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Fünf Eckpunkte in einem Text

Begonnen von Judith, 03. August 2007, 21:53:13

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Linda

Zitat von: felis am 05. August 2007, 14:37:33
Was Du bei Deiner HdR Analyse komplett übersehen hat, ist, dass Tolkien nämlich die 3 Bände als einen Roman geschrieben hat und erst der Verlag auf die Dreiteilung bestanden hat, da man 1.400 S dann doch etwas viel für 1 Buch fand.

soweit ich weiß, lag es damals an der Papierknappheit (nach dem Krieg), dass man den Roman sehr zu Tolkiens Unwillen auf drei Bände aufgeteilt hat und erst mal den ersten Band rausgebracht hat.

Zitat von: caity
@ Felis:
Irgendwo muss ja auch die dreiteilung vom Verlag hergekommen sein. Er hat ja nicht alle Seiten zusammengezählt, durch drei geteilt und dann nach entsprechenden Szenen geschaut.

Er hat natürlich, ebenso, wie das heutige Verlage tun, die Übersetzungen teilen oder dritteln, eine Stelle mit einem jeweils besonders fiesen Cliffhanger genommen. Das Ende von Band 2 ist für mich immer noch der beste Cliffhanger aller Zeiten. Vor allem dann, wenn man den dritten Band nicht gleich anschließend lesen kann!

Gruß,

Linda

Judith

Mh... die Einteilung war doch ganz einfach, oder? Es sind 6 Bücher, also wurden je 2 Bücher in einen Band zusammengesteckt.  ;)

@Caity
ZitatKönntest du mir mal ein Beispiel nennen? Mir ist bislang so ein Buch nicht unter die Finger gekommen und das würde mich schon einmal interessieren
Ein Beispiel hat Dorte schon genannt, nämlich "Das Lied von Troja" von Colleen McCullough. Dann fällt mir da noch "Der Wahrträumer" (Gezeitenwelt 1) von Berhard Hennen ein und vor allem "Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin (bei dem es wirklich unmöglich ist, einen einzigen Hauptcharakter ausfindig zu machen). Und wenn ich mich recht erinnere, wäre auch die "Spiel der Götter"-Reihe von Steven Erikson hier ein Beispiel.

Coppelia

James Krüss' Romane, von denen der bekannteste "Mein Urgroßvater und ich" ist, haben zwar nur einen Hauptcharakter, fallen aber zumeist auch nicht unter das Schema.
Sie sind auch recht handlungsarm, trotzdem gute Bücher.

felis

Zitat von: Linda am 05. August 2007, 18:17:44
Er hat natürlich, ebenso, wie das heutige Verlage tun, die Übersetzungen teilen oder dritteln, eine Stelle mit einem jeweils besonders fiesen Cliffhanger genommen. Das Ende von Band 2 ist für mich immer noch der beste Cliffhanger aller Zeiten. Vor allem dann, wenn man den dritten Band nicht gleich anschließend lesen kann!
@Linda, dem schließe ich mich vollinhaltlich an!  ;D

Übrigends fallen fast alle längeren Serien NICHT in das 5-Punkte Schema. Zu den bereits genannten fallen mit spontan noch Memory Sorrow + Thorn und die Otherland-Saga von Tad Williams an.
Während MST (auf Deutsch "der Drachenbeintrothron, der Engelsturm...) wenigstens noch einen klar erkennbaren Hauptprota hat, hat Otherland deren vier.
Wesentlich mehr Wendepunkte haben beide.

Lomax

Zitat von: caity am 05. August 2007, 15:26:42Ich hab niemals behauptet, dass alle Autoren, deren Bücher auf das Schema angewendet werden können, das auch bewusst gemacht haben.
Das ist auch nicht der springende Punkt. Entscheidend ist: Ist das Schema tatsächlich im Buch zu finden, oder wird es von außen erst "hineininterpretiert". Und zweitens: Ist das Schema für die Geschichte von entscheidender struktureller Bedeutung?
  Natürlich kann man wild formale Einteilungen vornehmen. Einen Wert für die Praxis haben sie aber nur dann, wenn sie auch etwas über den Text aussagen.

Beim Herrn der Ringe stellt sich dann die Frage: Wie hätte das Schema auch unbewusst in das erste "Buch" kommen sollen, wenn zu dem Zeitpunkt, wo dieses "Buch" geschrieben wurde, noch gar nicht absehbar war, dass der Verlag den Teil des Gesamtwerkes als "ein Buch" drucken würde?
  Und, die Verlagsentscheidung über die Teilung des Buches war letztlich ja ein reiner Zufallsfaktor, der bei gleicher Geschichte auch ganz anders hätte ausfallen können. Was, wenn der Verlag den HdR nicht in 3, sondern in zwei Teile geteilt hätte?
  Hätte man dieses Schema dann auch im ersten Band eines "halbierten HdR" gefunden? Wenn ja, dann wäre das ein Beleg dafür, dass man das Schema in jedem zufällig geteilten Text finden kann, und dass es somit für die Geschichte ohne Bedeutung ist.
  Kann man es hingegen in einem "halbierten HdR" nicht finden, dann würde das bedeuten, dass das Schema gar nichts mit der Geschichte zu tun hat und auch nicht "unbewusst" hineinkommt - sondern mehr oder minder zufällig, weil ja nicht das Schreiben der Geschichte, sondern nur die zufällige Aufteilung über das Vorhandensein des Schemas entscheidet. Und auch das würde die Aussagekraft des Schemas für eine Geschichte in Frage stellen.

Ich würde die oben vorgenommene Aufschlüsselung des HdR Band 1 also eher für ein Beispiel halten, das die Probleme einer solchen schematischen Analyse illustriert.

Lavendel

Hallo caity!
Es geht nicht nur ums Draufzulaufen und wieder abfallen der Handlung (auf den Höhepunkt nehme ich mal an). Ein Buch muss auch nicht 'handlungsarm' sein, wenn es nicht in so ein Schema passt.
Es gibt Romane, die haben mehrere Protagonisten, es gibt Geschichten, in denen die gleiche Handlung aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Bücher, die alternative Enden haben. Und alles mögliche mehr.

ZitatIch hab niemals behauptet, dass alle Autoren, deren Bücher auf das Schema angewendet werden können, das auch bewusst gemacht haben. Im Gegenteil. Bei mir war es auch so, dass mir im Nachhinein aufgefallen ist, das ich dieses Muster bereits in meinem Roman drin habe, und ich es dann weiter hervorgearbeitet hatte. Es war nicht so, dass ich mir zuerst das Muster genommen habe und dann den Roman überlegt habe.

Genau das ist es, was ich meine. Text a besteht und du versuchst Muster x darin zu finden. Du findest es auch in Text b, c, d oder e. Wenn du nach einem Muster suchst, wirst du es höchst wahrscheinlich finden. Hätten wir jetzt noch eine zweite, etwas andere Schablone (Muster y), könntest du bestimmt auch die auf eine Menge Geschichten anwenden. Vermutlich auch auf a, b, c und d. Das meine ich mit künstlich.

Wenn allen Geschichten dieser Welt das gleiche Schema zugrunde liegen müsste, warum sollte dann irgendein Mensch noch lesen? Man wüsste doch schon was passiert. Das Gehirn ist nämlich ziemlich gut darin, bestimmte Muster wiederzuerkennen. Das merkt man ganz extrem bei Filmen aus einem Genre. Grade bei denen, die sozusagen von der Stange kommen. Geht mal in 10 oder auch 5 Hollywoodfilme mit dem gleichen Genrestempel. Ich bin mir sicher, danach könnt ihr alle anderen Filme des Genres recht exakt vorhersagen.

Für eine bestimmte Art von Geschichten ist so ein Leitfaden sicherlich ganz gut. Aber ich  würde kein solches Schema (und es gibt sicherlich mehrere davon) bedingungslos anwenden wollen.

Hr. Kürbis

Ich kann dieses Schema sehr gut nachvollziehen und in der Tat lässt es sich auch auf meinen (nicht fertigen) Erstling anwenden, obwohl ich es nicht geplant habe. Wer viel liest, der wird diese Punkt schon rein intuitiv mehr oder weniger offensichtlich umsetzten, man muss das nicht planen oder in ein Schema pressen, ich würde sagen, es passiert einfach.
Für den einen ist eben eine Hilfe um die Übersicht zu wahren, für den anderen ist es eine Beschneidung der eigenen Kreativität.
Ich kann nachvollziehen, was Caity meint und sage  :jau: für dieses Thema (und die daraus resultierende Diskussion).

Jetzt zur Ketzerei:

HdR folgt für mich (wenn der Fokus auf Frodo liegt) doch genau diesem Schema, denn es gibt genau diese entscheidenden Wendepunkt, die die komplette Handlung bestimmen.

Anfang:                   Ist klar...
1. Wendepunkt:      In Bruchtal entscheidet Frodo sich dafür, den Ring nach Mordor zu bringen...
2. Wendepunkt:      Frodo entscheidet sich, die Gefährten zu verlassen und den Ring alleine nach Mordor zu bringen...
Ende:                       Frodo schmeißt ::) den Ring in den Schicksalsberg...

Das heißt aber nicht, dass es ansonsten KEINE Wende-/Höhepunkte gibt, klar gibt es die, aber sind die von essentieller Wichtigkeit? Ich glaube nicht... Außerdem folgen alle anderen Charaktere ihre eigenem Schema, Gandalf hat andere Wendepunkt als Aragorn, Merry andere als Pippin, Sam andere als Gollum... Aber auch hier gibt es Überschneidungen und die essentiellen Wendepunkte lassen sich bestimmt auf das komplette Werk, aber auch die einzelnen Bücher problemlos anwenden...

Mein Senf dazu...  ;D

Cailin

Ich hätte da mal eine - vielleicht etwas ketzerische - Anmerkung:

So einleuchtend (wenn auch meiner Meinung nach nicht zwingend erforderlich und immer stimmig - und vielleicht auch sehr hilfreich wenn man ein Gerüst möchte, an dem man sich entlang hangeln kann) ich diese Unterteilung in fünf Punkte finde, ist ein funktioniernder Spannungsbogen nicht viel wichtiger in einer Geschichte (unabhängig von ihrer Länge)? Ganz egal, ob eine Story jetzt genau diese fünf Punkte hat oder ein Dutzend davon, wenn mir zwischendurch der Spannungsbogen weg bricht, hilft mir dieses ganze System nicht mehr. - Ist zumindest meine Meinung.   :hmmm:

Lomax

Zitat von: Hr. Kürbis am 06. August 2007, 08:25:06Anfang:                   Ist klar...
1. Wendepunkt:      In Bruchtal entscheidet Frodo sich dafür, den Ring nach Mordor zu bringen...
2. Wendepunkt:      Frodo entscheidet sich, die Gefährten zu verlassen und den Ring alleine nach Mordor zu bringen...
Ende:                       Frodo schmeißt ::) den Ring in den Schicksalsberg...
Hier hast du jetzt Anfang, Ende und zwei Plotpoints dazwischen. Laut Caitys Schema müssten es aber drei essentielle Plotpoints dazwischen sein. Und wenn du den dritten jetzt nachreichst, werde ich dir eine sehr unangenehme Frage stellen ;)

Tut mir leid, aber damit verstärkt dein Beispiel bisher nur meinen Eindruck, dass die absoluten Verfechter dieser Struktur hier in dem Thread dazu neigen, sich die Dinge so lange zurechtzubieben, bis die Wirklichkeit zur Theorie passt.

Und damit will ich nichts über den Herrn der Ringe aussagen: Es mag durchaus sein, dass man tatsächlich die Handlung aus Frodos Sicht in auslösendes Ereignis - 1. Plotpoint - Midpoint - 2. Plotpoint - Schluss einteilen kann. Um das abschließend beurteilen zu können, müsste ich mir noch erheblich mehr Gedanken machen, bei denen ich der Ansicht bin, dass sie eigentlich von der Verfechtern des "5-Punkte-Forever"-Schemas kommen müssten.
Bisher fällt mir nur auf, dass ich aus dieser Richtung hier im Thread noch kein Beispiel ohne fundamentalen formalen Mangel gesehen habe. Und daraus folgt jetzt meine ketzerische Anmerkung: Wenn diejenigen, die hier diese Struktur als allgemeine Regel empfehlen wollen, selbst nicht in der Lage sind, sie dramenttheoretisch sattelfest anzuwenden - sind sie selbst dann tatsächlich wegen dessen formaler Aussagekraft von dem Schema so begeistert ... oder nicht nur, weil es ihnen persönlich eine Hilfe bietet, ihre Gedanken zu ordnen. Wofür man kein formal ausgereiftes Schema braucht, sondern auch vage Vorstellungen schon ausreichen würden - die man dann aber nur mit Vorsicht an dritte verkaufen sollte.

Und, wie gesagt - ich stelle hier nicht die Struktur an sich in Frage. Die habe ich im Studium kennengelernt, und auch bei meiner Beschäftigung mit Drehbuchschreiben. Man kann sie tatsächlich in vielen Geschichten finden, und sie ist auch ein sehr wirksames Strukturierungsinstrument.
  Ich habe nur den Eindruck, dass, was hier im Thread verfochten werden soll, ist nicht die korrekte Theorie, sondern eine verallgemeinerte und absolutierte Faustregel aus dem Fundus für Eigenbedarf. Was dann genau der Kardinalmangel wäre, den ich für Schreibwerkstätten im Internet oft konstatiert habe.

Hr. Kürbis

Hah! Da hab ich doch glatt einen Punbkt unterschlagen... Hm, aber nachreichen? Nö, dann arbeite ich mit den vier Punkten! ;)

Wioe dem auch sein, eine UNBEDINGTE Schreibregel aus so einem Thema zu machen halte ich generell für unmöglich, denn es gibt so unendlich viele Regelen wie es Schreiberlinge gibt, oder?

Tja, mir jedenfalls kann soetwas helfen (ich verzettel mich gerne) und daher finde ich so ein Fünf-(oder Vier ;D)Punkte-Schema nützlich, aber nicht verbindlich...

Dorte

Naja, im HdR gibt es aber nicht nur die Handlung um Frodo, wo packst du denn die Ereignisse in Isengard, Helms Klamm oder Minas Tirith rein? So ganz handlungsirrelevant sind die ja irgendwie doch nicht ;)

Ich bleibe dabei: ganz sicher kann jeder in jedem Text diese Punkte finden. Aber ob zwei Leute im selben Text die selben Punkte finden, das bezweifele ich. Und zudem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zugunsten des Schemas andere wichtige Handlungspunkte ignoriert werden, weil es sonst halt zuviele werden. Mit anderen Worten bringt mir dieses Muster nichts. ;)

Lomax

Zitat von: Hr. Kürbis am 06. August 2007, 12:38:34Hah! Da hab ich doch glatt einen Punbkt unterschlagen... Hm, aber nachreichen? Nö, dann arbeite ich mit den vier Punkten! ;)
Menno. Ich hatte mich schon so darauf gefreut, meine Frage stellen zu können ;)
Zitat von: Hr. Kürbis am 06. August 2007, 12:38:34Tja, mir jedenfalls kann soetwas helfen (ich verzettel mich gerne) und daher finde ich so ein Fünf-(oder Vier ;D)Punkte-Schema nützlich, aber nicht verbindlich...
... und dafür dürfte das Schema auch unumstritten besser geeignet sein als für den Versuch, es überall in bestehenden Werken zwanghaft "am Werke" sehen zu wollen :buch: Und, psst: Dafür benutze ich es selbst auch sehr gerne ;D

Lavendel

Psst! Herr Kürbis, Regeln sind da, um gebrochen zu werden^^'.

Hr. Kürbis

@Lavendel
Psst, jeder macht und befolgt seine eigenen Regeln!  ;)

@Dorte
Da hast du mich dann falsch verstanden, aber was hat Isengart mit Frodo zu tun? Indirekt schon, aber es ist nicht sein Handlungsstrang, sondern wohl eher ein Wendepunkt von Gandalf und/oder Merry und Pippin... Frodo war nur ein Beispiel als Hauptperson!

Wobei man den Herrn der Ringe sowieso nicht als Beispiel für ein handwerklich gelungenes Buch heranziehen kann, nach heutigen Gesichtspunkten würde es wohl nie nie nie verlegt werden, oder? ;D Ist eben ein Standardwerk...

felis

Zitat von: Hr. Kürbis am 06. August 2007, 14:00:44
@Wobei man den Herrn der Ringe sowieso nicht als Beispiel für ein handwerklich gelungenes Buch heranziehen kann, nach heutigen Gesichtspunkten würde es wohl nie nie nie verlegt werden, oder? ;D Ist eben ein Standardwerk...
Bei dem heutigen Phantasyhype eher doch,  ;D
Wenn ich mir angucke, was man teilweise für mies geschriebene Fantasy zu kaufen kriegt....