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Erzählungen in Dialogen

Begonnen von Kaipi, 26. Februar 2014, 20:52:31

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Kaipi

Hallo allerseits,

alle Jahre wieder überkommt mich vor einem Buchrelease das Thema Zeiten. Die Erzählzeit ist klar geregelt, aber wie hört es sich an, wenn jemand in einem Dialog etwas erzählt?

In meinen Kinderbüchern gibt es viele Sagen und Legenden und ein Elfenjunge erzählt diese sehr gerne. Das sind Ereignisse, die Jahrtausende in der Vergangenheit zurückliegen.

Ein Beispiel:
»Angeblich hatte ein Zauberlehrling unter der Eiche gestanden, kurz bevor der Meteorit einschlug.«
Logisch, BEVOR der Meteorit einschlug, hatte jemand unter dem Baum gestanden. Okay. Aber redet so ein 9-Jähriger?
Sagt er nicht eher:
»Angeblich stand ein Zauberlehrling unter der Eiche, kurz bevor der magische Kristall eingeschlagen ist.«
Oder einfach das VORHER ignorieren:
»Angeblich hat ein Zauberlehrling unter der Eiche gestanden, kurz bevor der magische Kristall eingeschlagen ist.«
Was denkt ihr? Ist der oberste Satz okay (wäre mir am liebsten)?

Schlimmer ist diese Legende:

»Damals hatten hier nur Riesen, Zwerge und Bären gelebt und die Heimat der Elfen war Dunkelblau gewesen, bis der Planet zerstört wurde.
Vor zwölftausend Jahren gab es dort einen mächtigen Zauberer. Er hatte die Zerstörung unserer Heimatwelt vorhergesehen und suchte deshalb einen Zauberspruch, der eine Tür nach Himmelblau öffnen konnte. Seine Sprüche schrieb er in dieses schwarze Buch da oben. (Hinweis: die Kinder betrachten ein Bild an der Decke.)
Die Legende besagt, dass er bei den Versuchen, das richtige Portal zu finden, noch andere Tore geöffnet hatte. Tore in düstere und bedrohliche Welten mit grauenvollen Monstern. Glücklicherweise konnte er sie wieder schließen. Als er endlich das Tor nach Himmelblau geöffnet hatte, starben er und seine Frau dabei.
Ungefähr tausend Elfen waren durch das Tor gegangen, als es sich plötzlich schloss. Viele blieben auf Dunkelblau zurück, darunter war auch der kleine Sohn des Zauberers.«


Also, es HATTEN Riesen usw. hier gelebt, BIS der (andere) Planet zerstört wurde. Okay. Dann wechsel ich ins Präteritum, weil das Plusquamperfekt auf Dauer nervt. Am Ende wird der Planet zerstört, dann ist ja eigentlich alles Vorvergangenheit, oder? Ich habe jedoch nur dann das Plusquamperfekt verwendet, wenn es im entsprechenden Satz (oder in der Nähe eines anderen Satzes) auch einen Sinn ergibt.

Findet ihr zeitliche Fehler in der Erzählung? Hätte ich doch eine andere Vorgehensweise wählen sollen? Einfach alles im Präteritum? Das war doch ohnehin alles vor 12.000 Jahren... wie dumm nur, dass es bei mir einen Zeitreisenden gibt. Und damit wirken Ereignisse von damals bis heute. Nix mit "abgeschlossener Vorgang ohne Bezug zur Gegenwart".  :)

Siara

Also ich finde schon, dass die erste Variante in Ordnung ist. Bevorzugen würde ich allerdings die zweite, weil es für einen Neunjährigen tatsächlich realistischer klingt. Du hast recht, die erste ist die schönere, und wenn du darauf mehr Wert legst, kannst du sie auf jeden Fall verwenden. Glaubwürdiger ist, denke ich, trotzdem die zweite. Und auch die klingt nicht schlecht. 

Was den längeren Abschnitt angeht: Bei solchen Sachen zerbreche ich mir auch immer den Kopf  ::)

Allerdings springst du hier trotzdem noch zwischen den Zeiten, oder irre ich mich?
Zitat von: Kaipi am 26. Februar 2014, 20:52:31Die Legende besagt, dass er bei den Versuchen, das richtige Portal zu finden, noch andere Tore geöffnet hatte. Tore in düstere und bedrohliche Welten mit grauenvollen Monstern. Glücklicherweise konnte er sie wieder schließen. Als er endlich das Tor nach Himmelblau geöffnet hatte...
Wenn man genau darüber nachdenkt, kann man zwar mit etwas Fantasy erklären, warum wo Plusquamperfekt steht, aber es ist doch sehr unübersichtlich.

Ich finde es in solchen Fällen tatsächlich schöner, schlicht im Imperfekt zu schreiben. Das ist verständlicher und klingt über längere Strecken stimmiger. So, wie es momentan ist, finde ich es etwas wirr. Gerade wenn es für Kinder sein soll, ist die simplere Variante vielleicht ohnehin die bessere.

Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen  :)
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Churke

Zitat von: Kaipi am 26. Februar 2014, 20:52:31
Aber redet so ein 9-Jähriger?
Alles mit Maß und Ziel, aber ich finde, man kann die Kinds durchaus schon an den korrekten Gebrauch von Zeiten gewöhnen.

Zitat
Sagt er nicht eher:
»Angeblich stand ein Zauberlehrling unter der Eiche, kurz bevor der magische Kristall eingeschlagen ist.«

Ich weiß nicht, was du da hinten mit dem Perfekt willst. Es ist nicht falsch, aber ich finde, es macht die Sache nur kompliziert.
Zitat
»Angeblich hat ein Zauberlehrling unter der Eiche gestanden, kurz bevor der magische Kristall eingeschlagen ist.«
Ich habe ein Problem mit dem "kurz bevor", das m.E. eine Vorzeitigkeit impliziert. Die sich aber nicht ausdrückt.



Schlimmer ist diese Legende:
Findet ihr zeitliche Fehler in der Erzählung?
[/quote]
Fehler?
Mir fällt auf, dass du ständig ohne zwingende Gründe zwischen Präterium und Plusquamperfekt wechselst. Ist etwas wirklich vorzeitig oder nicht? Im Deutschen nimmt man es mit solchen Temposfragen auch nicht ganz so genau.
Ich würde nur hier das Plusquamperfekt verwenden:

ZitatAls er endlich das Tor nach Himmelblau geöffnet hatte, starben er und seine Frau dabei.
Ungefähr tausend Elfen waren durch das Tor gegangen, als es sich plötzlich schloss.

absinthefreund

Hallo Kaipi!

Meines Erachtens kannst du dir das Plusquamperfekt oft sparen. Das und das Perfekt machen sich in der schriftlichen Sprache nicht so gut. Du musst dich nicht so starr an die Zeitstrahlen halten, die die grammatikalischen Zeiten suggerieren, also, alles, was vor der Vergangenheit passiert, ist Plusquamperfekt usw.. Um der Ästhetik, des Sprachrhythmus und der Natürlichkeit willen würde ich mich, so es geht, ans Präterium halten.

Zitat von: Kaipi am 26. Februar 2014, 20:52:31
»Angeblich stand ein Zauberlehrling unter der Eiche, kurz bevor der magische Kristall eingeschlagen ist.«
Hier würde ich schreiben: "kurz bevor der magische Kristall einschlug".

Zitat von: Kaipi am 26. Februar 2014, 20:52:31
»Damals hatten hier nur Riesen, Zwerge und Bären gelebt und die Heimat der Elfen war Dunkelblau gewesen, bis der Planet zerstört wurde.
Vor zwölftausend Jahren gab es dort einen mächtigen Zauberer. Er hatte die Zerstörung unserer Heimatwelt vorhergesehen und suchte deshalb einen Zauberspruch, der eine Tür nach Himmelblau öffnen konnte. Seine Sprüche schrieb er in dieses schwarze Buch da oben. (Hinweis: die Kinder betrachten ein Bild an der Decke.)
Die Legende besagt, dass er bei den Versuchen, das richtige Portal zu finden, noch andere Tore geöffnet hatte. Tore in düstere und bedrohliche Welten mit grauenvollen Monstern. Glücklicherweise konnte er sie wieder schließen. Als er endlich das Tor nach Himmelblau geöffnet hatte, starben er und seine Frau dabei.
Ungefähr tausend Elfen waren durch das Tor gegangen, als es sich plötzlich schloss. Viele blieben auf Dunkelblau zurück, darunter war auch der kleine Sohn des Zauberers.«
"Damals lebten hier nur Riesen [...] und die Heimat der Elfen war Dunkelblau, bis der Planet zerstört wurde." Dieses "ist/war ... gewesen" geht gar nicht, finde ich. Ich würde schreiben: "Die Legende besagt, dass er bei den Versuchen, das richtige Portal zu finden, noch andere Tore öffnete." Das ist so ein Fall, wo durch den Kontext klar wird, dass es früher passiert sein muss. Du musst nicht immer durch den richtigen Tempus anzeigen, was wann früher oder später passiert ist, das erledigt der Inhalt des Satzes oft schon für dich.
Diese wörtliche Rede, in der die Legende erzählt wird, ist ja ein versteckter Erzählton, deshalb kannst du ruhig eleganter schreiben als man sprechen würde.

Rosentinte

Hallo Kaipi,

In deinem ersten Beispiel würde ich zur ersten oder zweiten Variante tendieren (je nachdem, ob dein Neunjähriger weiß, ob es ein Meteorit ist oder nicht, mein Cousin würde dir vermutlich schon von Meteoriten erzählen). Es ist zwar schön, wenn du die Erzählstimme so anpassen willst, aber erstens bist du ja trotz allem noch in der Schriftsprache, die auch bei Kindern in diesem Alter (ich war damals in der dritten Klasse und bilde mir ein, schon einen halbwegs sicheren Gebrauch der Zeiten verinnerlicht zu haben) anders als die Schriftsprache ist. Zum anderen haben Bücher, gerade für Kinder, meiner Meinung nach einen sprachlichen "Lehrauftrag". Selbst wenn die Kinder nicht verstehen, warum du die Zeit nimmst und es selbst nicht so verwenden würden, sollten sie sehen, wie die richtige Zeit wäre - je öfter sie es richtig lesen, desto mehr verinnerlichen sie es sich.

Im zweiten Beispiel finde ich deine Lösung eigentlich bereits gut. Das Plusquamperfekt am Anfang würde ich zur zeitlichen Einordnung stehen lassen, sobald die Vorvergangenheit aber klar ist, kannst du zum stilistisch schöneren Präteritum wechseln.

LG, Rosentinte
El alma que anda en amor ni cansa ni se cansa.
Eine Seele, in der die Liebe wohnt, ermüdet nie und nimmer. (Übersetzung aus Taizé)

cryphos

Hallo Kaipi,

Jeden Tag im Zug erlebe ich die Kinder live. Da ich ca. 1.5 Stunden pro Fahrt im Zug sitze bekomme ich da ganz unterschiedliche Kaliber mit. Zum einen die Gymnasiasten und wenn die Austeigen kommen dann die Realschüler. Dazwischen immer mit Dabei, Hauptschüler und Schüler freier Schulen. Ich habe auf der Fahrt den Vorteil, dass hier die Schulen größtenteils örtlich getrennt sind und ich für 2 bis 4 Stationen immer nur eine Kundengruppe im Zug habe. Hier meine Beobachtungen:

Kinder mit 9 Jahren können mit etwas Sprachgefühl durchaus die richtigen Tempi nutzen und konstant im Plusquamperfekt sprechen. Deshalb gefallen mir bei der Legende die raschen und grammatikalischen Tempiwechsel so ganz und gar nicht.

Was ich aber auch immer stärker beobachte ist, das Kinder zwischen 8 und 12 Geschichten wie folgt erzählen: ,,Ich war im Kindergarten. Und dann in der Schule. Dann war ich zu Hause. Danach machte Mama mir etwas zu Essen. Dahann haben wir gegessen." (So in der Art erst letztens im Zug gehört).
Zudem sagen sie Sachen wie: ,,Du musst aufpassen. Letztens hat ein grünes Auto ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt. Der Freund von meinem Stiefpapa hat ein grünes Auto. Aber das war es nicht." Sagte ein Bub von ca. 11 Jahren.

Was ich damit aufzeigen möchte ist, dass Kinder Sprache ganz unterschiedlich nutzen, abhängig von Elternhaus, Umgang, Bildung und Intellekt. Jedoch machen sie es entweder richtig oder ganz falsch, aber deine Mischform, von relativ guter Wortwahl und Grammatik mit falschen Tempi.

Kaipi

Hallo allerseits,

danke, das war sehr inspirierend, was ihr geschrieben habt und hat mir sehr geholfen. Ich denke auch, dass ein geschriebener Dialog (insbesondere in Kinderbüchern) grammatikalisch korrekt sein sollte. Der Leser sollte aber auch keine Kopfschmerzen bekommen und wenn ich als Autor schon welche habe...
Ich wähle folgenden Kompromiss: Bei Ein-Satz-Legenden wähle ich die korrekte Form (erste Variante Beispiel 1).
Bei längeren Legenden mache ich es jetzt so ähnlich, wie man sich bei Rückblenden vom Plusquamperfekt trennt. Einmal PQP mit Signalworten wie "damals" und dann rein ins Präteritum. Allerdings komme ich am Ende dann nicht wieder zurück ins PQP, sondern bleibe im Präteritum.

Damals hatten hier nur Riesen, Zwerge und Bären gelebt, bis der Planet zerstört wurde. Die Elfen lebten aufDunkelblau und vor zwölftausend Jahren gab es dort einen mächtigen Zauberer. Er sah die Zerstörung unserer Heimatwelt vorher und suchte deshalb einen Zauberspruch, der eine Tür nach Himmelblau öffnen konnte. Seine Sprüche schrieb er in dieses schwarze Buch da oben. (Hinweis: die Kinder betrachten ein Bild an der Decke.)
Die Legende besagt, dass er bei den Versuchen, das richtige Portal zu finden, noch andere Tore öffnete. Tore in düstere und bedrohliche Welten mit grauenvollen Monstern. Glücklicherweise konnte er sie wieder schließen. Als er endlich das Tor nach Himmelblau fand, starben er und seine Frau dabei.
Ungefähr tausend Elfen retteten sich durch das Tor, als es sich plötzlich schloss. Viele blieben auf Dunkelblau zurück, darunter war auch der kleine Sohn des Zauberers.

canis lupus niger

Zitat von: Churke am 26. Februar 2014, 21:33:45
Alles mit Maß und Ziel, aber ich finde, man kann die Kinds durchaus schon an den korrekten Gebrauch von Zeiten gewöhnen.

Das geht schon, aber reden die Kinder dann wirklich so? kommt wahl drauf an, mit wem. Meine ältere Tochter hat schon mit sechs druckreif gesprochen, wurde aber dann in der Schule von den anderen dafür gehänselt. Die meisten Kinder sprechen doch eher so wie im Beispielsatz drei, gerade um nicht mit ihrer Sprache anzuecken. Richtig oder falsch spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Hab´ gerade "Isch geh´Schulhof" gelesen. OMG!   :no:

Rosentinte

Zitat von: canis lupus niger am 27. Februar 2014, 12:26:43
Das geht schon, aber reden die Kinder dann wirklich so? kommt wahl drauf an, mit wem. Meine ältere Tochter hat schon mit sechs druckreif gesprochen, wurde aber dann in der Schule von den anderen dafür gehänselt. Die meisten Kinder sprechen doch eher so wie im Beispielsatz drei, gerade um nicht mit ihrer Sprache anzuecken. Richtig oder falsch spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle
Der Punkt ist meiner Meinung nach, wie wir denn Bücher bzw. Erzählungen sehen. Sehen wir sie als 1:1-Abbildung der Wirklichkeit? Dann müssten wir auch konsequent anfangen, die Sprache der Erwachsenen original aufzuschreiben.
Ich habe Kaipis Frage jetzt eher so verstanden, dass es auch darum ging, dass die Kinder das verstehen können. Und ich denke, das können sie. Außerdem sehe ich da Bücher in der Aufgabe, Kinder beiläufig zur richtigen Sprache zu erziehen, wenn auch mit schwindendem Einflussbereich. Aber sollten wir uns den noch ganz wegnehmen lassen?
El alma que anda en amor ni cansa ni se cansa.
Eine Seele, in der die Liebe wohnt, ermüdet nie und nimmer. (Übersetzung aus Taizé)

Kaipi

Zitat von: Rosentinte am 27. Februar 2014, 16:01:18
Ich habe Kaipis Frage jetzt eher so verstanden, dass es auch darum ging, dass die Kinder das verstehen können. Und ich denke, das können sie. Außerdem sehe ich da Bücher in der Aufgabe, Kinder beiläufig zur richtigen Sprache zu erziehen, wenn auch mit schwindendem Einflussbereich. Aber sollten wir uns den noch ganz wegnehmen lassen?
So habe ich es gemeint und auf keinen Fall sollten wir aufgeben, Kinder mit Büchern zur richtigen Sprache zu erziehen. Damit ein Buch ein Kind erreichen kann, muss irgendetwas im Buch aber "cool" und anziehend sein. Ich denke, das sollten Charaktere und Handlung bewirken. Die Sprache sollte verständlich und eben "richtig" sein. Und dennoch altersgemäß und glaubwürdig. Schreiben ist manchmal wie Politik. Immer diese Kompromisse :)