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Wie weit darf man gehen?

Begonnen von Schreiberling, 07. Januar 2010, 21:50:52

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Mrs.Finster

#15
Fragen wir mal: Gibt es etwas, das es nicht bereits gab? Nicht das mir ein empfindliches Themengebiet einfällt, das nicht irgendwo schon einmal aufgetaucht wäre. Von Feuchtgebiete über Hannibal....

Ansonsten: Grenzen und Barrieren sind da um gebrochen zu werden  :snicker:
Glück ist, wenn die Katastrophen in meinem Leben endlich mal eine Pause einlegen :-)

Maran

Auch wenn Oscar Wilde mit dieser Aussage meines Erachtens Recht hat, so halte ich es dennoch für riskant, sie zu verallgemeinern. Das hat irgendwie etwas von unvollständigen Zitaten (wie: "Stell Dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin ...") Wilde war ein - nun ja, sagen wir einmal ein "Rebell" im weitesten Sinne, auf SEINE Zeit bezogen, ein Andersdenkender und -fühlender und eben einer, der wohl auch dazu stand (vermute ich). Man sollte solche Aussagen, auch wenn sie im Kern vielleicht zutreffen, niemals aus dem gesellschaftlichen, kulturellen und zeitlichen Zusammenhang reißen, weil sie in einem ebensolchen "weiter entwickelten" Rahmen möglicherweise eine ganz andere Aussage beinhalten könnten, als im eigentlichen Zusammenhang geplant (oder eben nicht).

Zitat von: Mrs.Finster am 12. Januar 2010, 17:44:12
Grenzen und Barrieren sind da um gebrochen zu werden  :snicker:
Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Grenzen meinetwegen auch. Nichtsdestotrotz gibt es Regeln, Grenzen und Barrieren, die ihren Sinn und Zweck erfüllen, und nicht gebrochen werden sollten.
In Bezug auf das Schreiben bin ich persönlich der Meinung, daß kein Autor seine eigenen Grenzen überschreiten sollte, nur weil es ein Verlag oder der Leser es will, unter anderem, weil dabei nichts Gutes bei rauskommen kann - jetzt erst verstehe ich den Passus aus "Catcher in the Rye" (wie ich dieses Buch gehasst habe - und immer noch hasse): "Er prostituiert sich in Hollywood." (Holden über seinen Bruder (?))
Die Gefahr des "Zuweitgehens" liegt hingegen meiner Meinung nach nicht in der Arbeit des Autors, sondern im Verständnis des Lesers. Ein Autor kann und sollte auch nicht alle Konsequenzen seiner Ergüsse auf die Leser und deren Textverständnis berücksichtigen - insofern ist die eigene innere Grenze des Autors ein wichtiger Maßstab. Ein  zweischneidiges Schwert ist dieses Thema ... Wie oft schon wurde Inhalten ein komplett anderer Sinn gegeben?

Raven McTalon

Oh. Natürlich kannst du theoretisch über alles schreiben. Es stimmt schon, dass dir beim Schreiben in gewissem Sinne keine Grenzen gesetzt sind. Nur würde ich manche Themenbereiche an deiner Stelle mit großer Vorsicht genießen, wenn du vorhast mehr daraus zu machen, als sie nur im Schreibtisch dahin siechen zu lassen. (sorry, ich denk gerade vielleicht etwas zu poetisch, oder?  ;D)

Ich meine da so Sachen wie übermäßige Darstellung von Gewalt, Pornografie, Rassismus (es sei denn es ist der Kampf dagegen) und ähnliches... Sagen wir es so: Man kann alles machen, nur dass manches sich eben nicht gehört und auch nicht besonders gut ankommt.

Ach ja: noch ein Bereich den ich nie zu tief einschneiden würde: Personen aus dem Real Life in Geschichten vorkommen zu lassen. Zumindest nicht ohne deren sicheres Einverständnis. Gab schon Klagen deswegen, teilweise sogar Verbote (Ich glaub zwei oder drei Mal oder so...).

Ich weiß nicht, ob man das verallgemeinern kann, das ist nur meine Meinung...


GLG
Raven

Schattenspielerin

Guten Abend,

ich hätte da mal eine Frage an euch. Ich habe in den letzten Tagen ein Buch gelesen und bin dabei über zwei Stellen gestoßen, die ich ein wenig Fragwürdig fand. Ob dies der beste Thema dafür ist weiß ich nicht. Wenn nicht dann bitte ich dies zu entschuldigen.

Ich werde eine Textstelle mal zitieren ohne dabei das Buch zu benennen, da es mir eher darum geht, ob man das schreiben darf. Also nun das Zitat:
"Ungläubig beobachtete Cassie, wie er über den Rasen davonstolzierte. Er drehte sich nicht einmal nach ihr um, der eingebildete Wichser. Sollte er es sich doch selbst besorgen, denn offensichtlich würde niemand anderer jemals gut genug für ihn sein."

Findet Ihr das in Ordnung und würdet ihr so was auch schreiben? Oder eher anders formulieren?
Dieses Buch spielt in der heutigen Zeit. Eigentlich hört man so was ja immer wieder auf der Straße aber ich wüsste jetzt nicht ob ich so was in mein Buch schreiben würde wollen.
Dabei muss ich sagen, dass sich die Protagonistin in dem Buch öfters mal aufregt. Meines Erachtens ein sehr impulsiver Mensch.

Also wie gesagt meine Frage an euch, ob ihr so etwas in euer Buch schreiben würdet. Ich würde mich über Antworten sehr freuen.

Sven

#19
Hallo Schattenspielerin!

Ich würde sagen, wenn Cassie so redet und denkt, ist die Sprache in Ordnung. Mehr noch. Es wäre falsch eine andere Sprache zu benutzen, wenn sie nicht zu ihr passen würde. Man sollte immer versuchen so ehrlich, wie möglich zu schreiben. Dazu gehört auch, den Figuren ihre tatsächliche Sprache zu geben. Jemand aus der Gasse spricht anders, als jemand vom Land, oder aus einer Arztfamilie.
Eine weitere Rolle spielt die Nähe der Perspektive zur Figur. Wird die Geschichte aus der 3. Person geschrieben und der Autor bleibt weit von ihr weg, würde würde die Sprache entsprechend angepasst, sprich "sanfter" werden.
In Deinem Beispiel ist man aber ganz dicht dran und was dort steht, sind die Gedanken von Cassie, was die derbe Sprache rechtfertigt.
Das wäre meine Sichtweise.
Beste Grüße,
Sven

Malinche

#20
Hm, also ich würde es nicht drauf anlegen, solche Stellen in mein Buch kriegen zu wollen. Aber wenn ich einen Charakter habe, der entsprechend denkt, handelt und redet, dann hätte ich mit sowas auch kein Problem, weil es dann einfach seine Art ist, sich auszudrücken. Ich habe in einem meiner Projekte auch einen ziemlich unangenehmen Kerl, der die ganze Zeit anzügliche Bemerkungen meiner Prota gegenüber macht - das war so nicht geplant, hat sich aber beim Schreiben ergeben. Und ich hatte auch insofern kein Problem damit, solche Sachen zu verwenden, weil es zu dem Charakter passte.

Bei der von dir zitierten Stelle handelt es sich ja auch um die Prota-Perspektive. Und wenn die generell in dieser Richtung denkt und spricht, kann das Zitat durchaus passen. Es würde zumindest auch einiges über die Prota verraten. Wenn ich das Gefühl habe, dass es zur Figur passt und vom Autor aus diesem Grund eingesetzt wird, habe ich mit solchen Ansagen kein Problem - ich muss die entsprechende Figur nicht mal mögen, wichtig ist, dass es stimmig ist. Was mich stört, ist, wenn ich das Gefühl bekomme, der Autor wollte möglichst provokativ und draufgängerisch sein und hat Fäkalsprache und anzügliche Bemerkungen en masse drin, ohne dass damit Charaktereigenschaften von Figuren illustriert werden.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Feuertraum

Ich finde schon, dass man das in einem Buch schreiben kann. Aber wie immer heißt es auch hier: Kommt auf Charakter und Kontext an. Ich persönlich würde diese Begriffe auch verwenden.
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Lavendel

Ich weiß nicht, wieso man immer alles zensieren sollte. Man kann es auch übertreiben, aber auch wenn es dem ein oder anderen Leser mal unangenehm ist, solche Ausdrücke sind Teil unserer Sprache, und ich sehe keinen Grund, generell eine Art 'Schimpfworverbot' an die Literatur zu erteilen. Wenn man das zu Ende denkt, müsste man auch drastische Themen ausschließen, damit auch bloß niemandes zartes Gemüt verstört wird.

Natürlich muss man immer abwägen und ich fände es auch nervig, wenn sowas Überhand nimmt. Aber gegen ein paar hefrigere Ausdrück an der richtigen Stelle, habe ich nichts einzuwenden.

Runaway

Ich hab mich beim Überarbeiten gestern vor mir selbst erschreckt - im großen Showdown taucht ein durchgeknallter Verbrecher auf, betitelt eins der anwesenden Mädchen gern schon mal als "Schlampe" und hat ansonsten auch noch was ziemlich derbes vom Stapel gelassen, das ich schon ganz vergessen hatte und hier auch nicht einfach so wiedergeben will...
Aber ich finde, an die Stelle gehört es einfach. Da macht es absolut Sinn. Ich bin zwar wie gesagt selbst zusammengezuckt, als ich das gelesen hab, aber es macht unweigerlich klar, was für ein blöder Dreckskerl das ist und deshalb gehört es da wirklich rein.
Ich finde, man darf so einiges schreiben, wenn's paßt und man es nicht damit übertreibt.

Mika

Ich habe einmal ein Buch zum vergleich im armerikanischen Original gelesen und dann die selbe Stelle noch einmal in der Übersetzung. Witzigerweise äußerte sich ziemlich am Anfang im Original eine Frau wesentlich derber als in dem Beispiel das du angeführt hast, in der deutschen Übersetzung war jedoch nichts mehr davon zu finden, was mich etwas irritiert hat.

Ich kann mich jedoch der allgemeinen Meinung hier anschließen. Wenn es zu einer Figur passt, würde ich ihr alles mögliche in den Mund legen, bzw. würde ich sie alles mögliche sagen lassen. Wichtig wäre mir einfach dass die Figur echt ist. Würde ich versuchen "schön" zu schreiben was die Figur eigentlich sagen will würde ich sie verfälschen und ihr möglicherweise einen Teil ihrer Identität nehmen. Somit kann ich also sagen dass ich nichts gegen derartige Formulierungen einzuwenden habe wenn sie eben der Figur entsprechen. Ob ich so etwas aber selbst schreiben würde weiß ich nicht genau, momentan habe ich noch keine derartige Figur kennen gelernt, in meinem nächsten Projekt könnte aber so ein Fall auftauchen und dann werde ich ihm definitiv nicht den Mund verbieten nur weil es schöner zu lesen wäre.

Malinche

Zitat von: mikain meinem nächsten Projekt könnte aber so ein Fall auftauchen und dann werde ich ihm definitiv nicht den Mund verbieten nur weil es schöner zu lesen wäre.

Den Mund verbieten trifft es sehr gut, finde ich. Figuren reden im besten Fall, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Und wenn da Unflätigkeiten dabei sind - bitte sehr!
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Kati

Ich sehe da auch kein Problem, überhaupt nicht. Nicht mal in Jugendbüchern um ehrlich zu sein (ich meine jetzt ab 14/15, nicht ab 10  ;D). Vielleicht bin ich ja auch schon total abgehärtet, aber sowas stört mich überhaupt nicht und ich finde es vergleichsweise harmlos. Und, wenn ein Charakter danach verlangt, würde ich auch etwas ähnliches schreiben. Ich sehe eigentlich keinen Sinn darin, etwas schön zu umschreiben und die Situation so zu verharmlosen. Kann sich hier jemand vorstellen, dass Cassie in dieser Situation denken würde: "Oh, Schade. Dieser arrogante Kerl will mich wohl nicht, Blödmann..." Das würde es irgendwie nicht rüberbringen. Wir leben ja nun in einer Zeit, in der man sich sowas leisten kann. Warum dann nicht? 

Schattenspielerin

Ich danke euch allen für eure ehrlichen Antworten.
In meinem Roman gibt es auch Charaktere, die derartige Ausdrücke von sich geben. Nur irgendwie nie meine Protas.
Ich schließe mich euch an, dass ich einen Charakter oder besser dessen Sprache nicht verschönern würde.
Ich fand das nur so erschreckend. Es zog sich durch das ganze Buch. Nun gut das zeugt ja schonmal von einer guten Autorin. :)
Mir lief es einfach irgendwie eiskalt den Rücken hinunter. Nicht wegen des Buches sondern eher darum das man so was heutzutage denkt bzw. ausspricht. Aber gut das gehört jetzt nicht mehr hierher.
Ich danke euch aber dennoch für eure vielen Antworten.