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Respekt vor Sprachvarietäten

Begonnen von Nikki, 13. Februar 2020, 10:03:57

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Nikki

Als Wienerin, die irgendwann in ferner Zukunft eine möglichst breite Leser*innenschaft, die über den österreichischen Sprachraum hinausgeht, anstrebt, sich aber nicht ohne Wenn und Aber dem Bundesdeutschen beugen will, ist die Handhabung von sprachlichen Varietäten innerhalb eines Romans ein Thema, das sich mir immer wieder stellt.

Wie sieht euer Umgang mit (eurer) Sprachvarietät aus, die vom gängigen Bundesdeutsch abweicht? Verbucht ihr diese als unantastbaren Stil oder schreibt ihr mit dem Strom?

Ich rede nicht von Texten in Mundart, sondern von Texten in Hochdeutsch geschrieben - doch Hochdeutsch unterscheidet sich je nach Herkunftsland der schreibenden Person.

Das können einzelne Begriffe sein wie Semmel (= Brötchen), Häferl (= große Henkeltasse), Sackerl (= Tüte), aber auch Grammatik wie die Bildung von Perfekt wie ist gesessen (vs. hat gesessen = war im Gefängnis), ist gestanden (vs. hat gestanden = hat ein Verbrechen zugegeben). Ich achte darauf, österreichische Grammatik anzuwenden, weil mir die bundesdeutsche unrund erscheint bzw. ich eine Sprecherin mit deutlich erkennbaren deutschen Akzent im Ohr habe und das nicht zu meiner Erzählstimme passt. Das ist mein Sprachgefühl als österreichische / Wiener Autorin. Bei den Vokabeln tue ich mir schwerer
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
, weil ich da sehr wohl merke, wie regional geprägt diese Begriffe sind und ich mir gut vorstellen kann, wie sie ein nicht-österreichisches Lesepublikum aus dem Lesefluss werfen könnten. Dennoch sperrt sich in mir alles, Brötchen oder Tüte für Semmel oder Sackerl zu verwenden. Ich würde dann wohl eher den Kompromiss eingehen und Gebäck und Tasche schreiben, auch wenn da die Semantik darunter leidet.

Wie geht ihr also mit Sprachvarietät in euren Werken um? Habt ihr das Glück, Bundesdeutsch als eure default Varietät zu haben, sodass sich diese Frage gar nicht stellt? Passt ihr euch an das Bundesdeutsch an, weil der Großteil der potentiellen Leser*innenschaft in diesem Deutsch zu Hause ist? Oder versucht ihr, sprachliche Vielfalt zu erhalten und eurer Varietät treu zu bleiben? Wie tut ihr das dann, ohne etwaige Leser*innen, die nicht mit eurer Varietät vertraut sind, vor den Kopf zu stoßen?

Meine aktuellen Projekten spielen in Wien, sodass ich mich hier "sicherer" fühle, "dem" Österreichischen Deutsch treu zu bleiben, denn immerhin bilde ich so die sprachliche Realität meiner Figuren ab. In Kurzgeschichten aber, die in keinem regional erkennbaren Setting angesiedelt sind und eher allgemeinerer Natur sind, nähere ich mich sehr stark dem Bundesdeutschen an, was das Vokabular betrifft. Was die Grammatik betrifft, habe ich aber immer beim Lektorat um Berücksichtigung meines sprachlichen Hintergrundes gebeten und das wurde auch so akzeptiert.

Evanesca Feuerblut

Sagen wir: Es kommt darauf an.
Dieses Glattbügeln von besonders österreichischen und Schweizer Autor*innen ans "Bundesdeutsch" finde ich doof und forciere ich auch in meiner Arbeit als Lektorin nur dann, wenn es explizit gewünscht wird. Da ich vor zwei Jahren nach Österreich umgezogen bin, habe ich ein bisschen einen Blick dafür und es gibt Auftraggeber*innen im Korrektorat/Lektorat, die mich tatsächlich darum bitten, die Austriazismen rauszubügeln. (Wenn ich darum gebeten werde, tue ich es auch).

Ansonsten kommt es auf die Umstände an. Wenn der Text in Wien spielt, aber die Leute dort reden wie in Hamburg, ist das genauso befremdlich, da würde ich immer Lokalkolorit begrüßen.
Aber wenn ein Text in Bregenz spielt, wo man viele Wiener Ausdrücke nicht verwendet und daher eine Figur, wie "wienert", wahnsinnig auffallen würde, würde ich es anstreichen, wenn niemand was dazu sagt. In Vorarlberg sagt man zwar auch Semmel zum Brötchen, aber schon "Häferl" würde hier zu einer Nachfrage führen - man trinkt hier aus der "Schüssel" :D

Ich hatte aber auch schon einen Text, in dem der Protagonist ein Deutscher war, aber an einer deutschen Uni "Jus" studiert hat. Das ist schlicht und ergreifend falsch und muss dann zu "Jura" gebügelt werden, weil das Studienfach in Deutschland nun einmal anders heißt.

Mir selbst wurden im Lektorat Wörter angestrichen, die "DDR-Deutsch" sind. Ich bin 1997 nach Deutschland eingewandert, habe also mit der DDR nichts am Hut, aber man sagt im Osten nach wie vor "Plaste" und im Westen "Plastik" - mit der Begründung "Willst du denn, dass man deiner Sprache ansieht, dass du aus dem Osten bist?"
Ich habe zähneknirschend geändert, weil ich bei dem Lektorat andere Baustellen hatte und mich über paar Buchstaben nicht streiten wollte, aber an und für sich wäre es mir so egal ...

Um es kurz zu fassen:
- Bei Werken, die in Deutschland spielen und/oder bei denen die Protagonist*innen in Deutschland sozialisiert wurden: Bundesdeutsch mit regionalen Eigenheiten, die sich ja gut recherchieren lassen (man kann ja auch im TiZi gerne fragen, wie etwas in Region xy gesagt wird)
- Bei Werken, die in Österreich/der Schweiz/Belgien/Luxemburg spielen und/oder Prota dort sozialisiert wurde: Nach Möglichkeit sprachliche Eigenheiten in der Erzählstimme übernehmen, aber auf innerländliche Sprachvarianten Rücksicht nehmen (siehe mein Beispiel von den Wiener*innen in Vorarlberg)

Ich selbst schreibe vermutlich ... schwierig. Ich habe ja in Sachsen Deutsch gelernt, das hatte auch einen entsprechenden Einschlag. Dann habe ich in Mainz studiert, wo es ziemlich glattgebügelt wurde, aber parallel bin ich seit 2011 regelmäßig in Vorarlberg und wohne da seit 2017. Ich könnte also gar nicht genau sagen, was für ein Deutsch ich selbst schreibe.

Nikki

ZitatSagen wir: Es kommt darauf an.

Die einzig wahre Antwort.  ;D

Was jetzt wahrscheinlich nicht klar genug herausgekommen ist und du gut hervorgehoben ist, dass es auch kein "Österreichisch" per se gibt, genauso wenig wie es "das Deutsche" gibt. Ich versuche immer zu betonen, dass ich einen wienerischen Zugang zum Österreichischen habe und das meine Sprachvarietät ist. Wobei ich mich auch nicht über das "Weanerische" definiere. Ich wurde oft genug gefragt, ob ich nicht eine Deutsche bin, weil ich scheinbar so rede. Auch meine Texte wurden immer wieder damit kommentiert, dass gewisse Wörter doch sehr "deutsch" klingen, wohingegen sie für mich völlig normal klingen.

ZitatUm es kurz zu fassen:
- Bei Werken, die in Deutschland spielen und/oder bei denen die Protagonist*innen in Deutschland sozialisiert wurden: Bundesdeutsch mit regionalen Eigenheiten, die sich ja gut recherchieren lassen (man kann ja auch im TiZi gerne fragen, wie etwas in Region xy gesagt wird)
- Bei Werken, die in Österreich/der Schweiz/Belgien/Luxemburg spielen und/oder Prota dort sozialisiert wurde: Nach Möglichkeit sprachliche Eigenheiten in der Erzählstimme übernehmen, aber auf innerländliche Sprachvarianten Rücksicht nehmen (siehe mein Beispiel von den Wiener*innen in Vorarlberg)

Und wie ist es mit Werken, die in einem Fantasysetting spielen und keinen Bezug zur realen Welt haben, @Evanesca Feuerblut ?

Evanesca Feuerblut

ZitatUnd wie ist es mit Werken, die in einem Fantasysetting spielen und keinen Bezug zur realen Welt haben, @Evanesca Feuerblut ?
Meiner Erfahrung nach kommt in diesen Werken schlicht und ergreifend sehr selten etwas vor, dass Dinge erwähnt werden, die "typisch für eine bestimmte Sprachregion" sind. Ich habe aus Jux gerade das Wort "Brötchen" in eine Volltextsuche des Ordners eingegeben, in dem alle meine Romane etc. landen und geschaut, wie oft es dort vorkommt, wo es keinen Bezug zur realen Welt gibt.
Ebenso die Probe mal mit Tasse / Becher durchgeführt. Aber ich würde sagen, dass man da doch automatisch dazu neigt, so zu schreiben, dass es möglichst zeitlos / neutral ist, je nachdem, was die eigene Vorstellung davon ist.

Ich bin da sowieso extrem puristisch und google die Herleitungen und Herkunftsgeschichten von Wörtern, um herauszufinden, ob sie in einer anderen Welt überhaupt existieren können. (Beispielsweise alle Worte, die von bestimmten historischen Persönlichkeiten abgeleitet wurden, nach ihren Entdecker*innen/Erfinder*innen benannt wurden, schlicht und ergreifend nur entstanden sind, weil als Antwort auf "Was ist das?" mit "Ich verstehe dich nicht" geantwortet wurde ... )

Araluen

Ich denke, das Wichtigste ist, dass der Leser dich versteht oder der Leser es sich selbsterklärend erschließen kann. Außerdem muss die Stimme des Erzählers zur Geschichte passen und den Leser erreichen. Gelingt das, ist es mir persönlich herzlich egal, welche Sprachvarität verwendet wird. Allerdings bildet eine Abweichung vom Gewohnten immer eine zusätzliche Hürde. An dieser Stelle muss man als Autor abwägen, ob man die Leser unbedingt über die Hürde treiben möchte und dabei vielleicht ein paar verliert. Oder ob man mehr Leser mit auf die Reise nehmen möchte und dafür eine ebene Strecke wählt.
Eine sprachlich regional gefärbte Erzählstimme, weckt auch gewisse Lesererwartungen. Spielt die Geschichte in Wien, erwartet man als Leser ja fast schon einen Erzähler, der zumindest hier und da die sprachlichen Besonderheiten einstreut. Bei Urban Fantasy in Berlin würde ich mich eher wundern. Spielt die Geschichte in einer anderen Welt käme es darauf an wie prägnant die Sprachvarität hervortritt und ob sie vom Leser als Stil oder als falsches Deutsch wahrgenommen wird. Grad bei grammatikalischen Kleinigkeiten könnte es gut sein, dass dem Leser nicht bewusst ist, dass er es hier mit einer Sprachvarität und nicht mit einem Montagsmoment des Autors zu tun hat. Vokabeln sind da auffälliger, aber zuweilen auch anstrengender. Ich weiß nicht, ob direkt jeder etwas mit Obers und Topfen (ich musste es mühsam in unserem Österreichurlaub lernen  ;)) zum Beispiel anfangen kann oder weiß wie anzüglich pudern doch sein kann.
Vielleicht lohnt es sich mal nach Autoren aus Österreich und der Schweiz in deinem bevorzugten Schreibgenre zu suchen und zu schauen, wie es von denen gehandhabt wird.


Nikki

ZitatSpielt die Geschichte in Wien, erwartet man als Leser ja fast schon einen Erzähler, der zumindest hier und da die sprachlichen Besonderheiten einstreut.

Wirklich? Ich würde mir eher entsprechende Schauplätze erwarten, nicht aber "sprachliche" Besonderheiten. Aber ja, ich sitze da im Glashaus und kann diese sprachliche Besonderheiten gar nicht so recht abschätzen, weil diese für mich ja zur Defaultsprache gehören (siehe z.B. was das Wörtchen tapezieren "angerichtet" hat  ;D).

ZitatIch weiß nicht, ob direkt jeder etwas mit Obers und Topfen (ich musste es mühsam in unserem Österreichurlaub lernen  ;)) zum Beispiel anfangen kann oder weiß wie anzüglich pudern doch sein kann.

Das erinnert mich an das Wort "angreifen". ;D Im Österreichischen bedeutet es sowohl attackieren, als auch berühren. Da erhalten zweisame Stunden plötzlich einen Twist, wenn dieses Wort fällt.  ;D

ZitatVielleicht lohnt es sich mal nach Autoren aus Österreich und der Schweiz in deinem bevorzugten Schreibgenre zu suchen und zu schauen, wie es von denen gehandhabt wird.

Mein Eindruck ist da leider einer, der sprachlichen Varietäten zuwiderläuft. Ursula Poznanski ist eine der erfolgreichsten österreichischen Autor*innen im Jugendbuch-/Thrillersektor und veröffentlicht bei entsprechenden Publikumsverlagen. Layer spielt in (einem namenlosen) Wien und lässt überhaupt nicht darauf schließen, dass die Person, die das Buch geschrieben hat, österreichische sprachliche Wurzeln hat. Immer wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, sich von gegen das Bundesdeutsche zu entscheiden, fiel die Entscheidung dafür aus.

Vielleicht kann mir aber auch jemand aus dem Forum andere (eigene) Beispiele bringen?

Anj

Also ich kann leider nur die Lesersicht beisteuern. Ich merke, dass ich über fremde Bezeichnungen zwar stolpere, aber es mag sie zu lernen. Und es ist eigentlich immer möglich die Bedeutung aus dem Kontext zu erschließen.
Grundsätzlich finde ich es toll, wenn ich durch Bücher spielerisch mein Wissen erweitern kann. Außerdem gibt es so viele regionale Begriffe, dass ich das durchaus auch gewohnt bin. Wobei ich zugeben muss, dass das eher in Betaprojekten oder im SP der Fall ist. Die größeren Verlage scheinen mir auch schon vieles glatt zu bügeln. Andererseits liebe ich aber zum Beispiel bayrisches/süddeutsches Lokalkolorit, weil ich dort eine Zeit gelebt habe, manches vermisse und die Dialektfärbungen sehr mag. So lange es kein tiefstes Bayrisch (oder schwäbisch) ist, bei dem ich dann auch nichts mehr verstehe, zeichnet das Bücher aus. Allerdings kann man da auch schnell Hürden aufbauen, wenn auch da bestimmte Dinge regional anders sind. (Ich erinnere mich an eine Diskussion zu einer Getränkebezeichnung im RL.) Wenn es starke Unterschiede sind (wie das tapezieren) würde ich mich über ein Glossar/eine Erklärung hinten im Buch freuen.

Bei grammatikalischen Unterschieden empfinde ich diese aber als Fehler und qualitativen Mangel, einfach, weil ich nicht weiß, dass das woanders als korrekt gilt. Da würde ich mir einen Hinweis am Anfang wünschen, dann kann ich entweder drüber weglesen (was ich bei mir/mich zum Beispiel sowieso tue) und würde es höchstens als "das ist ja krass, die sagen das da echt so?" bemerken und mich vermutlich freuen, das jetzt auch zu wissen.

Also: Ich bin total dafür sprachliche Vielfalt zu erhalten. Aber vielleicht manchmal mit dem Hinweis darauf, um Fehlurteile zu vermeiden.
Ich finde es ohnehin auch gut, das Gespür für (kulturelle) Vielfalt im deutschen Sprachraum zu schulen. Sowohl für Sprache, als auch für andere Bräuche und Gewohnheiten im Umgang miteinander. Es schärft meines Erachtens die Toleranz für Anderes/Fremdes und den wertschätzenden Umgang mit Menschen, wenn wir nicht automatisch davon ausgehen, andere müssten in allem so sein wie wir, nur weil wir eine Sprache sprechen. Aber das ist noch ein anderes Thema.^^
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Churke

Das würde jeder moderne Lektor anstreichen:

Zitat
Zu einer besondern Tat hatte ihn das Schicksal ausersehn.

aus:  "Radetzkymarsch", Joseph Roth.

Der Untergang der Donaumonarchie wäre auf Preußisch viel weniger morbide.

Zit

Zitat von: Araluen am 13. Februar 2020, 10:45:53
Ich denke, das Wichtigste ist, dass der Leser dich versteht oder der Leser es sich selbsterklärend erschließen kann. (...) Allerdings bildet eine Abweichung vom Gewohnten immer eine zusätzliche Hürde. An dieser Stelle muss man als Autor abwägen, ob man die Leser unbedingt über die Hürde treiben möchte und dabei vielleicht ein paar verliert. Oder ob man mehr Leser mit auf die Reise nehmen möchte und dafür eine ebene Strecke wählt.

Nein.
Es gibt nicht den einen Leser, oder den einen Leserkreis. Selbst als deutsche Autorin, die in Deutschland veröffentlicht, kann ich es nicht jedem recht machen. Das sehen wir doch im Thread schon, wo wir über tapezieren sprachen. Es gibt Dinge, die einheitlich sind, aber es gibt auch so viele Dinge, die unterschiedlich sind, dass ich persönlich keine Ressourcen dafür aufwenden möchte, das glattzubügeln. Plaste ist Plaste, und ein Pfannkuchen ist gezuckert und mit Marmelade gefüllt (oder kommt tatsächlich aus der Pfanne und wird mit Apfelmus und/ oder Zucker gegessen). ;D Es gibt da keinen vorherrschenden "Stil", mMn., an dem man sich entlang hangeln könnte. Schreibt einfach das womit ihr euch wohlfühlt, und was halt auch beschreibt, was ihr beschreiben möchtet.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Alana

#9
Die Sprache muss natürlich zum Protagonisten passen, das heißt, die Textstimme muss konsequent sein. Wenn ich eine Protagonistin habe, die aus Berlin kommt, dann bitte ich die liebe @Malinche mein Buch testzulesen, damit sie mir meinen Südsprech durch Berlinerisch ersetzt.

An meinem Südsprech festzuhalten, obwohl die Figur so nicht reden würde, würde mir nicht in den Sinn kommen. Mein aktueller Roman spielt in den USA, auch da versuche ich, den Südsprech nach Möglichkeit gleich wegzulassen und Hochdeutsch zu verwenden. Manchmal ist das gar nicht so leicht, weil ich stellenweise überhaupt nicht weiß, was eigentlich Dialekt ist und was Hochdeutsch. Das sind oft so Kleinigkeiten, die einem einfach nicht auffallen, wenn man es nicht weiß.

Auf die Arbeit gegen klingt für mich zum Beispiel total falsch und ich dachte auch immer, dass in die Arbeit gehen das Hochdeutsche ist. Mittlerweile weiß ich, dass zur Arbeit gehen das Neutralste ist, also verwende ich das.
Alhambrana

Araluen

Zitat von: Zitkalasa am 13. Februar 2020, 13:42:49
Zitat von: Araluen am 13. Februar 2020, 10:45:53
Ich denke, das Wichtigste ist, dass der Leser dich versteht oder der Leser es sich selbsterklärend erschließen kann. (...) Allerdings bildet eine Abweichung vom Gewohnten immer eine zusätzliche Hürde. An dieser Stelle muss man als Autor abwägen, ob man die Leser unbedingt über die Hürde treiben möchte und dabei vielleicht ein paar verliert. Oder ob man mehr Leser mit auf die Reise nehmen möchte und dafür eine ebene Strecke wählt.

Nein.
Es gibt nicht den einen Leser, oder den einen Leserkreis. Selbst als deutsche Autorin, die in Deutschland veröffentlicht, kann ich es nicht jedem recht machen. Das sehen wir doch im Thread schon, wo wir über tapezieren sprachen. Es gibt Dinge, die einheitlich sind, aber es gibt auch so viele Dinge, die unterschiedlich sind, dass ich persönlich keine Ressourcen dafür aufwenden möchte, das glattzubügeln. Plaste ist Plaste, und ein Pfannkuchen ist gezuckert und mit Marmelade gefüllt (oder kommt tatsächlich aus der Pfanne und wird mit Apfelmus und/ oder Zucker gegessen). ;D Es gibt da keinen vorherrschenden "Stil", mMn., an dem man sich entlang hangeln könnte. Schreibt einfach das womit ihr euch wohlfühlt, und was halt auch beschreibt, was ihr beschreiben möchtet.
Natürlich gibt es nicht DEN Leser. Da hast du völlig Recht. Ziel sollte es aber sein, möglichst viele Leser, die das Buch in die Hand nehmen, zu überzeugen, die Geschichte auch bis zum Ende zu lesen. Wo man als Autor die Schnittmenge an Lesern setzt, die man hofft zu erreichen, muss jeder für sich selbst festlegen. Und an dieser Stelle gilt es halt zu überlegen, wie man diese gewählte Schnittmenge erreicht und ob Aspekte des eigenen Schreibens sie vergrößern, verkleinern oder gleich groß bleiben lassen. Zu diesen Aspekten gehört dann eben auch die Sprachvarität und wie man sie einsetzt.

Sascha

Also, wenn was in einer fremden Welt spielt, versuche ich dann doch, den "Standard" (TM) zu verwenden. Dann überwinde ich mich evtl. auch zu einem "Brötchen".
Mein Kurt ist Bayer, der ißt Semmeln und Brezen (keine BrezeLn, das sind diese kleinen Salzstangen in Brezenform), und die Bauern sprühen hier Odel aufs Feld statt Gülle. Letzteres mußte ich dann eben mit einem kleinen Zusatz erklären, da einige Testleser damit nichts anfangen konnten.
Lasse ich jemanden aus anderen Regionen dazukommen, versuche ich entweder, Hilfe zu bekommen (z.B. für meinen Sachsen Fritz) oder versuche ansonsten, regionalen Einschlag zu vermeiden, wenn es nicht anders geht. Bevor ich Murks schreibe ...

FeeamPC

Ich habe für mich eine recht einfache Regel:
Wenn Personen sprechen oder denken, ist alles erlaubt, solange der Leser den Sinn des Satzes noch verstehen kann. Regionale Begriffe im Fließtext sind okay, wenn ich voraussetzen kann, dass mehr als 2/3 der Leser etwas damit anfangen können. Ansonsten Schriftdeutsch auf Duden-Grundlage.
Mit allen anderen Methoden schränkt man sich den Kreis potentieller Leser selbst ein, unter Umständen drastisch.
Das gilt übrigens auch für erfundene Begriffe in Fantasiesprachen. Wenn es die Möglichkeit gibt, die Dinger mit normalem Deutsch passend zu benennen, sollte das gemacht werden. Einen Drachen muss ich nicht in Orglemork umbenennen (außer, er heißt so).

Amber

Ich habe als Lektorin schon mehrmals mit österreichischen Autorinnen gearbeitet, jedes Mal im Auftrag deutscher Verlage.

Ich bin dabei so verfahren, dass ich Formulierungen, die mir als Deutsche nicht geläufig waren und die der Duden als Austriazismen kennzeichnet, angemarkert habe. Die Autorinnen waren dann auch meist bereit diese zu streichen. Dazu muss man sagen, dass die betreffenden Romane in den USA spielten.

Das betrifft die Erzählstimme. Wenn Figuren sprechen, ist es für mich nochmal was anderes, da würde ich nach Herkunft der Figur gehen und fände es durchaus stimmig, nicht-bundesdeutsche Ausdrücke drinzulassen.

Ich kann mir vorstellen, dass es für Schreibende aus Österreich und der Schweiz ärgerlich sein kann, so glattgebügelt zu werden. Allerdings richte ich mich in solchen Fällen grundsätzlich danach, was meine Auftraggeber wollen.

Sonnenblumenfee

Zitat von: Nikki am 13. Februar 2020, 11:01:51
ZitatSpielt die Geschichte in Wien, erwartet man als Leser ja fast schon einen Erzähler, der zumindest hier und da die sprachlichen Besonderheiten einstreut.

Wirklich? Ich würde mir eher entsprechende Schauplätze erwarten, nicht aber "sprachliche" Besonderheiten. Aber ja, ich sitze da im Glashaus und kann diese sprachliche Besonderheiten gar nicht so recht abschätzen, weil diese für mich ja zur Defaultsprache gehören (siehe z.B. was das Wörtchen tapezieren "angerichtet" hat  ;D).
Erwarten würde ich nicht sagen, aber ich persönlich freue mich darüber. Ein tolles Beispiel ist "Der schwarze Garten" von @DoroMara, in dem viele Züricher Begriffe und Redewendungen verwendet werden, ohne dass es unverständlich würde. Das hat in diesem Roman, in dem es auch gerade viel um lokale Mythen geht, zusätzliches Flair verschafft. Über manche Sachen bin ich zugegebenermaßen auch ein wenig gestolpert, aber insgesamt habe ich persönlich es als bereichernd empfunden.
Also wenn es in der Heimat des Autors spielt oder einem realen deutschsprachigen Setting, finde ich es sehr schön, etwas von der Sprachvarietät mitzubekommen. Dein "tapezieren", @Nikki, hat mich ja etwas irritiert, im normalen Lesefluss in einem Roman hätte ich aber vermutlich einfach darüber hinweggelesen.

Schwieriger finde ich es in einem Fantasysetting oder wenn die Bücher zB in den USA, England oder sonstwo nicht-deutschsprachiges spielen. Da würde es mich vermutlich eher irritieren, auch wenn ich es theoretisch besser finde, Sprachvarietät zu erhalten. "In die Arbeit gehen" würde ich selbst nie sagen, aber in einem Text würde ich nicht darüber stolpern, egal welches Setting.
Gerade im Fantasysetting finde ich Sprachvarietät deshalb schwierig, weil sie dem geneigten Leser ein bestimmtes Flair suggerieren könnte, das nicht beabsichtigt ist. Wenn ich von "Obers" und "Topfen" lese, denke ich zB sofort an die Berge. Bei einem Wüstensetting kann das dann, wenn es gehäuft auftritt, zu einer "Settingverwirrung" kommen. Da würde ich doch eher zum vermutlich von vielen als neutraler empfundenen "Bundesdeutsch" ohne Lokaleinschlag tendieren.
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin