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Haben die Unterhaltungsmedien nachgelassen?

Begonnen von Siara, 27. November 2020, 11:53:57

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Alana

#15
Mir geht es da wie @Sunflower, ich bin eher begeistert davon, wie viele wirklich tolle und auch mutige Sachen es im Bereich Serien und Filme gibt und eben auch deutlich komplexere Handlungen in Serien. Ich hab mal gelesen, dass das daran liegt, dass diese "eine Folge pro Woche" nicht mehr beachtet werden muss und man deswegen zum einen nicht mehr im Kopf haben muss, dass Zuschauer seit der letzten Folge einiges vergessen haben, sondern auch, dass die Leute keine Folge mehr verpassen und die Serie auch funktionieren muss, wenn man nur ab und zu mal reinschaltet, so wie es früher war. Das ermöglicht ganz andere Erzählstrukturen und staffelübergreifende Handlungsbögen, die es früher nicht gab.

Also nein, ich kann da absolut nicht zustimmen. Im Gegenteil, dadurch, dass Netflix gerne kreative, neue Ansätze verfolgt, werden gerade hier in Deutschland Produktionen wie Dark möglich, wo es früher nur die immer gleichen Fernsehfilme gab. (Ich habe dazu mal ein Interview mit den Machern von Dark gelesen, wie sich gerade die deutsche TV-Landschaft durch Netflix extrem positiv verändert hat, zumindest aus Sicht der kreativen Köpfe der Filmbranche, das war sehr interessant.)

Bei Büchern mag das anders sein, aber bei Filme und Serien, da verstehe ich diese Kritik wirklich überhaupt nicht. Vielleicht habt ihr nur nicht die richtigen Sachen gefunden?

Edit: Was evtl. nachgelassen hat, ist das "echte" Fernsehen. Das schaue ich überhaupt nicht mehr. Ich gucke manchmal auf Joyn oder TV Now meine Kochsendungen und was mir dabei an Mist begegnet - wenn sich da beschwert wird, wundere ich mich nicht. Wirkt manchmal fast so, als hätten die Fernsehsender es aufgegeben, guten Content machen zu wollen, und sich ganz auf das konzentriert, was Netflix (noch) nicht in ausgedehntem Maße macht. (Schlecht produzierte und mies gescriptete Reality-Shows zum Beispiel.)
Alhambrana

Angela

Alana, mir geht es so wie dir. Wir sehen praktisch nur noch Streaminginhalte. Da gibt es solche beeindruckende, nicht leicht zu ertragende Sachen wie 'The Handmaiden's Tale', aber auch nur einfach lustige/dämlich gut gemachte Sachen für jeden Geschmack. Dazu findet sich eine kulturelle Vielfalt, wie wir sie noch nie hatten. Russische, polnische, spanische, israelische, koreanische, türkische, indische, was auch immer Produktionen.
TV nutzen wir nur noch für Nachrichten, wenn etwas passiert ist und wir Politiker hören wollen.
Früher haben wir weit mehr politische Sendungen angesehen, das fehlt nun tatsächlich, bzw das lesen wir nun im Netz bei verschiedenen Anbietern.
Ich bin der Meinung, das klassische Fernsehen muss sich neu erfinden, oder es wird ganz verschwinden.
Zusätzlich sind nun die Spielekonsolen hinzugekommen, die mittlerweile durchaus spannende und tiefgründige Storys erzählen, in denen die zukünftigen Probleme schon vorüberlegt und durchgespielt werden. (Ich meine nicht die Zombies, aber wer weiß, was dieses Jahr noch drauf hat.)

Mondfräulein

Ich stimme euch da in allen Punkten zu, besonders auch bei Diversität. Ich erinnere mich noch an die ersten Diskussionen, die ich hier im Tintenzirkel dazu erlebt habe und dass die Situation insgesamt einfach ganz anders war als jetzt und wie jetzt darüber geredet wird. Früher gab es kaum nicht-weiße oder queere Figuren, jetzt fällt es mir schon sehr auf, wenn es in einer Serie keine gibt. Das Damengambit hätte man vor Jahren als Serie so nicht gemacht. Man merkt im Vergleich auch häufig, was als Serie besser funktioniert. Über das britische Königshaus gab es einige Filme, aber The Crown finde ich um Welten besser. His Dark Materials funktioniert als Serie auch viel besser als der Film damals.

Beim deutschen Buchmarkt muss ich aber auch zustimmen. Ich würde gerne mehr auf Deutsch kaufen und lesen, auch weil ich es unterstützen möchte, wenn Verlage Bücher mit Diversität und tollen, neuen Geschichten herausbringen, aber vieles was auf Deutsch erscheint spricht mich kaum an. Der englischsprachige Buchmarkt ist da eine ganz andere Geschichte. Da gibt es so viele so tolle Bücher. Aber leider werden viele davon, auch wenn sie sich sehr gut verkaufen, nicht ins Deutsche übersetzt. Der englische Buchmarkt begeistert mich regelmäßig, da ist meine Wunschliste sehr lang, aber zu Weihnachten würde ich mir gerne speziell Bücher auf Deutsch wünschen und da suche ich noch.

Das deutsche Fernsehen ist in vielen Punkten einfach... deutsches Fernsehen eben. Da gibt es viel Müll, aber auch ein paar Perlen. Kitchen Impossible finde ich zum Beispiel wahnsinnig originell und spannend, dafür gibt es dann auch Temptation Island. Scripted Reality TV ist jetzt total modern, aber früher hat man an gleicher Stelle über echte Menschen  berichtet und sie vor der Kamera bloßgestellt. Was man jetzt auch noch tut, aber im Gegensatz zu Mitten im Leben früher sind mir diese Formate dann doch lieber. Ich bin echt nicht sicher, ob das früher so viel besser war und welche Formate es nicht mehr gibt, die jetzt fehlen. Die öffentlich rechtlichen Sender machen meiner Meinung aber auch ab und zu noch wirklich gute Fernsehfilme und Serien. Da ist auch viel Müll dabei, aber ab und zu auch ein Fernsehfilm, den ich richtig gut finde.

Während der Pandemie schaue ich mehr Fernsehen, weil das für mich auch Zeit ist, die ich mit meiner Familie verbringe und nicht ganz alleine. Aber insgesamt streame ich mehr als früher - aber auch viel aus den Mediatheken der öffentlich rechtlichen Sender. Früher war das Angebot einfach nicht da und ich habe dann entweder weniger Filme und Serien geschaut oder mich mit dem zufrieden gegeben, was halt da war. Durch das bessere Angebot bin ich auch dem Fernsehen gegenüber kritischer geworden. Für The Masked Singer sitze ich gerne mit meiner Mutter vorm Fernseher, wenn mich Pretty in Plüsch nach einer halben Stunde zu Tode langweilt, dann gehe ich lieber in mein Zimmer und schaue die nächste Folge der richtig spannenden Netflix-Serie, die ich gerade gefunden habe. Früher habe ich die Wahl nicht gehabt und hätte die Sendung wohl zu Ende geschaut. 

Alana

Kitchen Impossible, The Taste und Rosins Restaurants und Die Höhle der Löwen - dafür hohle ich mir gelegentlich einen Monat TV Now oder eben Joyn. Auch wenn ich jedesmal was anzünden möchte, wenn wieder jemand "das kann sogar die Hausfrau zu Hause" sagt.  :wums: ;D
Alhambrana

Sunflower

Bin froh, dass ich nicht die einzige bin, der es so geht :vibes:

Von deutschem Fernsehen habe ich tatsächlich überhaupt keine Ahnung mehr. Habe gar keinen Receiver mehr. Wenn, dann schaue ich noch öffentlich-rechtliche Mediathek, aber sonst bin ich da komplett raus. Das Geld fürs Kabelfernsehen geben wir lieber für die Streamingdienste aus  :D

Noch so ein Punkt ist ja: Heute gibt es endlich Teenie-Serien, die mir als Teenager total gut getan hätten. Weil da eben nicht alle Mädchen idealtypisch aussehen, weil es eben nicht mehr nur darum geht, wer am beliebtesten ist und die besten Typen abkriegt. Ich habe mich früher extrem viel an Geschichten orientiert und da gab es einfach nicht so viele richtig gute Sachen, die als vernünftiges Vorbild oder irgendwas gedient hätten. Heute gibt es Serien wie Sex Education, Atypical, Never have I ever, (bis zu einem gewissen Grad auch 13 Reasons Why, weil das eben psychisch divers ist) und ich könnte noch ewig so weitermachen, ich liebe das. Genau das hätte ich mir als Teenie auch gewünscht, aber wenigstens jetzt kann ich das sehen  :vibes:
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Zit

#20
Ihr habt schon viele Sachen genannt, dass ich auch gar nicht mehr hinzufügen kann. Ich denke auch, dass sich die Medienlandschaft eher gebessert hat und dass diese... fehlende ,,Überbegeisterung" vor allem daran liegt, dass Menschen altern, also mehr Erfahrung sammeln, mehr konsumiert haben, wir allesamt Autoren sind und sich auch die Themen, die uns interessieren, sich im Laufe unseres Lebens ändern. Zum Beispiel interessieren mich Filme mit Kindern und Jugendlichen als Protagonisten eher weniger, weil ich selber einfach erwachsen bin. Beispielsweise Cobra Kai. Ich kenne die Filme nicht, aber die Serie nimmt mich trotzdem mit, weil ich mich in den Problemen, die die erwachsenen Kontrahenten haben, wiederfinde. In Filmen/ Serien für Teens und jünger kommt das ja nicht immer so raus, da hat man gern das Gefühl, dass die Erwachsenen fest im Leben stehen und auch Probleme wie Geldsorgen nicht ganz so krasse Probleme sind. Was aber auch nicht verwunderlich ist, weil es ja um die Probleme der Teens geht und weniger um die Erwachsenen. (Und dann gibt es trotzdem Filme wie I Kill Giants, die schwere Themen so verpacken, dass sie sowohl für Teenager als auch Erwachsene zugänglich sind.) Außerdem möchte ich auch einfach die technischen Möglichkeiten nicht missen, wodurch wir technisch hochwertige Serien machen können, siehe Altered Carbon, The Expanse, The Mandalorian, etc. Gerade fantastische Geschichten profitieren davon sehr, weil die Einstiegshürde ,,Ugh, das sieht voll künstlich aus" immer kleiner wird. (Wenn man aber natürlich Menschen hat, die Fantastisches generell nicht annehmen können/ wollen, dann hilft das natürlich auch nicht.) Wobei sich auch die Art der Kameraführung geändert hat, und man gerade durch Drohnen Blickwinkel einfügen kann, die früher nicht möglich gewesen wären. Und dann gibt es natürlich noch Serien wie Fargo, die vom Film-Cast sehr profitieren. Wenn man dann noch die ganze Diversitätssache hinzu nimmt — ich vermisse keine alten Bücher oder Filme oder Serien. (Natürlich gucke ich alte Sachen, die nach heutiger Sicht problematisch sind (Star Trek, Bond...), aber das ist mehr aus Nostalgie heraus, weniger weil ich sie besser finde.)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Siara

Danke für eure Meinungen dazu, es war auf  jeden Fall einiges dabei, das mich zum Nachdenken bringt. Ich kann nicht auf alles eingehen und halte mich deswegen primär an allgemeine Punkte.

Ganz grundsätzlich: Die Medien haben sich natürlich verändert, und das haben sie immer schon getan. Nicht alle diese Veränderungen sind in meinen Augen schlecht. Erweiterte technische Möglichkeiten (z.B. für Fantasy), langfristigere Handlungsverläufe und Diversität sind Dinge, die ich als positiv empfinde. (Was die Diversität angeht mit einer kleinen Einschränkung, auf die auch @L. F. Montemunion schon hingewiesen hat, aber das ist noch mal ein ganz anderes und vermutlich sehr empfindliches Thema). Auch Trends, was Thematiken, Settings oder Kameraführung angeht möchte ich nicht per se als gut oder schlecht einordnen. Es sind neue Werkzeuge und neue Materialien, aber was daraus wird, liegt an der Umsetzung des Künstlers.

Ich glaube mittlerweile, neben persönlichen Gründen wie dem Alter liegt mein Hauptproblem tatsächlich in Folgemdem begründet: Die Dichte an, in Ermangelung eines besseren Begriffs, "Dopamin-Szenen" hat stark zugenommen. Damit meine ich Szenen, die sich anbahnen, die dem Zuschauer indirekt versprochen werden, sei es ein Gespräch, in dem ein Konflikt eskaliert, die Aufdeckung eines lange erwarteten Geheimnisses oder auch Sexszenen. Früher hat man in Serien teils eine ganze Staffel auf die eine angedeutete Szene gewartet und den Rest der Geschichte auf dem Weg dahin verschlungen. Heute liegen zwischen der Andeutung auf die Szene und der Szene manchmal nicht mal ein paar Minuten/Seiten, und zwischen den einzelnen "Dopamin-Szenen" sogar noch weniger. Die Geschichten sind voll davon, deswegen machen sie süchtig. Aber das bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass sie auch gut sind.

Ich habe Atypical gesehen und auch Sex Education, und fand beide großartig - während ich sie gesehen habe. Danach nicht mehr. Danach waren sie mir ziemlich egal. Bei beiden wurde in meinen Augen gezielt auf die Emotionsknöpfe der Zuschauer gedrückt, was durchaus davon zeugt, dass die Macher wissen, was sie tun. Sie haben beide liebenswerte Charaktere und schöne Aussagen. Aber irgendetwas stört mich, und vielleicht ist es wirklich dieses Hetzen zwischen spannungs- oder emotionsintensiven Szenen ohne Verschnaufpausen zwischendrin. Da viele das anders sehen, ist es aber vielleicht auch nur eine persönliche Präferenz. Und wenn mir dieser Trend nicht gefällt, habe ich eben einfach Pech gehabt. :engel:

Zitat von: Araluen am 27. November 2020, 14:37:00
Langsamer heißt nicht zwangsläufig, dass es tiefer geht.
Damit hast du natürlich vollkommen recht. Aber langsamer heißt, dass man sich auf das, was passiert, besser konzentrieren kann. Ich könnte mir vorstellen, dass die höhere Dichte an Handlung und Spannung in neueren Geschichten auch darauf zurückzuführen ist, dass die Menschen wegen der ständigen Beschallung und den z.B. auf dem Smartphone ständig aufblinkenden Icons etc. mit Langsamkeit nicht mehr umgehen können. (Das habe ich bei mir selbst auch beobachtet und es deckt sich mit @Leanns Beitrag). Ein Beispiel hat ein Bekannter vor einiger Zeit geliefert. Er sagte,es gäbe in Breaking Bad (hab ich übrigens nicht gesehen) einige Szenen beim Abendessen, in denen teils minutenlang kaum etwas gesagt wird. Es wird nur Stimmung vermittelt. Das kann unglaublich intensiv wirken, aber die viele Zuschauer hätten inzwischen vermutlich spätestens nach zwanzig Sekunden nebenbei das Handy in der Hand, um mehr Input zu bekommen. Ich vermisse solche Szenen in neueren Werken. Sie waren weniger eindeutig, es brauchte mehr Eigenleistung, um Subtext und Bedeutung zu erkennen. Und gerade durch diesen eigenen Beitrag, den man gelegentlich leisten musste, sind sie meiner Vermutung nach tiefer im Gedächtnis geblieben. Neue Serien und Bücher machen es den Leuten leichter.

Zitat von: Sunflower am 28. November 2020, 14:14:27
Oder "Dark"? Eine komplett wirre Zeitreisegeschichte mit viel zu vielen Ebenen und dazu noch in einer deutschen Kleinstadt? International erfolgreich war es trotzdem (und ich mochte die Serie auch sehr).
Gehört nicht mehr ganz hierher, aber Dark hat mir zum Beispiel gar nicht gefallen, und ich verstehe den Hype darum nicht. Es hat eine schöne düstere Aufmachung, rein ästhetisch hat es eine hohe Qualität. Aber ansonsten war es für mich sehr viel Show um nicht viel dahinter. Den Teil der Handlung, dem ich gut folgen konnte, fand ich vorhersehbar, und den Rest so verwirrend, dass es nur anstrengend war und keinen Spaß gemacht hat. Und das alles dann für einen finalen Twist, der eher so mäh war. [/offtopic]
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Sunflower

Zitat von: Siara am 28. November 2020, 20:37:38
Und das alles dann für einen finalen Twist, der eher so mäh war. [/offtopic]

Ich mochte den Twist am Ende ja auch nicht ;) - aber darum geht es mir gar nicht. Dark ist eine Serie von einer Komplexität und Nischigkeit, die man früher einfach nicht gemacht hätte. Niemand hätte so viel Geld in eine deutsche (!) Serienproduktion mit so einem Thema gesteckt. Das wäre einfach nicht passiert. Das ist der Punkt, den ich meine - es gibt heute viel mehr und internationalere Serien als früher, nicht nur das 08/15 Gedöns aus den USA (und wenn man Glück hat, noch UK). Und nischigere und komplexere. Ich verstehe, wenn es dir nicht gefallen hat und das ist ja auch völlig "okay" - ich meine nur, es ist nicht alles flacher und standardisierter geworden. Das finde ich zumindest. Sondern eher viel tiefer, komplexer, mutiger, nischiger, diverser, weniger USA-lastig.

That said, ich kann in gewisser Weise nachvollziehen, was du vorher schreibst.

Zitat von: Siara am 28. November 2020, 20:37:38
Ich habe Atypical gesehen und auch Sex Education, und fand beide großartig - während ich sie gesehen habe. Danach nicht mehr. Danach waren sie mir ziemlich egal. Bei beiden wurde in meinen Augen gezielt auf die Emotionsknöpfe der Zuschauer gedrückt, was durchaus davon zeugt, dass die Macher wissen, was sie tun. Sie haben beide liebenswerte Charaktere und schöne Aussagen. Aber irgendetwas stört mich, und vielleicht ist es wirklich dieses Hetzen zwischen spannungs- oder emotionsintensiven Szenen ohne Verschnaufpausen zwischendrin. Da viele das anders sehen, ist es aber vielleicht auch nur eine persönliche Präferenz. Und wenn mir dieser Trend nicht gefällt, habe ich eben einfach Pech gehabt. :engel:

Mir geht es auch so, dass einige wenige Figuren aus meiner Kindheit / Jugend noch viel stärker nachwirken als heutige Figuren. Das sind bei mir vor allem Buchfiguren, Meggie aus Tintenherz, Sonea von Trudi Canavan zum Beispiel. Mit denen verbinde ich viel mehr Gefühle als mit den allermeisten anderen Held*innen, die ich heute lese. (Es gibt definitiv Ausnahmen, Elena aus Meine geniale Freundin - das Buch habe ich 2019 zum ersten Mal gelesen, aber sie ist so wahnsinnig komplex und lebendig und ich denke sehr oft an sie.) Ich für mich beziehe das nur eher darauf, dass ich als Kind und Jugendliche Bücher und Medien ganz anders rezipiert habe. Das liegt für mich nicht an den Geschichten selbst, sondern an mir. Ich habe mich verändert. Ich nehme Geschichten anders war. Ich kenne schon viel mehr Geschichten, natürlich sind die frühen Erlebnisse ganz anders als die, die ich heute habe. Wie gesagt, es gibt Ausnahmen. Es gibt immer noch Geschichten, die mich überraschen, umhauen können. Aber es passiert nicht mehr so oft und das finde ich natürlich auch schade.

Ich will übrigens damit nicht sagen, dass es bei dir auch so ist! Das ist nur, wie ich das für mich empfinde. Für dich kann es einfach so sein, dass die modernere Erzählweise nicht so funktioniert und das ist sehr schade, weil das "alte" wohl nicht mehr zurückkommt, höchstens etwas, das wieder neu und anderes ist. Geschichten sind einfach sehr persönlich und was für den einen funktioniert, klappt für den anderen überhaupt nicht.

Was du aber noch schreibst, dass du heutige Geschichten gehetzter und ohne Verschnaufpause empfindest, das geht mir tatsächlich gar nicht so. Ich habe das Gefühl, viele Sachen lassen sich teilweise sogar mehr Zeit, irgendwelche Sachen auszuerzählen. Und auch konkreter und mit mehr Geduld darauf hinzuarbeiten, eben weil man nicht mehr an die eine Folge pro Woche gebunden ist, sondern die Zuschauer*innen die ganze Serie so schnell hintereinander schauen können, wie sie wollen. Ich rewatche gerade die Netflix-Serie Baby, das ist eine italienische Teenie-Serie (aber sehr düster), die ich dank Netflix a) überhaupt in Deutschland schauen kann und b) sogar auf Italienisch. Und ich bin gerade ziemlich überrascht, wie langsam das erzählt wird. Das erste Mal habe ich sie ziemlich durchgesuchtet, aber nach drei Folgen ist praktisch immer noch nicht wirklich viel passiert. Die Figuren werden ganz langsam entwickelt und aufgebaut, die Szene wird so langsam sichtbar und nach drei Folgen wird zum ersten Mal angedeutet, wo das ganze hingeht (Hintergrund ist ein realer Prostitutionsskandal von Minderjährigen). Nach drei Folgen sind aber schon knapp drei Stunden rum. So viel Zeit hätte man sich in einer TV-Serie früher nie genommen, glaube ich. Oder in einem Film schon gar nicht.

Aaaber was wiederum zu deinem Empfinden passt, ist (wohl) diese Folge von dem neuen Funk-Format So Many Tabs. Da geht es auch darum, wie Netflix Geschichten entwickelt - meinte mein Freund, ich hab es noch nicht gesehen  :D

Letztendlich ist es wohl so wie mit allem, bei einigen funktioniert die Netflix-Weise halt ganz gut (bei mir, aber das heißt jetzt auch nicht, dass ich automatisch alles liebe, was die machen ;)) und bei anderen nicht. Aber ein allgemeines Abseichten, Abflachen, und Mainstreamen der Kulturindustrie sehe ich zumindest bei Serien nicht.

Und was Zit schrieb, gilt für mich auch: Ich will wirklich überhaupt gar nicht die Medien von früher zurück. So überhaupt nicht. Ich ertrage das nur noch extrem schlecht, wenn z.B. Frauen nicht mehr als die hübsche Dekoration für die Männer sein dürfen, da schalte ich mittlerweile auch einfach ab oder klappe das Buch zu, weil ich da total allergisch drauf geworden bin.
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Zit

#23
Ich habe nicht den Eindruck, dass aktuelle Serien immer einen Dopaminkick nach dem anderen bringen. Die angesprochenen Serien wie Fargo oder Expanse (oder Breaking Bad) tun das nicht. Und dann gibt es Filme wie Crank, die nichts anderes sind. Ich weiß nicht, ob das nicht auch eine Genrefrage ist. Gerade Tempo ist bei Genren wie Thrillern typisches Mittel zum Zweck. @Siara Ging es dir früher auch so, dass du ,,schnelle" Filme/ Medien nicht mochtest oder ist das eher eine Entwicklung? Es kann ja sein, dass das bei dir schon immer so war und du nun nur Medien verstärkt wahrnimmst, die deinen Gewohnheiten widersprechen. (Ocean's Eleven, Transporter, Mission Impossible — alles Actionfilme, die die schnellen Beats von Anfang an hatten.)
Andererseits hast du aber natürlich recht, dass Social-Media-Nutzung bzw. die modernen Messenger wie WhatsApp dazu führen, dass Leute weniger Geduld aufbringen und warten können als früher. Ich bin aber noch uneins ob das immer so schlecht ist. Letztlich heißt das ja auch, dass Handlungen dadurch gestrafft und kompakter werden können, was durchaus atmosphärisch besser wirkt. (Und man bei gleicher Laufzeit wie früher mehr erzählen kann.) Wir haben an anderen Stellen auch darüber gesprochen wie sich Lesegewohnheiten ändern und ,,kürzere" Bücher bevorzugt werden. Das ist ja auch nicht immer schlecht letztlich.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Mondfräulein

Auf der anderen Seite kam vor einiger Zeit The Irishman raus, der sehr langsam erzählt ist. So langsam, dass ich nach einer halben Stunde immer noch nicht wusste, worum es überhaupt geht und abgeschaltet habe. Alle haben darüber geredet, wie langsam dieser Film erzählt ist. Das Damengambit fand ich auch eher langsam erzählt und wie gesagt, diese Serie hätte man vor ein paar Jahren als Film herausgebracht.

Ich glaube nicht, dass Geschichten grundsätzlich schneller oder langsamer erzählt werden, sondern dass es vielleicht einfach mehr Diversität gibt, was die Erzählweise angeht. Streamingdienste geben auch vielen kleineren und experimentelleren Produktionen eine Chance, die es früher vielleicht auch hätte geben können, zu denen man aber nicht so einfach Zugang hatte. Da sind schnelle Sachen dabei. Da sind langsame Sachen dabei. Da sind Dinge dabei, die für mich nicht funktionieren.

Das mit den Dopamin-Szenen kann ich so nicht ganz nachvollziehen. Aus meiner Perspektive heraus war es früher eher so, dass man ewig auf eine Enthüllung oder etwas bestimmtes gewartet hat, ja, aber das hat die Serien für mich nicht unbedingt besser gemacht. Es hat sich eher angefühlt, als würde eine Enthüllung möglichst lange hinausgezögert werden, weil die Geschichte ansonsten nicht so viel Substanz hat. Ich habe mal angefangen, Supernatural zu schauen. Da wird am Anfang viel geteasert, danach gibt es das Monster der Woche und dazwischen nur kurze Momente, in denen man nochmal daran erinnert wird, dass es ja auch noch um etwas anderes geht. Für mich war das super langweilig und ich bin nicht lange dabei geblieben, weil es sich so angefühlt hat, als würde ich nur hingehalten werden.

Siara

Okay, um es kurz zusammenzufassen: Geschmäcker sind verschieden. ;D Denn genau das, @Mondfräulein , was du an diesen älteren Serien nicht mochtest, hat mich mitgerissen.

Vielleicht habe ich in den letzten Jahren auch tatsächlich bisher einfach immer die falschen Serien/Bücher erwischt und sollte mich mal anderweitig umsehen. Unter dem riesigen Angebot etwas zu finden, ist allerdings gar nicht so leicht, besonders wenn man gar nicht weiß, was man eigentlich sucht. Mir ist nur tatsächlich der Unterschied aufgefallen zwischen "Ich bin im Augenblick gefesselt von dieser Serie/diesem Buch" und "Es bewegt mich auch langfristig".

Zitat von: Zitkalasa am 28. November 2020, 21:49:18
Andererseits hast du aber natürlich recht, dass Social-Media-Nutzung bzw. die modernen Messenger wie WhatsApp dazu führen, dass Leute weniger Geduld aufbringen und warten können als früher. Ich bin aber noch uneins ob das immer so schlecht ist. Letztlich heißt das ja auch, dass Handlungen dadurch gestrafft und kompakter werden können, was durchaus atmosphärisch besser wirkt. (Und man bei gleicher Laufzeit wie früher mehr erzählen kann.)
Das sehe ich immer noch anders. Mir gefällt es nicht, dass die Geschichten kompakter werden, mir war die Proportion von Inhalt und Länge früher genau recht. Aber wieder: Geschmackssache.

Fazit bis hierher: Die Unterhaltungsmedien haben nicht generell gesprochen nachgelassen, aber sie haben sich verändert.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Alana

#26
Mir geht es eher so, dass mir vieles gerade im Moment zu langsam erzählt ist, zu lateral. Zumindest anfangs brauche ich deswegen oft länger, damit eine Serie mich richtig zieht. Langsam erzählen kann auch packend sein, aber es muss richtig gemacht sein. Ich habe das Gefühl, dass heute eben nicht mehr so auf den Punkt erzählt wird, sondern man sich viel mehr Zeit für alles nimmt; was ich prinzipiell toll finde, aber häufig hat es eben den Effekt, dass einem am Anfang der Einstieg schwer gemacht wird. Da würde ich mir häufig etwas mehr effektvolle Dramaturgie wünschen.

Ich habe letztens mal wieder Zwielicht gesehen, diese großartigen Film mit Richard Gere, der Edward Nortons Durchbruch war. Und da dachte ich auch: sowas wird heute gar nicht mehr gemacht. So straight auf den Punkt erzählt mit perfekter Dramaturgie, gerade so genial, weil es so simpel ist und nicht tausend Ebenen braucht und am Ende doch ein Twist steht, der einen umhaut. Was heute gemacht wird, finde ich nicht schlechter; aber diese Art von Filmen fehlt mir. "Aus Mangel an Beweisen" war auch so einer. Ohne Effekthascherei, einfach nur grandiose Erzählkunst.

Dafür gibt es heute viel mehr kreative Erzählkunst, die ich unheimlich genieße, auch wenn ich mich dafür am Anfang manchmal etwas durchbeißen muss.  ;D
Alhambrana

Ahneun

Na ja Siara, als ich Dein Startposting bis zu den letzten Worten las dachte ich spontan bei mir, "Willkommen im Club."  :hmmm:
Dann las ich weiter und erkannte viele gute Gedanken, Erklärungsversuche und die verschiedensten Ansätze einer Lösung für Deine Frage.

Was Du hier aufwirfst ist, so stellt sich mir selbst die Problematik, das "Älterwerden".

Du schreibst von einem Zeitraum in dem Du gerade fünfzehnjährig bis heute, wo Du mit fünfundzwanzig Lebensjahren, eine junge Frau bist. Inwieweit Du schon mit beiden Beinen fest im Leben stehst vermagst nur Du zu beantworten.

Für mich, - zurückblickend als ich 25 Jahre alt war, gab es Kassettenrecorder die beim Abspielen der Magnetbandaufzeichnungen zuweilen einen Bandsalat verursachten und die aufgenommenen Aufzeichnungen waren futsch.  :d'oh:

Ja, viele hier gegebenen Antworten zielen genau in diese Richtung. -> Der Vergleich von Damals und Heute.
Als Du mit jungen 15 Lebensjahren versucht hast die Welt für Dich zu entdecken waren Deine Gefühle und Wahrnehmungen anders als Heute. Du erachtetes andere Dinge wichtiger. So war auch Dein Konsumverhalten etwas anders als heute. Das Konsumverhalten, nicht nur beim Einkaufen, sondern Dein Konsumverhalten, wie Du Medien ver- konsumiert hast.

Da komme ich nun auf meine Wenigkeit,
als ich 15 Jahre jung war, habe ich Radio gehört und versucht (Westradio) Musiktitel mit dem Radiorecorder mitzuschneiden. Die Qualität der Mitschnitte war zuweilen egal, Hauptsache, ich hatte den gesuchten Musikmitschnitt. Ich habe sogar in den Nächten mehrmals ganze Radiosendungen (mit zwei Musikkasetten) komplett aufgezeichnet um sie mir dann am Tag im Stück anzuhören. Im Vergleich dazu, als ich 25 Jahre alt war, wurde ich das erste Mal Vater. Und wieder waren andere Dinge in meinem Leben wichtiger. Auch das Interesse nach den Medien wandelte sich bei mir.

Die "Wende" kam und ich entdeckte erneut neue Möglichkeiten. Auch hier wandelte sich mein Musikgeschmack und das Musikempfinden grundlegend. Auch die Technik der Medien änderte sich, was auch hier bei mir eine Änderung nach sich zog. Schon allein vom Hörgenuss.

Ganz ehrlich! Ich vermisse solche Serien wie, "Der Mann in den Bergen", "Alf", "Dallas", auch, "Peter Steiners Theaterstad'l", usw. Etwas ähnliches jedenfalls gibt es heute nicht mehr. "Der Bergdocktor"? oder "Alarm für Kobra 11"? Nein! Nix für mich.
Heute hat sich mein Konsumempfinden grundlegend geändert, dass ich dahingehend überhaupt jegliche Serie im TV ablehne, weil ich sie sowieso nicht bis zum Ende schauen kann und werde. "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" ist bei mir ein sehr gutes Beispiel. Ich habe früher ab und zu mal eine Folge gesehen. Heute kannst Du mich damit jagen. Ich lehne jeglichen Bezug zu dieser Serie komplett ab!

Abschließend;
ich möchte damit nur zum Ausdruck bringen, dass ich Zusammenfassend, mich hier in einigen Antworten wiederfinde.
Und, @Siara - ja, die Medienlandschaft hat sich geändert. Und Dein Empfinden hat sich ebenfalls verändert. -> Und Du wirst feststellen, Du kannst in fünf bis zehn Jahren erneut diese Feststellung treffen.
- Ein Diamant
ist

Angela

@Ahneun , ja das Alter. ;D Wenn ich manchmal auf etwas stoße, was ich früher soo toll oder soo doof fand, wundere ich mich über mich selbst, wie sehr sich der Geschmack über die Zeit ändert.
Einiges bleibt ein Leben lang, auch klar.
Gut erzählt, Figuren bei denen man mitleben kann, funktionieren für mich immer, ob langsam oder schnell erzählt. Dann geht auch Puppenspiel oder uralt schwarzweiß.

Linda

Mir fällt auf, dass diese Diskussion von verschiedenen Voraussetzungen und damit unterschiedlichen Wahrnehmungen ausgeht. Die Blase der allgemeinen TV-Gucker, der Kinogänger, der Netflixer/Streamer, der deutsches-TV-Gucker ... und da sind nicht einmal die Printmedien dabei.
  Das ist nicht unbedingt die gleiche Basis für Vergleiche, daher mein Posting cum grano salis.

  Mit Netflix kann man Serienschauen tatsächlich wieder anfangen. Aber - Serialisierung ist für mich auch nicht alles (künstliche Dramatisierung mit Figurenwendungen um 180 Grad, nur um noch etwas Drama herauszukitzeln, nerven).
  Meine Anmerkungen zu zunehmend generischer werdenden Filmen bezogen sich auf Hollywood-Kinofilme, nicht Sachen wie Dark (das ich, im Gegensatz zu Stranger Things nicht mochte, dem ich jedoch eine gute Ästhetik und einen für deutsche Verhältnisse exotischen Plot attestieren möchte, dessen Figuren - für mich- aber an den typisch deutschen Unzulänglichkeiten litten).
  Die Bücher sind in der Diskussion ob der Vielfalt der Bildschirmmedien leider auch ins Hintertreffen gekommen (eben wie in der Realität).  Naja, das passt ja auch weitestgehend zum Thema.