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Gleichberechtigung, Emanzipation und heutige Moralvorstellungen in Fantasywelten

Begonnen von Mithras, 09. September 2017, 13:55:22

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Mithras

Salvete!

Ich beschäftige mich zwar schon seit Jahren mit diesem Thema, doch vor ein paar Wochen hatte ich ein Erlebnis, das mich noch stärker zum Nachdenken gebracht hat. Es geht darum, inwieweit sich unsere heutigen Vorstellungen von Emanzipation und Gleichberechtigung mit den eher archaisch anmutenden Settings vieler Fantasywelten vereinbaren lassen. Ich lese derzeit The Great Ordeal von R. Scott Bakker, der in Sachen Weltenbau und Atmosphäre lange Zeit zu meinen Favoriten zählte, dessen Menschenbild mir aber zunehmend suspekt ist. Nach eigener Aussage geht er davon aus, dass seine Bücher von einem überwiegend männlichen Publikum gelesen werden (und so, wie er mit Frauen umgeht, kann ich mir das auch gut vorstellen), und um diesem Publikum seine negative Sicht auf die männliche Sexualität zu vermitteln (er sieht in jedem Mann einen potentiellen Vergewaltiger), greit er zum Holzhammer und stellt seine Frauen ausschließlich als unterdrückte Wesen dar, die ihre Unterdrückung sogar als gottgegeben akzeptieren. Natürlich bewegt das auch etwas in mir - dabei handelt es sich aber eher um Aggressionen gegenüber Bakker, da er die Unterdrückung der Frau sogar auf höchster Ebene legitimiert: Selbst die Götter betrachten Frauen als minderwertig. Im oben genannten Buch macht eine weibliche Figur, die über die Gabe verfügt, die Welt mit den Augen der Götter zu sehen, folgende Beobachtung:

ZitatBetween women and men, women possess the lesser soul. Whenever the Eye opens, she glipses the fact of this, the demand that women yield to the requirements of men (...) The place of the woman ist to give. So it had always been (...)

Natürlich entspricht das nicht Bakkers Ansicht, sondern ist als Stilmittel gedacht, um selbst dem begriffsstutzigsten Mann den alltäglichen Sexismus vor Augen zu führen, aber mir ist diese Sichtweise zu einseitig-negativ. Ich lehne mich vielleicht sehr weit aus dem Fenster, aber ich habe immer mehr den Eindruck, dass Bakker Berührungsängste damit hat, ausgewogene Frauenfiguren zu entwerfen, die einerseits selbstbewusst und stark sind, andererseits aber mit den Wert- und Moralvorstellungen ihrer Zeit konform gehen, ohne gleich zu rebellieren. Das ist schwierig, aber auch realistisch, zumindest dann, wenn man Wert auf ein authetisches, im weiteren Sinne archaisches Setting legt.

Es ist immer leicht, Figuren aus früheren Epochen aufgrund ihrer für uns oft unverständlichen Moralvorstellungen als schlechtere Menschen abzutun; stattdessen versuchen wir, unsere Vorstellungen in die Köpfe von Figuren einzupflanzen, die in einer antiken, mittelalterlichen oder auf eine andere Weise archaischen Welt leben, und das ist aus meiner Sicht problematisch. Zum einen, weil ich mich ungern zum Moralapostel aufschwingen will, zum anderen, weil der Kampf um Gleichberechtigung auch in der realen Welt ein langwieriger Prozess ist, der leider noch immer nicht abgeschlossen ist. Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, sind Errungenschaften der Neuzeit, insbesondere der letzten 100 Jahre. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Gesellschaften in archaischen Welten eine ähnliche Entwicklung durchlaufen haben wie unsere eigene - gerade in Anbetracht der Tatsache, dass in solchen archaischen Welten Armut, Sklaverei/Leibeigenschaft, Todesstrafe, religiöser Fanatismus oder die "Höherwertigkeit" des Adels häufig als selbstverständlich angesehen werden. Wir akzeptieren es, dass dort Menschen stehlen oder töten müssen, um zu überleben, und stellen deren Moral trotzdem nicht in Frage. Das beste Beispiel ist für mich Ned Stark, der seine Todesurteile selbst vollstreckt, weil er es als seine moralische Pflicht erachtet. Praktisch alle stimmen darin überein, dass Ned ein ehrbarer, geradliniger und aufrechter Charakter ist, und wir verurteilen ihn nicht für das, was er tut, obwohl wir die Todesstrafe heute mehrheitlich ablehnen, zumindest hierzulande. Gleichberechtigung ist ein sensibles Thema, aber man muss sie mMn im Kontext der Moralvorstellungen sehen, die in der jeweilgen Welt vorherrschen.

George R. R. Martin wird ja häufig Sexismus vorgeworfen, weil sich seine Frauen mit ihrer Rolle arrangieren und er daher Unterdrückung und Sexismus verharmlose. Dabei wird aber häufig vergessen, dass sich Schorsch selbst lange Zeit als einen Feministen gesehen hat, bis ihm diese Sichtweise von einigen Frauen abgesprochen wurde, weil ein Mann kein Feminist sein könne [Link]. Ich sehe es eher so, dass er sich den Zwängen und Anforderungen, die ein möglichst authetisches mittelalterliches Szenario mit sich bringt, beugen muss. Und nicht zuletzt erschafft er einige durchaus selbstbewusste Frauenfiguren, die sich souverän in einer patriarchalischen Gesellschaft bewegen, etwa Melisandre Daenerys, Olenna und "Wildlingsfrauen" wie Val oder Ygritte, die wieder ein Fall für sich sind. Dorne kommt unserem heutigen Ideal von Gleichberechtigung und sexueller Selbstbestimmung sogar noch recht nahe - man denke nur an Arianne Martell -, unterscheidet sich aber stark von der restlichen mittelalterlichen Gesellschaft in Westeros, auf die Martin ja so viel Wert liegt. Es geht also auch anders, und Schorsch bemüht sich ganz offenbar um Ausgewogenheit.

Mit moralisierendem Idealismus in Romanen habe ich hingegen meine Probleme. Ein Autor darf und soll Fragen aufwerfen, aber wenn möglich auf eine subtile Weise, die mich als Leser dazu anregt, meine eigenen Denkmuster infrage zu stellen, anstatt mir gleich die eigene Meinung wie eine Glocke überstülpen zu wollen, wie Bakker es tut. Da fühle ich mich bevormundet, und das mag ich gar nicht.
Martin geht subtiler mit der Thematik um. Er macht Zugeständnisse an die Erfordernisse seiner Welt und stellt deren Missstände dar, überlässt die Wertung aber dem Leser. Ähnlich verhält es sich in Sachen Gewalt und Krieg, da er selbst in den 60ern und 70ern in der Friedesbewegung gegen den Vietnamkrieg aktiv war. Wer ihm Sexismus oder die Verherrlichung von Gewalt vorwirft, interpretiert ihn in meinen Augen völlig falsch. Ich stimme im Wesentlichen mit dieser Herangehenensweise überein, sofern ich sie richtig interpretiere.

Natürlich ist das kein Muss. Es kann gute Gründe für Gleichberechtigung in einer fiktiven Welt geben, aber je archaischer diese ist, desto schwieriger wird die Umsetzung.

Und jetzt steinigt mich bitte nicht! :versteck:

Kati

Das ist ein spannendes Thema, über das ich in den letzten Wochen auch öfter nachgedacht habe. Um es ganz kurz vorwegzunehmen: Ich bin für mich persönlich zu dem Schluss gekommen, dass ich beim Gestalten von Fantasywelten absolut null darauf angewiesen bin, wie unsere echte Welt funktioniert oder in der Vergangenheit funktioniert hat. Eine archaische oder brutale Welt muss daher nicht zwingend auch Frauen diskriminieren – und auch in unserer echten Vergangenheit war nicht jede archaische Gesellschaft zwingend sexistisch. Natürlich kann man das in Fantasywelten so machen, wenn der Plot danach verlangt, aber es ist kein Muss und es ist auch wirklich kein Ding von ,,Das ist dann aber realistischer". Was in meiner eigenen Fantasywelt realistisch ist, entscheide am Ende ich.

Zitat von: MithrasIch sehe es eher so, dass er sich den Zwängen und Anforderungen, die ein möglichst authetisches mittelalterliches Szenario mit sich bringt, beugen muss.

Daran bin ich hängen geblieben. Es ist etwas, das mir immer wieder begegnet und, dass ich einfach nicht verstehen kann. Denn Martins Bücher spielen nicht im Mittelalter. Sie spielen in einer komplett fiktiven Welt, die sich hier und da an das spätmittelalterliche England anlehnt. Aber das ist alles. Ein authentisches mittelalterliches Szenario in einem Fantasyroman ist für mich daher einfach nicht möglich. Das widerspricht sich im Kern der Sache und deshalb ist historische Authentizität für mich kein Argument, wenn es um die Darstellung von Moralvorstellungen in Fantasyromanen geht. Der Autor hat entschieden, dass es in seiner Welt Sexismus gibt. Okay. Aber ,,Das musste er machen, damit es historisch authentisch ist" halte ich für Blödsinn, denn er schreibt ja nun mal keinen historischen Roman. Er hat sich diese Welt und Gesellschaft selbst ausgedacht.

(Ganz davon ab würde Westeros nicht funktionieren, wenn wir wirklich mit historischen Maßstäben rangehen würden. Das machen wir nicht, weil es eine Fantasywelt ist und wir hinnehmen, dass dort alles so funktioniert, wie Martin das sagt. Aber warum dann ausgerechnet bei Unterdrückung und Diskriminierung plötzlich historische Authentizität gelten soll, sehe ich nicht ganz ein.)

Dazu kommt, dass die als ,,historisch authentisch" vorgestellten Gesellschaftsformen und Moralvorstellungen oft sehr schwarz-weiß daherkommen und für den Laien vielleicht erst einmal authentisch aussehen, es aber einfach nicht sind. Das gilt natürlich auch für historische Romane, in denen mir mit sexuellem Missbrauch, Unterdrückung und dergleichen viel zu holzhammermäßig umgegangen wird, um es noch authentisch nennen zu können, aber bei Fantasywelten sehe ich es auch immer wieder, ganz besonders im Umgang mit dem Mittelalter. Ehrlich, wenn ich noch einen Wikingerroman lese, in dem die Frauen zu Hause den Haushalt machen, während die Männer schreiend in die Schlacht stürzen, dann weiß ich auch nicht. So sieht das Bild der Wikinger für viele aus, so war es aber nicht und da treffen dann auch verschiedene Vorstellungen dessen, was denn historisch authentisch überhaupt bedeutet, aufeinander. (Passend dazu, weil gerade erst passiert und sehr spannend: Hier lang.) 

Eine Fantasywelt muss in sich selbst natürlich funktionieren, aber dazu muss man sie nicht eins zu eins an (pseudo)historische Weltbilder aus der Vergangenheit unserer echten Welt anpassen, archaisch oder nicht. Was meine Welt archaisch, brutal oder moralisch verwerflich macht, entscheide ja am Ende ich und ich finde nicht, dass dafür unbedingt Frauen unterdrückt werden müssen oder Männer oder irgendeine andere Gesellschaftsgruppe. Man kann das natürlich machen, besonders, wenn man damit etwas ausdrücken möchte, aber ich finde nicht, dass es dazu gehört oder, dass Fantasygeschichten, in denen bestimmte Gruppen unterdrückt werden, ,,authentischer" sind, als andere.

Ich überlege schon länger über dieses Thema mal zu bloggen, vielleicht mache ich das einfach mal!  :hmmm:

Tanrien

ZitatNach eigener Aussage geht er davon aus, dass seine Bücher von einem überwiegend männlichen Publikum gelesen werden (und so, wie er mit Frauen umgeht, kann ich mir das auch gut vorstellen), und um diesem Publikum seine negative Sicht auf die männliche Sexualität zu vermitteln (er sieht in jedem Mann einen potentiellen Vergewaltiger), greit er zum Holzhammer und stellt seine Frauen ausschließlich als unterdrückte Wesen dar, die ihre Unterdrückung sogar als gottgegeben akzeptieren.
Oder ist das nur eine Ausrede um seinen Kink als gesellschaftspolitisches literarisches Mittel zu verkaufen?  :hmmm:

Ich stimme da jedenfalls @Charlotte zu.
ZitatEine Fantasywelt muss in sich selbst natürlich funktionieren, aber dazu muss man sie nicht eins zu eins an (pseudo)historische Weltbilder aus der Vergangenheit unserer echten Welt anpassen, archaisch oder nicht.
Wobei dann die Leser eine Darstellung natürlich als unrealistisch empfinden können, selbst wenn es historisch korrekt ist. Und dass natürlich Historiker auch immer interpretieren.

Ich selbst mache es mir ja immer einfach und habe einfach keine männlichen Charaktere, aber da @Mithras ja keine Fragen stellt, würde mich interessieren, wie ihr damit umgeht: Fokus auf Ausnahmefrauen? Möglichst historisch korrekt? Möglichst realistisch für den Leser? Generell einfach nur Gleichberechtigung so gut wie es geht darstellen? Es so wie heutzutage in Deutschland schreiben?

Evanesca Feuerblut

Da rennst du bei mir offene Türen ein. Ich schreibe ja selbst beispielsweise über Römerinnen im Wandel des römischen Reiches und da waren die Dinge nun mal anders.
Da geht der künftige Ehemann meiner Protagonistin zum Brautvater hin, sieht seine künftige Frau und stellt fest, dass sie eine sehr ausgeprägte römische Nase hat (und er das hässlich findet), aber hey, es spielt keine Rolle, ob sie hässlich ist. Hauptsache, sie ist ehrbar und eine gute Rechnerin, die sich vom Hausverwalter und seiner Mutter anlernen lässt, um ihrer Rolle als römische Ehefrau gerecht zu werden.
Und meine Protagonistin hat ihrerseits keine Skrupel, ihn zu einer Küchensklavin zu schicken, damit er seine Triebe abreagiert, während sie schwanger ist. Weil das Römerinnen so gemacht haben in dieser Zeit. Und sie regt sich furchtbar über die neuen Sitten auf, dass auch Frauen bei Tisch liegen. SIE ist eine sittsame Dame und wird bei Tisch weiterhin sitzen :D
Und trotzdem habe ich wütende Rückmeldungen zweier Damen erhalten, wie ich es wagen könnte, Lucius umzubringen. Und empathisches Mitfiebern mit Livia. Man kann also authentische Figuren schaffen, die in ihrer Weltsicht verankert sind und die von den Leser*innen trotzdem gemocht werden.

ZitatNatürlich kann man das in Fantasywelten so machen, wenn der Plot danach verlangt, aber es ist kein Muss und es ist auch wirklich kein Ding von ,,Das ist dann aber realistischer". Was in meiner eigenen Fantasywelt realistisch ist, entscheide am Ende ich.
Da bin ich bei @Charlotte . Ein Plot kann es verlangen, muss es aber nicht.

ZitatEine Fantasywelt muss in sich selbst natürlich funktionieren, aber dazu muss man sie nicht eins zu eins an (pseudo)historische Weltbilder aus der Vergangenheit unserer echten Welt anpassen, archaisch oder nicht. Was meine Welt archaisch, brutal oder moralisch verwerflich macht, entscheide ja am Ende ich und ich finde nicht, dass dafür unbedingt Frauen unterdrückt werden müssen oder Männer oder irgendeine andere Gesellschaftsgruppe. Man kann das natürlich machen, besonders, wenn man damit etwas ausdrücken möchte, aber ich finde nicht, dass es dazu gehört oder, dass Fantasygeschichten, in denen bestimmte Gruppen unterdrückt werden, ,,authentischer" sind, als andere.
Genau das.
Für mich persönlich funktioniert Westeros beispielsweise durch die Kontraste. Eis und Feuer eben. (Mögliche Spoiler, Klicken auf eigene Gefahr)
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Ohne den teilweise übertrieben dargestellten Sexismus würden einige Frauenfiguren nicht so grell leuchten oder hätten nicht so viele Steine im Weg. Passt.

Aber wenn man einen anderen Plot hat, kann man ja auch andere Wege gehen.

ZitatFokus auf Ausnahmefrauen? Möglichst historisch korrekt? Möglichst realistisch für den Leser? Generell einfach nur Gleichberechtigung so gut wie es geht darstellen? Es so wie heutzutage in Deutschland schreiben?
Möglichst historisch korrekt, wenn ich in unserer Welt schreibe.
So, wie es dem Plot nützlich ist, wenn ich selbst Welten bastle.

Sunflower

Ich finde das Thema auch sehr spannend und denke da auch viel drüber nach. Zum Glück ist zumindest oberflächlich in einem Großteil der Gesellschaft angekommen, dass Frauen in Geschichten auch andere Rollen einnehmen können als nur das damsel in distress zu sein. (Ob sich das dann auf ihr Denken in der Wirklichkeit auswirkt, ist noch ein anderes Thema.) Ein bisschen "problematisch" an dieser Sache finde ich, dass es dann oft dazu tendiert, Frauen als Über-Menschen darzustellen, die tough, hart und total krass drauf sind und dadurch auch schon wieder zu Karikaturen werden. Aber vielleicht ist es auch allgemein schwierig, realistische, runde Figuren darzustellen ...

Zitat von: Mithras am 09. September 2017, 13:55:22
Dabei wird aber häufig vergessen, dass sich Schorsch selbst lange Zeit als einen Feministen gesehen hat, bis ihm diese Sichtweise von einigen Frauen abgesprochen wurde, weil ein Mann kein Feminist sein könne [Link].

Dazu möchte ich als erstes mal sagen, dass ich es falsch finde, dass Männer keine Feministen sein können. Feminismus heißt für mich Gleichberechtigung der Geschlechter und nicht "alle Macht den Frauen" und für die Gleichberechtigung der Geschlechter können Männer genauso kämpfen wie Frauen. Vor allem kenne ich genug Männer, die auch sehen, dass Frauen in einigen Dingen noch benachteiligt sind und dass das nicht gut ist. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wieso die sich dann nicht als Feministen bezeichnen dürfen ...

Ansonsten würde ich bei Charlotte unterschreiben, wobei ich es auch so sehe, dass einige Leser die Darstellung dann unrealistisch finden. Getreu dem Motto, Drachen sind okay, Dimensionsportale sind okay, aber wehe, man setzt eine Frau auf den Thron.  ::) Würde aber nicht sagen, dass man deswegen davon absehen sollte, die "historische Korrektheit" zu durchbrechen. Es sind fantastische Welten, und wenn ein Leser damit kämpfen muss, dass in einer mittelalterlich angehauchten Welt Frauen das Sagen haben, dann kann ich auf den Leser auch verzichten  ;)

Zitat von: Tanrien am 09. September 2017, 14:46:34
Ich selbst mache es mir ja immer einfach und habe einfach keine männlichen Charaktere, aber da @Mithras ja keine Fragen stellt, würde mich interessieren, wie ihr damit umgeht: Fokus auf Ausnahmefrauen? Möglichst historisch korrekt? Möglichst realistisch für den Leser? Generell einfach nur Gleichberechtigung so gut wie es geht darstellen? Es so wie heutzutage in Deutschland schreiben?

Ich finde es immer gut, wenn man mit bestehenden Vorurteilen, Klischees, Tatsachen etc. spielt und sie gegebenenfalls umgekehrt. So bringt man den Leser vielleicht zum Nachdenken.
Und ich hinterfrage mich beim Plotten immer wieder selbst - weil manche Dinge so fest im Denken verankert sind, das man sie bewusst durchbrechen muss. Finde ich. Ich schaue immer wieder, ob ich genügend weibliche Figuren habe, mit denen man sich identifizieren kann, ob ich auch mal weibliche Bösewichte einsetzen kann, die nicht gleich das Klischee rachsüchtige Hexe bedienen. In meinem letzten Roman hatte ich ein Volk, bei dem die Frauen im "Hauptdorf" gelebt haben und die Männer nur einmal im Monat vorbeischauen durften und ansonsten nicht viel zu melden hatten. Einfach mal, um alles umzudrehen, nicht weil das meiner Meinung nach die perfekte Welt wäre (definitiv nicht  :rofl:).
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Trippelschritt

Ich habe ganz persönlich gar keine Schwierigkeiten mit der Geschlechterfrage in Fantasywelten. Diese Welten müssen einfach nur in sich stimmig und plausibel sein. Und welche Gesellschaftsform ich wähle und ob ich etwas davon thematisiere, hängt doch ausschließlich und allein, was für eine Geschichte ich erzählen möchte. Historische Authentizität gibt es bei meinen Geschichten überhaupt nicht, weil ich keine historischen Romane schreibe. Da, allerdings, muss alles korrekt sein.

Wenn ich in die jüngere Vergangenheit gehe, dann habe ich noch erlebt, dass der Mann bestimmte. So musste meine Mutter meinen Vater um die Erlaubnis fragen, arbeiten gehen zu dürfen, was aber kein Streitpunkt war. Wir hatten das zusätzliche Geld bitter nötig. Aber so war damals noch die Gesetzeslage.

Gehe ich weiter zurück, wird die Angelegenheit schon viel weniger klar. Wenn wie bei den Wikingern die Männer immer wieder auf Raubzug gingen, wer sorgte dann dafür, dass zu Hause alles lief? Wikingerfrauen waren gan bestimmt keine anschmiegsamen Hawelmäuschen mit korngelbem Haar, sondern selbstbewusste Frauen. vor allem, wenn sie ihrer Familie vorstanden. Und im japanischen Mittelalter, das in vielen Punkten bis zum zweiten Weltkrieg reichte, gab es eine klare Rollenteilung. Der Samurai kämpfte und kümmerte sich um seine Ehre. Die Frau unterstützte ihn dabei und sorgte vor allem dafür, dass das benötigte Geld zusammenkam nd alle genug zu essen hatten. Wer hatte also die Produktionsmittel?, würde Marx da fragen.

Kurzum, der Autor hat alle Freiheiten. Ich habe mir in meiner Pentamuria-Trilogie die Freiheit erlaubt, mir mit den Oas eine Gruppe auszudenken, die nur aus Frauen bestand und die auch nur Mädchen aufzogen. Die Männer, vorwiegend Druiden, aber auch wilde Hexer oder Angehörige anderer Splittergruppen zogen vorbei, blieben ein paar Tage und zogen weiter. Magier waren unerwünscht. Die Jungen wurden ab einem bestimmten Alter einfach ausgesetzt, aber im Normalfall von Druiden eingesammelt und aufgenommen. Aber denkbar, dass da auch die eine oder andere Grausamkeit denkbar war. Und ich plane vor dem Hintergrund dieses Settings noch einen Einzelroman zu schreiben zu den Anfängen dieser Gruppe.

Sonst stehen die frauen fast immer hinter den Männern in meinen Welten, nehmen das aber nicht unbedingt hin und gehen dann ihren eigenen Weg, der dann nicht gerade einfach ist und sie das eine mit anderen Dingen erkaufen müssen wie ich es bei allen meinen Figuren liebe. Es gibt nichts im Leben umsonst. Emanzipation ist einfach kein Thema für mich, weil das ein ganz modernes Konzept ist, das in meinen Welten nichts zu suchen hat. Starke Frauen gern, aber keine Übermenschen. Ich liebe gebrochene und wieder zusammengesetzte Helden. Frauen wie Männer.

Aber das sind einfach meine ganz persönlichen Autorenvorlieben und in keiner Form wegweisend für irgendeinen anderen Autor oder Autorin.

Trippelschritt
(Klischeevernichter)
;D

Sascha

Ich bin auch der Ansicht, daß wir in unseren Welten selbst bestimmen können, wie fortschrittlich oder zurückgeblieben die Gesellschaften auch in dieser Hinsicht sind. Ich habe eine Welt oder vielmehr ein Land darin, das diese "Frauen sind minderwertig und haben zu kuschen"-Haltung konterkariert, da sind die Männer unter der Knute. Ich habe ein anderes Land dieser Welt, wo Frauen einerseits auch Ratsmitglieder sein können, andererseits aber sexuell dienstbar sein müssen (und Menschenleben generell wenig gelten...), und dann gibt es da auch ein Land, in dem einfach Gleichberechtigung herrscht. Und alles hat seinen Grund ...

Zu Deinem Zitat, @Mithras, von R. Scott Bakker fallen mir diverse Zitate von Kirchenmännern ein. Nachzulesen z.B. hier:
http://www.kreudenstein-online.de/Helauluja/inspirationen_zum_thema_frau.htm
Nach diesen komischen 14 Punkten zu Frau-finden. Und es gibt, wie man z.B. früher an kreuz.net sehen konnte, heute noch Intelligenzbestien, die genauso ticken.

Mithras

Zitat von: Tanrien am 09. September 2017, 14:46:34Ich selbst mache es mir ja immer einfach und habe einfach keine männlichen Charaktere, aber da @Mithras ja keine Fragen stellt, würde mich interessieren, wie ihr damit umgeht
Die Diskussion lief ja auch trotzdem ganz gut an! ;D

Ich bemühe mich um Ausgewogenheit, die Gesellschaften meiner Welt sind aber auch überwiegend patriarchalisch aufgebaut, wobei es natürlich unterschiedliche Ausprägungen gibt. Ich versuche, starke Frauencharaktere zu erschaffen, die in dieser Welt ihren Weg gehen, so gut es ihnen möglich ist. In einer Region meiner Welt herrscht ein Matriarchat und entsprechend ein anderes Selbstverständnis der Frauen, und ich finde es sehr interessant, dieses Selbstverständnis mit dem von Frauen "kollidieren" zu lassen, die in einer Männerwelt ihren Weg gehen. dabei steht Gleichberechtigung aber nicht im Fokus der Geschichte, weil es im Kern um andere Konflikte geht, aber zum Gesamtbild einer vielschhichtigen Welt und Geschichte gehört es natürlich auch, dass diese Fragen zumindest angeschnitten werden.

Zitat von: Charlotte am 09. September 2017, 14:31:12
Zitat von: MithrasIch sehe es eher so, dass er sich den Zwängen und Anforderungen, die ein möglichst authetisches mittelalterliches Szenario mit sich bringt, beugen muss.

Daran bin ich hängen geblieben. Es ist etwas, das mir immer wieder begegnet und, dass ich einfach nicht verstehen kann. Denn Martins Bücher spielen nicht im Mittelalter. Sie spielen in einer komplett fiktiven Welt, die sich hier und da an das spätmittelalterliche England anlehnt. Aber das ist alles.
Möglichst authetisch, wie gesagt! ;)

Das Problem ist, dass sich praktisch keine hostorische Kultur unserer Geschichte an unseren heutigen Idealen von Gleichberechtigung messen lassen konnte. Meistens waren die Geschlechterrollen auf die eine oder andere Weise klar verteilt, und Ungerechtigkeit war eher die Regel als die Ausnahme. Nicht nur in Bezug auf Geschlechterrollen. Martin hat entschieden, es so zu machen, und das ist aus meiner Sicht legitim. Nur, weil man sich als Autor an ungerechten Systemen bedient, um den Hintergrund auszugestalten, bedeutet das ja nicht, dass man sie gutheißt. Im Gegenteil: Ungerechtigkeiten lassen sich gut nutzen, um Dynamik zu erzeugen. Wenn man, wie Martin, die Geschichte "global" ansiedelt, ermöglicht das einem ja auch, eine Vielzahl von Gesellschaftssystemen vorzustellen, die die Frage nach Gleichbrerechtigung und Emanzipation auf ihre eigene Weise beantworten, und als Leser kann man daraus jeweils seine Lehren ziehen. Da haben wir Dorne, das am ehesten noch unserem Idealbild von Gleichberechtigung entspricht, die Sommerinseln mit ihrer offenen Sexualität, die von rivalisierenden Prinzen und Prinzessinen beherrscht werden, oder das matriarchalische Leng, das von einer Dynastie von Gottkaiserinnen beherrscht wird, von denen jede zwei Männer heiratet, die den beiden Ethnien auf Leng entstammen.

Von diesen Kontrasten lebt eine Fantasywelt, denn sie verleihen ihr Authetizität, Tiefe und Farbe. Zu sehr idealisierrten Welten geht dieser Reiz häufig verloren. Martins Welt soll düster und zynisch sein, ohne dass er es damit so überteibt wie Bakker, und verträt daher nur ein gewisses Maß an Gerechtigkeit - ob es nun Gleichberechtiigung oder eine andere Form sein soll, sei dahingestellt.

Zitat von: Sunflower am 09. September 2017, 15:04:24Getreu dem Motto, Drachen sind okay, Dimensionsportale sind okay, aber wehe, man setzt eine Frau auf den Thron.  ::) Würde aber nicht sagen, dass man deswegen davon absehen sollte, die "historische Korrektheit" zu durchbrechen.
Der Punkt ist aber auch der, dass Menschen so sind, wie sie sind. Egoistisch und rücksichtslos. Ich teile Bakkers radikale Sichtweise nicht, sondern sehe mich als Idealisten an, aber Zynismus udn Idealismus sind zwei Seiten derselben Medaille. In einer archaischen Gesellschaft herrscht häufig das Gesetz des Stärkeren (durchaus auch im physischen Sinne gemeint) und leistet einer Entwicklung zum Patriarchat Vorschub. Wenn man davon ausgeht, dass die Menschen in Fantasywelten genauso ticken wie in der Realität und in einem Umfeld aufwachsen, das keine Reflexion der eigenen Rolle erlaubt, halte ich es für unausweichlich, dass sich ungerechte Gesellschaften entwickeln - worin auch immer der Kern ihrer Ungerechtigkeit besteht, sei es religiöse Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Unterdrückung der Armen oder eben ein Pattriarchat. Nur, wer sich selbst reflektieren kann, kann aus diesen Systemen ausbrechen, und angesichts der übrigen Ungerechtigkeiten, die auch alle hingenonommen werden, scheinen die meisten Bewohner noch nicht zu dieser Reflexionsstufe gelangt zu sein. Sie denken einfach anders als wir heute.

Ich sage nicht, dass es nicht geht. Es kann sogar sehr gut funktionieren - ich befürchte nur selbst immer wieder, zu sehr in Richtung Utopie abzugleiten, und begegne dem dann mit Zynismus. Eine archaische Welt braucht Ungerechtigkeit, um archaisch zu wirken, aber man kann als Autor natürlich frei entscheiden, wie man damit umgeht - solange es plausibel ist.

Zitat von: Tanrien am 09. September 2017, 14:46:34
ZitatNach eigener Aussage geht er davon aus, dass seine Bücher von einem überwiegend männlichen Publikum gelesen werden (und so, wie er mit Frauen umgeht, kann ich mir das auch gut vorstellen), und um diesem Publikum seine negative Sicht auf die männliche Sexualität zu vermitteln (er sieht in jedem Mann einen potentiellen Vergewaltiger), greit er zum Holzhammer und stellt seine Frauen ausschließlich als unterdrückte Wesen dar, die ihre Unterdrückung sogar als gottgegeben akzeptieren.
Oder ist das nur eine Ausrede um seinen Kink als gesellschaftspolitisches literarisches Mittel zu verkaufen?  :hmmm:
So eingenommen, wie der Gute von seinem Werk zu sein scheint, würde mich das kein bisschen wundern... :hmmm:

Zitat von: Sascha am 09. September 2017, 17:35:14Zu Deinem Zitat, @Mithras, von R. Scott Bakker fallen mir diverse Zitate von Kirchenmännern ein. Nachzulesen z.B. hier:
http://www.kreudenstein-online.de/Helauluja/inspirationen_zum_thema_frau.htm
Nach diesen komischen 14 Punkten zu Frau-finden. Und es gibt, wie man z.B. früher an kreuz.net sehen konnte, heute noch Intelligenzbestien, die genauso ticken.
Ach ja, die Kirche, stets ein Hort der Moral... ::)

Coppelia

Interessantes Thema, über das ich gerade auch nachdenke, wo ich gerade "The Witcher" spiele. Und ich habe das Gefühl, dass hiervon schon oft die Rede war.
Ich finde, dass ihr alle sehr gut argumentiert, ist eine Freude zu lesen. :)

Früher habe ich dazu geneigt, Frauen in meinen Romanen in traditionellen Rollen darzustellen; unreflektiert, nehme ich an. Im Lauf der Zeit habe ich meine Einstellung dazu sehr stark geändert, nicht zuletzt dank eigener Erfahrungen.

Ich gehöre zu denen, die auch das Argument "ist aber realistisch so" als persönliche Begründung nicht akzeptieren können, weil Fantasy nun einmal fiktiv ist. Daher unterstreiche ich die Äußerung von Sunflower. Es ist in meinen Augen durchaus möglich, eine realistische fiktive und archaische Gesellschaft darzustellen, die sich in Hinsicht auf das Männer- und Frauenbild von unserer (europäisch geprägten) Historie unterscheidet.

Ich kann aber akzeptieren, wenn andere das Argument "ist realistisch so" für sich verwenden und eine stimmige Hintergrundwelt bauen.
Was man meiner Ansicht nach im Hinterkopf behalten sollte: Wie man sich auch entscheidet, man braucht für sich selbst eine sinnvolle Begründung, denn man schreibt ja Texte, mit denen man sih möglichst lebenslang identifizieren möchte. Und man muss grundsätzlich damit leben, dass andere Personen eine andere Ansicht haben und sich Streit entwickeln kann. Ganz egal, welche Variante man wählt.

Mit der Darstellung von Frauen vor allem in traditionellen Rollen, d. h. eher nicht in Machtpositionen irgendeiner Art, verschenkt man meiner Ansicht nach viel Handlungspotential. Denn so können Männer und Frauen viel häufiger in wichtigen Situationen aufeinander treffen, was Potential für viel Handlung, Beziehung, Zoff usw. bietet.

Um die Darstellung einer perfekten Gesellschaft geht es mir nie. ;D Klar wäre das langweilig. Meine Kessler z. B. haben eine gnadenlose Leistungsgesellschaft, sind furchtbar ausländerfeindlich, und die Armen werden ausgebeutet, während die Reichen ihr Schicksal kaum selbst bestimmen dürfen. Frauen und Männer sind aber gleichgestellt, und es steht ihnen frei, grundsätzlich das Gleiche zu tun. Ist ja irgendwie auch viel praktischer, als wenn nur die Söhne Karriere machen dürfen. Das antike Rom war natürlich eine patriarchische Gesellschaft, und diese Denkweise durchzog jeden Aspekt des Lebens. Ich habe eine ganze Menge Gehirnschmalz investiert, um einen eigenen Hintergrund zu entwerfen und das antike Feeling trotzdem so zu bewahren, dass ich zufrieden damit bin.
Und da ich das nun bin, lasse ich es so, aber mir ist natürlich klar, dass andere für sich selbst entscheiden müssen, ob es sie überzeugt. ;)

Mithras

Zitat von: Coppelia am 09. September 2017, 19:28:33Interessantes Thema, über das ich gerade auch nachdenke, wo ich gerade "The Witcher" spiele. Und ich habe das Gefühl, dass hiervon schon oft die Rede war.
Sapkowski hatte ich auch im Hinterkopf, alsich dieses Thema erstellt habe - weniger in Bezug auf Frauenrollen als in Bezug auf moderne Moralvorstellungen in mittelalterlich angehauchten Welten. Vor allem während der Lektüre des ersten Buches ist mir aufgefallen, wie "modern" viele Figuren in seiner Welt doch denken, nicht nur in Sachen Moral, sondern auch in Sachen Wissenschaft. Das war für mich ein ziemlicher Kontrast zum technischen Entwicklungsstand seiner Welt und hat mich noch nicht wirklich überzeugt.

Aber es kann funktionieren. Wichtig ist mir nur, dass man nicht wie selbstverständlich die heutigen moralischen Maßstäbe an sämtliche Gesellschaften anlegt und nicht idealisiert. Da liegt mir die zynische Herangehensweise eines George R. R. Martin und eines Joe Abercrombie deutlich mehr, solange man es nicht übertreibt wie Bakker. Ich mag düstere Szenarien, und dazu gehören in meinen Augen Zynismus und Ungerechtigkeit.

Churke

Romane - und dazu gehört auch die Fantasy - sind immer ein Spiegel der Gesellschaft, die sie erschafft, und mehr noch ein Spiegel der Gesellschaft, die sie liest.
Das fängt bei den Plotmustern an, geht mit den Figuren weiter und hört mit Stil und Sprache nicht auf. Man projiziert die Moralvorstellungen der eigenen Zeit in das Buch hinein. Vielleicht muss man das als Autor auch tun, weil man sein Zeug schließlich verkaufen will.
Und so ist unsere ideale Fantasywelt bunt, offen, multikulturell, tolerant und wird von einer einer geschlechterparitätisch besetzten Armee gegen böse Tyrannen verteidigt, die typischerweise intolerant, rassistisch und sexistisch drauf sind.  :engel:

Im Prinzip bekommt man also etwas wie LARP. Ich halte es aber - und das ist mein ganz private Meinung - für ein Zeichen von Kreativität und literarischem Anspruch, wenn ein Autor die überkommenen Vorstellungen auch mal in Frage stellen kann. Dass Figuren eben nicht so sind wie heute, dass sie anders reden, anders handeln und anders denken.
Aber Vorsicht, wenn man es übertreibt, könnten einem das die Leser übel nehmen.  ;)


FeeamPC

Meine spezielle Verlags-Serie  hat ein ziemlich buntes Frauenbild. Vom Matriarchat bis hin zu Frauen im Harem ist alles dabei. Und die Leser finden es gut.
Und mal ehrlich, ist das nicht auch auf unserer realene Ebene immer schon so gewesen? In Asien gibt es heute noch Matriarchate. Die sagenumwobenen Amazonen stammen vermutlich aus einer Gesellschaft, in der (durch Grabfunde belegt) Frauen ebenso als Kriegerinnen in die Schlacht ritten wie Männer. Patriarchat ist weithin bekannt, aber selbst darin gab es immer bestimmte Frauentypen, die außerhalb der normalen Ranggruppen standen. Eine Hildegard von Bingen durfte selbst dem Papst den Kopf zurechtsetzen.

Amanita

Ein sehr spannendes Thema, jedenfalls solange es nicht in unschöne real-life-Diskussionen abgleitet, aber das ist hier ja bisher erfreulicherweise nicht der Fall.
Ich finde es grundsätzlich sehr interessant, bei Fantasy ein bisschen zu experimentieren, was Gesellschaftsformen, Kulturen und Geschlechterrollen angeht. Da gibt es so viele reale Ausprägungen, Mythen, Ideen und Theorien, dass einem wirklich vieles offensteht, erstrecht, wenn dann auch noch die Fantasyelemente dazukommen. Neben Patriarchat wie es im realen Leben ist/war/klischeehaft gedacht wird und "modernem Gendermainstreaming" gibt es ja noch sehr viel mehr. Am liebsten lese und schreibe ich Fantasy, wo es verschiedene Kulturen oder Gruppen mit verschiedenen Herangehensweisen gibt, die aber nicht schwarzweiß sind. So verhindert man auch gleich den Vorwurf seine persönlichen Utopien, Dystopien oder Fetische zu schreiben.

Grundsätzlich wichtig finde ich (nicht nur beim Thema Geschlechterrollen), dass man sich beim Weltenbau Gedanken darüber macht, welche Ursachen welche Wirkungen haben und inwiefern das in der Fantasywelt zutrifft. Dann kann man entscheiden, welche Gesellschaftsformen bei den vorhandenen Fantasyelementen sinnvoll wären, oder welche Fantasyelemente man braucht, um die gewünschten Gesellschaftsformen besser zu erklären.
Die Debatte um den "Realismus" sexistischer Fantasygesellschaften und das ewige Beharren darauf finde ich auch relativ kurios, denn mir fällt auf Anhieb kaum eine Fantasywelt ein, wo reale prägende Elemente des europäischen Mittelalters (katholische Kirche, Papsttum etc.) schlüssig ersetzt sind und auch das scheint niemanden zu stören. Wenig nachvollziehbar finde ich auch die Behauptung, dass Gesellschaften "zu perfekt" seien, wenn Frauen dort nicht benachteiligt werden.

Es stört mich auch, wenn immer mal wieder jemand die Meinung vertritt, es sei so mutig, dem feministischen Mainstream mit (pseudo)mittelalterlich-patriarchalischen Gesellschaften entgegenzutreten, wo alle dieses System akzeptieren, gleichzeitig mag ich aber auch die ganzen Geschichten nicht, wo Frauen immer gerne etwas tun würden, was sie im Rahmen ihrer Gesellschaft nicht dürfen und sich dann gegen die bösen Männer behaupten müssen (oder ihren Platz gezeigt kriegen), oder auch die einzelnen Figuren mit "modernen" Ansichten, wo niemand versteht, wie die zustande kommen. Wer patriarchalische Gesellschaften mit wichtigen weiblichen Figuren schreiben möchte, soll das doch bitte so tun, dass ihre Frauen in diesem Rahmen die Handlung beeinflussen (wie eine Hildegard von Bingen.)

Ich bin außerdemd er Meinung, dass Fantasywelt mit anderer Kultur, anderen Wertvorstellungen nicht automatisch heißen muss, dass diese den Wunschträumen von Feminismusgegnern entsprechen muss, obwohl es doch so viele andere Möglichkeiten gibt.
Interessant finde ich da auch, dass es längst nicht so akzeptiert ist, rassistische Figuren zu haben, die wegen des zeitlichen Rahmens trotzdem Sympathieträger sein sollen, wie sexistische.
Eigentlich sollte es da bei beidem keine Schreibverbote geben, aber offensichtlich ist beim Rassismus die Angst, dass etwas auf die Realität abfärben könnte größer, oder es gilt als schlimmer.

Um nochmal auf das Beispiel Song of Fire and Ice zurückzukommen. Da muss ich zugeben, dass ich persönlich sehr wohl ein moralisches Problem mit dieser Todesstrafeszene am Anfang habe. Das bedeutet aber nicht, dass ich deswegen den Autor ablehne oder finde, dass er sowas nicht schreiben dürfte, aber es mindert meine Sympathie für die Figur durchaus etwas. Ich glaube aber, eine große Stärke dieses Werks ist die Tatsache, dass es so viele Figuren und Handlungsstränge gibt, dass für jeden irgendwas dabei ist. Durch den ganzen sonstigen Sexismus dieser Welt wird ja auch die Daenery-Handlung weitgehend akzeptiert, da könnte ich mir gut vorstellen, dass die, wenn sie alleine stehen würde, auch als nervige feministische Gutmenschengeschichte geschmäht werden würde, im großen Ganzen des Settings aber nicht oder kaum.
Deswegen bin ich wie schon gesagt zumindest bei großen Fantasygeschichten für Vielfalt ohne Wertung von außen durch den Autor.

Aphelion

Authentische Darstellungen von der Moral des Mittelalters o.ä. halte ich modernen Romanen für unmöglich. Dabei muss es nicht einmal um sozialpolitische Themen gehen. Der damalige Zeitgeist war von unserem heutigen so verschieden, dass grundlegende Sichtweisen für uns nur noch abstrakt nachvollziehbar sind und wir in der Regel nicht mitfühlen können. Zudem waren und sind nicht alle Kulturen gleich, wie Charlottes Wikinger-Beispiel sehr anschaulich zeigt.

Schreibende können ihr Setting fast immer selbst gestalten. Es sollte lediglich stimmig sein. Plotköchen sollten allerdings bewusst sein, was für ein Geschmack am Ende herauskommen soll.

Die Frage ist in meinen Augen deshalb nicht so sehr, welches (potenzielle Streit-)Thema Schreibende aufgreifen, sondern wie sie diese umsetzen. Du kannst auch Basilikum für Süßspeisen verwenden, einzelne Zutaten sagen noch nichts über das fertige Produkt aus und können in ungewöhnlichen Kombinationen sogar positiv überraschen. :)

Ein persönliches Beispiel:

In einem aktuellen Projekt habe ich eine dieser Jungfrauen in Nöten, die am Anfang "gerettet wird". Aber ihre Entwicklung besteht eben gerade darin, zu erkennen, dass sie dadurch niemandem verpflichtet ist und dass sie ihrem "Retter" sogar überlegen ist. Das führt zunächst zum anderen Extrem, bis sie schließlich die Mitte findet. Weder die Rolle Jungfrau in Nöten noch die Rolle Überfrau (in Anlehnung an Sunflower) ist die richtige. Die Katastrophe kann erst abgewendet werden, wenn sie beide Zwischenstufen überwunden hat.

Dieser "Blick der Götter" ist so eine Sache. Wird er innerhalb der Geschichte als absolute Wahrheit dargestellt oder erkennen die Figuren schließlich, dass es sich um eine Verzerrung handelt? Oder gibt es Männer, die als potenzielle Vergewaltiger dargestellt werden und sich anschließend als einfühlsame Kerle entpuppen? Sind Unterdrückende abgesehen von ihrer Rolle 100% zum Anhimmeln konstruiert oder ganz schöne Mistviecher? Das macht einen großen Unterschied.

"Schöne neue Welt" würde nicht auf dieselbe Weise funktionieren, wenn die Protagonisten diese Welt am Ende ganz toll fänden. In "Herr der Ringe" werden Saurons Auswüchse thematisiert, aber eben nicht einfach hingenommen.

Bloße Übertreibungen funktionieren nicht zuverlässig. Sie sind tatsächlichen Extremen zu ähnliche und können leicht damit verwechselt werden (wie Poes Gesetzt so treffend auf den Punkt bringt). Insbesondere Menschen, die entsprechende Ansichten tatsächlich vertreten, werden eine solche Übertreibung in der Regel nicht als solche erkennen - dazu ist sie noch zu sehr im Rahmen ihres Weltbilds.

Natürlich gibt es auch andere schreibtechnische Mittel als den Plot, um etwas als nicht gut darzustellen. Das halte ich allerdings für schwieriger. Was ich als ekliges Kriegsgemetzel empfinde, findet jemand anderes besonders toll und anregend. Ich traue es meinen eigenen Schreibkünsten nicht zu, manche Themen als "schlimm genug" rüberzubringen, wenn ich sie explizit darstelle und dann für sich wirken lasse.

Eine der Erkenntnisse des Protagonisten in Lukianenkos "Wächter"-Reihe besteht darin, dass selbst die scheinbar Guten manchmal !"§$%& sind, weil sie ebenfalls furchtbare Dinge tun. Letzteres finde ich für diesen Thread eigentlich ein ganz passendes Beispiel, weil der Tenor ist: Ihnen fällt (in dieser Welt) keine bessere Lösung ein, aber es ist trotzdem grausam und sie sehen das ein. Diese Erkenntnis ist im Grunde genommen das einzige, was die Besseren von den Böseren unterscheidet.

Die "Wächter"-Reihe zeigt in meinen Augen deshalb auch, dass Missstände nicht unbedingt (vollständig) aufgelöst werden müssen. Aber sie müssen als Missstände erkennbar sein. In diesem Fall geschieht das durch den Protagonisten, der erschüttert und wütend ist, als er bestimmte Dinge erfährt.

Ein negatives Beispiel wäre die klassische Todesreihenfolge in Horrorfilmen. Ich bekomme die Reihenfolge grad nicht ganz auf die Reihe... Sinngemäß: Erst sterben die Promiskuitiven, dann die Gottlosen, dann die Alkohol-/Drogen-Konsumenten usw. (Außerdem überleben in amerikanischen Horrorfilmen POC fast nie bis zum Schluss.) Durch diese Reihenfolge wird ebenfalls ein moralisches Urteil gefällt, noch dazu auf der Meta-Ebene: nicht nur innerhalb der Geschichte, sondern durch die Geschichte. Dieses Meta-Urteil ist der entscheidende Punkt.

canis lupus niger

#14
Dieser Diskussion bin ich sehr interessiert gefolgt. Ein wirklich spannendes Thema!

Im Großen und Ganzen kann ich eigentlich allen Beiträgen einigermaßen zustimmen. Teils bin ich aber auch anderer Meinung.

Auch wenn ein diskriminierendes gesellschaftliches Modell (sei es sexuelle, religiöse oder sonstige Diskriminierung) in einer Fantasywelt allein ein Werk des Autors ist, und auch wenn er Diskriminierung damit rechtfertigt, dass er sie nur demonstrativ anprangern will, so darf man nicht vergessen, dass nicht jeder Leser dem zu folgen imstande ist. Das liest sich jetzt vermutlich überheblich, aber wir dürfen nicht vergessen, dass nicht jeder Fantasyfan sich mit philosophischen und sozialwissenschaftlichen Themen bewusst auseinandersetzt. Gut, man könnte argumentieren, dass intellektuell eher anspruchslose Personen ohnehin nicht lesen, sondern RTL-Reality-Soaps gucken und Ballerspiele an PC oder Konsole zocken, aber wie zum Beispiel beim "Witcher" besteht zwischen Fantasy-Roman und Game oft nur eine hausdünne Trennung. Und es gibt leider genug Leute, die ihr moralisches Wertesystem nicht nur aus der realen Welt, sondern auch aus ihren bevorzugten Ballerspielen zusammenbasteln. Deshalb halte ich es für erforderlich, (zumindest in meinen) Romanen solche Themen wie Diskriminierung -wenn sie denn angeschnitten werden - als Problem zu thematisieren. Auch wenn Diskriminierung zu meiner Fantasywelt dazu gehört, auch wenn die große Mehrheit darin, sowie Gesetz, Religion und Tradition Diskriminierung für richtig halten, so finde ich, ist es meine Pflicht als Autor, darzustellen, dass Diskriminierung trotzdem nicht in Ordnung ist. Vielleicht ist dies der kleine Beitrag, den wir (Künstler?) dazu leisten können, die Welt zu einem etwas weniger dunklen Ort zu machen.

Pathetisch? Verlage wollen so etwas nicht? Kann sein. Ich habe noch keinen Großverlag gefunden, der auch nur das geringste Interesse an einem meiner Manuskripte gehabt hätte. Ist mir aber inzwischen egal. Ich schreibe, weil es mir Freude macht. Geld verdiene ich eh nicht daran und werde es vermutlich auch nie.

Man muss ja nicht mit erhobenem Zeigefinger herum-moralisieren. Aber man kann erlebbar machen, dass es einen Konflikt gibt, und dass es sich bei den Diskriminierungsopfern um ebenso fühlende Wesen handelt wie bei den Tätern, dass sie ebenso ein Recht auf Glück haben (oder sich dies zumindes wünschen), dass sie ebenso unter dieser Diskriminierung leiden, wie es die priviligierten Täter im umgekehrten Fall tun würden. Das ist meine Meinung, weil ich in meiner Familie intensives Mobbing (in der Schule) miterlebt habe und so etwas unerträglich finde. Niemals könnte ich seelenzerstörende Diskriminierung persönlich befürworten, und sei es in einem Fantasyroman. Sehr wohl kann ich Charaktere schaffen, die genau diese Meinung voller Überzeugung vertreten. Aber sie tun es als Charektere
meiner Geschichte, ich selber tue es nicht, und so kann/muss ich es darstellen.

Man muss sich nicht sklavisch ans reale (europäischen) Mittelalter klammern. Eine Fantasywelt, auch wenn sie ans europäische Mittelalter angelehnt ist, ist eine Fantasie und braucht nur dem Willen ihres Schöpfers zu folgen, unter der Prämisse , dass die Welt im Rahmen ihrer eigenen Regeln funktionieren können muss. Kann es funktionieren, dass ein(e) Angehörige(r) einer algemein als minderwertig enen Gruppe sich (erfolgreich) gegen alle anderen auflehnt? Vielleicht nicht. Aber kann es funktionieren, dass sich niemals ein Angehöriger dieser Gruppe erfolgreich auflehnt, dass es nicht mal irgendjemand irgendwann wenigstens versucht, und sei es aus einer akuten Notlage heraus? Natürlich kann man eine Welt schaffen, in der Frauen als minderwertige Wesen angesehen werden, in der sie sogar von sich selber so gesehen werden. Und natürlich kann man die Götter dieser Welt der Meinung sein lassen, dass sie die Frauen schon minderwertig geschaffen haben. Aber als Autor muss man meiner Meinung nach klarstellen, dass diese Wertung in unserer Welt und heutzutage nicht (mehr) akzeptabel ist.

Emanzipation ist kein digitaler Zustand: entweder da oder nicht da. Sie ist ein Prozess, der in den verschiedenen Teilen der Welt, in den verschiedenen Kulturen verschieden weit eingeführt ist. Man muss nur der Presse folgen, um auf Hochzeitsbräuche in Afrika zu stoßen, bei denen die (in der Regel minderjährige) Braut von der Feier entführt und vom Bräutigam und allen seinen Freunden in einer Massenvergewaltigung entjungfert wird. Zwangsverheiratungen kleiner Mädchen in eine Mehrehe, in denen sie unbezahlte Dienstmädchen der Hauptfrau und jederzeit willfährige (wehe nicht!) Bettgefährtinnen ihrer viel älteren Ehemänner sind, ähneln mehr der Sklaverei des Mittelalters, denn einem Ehemodell des 21. Jahrhunderts. Und durch das räumliche Zusammenwachsen unserer Welt, kommen wir mit solchen sozialen Konzepten auch in Europa (wieder) in Berührung. Regierungschefs moderner westlicher Staaten, die für sich öffentlich in Anspruch nehmen, jeder Frau jederzeit zwischen die Beine fassen zu dürfen (und die trotzdem gewählt werden!!!), Gäste unseres Landes, die sich Feiertage damit verschönen, dass sie gemeinschaftlich Frauen sogar in der Öffentlichkeit einkesseln, begrapschen, ausrauben und im Extremfall vergewaltigen ("Selbst schuld, warum laufen sie so angezogen und ohne Begleitung in der Öffentlichkeit herum!"), Zwangsverheiratung und Verbringung ins Ausland von minderjährigen Schülerinnen (in meinem eigenen Bekanntenkreis selber erlebt!), ... Das sind aus meiner Sicht Symptome, die eine Unterstützung der sexuellen Emanzipation heutzutage wieder zwingend erforderlich machen, und sei es durch Thematisierung in einem Fantasyroman.

Bestimmt gibt es eine Vielzahl von Lesern (oder Gamern oder Kinobesuchern), die gerne eine Welt konsumieren, in der ein richtiger Kerl alles kriegen kann, was er will. Und bestimmt möchte mancher Verlag diese Leserschaft gerne bedienen, genauso wie die Liebhaber von billiger Pornografie oder Heimatromanen bedient werden. Was gekauft wird, wird auch produziert. Aber jeder Autor muss für sich selber entscheiden, ob und wie er dieses Klientel bedienen will. Man kann es auch tun, indem man schreibt: Ja, in dieser Welt hat eine Frau weniger Rechte als ein Stück Nutzvieh, aber das ist nicht okay, sondern schrecklich und muss (zumindest nach Meinung der Frauen) geändert werden. Ob es ihnen gelingt, ist eine andere Sache. Aber sie haben das Recht, es zu wollen. Man kann dem Konsumenten solcher Diskriminierung-verherrlichenden Literatur am Ende sagen: Hat es Dir gefallen? Okay, dann bist Du ein Ar***!