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"Moderne" Sprache in historischen Settings

Begonnen von Julia, 18. Januar 2011, 19:48:54

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Churke

Zitat von: Judith am 07. März 2014, 09:53:53
Beim Schreiben fällt mir das nie auf. "Automatisch" habe ich wohl schon unzählige Male aus meinen Romanen gestrichen, obwohl es strenggenommen gar nicht zu modern sein müsste, da es Automaten ja auch schon im antiken Griechenland gab.
Ich würde mich nicht nach den alten Griechen richten, sondern danach, ob es in meiner Welt Automaten gibt. Falls ja, muss es auch ein Wort dafür geben und folglich kann etwas automatisch ablaufen.

Zitat von: Cailyn am 07. März 2014, 10:59:01
Zu diesem Thema kommt mir gerade in den Sinn: In der Fortsetzung meines Buches wird eine Heilerin vorkommen. Das wird für mich eine grosse Herausforderung, denn Medizin ohne medizinische Fachausdrücke zu beschreiben, finde ich Horror. Bislang habe ich aber trotzdem z.B. von Adern und Venen geschrieben, auch wenn das nicht logisch ist. Aber man kann ja nicht immer nur Blutbahnen schreiben.
Wie oben: Wenn die Heilerin die Anatomie kennt, muss sie auch die (naheliegenderweise richtigen) Wörter dafür haben. Man kann sich natürlich auch in diffuse Säftelehren etc. pp. verirren, die Protagonisten zur Ader lassen und ihnen Klistiere verordnen oder sie exorzieren.

Kati

pi_pa: An sich finde ich auch traumfängerins Version am Besten, mich stört ein bisschen an deiner Version, dass dein Protagonist dann sehr hämisch und abwertend klingt. Aber vielleicht soll das ja so. Aber davon ab: "to park" bedeutete im neunzehnten Jahrhundert, einen Baum zu pflanzen (Deshalb heißen Parks auch Parks, weil das Orte voller Natur und Bäume sind). Der Wandel des Wortes kam um 1900, also man in "parking areas", also Gebieten, die zur Anpflanzung von Bäumen bestimmt waren, begonnen hat, Gefährte abzustellen - damals noch großteils Kutschen. Irgendwann hat man die parking areas dann von vorne rein für Gefährte eingerichtet und so kommen wir zu dem Wort.  :) Also, in einem historischen Roman wäre es komplett falsch 1870 schon von parken zu sprechen, wenn dein Prota nicht gerade was pflanzt, im Steampunk, wo diese Entwicklung vielleicht früher passiert ist, ginge es. Merken würde es in beiden Fällen wohl kaum jemand.  ;)

Klecks

Danke für deinen Beitrag, Kati - das ist interessant und total gut zu wissen. Jetzt hab ich wieder was gelernt.  :vibes:

Judith

Zitat von: Churke am 07. März 2014, 11:33:42
Ich würde mich nicht nach den alten Griechen richten, sondern danach, ob es in meiner Welt Automaten gibt. Falls ja, muss es auch ein Wort dafür geben und folglich kann etwas automatisch ablaufen.
Hm, jein, ich finde eben, dass es nicht so simpel ist. Denn auch, wenn es in meiner Welt Automaten gibt (ja, gibt es), bedeutet das nicht, dass sie im Roman vorkommen. Ich weiß zwar dann, dass das Wort in Ordnung ist, aber meiner Erfahrung nach stoßen sich Leser dennoch gern an solchen Begriffen in Fantasywelten, weil sie ihnen gefühlsmäßig zu modern vorkommen.

Franziska

Irgendwie wurde mein Beitrag hier auch entfernt.

Das Thema beschäftigt mich auch immer wieder. Bei Wörtern, die es zu der Zeit nicht gab, also die etwas bezeichnen, dass es nicht gab wie die Röntgenstrahlen, ist es klar.
Aber was ist mit Alltagsworten? Wenn ich zum Beispiel einen historischen Roman schreibe, in England spielt, oder auch woanders, ist ja egal. Dann übersetze ich ja eigentlich immer die Dialoge ins Deutsche. Dann frage ich mich ständig, ist dieses oder jenes Wort zu modern? Nehme ich nur Worte, die damals auch im Deutschen gebräuchlich waren?
Zum Beispiel würde man da natürlich Jugendliche im historischen Setting nicht in heutiger Jugendsprache reden lassen. Aber bei so speziellen Wörtern bin ich mir immer unsicher. Irgendwie fallen mir gerade keine guten Beispiele ein.
Ich finde es schwer, herauszufinden, wann welche Wörter wo benutzt wurden. Gibt es da irgendwelche Tricks bei?

Malinche

(Oh, sorry, Franziska, ich hatte deinen Beitrag - das war sogar noch mal ein anderer Thread, glaube ich - mit in Guddys neuen Thread umgetopft, glaube ich, weil er zur Hälfte noch auf sie einging. Aber wenn du ihn jetzt hier noch mal hast, passt das hoffentlich auch.)
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Kati

Franziska: Sowas finde ich nur bei Dialogen ein Problem, besonders wenn du einen personalen Erfinder verwendest. Dass man keine eindeutig anachronistischen Wörter verwendet, ist natürlich klar, aber du bist ja theoretisch ein moderner Erzähler, der eine Geschichte erzählt, die früher spielt. Bei der Ich-Perspektive ist es noch einmal anders, denke ich. Aber ich würde mich nur bei auffälligen Wörtern ärgern. Sprache verändert sich so schnell und wenn du zum Beispiel einen Roman im Jahr 1300 spielen lässt, schreibst du ja auch nicht alles auf Mittelhochdeutsch, da wäre ja dann genau genommen jedes einzelne Wort zu modern. Und ich denke, einen Unterhaltungsroman im komplizierten Biedermeierdeutsch möchten auch nur wenige lesen. Ich achte immer darauf, das meine Dialoge sich zumindest pseudo-authentisch lesen. Ein Biedermeier-"Jugendlicher" sagt halt nicht "Ey, das ist ja mal cool" zu einem schönen Kleid, der sagt vielleicht "Oh, das finde ich aber äußerst hübsch." Eine echte junge Frau im neunzehnten Jahrhundert hat sicherlich noch ganz anders gesprochen, aber der Roman soll ja Spaß machen und sich für moderne Leser gut lesen lassen. Bei Sprache geht es mir um Atmosphäre und darum, keine ganz klar "falschen" Begriffe zu benutzen.

Was das Recherchieren angeht: Ilargi und ich haben uns mal gefragt, seit wann das Wort Schnösel in Gebrauch ist und haben bei Wikipedia einen kleinen Absatz zur Etymologie gefunden. "Wort + Etymologie (oder Herkunft, Bedeutung etc., was halt hilft)" gibt auch sehr oft eine Wortbedeutung mit erstem Auftreten raus. Also, die Antwort zur Recherche ist ganz einfach: Einfach erstmal googeln.  ;) Wenn dann nichts kommt, muss man weitersehen, aber ich habe Begriffsgeschichten bisher immer einfach im Internet raus gefunden, bei Wörtern, wo ich mir echt nicht sicher war. Ich bin ja sonst immer sehr auf historische Authentizität aus, aber bei der Erzählsprache gilt für mich, dass es atmosphärisch rund sein muss. Dazu gehört auch, dass man es nicht so übertreibt und die Figuren total gestelzt und übertrieben "altmodisch" sprechen (es sei denn, die Figur verlangt es, sowas kann ein gutes Stilmittel zu verschiedenen Stimmen der Figuren sein, aber muss passen).

Franziska

Also wenn selbst du das so locke siehst, beruhigt mich das ja. ;)
Wort + Etymologie/y habe ich auch schon benutzt, aber man findet nicht immer was. Da muss ich wohl doch mal gucken, wo mein Etymologisches Lexikon abgeblieben ist.
Ich wollte zum Beispiel wissen, ob ich meine Figur "Oh Gott" als überaschten Ausruf sagen lassen kann. Weil eine Beta meinte, es würde zu modern klingen. Ich glaube, man sagte das zu der Zeit durchaus. Aber manchmal ist es ja tatsächlich so, dass man das was tatsächlich gesagt hat heute für modern hält.
Ich glaube, du meintest, dass man zum Beispiel "okay" nicht benutzen sollte, weil es zu modern klingt und auch ist. Generell sollte man dann auf deutsch wohl keine eingedeutschten Wörter benutzen und nur original Englische für die Atmosphäre. So zum Beispiel englische Anreden oder dinner etc.

Nebeldiener

Ich habe mir bis jetzt noch nie richtig Gedanken darüber gemacht, denn ich schreibe Fantasy im (wie ich es gerne nenne) Pseudomittelalter. Gut ich achte schon darauf, dass ich nicht über Fernseher schreibe, aber ich mache mir jetzt keine Gedanken darüber, ob dieses und jenes Wort im Mittelalter schon vorhanden war oder nicht, denn wie schon gesagt schreibe ich Fantasy und keine Historik. 

Wenn man aber ein Buch schreibt, welches um 1100 spielen soll (also wirklich auf dem Cover historischer Roman steht), gehe ich als Leser aber schon davon aus, dass die altertümlichen Wörter benutzt und erklärt werden, denn was hat es für einen Sinn, wenn ich einen historischen Roman lese und dann haufenweise von Dingen die Rede ist, welche erst viel später erfunden wurden?

Ich persönlich unterscheide also zwischen historischen Roman (ohne Fantasy-Elemente) und Fantasy Roman in einem angelehnten Mittelaltersetting.

@Franziska
Das mit dem Gott sehe ich wegen etwas anderem problematisch. Heutzutage verwenden wir das "Oh mein Gott" als Ausdruck, wenn etwas unvorhersehbares geschieht. Der Ursprung soll aber in der Bibel liegen "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,...", Psalm 22.
Wenn jetzt also zum Beispiel ein Ork oder ein Elf  "Oh Gott" schreit, wäre ich als Leser sicher einmal verdutzt (gut, dass mit dem Psalm 22 musste ich jetzt selber nachschauen, aber weil Gott drin vorkommt, war mir klar, dass es einen religiösen Hintergrund hatt ;D).

Ein Volk in meinem momentanen Roman (wenn sich noch jemand daran erinnert, ja ich schreibe immer noch daran) sind die Nebeldiener. Da sie an den "Nebel" glauben, würde es mir komisch vorkommen, wenn sie nun "Oh Gott" rufen würden. Vielmehr würden sie etwas wie "beim heiligen Nebel" verwenden.


Nebeldiener

Franziska

@Nebeldiener bei Fantasy ist das nochmal was anderes. Da würde ich auch weniger darauf achten, wann es welche Wörter gab. Denn theoretisch reden die ja ihre eigene Sprache. Hier ging es um historische Romane.

Churke

Einzelne Wörter halte ich sowieso für Nebenkriegsschauplätze. Dass man einen Satz wie "Scipio düste nach Africa und macht Karthago platt wie einen Fahrradreifen" eher vermeiden sollte, versteht sich eigentlich von selbst. Aber: Wenn ich den jetzt umändere in "Scipio eilte nach Africa und machte Karthago platt", ist das nicht so viel besser.

Da muss man halt eine etwas literarischere Sprache finden, die zeitlos(er) ist.

Nebeldiener

@Franziska
War bisschen verwirrt, weil der Thread ins Fantasy abgedrifted ist.

Ich würde sagen, es kommt drauf an, was man in seinem Roman hervorheben will, denn man hat einfach nicht die Zeit, jedes einzelne Wort seiner Herkunft zu überprüfen. Schreibt man also einen Roman, der das Leben eines Schusters näherbringen soll, würde ich versuchen bei diesem Beruf die historisch korrekten Wörter zu benutzen und zu erklären, aber ich würde mir dann keine grossen Gedanken darüber machen, ob der Bauer, der am Laden vorbeiläuft, das richtige Wort für seinen Mantel verwendet.

Nebeldiener

Blackhat

#87
Ich sitze ja auch gerade an einem historischen Roman, der allerdings nicht im Mittelalter sondern im 18. Jahrhundert spielt. Was mir sehr hilft und was ich jedem, der schreibt nur eindringlich ans Herz legen kann, ist zum einen die Lektüre von Werken aus dieser Zeit, sowie von gut geschriebenen und recherchierten Romanen, die zu dieser Zeit spielen. Denn hierbei geht es um viel mehr, als nur um bloße Begrifflichkeiten. Man muss eine bestimmte Sprachmelodie treffen und außerdem Dinge, wie die Anreden innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Ständen beachten. Letzteres war früher viel wichtiger als heute. Da sagte der Aristokrat zum Lakaien nicht:
»Geh und hole mir einen Becher Wasser!«

und schon gar nicht:
»Bitte holen Sie mir einen Becher Wasser.«

sondern eher:
»Gehe er und hole er mir einen Becher Wasser, rasch!«

Dabei ist es nicht die Aufgabe des Autors die damalige Sprache genau zu simulieren. Wie unsinnig das wäre, sieht jeder, der mal einen Originaltext aus dieser Zeit in der Hand gehalten hat. Der Autor muss also nicht ein genaues Abbild erstellen, er muss es nur hinbekommen, dass der Leser glaubt, so habe es früher tatsächlich geklungen. Und das ist manchmal ziemlich schwer, kann ich euch sagen. Also bleibt einem nur die Lektüre der Klassiker, denn schließlich sind die mittlerweile ja auch "eingehochdeutscht" und bilden dadurch aber den Erwartungshorizont der Leser ab. Für mich persönlich ist eine flapsige Umgangssprache in historischen Romanen in der Regel ein absolutes no go und das betrifft auch die meisten Fantasy Romane.

Blackhat out!

Franziska

Romane aus der entsprechenden Zeit und welche die in der Zeit spielen sind wirklich gut zur Recherche. Wobei das nur für die letzten Jahrhunderte möglich ist, davor gab es ja noch keine Romane, dann muss man welche nehmen, die heute geschrieben wurden.
Ich habe die ganzen Klassiker jetzt immer auf englisch gelesen, vielleicht sollte ich die nochmal auf Deutsch lesen.
Manchmal wundert man sich aber auch, wie vermeintlich modern die Romane vor 150 Jahren geschrieben wurden.
Und was heißt Umgangssprache? Ich finde es eigentlich immer ganz schön wenn einzelne Wörter die damals geläufig waren übernommen werden. Aber so, dass man verstehen kann, was gemeint ist.
Das finde ich immer so bescheuert bei Zeitreiseromanen, da haben die Leute oft gar keine Schwierigkeiten, sich zu verstehen, obwohl die Sprache eigentlich ganz anders sein müsste. Aber man kann ja nach einzelnen Ausdrücken oder Wörtern suchen und die einbauen.

Signy

Zitat von: Blackhat am 22. November 2014, 10:38:40
Ich sitze ja auch gerade an einem historischen Roman, der allerdings nicht im Mittelalter sondern im 18. Jahrhundert spielt. Was mir sehr hilft und was ich jedem, der schreibt nur eindringlich ans Herz legen kann, ist zum einen die Lektüre von Werken aus dieser Zeit, sowie von gut geschriebenen und recherchierten Romanen, die zu dieser Zeit spielen. Denn hierbei geht es um viel mehr, als nur um bloße Begrifflichkeiten. Man muss eine bestimmte Sprachmelodie treffen und außerdem Dinge, wie die Anreden innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Ständen beachten. Letzteres war früher viel wichtiger als heute. Da sagte der Aristokrat zum Lakaien nicht:
»Geh und hole mir einen Becher Wasser!«

und schon gar nicht:
»Bitte holen Sie mir einen Becher Wasser.«

sondern eher:
»Gehe er und hole er mir einen Becher Wasser, rasch!«

Dabei ist es nicht die Aufgabe des Autors die damalige Sprache genau zu simulieren. Wie unsinnig das wäre, sieht jeder, der mal einen Originaltext aus dieser Zeit in der Hand gehalten hat. Der Autor muss also nicht ein genaues Abbild erstellen, er muss es nur hinbekommen, dass der Leser glaubt, so habe es früher tatsächlich geklungen. Und das ist manchmal ziemlich schwer, kann ich euch sagen. Also bleibt einem nur die Lektüre der Klassiker, denn schließlich sind die mittlerweile ja auch "eingehochdeutscht" und bilden dadurch aber den Erwartungshorizont der Leser ab. Für mich persönlich ist eine flapsige Umgangssprache in historischen Romanen in der Regel ein absolutes no go und das betrifft auch die meisten Fantasy Romane.

Blackhat out!

Hallo,

ich habe gestern zwar den Anfang verpasst, aber dann doch ab etwa der Hälfte in den "Götz von Berlichingen" reingeschaut - und konnte irgendwie überhaupt nicht damit warm werden, wie die geredet haben.

Gut, noch mehr hat mich irritiert, dass der "letzte Bulle" vorgab, der Götz zu sein und dass neben dem neuen Bürgermeister von Hengasch noch die halbe Besetzung von "Mord mit Aussicht" mitspielte. *lach*

Aber irgendwie ... Ich weiß nicht, ich glaube, da lese ich lieber zum drölfttrillionsten Mal das Stück von Goethe. Oder geh nächsten Sommer mal wieder nach Jagsthausen.

Wobei - wahrscheinlich ist mein Problem eben, dass ich die Sprache Goethes zu sehr verinnerlicht habe, denn wenn man sich das berühmte Zitat anschaut, gibt das den Wandel der Sprache im Laufe der Zeit wieder:

Aus "Da schriehe ich wider zu ime hinauff, er soldt mich hinden leckhenn", was Götz selbst in seinen Aufzeichnungen vor 1567 niederschrieb, machte Goethe gut 200 Jahre später (1773) ein  "Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken".
Das hört sich doch ganz anders an, und irgendwie könnte "Da schrie ich wieder zu ihm hinauf, er sollt mich hinten lecken" eigentlich heutzutage aufgeschrieben sein.

Wurde also vor 550 Jahren moderner gesprochen als vor 250 Jahren?

Grübelnd.

Bibi