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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Sternsaphir

Ich denke, das hängt ganz von der Geschichte ab und wie sie erzählt wird. Ich hab beides schon gelesen und es hat mich auch nicht sonderlich gestört, sondern ich fand es passend.
Früher habe ich in meinen Geschichten auch mitten im Satz die Perspektive gewechselt, weil aber auch das Hauptaugenmerk nicht allein auf dem Prota lag, sondern das Innenleben von (fast) allen Hauptpersonen (auch dem Anta) einfließen sollte. Wenn man sich beim Plotten für dieses Schema entscheidet und die ganze Geschichte darauf aufbaut, ist da nichts Störendes daran. Man sollte aber dann dieses Prinzip beibehalten und nicht plötzlich wechseln, wenn man zuvor nur aus einer oder zwei festen Perspektiven erzählt hat.

Sanjani

Hallo Witch,

Zitat von: HauntingWitch am 20. März 2014, 09:33:23
Nur wird diese Theorie mir beim Lesen immer wieder in Frage gestellt. Dauernd bekomme ich Bücher in die Hand, in denen ebensolche Brüche vorkommen, in denen einfach mal so vom Ich-Erzähler zum Auktorialen gewechselt wird, in denen in einem Absatz Person A denkt und im nächsten Person B und das innerhalb derselben Seite, ohne Abstände oder Pausen oder auch nur Ankündigungen. Aus obigen Gründen fällt mir das zwar auf. Aber keines dieser Bücher ist deswegen schlechter oder liest sich unangenehm. Wenn mir ein Buch gefällt, stört mich das nicht.

Mich schon. Das kann dann der Grund sein, warum das Buch keine 5 Sterne bekommt, sondern nur 4. Aber ich gebe zu, ganz früher hat mich das auch nicht so gestört, da habe ich aber auch keinen so großen Wert auf Stil gelegt, zumindest nicht als Konsument. Mein Gefühl ist, dass ich anspruchsvoller werde, was solche Sachen angeht, je mehr ich selber als Schreiberling dazu lerne. Ich find es sogar ganz fürchterlich, wenn ständig die Perspektive gewechselt wird. Da kommt bei mir kein Feeling auf, und mag das Buch noch so brillant sein. Aber da ist sicher jeder ganz individuell gestrickt :)

VG Conni
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Judith

Also prinzipiell sind Perspektivenwechsel und eine personale Multiperspektive kein Perspektivenfehler. Das strenge Dranbleiben an einer Figur ist eine recht moderne Erscheinung, aber eine, die sich so derartig durchsetzt, dass alles andere inzwischen fast als Fehler/Bruch betrachtet wird. Ich finde das ziemlich schade, weil auch Perspektive etwas ist, womit man spielen kann und wo einem auch unterschiedliche Möglichkeiten offenstehen.
Wie Sternsaphir schon geschrieben hat, hängt es einfach von der Geschichte ab und davon, wie sie erzählt wird. Wenn man bewusst zwischen Perspektiven wechselt, um damit eine bestimmte Wirkung zu erzielen, sehe ich darin überhaupt kein Problem. Problematisch wird es meiner Meinung nach erst, wenn man das Gefühl hat, dass der Autor es nicht bewusst macht, also unabsichtlich aus der Perspektive rutscht oder völlig wahl- und ziellos zwischen den Personen wechselt, ohne dass man einen Sinn dahinter erkennt.

Churke

Zitat von: HauntingWitch am 20. März 2014, 09:33:23
Aber keines dieser Bücher ist deswegen schlechter oder liest sich unangenehm.

Woher weißt du das?
Welches ist dein Vergleichsmaßstab?

Die Fragen müssten lauten:
a) Warum hat der Autor die Perspektive verlassen?
b) Wie wäre das Buch, wenn er die Perspektiven eingehalten hätte?

Sammeln wir mal
ad a)
- falsche Perspektive/Erzählform gewählt
- falsche Perspektivträger gewählt
- falsche Szenen gewählt
- Unvermögen, etwas im Subtext auszudrücken
- individuelle Gründe

ad b)
???
Hier lautet meine These, dass das Buch in den meisten Fällen besser wäre.


Christian Svensson

Ich denke, wir sollten erstmal klären, von welchen Büchern wir reden, bevor wir sie als Beispiel heranziehen. Reden wir von gedruckten Bestsellern, von Eintagsfliegen oder von Betaleserprojekten hier im TiZi?

Ich weiß von meiner Betaleserin und auch von einer professionellen Lektorin meiner Kurzgeschichten, dass sie mir auch den kleinsten Perspektivenbruch gnadenlos um die Ohren hauen. Das hat dazu geführt, dass ich auch gekaufte Bücher mit einem wesentlich kritischeren Auge lese.

Dann hängt es davon ab, ob ich streng "show, don't tell" befolge. Tue ich das und schreibe ich in der personalen Perspektive, fällt jeder Bruch sofort auf. Bei der auktorialen (wenn sie nicht neutral ist) ist das kein Thema. Da die Wahl der Perspektive(n) ja ein Kriterium ist, das entschieden sein sollte, bevor die erste Zeile geschrieben ist, stellt sich doch die Frage, warum das so wichtig ist. In fast jedem Schreibratgeber ist die Meinung dazu einhellig: Perspektivenwechsel nicht innerhalb eines Kapitels. Die meisten Autoren, die solche Ratgeber verfassen (nicht alle :-) ), wissen, wovon sie schreiben.
Wenn ich es schaffe, einen Leser in meinen Protagonisten hineinzuziehen, ihn sich mit ihm identifizieren zu lassen, also ihn ganz nahe heranzuholen - schmeiße ich den Leser mit jedem Wechsel wieder hinaus, ich stoße ihn ab. Die meisten werden nicht wissen, warum, aber Lesen ist auch Fühlen.
Letzten Endes stellen sich bei einem Perspektivenwechsel/-Bruch tatsächlich die Fragen, die hier schon genannt wurden:
- war es Unwissen/Unfähigkeit
- möchte jemand besonders künstlerisch wertvoll herüberkommen
- hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht
- geschah es mit einem bestimmten Ziel und wurde das Ziel damit erreicht

HauntingWitch

Zitat von: Churke am 20. März 2014, 10:51:39
Woher weißt du das?
Welches ist dein Vergleichsmaßstab?

Mein Empfindung sagt mir das. Ich finde diese Bücher nicht schlechter, als jene, die sich an über längere Zeit (sprich ganze Kapitel oder mehrere, vielleicht sogar für's ganze Buch) an eine Perspektive halten. Mein Vergleichsmasstab ist alles, was ich lese und gut finde.  ;)

Zitat von: Bardo djel Liores am 20. März 2014, 11:51:59
Ich denke, wir sollten erstmal klären, von welchen Büchern wir reden, bevor wir sie als Beispiel heranziehen. Reden wir von gedruckten Bestsellern, von Eintagsfliegen oder von Betaleserprojekten hier im TiZi?

Ich denke an durchaus erfolgreiche, teilweise auch Bestseller-Autoren. Z.B. Stephen King oder gerade bei mir aktuell Jodi Picoult. Aber auch an Philipp Pullman kann ich mich gut erinnern. Es gibt gewiss noch andere, aber diese kommen mir spontan in den Sinn.

Sanjani

Zitat von: Judith am 20. März 2014, 10:24:18
Wenn man bewusst zwischen Perspektiven wechselt, um damit eine bestimmte Wirkung zu erzielen, sehe ich darin überhaupt kein Problem. Problematisch wird es meiner Meinung nach erst, wenn man das Gefühl hat, dass der Autor es nicht bewusst macht, also unabsichtlich aus der Perspektive rutscht oder völlig wahl- und ziellos zwischen den Personen wechselt, ohne dass man einen Sinn dahinter erkennt.

Interessant wäre ja auch, ob der Autor bspw. ein Ziel damit verfolgt hat, der Leser das aber nicht verstanden hat. Mir fällt zum Thema Perspektivbrüche immer zuerst Alfred Bekker ein, ich glaube die Reihe hieß "Die Elben" oder so ähnlich. Ich mochte den Plot, aber diese ständigen Perspektivwechsel haben mich ganz arg gestört. Aber vielleicht hat er ja ein Ziel verfolgt, nur ich war zu blöd, um es zu bemerken :)
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Siara

Für mich macht es auch auf jeden Fall einen Unterschied

- ob der Autor damit aus seiner eigenen Regel fällt (weil er bisher z.B. immer nur aus einer Perspektive geschrieben hat). Und sei es auch nur, weil er keinen anderen Weg sah, etwas Bestimmtes mit einfließen zu lassen

- oder ob er den Perspektivwechsel als Stilmittel benutzt. Ich sehe es wie Judith, mit der Perspektive kann man spielen wie mit allem anderen auch. Vielleicht möchte man den Leser ja aus irgendeinem Grund aus seinem bisher "sicheren" und bekannten Erzähler reißen. Auch damit kann man etwas vermitteln, dem Leser andere Sichtweisen eröffnen oder ihn dazu bringen, die Ansichten des bisherigen personalen Erzählers kritischer zu hinterfragen.


Es ist meiner Meinung nach ein Werkzeug, mit dem man umgehen lernen muss und das, wie alle Stilmittel, unbedacht angewandt schädlich ist. In der Regel merke ich beim Lesen, ob ein Perspektivwechsel beabsichtigt war oder willkürlich gesetzt wurde und damit ein Logikfehler ist. (Oder ich ahne es wenigstens). Letzteres ist unangenehm. Bücher, die bei ihrer Perspektive bleiben, stören mich auf jeden Fall nicht. Bereichern kann ein Wechsel die Geschichte aber dennoch.

Ich persönlich ändere gern die Perspektive, um bestimmte Effekte zu erzeugen, aber ich belasse es innerhalb eines Kapitels bei einer Perspektive. Mitten im Absatz zu wechseln und es richtig rüber zu bringen, traue ich mir nicht zu, aber das heißt schließlich nicht, dass andere es nicht womöglich können  ;D   
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

canis lupus niger

#263
Zitat von: Bardo djel Liores am 20. März 2014, 11:51:59
Letzten Endes stellen sich bei einem Perspektivenwechsel/-Bruch tatsächlich die Fragen, die hier schon genannt wurden:
- war es Unwissen/Unfähigkeit
- möchte jemand besonders künstlerisch wertvoll herüberkommen
- hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht
- geschah es mit einem bestimmten Ziel und wurde das Ziel damit erreicht

Wenn mir ein Buch ansonsten gefällt, stelle ich mir diese Fragen eigentlich nicht. Das ist bei mir allgemein so beim Lesen: Ich nehme ein Buch zuerst im Ganzen wahr, lasse mich davon einhüllen und "erfühle" es, wie Du schon geschrieben hast. Erst wenn dieses Gefühl nicht stimmt, dann fange ich an, Fragen danach zu stellen, was an der Geschichte nicht stimmt. Aber tatsächlich sind in der Regel solche Bücher besser zu lesen, deren Autor mit der Perspektive ebenso gekonnt arbeitet, wie mit den anderen Stilmitteln.

"Personale Multiperspektive" ist ein Begriff, den ich bisher noch nicht kannte, der mich aber sofort in seinen Bann geschlagen hat. Eine altmodische Art, zu erzählen, wie schon gesagt wurde, aber wo sie hinpasst, finde ich sie nicht unangenehm. Wenn jemand allerdings grundsätzlich aus der Perspektive eines bestimmten Charakters schreibt, und diese dann für einige Sätze verlässt, dann ist das in meinen Augen ein offensichtlicher Fehler und kein gewolltes Stilmittel.

Wenn ich selber schreibe, wechsele ich inzwischen gerne die Perspektive (allerdings nicht innerhalb eines Satzes, sondern möglichst bei einem neuen Kapitelanfang), wenn die Handlung aus der bisherigen Perspektive nicht vernünftig/lebendig/nahe genug weiter erzählt werden kann. In meinem aktuellen Projekt versuche ich das so umzusetzen, als würden sich die Perspektivträger die Handlung wie einen Ball gegenseitig zuwerfen. Die Perspektive springt bei einer eigentlich linearen Handlung von einem (von vier) Perspektivträgern zum anderen. Macht ziemlich viel Spaß. So was musste ich aber auch erst lernen und bin immer noch dabei (es zu lernen). In meinem Debüt habe ich leider ein paar diesbezüglich Stellen, die mir inzwischen ziemlich peinlich sind. *rotwerd*

*edit*
Oh, ähm, da haben sich unsere Beiträge wohl überschnitten.

Christopher

#264
Für den Effekt eines Perspektivwechsels fällt mir spontan Joe Abercrombies "Heldenklingen" ein. Der Anfang einer Schlacht wird aus der Perspektive eines Soldaten gezeigt, in dem Moment wo er getötet wird springt die Perspektive auf seinen Mörder, der wird kurz darauf von einem Pfeil getroffen, stirbt ebenfalls und dann springt die Perspektive zu demjenigen über, der ihn dann ausraubt.

Hat mich das gestört? Nein. Abercrombie wollte damit (denke ich) mehrere Perspektiven auf die Schlacht einbringen, zeigen, dass jeder dabei auf banalste Art und Weise oder wegen Dummheit der Kommandanten o.ä. umkommen kann usw.

Kurz: Es war geplant und es hat Sinn gemacht für den Effekt den er erzielen wollte.
(Alles übrigens in einem einzigen Kapitel. Und Abercrombie verkauft sich besser als die meisten, so viel also dazu.)

Wenn hingegen mitten in einem Dialog die Perspektive von Person A zu Person B springt, dann kurz die inneren Gefühle beschrieben werden die Person B hat um dann wieder zu A zu springen - dann stinkt das nach Unvermögen. Unvermögen, diese Gefühle auch über die Wahrnehmung von Person A zu vermitteln, bzw. mangelnde Vorbereitung, anhand derer der Leser diese Gefühle ahnen/nachvollziehen kann/könnte.
DAS wiederum ist dann eher schlecht gemacht als gewollt gut eingesetzt.

Pauschal sagen, dass Perspektivwechsel niemals in einem Kapitel stattfinden sollten halte ich also für Blödsinn. Ein Gegenbeispiel hab ich ja gebracht. Wo da die Grenze zu ziehen ist, muss aber von Fall zu Fall betrachtet werden. Ich denke, der Ansatz von Churke ist da schon ganz gut, ich würde ihn nur leicht ändern:

Warum hat der Autor die Perspektive verlassen?
Musste er die Perspektive verlassen, um zu zeigen was er gezeigt hat?

Wenn es handwerklich irgendwie anders machbar ist und der Perspektivenwechsel keinen weiteren Sinn hat, als das handwerkliche Unvermögen auszugleichen, dann ist der Perspektivenwechsel schlecht. Hat er hingegen einen weiterführenden Sinn, kann man es denke ich schon machen.
Be brave, dont tryhard.

Christian Svensson

Es passt gerade so gut, da ich im Moment einen Roman schreibe, in dem ich aus der personalen Perspektive von drei Personen erzähle. Wenn wir über Perspektive reden, ist auch das Thema "Erzählstimme" nicht weit. Das wäre dann der nächste Schritt. Was meine ich damit? Wenn ich in einem Kapitel aus der personalen Perspektive eines Hafenarbeiters mit niederer Bildung erzähle und in einem anderen Kapitel aus der personalen Perspektive einer Hochschulprofessorin, muss ich auch die Erzählstimme anpassen. Daran wird oftmals nicht gedacht. Muß bei der Planung eines Buches aber auch berücksichtig werden.

Siara

Zitat von: Bardo djel Liores am 20. März 2014, 16:37:24
Wenn ich in einem Kapitel aus der personalen Perspektive eines Hafenarbeiters mit niederer Bildung erzähle und in einem anderen Kapitel aus der personalen Perspektive einer Hochschulprofessorin, muss ich auch die Erzählstimme anpassen.
Das hatten wir in diesem Thread ab dem 15.02 dieses Jahres schon mal angerissen. Kannst ja mal nachsehen  ;)
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Coppelia

Früher war ich der Meinung, Perspektive müsse streng eingehalten werden. Dann habe ich meine Diss über Erzählperspektive geschrieben und bin nun ziemlich genau der entgegengesetzten Ansicht. Judith hat es bereits schön formuliert:
ZitatAlso prinzipiell sind Perspektivenwechsel und eine personale Multiperspektive kein Perspektivenfehler. Das strenge Dranbleiben an einer Figur ist eine recht moderne Erscheinung, aber eine, die sich so derartig durchsetzt, dass alles andere inzwischen fast als Fehler/Bruch betrachtet wird. Ich finde das ziemlich schade, weil auch Perspektive etwas ist, womit man spielen kann und wo einem auch unterschiedliche Möglichkeiten offenstehen.
Da ich durch meine Arbeit darauf spezialisiert bin, zu erkennen, ob aus einer bestimmten Perspektive erzählt wird und ob Wechsel erfolgen, fällt mir das jetzt bei Büchern auch noch stärker auf. Ich musste feststellen, dass einige meiner Lieblingsbücher ständig Perspektivenwechsel haben, dabei sicher auch sehr viele unbeabsichtigte. Früher war mir das nicht ins Auge gefallen.

Beim Schreiben besteht für mich ein Teil der Freude darin, ganz nahe an einer Person "dran" zu sein und aus ihrer Sicht alles zu erleben. Ich glaube, dass das auch für viele Leser die Freude am Lesen ausmacht. Am besten verkaufen sich Bücher, wenn sie spannend sind, und spannend sind sie, wenn man mit den Figuren mitfiebert, und das tut man dann, wenn man nah an ihnen dran ist, und das ist man, wenn aus ihrer Perspektive erzählt wird.

Meinen Schreibstil habe ich nicht geändert, aber ich habe viel über die Möglichkeiten von Erzählperspektive gelernt.
Einen Perspektivenwechsel als Fehler zu betrachten, habe ich mir komplett abgewöhnt. Gut ist es aber sicher, wenn man sich als Autor über die Möglichkeiten im Klaren ist und seine Chancen erkennt, um das zu erreichen, was man möchte. Kein Erzählwerkzeug ist so "mächtig" wie Perspektive. Nichts manipuliert den Leser so sehr.

Judith

Zitat von: HauntingWitch am 20. März 2014, 13:16:15
Ich denke an durchaus erfolgreiche, teilweise auch Bestseller-Autoren. Z.B. Stephen King oder gerade bei mir aktuell Jodi Picoult. Aber auch an Philipp Pullman kann ich mich gut erinnern. Es gibt gewiss noch andere, aber diese kommen mir spontan in den Sinn.
Rebecca Gablé fällt wechselt manchmal nur für ein paar Sätze in eine andere Perspektive - da ist es mir tatsächlich eher störend aufgefallen. Aber sie hat zig begeisterte Leser, denen das offensichtlich nichts macht.
Gerade habe ich von Tanja Kinkel "Das Spiel der Nachtigall" gelesen und da finden auch Perspektivenwechsel innerhalb eines Kapitels statt. Guy Gavriel Kay balanciert irgendwo zwischen auktorialem Erzähler und wechselnden personalen Erzählern und ist im englischen Sprachraum sehr beliebt.
Das sind jetzt nur ein paar weitere Beispiele, aber man könnte wohl eine ganze Weile weiter aufzählen. Es gibt viele Bestsellerautoren, die auch innerhalb eines Kapitels die Perspektive wechseln und trotzdem gut bei Lesern ankommen. Ich sehe also wirklich kein Problem, in einem Kapitel die Perspektive zu wechseln.

Anj

Also für mich ist die Perspektive eine der komplexesten Dinge beim Schreiben. Denn es zählt nicht nur Nähe und Distanz der Perspektiv-Kamera, sondern auch ihre Ausrichtung (schaut sie in einen Kopf oder sitzt sie im Kopf und schaut durch die Augen hinaus, die zeitliche Komponente (wann und wie wird die Geschichte erzählt) und die Erzählerpersönlichkeit, bzw. ihr Wissensstand und die Stärke mit der der Erzähler in den Text miteinfließt. Denn Figur und Erzähler sind im Grunde nie deckungsgleich, nichtmal beim Ich-Erzähler (Ausnahme: Präsenstexte, auch wenn ich persönlich diese nicht anders empfinde, als Präteritumtexte)
Letztlich kann man fast alles machen, wenn man die sich darüber klar ist, wer wann erzählt und wo die Kamera platziert ist. Die Ich-Perspektive ist eingeschränkter, aber in der dritten Person kann ich nahezu alle Varianten nutzen. Meiner Meinung nach muss für den Leser lediglich die ganze Zeit ersichtlich und nachvollziehbar sein, was die Perspektiv-Kamera gerade macht.
Das bedeutet für mich, dass die Sprünge in verschiedene Köpfe bei einer multipersonalen Ebene ausgewogen sein müssen, bei einem auktorialen Erzähler die Distanz der Kamera zu den Köpfen, sprich der Blick von außen, gewahrt bleiben muss und der Ich-Erzähler immer aus seiner Perspektive erzählen muss. Wobei hier allerdings die zeitliche Ebene wieder Freiraum gibt, denn der Erzähler weiß in der Regel mehr, als die Figuren, weil er die Geschichte und ihr Ende bereits kennt. (Ausnahmen sind auch hier die Präsenstexte)  Und auch die Interpretationsleistungen von Menschen durchaus genutzt werden kann. Wenn ich jemanden gut kenne, dann kann ich meist an nonverbalen Signalen die Grundstimmung erkennen, oder aber ich kenne seine Meinung gut genug, um diese sicher benennen zu können. Dann kann ich das als erzählende Figur einfach behaupten, ohne dass die Kamera ihre Position verlässt.
Für mich als Leser muss dabei im Grunde nur erkennbar sein, ob sich die Perspektiv-Kamera bewegt, die Figur ihre Erfahrungen und ihr Wissen nutzt oder ob der Erzähler auf seinen Wissensvorsprung zurückgreift.
Das wäre Dinge, das ich nicht wild mischen würde, sondern im Vorfeld festlegen und den Text dementsprechend aufbauen würde. (Bzw. einen plotlosen Text darauf prüfen würde)
Ob es dafür konkrete Regeln gibt, auch für das Erkennen, weiß ich nicht, ich gehe da nach Gefühl vor. Aber wenn es konsistent gemacht ist, empfindet man beim Lesen meist keinen störenden Bruch. (Das zumindest zeigen mir einige Texte, die von mehreren Betas (unter anderem auch Profis) kommentiert werden)
Dann kommen auch noch Genreerwartungen dazu, denke ich. Bei Romanzen fällt es vermutlich nicht so schnell störend auf, wie bei einem Krimi.

Als wirklich störend empfinde ich es nur, wenn das überwiegende Konzept unterbrochen wird. Das letzte Beispiel, dass mich wirklich gestört, sogar geärgert hat, war, dass ein Autor wild in alle Köpfe gesprungen ist (das war ungewohnt und nicht wirklich mein Geschmack, aber durchaus legitim), dann aber plötzlich vor einem Kopf halt macht und über die bevorstehende, wichtige Entscheidung der Figur rätselt. Das war eindeutig der Versuch, Spannung zu erzeugen, hat bei mir aber nur dazu geführt, dass ich mich über diesen plumpen Schachzug einfach nur tierisch geärgert habe. Das ganze kam in den zwei Dritteln des Buches, die ich gelesen habe exakt zweimal in dieser Form vor.
Eben deswegen bin ich inzwischen der Meinung, man kann sich für fast alles Varianten entscheiden, aber innerhalb der Varianten muss das Ganze dann auch konsequent durchgezogen werden.

Soweit sind das meine laienhaften Erkenntnisse und Gedanken zum Thema Perspektive. Ich hoffe, es ist nachvollziehbar, was ich geschrieben habe^^
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.