• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Das Wiedergeben von Akzenten, authentisch oder lächerlich?

Begonnen von Telas, 23. August 2011, 17:17:37

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Telas

Ich wollte in den kommenden Tagen wieder ein wenig an meinem Lokalroman, dem Silberzahn weiterschreiben, allerdings zwingt mich ein Problem dazu, diesen Workshopthread zu eröffnen.
Ich komme aus dem tiefen Oberschwaben und da redet man nun einmal nicht gerade feinstes Hochdeutsch. Teilweise ist der schwäbische Akzent sogar so stark ausgeprägt, dass sich dadurch kleine Grammatikfehler bei uns im Süden einschleichen, oder bei mir zumindest.
Nun schreibe ich aber einen Heimatroman, der eben in dieser Gegend mit dem manchmal recht starkem Akzent spielt, zumal Ravensburg in einer eher ländlichen Region liegt und damit noch ein wenig stärker betroffen ist.

Doch nun zum Problem. Ist es wichtiger, dass die Figuren authentisch reden, also eben wie ein Schwabe, oder wird das unter Umständen schnell lächerlich?

Beispiel:

Jemand möchte sagen: "Ich war gestern in der Wirtschaft und habe etwas getrunken".
Auf Schwäbisch: "I war geschtern in der Boiz und han was gsoffa".

Vielleicht ein etwas extremes Beispiel, ist aber mit voller Absicht so gewählt. So wird vielleicht die Problematik am deutlichsten. Bin mal gespannt was ihr sagt. Ob die Leute in einem Lokalroman auch wirklich so klingen sollen wie in der Provinz, oder ob die Verständlichkeit über alles geht.

Malinche

In Maßen, würde ich sagen, kann das durchaus gut funktionieren. Wenn es also zum Beispiel eine Figur gibt, die so extrem redet. Wenn ganze Dialoge so abgefasst wären, würde ich es - ganz ehrlich - etwas ermüdend finden. Ich habe einen Wiener Vater und einen Tiroler Bruder, bin also, was vom Hochdeutschen abweichende Sprechweisen betrifft, relativ geübt und kann sowas meistens schriftlich auch ganz gut entschlüsseln. Anstrengend ist es aber trotzdem, und ich weiß, dass es manchen Leuten erheblich schwerer fällt.

Also knapp: Insgesamt würde ich auf Hochdeutsch zurückgreifen, vielleicht eine Figur einbauen, die mit ihrer Redeweise für Lokalkolorit sorgt. Einzelne Begriffe und Redewendungen kann man ansonsten ja auch nutzen. Aber die Figuren komplett so reden lassen würde ich nicht.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Rosentinte

Hallo,

Ich denke, dass kommt ganz darauf an, was du deinem Leser vermitteln willst. Wenn du den schwäbischen Dialekt über alles heben willst, dann solltest du ihn auch so wiedergeben. Soweit ich weiß, gibt es dafür ja sogar ein Extra-Genre, oder?
Es kommt aber auch darauf an, was für ein Publikum du erreichen willst. Wenn es wirklich nur um die Leute dort geht, die den Dialekt auch verstehen, dann ist es noch eher in Ordnung, als wenn du ein breiteres Publikum ansprechen willst. Einen Roman, der nur aus Schwäbisch besteht, würde ich ganz schnell weglegen, weil es mir zu anstrengend wäre.
Es gibt Bücher, die spielen mit Dialekten, wie z.B. Tommy Jauds "Resturlaub", der ja jetzt auch in den Kinos ist. Da wird der Dialekt schon zitiert - aber als Zeichen, wie hinterwäldlerisch die Freunde des Protas sind. Hier ist es durchaus eine Art sprachliches Mittel.
Der Verständlichkeit halber würde ich aber eher dazu tendieren, auf Hochdeutsch zu schreiben. Hochdeutsch ist nun mal die Schriftsprache. Ein oder zwei Sätze hier und da im hiesigen Dialekt ist sicherlich ganz interessant und baut Atmosphere auf - aber mehr möchte ich persönlich gar nicht haben. Eher einzelne Wörter vielleicht noch, die den Lokalkolorit unterstreichen.
LG, Rosentinte

Edit: Malinche war schneller
El alma que anda en amor ni cansa ni se cansa.
Eine Seele, in der die Liebe wohnt, ermüdet nie und nimmer. (Übersetzung aus Taizé)

Thaliope

Oft wird durch die Ausprägung des Dialekts auch die gesellschaftliche Schicht betont. Gebildete Leute sprechen in Romanen meist Hochdeutsch, Nebenfiguren aus niedrigeren Schichten legt man dann eher schon mal einen Dialekt in den Mund.
Das finde ich auch ganz nett, wenn es eine Nebenfigur ist: Man kriegt ein bisschen den Klang des Lokalkolorits mit, aber man muss nicht einen ganzen Roman in Mundart lesen. Worauf du achten müsstest, wäre die allgemeine Verständlichkeit der Begriffe, ich wüsste beispielsweise nicht, was eine Boiz ist.

LG
Thali

Sprotte

In den Tiffany-Aching-Büchern von Terry Pratchett sprechen die Feegles breites, leicht verfälschtes Scots. Im Prinzip sind sie Nebenfiguren. Da sie insgesamt sehr pictish wirken, paßt es. Würden alle Figuren diesen Dialekt sprechen, wäre es nicht auszuhalten.

Mal einen Funken zur Authentität - gerne. Aber nicht übertreiben, sonst wird es für "Fremdsprachler" zu anstrengend. Ich muß gestehen, daß ein ein durchgehend sächselndes, schwäbelndes oder bayerndes Buch beiseite legen würde.

Dämmerungshexe

Ich schließe mich meinen Vorredner an - ich selbst (wobei ich auch aus dem Grenz-Gebiet des Schwabenlandes komme und einiges an Dialekt gewohnt bin und es so im Alltag auch zu schätzen weiß) hätte ohne die vorangestellte Übersetzung ins Hochdeutsche gar nicht gewusst was "Boiz" ist ...
Also rein vom Verständnis her und davon ausgehend, dass deine Zielgruppe nicht regional sehr stark eingegrenzt ist, würde ich soetwas wirklich nur in geringen Maßen einsetzen. Ich würde solch starken Dialekte nur dan einbringen, wenn sie für die Geschichte tatsächlich relevant und unumgänglich (oder an einer Stelle einfach urkomisch) sind. Ansonsten solltest du, meiner Meinung nach, beim Hochdeutsch bleiben.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

sirwen

Hallo Andoras,

Mit diesem Problem habe ich mich auch befasst. Meine Protagonisten im Basiliskenprojekt müssten eigentlich authentischerweise Schweizerdeutsch sprechen, aber ich habe es beim Hochdeutschen belassen und streue nur ab und zu ein paar Begriffe ein. Manchmal wandle ich auch die Grammatik ab, konkret verwende ich "der" oder "die" bei Namen. Also z.B.:

ZitatDer Markus hat gesagt, dass ...

Die meisten schweizer Autoren schreiben auch auf Hochdeutsch, aber in der schweizer Rechtschreibung. Mundart-Autoren haben hingegen, wie schon erwähnt, ein eigenes Genre.

ZitatJemand möchte sagen: "Ich war gestern in der Wirtschaft und habe etwas getrunken".
Daraus würde ich zum Beispiel "Ich war gestern in der Beiz und habe etwas getrunken" machen :).

Ein bisschen Lokalkolorit darf sein/sollte sogar dazu gehören, aber nicht so viel, dass ein "Nicht-Muttersprachler" Mühe hat. Im Übrigen bevorzuge ich es auch, SMS und Mails auf Hochdeutsch zu schreiben bzw. zu erhalten, Schweizerdeutsch lesen finde ich anstrengend, weil jeder eine andere Rechtschreibung hat.

Rika

Ich schließe mich dem "in Maßen" an.

Beim Schwäbischen kommt noch hinzu, daß es ja nicht nur ein Akzent ist, sondern ein sich doch sehr vom Hochdeutsch unterscheidender Dialekt, was bedeutet, daß du in Gefahr läufst, daß nicht-schwäbische Leser nur die Hälfte verstehen.
Dein Beispiel kriege ich noch so hin, obwohl mir "Boiz" nicht bekannt ist, aber es erschließt sich aus dem Zusammenhang, aber wenn ich da an den Besuch mit einem Freund, bei seinen Eltern daheim, im schwäbischen Dorf, denke... da habe ich wirklich gar nichts mehr gerafft.

Leandors

#8
Ich schliesse mich meinen Vorschreibern an. So lange es nicht zu viel ist, und man weiss was gesagt wurde ist es in Ordnung. Einzelne Sätze sind sicher für die Atmosphere toll, man sollte es aber nicht übertreiben.
Den Satz hätte ich jetzt zwar verstand aber wenn nur eine Wort, ohne zusammenhang, steht, ist es schwieriger. Wie währe es mit Fussnoten? :rofl:

Ein ganzes Buch in Mundart würde ich persönlich auch nie lesen.

ZitatIm Übrigen bevorzuge ich es auch, SMS und Mails auf Hochdeutsch zu schreiben bzw. zu erhalten, Schweizerdeutsch lesen finde ich anstrengend, weil jeder eine andere Rechtschreibung hat.
Geht mir genau so. :)

Telas

Oh so viele Antworten schon, vielen Dank dafür erst einmal!

Hmm, in Maßen also dann heißt es also, den Mittelweg zu finden. Vielleicht bekomme ich es ja hin, dass manche Figuren mehr oder weniger schwäbeln, je nach ihrer Stellung in der Gesellschaft oder dem familiären Umfeld, aus dem sie stammen.
Besonders gut finde ich es, dass manche von euch klar und deutlich gesagt haben, dass sie ein reines Mundartbuch nicht lesen würden. Dann werde ich das nämlich auch unterlassen.

Stellt sich mir aber eine weitere Frage: Würde jemand, der vielleicht mit stärkerem Akzent redet, automatisch auf euch einen ungebildeten, beziehungsweise einfach gestrickten Charakter machen? Denn hierbei könnte ich unter Umständen Gefahr laufen, dass man den Eindruck bekommt, jeder der stark schwäbelt ist automatisch dumm. Und genau das will ich auf keinen Fall.

Malinche

Zitat
Stellt sich mir aber eine weitere Frage: Würde jemand, der vielleicht mit stärkerem Akzent redet, automatisch auf euch einen ungebildeten, beziehungsweise einfach gestrickten Charakter machen? Denn hierbei könnte ich unter Umständen Gefahr laufen, dass man den Eindruck bekommt, jeder der stark schwäbelt ist automatisch dumm. Und genau das will ich auf keinen Fall.

Ich denke, dass dieser Eindruck oft gezielt bedient wird, indem - quasi im Umkehrschluss - "einfache" Figuren Dialekt reden. Du könntest das sicher umgehen, indem du mit Bedacht wählst, wer bei dir schwäbelt. Wenn das zum Beispiel ein Universitätsprofessor ist, könnte das einen ganz interessanten Effekt haben. Ich habe mir auch fernab vom Schreiben schon diese Frage gestellt und habe das Gefühl, dass - zumindest in Deutschland - Mundart oft ein bisschen belächelt und eben auf ungebildete Schichten reduziert wird (in der Wahrnehmung). Wäre doch schön, wenn du diesem Eindruck in deinem Buch entgegenwirken könntest. Nur durch Mundart wirkt jemand ganz bestimmt nicht dumm, denke ich, es kommt darauf an, wie der Charakter insgesamt dargestellt wird.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Telas

Oh bin ich doof, meine Frage hatte Thali ja schon im Voraus beantwortet, muss ich überlesen haben, sorry!
Asche auf mein Haupt und Entschuldigung, dass ich euch nochmals damit behelligt habe :schuldig:.

Schommes

Als ich versucht habe, einen meiner Charakter lautmalerisch lallen zu lassen, weil er betrunken sein sollte, hat mir mein Agent eine riesige rote Karte gezeigt: "Nervt beim lesen! In solchen Fällen lieber telling statt showing." Ich weiß nicht, ob ich mich dem in dieser Härte anschließen würde, aber ich wollts mal so weitergeben.

Mohnrote

#13
Mir würde es am ehesten gefallen, wenn die Charaktere nicht ständig im Dialekt sprechen, sondern wie schon erwähnt lediglich ab und zu spezielle Begriffe für Orte oder Gegenstände verwenden, die es nur in diesem Dialekt gibt.
Außerdem lässt sich Dialekt sehr schön in Form von Schimpfwörtern oder Ausrufen in den Redefluss eingliedern. Da stößt dann der Schwabe ein "Heiligs Blächle" aus (oder wie man das schreibt, bisher habe ich es nur gehört ;)), und der Bayer fragt nach, ob einem "da Huad brend". Herrlich.  ;D

Wie das bei den Lektoren ankommt, ist eine andere Sache. In abgeschwächter Form können einem Dialekte aber durchaus begegnen, wie in Heimatkrimis (z.B. Die Kluftinger-Reihe), oder auch, um einmal eine ganz andere Richtung einzuschlagen, in historischen Liebesromanen.. Bei Diana Gabaldon ist es ja wohl auch erlaubt, die Protagonisten deutlich scottisch klingen zu lassen. Wobei hier gesagt werden muss, dass der schottische Dialekt wohl von den meisten Frauen mit rauer Attraktivität verknüpft wird, was man von den deutschen Dialekten nicht behaupten kann. Schade eigentlich!  :hmmm:

der Rabe

#14
Ich habe jetzt konkret als Vergleich hauptsächlich HP, in dem die Akzente ganz gut gestreut sind. Allerdings weiß ich nciht genau, welchen Akzent Hagrid z.B. spricht, ich seh nur, dass er einen hat.

Ich finde es schade, dass es nicht möglich ist, das wirklich ins Deutsche zuübertragen. Ich hatte mir deswegen schon mal Gedanken gemacht, weil  Hagrid auf Deutsch eben doch eher Hochdeutsch spricht. Alles andere hätte dann wieder albern geklungen in meinen Ohren.

VIelleicht kannst du in deiner Geschichte ja einen "dummen" Zugezogenen einbauen, der nur Hochdeutsch spricht, und dem dann die "schlimmsten" Wörter wie Boiz übersetzt werden. Im Sinne:

ZitatEr fuchtelte in Richtung der Kneipe, bis Peter endlich verstehend lächelte.


Ich habe im Grunde gerade ein ähnliches Problem: Bei mir gibt es Reisende, die die Sprache nicht so gut können. Ich habe in ihrer Rede einige Grammatikfehler eingebaut, bin mir allerdings nicht sicher, ob das zu albern ist... Gibt es dazu eine Meinung? ???
Bist du erst unten im Tal angekommen, geht es nur noch bergauf. (C) :rabe: