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Was macht in einer Geschichte den Humor aus?

Begonnen von Coppelia, 10. Februar 2014, 13:52:06

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Churke

Sophismen: Mein Lieblingsspiel ist, absurde Settings und lächerliche Ideologien als absolute Wahrheiten zu verkaufen. Hört sich alles superlogisch an, ist aber totaler Schwachfug. Kleine Satire auf Propaganda.  8)

Cailyn

Nebst Ironie gibt es eine humoristische Art, die ich in Bücher besonders  mag. Aber ich habe keine Ahnung, wie man das beschreiben könnte. Als sehr klassisches Beispiel die Hobbits von Tolkien: Sie essen. Sie essen viel und gerne. Sie essen immerzu. Sie müssen essen. Pfeife rauchen. Und wenn mal etwas aktiv getan wurde, gibt's den nächsten Snack. Das ist für mich nicht Ironie, sondern eine Eigenart, die mit einer gewissen Lebensfreude gepaart ist. Vielleicht stellt diese Art von Humor "Schwächen" von anderen in einen sympathischen Kontext, und darum beschert es mir ein Lächeln.

absinthefreund

Zitat von: Cailyn am 12. Februar 2014, 11:44:03
Nebst Ironie gibt es eine humoristische Art, die ich in Bücher besonders  mag. Aber ich habe keine Ahnung, wie man das beschreiben könnte. Als sehr klassisches Beispiel die Hobbits von Tolkien: Sie essen. Sie essen viel und gerne. Sie essen immerzu. Sie müssen essen. Pfeife rauchen. Und wenn mal etwas aktiv getan wurde, gibt's den nächsten Snack. Das ist für mich nicht Ironie, sondern eine Eigenart, die mit einer gewissen Lebensfreude gepaart ist. Vielleicht stellt diese Art von Humor "Schwächen" von anderen in einen sympathischen Kontext, und darum beschert es mir ein Lächeln.

Oh ja, das ist genau ein Beispiel, wie ich es gesucht habe!
Szenen aus "Harry Potter" oder "Jonathan Strange & Mr Norrell" wären auch möglich gewesen. Die Briten eben!

Die essenden Hobbits erscheinen uns lustig, weil es vor den gewaltigen Problemen Mittelerdes Fehl am Platz wirkt, sich um so banale Angelegenheiten wie ein gutes Essen zu scheren. Einerseits ist es dieses klassische Sich-unpassend-benehmen, das Coppelia schon angesprochen hat, weil die Beteiligten nicht merken, dass ihr Verhalten unangebracht ist. Andererseits ist es der wunderbare englische Humor, der die eigene Kultur auf die Schippe nimmt. Nach dem Motto: Wenn die Essenszeiten nicht mehr eingehalten werden können, ist etwas nicht in Ordnung mit der Welt!
Nebenbei bemerkt lockern die Essensszenen die Gefahrensituation auf und das macht die Hobbits "humaner". Es ist ja typisch menschlich, im Chaos Halt in alltäglichen Dingen zu suchen. Wären die Hobbits nicht so, wie sie sind, wäre die Seele des "Herrn der Ringe" in meinen Augen futsch!

Daran anknüpfend habe ich den Eindruck, dass hier (und im Ironie-Thread) mehr über den Humor von Charakteren gesprochen wird als über Humor im Erzählstil. Aber das sind in meinen Augen zwei Paar Schuhe.
Ob ein Charakter sich typischerweise humorvoll/ironisch gibt, liegt in seiner Persönlichkeit. Aber der humorvolle Unterton, der beweist, dass der Erzähler den Mumm hat, seine Figuren ein bisschen zu veräppeln, ist etwas ganz anderes. Humor, das dürfen wir nicht vergessen, ist eine Form von Intelligenz! Und einem intelligenten Erzähler glaubt man mehr, auch wenn es unbewusst geschieht. Abgesehen davon, dass es mehr Spaß macht, einem Erzähler zu folgen, der Intelligenz beweist.

Ich bin der Auffassung, Humor muss Bestandteil einer guten Geschichte sein. Einfach aus dem Grund, dass wir im echten Leben auch nicht ohne auskommen. Wie oft sind wir Zeuge unfreiwillig komischer Szenen, wenn wir auf andere Menschen treffen, weil wir, unperfekt, wie wir sind, nicht jede Situation elegant meistern können.

Hier wurde mehrmals gesagt, Humor sei wichtig, um schlimme Situationen aufzulockern, aber wenn sie sehr schlimm sind, sollte man doch lieber darauf verzichten, weil es unpassend wäre. Ich bin da anderer Meinung. Gerade in den schlimmsten Momenten bleibt uns manchmal nichts anderes übrig, als den Humor (meistens ist es tatsächlich Ironie) auszupacken, um den Gefühlen, die uns fertig machen wollen, ein Ventil zu geben.
Zum Beispiel in Kriegssituationen: Entweder man fängt an zu essen und sich mit Alltäglichem zu beschäftigen wie die Hobbits oder man beginnt Witze über die eigene Situation zu machen. Dass man nicht durchgängig Witze reißen kann, ist klar, aber es liegt in unserer Natur, ab und zu uns selbst von außen zu betrachten und über die Ironie der Welt zu lachen, auch wenn es ein bitteres Lachen ist.
Wer das nicht tut, ist humorlos. Solche Leute gibt es, auch in Romanen, aber hoffentlich nicht als Protagonisten.

Humor in eine Geschichte einzuflechten ist große Kunst, man kann ihn nicht erzwingen, aber vor allem sollte man ihn nicht aufhalten, wenn er im Anmarsch ist.
Hattet ihr das nicht auch schon? Ihr seid kräftig am Tippen und plötzlich nimmt die Szene in eurem Kopf eine absurd-komische Wendung. Ihr platzt vor Lachen, aber so könnt ihr die Szene nicht aufnehmen, das ginge gegen den Plot. Schreibt sie trotzdem auf, ihr müsst sie ja nicht verwenden, aber es ist eine gute Übung. Beim nächsten Mal passt der humorvolle Twist ja vielleicht und ihr seid gewappnet.

Siara

Zitat von: absinthefreund am 12. Februar 2014, 18:41:56
Daran anknüpfend habe ich den Eindruck, dass hier (und im Ironie-Thread) mehr über den Humor von Charakteren gesprochen wird als über Humor im Erzählstil. Aber das sind in meinen Augen zwei Paar Schuhe.
Ob ein Charakter sich typischerweise humorvoll/ironisch gibt, liegt in seiner Persönlichkeit. Aber der humorvolle Unterton, der beweist, dass der Erzähler den Mumm hat, seine Figuren ein bisschen zu veräppeln, ist etwas ganz anderes. Humor, das dürfen wir nicht vergessen, ist eine Form von Intelligenz! Und einem intelligenten Erzähler glaubt man mehr, auch wenn es unbewusst geschieht.

Was die zwei Paar Schuhe angeht, gebe ich dir vollkommen recht. Es sind zwei unterschiedliche Arten, Humor in die Geschichte einfließen zu lassen. Ich persönlich mag humorvolle Charaktere gerne, besonders Ironie weckt schnell Sympathien. Wenn die Charaktere ihr Lächeln nicht verlieren, gibt das Hoffnung auf einen Ausweg aus der Problemsituation und kann sogar Spannung aufbauen.

Aber mit humorvollen Erzählern bin ich nie sonderlich gut klargekommen (was höchstwahrscheinlich der Grund ist, warum ich kein Pratchett-Fan bin). Gerade bei einem auktorialen Erzähler nimmt Humor für mich jegliche Spannung. Dann kann ich die Geschichte einfach nicht ernst nehmen. Natürlich gibt es Bücher, in denen Spannung und Ernsthaftigkeit auch gar nicht das Ziel sind, und dann ist dagegen nichts einzuwenden. Aber wenn mir der Erzähler in brenzligen Momenten aufdrängen will, wie gefährlich doch alles ist, und sich im Rest der Geschichte über die Handlung und Charaktere lustig macht, kaufe ich ihm die sorgenvolle Stimmung einfach nicht ab.

Es stimmt auf jeden Fall, dass Humor ein Charakterzug der Figuren ist. Deswegen ist es mir auch lieber, wenn ein auktorialer Erzähler selbst nicht humorvoll ist. Denn schließlich tritt er nicht selbst auf und ist nicht am Geschehen beteiligt. Zeigt er aber selbst Humor, würde ihm das eine Charaktereigenschaft verleihen. Das finde ich äußerst unpassend, wenn er in der Geschichte, die man gerade verfolgt, selbst absolut keine Rolle spielt.

Dass ich über den Humor der Charaktere meistens ohnehin eher lachen kann, kommt noch dazu  ;) 
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

absinthefreund

Zitat von: Siara am 12. Februar 2014, 19:28:32
Aber mit humorvollen Erzählern bin ich nie sonderlich gut klargekommen (was höchstwahrscheinlich der Grund ist, warum ich kein Pratchett-Fan bin). Gerade bei einem auktorialen Erzähler nimmt Humor für mich jegliche Spannung. Dann kann ich die Geschichte einfach nicht ernst nehmen. Natürlich gibt es Bücher, in denen Spannung und Ernsthaftigkeit auch gar nicht das Ziel sind, und dann ist dagegen nichts einzuwenden. Aber wenn mir der Erzähler in brenzligen Momenten aufdrängen will, wie gefährlich doch alles ist, und sich im Rest der Geschichte über die Handlung und Charaktere lustig macht, kaufe ich ihm die sorgenvolle Stimmung einfach nicht ab.

Es stimmt auf jeden Fall, dass Humor ein Charakterzug der Figuren ist. Deswegen ist es mir auch lieber, wenn ein auktorialer Erzähler selbst nicht humorvoll ist. Denn schließlich tritt er nicht selbst auf und ist nicht am Geschehen beteiligt. Zeigt er aber selbst Humor, würde ihm das eine Charaktereigenschaft verleihen. Das finde ich äußerst unpassend, wenn er in der Geschichte, die man gerade verfolgt, selbst absolut keine Rolle spielt.

Ich sehe das im Prinzip auch so wie du. Tut mir leid, ich habe mich leider nicht klar ausgedrückt in meinem Beitrag, wie ich gerade beim Überfliegen festgestellt habe.

Ich persönlich mag zwar Pratchett, möchte aber nicht immer und ausschließlich solche Bücher lesen. Was ich mit dem intelligenten und humorvollen Erzähler meine, kann man wieder am Hobbit-Beispiel gut erkennen. Da gelingt es dem Erzähler, uns die Hobbits auf eine Weise näher zu bringen, dass wir über ihre Marotten lächeln müssen. Der Erzähler hätte die Eigenart der Hobbits auch ganz anders darstellen können, nämlich so, dass er ihr Verhalten kritisiert und dem Leser automatisch auch diese Haltung gegenüber den Hobbits einpflanzt. Das tut der Erzähler aber nicht, den (meisten) Hobbits kommt die Lebensfreude nicht abhanden, und der Leser freut sich über ein bisschen Erheiterung in der sonst düsteren Lektüre.

Der Erzähler hat es in der Hand, die Sichtweise des Lesers auf die Dinge so zu steuern, dass er sie ernst, emotional, humorvoll etc. wahrnimmt. Klar, das wissen wir alle! Aber ich meine, dass der Erzähler vor der Möglichkeit des Humors eben nicht zurückschrecken darf, wenn er alle Facetten menschlicher Emotionen anregen will. Die Kunst ist es natürlich, den passenden Kontext und die richtige Dosis zu erwischen.

Ich hoffe, ich konnte mit dem Missverständnis aufräumen.

Siara

@absinthefreund

Kein Problem, dann hab ich's wohl einfach falsch verstanden  ;)

Die Art des erzählerischen Humor, die du meinst, mag ich auch sehr gern. Es ist mehr der unterschwellige Humor und den zu beherrschen ist auf jeden Fall ein Zeichen von Intelligenz.

Vielleicht ist das die "Show, don't tell"-Variante des Humors?  :hmmm:



I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Feuertraum

#21
Auch wenn es ziemlich paradox klingt, aber Humor ist eigentlich eine verdammt ernste Sache und eine Wissenschaft für sich.
Ich liebe humoristische Geschichten und versuche selbst, Humor zu schreiben.
Allerdings ist Humor deswegen schwierig, weil man einen Balanceakt finden muss zwischen feinem/intelligenten Humor und Humor, der eher in Richtung Rohrkrepierer geht oder peinlich ist.
Ich mag eher einen Humor, der eine verblüffende Wirkung hat, der nicht bloß mit Worten spielt, sondern auch Gegenstände beschreibt, die so doof sind, dass sie schon wieder gut sind. In einem Projekt von mir lieferte Angel Filia die Idee, das Skelett eines Menschen als Steckablage für abgewaschenes Geschirr zu nutzen. Dieses Skelett steht auf einem Fließband, dass zu einer Föhnkammer führt und dort die nassen Teller trocknet (bei der Gelegenheit noch ein dickes Danke an AF).
Auch wenn Charaktere natürlich prädestiniert sind "coole" Sprüche rüberzubringen, den Leser zum Schmunzeln, zum Grinsen, zum Lachen oder zum Giggeln zu bringen, so finde ich doch Gegenstände und Szenen, die das Alltägliche plötzlich in einem ganz anderen, "witzigen"(?), zwischen skurillen, absurden und abstrusen Licht stehen lassen, die dem Leser ein: "Das ist...wow" abringen, einfach besser, eben weil das Übliche, Bekannte plötzlich eine andere Sichtweise einbringt.
Ein Dämon in einem Schwert, der in einer Tour labert ist nett.
Ein Dämon in einem Schwert, den man hypnotisieren kann, gefällt mir jedoch wesentlich besser, einfach weil es anders ist und dennoch etwas hat, das (zumindest meine Wenigkeit) fasziniert.
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Nikki

#22
Ich habe vor Horror und Humor enormen Respekt, weil man da so viel falsch machen kann. Beide Elemente neigen dazu, wenn sie nicht beherrscht werden, schnell langweilig und schlimmstenfalls sogar lächerlich zu werden. Darum mache ich bewusst einen Bogen um humoristische Einlagen, dennoch habe ich das Feedback bekommen, dass mein Roman einige lustige Stellen hat. Ich versuche jetzt zu rekonstruieren, wieso gerade diese Stellen als witzig empfunden wurden und meine Einschätzung deckt sich ziemlich gut mit dem Kommentar von @Coppelia:

ZitatAngeblich entsteht Komik dadurch, dass etwas Unerwartetes passiert, das als unpassend empfunden wird.

Meistens wird eine Szene bzw. eine Aussage/Handlungsweise als witzig empfunden, wenn sie authentisch für die Figur, aber unpassend für die generelle Situation empfunden wird. Aktion und Reaktion passen da auf den ersten Blick nicht zusammen und überrumpeln die Leser*innen. So gesteht die eine Figur gerade der anderen ihre Liebe, ihre Gedanken drehen sich also nur darum, ob ihre Gefühle erwidert werden. Währenddessen macht die andere Figur aber eine Entdeckung, die sie förmlich von den Socken haut. Die erste Figur bezieht die entsetzte Reaktion auf sich und ist am Boden zerstört. Dieses Missverständnis, das nur für wenige Zeilen andauert, wird als witzig empfunden, weil - so glaube ich - die Reaktion der vermeintlich abgewiesenen Figur zwar nachvollziehbar ist (sie weiß zu dem Moment ja nicht, was die andere Figur eben entdeckt hat), aber absolut nicht zu der Situation passt, da die Leser*innen wissen, dass die abweisende Reaktion der anderen Figur zur Entdeckung gehört und diese eigentlich nun wichtiger ist als das gestöre Liebesgeständnis.

Ein weiterer Faktor ist Übertreibung. Ich habe eine Figur, die hat einen ganz klaren Charakter, der u.a. stur und besserwisserisch ist. Dieser Charakter führt dazu, dass sich die Figur in gewissen Szenen völlig daneben benimmt, aber noch immer innerhalb ihrer Persönlichkeit bewegt. Weil sie so übertrieben sie selbst ist, verhält sie sich in entsprechender Situation unpassend, sprich, unerwartet. (Wobei diese Figur so stark charakterisiert ist, dass die Leser*innen wohl nichts anderes von ihr erwarten würden).

Also anhand des Humors in meiner Geschichte glaube ich, dass der Faktor von Überrumpelung der Leser*innen eine gewichtige Rolle spielt und hilft, eine Situation zu entschärfen. Es darf aber nicht zu abwegig werden, um die Glaubwürdigkeit der Figuren zu untergraben. In anderen Worten: es muss authentisch sein.