiner Funke Hoffnung, denn letztendlich erzähle ich düstere Geschichten doch auch deshalb, oder? Um zu zeigen, wie sich jemand trotz dieser düsteren Umstände behauptet. Zumindest mir geht das so. Eine Kette von Niederlagen macht für mich nur dann Sinn, wenn ich sie nutze, um dem Triumpf am Ende mehr Gewicht zu geben. Auch wenn es nur ein kleiner Triumpf ist.

Die düsternen Themen müssen am Ende einfach zur Geschichte passen. Düster zu schreiben nur um düster zu schreiben, als Selbstzweck, funktioniert leider selten.

Valkyrie Tina

Zitat von: AlpakaAlex am 02. September 2021, 18:07:37
Zitat von: Valkyrie Tina am 02. September 2021, 17:09:38
Da muss ich widersprechen. Grade in den letzten Jahren haben wir so viele hoffnungsvolle und fröhliche Fantasy bekommen wie nie zuvor.
Haben wir. Aber von den genannten Sachen, würde ich nur The Witcher als Mainstream bezeichnen. Wenn ich mir halt anschaue, was beispielsweise auf r/fantasy zu großen Teilen besprochen wird, ist dies meist düsterer Kram (von weißen, cis männlichen Autoren).

Da wäre die Frage, was du als Mainstream ansiehst. Und, mal ganz prinzipiell, ob wir von Büchern oder Filmen reden- dieser Thread bezog sich nämlich ursprünglich auf Romane.
Was Romane betrifft: die von mir Angesprochenen sind zum großen Teil die Hugo-finalisten, und auch wenn Preise nur ein Faktor sind, sind sie ein Faktor, und Hugopreisträger, die oft in großen Verlagen erscheinen, sind per Definition Mainstream.
Was irgendwelche Typis in irgendwelchen Redditecken doll finden, ist noch mal ne ganz andere Sosse. Aber die sehen mich auch nicht als richtigen Fantastikfan an, und ich gebe den Gefallen an dieser Stelle zurück. Sprich, die denken immer noch, dass Tolkien ihr Gott ist und wenn ich drauf warte, dass sich die Konversation in solchen Gruppen ändert und das als Maßstab nehme, werd ich sehr unglücklich sterben.

Zu Filmen: da wäre die Frage, ob das wirklich nur grausam und dramatisch ist. Welche neuen Serien hat es denn in den letzten Jahren gegeben? Sind die überwiegend brutal? Ich frag da wirklich nach, weil ich kaum noch Filme sehe. Das letzte was ich komplett gebingt hab wa rdie Loki seire und she-Ra.

Ganz prinzipiell, um zur Ursprungsfrage zurückzukommen: wann ein Roman zu brutal ist, ist individuell und von der Person und der Zeit und der persönlichen Verfassung abhängig. Ich hab Nk jemisins City we became seit Erscheinen hier stehen, und ich kann es nicht lesen. Es ist zu realistisch, zu brutal. Nicht weil es sinnlos brutal ist, sonder gerade weil es so realistisch ist. Ich weiß, dass es keine Cthulu in New York gibt. Aber die Polizeigewalt? Den Rassismus? Der ist sehr real. Damit sag ich aber nicht, dass das Buch irgendwie falsch ist, nur, dass ich, an der Stelle wo ich grad bin, es nicht lesen kann.