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Eine Figur zu quälen

Begonnen von HauntingWitch, 29. Oktober 2013, 15:14:28

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Lothen

Ich denke, das kommt wirklich auf das "wie" an. Ansonsten schließe ich mit Zitkalasa an, es sollte schon realistisch sein - und manche Typen ziehen den Ärger eben an ;)

Ich frag' mich auch oft, ob ich meiner Prota zu viel antue, aber es ist nun mal Krieg - da wäre es sogar unrealistischer, wenn sie einfach friedlich vor sich hin tanzen würde.

Ich würde allerdings auf jeden Fall dazu raten, zwischendurch auch mal ein bisschen auf die "Pause"-Taste zu drücken, ich denke, das tut dem Leser sicher gut ;)

Guddy

Pause gibt's bei uns mehr als genug  ::) ;D

Naja ich muss mal gucken, wie andere Autoren sowas handhaben. Was Gewalt angeht fallen mir nur dummerweise keine Beispiele ein  :hmmm:

Sprotte

Ich habe gerade erst einen Roman zerlegt und umgebaut, weil ich es in ihm übertrieben hätte. Fast tot, vom Speer durchbohrt, Folterszene 1, Folterszene 2. Die erste Folterszene ist nun geflogen, weil es einfach zu viel war.

Sternsaphir

Ich denke auch, wie bereits meine Vorredner erwähnt haben, dass ganz es auf die Geschichte ankommt.
Wenn der Prota von einem Unglück ins nächste rutscht, muss er entweder der erklärte Pechvogel sein oder es wird unrealistisch.
Aber durchaus passieren im Leben dumme Sachen, die aneinander gereiht eine schweres Los ergeben, sodass man sich fragt, wann endlich die versteckte Kamera auftaucht.

Ich habe meine Prota jetzt auch lange genug gequält. Gefangennahme, Verhöre, Freundin leiden sehen, versuchte Vergewaltigung, anstrengende Flucht, zweite Gefangennahme, Zwangsarbeit, keine Rettung, eigene Leute verachten sie . . . langsam reicht es und ich werde wieder versöhnlicher mit ihr, damit es einen Ausgleich zu der harten Zeit davor gibt.

Ich versuche immer so realistisch wie möglich zu schreiben. Aber die Menschen sind auch alle unterschiedlich. Die einen quälen mit Freunden ihre Gefangenen, die anderen versuchen es auf die sanfte Tour, um an Informationen heranzukommen.
Und wenn das ganze Setting in einer unbarmherzigen Umgebung stattfindet, darf man natürlich im Kerker keine offene Diskussionsrunde mit Tee und Keksen erwarten. Da steht dann halt der unterbezahlte und frustrierte Kerkermeister, der wegen dir keinen Feierabend machen kann.  ;)



Nebeldiener

Bei mir kommt es darauf an, wie ich sie quäle. Baue ich "nur" eine Frau ein, die ihm die grosse Liebe vorspielt und anschliessend wieder verschwindet, oder wird er körperlich gefoltert, so dass er kurz vor dem Sterben ist?
Ich hatte bis jetzt aber noch nie das Gefühl, dass ich meine Protagonisten zu sehr quälen würde, denn das Quälen ist bei mir immer am Plot verschuldet und nicht daran, dass es die Spannungskurve gerade erfordert, damit ich die Spannung an diesem Punkt nicht einbricht. Somit kommt bei mir auch nie das Gefühl hoch, dass ich zu hart bin. Wenn mir etwas ganz nahe geht, entwickle ich normalerweise eine Hass auf die Verursacher.
Zum Beispiel wird in einer meiner Geschichte eine Frau als kleines Kind von ihrer Familie getrennt, in dem sie entführt wird. In solchen Momenten denke ich mir nicht, dass ich meine Protagonistin ungerecht behandle und ich die Entführung ja eigentlich gar nicht bräuchte, weil es auch so und so geht. Nein. Je mehr ich darüber schreibe, desto grösser wird meine Abneigung gegenüber den Entführer.
Am liebsten halte ich es dann so, dass die "Bösen" am Ende auch ihre verdiente Strafe bekommen haben.

Nebeldiener

Churke

Wer immer Gas gibt, dem geht irgendwann der Sprit aus. Daneben drohen Abnutzungseffekte und - ganz wichtig -  Ablenkung vom Wesentlichen. Wenn ich die ganz große Katastrophe habe, sollte man nicht gleich neue Schicksalsschläge rein drücken. Stellen wir uns einen Nationalspieler vor, der im Finale der Fußballweltmeisterschaft den alles entscheidenden Elfmeter verschießt. Hinterher rutscht er in der Dusche aus und dann wird auch noch sein Handy geklaut.

phoe

Ich buddel das mal hoch ... *huuust*

Im Moment bin ich dabei, etwas Neues auszuprobieren. Ich möchte meiner dunklen Seite etwas mehr Spielraum lassen. Ich versteck sie normalerweise, weil ich wirklich böse sein kann.
Wie weit darf ich gehen, wenn es um Kinderschänder geht? Ich will auf keinen Fall ausführlich vom Mißbrauch der Kinder schreiben. Sondern davon, wie jemand den Kinderschänder hinterher für seine Taten bestraft - ihn richtig quält. Inwieweit ist das ein Tabuthema, darf man überhaupt darüber schreiben?

Sprotte

#37
1. Erlaubt ist alles (ob es veröffentlichbar ist und/oder Leser findet, ist eine zweite Frage)

Es gibt Dinge, bei denen ich selbst beim Schreiben Bauchweh hätte. Wer soll bei Deiner Idee den Kinderschänder quälen? Und welchen Mehrwert hat die Folter für die Geschichte? Ein Mißbrauchsopfer oder ein Elternteil eines solchen Opfers? Ein Polizist, der zu viele mißhandelte Kinder gesehen hat?
Das schmeckt für mich persönlich problematisch, wenn eine Gestalt der grundsätzlich "guten Seite" sich in solche Abgründe begibt. Jede Tat hinterläßt Spuren in der Seele/Persönlichkeit. Auch ein Racheakt. Und ob das so befriedigend ist, dem Schänder in den Eingeweiden herumzuwühlen? Ob es der Opferseite hilft?

Mir ist in meinen Romanen aufgefallen, daß ich die schlimmsten Gegner immer am schnellsten umbringe. Ich will sie richten, nicht meine Figur sich an ihnen rächen lassen - auch um der moralischen Reinheit meiner Figur zuliebe. Edler Rächer - nicht auf einer Stufe oder gar noch darunter mit dem Übeltäter.

Hilft Dir davon was?

phoe

ZitatHilft Dir davon was?
Auf jeden Fall. Vielen Dank.  :knuddel:
Zitatauch um der moralischen Reinheit meiner Figur zuliebe. Edler Rächer - nicht auf einer Stufe oder gar noch darunter mit dem Übeltäter.
Ich denke, genau diesen Punkt hatte ich nicht bedacht. Du hast Recht. Egal was geschehen ist, der/die Prota sollte nicht auf der gleichen Stufe stehen oder gar darunter.

PinkPuma

Ich würde Sprotte hier in allen Punkten zustimmen wollen. Nur noch einen kleinen Denkanstoß hinzufügen wollen:

Zitat von: Sprotteauch um der moralischen Reinheit meiner Figur zuliebe. Edler Rächer - nicht auf einer Stufe oder gar noch darunter mit dem Übeltäter.

Die Frage für mich wäre, inwieweit Rache den eigentlichen Täter und das sich rächende Opfer auf eine Stufe stellt? Es wäre natürlich eine absolute Gradwanderung. Das Kunststück, den Rächer so sympathisch und seine Rachegedanken (und Rachetaten) so nachvollziehbar zu machen, dass er (oder sie) Sympathieträger bleibt. Und dann wiederum stellt sich die Frage, ob es dann nicht in eine Richtung geht, Rache und Selbstjustiz zu rechtfertigen...

Eine Paradelösung kann ich auch nicht anbieten, das oben lediglich als Denkanstoß, da ich das Thema sehr spannend (und auch wichtig) finde. Es kommt wohl auch sehr auf den Kontext an. In einer Fantasywelt, in der jeder zweite mit einem Schwert hantiert und rechtsprechende Instanzen vielleicht nicht so differenziert auftreten, wäre ein solcher Rächer für mich von einer anderen moralischen Qualität als in einem Setting im 21. Jahrhundert. Auch das nur als Denkanstoß...

Sascha

Ich denke, man kann durchaus eine gequälte Seele (wie z.B. Vater oder Bruder des Kindes) alle Grenzen überschreiten lassen. Daß derjenige sich hinterher nicht besser, sondern eher schlechter fühlt, ist dann aber die andere Seite.
Wenn ich mir vorstelle, meinen Kindern würde sowas angetan, ich weiß nicht, wozu ich fähig wäre, ehrlich. Wahrscheinlich würde mich nur die Verantwortung für mein Kind (bzw. u.U. nur noch das andere) davon abhalten, etwas zu tun, was mich lange Jahre in den Knast brächte.
Ich weiß nicht, was dem Kind in Deiner Geschichte passiert und vor allem nicht, ob es auch noch umgebracht wird. Nehmen wir letzteres an, außerdem vergehen noch ein paar Jahre, in denen der Schmerz über den Verlust die ganze Familie zerstört hat, und dann kriegt der Vater den Täter in die Finger. Er hat durch den Typ alles verloren, also auch nichts mehr zu verlieren. Und er will, daß auch der Täter jahrelang bzw. ein Leben lang leidet, so, wie der Vater (oder bei Überleben auch das Kind) und der Rest der Familie. Das könnte durchaus dazu führem, daß er dem Verbrecher schlimmstes antut. Er wird sich hinterher nicht besser fühlen, er wird nicht "befriedigt" sein, sondern eher in ein noch tieferes Loch fallen, aber erst mal könnte es durchaus dazu kommen.
Wenn man herausarbeitet, daß diese Rache am Ende niemandem geholfen hat, dann ist es auch keine Verherrlichung derselben, finde ich.

Judith

Ich schließe mich da Sascha an.

Die Frage ist für mich auch: Liegt dir etwas an der moralischen Reinheit der Figur? Mir als Leserin nämlich normalerweise nicht, aber ich möchte nicht, dass eine Figur, die so etwas macht, als moralisch einwandfrei dargestellt wird, eben nicht als "edler Rächer" wie auch Sprotte schon geschrieben hat.
Daher wäre es für mich bei einer derartigen Szene auch sehr wichtig, wie die Figur später damit umgeht, dass sie so etwas getan hat. Das wäre für mich auch das eigentlich interessante daran, da ich solche Abgründe und auch solche moralischen Konflikte wahnsinnig spannend finde. Wenns dagegen nur um das Quälen an sich geht, würde ich persönlich das nicht lesen wollen.

Angela

Kennst du den Film Prisoners mit Hugh Jackman? Da glaubt er, den Entführer seiner Tochter in den Händen zu haben und foltert ihn über Tage. Ich fand es ziemlich unerträglich, obwohl das Opfer nie gezeigt wurde. Der Film war beeindruckend, aber verstörend.
Ebenso diese realen Lynchfilme, die man immer mal sehen kann. Selbst wenn diese Menschen üble Dinge getan haben sollten, wechselt da der Blick auf das Böse für mich ganz schnell. Was ich damit sagen will, foltern ja, aber nur, wenn es eine Notwendigkeit ist, also nicht nur dem reinen Quälen/Bestrafen an sich dient.

phoe

#43
Wow, Ihr gebt mir Stoff zum nachdenken - danke.
ZitatDie Frage für mich wäre, inwieweit Rache den eigentlichen Täter und das sich rächende Opfer auf eine Stufe stellt? Es wäre natürlich eine absolute Gradwanderung. Das Kunststück, den Rächer so sympathisch und seine Rachegedanken (und Rachetaten) so nachvollziehbar zu machen, dass er (oder sie) Sympathieträger bleibt. Und dann wiederum stellt sich die Frage, ob es dann nicht in eine Richtung geht, Rache und Selbstjustiz zu rechtfertigen...
Ich wäre tatsächlich beinahe in die Selbstjustiz gerutscht. Was nicht wirklich mein Ziel war, das gut zu heißen.
ZitatWenn ich mir vorstelle, meinen Kindern würde sowas angetan, ich weiß nicht, wozu ich fähig wäre, ehrlich. Wahrscheinlich würde mich nur die Verantwortung für mein Kind (bzw. u.U. nur noch das andere) davon abhalten, etwas zu tun, was mich lange Jahre in den Knast brächte.
So geht es mir schon seit ewigen Jahren. Wobei ich nichts und erst recht nicht für mich garantiere, nicht doch im Affekt ohne nachzudenken zum Killer zu werden. Mit Zeit zum Nachdenken kommen böse Quälereien raus, die mir für so einen Unmenschen einfallen.  :darth: Ich hatte am Freitag, bei einem Treffen mit Freunden und ebenfalls Schreibenden dieses Thema angesprochen und bei den männlichen Zuhörern nicht nur eine Gänsehaut und erschrockene Gesichter gesehen.
ZitatDaher wäre es für mich bei einer derartigen Szene auch sehr wichtig, wie die Figur später damit umgeht, dass sie so etwas getan hat. Das wäre für mich auch das eigentlich interessante daran, da ich solche Abgründe und auch solche moralischen Konflikte wahnsinnig spannend finde. Wenns dagegen nur um das Quälen an sich geht, würde ich persönlich das nicht lesen wollen.
Genau, das ist es. In meinem Fall, die Rächerin müsste damit leben müssen. Mir fehlte noch einiges, was ich jetzt langsam finde.
Ich bin wahrscheinlich doch nicht dazu geschaffen, sowas zu schreiben. Ich sollte bei meinen fantasievollen Kinder- und Jugendgeschichten bleiben.  :D

Edit: @Angela, ja, den Film kenne ich. Wenn ich solche Filme sehe, dann schwanke ich zwischen Zustimmung und Abscheu. Wenn ich dran denke, meinem Kind würde etwas Schlimmes passieren, sind in dem Moment alle Folter erlaubt und viel zu harmlos. Aber nicht, wenn ich es mir einfach nur "zur Unterhaltung" ansehe, dann schalt ich auch schon mal weg.

Sascha

Zitat von: Angela am 12. Juli 2015, 12:22:11
Was ich damit sagen will, foltern ja, aber nur, wenn es eine Notwendigkeit ist, also nicht nur dem reinen Quälen/Bestrafen an sich dient.
Sorry, aber:
Folter hat keinerlei anderen Zweck als Quälen, sei es zur Strafe, aus Rache oder aus purem Sadismus. Jeglicher Aberglaube, Folter wäre dazu geeignet, wichtige Informationen aus jemandem herauszupressen, ist seit langem widerlegt, was ja bzgl. Abu Ghuraib, Guantanamo usw. erst vor wenigen Jahren mal wieder ausgiebig durchgekaut wurde. Folter als Notwendigkeit gibt es nicht.